Jane Goodall - G/Geschichte
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Im Interview: <strong>Jane</strong> <strong>Goodall</strong><br />
„Das soll von mir bleiben“<br />
<strong>Jane</strong> <strong>Goodall</strong> – sie war jung und sie zog einfach los, um in Afrika Schimpansen<br />
zu erforschen – 52 Jahre ist das her. Was sie entdeckte, war bahnbrechend<br />
und machte sie weltweit so berühmt wie Albert Einstein. Heute, mit 78, will<br />
sie vor allem eines: die Menschen aufrütteln, weil die Zerstörung der Natur<br />
viel schneller voranschreitet und jeder etwas dagegen tun könne, verriet sie<br />
Elke Kressin in einem sehr persönlichen Gespräch.<br />
Frau <strong>Goodall</strong>, viele Menschen sorgen sich um ihre Umwelt, und die<br />
Natur, um Menschen und Tiere, möchten Gutes tun. Können Sie einen<br />
Rat geben – wie kann jeder einzelne helfen?<br />
JANE GOODALL: Natürlich kann ich Rat geben. Das kann ich immer (lächelt).<br />
Man sollte jeden Tag ein paar Minuten darüber nachdenken, welche<br />
Konsequenzen die Wahl hat, die man trifft. Zum Beispiel was wir kaufen: Wo<br />
kommt es her, wie weit ist es gereist, könnten wir das auch hier bekommen<br />
und weniger CO2-Verseuchung verursachen? Wir sollten uns fragen, was wir<br />
essen: Kommt es aus intensiver Landwirtschaft? Mussten Tiere dafür leiden,<br />
hat es der Umwelt geschadet? Oder denken Sie an unsere Kleidung: Entstand<br />
sie durch Kinderarbeit? Wenn wir uns bewusst werden, wie wir mit unserem<br />
Planeten umgehen, machen wir die Welt zu einem besseren Ort.<br />
Wir, in den reichen Ländern haben diese Wahl. Aber wie ist es mit<br />
dem viel größeren Teil der Menschen – die in einem armen Land<br />
leben?<br />
Oh doch, die haben sie sehr wohl. Wenn dir ein Hund begegnet, kannst du<br />
nach ihm treten oder du kannst ihn streicheln und gut behandeln. Du kannst<br />
eine herausgerissene Pflanze mit Wurzeln sehen und entscheiden, sie wieder<br />
einzupflanzen. Du kannst Müll herum liegen sehen und ihn aufheben. Man hat<br />
immer die Wahl. Man kann sich zum Beispiel entscheiden, kein Fleisch mehr<br />
zu essen.<br />
So wie Sie; Sie sind überzeugte Vegetarierin...<br />
... ja. Seit ich 1975 das Buch „Befreiung der Tiere“ über Massentierhaltung<br />
las, esse ich kein Fleisch mehr. Als mir bewusst wurde, was vor sich ging – die
armen Tiere an diesen schrecklichen Orten – und das Schnitzel nach dem<br />
nächsten Einkauf auf meinem Teller sah, dachte ich: Dieses Stück Fleisch<br />
symbolisiert Schmerz, Angst und Tod. Das möchte ich nicht essen.<br />
Für viele sind Sie ein Vorbild. Wie leben Sie damit?<br />
Nun, es beeindruckt mich nicht. Aber wenn Leute sich an mir orientieren,<br />
treffen sie vielleicht eine gute Wahl. Das wäre doch ein Vorteil, zum Beispiel<br />
wenn ich an unserer „Roots & Shoots“ denke.<br />
„Roots & Shoots – ihr Jugendprogramm...<br />
... ja mein Herzensprojekt: ein Programm für Kinder und Jugendliche in der<br />
ganzen Welt, die sich für Menschen, Tiere und Umwelt engagieren wollen. Die<br />
Kinder können sich an das <strong>Jane</strong> <strong>Goodall</strong> Institut wenden, wenn sie zum<br />
Beispiel Geld sammeln wollen für eine bedrohte Tierart, wenn sie Bäume<br />
