Das Interview Anerkennung und För<strong>der</strong>ung Das EU-Jahr <strong>der</strong> <strong>Freiwillig</strong>entätigkeit rückt auch die Ehrenamtlichkeit in Südtirol ins Rampenlicht Aktive Bürger gehören geför<strong>der</strong>t: Dadurch wird die Gesellschaft menschlich reicher, sagt Richard Theiner, Landesrat für Gesundheit, Sozialwesen und Familie in einem Interview mit unserer Zeitschrift. Allein im Sozialwesen gibt es an die 3.000 erfasste freiwillige Helfer, <strong>der</strong>en Einsatzgebiete weit gefächert sind, von Pflege- und Betreuung von Kranken, Senioren, Kin<strong>der</strong>n bis hin zum Einsatz für Obdachlose und Hilfe in sozialen Notfällen. 12 Altenbetreuung <strong>03</strong> | <strong>11</strong>
Das Interview Herr Landesrat Theiner, das EU-Jahr <strong>der</strong> <strong>Freiwillig</strong>entätigkeit heißt im Titel „zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> aktiven Bürgerschaft“. Wie deuten Sie diese Bezeichnung? <strong>Freiwillig</strong>e Feuerwehren, <strong>Freiwillig</strong>e Sanitäter, <strong>Freiwillig</strong>e Sozialhelfer und viele an<strong>der</strong>e <strong>Freiwillig</strong>e erbringen ganz konkret Leistungen zugunsten von Dritten, für die es kein Gehalt gibt. Sie sind aktive Bürger, weil ihr Beitrag das Gemeinwohl auf je<strong>der</strong> Ebene und in jedem Bereich för<strong>der</strong>t und sie die Gesellschaft reicher und menschlicher machen. Das muss immer geför<strong>der</strong>t werden. Wie stellt sich diese „aktive Bürgerschaft“ in Südtirol dar: auf welchen Gedanken gründet, Ihrer Meinung nach, das Ehrenamt hier im Land? In fast je<strong>der</strong> Südtiroler Familie ist jemand, und oft nicht nur ein Mensch allein, <strong>der</strong> seine Zeit und Kraft ehrenamtlich als „aktiver Bürger“ zur Verfügung stellt: als Mitglied <strong>der</strong> Feuerwehr, des Weißen Kreuzes, <strong>der</strong> Caritas, des KVW, um nur einige große Beispiele zu nennen; o<strong>der</strong> als Mitglied einer Selbsthilfegruppe, als Betreuungsperson für Kranke, für Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung, usw. Wenn wir dazu noch die „<strong>Freiwillig</strong>en“ hernehmen bei den Musikkappellen, den Schützen, beim Alpenverein o<strong>der</strong> die ehrenamtlich tätigen Mitglie<strong>der</strong> in den Sportvereinen, Verbänden, Vereinigungen, Parteien, Genossenschaften und vielen Organisationen mehr, dann wird jedem klar, welche Bedeutung das Ehrenamt hier in unserem Land hat. Ja, wir müssen sagen: das Land selbst und seine ganze Seele gründet auf dem Ehrenamt. Ohne <strong>Freiwillig</strong>e und ohne Ehrenamt gäbe es das Südtirol, wie wir es kennen und lieben, gar nicht. Das Ehrenamt schenkt Freude und Kraft Wie hat sich das Ehrenamt im Lauf <strong>der</strong> Südtiroler Geschichte entwickelt, wann gab es beson<strong>der</strong>s große Solidarität und soziale Verantwortung, wann wurde diese weniger? Geschichtlich gesehen haben die aktive Bürgerschaft und die Organisation von gemeinnützigen Zusammenschlüssen sicher ihre Wurzeln in <strong>der</strong> früh errungenen Eigenständigkeit <strong>der</strong> Tiroler. So zum Beispiel begehen wir dieses Jahr die „500 Jahre Landlibell“, d.h. vor 500 Jahren hat <strong>der</strong> Kaiser den Tirolern die eigenständige Landesverteidigung übertragen. Unsere Bauern hatten längst Freiheitsrechte und Eigenverantwortung, als ihre Standesgenossen in an<strong>der</strong>en Teilen Europas noch Leibeigene <strong>der</strong> Großgrundbesitzer waren. Freiheit för<strong>der</strong>t Verantwortung und Zusammenhalt. Beim Einstehen für das Gemeinwesen kann ich nicht immer fragen: wie viel Geld bekomme ich dafür? Gerade das raue Leben in den Bergen zeigt, dass je<strong>der</strong> jeden irgendwann braucht und dass <strong>gut</strong>e Taten früher o<strong>der</strong> später zurückkommen. Heute ist das Tätigsein zum gegenseitigen Nutzen auf freiwilliger und ehrenamtlicher Grundlage vielleicht nicht mehr so überlebensnotwendig wie früher, weil viele Lebensbereiche inzwischen von <strong>der</strong> Geldwirtschaft geregelt werden. Aber man sollte sich keine falschen Gedanken machen: erstens können gar nicht alle Beziehungen unter Menschen durch Geld allein geregelt werden; zweitens und viel wichtiger: Das gegenseitige Helfen und das sich Schützen in <strong>der</strong> Gemeinschaft ist ein Urtrieb des Menschen. Wer diesem Trieb folgt, fühlt sich als Mensch, mit „Sinn“ ausgefüllt und eigentlich glücklich. Der Mensch ist von Natur aus viel weniger Egoist als viele glauben. Vielleicht haben heute wegen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Leistungszwänge viele Menschen etwas den Zugang zu dieser Erfüllung aus den Augen verloren. Aber das Bedürfnis zu Geben ist im Prinzip immer da. Das bedeutet: die <strong>Freiwillig</strong>enarbeit und das Ehrenamt muss man in je<strong>der</strong> Zeit und in je<strong>der</strong> Generation neu lenken und pflegen. Gibt es unterschiedliche Entwicklungen in <strong>der</strong> <strong>Freiwillig</strong>enarbeit im Sozialwesen und <strong>der</strong> <strong>Freiwillig</strong>enarbeit im Gesundheitswesen? Ja, das Gesundheitswesen ist sehr viel früher professionalisiert worden als das Sozialwesen. Die ersten Krankenschwestern im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t gingen als <strong>Freiwillig</strong>e in die Feldlazarette und Krankenhäuser. Daneben und schon lange vorher haben Ordensleute als eine ganz beson<strong>der</strong>e Art von „<strong>Freiwillig</strong>en“ viele sanitäre und auch soziale Dienste erfüllt. Im Sozialwesen wird die Leistung von <strong>Freiwillig</strong>en, so glaube ich, immer einen ganz wichtigen Rang einnehmen. Gibt es Unterschiede zwischen deutschen und italienischen Ehrenamtsauffassungen? Nicht in <strong>der</strong> Substanz, glaube ich. Wenn es Unterschiede gibt, dann in <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung, die ich geschil<strong>der</strong>t habe. Altenbetreuung <strong>03</strong> | <strong>11</strong> 13