Lichtblicke in die Nanowelt - Max-Planck-Gesellschaft
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FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
<strong>Lichtblicke</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Nanowelt</strong><br />
Stefan Hell, Direktor<br />
am <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut<br />
für biophysikalische<br />
Chemie <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen<br />
Das Mikroskop ist 400 Jahre alt – und noch immer nicht ausgereizt. Zwar sollten<br />
<strong>die</strong> Welleneigenschaften des Lichts se<strong>in</strong>e Leistungsfähigkeit theoretisch begrenzen.<br />
Doch auf dem Weg zu Erkenntnissen müssen Wissenschaftler oftmals Grenzen<br />
überschreiten. Und so hat STEFAN HELL, Direktor am MAX-PLANCK-INSTITUT<br />
FÜR BIOPHYSIKALISCHE CHEMIE <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen, kurzerhand e<strong>in</strong>e neue Technik<br />
erfunden und damit e<strong>in</strong> weiteres Kapitel der Lichtmikroskopie geschrieben.<br />
Eigentlich war es e<strong>in</strong>e Tatsache,<br />
an der es nichts zu rütteln gab.<br />
Die Auflösung optischer Mikroskope<br />
galt als begrenzt. Objekte, <strong>die</strong> enger<br />
als 200 Nanometer (Millionstel Millimeter)<br />
beie<strong>in</strong>ander liegen, könnten<br />
nicht unterschieden werden und<br />
würden im Bild immer als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger<br />
verwaschener Fleck ersche<strong>in</strong>en.<br />
So hatte es Ernst Abbe 1873 erkannt<br />
In <strong>die</strong> <strong>Nanowelt</strong> tauchen<br />
Katr<strong>in</strong> Willig und Stefan Hell e<strong>in</strong>.<br />
Die Versuchsanordnungen zur<br />
STED-Mikroskopie werden <strong>in</strong><br />
mühevoller Handarbeit erstellt.<br />
und als Gesetz formuliert. Und so<br />
steht es auch heute noch <strong>in</strong> den Optik-Lehrbüchern.<br />
Die Welleneigenschaften<br />
des Lichts geben <strong>die</strong>se Beugungsgrenze<br />
vor – und seit mehr als<br />
120 Jahren zweifelte niemand an ihrer<br />
Gültigkeit.<br />
Stefan Hell jedoch wollte sich nicht<br />
damit zufrieden geben. Der 41-jährige<br />
Physiker am <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut<br />
für biophysikalische Chemie <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen<br />
ist während se<strong>in</strong>er Promotion<br />
Ende der achtziger Jahre auf das Problem<br />
der Auflösungsbegrenzung gestoßen,<br />
und seitdem lässt es ihn nicht<br />
mehr los. Könnte man <strong>die</strong> Beugungsgrenze<br />
nicht doch durchbrechen und<br />
<strong>die</strong> Lichtmikroskopie auf <strong>die</strong> Nanoskala<br />
drücken? Hell brachte erste Gedanken<br />
zu Papier, entwarf physikalische<br />
Konzepte und ließ se<strong>in</strong>e Überlegungen<br />
patentrechtlich schützen.<br />
„Es war Intuition“, sagt der Wissenschaftler<br />
heute. „E<strong>in</strong> sicheres Gefühl,<br />
dass das letzte Wort noch nicht<br />
gesprochen und vor allem <strong>die</strong> Fluoreszenzmikroskopie<br />
noch nicht aus-<br />
gereizt war.“ Im Jahr<br />
1990, als er mit siebenundzwanzig<br />
se<strong>in</strong>e Promotion<br />
abgeschlossen hatte,<br />
wollte er den Sprung <strong>in</strong>s<br />
Abenteuer wagen. G<strong>in</strong>ge<br />
es schief, wäre er immer<br />
noch jung genug, um umsatteln zu<br />
können, so se<strong>in</strong> Gedanke.<br />
Inzwischen hat sich gezeigt: Es ist<br />
nicht schief gegangen. Aus se<strong>in</strong>en<br />
ersten Gedanken entwickelte Stefan<br />
Hell <strong>die</strong> 4Pi-Mikroskopie (siehe<br />
Kasten auf Seite 23), mit der er <strong>die</strong><br />
Auflösung entlang der Ausbreitungsrichtung<br />
des Lichts um das<br />
Siebenfache verbessert hat.<br />
Drei Jahre darauf formulierte er <strong>die</strong><br />
STED-Mikroskopie: das erste physikalisch<br />
schlüssige Konzept zur radikalen<br />
Überw<strong>in</strong>dung der Abbeschen<br />
Grenze. Heute lassen sich beide Methoden<br />
komb<strong>in</strong>ieren. Die kürzlich im<br />
Fachmagaz<strong>in</strong> NATURE BIOTECHNOLOGY<br />
veröffentlichten hoch aufgelösten<br />
3-D-Bilder aus e<strong>in</strong>em STED-4Pi-Fluoreszenzmikroskop<br />
zeigen, dass se<strong>in</strong><br />
FOTOS: LAIF-RONALD FROMMANN<br />
Veranschaulichung der Abbeschen<br />
Beugungsgrenze: Aufgrund<br />
der Lichtbeugung mündet<br />
<strong>die</strong> von e<strong>in</strong>em Objektiv<br />
fokussierte Lichtwelle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Lichtfleck, der entlang der<br />
optischen Achse ause<strong>in</strong>ander<br />
gezogen ist. Nach Abbe nimmt<br />
se<strong>in</strong>e Ausdehnung mit der<br />
Wellenlänge zu und mit zunehmendem<br />
Aperturw<strong>in</strong>kel ab.<br />
Beim technisch maximal möglichen W<strong>in</strong>kel von 70 Grad<br />
ist der Lichtfleck (Beugungsmaximum) m<strong>in</strong>destens 200<br />
Nanometer breit und 500 Nanometer lang (a). Beim 4Pi-<br />
Mikroskop (b) benutzt man zwei Objektive, um den Gesamtw<strong>in</strong>kel<br />
zu vergrößern. Ad<strong>die</strong>rt man <strong>die</strong> gegene<strong>in</strong>ander laufenden<br />
Lichtwellen zweier Objektive mittels konstruktiver<br />
Interferenz, erhält man e<strong>in</strong>en etwa vier- bis siebenmal<br />
kle<strong>in</strong>eren zentralen Lichtfleck. Er wird allerd<strong>in</strong>gs von zwei<br />
kle<strong>in</strong>eren Seitenmaxima begleitet, deren Auswirkung im<br />
Bild aber mathematisch annulliert werden kann. Der kle<strong>in</strong>ere<br />
zentrale Lichtfleck liefert e<strong>in</strong>e vier- bis siebenmal höhere<br />
Auflösung entlang der Ausbreitungsrichtung des Lichts.<br />
18 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 19
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
FOTOS: DYBA ET AL., NATURE BIOTECHNOLOY, 21, 1347, 2003<br />
Aufnahmen von fluoreszenzmarkierten Mikrotubul<strong>in</strong>fasern<br />
e<strong>in</strong>er Säugerzelle: Der Vergleich von Standardmikroskopie<br />
(l<strong>in</strong>ks) und Gött<strong>in</strong>ger STED-4Pi-Mikroskopie<br />
(rechts) zeigt e<strong>in</strong>e 15fach verbesserte Auflösung entlang<br />
der optischen Achse (z). Bei der Standardmikroskopie<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong>e moderne Form der Laserraster-Konfokalmikroskopie.<br />
Die Vergleichsbilder wurden<br />
an derselben Stelle der Probe h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander aufgenommen.<br />
Die L<strong>in</strong>ie im Bild stammt von e<strong>in</strong>er dünnen Schicht<br />
von Fluoreszenzmolekülen auf dem Deckglas; sie ist<br />
e<strong>in</strong> Maß für <strong>die</strong> erzielte Auflösung. Der unmittelbare<br />
Vergleich verdeutlicht den Schärfegew<strong>in</strong>n.<br />
Durch e<strong>in</strong> Labyr<strong>in</strong>th aus L<strong>in</strong>sen<br />
und Blenden verfolgt Marcus Dyba<br />
den Laserstrahl, mit dessen Hilfe<br />
<strong>die</strong> Gött<strong>in</strong>ger Wissenschaftler<br />
das Abbesche Gesetz aushebeln.<br />
destens 200 Nanometern <strong>in</strong> der Breite<br />
und 500 Nanometern <strong>in</strong> der Länge.<br />
Was aber, wenn <strong>die</strong> Moleküle –<br />
noch ehe sie zur spontanen Fluoreszenz<br />
kommen – mit e<strong>in</strong>em zweiten<br />
Strahl durch stimulierte Emission<br />
abgeregt und früher als gewöhnlich<br />
zurück <strong>in</strong> den Grundzustand befördert<br />
werden? Unter der L<strong>in</strong>se des Mikroskops,<br />
<strong>die</strong> das spontane Fluoreszenzlicht<br />
auffängt, bliebe es dunkel.<br />
Wenn man aber dafür sorgen könnte,<br />
dass <strong>die</strong> stimulierte Emission nur <strong>die</strong><br />
Moleküle im Randbereich des Fluoreszenzflecks<br />
trifft? Dann, so <strong>die</strong><br />
Überlegung von Stefan Hell, würde<br />
man unter der L<strong>in</strong>se statt des ovalen<br />
e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en runden Brennfleck erhalten<br />
(siehe Bild im Kasten auf<br />
Seite 23). Rastert man mit <strong>die</strong>sem<br />
kle<strong>in</strong>eren Fluoreszenzfleck <strong>die</strong> Probe<br />
ab, bekommt man e<strong>in</strong> schärferes Bild.<br />
STIMULIERTE EMISSION<br />
VERHINDERT FLUORESZENZ<br />
Mit stimulierter Emission werden<br />
bei der STED-Mikroskopie also <strong>die</strong><br />
angeregten Farbstoffmoleküle e<strong>in</strong>er<br />
Probe abgeregt, jedenfalls e<strong>in</strong> Teil<br />
von ihnen. Dies gel<strong>in</strong>gt, <strong>in</strong>dem man<br />
dem kurzwelligen Lichtpuls, mit dem<br />
<strong>die</strong> Proben-Moleküle angeregt werden,<br />
e<strong>in</strong>en längerwelligeren Abrege-<br />
Lichtpuls (STED-Puls) folgen lässt –<br />
zeitlich so abgestimmt, dass sich <strong>die</strong><br />
Moleküle noch im angeregten Zustand<br />
bef<strong>in</strong>den. Die Wellenlänge <strong>die</strong>ses<br />
Pulses entspricht der Energiedifferenz<br />
zwischen dem angeregten<br />
und dem Grundzustand. Räumlich<br />
betrachtet ist <strong>die</strong>ser zweite Lichtpuls<br />
r<strong>in</strong>gförmig um den Anregungsfokus<br />
angeordnet, sodass der Bereich <strong>in</strong><br />
der Mitte des R<strong>in</strong>gs von der Abregung<br />
verschont bleibt. Damit gilt: je<br />
Gött<strong>in</strong>ger Team aus Physikern, Chemikern,<br />