pflanzen wollen oder andere Ideen haben. Das ist doch viel besser, als wenn<br />
die Kinder vor ihren Fernsehgeräten oder Videospielen festkleben.<br />
Interessieren Sie sich für moderne Technik?<br />
Aber sicher! Ich skype von überall auf der Welt und schreibe viel am<br />
Computer. Nur von Facebook lasse ich die Finger.<br />
Sie sind ohnehin schon eine öffentliche Person.<br />
Ja, aber es ist bei mir nicht so wie zum Beispiel bei der Königin von England<br />
(lächelt). Im Vergleich zu ihr habe ich viel mehr Freiheiten.<br />
Und auch mehr Möglichkeiten, etwas zu ändern?<br />
Ich denke schon (lächelt). Ich komme ganz nah an die Menschen heran und<br />
sie wollen das auch. Es ist schön, wenn man sieht, dass man etwas bewegt,<br />
ein Umdenken in Gang setzt.<br />
Sie sind so weit gereist: Gibt es Orte, die Ihnen besonders am Herzen<br />
liegen?<br />
Oh ja: Gombe natürlich. Und der Hippo-Pool in Tansania. Und das Goualougo-<br />
Dreieck (Anm. der Red.: im Nationalpark im Kongo, nahe Brazzaville). Das ist<br />
einfach ein wunderschöner Dschungel. Alle Wälder sind schön für mich.<br />
1986 haben Sie sich entschlossen, ihr Forschungsobjekt im Dschungel<br />
zu verlassen, um der Welt zu erzählen, dass die Natur zerstört wird.<br />
Haben Sie sich je in den Dschungel zurückgesehnt?<br />
Nein, niemals. Das hat zwei Gründe. Sehen Sie, ich hatte viele Jahre dieses<br />
wundervolle Leben in Gombe. Aber zu etwas zurückzugehen, funktioniert nie.
Gombe hat sich verändert. Ich wusste, dass ich dort niemals wieder glücklich<br />
werden würde. Zudem hat man mir bestimmte Gaben mitgegeben. Eine<br />
davon ist die Fähigkeit zur Kommunikation. Egal, ob durch Schreiben,<br />
Vorträge halten oder in der Arbeit mit Kindern. Ich wusste, ich würde diese<br />
Gabe zurückhalten, wenn ich mich einfach im Wald zurückgelehnt hätte. Das<br />
hätte ich nicht genießen können.<br />
Das hört sich beinahe so an, als wäre das Leben im Dschungel die<br />
reinste Erholung.<br />
Nun, das Leben dort verläuft in einer anderen Geschwindigkeit. Du stehst auf,<br />
gehst in den Wald, folgst der Spur der Schimpansen, beobachtest ihr<br />
Verhalten, schreibst es auf.<br />
Wenn Sie sich etwas wünschen könnten: Was soll einmal von Ihnen<br />
bleiben?<br />
Das eine ist auf jeden Fall mein Jugendprojekt „Roots & Shoots“. Und das wird<br />
überleben, denn es ist schon in 130 Ländern angekommen. Das andere ist die<br />
Haltung gegenüber Tieren. Dass man das Bewusstsein schafft: Tiere sind<br />
Individuen mit Persönlichkeit, denen man mit Respekt begegnen und um die<br />
man sich kümmern muss.<br />
Sie wirken sehr ruhig, gelassen und ausgeglichen. Werden Sie auch<br />
mal wütend?<br />
Oh ja!<br />
Schreien Sie dann?<br />
Nein, ich schreie nie, wenn ich wütend werde. Ich reflektiere darüber und<br />
sage mir: Wenn dieser Mensch nicht versteht, was ich sage, dann ist es meine<br />
Schuld, nicht seine. Also muss ich einen anderen Weg finden, um ihm zu<br />
helfen, mich zu verstehen. Das ist meine Verantwortung.<br />
Das klingt sehr weise…<br />
Meine Mutter hat mir das beigebracht: Wenn du mit jemandem nicht einer<br />
Meinung bist, musst du ihm zuhören. Damit du verstehst, warum er deine<br />
Meinung nicht teilt. Und dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man<br />
