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Volltext - Institut für Slawistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena

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— Gibt es einen Wertewandel bei den unterschiedlichen Gruppen, <strong>der</strong> die<br />

bisherigen Abgrenzungen <strong>der</strong> ethnischen und religiösen Gruppen<br />

erodiert? Verlieren dabei die Gruppen an ihrer identitätsbildenden Kraft?<br />

Erscheinen dann gesellschaftliche Krisen als individuelle Krisen und wer<br />

den dann auch individuell verarbeitet?<br />

5. Methoden<br />

Die folgenden Ausführungen versuchen mögliche Methoden zu<br />

beschreiben, mit denen man sich den vorausgegangenen Fragestellungen<br />

nähern kann. Sie stützen sich auf die zu Beginn genannten<br />

Feldforschungen und streben selbstverständlich keine Vollständigkeit an.<br />

Narrative Gespräche und biographische Forschung<br />

Der biographische Ansatz (Fuchs 1984) ist ein optimaler Zugang für die<br />

Dokumentation <strong>der</strong> Identität sowie <strong>der</strong> hierdurch determinierten Formen<br />

interethnischer Koexistenz. Das Erzählen <strong>der</strong> Lebensgeschichte ist eine<br />

<strong>der</strong> wichtigsten Formen, die eigene Identität darzustellen und sich ihrer zu<br />

versichern (vgl. v. Engelhardt 1990, 197; Schimank 1988, 55). Begreift<br />

man mit Dausien & Alheit (1985, 8) Biographie als wechselseitige<br />

Beziehung von äußerem Lebenslauf unter historisch-gesellschaftlichen<br />

Bedingungen und <strong>der</strong> inneren, psychischen Entwicklung des Subjekts<br />

(Alheit 1992, 24f.), dann können sie als Ausdruck unverwechselbarer<br />

Individualität bei <strong>der</strong> Interpretation helfen, wie historische Prozesse erlebt<br />

und verarbeitet werden. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang Studien<br />

zur Oral History sowie <strong>der</strong> Untersuchung lebensgeschichtlicher Erfahrun<br />

gen (Niethammer 1994). Durch das biographische Interview können indi<br />

viduelle Erinnerung und kulturelles Gedächtnis (Assmann 1992), persön<br />

liche lebensgeschichtliche Erzählung sowie nationale historische Mythen<br />

und Erzählungen dargestellt und miteinan<strong>der</strong> in Bezug gesetzt werden.<br />

Narrative Gespräche können mit einem Teil strukturierter Fragen verse<br />

hen werden nnd mit „offenem Ende“ (Bargatzky 1997, 180-187) statt<br />

finden. Eine „rezeptivpassive Rolle“ (Esser 1975, 5. 79) des Forschers ist<br />

zu empfehlen. Dabei muss durch Pretests herausgefunden werden, ob <strong>der</strong><br />

geeignetste Gesprächstyp eher Schützes (1977) Begriff des „narrativen<br />

Interviews“ o<strong>der</strong> dem „ero-epischen Gespräch“ (fragend-erzählenden<br />

Gespräch) Patschei<strong>der</strong>s (1997) und Girtlers (2001, 147ff.) entspricht. In<br />

jedem Fall sollten beide Gesprächspartner in <strong>der</strong> Rolle des Lernenden<br />

sein, es soll also kein reines „Interview“ stattfinden, das den<br />

Gesprächspartner zu einer reinen Auskunftsperson machen würde. Am<br />

ergibigsten ist eine natürliche Gesprächssituation mit großem Spielraum<br />

für Spontaneität und Assoziation, die nicht durch einen überladenen<br />

Leitfaden leidet (wie dies Hopf 1979, 107 beschreibt). Meinungs<br />

äußerungen <strong>der</strong> Forschenden beeinflussen nicht nnbedingt die Aussagen<br />

des Interviewten, wie es Merton & Kendall (1979, 182) befürchten. Der<br />

Beginn eines biographischen Interviews kann sein, sich den Lebenslauf<br />

* des Gesprächspartners frei erzählen zu lassen, nachdem man ihn davon in<br />

Kenntnis gesetzt hat, was den Forscher beson<strong>der</strong>s interessiert. Die<br />

Lebensgeschichten sollten in <strong>der</strong> Reihenfolge, in <strong>der</strong> sie erlebt wurden,<br />

erzählt werden (biographische Methode nach Fischer-Rosenthal 1995).<br />

Um die Anfälligkeit <strong>der</strong> „Messung“ von Stereotypen, Vorurteilen, Mythen<br />

möglichst gering zu halten, empfiehlt es sich, in den Gesprächen nichtreaktiv<br />

vorzugehen und direkte Fragen zu vermeiden. Auch <strong>der</strong> verbale<br />

Ausdruck nnserer Gesprächspartner ist für diesen Zweck zu untersuchen.<br />

Im Gespräch sollte v.a. auf einfache sprachliche Formen geachtet werden<br />

wie Adjektive, Namen, Wortverbindungen, vergleichende Sätze und<br />

Ausrufe, Redewendungen (soweit sie nicht ihr affektives Potential verlo<br />

ren haben, Roth 1999, 26). So es möglich ist, sollten auch komplexe ver<br />

bale Formen wie Märchen und Sagen, Legenden, Schwänke systematisch<br />

untersucht werden: An Lie<strong>der</strong>n, Anekdoten und illustrativen Geschichten<br />

lassen sich Stereotype mit ethnischem Bezug herauslesen. Auch Varianten<br />

des Stroop-Tests (Wolcott 2Ö0 1) können angewendet werden.<br />

Gruppengespräche<br />

In freien Gruppengesprächen können kontroverse Auffassungen zum<br />

postulierten und tatsächlichen Wir-Gruppen-Verständnis sowie die<br />

Existenz „kollektiver Gruppenidentitäten“ (Schlee 2000b) erfasst werden.<br />

Gruppengespräche können darüber hinaus dazu dienen, einzelne<br />

Gesprächspartner gezielt auszuwählen, die für ausfLihrlichere Einzelgespräche<br />

von Interesse zu sein scheinen. In einem fortgeschrittenen<br />

L

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