Biologen und Ingenieuren<br />
tatsächlich das Tor zur <strong>Nanowelt</strong><br />
aufgestoßen hat.<br />
STED (engl. Stimulated Emission<br />
Depletion) bedeutet „stimulierte<br />
Emissions-Löschung“. Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong><br />
hatte bereits 1917 vorhergesagt,<br />
dass stimulierte Emission e<strong>in</strong>e<br />
Möglichkeit des Lichts ist, mit Materie<br />
<strong>in</strong> Wechselwirkung zu treten.<br />
Wenn e<strong>in</strong> Photon auf Materie trifft<br />
und sich <strong>die</strong> Moleküle im Grundzustand<br />
bef<strong>in</strong>den, wird e<strong>in</strong> Molekül <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en angeregten Zustand überführt.<br />
Bef<strong>in</strong>det sich jedoch e<strong>in</strong> Molekül<br />
schon im angeregten Zustand,<br />
„merkt“ <strong>die</strong>s das Photon, wenn es<br />
angeflogen kommt. In dem Fall<br />
nimmt es <strong>die</strong> Energie des Moleküls<br />
<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es zweiten identischen<br />
Photons mit. Das Molekül wird dabei<br />
zurück <strong>in</strong> den Grundzustand gezwungen,<br />
gleichsam „abgeregt“. Die<br />
stimulierte Emission ist heute das<br />
Grundpr<strong>in</strong>zip des Lasers; bei ihm<br />
werden mit STED Photonen angereichert.<br />
Stefan Hell hat jedoch erkannt,<br />
dass man den Effekt auch<br />
nutzen kann, um im Fluoreszenzmikroskop<br />
den Brennfleck zu verkle<strong>in</strong>ern.<br />
Die Methoden aus Gött<strong>in</strong>gen<br />
zielen daher auf <strong>die</strong> Fluoreszenzmikroskopie,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong> der biomediz<strong>in</strong>ischen<br />
Grundlagenforschung <strong>die</strong><br />
wichtigste Mikroskopieform ist. E<strong>in</strong>e<br />
mit Fluoreszenzmolekülen markierte<br />
Probe wird dabei mit Laserlicht e<strong>in</strong>er<br />
bestimmten Wellenlänge bestrahlt.<br />
Die Moleküle absorbieren das Licht<br />
und geraten vom Grundzustand <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en angeregten Energiezustand.<br />
Normalerweise fallen sie spontan <strong>in</strong><br />
den Grundzustand zurück und senden<br />
dabei Fluoreszenzlicht aus, welches<br />
etwas längerwelliger ist als das<br />
Anregungslicht. Nach dem Abbeschen<br />
Beugungsgesetz entsteht mit<br />
der herkömmlichen Optik jedoch e<strong>in</strong><br />
langgezogener Brennfleck von m<strong>in</strong>-<br />
20 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 21
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
kle<strong>in</strong>er das Loch <strong>in</strong> der Mitte, desto<br />
kle<strong>in</strong>er der Fluoreszenzfleck (siehe<br />
Bild im Kasten auf Seite 23).<br />
Natürlich unterliegt auch der<br />
STED-Puls der Abbeschen Beugungsgrenze<br />
und bildet ebenfalls e<strong>in</strong>en<br />
langgestreckten Fokus. Das heißt,<br />
man kann ihm ke<strong>in</strong> beliebig kle<strong>in</strong>es<br />
Loch verpassen. Den Ausweg hat Stefan<br />
Hell jedoch sofort erkannt: Er<br />
liegt <strong>in</strong> dem nichtl<strong>in</strong>earen Zusammenhang<br />
zwischen Abregung und<br />
Intensität des Pulses. „Je <strong>in</strong>tensiver<br />
der STED-Puls ist, desto besser regt<br />
er ab“, sagt Hell. „Überschreitet <strong>die</strong><br />
Intensität e<strong>in</strong>e gewisse Schwelle, hat<br />
das Molekül kaum e<strong>in</strong>e Chance,<br />
spontan zu fluoreszieren. Man sagt,<br />
<strong>die</strong> Abregung ist gesättigt. Wird <strong>die</strong><br />
Intensität weiter gesteigert, nimmt<br />
der von der Abregung betroffene Bereich<br />
immer weiter zu – <strong>die</strong> fluoreszierende<br />
Region wird immer weiter<br />
e<strong>in</strong>geschnürt“.<br />
Das ist laut Hell der eigentliche<br />
Trick des Verfahrens: „Je mehr man<br />
<strong>die</strong> Sättigungsschwelle überschrei-<br />
tet, desto kle<strong>in</strong>er wird der Fluoreszenzfleck<br />
und umso besser kann<br />
man auflösen“. Abbes Gesetz ist damit<br />
ausgehebelt. Der Faktor, um den<br />
man <strong>die</strong> Sättigungsschwelle überschreitet,<br />
bestimmt <strong>die</strong> Auflösung;<br />
<strong>die</strong>se hängt jetzt nicht mehr von der<br />
Wellenlänge des verwendeten Lichts<br />
ab. Stefan Hell hat berechnet, dass<br />
<strong>die</strong> Auflösung mit der Wurzel des<br />
Sättigungsfaktors zunimmt. Überschreitet<br />
man <strong>die</strong> Schwelle um das<br />
Neunfache, so verdreifacht sich <strong>die</strong><br />
Auflösung. Überschreitet man sie<br />
um das Hundertfache, ist der Gew<strong>in</strong>n<br />
verzehnfacht.<br />
„Die Beugung des Lichts verschw<strong>in</strong>det<br />
natürlich nicht, aber sie<br />
ist nicht mehr <strong>die</strong> Grenze“, sagt der<br />
Erf<strong>in</strong>der der neuen Technik. Ohne<br />
physikalische Gesetze zu verletzen,<br />
könne man nun e<strong>in</strong>en Fluoreszenzfleck<br />
von der Größenordnung e<strong>in</strong>es<br />
Moleküls erzeugen und damit Auflösungen<br />
bis h<strong>in</strong>unter zur molekularen<br />
Skala erreichen. Man braucht<br />
dazu jedoch Fluoreszenzmoleküle,<br />
<strong>die</strong> e<strong>in</strong>e möglichst niedrige Abregungsschwelle<br />
haben. Beliebig hoch<br />
kann man <strong>die</strong> Intensität des STED-<br />
Pulses nämlich nicht wählen, da<br />
zu <strong>in</strong>tensives Licht den Molekülen<br />
schaden würde.<br />
AUF DER SUCHE NACH<br />
DER NEUEN GRENZE<br />
H<strong>in</strong>ter Kabeln<br />
und Haltern versteckt:<br />
das erste<br />
4Pi-Mikroskop,<br />
das wie e<strong>in</strong> richtiges<br />
Mikroskop<br />
aussieht, wurde<br />
von <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-<br />
Forschern <strong>in</strong> Kooperation<br />
mit der<br />
Firma Leica Microsystems<br />
entwickelt.<br />
Der Physiker Jörg<br />
Bewersdorf und<br />
<strong>die</strong> Biolog<strong>in</strong> Tanja<br />
Rosenmund bereiten<br />
gerade e<strong>in</strong>e<br />
Probe vor.<br />
Die Abregungsschwelle hängt von<br />
den Eigenschaften des Moleküls und<br />
der verwendeten Abregungs-Wellenlänge<br />
ab. Das Team um Stefan Hell –<br />
seit Oktober 2002 ist er Leiter der<br />
neu gegründeten Abteilung „Nano-<br />
Biophotonik“ am Gött<strong>in</strong>ger <strong>Max</strong>-<br />
<strong>Planck</strong>-Institut – sucht jetzt nach<br />
den tatsächlichen Grenzen. Die Wissenschaftler<br />
testen alle Farbstoffe;<br />
organische wie anorganische kommen<br />
<strong>in</strong>frage, aber auch von der Zelle<br />
selbst erzeugte Prote<strong>in</strong>e. Dazu muss<br />
man <strong>die</strong> Wellenlänge des Lichts variieren<br />
und <strong>die</strong> chemische Umgebung<br />
(zum Beispiel den pH-Wert) verändern.<br />
„Wir haben e<strong>in</strong>en Faden gefunden.<br />
Nun schauen wir, bei welcher<br />
Auflösung er endet“, beschreibt<br />
Hell <strong>die</strong> Situation.<br />
„Noch handelt es sich um Grundlagenforschung“,<br />
me<strong>in</strong>t der Physiker.<br />
„Wir haben gezeigt, dass <strong>die</strong> STED-<br />
Mikroskopie funktioniert und sich<br />
<strong>die</strong> zu Grunde liegende physikalische<br />
Idee experimentell bestätigen lässt.<br />
Jetzt wollen wir herausf<strong>in</strong>den, wie<br />
gut das Pr<strong>in</strong>zip mit der Palette vorhandener<br />
fluoreszierender Moleküle<br />
zu realisieren ist.“ Auch über Alternativen<br />
zu STED denkt Hell bereits<br />
nach. Statt <strong>die</strong> Randmoleküle gezielt<br />
aus dem angeregten Energiezustand<br />
abzuregen, sei es beispielsweise<br />
denkbar, sie schon vor der eigentlichen<br />
Fluoreszenzanregung aus<br />
dem Grundzustand zu entfernen. In<br />
Betracht ziehen <strong>die</strong> Forscher außerdem<br />
<strong>die</strong> licht<strong>in</strong>duzierte Umlagerung<br />
von Atomgruppen <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Moleküle, welche <strong>die</strong> Fluoreszenz<br />
e<strong>in</strong>- und ausschalten.<br />
Besonders aufmerksam verfolgen<br />
Biologen <strong>die</strong> Gött<strong>in</strong>ger Entwicklungen.<br />
Die Lichtmikroskopie ist für sie<br />
nämlich <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, das<br />
Innere lebender Zellen zu beobachten.<br />
Elektronen- und Rasterkraftmikroskopie<br />
erreichen zwar <strong>die</strong> gewünschte<br />
Auflösung. Aber sie arbeiten<br />
unter Bed<strong>in</strong>gungen (Vakuum<br />
oder tiefe Temperaturen), unter denen<br />
jede lebende Zelle stirbt. Und<br />
mit Rastersondenmikroskopen kann<br />
man ohneh<strong>in</strong> nur Oberflächen abtasten.<br />
Die optische Mikroskopie war jedoch<br />
aufgrund der Beugungsgrenze<br />
<strong>in</strong> ihrer Anwendung bislang begrenzt.<br />
Würden Stefan Hells Methoden<br />
den Sprung <strong>in</strong> <strong>die</strong> breite Anwendung<br />
schaffen, wäre das neben dem<br />
schon erzielten physikalischen Durchbruch<br />
e<strong>in</strong> echter Gew<strong>in</strong>n auch für <strong>die</strong><br />
Biologie. „Am Anfang“ er<strong>in</strong>nert er<br />
sich, „wollte kaum jemand daran<br />
glauben. Aber jetzt ist klar: Die Vision<br />
der lichtoptischen Nanoskopie hat<br />
e<strong>in</strong>e echte Chance.“ INA HELMS<br />
DIE 4PI-MIKROSKOPIE<br />
