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Evolution der Gewalt

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unser viDeO-interview auF yOutube<br />

http://www.youtube.com/celluloidVideo<br />

<strong>der</strong> damalige demokratische Präsident eine<br />

Landreform durchführen wollte, die vorgesehen<br />

hätte, Land von den Bananenfirmen<br />

zu nehmen und es an landlose Bauern zu<br />

geben, hat die amerikanische Regierung<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> United Fruit Company<br />

eine militärische Intervention gestartet, die<br />

den demokratischen Frühling beendet und<br />

in weiterer Folge zum Bürgerkrieg geführt<br />

hat, <strong>der</strong> dann 36 Jahre lang dauerte und in<br />

einem Genozid endete. Die Geschichte des<br />

Genozids beinhaltet auch die Tatsache, dass<br />

Hun<strong>der</strong>ttausenden jungen Männern beigebracht<br />

wurde, wie man tötet, vergewaltigt,<br />

wie man erpresst. Nach dem Krieg sind diese<br />

Männer mit genau diesen „Kenntnissen“<br />

in den Alltag zurück. Daher also auch <strong>der</strong><br />

Begriff „<strong>Evolution</strong>“: Etwas hat einen Mechanismus<br />

ausgelöst, <strong>der</strong> immer neue Formen<br />

und Konsequenzen hatte. Der Ausgangspunkt<br />

für diese <strong>Gewalt</strong>spirale sind ökonomische<br />

und politische Zusammenhänge.<br />

Der in Guatemala kulturell sehr tiefgehende<br />

Konflikt mit den Indiginas<br />

wird im Film thematisiert, aber nicht<br />

näher auf seine Ursprünge und Auswirkungen<br />

untersucht.<br />

Richtig. Ich habe die These <strong>der</strong> Bananenrepublik<br />

für den Film gewählt; ein Soziologe<br />

würde die <strong>Gewalt</strong>spirale vielleicht in<br />

an<strong>der</strong>en Mechanismen verorten. Mir war<br />

<strong>der</strong> Ausdruck <strong>der</strong> emotionalen Kraft dieser<br />

<strong>Gewalt</strong> wichtiger, als die Analyse, die im<br />

Film einfach nicht <strong>der</strong>art viel Raum haben<br />

konnte.<br />

Sie lassen auch einen Militär-Kämpfer<br />

zu Wort kommen, <strong>der</strong> über seine<br />

Gräueltaten berichtet – warum war es<br />

Ihnen wichtig, alle Seiten zu zeigen?<br />

Ich wollte die verschiedenen Aggregatszustände<br />

<strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> aufzeigen. Die erste<br />

Episode im Film zeigt den voyeristischen<br />

Blick <strong>der</strong> Journalisten, die zweite darüber,<br />

wie jemand innerhalb des Systems dagegen<br />

kämpft, also die Sozialarbeiterin. Genauso<br />

wollte ich Opfern, aber auch Tätern<br />

eine Stimme geben, um diese „<strong>Evolution</strong>“<br />

<strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> darstellen zu können. Der Soldat<br />

ist ein integraler Bestandteil des Films,<br />

weil Täter generell selten zu Wort kommen.<br />

In <strong>der</strong> Dynamik des Konflikts in Guatemala<br />

sind die Täter oft zugleich Opfer. Dieser Soldat<br />

zum Beispiel hatte sich nicht freiwillig<br />

gemeldet, son<strong>der</strong>n das waren Zwangsrekrutierungen.<br />

Man konnte damals entwe<strong>der</strong><br />

zur Armee gehen o<strong>der</strong> fliehen und sich im<br />

Wald <strong>der</strong> Guerrilla anschließen. So o<strong>der</strong> so<br />

