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Kunst braucht Raum. - Müller Steeneck

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6<br />

Mythos und Gratisgalerie<br />

Faszination Straße – warum Künstler mit ihr und in ihr arbeiten<br />

Lisa Ruyter, „Killpoint“ 2002,<br />

Courtesy Arndt & Partner, Berlin, Collection Dr Drici, Cannes<br />

„Man darf nur auf der Straße wandeln und Augen<br />

haben, man sieht die unnachahmlichsten Bilder“,<br />

konstatierte Goethe in seiner „Italienischen Reise“<br />

– und sprach dabei Generationen von Künstlern<br />

aus dem Herzen. Von jeher hat das, was auf der<br />

Straße passiert, Maler, Bildhauer, Filmschaffende<br />

und andere Kreative fasziniert und inspiriert. Doch<br />

während die Gesichter oder Geschichten noch<br />

Jahrhunderte vor allem biblisch verbrämt, adelig<br />

und historisch gerechtfertigt Leinwand und Marmor<br />

prägten, wurde es erst im 19. Jahrhundert so<br />

richtig legitim, Hinz und Kunz von der Gasse zum<br />

Thema zu machen. Die Impressionisten zog es<br />

zum Treiben draußen, bei den Expressionisten<br />

taucht erstmals das auf, was schlaue Köpfe urbane<br />

Psychologie nannten. Neben Otto Dix, Meister<br />

der realistischen Überzeichnung, ist es vor allem<br />

Ernst Ludwig Kirchner, der sich in Berlin intensiv<br />

mit den Folgen einer sich rasant entwickelnden<br />

Großstadt auseinandersetzt: Amüsement, Vereinsamung,<br />

Prostitution. Auch Fotografen wie Willy<br />

Ronis, Robert Doisneau, Henri Cartier-Bresson,<br />

POOL<br />

Inge Morath und andere suchten dank immer<br />

transportableren Apparaten in den Straßen nach<br />

den Zeichen der Zeit. Cartier-Bresson ging ob des<br />

„entscheidenden Moments“ nie ohne Kamera<br />

weg, Ronis war auf der Suche nach dem Leben im<br />

Vorbeigehen. Sein „Petit Parisien“,ein kleiner Junge<br />

mit einem Baguette im Arm, ist eine Ikone der<br />

Nachkriegszeit. Zu solchen wurden auch Fellinis<br />

Gauklerdrama „La Strada“ oder Jack Kerouacs<br />

autobiografischer Roman „On the Road“, der eine<br />

ganze Beatgeneration beeinflusste. Dass die Straße<br />

stets en vogue ist, zeigen Künstler wie Lisa Ruyter<br />

oder Beat Streuli. Die New Yorkerin verkauft ihre<br />

popartig ornamental-realistischen Interpretationen<br />

von Bauarbeitern oder Flaneuren wie warme<br />

Semmeln, der Schweizer heimst Preise mit seinen<br />

gestochenen Aufnahmen telefonierender oder im<br />

Gewühl hilflos dreinblickender Amerikaner drein.<br />

Mythos Straße -vogelfrei wie Sandrine Bonnaire<br />

in Agnés Vardas gleichnamigem Film oder obdachlos?<br />

Grenzen-, regelloses Abenteuer im gesetzlosen<br />

<strong>Raum</strong> oder tragisches Außenseitertum?<br />

„Es gibt einen Kick“, weiß der Mann, der als Eiche<br />

Beat Streuli, „Sydney Bus Stops 02“, 2002, Digital<br />

Print, 30 x 40 cm Courtesy Jablonka Galerie, Köln<br />

quer durch Stuttgart seine<br />

Plakate, Kleber und<br />

Eddingmalereien verteilt.<br />

Mit seinen grafisch anmutenden<br />

Figuren und<br />

Gesichtern setzt er Zeichen<br />

im besten, doppelten<br />

Wortsinn. „Die Straße<br />

bietet den Leuten die<br />

Möglichkeit ihre Weisheiten<br />

und Fähigkeiten,<br />

politische oder künstlerische<br />

Botschaften mitzuteilen“,<br />

sagt er. „Der öffentliche<br />

<strong>Raum</strong> ist eine<br />

Art Gratisgalerie, auf die<br />

man zugreifen kann,<br />

Streetart eine unkommerzielle,<br />

unabhängige,<br />

Eiche: Bekleben verboten 2005<br />

eigenständige Kulturrichtung.“<br />

Die Szene ist in Sachen Alter und Profession<br />

heterogen. Gemeinsam ist allen, ihre <strong>Kunst</strong><br />

– legal oder nicht – öffentlich zeigen zu wollen.<br />

Man kennt sich, wenn nicht persönlich, so doch<br />

von seinen Stadt- und Straßenzeichen. Das habe<br />

etwas von einem schwarzen Brett, so Eiche. Auch<br />

die Aktion sei wichtig. Dass man dabei als Macher<br />

Streetart:<br />

Ein Oberbegriff für alles. was im Stadtbild zu finden ist: Sticker, Plakate,<br />