merkt: Oh, der andere hat durchaus einen Punkt, den man beachten sollte.<br />
Oder man stellt fest: Nun erkenne ich, warum er so argumentiert. Sein<br />
Standpunkt ist trotzdem falsch. Was kann ich tun, um ihm meine Sichtweise<br />
auf andere Art näher zu bringen, damit er mich versteht und die Sache<br />
differenzierter sieht?<br />
Hat Ihnen diese ruhige bedachte Art auch damals geholfen, als sie als<br />
junge Forscherin anfangs angefeindet – sie hatten kein Studium, nur
die fixe Idee in den Dschungel zu gehen, um Schimpansen besser zu<br />
verstehen...<br />
Was andere über mich denken, war mir schon immer egal (lächelt). Ich<br />
wusste, dass ich etwas Bahnbrechendes entdeckt hatte (siehe Kasten), wollte<br />
weiterforschen und natürlich Louis Leakey Ehre machen. Der berühmte<br />
Verhaltensforscher und Anthropologe setzte damals durch, dass ich auch ohne<br />
Studium promovieren durfte, denn – so seine Worte: „<strong>Jane</strong>, wenn du weiter in<br />
Afrika forschen willst, brauchst du den Doktortitel, damit du Gelder<br />
bekommst.<br />
Sie betonen, dass alle Tiere eine Persönlichkeit haben. Können Sie die<br />
immer herausfinden?<br />
Nicht immer. Bei Katzen zum Beispiel kann ich es überhaupt nicht sagen. Die<br />
sind oft sehr eigenwillig. Bei Hunden ist das wesentlich leichter. Man kann auf<br />
den ersten Blick sehen, ob sie freundlich sind. Mein erster Hund „Rusty“ hat<br />
mich das schon in der Kindheit gelehrt, zu Hause in Bournemouth.<br />
Das immer noch Ihr Zuhause in England...<br />
Ja. Meine Schwester lebt heute in unserem Elternhaus. Und ich habe dort ein<br />
Zimmer voller Bücher und Souvenirs. Das ist ein Ort, an dem ich zur Ruhe<br />
kommen kann. Immer, wenn ich dort bin nutze ich die Zeit, um ein Buch zu<br />
schreiben und mit meiner Familie zusammen zu sein, etwa wenn meine drei<br />
Enkel aus Tansania zu Besuch kommen.<br />
Viele Menschen denken, dass Sie wie eine Heilige leben. Womit kann<br />
man Sie verwöhnen?<br />
Ich liebe ein schönes Glas Rotwein, ich mag Whisky. Meine Schwester hat<br />
immer einen schönen Whisky da, wenn ich nach Hause komme. Ich mag<br />
Schokolade und – Käsekuchen. Ein Ernährungswissenschaftler hat mir mal<br />
gesagt, dass Käsekuchen genau das Richtige ist für einen müden Körper.<br />
Denn er enthält die ideale Mischung: genug Proteine und Inhaltsstoffe, die der<br />
Körper gut verdauen und verarbeiten kann.<br />
Was sagen Sie Leuten, die Sie für eine unverbesserliche Romantikerin<br />
halten?<br />
Wenn sie das denken wollen, dann sollen sie einfach so weitermachen wie<br />
bisher. Ich werde mich nicht mit ihnen streiten. Und wenn sie mir sagen:<br />
„Schau dich doch um, überall nur Schrecken und schlimme Dinge“, antworte<br />
ich: Du musst einfach tiefer graben, dann siehst du unter der Oberfläche das<br />
Gute, Schöne, Wertvolle.<br />
Wie viel Zeit bleibt uns noch, um unser Leben zu ändern?<br />
Nun, ich denke, 20, 30 Jahre. Die Dinge geschehen schneller und immer
schneller. Das Klima verändert sich so rasant. Wenn nichts geschieht, stehen<br />
wir alle unter Wasser.<br />
Dieses Interview ist erstmals im „plus Magazin“ (Ausgabe Dezember/2012)<br />
erschienen. www.plus-mag.de