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Kunst braucht Raum. - Müller Steeneck

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Bombenstimmung an der Wand<br />

„Sprüher im Rudel“ zeigt auf 255 Seiten Graffitigeschichte im Stutti-Style<br />

„One love“ lautet die interne Gruß- und Friedensformel<br />

der Sprüher, aber von „love“ ist in Berlin<br />

gerade nicht die Rede: Ausgerechnet an jenem<br />

Tag, an dem Buchautor und Herausgeber „Dingo“<br />

(Pseudonym) zu einem kleinen Infoplausch über<br />

die Stuttgarter Graffitisszene bereit ist, ausgerechnet<br />

da denkt in der Hauptstadt Frau Bundesjustizministerin<br />

Zypries (kein Pseudonym) laut<br />

nach: Nämlich, dass es wieder mal Zeit ist, das<br />

Thema „Härtere Strafen für Graffiti-Sprayer“ zu<br />

diskutieren. Laut dem Kenner ist es nicht wirklich<br />

effektiv, denn „solche Reaktionen fordern nur<br />

Gegenreaktionen heraus.“ Aber immerhin gibt es<br />

in Schweden vier Jahre Knast, Dänemark bietet<br />

sechs und in Sauberland USA geht es lebenslang<br />

hinter Gitter, wenn man die Allgemeinheit dreimal<br />

um 400 Euro geschädigt hat. Das Entfernen der<br />

Sprühbilder kostet richtig viel – jährlich bundesweit<br />

etwa 250 Millionen Euro. Denn was für den<br />

Einen die Qualität eines abstrakten Gemäldes<br />

POOL<br />

hat, ist für Andere kaum entzifferbare Schmiererei:<br />

Für Dingo liegt darin „das Riesenproblem mit<br />

der Gesellschaft. Die meisten Leute laufen durch<br />

die Stadt und können politische Sprüche oder<br />

Kritzeleien nicht von „tags“ unterscheiden.“<br />

(„tag“: persönliche Signatur eines Writers, meist<br />

mit Marker oder Spraydose angefertigt. Zweck ist<br />

das massive, illegale Verbreiten der eigenen Signatur,<br />

auch „bombing“ genannt.) „ Das taggen<br />

an sich ist schon eine <strong>Kunst</strong> und nur darüber allein<br />

könnte man ein Buch machen.“<br />

Seit sieben Jahren dokumentiert<br />

er Graffiti in und um Stuttgart<br />

via Fotoapparat. Sein immenses<br />

Archiv ist der Grundstock<br />

des Buches „Sprüher im<br />

Rudel“, das auch die, im letzten<br />

Jahr tödlich verunglückte,<br />

Stuttgarter Szenegröße Kim<br />

Wurster alias „Urban“, mit konzipiert<br />

hat. Dessen Beitrag und<br />

die anderer ehemaliger und<br />

aktiver Writer (interne Fachbezeichnung)<br />

liefern ihre Sicht<br />

der Stuttgarter Entwicklung und<br />

der eigenen Motivation, zu Marker<br />

und Spraydose zu greifen.<br />

Der allgemeine Text in dem zweisprachig angelegten<br />

Buch zeigt zudem eine gründliche<br />

Geschichtskenntnis jener Wandmalerei, die in der<br />

HipHop-Kultur der New Yorker Bronx, Anfang der<br />

Achtziger, wurzelt. Neben ursprünglich typografischen<br />

Elementen im individuell entwickelten<br />

„style“ gibt es inzwischen noch „characters“, wie<br />

etwa den hier allseits bekannten fröhlich blickenden<br />

Fisch. Die ebenfalls immer stärker vertretenen<br />

Aufkleber dagegen zählen für Eingeweihte schon<br />

zur Streetart. Das Buch ist auch als Gedächtnis<br />

für die nachfolgenden Sprühergenerationen<br />

gedacht, denn: „Wenn man heute mit den Jüngeren<br />

redet, wissen die oft gar nicht, was früher<br />

war. Viele wissen auch gar nicht, dass ein Bild<br />

vielleicht schon seit `88 da steht und malen dann<br />

einfach drüber.“<br />

Graffiti, Rap, Breakdance und DJ-ing sind eins<br />

und die HipHop-Szene in BaWü mischt seit 1987<br />

in allen vier Bereichen ganz vorne mit. Übung –<br />

legal oder illegal – macht Meister: So hat im letzten<br />

Jahr eine Stuttgarter Sprüher-Crew bei dem, jetzt<br />

zum dritten Mal stattfindenden, internationalen<br />

Wettbewerb „Write for gold“ national den ersten,<br />

und international den fünften Platz belegt und<br />

gab auch schon eine Verkaufsaktion von Werken<br />

hiesiger Graffitikünstler, Anfang Februar im Stuttgarter<br />

<strong>Kunst</strong>museum. Trotzdem, Sympathie<br />

schützt vor Strafe nicht: So saß, Gerüchten zufolge,<br />

der Schöpfer des Fischs zwischenzeitlich auch<br />

mal im Gefängnis und hat angeblich die Stadt<br />

verlassen. Vielleicht Richtung Berlin? Sein Markenzeichen<br />

jedenfalls hat jetzt eine Haifischflosse. hs<br />

„Sprüher im Rudel“, Dingo Graffix Verlag<br />

2005, EUR 27,90 (inkl. CD), Auflage 750 Stck.<br />

www.0711book.com<br />

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