Graffiti, aber auch fotokopierte Blätter mit Freehandgrafiken.<br />

Insider meinen, dass Streetart mittlerweile Modewort ist und auch<br />

bedeuten kann, dass jemand einst „Trains gebombt“ hat, voll Fame<br />

(bekannt) war, aber nur noch in Galerien mit dem Schildchen<br />

„Streetartist“ ausstellt. Gemäß dem Wiener Institut für Graffiti-Forschung<br />

umfasst Streetart den weiten Bereich visueller künstlerischer<br />

Arbeit im öffentlichen <strong>Raum</strong>, beziehe sowohl offizielle, als auch inoffizielle<br />

Formen der <strong>Kunst</strong> mit ein, von der offiziellen Verhüllung des<br />

Reichstags bis zum inoffiziellen Sticker am Stromkasten.<br />

Graffiti:<br />

In den 70er Jahren entstand in New York eine neue Form urbanen<br />

Designs. Zäunen, U-Bahnen, Busse, Zügen, Lastwägen und anderes<br />

wurde mit wilden Graphismen überzogen. Nach dem Wiener Institut<br />

waren die New Yorker „TAKI 183“ und „JULIO 204“ die ersten<br />

bekannten Schreiber/Writer, die Tags verbreiteten. Sie schrieben ihre<br />

Namenskürzel – persönliche Logos, Pseudonyme – an den Wänden<br />

der Orte und Lokalen, die sie besuchten. Vorbild dafür waren<br />

einerseits die Markierungen amerikanischer Street-Gangs, andererseits<br />

die alte Tradition der Namensgraffiti.<br />

anonym bleibe, nie<br />

selbst den Erfolg einheimsen<br />

könne, sei egal.<br />

„Die Arbeiten zählen. Die<br />

mache ich für die<br />

Öffentlichkeit und die ist<br />

nun mal auch anonym.<br />

Das ist eine andere Art<br />

Berühmtheit, ich will<br />

Interessantes bieten.“<br />

Darum sucht er Stellen,<br />

an denen viele Menschen<br />

vorbei laufen,<br />

aber die dennoch nicht<br />

so zentral sind, dass sie<br />

sofort geputzt werden<br />

wie etwa die Königstraße.<br />

„Dort ist es am nächsten<br />

Tag wieder weg, in belebten<br />

Seitenstraßen ist<br />

das anders.“ In Stuttgart, so Eiche, sei in Sachen<br />

Kleben, Plakatieren, aber auch Graffiti verhältnismäßig<br />

viel los, vor allem gäbe es viel Gutes. „In<br />

Berlin ist Quantität, in Stuttgart Qualität.“ Und das<br />

sei gut so. „Graffiti und Streetart sind für das<br />

Stadtbild richtig wichtig“, sagt Eiche. „Es zeugt von<br />

Leben.“ pam<br />

Graffiti-Sprayen<br />

Die ursprünglich linearen Tags waren mit Markern und Filzstiften<br />

ausgeführt. Um in der Fülle noch aufzufallen, griffen einige Writer<br />

zur Spraydose, um die Namen größer, bunter und vielfältiger zu gestalten<br />

– die Sprayer-Kultur entstand.<br />

In den 80ern schwappte die Welle über Amsterdam und Berlin nach<br />

Europa über. Heute wird sie zusammen mit den anderen neuen jugendkulturellen<br />

Ausdrucksformen – Breakdance, DJ-ing und Rap –<br />

der HipHop-Bewegung zugerechnet.<br />

Pochoirs<br />

Das künstlerischen Schablonengraffiti entwickelte sich – künstlerisch<br />

motiviert – um 1981. Als bedeutendster Vertreter gilt der Franzose<br />

Blek le Rat (Xavier Prou, geb. 1951). Schablonengraffiti sind aber<br />

seit jeher auch Mittel politischer Gruppierungen zum raschen Verbreiten<br />

ihrer Botschaften.<br />

Sticker & Co.<br />

Ab 2000 kommen zu den gesprühten Pieces Wandmalereien, Cut-<br />

Outs, Sticker, Affichements und Eddingzeichnungen ins Stadtbild.<br />

Künstler und Writer sprühen und zeichnen ihre Tags und Stencils auf<br />

Aufkleber und Plakate, – Devise: „stick it“, „alles klebt“.<br />

POOL<br />

7

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