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Evolution der Gewalt

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Foto: ORF/3sat<br />

„<br />

cover<br />

eINe KeRze,<br />

die an beiden Enden brannte<br />

roMY schnei<strong>der</strong> starb vor 30 Jahren, am 29. Mai 1982.<br />

Die letzten Tage im Leben <strong>der</strong> großen Schauspielerin<br />

Romy Schnei<strong>der</strong> in „Der Swimmingpool“<br />

(1968), Regie: Jacques Deray<br />

In den letzten Monaten ihres Lebens liest<br />

Romy Schnei<strong>der</strong> ein Buch, die Autobiographie<br />

<strong>der</strong> Schauspiel-Diva Eleonora<br />

Duse. Darin unterstreicht sie einen Satz,<br />

den die Duse zitiert, es ist ein Satz des<br />

italienischen Dichters Gabriele D´Annunzio:<br />

„Ich weiß, was <strong>der</strong> Ruhm bedeutet und was<br />

das Nahen <strong>der</strong> Nacht.“ Und beides, das<br />

kennt auch Romy Schnei<strong>der</strong> nur allzu gut,<br />

diesen unermesslichen Ruhm, und, ja, das<br />

Nahen <strong>der</strong> Nacht…<br />

Anfang Mai reist Romy mit ihrem Lebensgefährten<br />

Laurent Pétin in die Schweiz, nach<br />

Zürich, und sucht dort ihren Vermögensverwalter,<br />

Rechtsanwalt Dr. Jürg Henrik Kaestlin<br />

auf. Romy hat finanzielle Probleme, und sie<br />

will das alte Haus in Boissy-sans-Avoir doch<br />

kaufen. In <strong>der</strong> Nacht des 10. Mai 1982 setzt<br />

sie handschriftlich urplötzlich ihr Testament<br />

auf. Es ist, als nähme sie das bevorstehende<br />

Nahen <strong>der</strong> Nacht vorweg, als ahne sie ihr ei-<br />

4 celluloid 3a/2012<br />

genes nahendes Ende. Von den noch lebenden<br />

Verwandten – Tochter Sarah Biasini, Ex-<br />

Ehemann Daniel Biasini, Bru<strong>der</strong> Wolf-Dieter<br />

Albach – tritt kurz darauf keiner das Erbe<br />

Romy Schnei<strong>der</strong>s an, da vom Vermögen, an<br />

dem sich so manche aus ihrem Umfeld so<br />

ungehemmt bedienten, nichts mehr geblieben<br />

ist außer Schulden, französischen Steuerschulden<br />

vor allem, die Angaben variieren<br />

verschiedentlich zwischen drei Summen: sieben,<br />

neun und elf Millionen Francs.<br />

Am 28. Mai, es ist ein Freitag, da gehen<br />

Romy Schnei<strong>der</strong> und Laurent Pétin zu Laurents<br />

Bru<strong>der</strong> Jérôme und dessen Frau Claude,<br />

sie essen alle gemeinsam in <strong>der</strong>en Wohnung,<br />

trinken, reden. Etwa über das im März neu<br />

gefundene Haus in dem Dorf Boissy-sans-<br />

Avoir, knapp 50 Kilometer westlich von Paris,<br />

dort, wo sie sich noch richtig einrichten müssen,<br />

den Sommer verbringen wollen, nur sie<br />

beide und Töchterchen Sarah. An Pfingsten,<br />

am bevorstehenden Wochenende, da sind<br />

sie schon mit Jean-Claude Brialy verabredet,<br />

auch zum Abendessen. Romy und Jean-Claude,<br />

sie kennen sich seit den fünfziger Jahren,<br />

schon seit damals, als sie mit Alain zusammen<br />

in Christine spielten. Das ist fast 25 Jahre her.<br />

Eine Freundschaft über ein Vierteljahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Er kennt sie mit am besten. Und doch merkt<br />

