Kunst braucht Raum. - Müller Steeneck
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4<br />
Der Deformator<br />
Er machte Furore, weil zur besten Sendezeit<br />
die aufs Dritte eingestellten Bildschirme<br />
im Ländle plötzlich schwarz wurden.<br />
Udo Bausch hatte mit einem einzigen Axthieb das<br />
Kabel des damaligen Süddeutschen Rundfunks<br />
zertrennt. Der übertrug aus dem Rathaus gerade,<br />
wie Schuster, Schlauch & andere Kandidaten mit<br />
Parteibuch – inklusive der Republikaner – das Bürgermeisteramt umwarben. All die anderen über 30<br />
parteilosen Bewerber, darunter der heute der 44-Jährige, wurden der Pforte des hohen Hauses zurück<br />
auf den Marktplatz verwiesen. Dass das nicht rechtens war, ist längst bekannt. Bürgermeisterwahlen<br />
sind Persönlichkeitswahlen, auch Parteilose hätten sich vorstellen dürfen. Das meinte auch der Richter<br />
und urteilte mit einem Vergleich. Nun ist Bausch, der einst mit seinem Pferd in den Stuttgarter Wäldern<br />
lebte, mittlerweile auf einem Reiterhof in der Nähe des Bodensees residiert, wieder da. Der Stuttgarter<br />
<strong>Kunst</strong>verein zeigt bis 9. Juni seine gesammelten Werke. Petra Mostbacher-Dix hat mit dem vielbegabten,<br />
einem Schreinergeschlecht entstammenden Autodidakten, der einst dem „Unbekannten Tier“,<br />
„Palast der Republik“, der „Hauptstatt“ oder der „Marktstraße 8“ seinen Designstempel aufdrückte,<br />
über seine speziellen Wege gesprochen.<br />
Die Ausstellung trägt den Titel „silence-speed“. Sind Sie ruhiger geworden?<br />
„Keine Angst, ich nehme wieder Anlauf. Die Schau hat mit meiner Leidenschaft zu tun, sehr schnell mit<br />
dem Fahrrad den Berg runter oder durch den Eiskanal zu fahren. Der Geschwindigkeitsweltrekord liegt<br />
bei 220 Kilometer pro Stunde, den versuche ich einzustellen. Zwei Franzosen halten ihn, aber die haben<br />
Konzerne im Rücken – ich hatte nie die Bedingungen. Man fährt auf französischen Gletschern mit einem<br />
Einstiegsgefälle von 96 Prozent. Im <strong>Kunst</strong>verein zeige ich neben Laserkopien und Dias von Innenarchitektonischem<br />
unter anderem mein selbst gebautes Fahrrad, Spikesreifen, Fotomaterial, Videos und<br />
DVDs. Außerdem biete ich einmal pro Woche für Interessierte eine gepflegte, gemeinsame Abfahrt an.“<br />
Ein Diskurs zur <strong>Kunst</strong> des Radelns?<br />
„Ich sehe mich nicht als Künstler, auch nicht als Designer. Das ist mir zu affektiert. Eine Zeit lang nannte<br />
sich jeder, weil es Mode war, Künstler oder Innenarchitekt. Ich bin ein Allrounder, ein Handwerker. Gewerblich<br />
gemeldet bin ich als Hofnarr, ein Dienstleister – sonst hätte ich 13 Gewerbe anmelden müssen.<br />
Die auf dem Amt fragte mich, wie man das schreibt, ich sagte, wie Hof und Narr, nur zusammen.“<br />
Sind Sie dann Lebenskünstler?<br />
Das hat man mir schon mit 17 an den Kopf geworfen. Mit abgenutzten Phrasen habe ich nichts am<br />
Hut. Wenn ich einen Begriff wählen müsste, dann wäre es ‚Deformator’, ich deformiere Dinge.<br />
Manche meinen aber, das mit dem Kabel war ein wahrhaft anarchisch künstlerischer Akt…<br />
Ich bin bekennender Anarchist, ein absoluter Freigeist, aber das hat mit Anarchie nichts zu tun. Es war<br />
ein Akt zur Nachhilfe und Wahrung der Demokratie.“<br />
Ist Stuttgart dafür der richtige Ort?<br />
Ich bin Cannstatter, das ist ein himmelweiter Unterschied. Die Cannstatter haben Stuttgart erst einmal<br />
zum Stutengarten trocken gelegt. Das mach ich nochmals, wenn es sein muss.<br />
www.stuttgarter-kunstverein.de<br />
BRISE