Volltext - Institut für Slawistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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schiedlichen Zonen zu differenzierten Einsichten in Aspekte ethnischer<br />
und kultureller Identifikationsprozesse führen. Sie kann auch daröber<br />
aufklären, wie sich Religions- und Kulturbewusstsein, Bewertungen<br />
und Attittiden artikulieren und wie Konflikte aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> partizi<br />
pierenden Mteure beurteilt werden. Derartige Erkenntnisse erweitern<br />
das Wissen über die interethnischen Beziehungen in Europa und<br />
ergeben Möglichkeiten <strong>der</strong> Entwicklung multikultureller Koexistenzmodelle.<br />
Trotz intensiver Beschäftigung mit interethnischen Beziehungen<br />
Südosteuropas an westeuropäischen und amerikanischen <strong>Institut</strong>ionen<br />
herrscht ein Mangel an Experten, die sich über den Schreibtisch hinaus<br />
mit den Verhältnissen in den Län<strong>der</strong>n, ihren Menschen, Kulturen (beson<br />
<strong>der</strong>s Sprachen, Religionen), Lebensformen sehr gut auskennen und ihr<br />
Wissen nicht nur einem kleinen Wissenschaftlerkreis präsentieren.<br />
Feldaufenthalte können dem Forscher zum Teil dieses Wissen vermitteln.<br />
Außerdem kann Feldforschung zur Aufhellung aktueller Situationen eth<br />
nischer und religiöser Konflikte sowie zur wissenschaftlichen<br />
Grundlegung von religiös-politisch unterlegten Konfliktlösungsstrategjen<br />
und damit zum Erkennen und zur Lösung von Konflikten im zusam<br />
menwachsenden Europa beitragen. Da die meisten Untersuchungen<br />
konfliktorientiert angelegt sind, hat sich die bisherige Forschung stark auf<br />
Räume wie Bosnien und Kosovo beschränkt. Hingegen fehlen<br />
Untersuchungen aus den konfessionell gemischten Räumen<br />
Südosteuropas, die von schweren Konflikten weitgehend verschont<br />
geblieben sind.<br />
Ein Anliegen des vorliegenden Beitrages ist es daher, das Augenmerk<br />
<strong>der</strong> multidisziplinären interethnischen Koexistenzforschung auf den<br />
südosteuropäischen Raum zu richten, um vertiefte Einsichten in die komp<br />
lizierten ethnischen Strukturen des Raumes sowie in die Mechanismen<br />
zu ermöglichen, welche die spezifischen Prägungen des Mit- und<br />
Nebeneinan<strong>der</strong> in konfessionell gemischten Regionen bedingen. Dabei<br />
sollen verschiedene Fragen, Methoden und Theorien <strong>der</strong> kulturgeo<br />
graphischen und ethnologischen Feldforschung einer Prüfung<br />
auf Praxistauglichiceit unterzogen werden. Der Beitrag basiert auf<br />
Erfahrungen im Bereich <strong>der</strong> Feldforschung, die im Rahmen verschiedener<br />
Forschungsprojekte2 gemacht werden konnten.<br />
2. Interethnisches und interreligiöses Zusammenleben in<br />
Südosteuropa<br />
Mit <strong>der</strong> Eroberung Südosteuropas durch die Osmanen än<strong>der</strong>ten sich die<br />
Bevölkerungsverhältnisse, die im bis dahin weitgehend byzantinischorthodox<br />
geprägten Südosteuropa geherrscht hatten, grundlegend. Die<br />
Islamisierung einheimischer Bevölkerungsgruppen einerseits (v.a.<br />
Bosnier, die Mehrheit <strong>der</strong> Alb aner, Pomaken3) sowie die Einwan<strong>der</strong>ung<br />
muslimischer Bevölkerungsgruppen an<strong>der</strong>erseits (v.a. Türken, Jürüken4<br />
aus Kleinasien und Tataren5 aus dem Norden) ließen mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
ausgedehnte muslimische und zahlreiche gemischte christlich-muslimi<br />
sche Siedlungsräume entstehen, die sich z.T. bis heute gehalten haben.<br />
2 (a) Einjähriger Feldaufenthalt zu den Aromunen Südosteuropas im Rahmen meiner<br />
Dissertation;<br />
(b) Feldaufenthalte in Griechenland, Rumänien, <strong>der</strong> Türkei und <strong>der</strong> Republik<br />
Makedonien (FYROM) für das Projekt „Typen <strong>der</strong> Selbstidentifikation meglenitischer<br />
Vlachen“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Projektleitung Prof. Cay Lienau);<br />
(c) Studienprojekt <strong>der</strong> Universtät Münster zum Thema „Siedlung und Bevöllcerung in<br />
<strong>der</strong> rumänischen Dobrudscha“ unter meiner Leitung;<br />
(d) Feldaufenthalte zur Untersuchung <strong>der</strong> interethnischen Koexistenz von Muslimen<br />
und Christen in <strong>der</strong> rumänischen Dobrudscha sowie dem griechischen West-Thrakien<br />
(Pretest eines Projektes, für das bislang kein För<strong>der</strong>er gefunden werden konnte);<br />
(e) Sprachaufnahmen für den „Kleinen Balkan-Sprachatlas“ <strong>der</strong> Russischen<br />
Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften in St. Petersburg und <strong>der</strong> Universität Marburg/Lahn<br />
(Gemeinschaftsprojekt <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft und <strong>der</strong> Russischen<br />
Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften, Projektleitung Prof. Helmut Schaller)<br />
‘Vermutlich im 16. Jahrhun<strong>der</strong>t islamisierte Bevölkerung, die v.a. in den Rhodopen und<br />
den in Ostmakedonien angrenzenden Gebirgen lebt und <strong>der</strong>en Sprache (Pomakisch) auch<br />
als Dialekt des Bulgarischen gesehen wird.<br />
~ Zentralanatolien eingewan<strong>der</strong>te Hirtemiomaden, die heute fast gänzlich abgewan<br />
<strong>der</strong>t bzw. assimiliert sind.<br />
‘Die muslimischen Tataren wan<strong>der</strong>ten in drei Wellen in die Dobrudscha ein. Bis heute<br />
haben sich Unterschiede zwischen den tatarischen Gruppen bewahrt, die sich v.a. im<br />
Dialekt zeigen (die Mehrheit spricht Krim-Tatarisch [Icjrjim tili], eine weitere große<br />
Gruppe spricht Noghai {noghai tili], und entlang des Schwarzen Meeres findet man den<br />
Küstendialekt [yaliboyi tilij).