Schon mit <strong>die</strong>ser Methode gelang es, <strong>die</strong> optische Auflösung von den<br />
vorher möglichen 500 Nanometern auf 70 bis 140 Nanometer entlang<br />
der optischen Achse zu verbessern. Zwar blieb <strong>die</strong> Abbesche Beugungsgrenze<br />
noch unangetastet, doch mit der 4Pi-Idee hatte Stefan Hell<br />
Anfang der neunziger Jahre erstmals gezeigt, dass <strong>die</strong> Lichtmikroskopie<br />
noch lange nicht am Ende ist. Doch selbst als er <strong>die</strong> Theorie der Methode<br />
schlüssig bewiesen hatte, glaubte zunächst kaum jemand, dass sie <strong>in</strong> der<br />
Praxis umsetzbar sei. Dennoch entwickelten <strong>die</strong> Gött<strong>in</strong>ger <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-<br />
Forscher <strong>die</strong> 4Pi-Mikroskopie unbeirrt weiter. Den letzten Beweis hat<br />
Alexander Egner erbracht: Während se<strong>in</strong>er Promotionsarbeit gewann<br />
er hoch auflösende 3-D-Bilder, welche <strong>die</strong> Verteilung von Prote<strong>in</strong>en im<br />
so genannten Golgi-Apparat zeigen – das s<strong>in</strong>d Zellorganellen, <strong>in</strong> denen<br />
Prote<strong>in</strong>e sortiert und verzuckert werden (siehe Foto rechts). Außerdem<br />
haben <strong>die</strong> Gött<strong>in</strong>ger Forscher <strong>in</strong> Kooperation mit der Firma Leica Microsystems<br />
Heidelberg e<strong>in</strong> 4Pi-Mikroskop <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er physikalisch besonders<br />
leistungsfähigen Form realisiert. Statt e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen Objektivs, so der<br />
Grundgedanke der 4Pi-Mikroskopie, verwendet man zwei Objektive, <strong>die</strong> gegene<strong>in</strong>ander gerichtet s<strong>in</strong>d.<br />
Die Lichtwellen beider Objektive werden so überlagert, dass sie im Fokuspunkt ihr Feld verstärken (konstruktive<br />
Interferenz). Auf <strong>die</strong>se Weise simuliert man e<strong>in</strong>e be<strong>in</strong>ahe kugelförmige Lichtwelle, <strong>die</strong> fast aus<br />
allen Richtungen auf den Fokuspunkt zuläuft. Der volle Raumw<strong>in</strong>kel von 4Pi wird dadurch viel besser abgedeckt.<br />
Aus dem ovalen Brennfleck wird e<strong>in</strong> schmalerer, fast runder Fokus. Allerd<strong>in</strong>gs entstehen oberund<br />
unterhalb des Brennpunkts noch zwei kle<strong>in</strong>ere Brennflecken. Diese ausreichend kle<strong>in</strong> zu halten, war<br />
<strong>die</strong> größte Herausforderung bei der Entwicklung der Methode. Es galt, physikalische Bed<strong>in</strong>gungen zu f<strong>in</strong>den,<br />
unter denen <strong>die</strong> Intensität der beiden Satelliten m<strong>in</strong>destens kle<strong>in</strong>er als 50 Prozent des Hauptbrennflecks<br />
ist. Dann nämlich kann man ihre Auswirkung auf das Bild wegrechnen. Gelungen ist <strong>die</strong>s mithilfe<br />
der Zwei-Photonen-Anregung (siehe den Beitrag „Mikroskopie im optischen Schnitt“, Seite 34 ff.), <strong>die</strong><br />
jedoch nur e<strong>in</strong>e erste pragmatische Lösung se<strong>in</strong> soll. Denn bei <strong>die</strong>ser Art der Anregung ist e<strong>in</strong>e zusätzliche<br />
Laserquelle erforderlich, und man muss mit gepulster Strahlung arbeiten. In Zukunft, so <strong>die</strong> Vorstellungen<br />
<strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen, soll <strong>die</strong> 4Pi-Mikroskopie auch ohne Zwei-Photonen-Anregung auskommen und damit leichter<br />
handhabbar werden. Die Gött<strong>in</strong>ger Forscher s<strong>in</strong>d jedenfalls überzeugt, dass es sich lohnt, das Auflösungsproblem<br />
systematisch und von mehreren Seiten anzugehen. Unabhängige Ansätze wie <strong>die</strong> STED- und <strong>die</strong><br />
4Pi-Mikroskopie könnten dann komb<strong>in</strong>iert werden und würden sich gegenseitig verstärken.<br />
DIE STED-MIKROSKOPIE<br />
Der entscheidende Bestandteil der STED-Mikroskopie ist <strong>die</strong> Sättigung der Molekül-Abregung durch stimulierte<br />
Emission. E<strong>in</strong> Lichtpuls (STED), unmittelbar nach der Fluoreszenzanregung losgeschickt, zw<strong>in</strong>gt <strong>die</strong><br />
Moleküle vom angeregten Energiezustand zurück <strong>in</strong> den Grundzustand (a). Wenn sich Anregungs- und Abregungspuls<br />
geschickt überlagern (c), werden <strong>die</strong> Moleküle abgeregt, <strong>die</strong> sich im Randbereich des Brennflecks<br />
bef<strong>in</strong>den – noch ehe sie dazu kommen, spontan zu fluoreszieren. Insgesamt nimmt <strong>die</strong> spontane<br />
Fluoreszenz e<strong>in</strong>es Moleküls mit steigender Intensität des STED-Pulses ab (b). Wird e<strong>in</strong>e bestimmte Schwelle<br />
überschritten, kann <strong>die</strong> Fluoreszenz fast vollkommen unterbunden werden. Der grüne Brennfleck, der ohne<br />
STED-Puls entsteht, schnürt sich mit zunehmender Intensität des Abregungspulses immer mehr e<strong>in</strong>. Das<br />
Ergebnis: e<strong>in</strong> fokaler Fleck, der deutlich kle<strong>in</strong>er ist als der von der Beugung limitierte Abbesche Fleck (d).<br />
(a)<br />
(b)<br />
(c)<br />
(d)<br />
DATEN AUS KLAR ET ETAL, PNAS, 97, 2000<br />
AUFNAHMEN: MPI FÜR BIOPHYSIKALISCHE CHEMIE<br />
22 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 23
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
Neuland <strong>in</strong> drei Dim ensionen<br />
Im Inneren der Zelle herrscht Gedrängel, <strong>die</strong> verschiedenen Prote<strong>in</strong>strukturen<br />
schwimmen ke<strong>in</strong>eswegs ungeh<strong>in</strong>dert umher. Woher <strong>die</strong> Forscher<br />
das wissen? Aus den sensationellen dreidimensionalen Aufnahmen<br />
lebender Zellen. Die „Fotografen“: Wissenschaftler um WOLFGANG<br />
BAUMEISTER, Direktor am MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR BIOCHEMIE<br />
<strong>in</strong> Mart<strong>in</strong>sried. Das Verfahren: <strong>die</strong> Kryo-Elektronentomographie.<br />
„Zellk<strong>in</strong>o“: Drei unterschiedliche<br />
makromolekulare<br />
Prote<strong>in</strong>komplexe,<br />
<strong>die</strong> Wissenschaftler mit<br />
der Kryo-Elektronentomographie<br />
<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er<br />
Zelle lokalisiert haben.<br />
Selbst <strong>in</strong> den Naturwissenschaften<br />
halten sich manche Legenden<br />
über Jahrzehnte h<strong>in</strong>weg und länger.<br />
Mehr als 300 Jahre lang glaubte man<br />
beispielsweise, jede lebende Zelle enthalte<br />
<strong>in</strong> der Hauptsache Wasser, <strong>in</strong> der<br />
vere<strong>in</strong>zelte Partikel treiben. Dass <strong>die</strong>s<br />
nicht so ist, ahnte man zwar schon<br />
seit längerem, und vor etwa 20 Jahren<br />
hat man erkannt, dass sehr viele<br />
Makromoleküle das Zell<strong>in</strong>nere bevölkern.<br />
Aber erst <strong>die</strong> Aufsehen erregenden<br />
Darstellungen der Mart<strong>in</strong>srieder<br />
Wissenschaftler schufen Klarheit –<br />
nach mehr als zehnjähriger Forschungs-<br />
und Entwicklungsarbeit auf<br />
dem Gebiet der zellulären Kryo-Elektronentomographie.<br />
Trotzdem war <strong>die</strong> Idee, <strong>die</strong>se Methode<br />
auf mikroskopisch kle<strong>in</strong>e lebende<br />
Objekte wie Zellen zu übertragen,<br />
reichlich verwegen, und das hat<br />
mehrere Gründe. Erstens: Zellen s<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>en bis wenige Mikrometer groß,<br />
<strong>die</strong> Dimension ihrer <strong>in</strong>neren Strukturen<br />
bewegt sich aber im Nanometerbereich;<br />
deshalb ist e<strong>in</strong>e Abbildungsmethode<br />
mit hoher optischer Auflösung<br />
notwendig. Elektronenstrahlen,<br />
wie man sie im Elektronenmikroskop<br />
verwendet, s<strong>in</strong>d hier geeignet. Zweitens:<br />
Die Durchleuchtung mit Elektronenstrahlen<br />
geschieht im Hochvakuum,<br />
und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem kann ke<strong>in</strong>e<br />
Zelle überleben – sie würde sofort<br />
platzen, ihre Flüssigkeit verdampfen.<br />
bis 5000 Elektronen auf e<strong>in</strong>er Fläche<br />
von e<strong>in</strong>em Quadrat-Nanometer <strong>die</strong><br />
obere Grenze bilden – lächerlich wenig,<br />
wenn man <strong>die</strong>se Zahl auch noch<br />
auf Hunderte von Bildern verteilen<br />
muss. Gleichzeitig benötigt aber <strong>die</strong><br />
Tomographie viele E<strong>in</strong>zelaufnahmen.<br />
Je mehr verschiedene Projektionen<br />
e<strong>in</strong>es Objekts der Computer komb<strong>in</strong>iert,<br />
desto höher ist <strong>die</strong> erreichbare<br />
Auflösung, desto „schärfer“ werden<br />
<strong>die</strong> 3-D-Bilder. Viele Aufnahmen bedeuten<br />
jedoch auch e<strong>in</strong>e hohe Strahlenbelastung.<br />
Die Idee, Elektronentomographie<br />
für wissenschaftliche Zwecke zu betreiben,<br />
ist schon 35 Jahre alt. Im<br />
Jahr 1968 veröffentlichten drei For-<br />
Architektur des Herpes simplex<br />
Virus 1: L<strong>in</strong>ks e<strong>in</strong> mikroskopisches<br />
Bild, <strong>in</strong> der Mitte<br />
das rekonstruierte und entrauschte<br />
Tomogramm, rechts<br />
<strong>die</strong> gesonderte Darstellung der<br />
Hauptbestandteile des Virus.<br />
FOTOS: PNAS USA 97, 14245-14250 (2000) UND PNAS USA 99, 14153-14158 (2002)<br />
FOTOS: SCIENCE 302, 1396-1398 (2003)<br />
Das Pr<strong>in</strong>zip gleicht dem der Computertomographie,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong><br />