auch er nicht, dass <strong>der</strong> Tod um seine Freundin<br />

Romy herum strich, wie er es später einmal<br />

formuliert. Zu dem Treffen mit diesem, einem<br />

ihrer ältesten Freunde überhaupt, soll es nicht<br />

mehr kommen. Und keiner scheint zu spüren,<br />

dass es das Nahen <strong>der</strong> Nacht ist.<br />

Am frühen Morgen des 29. Mai wacht<br />

Laurent Pétin allein im Bett in <strong>der</strong> im siebten<br />

Arrondissement unweit des Invalidendoms<br />

gelegenen Wohnung in <strong>der</strong> Rue Barbet de<br />

Jouy auf. Romy liegt nicht neben ihm. Es ist<br />

etwa sieben Uhr. Tochter Sarah schläft noch.<br />

Er geht durch die Wohnung und findet Romy<br />

im Salon, am Schreibtisch sitzend, kopfüber.<br />

Inmitten eines handschriftlichen Briefes an<br />

eine französische Zeitschrift bricht sie ab. Er<br />

spricht sie an, doch sie reagiert nicht. Romy<br />

Schnei<strong>der</strong>s Herz, es hat gegen fünf Uhr in<br />

<strong>der</strong> Nacht einfach zu schlagen aufgehört.<br />

Herzversagen lautet die offizielle Todesursache.<br />

Sie konnte nicht mehr. O<strong>der</strong>, wollte sie<br />

nicht mehr? Sie ist 43 Jahre alt.<br />

Romy Schnei<strong>der</strong>s Begräbnis findet am Vormittag<br />

des 2. Juni 1982 in Boissy-sans-Avoir<br />

statt. Dort, wo sie eigentlich leben wollte, dort<br />

wird sie nun beerdigt. Hubschrauber kreisen<br />

über dem kleinen Friedhof mit <strong>der</strong> mittelalter-<br />

lichen Dorfkirche Sankt Sebastian, Fotografen<br />

sitzen in den Hubschraubern, die als erste das<br />

beste Foto schießen und meistbietend an die<br />

Weltpresse verkaufen wollen. Das Foto vom<br />

Sarg und <strong>der</strong> Bestattung eines Weltstars. Zeitweise<br />

ist die Grabrede von Regisseur Jacques<br />

Rouffio nicht zu hören, die Motoren- und<br />

Propellergeräusche in <strong>der</strong> Luft sind zu laut.<br />

Eine geradezu pervertierte Situation.<br />

alain DelOn Fehlte Viele sind gekommen<br />

an diesem Tag. Neben Romy Schnei<strong>der</strong>s<br />

Familie, Bru<strong>der</strong> Wolf-Dietrich mit Frau Alba<br />

und Tochter, Laurent Pétin sowie dem geschiedenen<br />

Ehemann Daniel Biasini, nehmen<br />

auch langjährige Wegbegleiter wie ihr Kollege<br />

Michel Piccoli o<strong>der</strong> Jean-Claude Brialy<br />

von ihr Abschied. Mutter Magda Schnei<strong>der</strong><br />

bleibt nach ihrem erlittenen Herzinfarkt in<br />

Deutschland. Nur einer fehlt sonst auf <strong>der</strong><br />

Beerdigung. Er kommt später, an einem an<strong>der</strong>en<br />

Tag, als die gierige Meute weg ist und<br />

aller Rummel vorbei. Still und leise nimmt<br />

Alain Delon allein von seiner Romy, von seinem<br />

„Puppele“ Abschied. Und so ist denn<br />

auch jener umstrittene öffentliche Brief, <strong>der</strong><br />

in Frankreich in Paris Match, in Deutschland<br />

zeitgleich auf Deutsch in <strong>der</strong> Quick erscheint,<br />

„Adieu ma Puppele“ überschrieben (Paris<br />

Match, 11. Juni 1982). Umstritten, da Delon<br />

ihn nicht allein aufsetzt, umstritten, da er bei<br />

aller von ihm stets betonten Diskretion seinen<br />

Abschied öffentlich macht. Ist das notwendig,<br />

fragen sich viele.<br />

Es war Romys Großmutter Rosa Albach-<br />

Retty, von <strong>der</strong> <strong>der</strong> viel zitierte und die Dinge<br />

so ambivalent antizipierende Satz stammt,<br />

den sie zu bei<strong>der</strong> Lebzeiten äußerte: „Wer<br />

sich wie sie so hemmungslos von seinen<br />

Emotionen, Leidenschaften und Begierden<br />

treiben lässt, denkt sicher nicht daran, dass<br />

eine Kerze, die man an beiden Seiten anzündet,<br />

auch schneller abbrennt...“<br />

Auch am 29. Mai 2012, an Romy Schnei<strong>der</strong>s<br />

30. Todestag, wird dieses leicht zu übersehende<br />

unauffällige Grab wie<strong>der</strong> vollgestellt<br />

sein, werden es die Menschen, die es wirklich<br />

finden wollen, auch finden: Diesen Ort, <strong>der</strong><br />

so ganz eigen ist in seiner Atmosphäre und<br />

Stimmung. Der so abgelegen ist von allem,<br />

so weit weg. Der wie <strong>der</strong> Welt abhanden gekommen<br />

scheint. Diesen Ort, an dem Romy<br />

Schnei<strong>der</strong> begraben ist. � Thilo Wydra<br />

Von Thilo Wydra ist unter an<strong>der</strong>em die Biografie<br />

„Romy Schnei<strong>der</strong>. Leben – Werk – Wirkung“<br />

im Suhrkamp Verlag erschienen.

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