war man gezwungen zu kämpfen. Für ihn<br />

war die Teilnahme am Film sehr wichtig, um<br />

eine Form von Katharsis zu finden, indem er<br />

das, was er erlebt hat, auch einmal erzählen<br />

kann. Die Suche nach einem Soldaten<br />

war aber sehr schwierig, weil niemand vor<br />

die Kamera wollte, denn die meisten haben<br />

Angst, deswegen umgebracht zu werden.<br />

Sie zeigen auch Gespräche in Therapiegruppen,<br />

die aber wie immer eigentich<br />

von den „Falschen“ besucht<br />

werden, nämlich den Frauen. Es sollten<br />

dort nämlich vor allem Männer<br />

sitzen...<br />

Die <strong>Gewalt</strong> gegen Frauen hat in Guatemala<br />

schon ein <strong>der</strong>artiges Ausmaß angenommen,<br />

dass man – in Anlehnung an<br />

Genozid – bereits von Femizid spricht. Die<br />

Selbsthilfegruppe im Film ist für min<strong>der</strong>jährige,<br />

vergewaltigte Mädchen. Sie arbeiten in<br />

den Gesprächen die Geschichte des Landes<br />

auf. Aber es gibt keinerlei Therapieform für<br />

Täter, das ist richtig. So wird sich die <strong>Gewalt</strong><br />

weiter reproduzieren, weil sie keine Möglichkeit<br />

haben, selbst mit ihren Traumata<br />

sich an jemanden zu wenden.<br />

Erschreckend ist es, zu sehen, wie<br />

die Menschen in dieser alltäglichen<br />

Trauer schon wie gelähmt reagieren...<br />

Ich habe im Laufe <strong>der</strong> Recherchen mit einem<br />

Schamanen gesprochen, <strong>der</strong> mir von<br />

einer Krankheit erzählt hat, die „Susto“<br />

heißt. Das ist ein ethnologisch definiertes<br />

Krankheitsbild; eine Art von „Seelenverlust“<br />

aufgrund eines Traumas. Diese Angstkrankheit<br />

kann die Formen von Schlafstörungen<br />

über Essensstörungen bis hin zu Tod o<strong>der</strong><br />

Selbstmord annehmen. Ich glaube, dass die<br />

gesamte Gesellschaft in Guatemala unter<br />

„Susto“ leidet, und auch, dass ich im Zuge<br />

<strong>der</strong> Dreharbeiten meine Portion davon abbekommen<br />

habe. Aber für mich war <strong>der</strong><br />

Filmschnitt eine Form von Therapie, diese<br />

Bil<strong>der</strong> in meinem Kopf wie<strong>der</strong> raus und in<br />

eine an<strong>der</strong>e Form zu bekommen.<br />

Was hatten Sie sich als formales<br />

Konzept überlegt?<br />

Weil ich als so genannte One-Man-Show<br />

drehe, müssen meine Filme mit den Mitteln<br />

funktionieren, die ich zur Verfügung habe.<br />

Diese Arbeitsweise definiert also bereits sehr<br />

viel. Das hat den Vorteil, dass ich mehr Zeit<br />

mit dem Dreh verbringen kann, aber den<br />

Nachteil, dass ich stilistisch eingeschränkt<br />

bin, weil ich eben kein Team habe, in dem<br />

sich einer um das Bild, ein an<strong>der</strong>er um den<br />

Ton kümmert. In diesem Fall wollte ich den<br />

Film mit dem Moment <strong>der</strong> Gegenwart beginnen<br />

und davon in die Vergangenheit gehen.<br />

Geschehnisse in <strong>der</strong> Gegenwart kann<br />

ich beobachten, Vergangenes muss ich mir<br />

aber erzählen lassen. Für mich war hier das<br />

Zen-Prinzip von „form follows function“<br />

sehr nützlich; so hat <strong>der</strong> Film keine einheitliche<br />

stilistische Form, son<strong>der</strong>n mäan<strong>der</strong>t<br />

zwischen verschiedenen hin und her. Ich<br />

hoffe aber, dass das wie<strong>der</strong>um eine eigene<br />

Form ergibt.<br />

� Interview: Alexandra Zawia<br />

celluloid 3a/2012 7

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