allen großen Kl<strong>in</strong>iken gang und gäbe<br />
ist und es erlaubt, Schichtbilder vom<br />
Inneren des Menschen herzustellen.<br />
Dazu umkreisen e<strong>in</strong>e Röntgenquelle<br />
und e<strong>in</strong>e Kamera den Patienten. Die<br />
Kamera nimmt dabei Röntgenbilder<br />
aus vielen W<strong>in</strong>keln auf, <strong>die</strong> anschließend<br />
im Computer mite<strong>in</strong>ander<br />
komb<strong>in</strong>iert werden. So errechnen<br />
sich schließlich dreidimensionale<br />
Bilder, auf denen sich <strong>die</strong> <strong>in</strong>neren<br />
Organe zeigen. Das Verfahren ist<br />
heute technisch ziemlich ausgereift<br />
und liefert zuverlässige E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong><br />
den menschlichen Körper.<br />
Dies ist auch der Grund, warum man<br />
unter dem Elektronenmikroskop von<br />
jeher getrocknete Präparate betrachtet<br />
hatte, <strong>die</strong> meist <strong>in</strong> Kunststoff e<strong>in</strong>gebettet<br />
oder mit Schwermetallen fixiert<br />
und gefärbt waren.<br />
ZU VIELE ELEKTRONEN<br />
SIND DER ZELLE TOD<br />
Außerdem hält das fragile Gebilde<br />
e<strong>in</strong>er lebenden Zelle energiereiche<br />
Strahlung wie etwa Elektronen nur<br />
sehr begrenzt aus. Wird <strong>die</strong> Bestrahlungszeit<br />
und damit <strong>die</strong> Dosis zu<br />
hoch, „verkohlt“ <strong>die</strong> Zelle und ist für<br />
e<strong>in</strong>e weitere Untersuchung verloren.<br />
Die Erfahrung hat gezeigt, dass 2000<br />
schergruppen erste pr<strong>in</strong>zipielle Stu<strong>die</strong>n<br />
dazu, <strong>die</strong> jedoch wegen der damals<br />
verwendeten Technik <strong>in</strong> ihrer<br />
Anwendbarkeit äußerst limitiert waren.<br />
Erst im Laufe der neunziger Jahre<br />
hatten sich <strong>die</strong> Geräte- und vor allem<br />
<strong>die</strong> Computertechnik und Informatik<br />
so weit entwickelt, dass man<br />
allmählich an e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz für Auflösungen<br />
im Nanometerbereich auch<br />
bei <strong>in</strong>takten Zellen denken konnte.<br />
„Wahrsche<strong>in</strong>lich führen beim heutigen<br />
Stand des Wissens neue Methoden<br />
und Techniken häufiger zu<br />
Erkenntnisfortschritten als neue Hypothesen“,<br />
sagt Wolfgang Baumeister,<br />
der seit 1988 als Direktor am<br />
24 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 25
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
<strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut für Biochemie<br />
<strong>die</strong> treibende Kraft des Tomographieprojekts<br />
ist. „Das steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sonderbaren<br />
Kontrast zu der verhältnismäßig<br />
ger<strong>in</strong>gen Wertschätzung, <strong>die</strong><br />
der methodisch orientierten Forschung<br />
zuteil wird.“ Es gab sogar<br />
Diskussionen darüber, ob <strong>die</strong> Entwicklung<br />
e<strong>in</strong>es bildgebenden Verfahrens<br />
überhaupt Aufgabe der <strong>Max</strong>-<br />
<strong>Planck</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> sei – oder ob<br />
nicht vielmehr <strong>die</strong> Industrie solche<br />
Tomographen entwickeln und herstellen<br />
müsse. Der Biophysiker gibt<br />
hierauf e<strong>in</strong>e klare Antwort: „Wenn<br />
<strong>die</strong> Industrie nicht willens ist, <strong>die</strong>ses<br />
Risiko e<strong>in</strong>zugehen und uns <strong>die</strong>jenigen<br />
Instrumente zur Verfügung zu<br />
stellen, <strong>die</strong> wir für unsere wissenschaftlichen<br />
Fragestellungen brauchen,<br />
dann müssen wir sie eben<br />
selbst produzieren.“ Man tat <strong>die</strong>s allerd<strong>in</strong>gs<br />
<strong>in</strong> enger Kooperation mit<br />
e<strong>in</strong>schlägigen Firmen.<br />
„vakuumfähig“ zu machen und <strong>die</strong><br />
Zellen <strong>in</strong> ihrem natürlichen Zustand<br />
zu bewahren, wird es schockgefroren.<br />
Dazu br<strong>in</strong>gt man es blitzschnell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Flüssigkeit von m<strong>in</strong>us 196 Grad<br />
Celsius. Die Zellen kühlen so rasch<br />
ab, dass <strong>die</strong> Wassermoleküle <strong>in</strong> ihnen<br />
und um sie herum ke<strong>in</strong>e Zeit haben,<br />
Eiskristalle zu bilden. So bleiben <strong>die</strong><br />
fe<strong>in</strong>en Strukturen <strong>in</strong>takt – viele Zellen<br />
könnten sogar nach dem Auftauen<br />
weiterleben. Das Präparat befestigt<br />
man nun auf e<strong>in</strong>em speziellen Probenhalter,<br />
der es mit flüssigem Stickstoff<br />
kühlt, damit <strong>die</strong> Probe während<br />
der Untersuchung nicht auftauen<br />
kann. Da seit e<strong>in</strong>iger Zeit bekannt ist,<br />
dass Zellen der Strahlung umso besser<br />
standhalten, je kälter sie s<strong>in</strong>d, beg<strong>in</strong>nen<br />
<strong>die</strong> Mart<strong>in</strong>srieder Forscher<br />
neuerd<strong>in</strong>gs damit, <strong>die</strong> Proben noch<br />
weit unter <strong>die</strong> Stickstofftemperatur zu<br />
kühlen. Man benutzt dazu flüssiges<br />
Helium von m<strong>in</strong>us 269 Grad.<br />
Gruppen beschäftigen sich mittlerweile<br />
mit der Elektronentomographie.<br />
Konkurrenz belebt natürlich das<br />
Geschäft, doch noch haben wir e<strong>in</strong>en<br />
Wissensvorsprung.“<br />
PARALLELRECHNER<br />
„ENTSCHLEIERT“ DIE BILDER<br />
Im Gegensatz zur Computertomographie<br />
<strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik ist es bei der<br />
Elektronentomographie nicht s<strong>in</strong>nvoll,<br />
das Mikroskop rund um das Objekt<br />
zu führen. Hier wird <strong>die</strong> Zelle<br />
gedreht, während <strong>die</strong> „Lichtquelle“,<br />
also <strong>die</strong> Quelle der Elektronenstrahlen,<br />
an ihrem Platz bleibt. Das kl<strong>in</strong>gt<br />
e<strong>in</strong>fach, ist aber <strong>in</strong> der Praxis mit e<strong>in</strong>er<br />
Reihe von Problemen verbunden.<br />
So verschiebt sich bei jedem Kippschritt<br />
das Gesichtsfeld e<strong>in</strong> wenig –<br />
der Elektronenstrahl muss deshalb<br />
neu ausgerichtet und wieder genau<br />
auf das Objekt fokussiert werden.<br />
Würde man <strong>die</strong>s von Hand machen,<br />
FOTOS: BIOPHYSICAL JOURNAL 72, 1031-1042 (1998) UND JOURNAL OF STRUCTURAL BIOLOGY 138, 105-113 (2002)<br />
wäre <strong>die</strong> Zelle unter dem Elektronenbeschuss<br />
schon nach den ersten Bildern<br />
verkohlt.<br />
Die Mart<strong>in</strong>srieder nehmen e<strong>in</strong>e<br />
höchst empf<strong>in</strong>dliche CCD-Kamera<br />
und den Computer zu Hilfe. Er wertet<br />
bei jedem Schritt das registrierte Bild<br />
aus, positioniert <strong>die</strong> Zelle wieder exakt<br />
und fokussiert auf <strong>die</strong> richtige<br />
Stelle – alles automatisch. Und während<br />
der ganzen Zeit wird der Elektronenstrahl<br />
zur Seite abgelenkt und<br />
kann deshalb das Objekt nicht schädigen.<br />
„Auf <strong>die</strong>se Weise gel<strong>in</strong>gt es<br />
uns, rund 97 Prozent der Strahlendosis<br />
für das Aufnehmen der Bilder zu<br />
verwenden“, sagt Harald Engelhardt,<br />
„nur drei Prozent benötigen wir für<br />
<strong>die</strong> E<strong>in</strong>stellung des Mikroskops.“<br />
E<strong>in</strong>e weitere Schwierigkeit: Die<br />
Probe lässt sich nicht aus allen Richtungen<br />
durchleuchten; e<strong>in</strong> gewisser<br />
W<strong>in</strong>kel wird immer durch den Probenhalter<br />
verdeckt. Diese Daten fehlen<br />
später bei der Rekonstruktion der<br />
Bilder zum 3-D-Objekt. Neuerd<strong>in</strong>gs<br />
versuchen <strong>die</strong> Forscher, <strong>die</strong>se Informationslücke<br />
dadurch zu verr<strong>in</strong>gern,<br />
dass sie <strong>die</strong> Probe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigens<br />
konstruierten Dreh-Kipphalter nach<br />
e<strong>in</strong>er Bilderserie um 90 Grad drehen<br />
und dann e<strong>in</strong>e zweite Sequenz aufnehmen.<br />
S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Bilder erst e<strong>in</strong>mal im Kasten,<br />
sprich Computer, beg<strong>in</strong>nt <strong>die</strong><br />
zeitaufwändige Verarbeitung der Daten.<br />
Aufgrund der extrem ger<strong>in</strong>gen<br />
Dosis s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> E<strong>in</strong>zelbilder sehr verrauscht<br />
– oft erkennt das menschliche<br />
Auge darauf nur schemenhafte<br />
Schleier. Die Aufgabe der Mart<strong>in</strong>srieder<br />
Bildverarbeiter um Re<strong>in</strong>er Hegerl<br />
ist es nun, <strong>die</strong>se Schleier zu lüften<br />
und <strong>die</strong> Bilder so zu komb<strong>in</strong>ieren<br />
und aufzubereiten, dass man aus der<br />
Datenflut Objekte herausfiltern kann,<br />
<strong>die</strong> sich klar von der Umgebung abgrenzen<br />
lassen. „Man muss <strong>die</strong> relesellschaft<br />
<strong>in</strong> Garch<strong>in</strong>g sowie e<strong>in</strong>e<br />
Reihe leistungsfähiger Workstations<br />
im Institut.<br />
Ist das räumliche Bild der Zelle<br />
erst e<strong>in</strong>mal bestimmt und ersche<strong>in</strong>t<br />
auf dem Computerbildschirm, geht<br />
es darum, das Gewirr <strong>in</strong> ihrem Inneren<br />
zu gliedern und <strong>in</strong> fassbare<br />
Strukturen e<strong>in</strong>zuteilen – Segmentieren<br />
nennen das <strong>die</strong> Fachleute. Oft<br />
scheitert <strong>die</strong>se Methode jedoch daran,<br />
dass <strong>in</strong> der übervölkerten Zelle<br />
viele Prote<strong>in</strong>komplexe zu eng ane<strong>in</strong>ander<br />
liegen. Der Computer kann<br />
dann nicht mehr erkennen, wo der<br />
e<strong>in</strong>e aufhört und der nächste anfängt.<br />
Welche Enzyme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle<br />
arbeiten, ist zum großen Teil bekannt,<br />
und soweit man deren räumliche<br />
Struktur mit physikalischen<br />
Methoden – etwa der Röntgenstrukturanalyse<br />
oder der Elektronenmikroskopie<br />
– ermittelt hat, kennt man<br />
auch ihre Form. Diese Kenntnis wol-<br />
Die Entwicklung der zellulären<br />
Kryo-Elektronentomographie war e<strong>in</strong>e<br />
Sisyphusarbeit: Hatten <strong>die</strong> Forscher<br />
e<strong>in</strong> Problem gelöst, so tauchte<br />
meist gleich das nächste auf. Trotzdem<br />
ließ sich Baumeisters Team, das<br />
unter anderem aus Biologen, Chemikern,<br />
Physikern und Informatikern<br />
besteht, nicht entmutigen. Und so<br />
entstand e<strong>in</strong> Verfahren, das <strong>die</strong> neuesten<br />
technologischen Erkenntnisse<br />
und Fortschritte komb<strong>in</strong>iert.<br />
Zunächst gibt man <strong>die</strong> Lösung mit<br />
den Zellen, <strong>die</strong> man betrachten will,<br />
auf e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>es Netzchen, das so konstruiert<br />
ist, dass <strong>die</strong> Zellen nicht<br />
durchrutschen, trotzdem aber durch<br />
<strong>die</strong> Maschen h<strong>in</strong>durch sichtbar bleiben.<br />
Um das empf<strong>in</strong>dliche Objekt<br />
In elegantem Hellgrau präsentiert<br />
sich <strong>die</strong> neueste Errungenschaft des<br />
Instituts: Das heliumgekühlte Transmissions-Elektronenmikroskop<br />
namens<br />
„Polara“ steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bunker<br />
des eigens für <strong>die</strong> Elektronenmikroskopie<br />
errichteten Neubaus, der gegen<br />
Erschütterungen und elektromagnetische<br />
Felder von außen gut abgeschirmt<br />
ist. Unspektakulär sieht es<br />
aus, und für mehrere Millionen Euro<br />
kann jeder so e<strong>in</strong> Gerät kaufen. Dass<br />
gerade <strong>die</strong> Forscher rund um Wolfgang<br />
Baumeister derart aufregende<br />
Bilder damit machen können, liegt<br />
an ihrer umfassenden Erfahrung.<br />
„Das Gebiet ist heute für viele Wissenschaftler<br />
attraktiv“, sagt Jürgen<br />
M. Plitzko, „und e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
„Schnappschüsse“ aus<br />
e<strong>in</strong>em zellulären Tomogramm<br />
nach 3-dimensionaler<br />
Bildanalyse e<strong>in</strong>es<br />
vollständig <strong>in</strong> Eis e<strong>in</strong>gebetteten<br />
Archaebakteriums<br />
(Pyrodictium abyssi):<br />
Sichtbar s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> regelmäßig<br />
geformte Oberflächenschicht<br />
(hellblau),<br />
e<strong>in</strong>e Gruppe von Vesikeln<br />
(dunkelblau) und<br />
e<strong>in</strong> „Röhrchen“ (ebenfalls<br />
dunkelblau). Außerdem<br />
erkennt man verschiedene<br />
an <strong>die</strong> Vesikel<br />
angelagerte Prote<strong>in</strong>komplexe<br />
(weiß).<br />
Trotzdem ist es noch e<strong>in</strong>e Herkulesarbeit<br />
für den Computer, <strong>die</strong>se<br />
Komplexe im Inneren der Zelle auszumachen.<br />
Es ist das alte Problem,<br />
das Informatiker mit dem „Blick <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Werkzeugkasten“ umschreiben:<br />
Der Mensch ist <strong>in</strong>tuitiv <strong>in</strong> der<br />
Lage, auf e<strong>in</strong>en Blick zum Beispiel<br />
e<strong>in</strong>en Schraubenschlüssel aus der<br />
Fülle anderer Werkzeuge herauszuf<strong>in</strong>den.<br />
Der Rechner kann das nicht.<br />
Er muss mühsam das Bild des Werk-<br />
„Polara“, e<strong>in</strong><br />
Transmissionselektronenmikroskop<br />
der neuesten<br />
Generation,<br />
ermöglicht neben<br />
der herkömmlichen<br />
Stickstoffauch<br />
Heliumkühlung.<br />
Am <strong>Max</strong>-<br />
<strong>Planck</strong>-Institut<br />
für Biochemie<br />
wird <strong>die</strong>ses Gerät<br />
seit Anfang 2003<br />
zur Aufzeichnung<br />
von Kippserien für<br />
<strong>die</strong> Tomographie<br />
verwendet.<br />
FOTO: MPI FÜR BIOCHEMIE<br />
vanten Daten erkennen und vom<br />
überlagernden Rauschen befreien“,<br />
schildert Harald Engelhardt das Vorgehen,<br />
„wir erproben zur Zeit unterschiedliche<br />
Verfahren. Die Astronomen<br />
haben übrigens ähnliche Probleme,<br />
wenn sie w<strong>in</strong>zige Lichtsignale<br />
aus dem Rauschen des Nachthimmels<br />
herausfiltern wollen.“<br />
Gigabyte von Informationen müssen<br />
bei <strong>die</strong>ser Aufgabe transportiert,<br />
durchforstet und gegene<strong>in</strong>ander verrechnet<br />
werden. Noch vor wenigen<br />
Jahren wären <strong>die</strong> Computer an <strong>die</strong>ser<br />
gigantischen Aufgabe gescheitert.<br />
Erst heute stehen potente Parallelrechner<br />
zur Verfügung, etwa e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>ux-Cluster<br />
<strong>in</strong> Mart<strong>in</strong>sried, das Rechenzentrum<br />
der <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Gelen<br />
<strong>die</strong> Mart<strong>in</strong>srieder Forscher nutzen,<br />
um <strong>die</strong> Muster bestimmter Molekülkomplexe<br />
<strong>in</strong> den 3-D-Datensätzen<br />
zu f<strong>in</strong>den.<br />
DER COMPUTER<br />
MUSS ALLES ERTASTEN<br />
26 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 27
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
zeugkastens abtasten und mit dem<br />
vorgegebenen Schema des Schraubenschlüssels<br />
vergleichen. Dabei variiert<br />
er nicht nur <strong>die</strong> Position des<br />
gesuchten Werkzeugs, sondern auch<br />
noch dessen Drehw<strong>in</strong>kel. Auch wenn<br />
Computer schnell s<strong>in</strong>d, dauert <strong>die</strong>se<br />
Aufgabe mit ihren unzähligen<br />
Schritten meist sehr lang.<br />
AUF DIE GESAMTSCHAU<br />
KOMMT ES AN<br />
Noch schlimmer ist es bei der Analyse<br />
des Zell<strong>in</strong>neren, denn hier kann<br />
jede Struktur beliebig <strong>in</strong> drei Raumrichtungen<br />
gedreht se<strong>in</strong>. So dauert es<br />
Stunden und Tage, bevor der Rechner<br />
e<strong>in</strong>en 3-D-Datensatz analysiert<br />
und entsprechende Formen lokalisiert<br />
hat, <strong>die</strong> er dann zur besseren<br />
Unterscheidung farbig markiert. Dass<br />
<strong>die</strong>se Methode funktioniert, haben<br />
<strong>die</strong> Forscher an künstlich hergestellten<br />
„Phantomzellen“ getestet, <strong>die</strong> sie<br />
<strong>die</strong> sich nur mithilfe nicht <strong>in</strong>vasiver<br />
Methoden untersuchen lässt“.<br />
So erarbeiteten <strong>die</strong> Forscher beispielsweise<br />
das detaillierte Bild e<strong>in</strong>er<br />
Amöbenzelle: Es zeigt das Skelett<br />
aus Akt<strong>in</strong>strängen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />
W<strong>in</strong>keln mite<strong>in</strong>ander<br />
und mit der Zellmembran verknüpft<br />
s<strong>in</strong>d. Außerdem erkennt man viele<br />
größere makromolekulare Komplexe,<br />
beispielsweise Ribosomen, <strong>die</strong> im<br />
Gegensatz dazu eher kugelig geformt<br />
s<strong>in</strong>d. Zu ihrer Überraschung entdeckten<br />
<strong>die</strong> Wissenschaftler ferner<br />
bei genauer Analyse der Bilder, dass<br />
e<strong>in</strong> neuartiges „Teilchen“ häufig auftrat:<br />
Es hat e<strong>in</strong>e tassenförmige Gestalt<br />
mit fünf abgerundeten Ecken<br />
und e<strong>in</strong>en Durchmesser von rund 20<br />
Nanometern. Bisher weiß man nicht,<br />
wozu es <strong>die</strong>nt. Aber derartige Entdeckungen<br />
können der funktionellen<br />
Erforschung des Proteoms wertvolle<br />
Anstöße geben.<br />
Es geht also bei solchen Aufnahmen<br />
nicht e<strong>in</strong>fach um „schöne Bilder“,<br />
<strong>die</strong> man auf Konferenzen vorzeigen<br />
oder <strong>in</strong> Fachmagaz<strong>in</strong>en publizieren<br />
kann. Viel wichtiger ist der Erkenntnisfortschritt,<br />
der sich aus der<br />
räumlichen Anordnung der Prote<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er lebenden Zelle ableiten lässt.<br />
„E<strong>in</strong> Bakterium beispielsweise ist<br />
nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> Sack voller Enzyme“,<br />
erklärt der Biologe Harald Engelhardt.<br />
„Die Anordnung der Enzyme<br />
gibt uns Auskunft über <strong>die</strong> chemischen<br />
Vorgänge <strong>in</strong> der Zelle. Man<br />
kann davon ausgehen, dass <strong>die</strong> Prote<strong>in</strong>moleküle,<br />
<strong>die</strong> zu e<strong>in</strong>er Stoffwechselkette<br />
gehören, jeweils auch lokal<br />
konzentriert s<strong>in</strong>d.“ Das gilt etwa für<br />
<strong>die</strong> Synthese von Fettsäuren – e<strong>in</strong>e<br />
zyklische Reaktion, an der sieben<br />
Prote<strong>in</strong>e mitwirken. E<strong>in</strong>en entsprechenden<br />
Komplex von Enzymen<br />
kann man tatsächlich isolieren. Aber<br />
<strong>die</strong> spannende Frage ist, ob sich auch<br />
Bereichen arbeiten <strong>die</strong> Forscher am<br />
<strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut für Biochemie<br />
daran, <strong>die</strong>sen Wert noch e<strong>in</strong>mal halbieren<br />
zu können.<br />
MIT „SALAMI-TAKTIK“<br />
AN DICKE ZELLEN<br />
Und noch e<strong>in</strong> anderes Ziel haben<br />
sie sich gesetzt: Viele Zellen s<strong>in</strong>d für<br />
<strong>die</strong> Durchstrahlung mit Elektronen<br />
e<strong>in</strong>fach zu dick. Um sie der Elektronentomographie<br />
zugänglich zu machen,<br />
wollen <strong>die</strong> Spezialisten sie erst<br />
e<strong>in</strong>frieren und den Eisblock dann <strong>in</strong><br />
dünne Scheiben schneiden, deren 3-<br />
D-Bilder e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> <strong>die</strong> Zelle gestatten.<br />
So hoffen <strong>die</strong> Wissenschaftler,<br />
immer weiter <strong>in</strong> <strong>die</strong> Geheimnisse<br />
der Strukturen so unterschiedlicher<br />
Zellen wie Bakterien oder Neuronen<br />
e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und dabei aufregendes<br />
Neuland zu betreten.<br />
Denn <strong>die</strong>s ist letztlich – so bekennt<br />
Wolfgang Baumeister – der Antrieb<br />
solutions for:<br />
● Video Enhanced Contrast Microscopy<br />
● Near Infrared Imag<strong>in</strong>g<br />
● Fluorescence Detection<br />
● Lum<strong>in</strong>escence Detection<br />
● High Resolution Imag<strong>in</strong>g<br />
● Macroscopic Imag<strong>in</strong>g<br />
● Imag<strong>in</strong>g Systems<br />
● Automated Microscopic Imag<strong>in</strong>g Systems<br />
● Time Resolved Spectroscopy<br />
mit verschiedenen, aber strukturell<br />
ähnlichen Prote<strong>in</strong>molekülen gefüllt<br />
hatten.<br />
Gerade <strong>die</strong> enge Packung der Prote<strong>in</strong>e,<br />
<strong>die</strong> so viele Probleme bereitet,<br />
erregt aber auch das besondere Interesse<br />
der Mart<strong>in</strong>srieder Forscher.<br />
„Nicht <strong>die</strong> Rekonstruktion isolierter<br />
Moleküle ist unser eigentliches Ziel,<br />
sondern vielmehr, solche Strukturen<br />
im Kontext der Zelle anzuschauen“,<br />
sagt Wolfgang Baumeister. „Denn<br />
wir s<strong>in</strong>d davon überzeugt, dass es <strong>in</strong><br />
der Zelle jenseits des e<strong>in</strong>zelnen Moleküls<br />
e<strong>in</strong>e übergeordnete Organisation<br />
gibt, e<strong>in</strong>e Organisation <strong>in</strong> Form<br />
e<strong>in</strong>zelner ‚molekularer Masch<strong>in</strong>en’,<br />
Kryo-elektronentomographische<br />
Abbildungen e<strong>in</strong>er<br />
<strong>in</strong> Eis e<strong>in</strong>gebetteten Amöbenzelle<br />
(Dictyostelium discoideum):<br />
L<strong>in</strong>ks <strong>die</strong> Aufnahme<br />
aus e<strong>in</strong>er tomographischen<br />
Kippserie, <strong>in</strong> der Mitte der<br />
Schnitt durch e<strong>in</strong> dreidimensional<br />
rekonstruiertes Tomogramm.<br />
Das rechte Bild zeigt<br />
<strong>die</strong> gesonderte Darstellung<br />
des Akt<strong>in</strong>-Zytoskeletts (rot),<br />
der Membran (blau) und<br />
zytoplasmatischer makromolekularer<br />
Komplexe wie<br />
Ribosomen (grün).<br />
FOTOS: SCIENCE 298, 1209-1213 (2002)<br />
andere Komplexe mit der Elektronentomographie<br />
entdecken lassen, <strong>die</strong><br />
sich nur <strong>in</strong> ihrer natürlichen Umgebung<br />
bilden und dort stabil s<strong>in</strong>d.<br />
Das Elektronentomogramm e<strong>in</strong>er<br />
Zelle ist e<strong>in</strong> Abbild ihres gesamten<br />
Proteoms, das man pr<strong>in</strong>zipiell nach<br />
den verschiedensten Molekülkomplexen<br />
absuchen kann, soweit <strong>die</strong><br />
Erkennbarkeit und Auflösung der rekonstruierten<br />
Strukturen <strong>die</strong>s zulässt.<br />
Die Detail-Auflösung <strong>in</strong> 3-D, <strong>die</strong><br />
man bislang erreichen konnte, liegt<br />
etwa bei vier Nanometern und ist<br />
bisher nur für das Auff<strong>in</strong>den größerer<br />
Prote<strong>in</strong>komplexe geeignet. Durch<br />
viele kle<strong>in</strong>e Verbesserungen <strong>in</strong> allen<br />
FOTOS: TRENDS IN CELL BIOLOGY. 9(2):81-85 (1999)<br />
e<strong>in</strong>es jeden Grundlagenforschers.<br />
David M. Blow, e<strong>in</strong>er der Pioniere<br />
der Röntgenstrukturforschung, beschrieb<br />
das Gefühl e<strong>in</strong>st mit den<br />
Worten: „Von Zeit zu Zeit kommt<br />
fast jeder Wissenschafter an e<strong>in</strong>en<br />
Ort, an dem vor ihm noch nie e<strong>in</strong><br />
Mensch gewesen ist. Es ist begeisternd,<br />
sich dort aufzuhalten. Dabei<br />
mag es sich um e<strong>in</strong>en Kont<strong>in</strong>ent oder<br />
e<strong>in</strong>en w<strong>in</strong>zigen Flecken handeln,<br />
aber (...) selbst wenn <strong>die</strong> Welt unsere<br />
Entdeckung ignoriert, vergessen wir<br />
niemals, dass sie e<strong>in</strong>mal ausschließlich<br />
uns gehört hat. Das s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerungen,<br />
<strong>die</strong> wir im Alter <strong>in</strong> Ehren<br />
halten werden.“ BRIGITTE RÖTHLEIN<br />
Das Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>es jeden<br />
tomographischen Verfahrens:<br />
Man nimmt e<strong>in</strong><br />
Objekt aus verschiedenen<br />
Richtungen auf und gew<strong>in</strong>nt<br />
damit e<strong>in</strong>e Serie<br />
von „Projektionen“, aus<br />
denen der Computer<br />
dann <strong>die</strong> dreidimensionale<br />
Struktur des betreffenden<br />
Objekts errechnet.<br />
Lum<strong>in</strong>escence Detection<br />
AEQUORIA – HPD-LIS<br />
System for Lum<strong>in</strong>escence with S<strong>in</strong>gle Photon<br />
Sensitivity<br />
Record<strong>in</strong>g of Lum<strong>in</strong>scence K<strong>in</strong>etics with a Temporal<br />
Resolution
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
Mit Elektronen sieht man besser<br />
Moderne Werkstoffe wären ohne Elektronenmikroskopie nicht denkbar. Nur mithilfe kurzwelliger<br />
Elektronenstrahlen können <strong>die</strong> Wissenschaftler E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> atomare Prozesse gew<strong>in</strong>nen<br />
und so direkt verfolgen, was <strong>in</strong> Kristallgittern beim Abkühlen oder Erhitzen, Stauchen oder<br />
Dehnen, Biegen oder Brechen e<strong>in</strong>er Materialprobe vor sich geht. E<strong>in</strong>e Gruppe um MANFRED<br />
RÜHLE, Direktor am Stuttgarter MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR METALLFORSCHUNG,<br />
hat den „Durchblick“ und dr<strong>in</strong>gt mit ihren Instrumenten <strong>in</strong> <strong>die</strong> atomare Welt vor.<br />
Die Erfolgsgeschichte der Elektronenmikroskopie<br />
begann am<br />
25. September 1933. Dem 26-jährigen<br />
Physiker Ernst Ruska, der wenige<br />
Wochen zuvor an der TH Berl<strong>in</strong><br />
mit e<strong>in</strong>er Arbeit über „magnetische<br />
L<strong>in</strong>sen“ promoviert worden war, gelang<br />
es damals, mit e<strong>in</strong>em selbst gebastelten<br />
Elektronenmikroskop e<strong>in</strong>en<br />
hauchdünnen verkohlten Baumwollfaden<br />
<strong>in</strong> 8000facher Vergrößerung<br />
abzubilden. Damit konnte er erstmals<br />
<strong>die</strong> hohe Überlegenheit e<strong>in</strong>es<br />
Elektronenmikroskops gegenüber<br />
den – bestenfalls 2000fach vergrößernden<br />
– Lichtmikroskopen zeigen.<br />
Ernst Ruska, der von 1955 bis zu se<strong>in</strong>em<br />
Tod im Jahr 1988 als Wissen-<br />
Durchbruch, nämlich am 25. September<br />
2003, nahm das amerikanische<br />
Wissenschaftsmagaz<strong>in</strong> SCIENCE e<strong>in</strong>e<br />
Arbeit zur Veröffentlichung an, <strong>die</strong><br />
vom Stuttgarter <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut<br />
für Metallforschung e<strong>in</strong>gereicht worden<br />
war. Das Paper, für das Zaoli<br />
Zhang, Wilfried Sigle, Fritz Phillipp<br />
und Manfred Rühle verantwortlich<br />
zeichnen, trägt den Titel „Direct<br />
Atom-Resolved Imag<strong>in</strong>g of Oxides<br />
and Their Gra<strong>in</strong> Boundaries“ und<br />
wurde <strong>in</strong> der Ausgabe vom 31. Oktober<br />
abgedruckt. Die Autoren berichten<br />
dar<strong>in</strong>, dass es ihnen gelungen ist,<br />
mit e<strong>in</strong>em Hochspannungs-Höchstauflösungsmikroskop<br />
detaillierte E<strong>in</strong>blicke<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> atomare Struktur der<br />
scher Materialien ganz wesentlich<br />
durch <strong>die</strong> Anwesenheit von Sauerstoff<br />
bestimmt werden. Dabei spielen<br />
Korngrenzen – Grenzflächen zwischen<br />
Kristallbereichen unterschiedlicher<br />
Orientierung – e<strong>in</strong>e besondere<br />
Rolle. Denn an derartigen „Kristallbaufehlern“<br />
weicht <strong>die</strong> Konzentration<br />
des Sauerstoffs unter Umständen<br />
deutlich von der im ungestörten Gitter<br />
ab. Dadurch können sich <strong>die</strong><br />
Korngrenzen aufladen und <strong>die</strong> Bewegung<br />
elektrischer Ladungen im Material<br />
beh<strong>in</strong>dern. Die Stuttgarter Forscher<br />
konnten erstmals zeigen, dass<br />
sich <strong>die</strong> Konzentration des Sauerstoffs<br />
auch <strong>in</strong> der Nähe solcher Kristallbaufehler<br />
direkt abbilden lässt.<br />
Aufnahmen e<strong>in</strong>es Hochleistungswerkstoffs<br />
aus Si 3 N 4 -Körnern, der mit e<strong>in</strong>er<br />
Alum<strong>in</strong>iumlegierung <strong>in</strong>filtriert wurde.<br />
Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt <strong>die</strong> Kornstruktur<br />
des Materials, das farbige <strong>die</strong> mit dem<br />
ESI-Verfahren gewonnene elektronenspektroskopische<br />
Aufnahme, bei der dem Silizium<br />
<strong>die</strong> (Falsch)-Farbe Rot, dem Stickstoff das<br />
Grün und dem Sauerstoff e<strong>in</strong>er oxidischen<br />
Substanz das Blau zugeordnet wurde.<br />
Zu den „jüngsten“ Elektronenmikroskopen am Stuttgarter <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut<br />
zählt das EM 912. Se<strong>in</strong> Filtersystem lässt sich so e<strong>in</strong>stellen, dass jeweils nur <strong>die</strong><br />
an e<strong>in</strong>em bestimmten chemischen Element gestreuten Elektronen zur Abbildung<br />
beitragen. Mit <strong>die</strong>sem „Electron Spectroscopic Imag<strong>in</strong>g“-Verfahren (ESI) kann<br />
man <strong>die</strong> räumliche Verteilung der Elemente ermitteln.<br />
FOTO: WOLFGANG FILSER<br />
FOTOS: MPI FÜR METALLFORSCHUNG<br />
schaftliches Mitglied dem Fritz-Haber-Institut<br />
der <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> angehörte, wurde<br />
1986 „für se<strong>in</strong>e fundamentalen Arbeiten<br />
zur Elektronenoptik und für<br />
den Entwurf des ersten Elektronenmikroskops“<br />
mit dem Nobelpreis für<br />
Physik ausgezeichnet – geme<strong>in</strong>sam<br />
mit He<strong>in</strong>rich Rohrer und Gerd B<strong>in</strong>nig,<br />
den Erf<strong>in</strong>dern des Raster-Tunnelmikroskops.<br />
Zufällig genau 70 Jahre nach dem<br />
Oxidkeramik Strontiumtitanat (SrTiO 3 )<br />
zu gew<strong>in</strong>nen. Auf den Aufnahmen<br />
s<strong>in</strong>d selbst <strong>die</strong> leichten und deshalb<br />
Elektronen nur schwach streuenden<br />
Sauerstoffatome zu erkennen, deren<br />
Kontraste sonst meist von denen<br />
schwererer und damit stärker streuender<br />
Atome überdeckt werden.<br />
Die Messung der lokalen Sauerstoffkonzentration<br />
mit atomarer Auflösung<br />
ist von großem Interesse, da<br />
<strong>die</strong> elektrischen Eigenschaften oxidi-<br />
Die Untersuchungen erfolgten an<br />
dem größten Elektronenmikroskop,<br />
das den Stuttgarter Wissenschaftlern<br />
zur Verfügung steht – und das zu<br />
den leistungsfähigsten weltweit gehört:<br />
dem Hochspannungs-Höchstauflösungsmikroskop<br />
JEM-ARM<br />
1250 mit e<strong>in</strong>er Beschleunigungsspannung<br />
für Elektronen von 1250<br />
Kilovolt und e<strong>in</strong>er Punktauflösung<br />
von 0,12 Nanometern (millionstel<br />
Millimeter). Dass man damit <strong>in</strong> ato-<br />
30 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 31
FOKUS<br />
MODELLIERTE WIRKLICHKEIT<br />
Das Auflösungsvermögen e<strong>in</strong>es Mikroskops – der Abstand zweier Punkte, <strong>die</strong> gerade noch als getrennt<br />
zu erkennen s<strong>in</strong>d – ist begrenzt durch <strong>die</strong> Wellenlänge der abbildenden Strahlen. Beim Lichtmikroskop<br />
liegt <strong>die</strong>ser Abstand je nach Lichtwellenlänge zwischen 400 und 200 Nanometern. Elektronenmikroskope<br />
verwenden statt Licht Elektronenstrahlen und statt L<strong>in</strong>sen elektrische oder magnetische Felder. Den<br />
Elektronen lassen sich Wellen zuordnen, deren Wellenlänge von der Beschleunigungsspannung abhängt.<br />
Bei 1000 Kilovolt beträgt sie etwa 0,004 Nanometer – rund e<strong>in</strong> Hunderttausendstel der Wellenlänge des<br />
sichtbaren Lichts. Allerd<strong>in</strong>gs treten bei Elektronenmikroskopen stärkere L<strong>in</strong>senfehler auf als bei Lichtmikroskopen.<br />
Sie begrenzen das Auflösungsvermögen auf e<strong>in</strong>en Wert, der etwa dem Hundertfachen <strong>die</strong>ser<br />
Wellenlänge entspricht. Doch auch damit liegt man schon im Bereich atomarer Dimensionen.<br />
Wegen <strong>die</strong>ser L<strong>in</strong>senfehler ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e direkte, „naive“ Interpretation der mit e<strong>in</strong>em Hochspannungs-Elektronenmikroskop<br />
gewonnenen Bilder nicht möglich. Jede Aufnahme wird deshalb mit simulierten<br />
Bildern verglichen, <strong>die</strong> unter Berücksichtigung der Mikroskop-Parameter für e<strong>in</strong>e physikalisch<br />
s<strong>in</strong>nvolle Modellkonfiguration berechnet wurden. Diese Modellkonfiguration verändert man am Computer<br />
so lange, bis experimentell beobachtetes und simuliertes Bild übere<strong>in</strong>stimmen, <strong>die</strong> modellierte<br />
Atomanordnung also der wirklichen entspricht.<br />
MICHAEL GLOBIG<br />
mare Dimensionen vordr<strong>in</strong>gen kann,<br />
deutet bereits das Kürzel ARM an: Es<br />
steht für „Atomic Resolution Microscop“.<br />
Mit se<strong>in</strong>en Hochspannungsgeneratoren<br />
erreicht <strong>die</strong> gigantische<br />
Anlage e<strong>in</strong>e Höhe von <strong>in</strong>sgesamt<br />
acht Metern (drei Meter davon misst<br />
alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Mikroskopsäule), und ihr<br />
Gewicht beträgt 35 Tonnen. Das<br />
Anordnung der Atome im<br />
Strontiumtitanat. L<strong>in</strong>ks unten<br />
s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> drei Atomarten<br />
dargestellt, rechts das mit<br />
Hilfe der Computersimulation<br />
erzeugte Bild. Gewonnen<br />
wurden <strong>die</strong> Aufnahmen mit<br />
dem größten Elektronenmikroskop<br />
am Institut –<br />
dem ARM 1250 (rechts).<br />
ganze Mikroskop ruht erschütterungsfrei<br />
auf e<strong>in</strong>em 235 Tonnen<br />
schweren Schw<strong>in</strong>gfundament. Dem<br />
wissenschaftlichen Betrieb übergeben<br />
wurde das von der japanischen<br />
Firma JEOL (Japanese Electron Optics<br />
Laboratory) gebaute und <strong>in</strong><br />
Stuttgart-Büsnau <strong>in</strong>stallierte Elektronenmikroskop<br />
im Frühjahr 1994.<br />
Im Jahr 1968 war zum ersten Mal<br />
e<strong>in</strong> Hochspannungs-Elektronenmikroskop<br />
<strong>in</strong> Stuttgart <strong>in</strong> Betrieb ge-<br />
32 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
nommen worden – das von der japanischen<br />
Firma Hitachi gebaute (und<br />
damals als erstes kommerzielles<br />
Gerät außerhalb Japans <strong>in</strong>stallierte)<br />
HU 500 mit 500 Kilovolt Spannung.<br />
Es wurde 1987 abgebaut, um Platz<br />
für e<strong>in</strong>e neue Mikroskopgeneration<br />
zu schaffen. E<strong>in</strong> „D<strong>in</strong>osaurier“ aber<br />
steht noch immer im <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-<br />
FOTO: MPI FÜR METALLFORSCHUNG<br />
Institut und wird nach wie vor <strong>in</strong>tensiv<br />
genutzt: das im Jahr 1974 <strong>in</strong> Betrieb<br />
gegangene AEI EM7. Se<strong>in</strong>e Beschleunigungsspannung<br />
lässt sich<br />
zwischen 100 und maximal 1200 Kilovolt<br />
variieren; um das Gerät zu<br />
schonen, ist <strong>die</strong> Höchstspannung allerd<strong>in</strong>gs<br />
auf 1000 Kilovolt begrenzt<br />
worden. Dieses Mikroskop wurde im<br />
Institut so umgebaut und mit speziellen<br />
Probenhaltern ausgerüstet, dass<br />
man damit bei Temperaturen zwi-<br />
schen m<strong>in</strong>us 255 Grad und plus<br />
1600 Grad Celsius Direktmessungen<br />
an unterschiedlichsten Materialien<br />
vornehmen kann. Außerdem ist es<br />
möglich, <strong>die</strong> Proben während der<br />
Messung mechanisch zu verformen.<br />
„HEISSE SZENEN“INS<br />
BILD GESETZT<br />
Auf <strong>die</strong>se Weise haben <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />
unter anderem das Verformungsverhalten<br />
von stark aufgeheizten<br />
Nickel-Alum<strong>in</strong>ium- und Eisen-Alum<strong>in</strong>ium-Hochtemperaturlegierungen<br />
aufgeklärt. Für <strong>die</strong> technische<br />
Anwendung solcher Materialien<br />
ist es wichtig, dass sie sich unter anhaltender<br />
Belastung möglichst wenig<br />
plastisch verformen, <strong>in</strong>sbesondere<br />
bei hoher Temperatur. Beim Verformen<br />
setzen sich Versetzungen im<br />
Kristallgitter <strong>in</strong> Bewegung. Durch<br />
E<strong>in</strong>lagern mikroskopischer Oxidteilchen<br />
lässt sich <strong>die</strong>se Bewegung ver-<br />
h<strong>in</strong>dern. Solche Experimente zeigen,<br />
welche atomaren Prozesse dabei ablaufen,<br />
das heißt, wie <strong>die</strong> Versetzungen<br />
mit den e<strong>in</strong>gelagerten Oxidpartikeln<br />
wechselwirken. Diese Erkenntnisse<br />
bilden e<strong>in</strong>e wichtige Basis für<br />
<strong>die</strong> Entwicklung geordneter Hochtemperaturlegierungen.<br />
E<strong>in</strong>en ganz anderen Mikroskoptyp<br />
verkörpert das dritte Beispiel aus<br />
dem Arsenal der <strong>in</strong>sgesamt neun<br />
Elektronenmikroskope des <strong>Max</strong>-<br />
FOTO: WOLFGANG FILSER<br />
FOTO: WOLFGANG FILSER<br />
Optische HORIZONTE<br />
<strong>Planck</strong>-Instituts für Metallforschung.<br />
Es handelt sich um das erste ausgelieferte<br />
Gerät des Ende der achtziger<br />
Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelten<br />
EM 912 von Zeiss/LEO, das<br />
mit e<strong>in</strong>er Beschleunigungsspannung<br />
von 120 Kilovolt arbeitet. Es besitzt<br />
e<strong>in</strong>en so genannten Omega-Filter,<br />
der aus vier trickreich angeordneten<br />
Magneten besteht und <strong>die</strong> Elektronen<br />
nach ihren Energien sortiert. Bei<br />
den Untersuchungen wird <strong>die</strong> Probe<br />
zum Beispiel mit e<strong>in</strong>em fe<strong>in</strong>en, möglichst<br />
monochromatischen Elektronenstrahl<br />
abgerastert – <strong>die</strong> Magneten<br />
lenken dann <strong>die</strong> an der Probe gestreuten<br />
Elektronen, <strong>die</strong> unterschiedliche<br />
Energieverluste erlitten und dadurch<br />
unterschiedliche Geschw<strong>in</strong>digkeiten<br />
angenommen haben, auf verschiedene<br />
Bahnen. Aus den dabei<br />
gewonnenen Informationen lassen<br />
sich Aussagen über B<strong>in</strong>dungsenergien<br />
und -zustände gew<strong>in</strong>nen.<br />
Oder man wählt mit dem Filter<br />
Energiebereiche aus, <strong>die</strong> für bestimmte<br />
chemische Elemente charakteristisch<br />
s<strong>in</strong>d und beleuchtet <strong>die</strong><br />
Probe mit parallelen Elektronenstrahlen.<br />
Mit <strong>die</strong>sem Verfahren, „Electron<br />
Spectroscopic Imag<strong>in</strong>g“ (ESI) genannt,<br />
ist es möglich, sich schnell<br />
e<strong>in</strong> Bild von der räumlichen Verteilung<br />
der Elemente <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er<br />
Probe zu machen. MICHAEL GLOBIG<br />
Bereits im Jahr<br />
1974 g<strong>in</strong>g das<br />
AEI EM7 <strong>in</strong> Betrieb.<br />
Dieses Instrument<br />
nutzen <strong>die</strong> Forscher<br />
noch immer zur<br />
Untersuchung von<br />
Proben, <strong>die</strong> während<br />
der Messung<br />
erhitzt und verformt<br />
werden.<br />
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4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 33
FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
Mikroskopie im op tischen Schnitt<br />
Klassische optische Mikroskope erreichten bereits vor hundert Jahren ihre größtmögliche<br />
Auflösung. Im 20. Jahrhundert wurden <strong>die</strong>se wichtigen Instrumente dann <strong>in</strong> vielfältiger<br />
Weise weiterentwickelt. WINFRIED DENK, heute Direktor am MAX-PLANCK-INSTITUT<br />
FÜR MEDIZINISCHE FORSCHUNG <strong>in</strong> Heidelberg, hat e<strong>in</strong> Zwei-Photonen-Fluoreszenzmikroskop<br />
erfunden, das es unter anderem ermöglicht, Transportvorgänge im Innern von<br />
Zellen oder <strong>die</strong> neuronale Aktivität <strong>in</strong> der Netzhaut im Detail zu stu<strong>die</strong>ren.<br />
E<strong>in</strong>e lebende Netzhaut, aufgenommen<br />
mit e<strong>in</strong>em Zwei-Photonen-Mikroskop.<br />
Das Gewebe ist<br />
grün gefärbt, während e<strong>in</strong>zelne<br />
Interneurone rot ersche<strong>in</strong>en.<br />
FOTOS: MPI FÜR MEDIZINISCHE FORSCHUNG – EULER<br />
Was wären <strong>die</strong> Naturwissenschaften<br />
ohne das Mikroskop?<br />
Ende des 16. Jahrhunderts von holländischen<br />
Brillenmachern erfunden,<br />
trat es e<strong>in</strong>en Siegeszug quer durch<br />
alle Forschungsdiszipl<strong>in</strong>en an. Insbesondere<br />
<strong>die</strong> Biologie hat von der<br />
wunderbaren Fähigkeit, Strukturen<br />
und Vorgänge an lebendem Gewebe<br />
stu<strong>die</strong>ren zu können, enorm profitiert.<br />
Nachdem Ernst Abbe 1873 <strong>die</strong><br />
erste exakte Theorie der mikroskopischen<br />
Abbildung auf der Grundlage<br />
der Beugung aufgestellt und Carl<br />
Zeiss se<strong>in</strong>e qualitativ hochwertigen<br />
Mikroskop-Objektive gefertigt hatte,<br />
war <strong>die</strong>se Technik auf e<strong>in</strong>em vorläufigen<br />
Höhepunkt angelangt. Im 20.<br />
Jahrhundert folgte e<strong>in</strong>e Spezialisierung<br />
der Instrumente, mit denen sich<br />
<strong>in</strong> jüngster Zeit sogar <strong>die</strong> von Abbe<br />
ermittelte maximale Auflösung noch<br />
unterbieten ließ.<br />
Die herkömmliche Lichtmikroskopie<br />
stößt rasch an ihre Grenzen, sobald<br />
man beispielsweise Vorgänge<br />
im Innern e<strong>in</strong>es Gewebes untersuchen<br />
will. Ursache hierfür ist <strong>die</strong><br />
vielfache Streuung und Brechung<br />
des Lichts an den unterschiedlich<br />
dichten Strukturen. Dieser Vorgang<br />
verr<strong>in</strong>gert das Auflösungsvermögen<br />
und den Kontrast. E<strong>in</strong>e Lösung des<br />
Problems bietet <strong>die</strong> so genannte konfokale<br />
Mikroskopie: Bei <strong>die</strong>ser bereits<br />
1961 erfundenen Methode richtet<br />
man e<strong>in</strong>en Laserstrahl auf e<strong>in</strong>en<br />
Punkt des zu untersuchenden Objekts.<br />
Nur das von dort reflektierte<br />
Licht wird dann vom Detektor des<br />
Mikroskops aufgefangen. Alles Licht<br />
aus der Umgebung des beleuchteten<br />
Flecks wird durch e<strong>in</strong>e Blende mit<br />
e<strong>in</strong>em fe<strong>in</strong>en Loch <strong>in</strong> der Mitte weitgehend<br />
abgelenkt, wodurch sich<br />
Streulicht vermeiden lässt.<br />
Im Unterschied zum konventionellen<br />
Mikroskop erzeugt das konfokale<br />
Mikroskop also zunächst nur e<strong>in</strong>en<br />
Bildpunkt. Um e<strong>in</strong> Objekt vollständig<br />
abzubilden, muss man <strong>die</strong>ses Punkt<br />
für Punkt rastern oder scannen. Bei<br />
den meisten modernen Konfokalmikroskopen<br />
führt man hierzu den Laserstrahl<br />
über das Objekt. Das Bild<br />
entsteht dann durch digitale Verarbeitung<br />
im Rechner. Diese Laserscann<strong>in</strong>g-Konfokalmikroskopie<br />
ließ<br />
sich erst Ende der achtziger Jahre<br />
des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen<br />
geeigneter Laser und digitaler<br />
Datenverarbeitungsmethoden<br />
realisieren.<br />
MIT ROTEM LICHT<br />
ZU BLAUEM LEUCHTEN<br />
Das Ausblenden von Bereichen,<br />
<strong>die</strong> außerhalb der Fokusebene liegen,<br />
führt zu e<strong>in</strong>em „optischen Schnitt“.<br />
Er ermöglicht es, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gewebevolumen<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zusehen, ohne es tatsächlich<br />
zerschneiden zu müssen. Deshalb<br />
ist <strong>die</strong>se Methode auch auf lebendes<br />
Gewebe anwendbar. Die Moleküle<br />
im Fokus des Laserstrahls<br />
nehmen dessen Licht auf, werden<br />
durch <strong>die</strong>se Energieaufnahme angeregt<br />
und strahlen nun selbst Licht ab.<br />
Diesen Vorgang nennt man Fluoreszenz.<br />
Bei dickeren Präparaten kann<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em konfokalen Mikroskop oft<br />
nur <strong>die</strong> Fluoreszenz e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en<br />
Bruchteils aller angeregten Moleküle<br />
verwendet werden, da <strong>die</strong> Blende <strong>die</strong><br />
Lichtausbeute beschränkt. Das ist e<strong>in</strong><br />
Nachteil, denn „<strong>die</strong>ser verschwenderische<br />
Umgang hat zur Folge, dass<br />
das ganze Präparat ausbleicht und<br />
photochemisch geschädigt wird, obwohl<br />
Information nur von e<strong>in</strong>er<br />
dünnen Schicht gewonnen wird“, erklärt<br />
W<strong>in</strong>fried Denk.<br />
E<strong>in</strong>e grundlegende Eigenschaft der<br />
Fluoreszenz besteht nun dar<strong>in</strong>, dass<br />
das e<strong>in</strong>gestrahlte Licht m<strong>in</strong>destens<br />
genauso energiereich se<strong>in</strong> muss wie<br />
das vom Molekül wieder abgegebene.<br />
Es ist also nicht möglich, e<strong>in</strong> blau<br />
fluoreszierendes Molekül (hohe Energie)<br />
mit rotem Licht (ger<strong>in</strong>ge Energie)<br />
anzuregen. Wünschenswert aus Sicht<br />
des Mikroskopikers ist es aber, Licht<br />
mit möglichst ger<strong>in</strong>ger Energie e<strong>in</strong>zustrahlen,<br />
weil sich damit <strong>die</strong> Gefahr<br />
von Schäden am Gewebe verr<strong>in</strong>gert.<br />
Den Ausweg aus <strong>die</strong>ser Zwickmühle<br />
fand W<strong>in</strong>fried Denk <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Vorgang, den Physiker Zwei-Photonen-Absorption<br />
nennen. Dieses Phänomen<br />
tritt erst bei sehr hohen<br />
Licht<strong>in</strong>tensitäten auf. Dann nämlich<br />
kann e<strong>in</strong> Molekül zwei Photonen fast<br />
gleichzeitig verschlucken und dabei<br />
<strong>die</strong> doppelte Energie aufnehmen.<br />
Dieser Vorgang basiert auf der quantenphysikalischen<br />
Vorstellung, wonach<br />
Licht auch e<strong>in</strong> Strom von Teilchen<br />
(Photonen) ist.<br />
Die deutsche Physiker<strong>in</strong> Maria<br />
Goeppert-Mayer hat <strong>die</strong>sen Prozess<br />
schon 1931 theoretisch vorhergesagt,<br />
doch erst 30 Jahre später ließ er sich<br />
erstmals experimentell nachweisen.<br />
Warum das so ist, veranschaulicht e<strong>in</strong><br />
Beispiel: In hellem Sonnenlicht<br />
nimmt e<strong>in</strong> Molekül des Farbstoffs<br />
Rhodam<strong>in</strong>-B etwa e<strong>in</strong> Photon pro Sekunde<br />
auf. Die Zwei-Photonen-Absorption<br />
würde statistisch gesehen<br />
nur alle zehn Millionen Jahre e<strong>in</strong>treten.<br />
Erst bei sehr hohen Intensitäten,<br />
wie sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Laserstrahl herrschen,<br />
schluckt e<strong>in</strong> solches Molekül<br />
auch e<strong>in</strong>mal zwei Photonen und gibt<br />
anschließend e<strong>in</strong> Photon mit der doppelten<br />
Energie ab. Nur so ist es möglich,<br />
e<strong>in</strong> Molekül mit rotem Licht zu<br />
blauem Leuchten anzuregen. Und da<br />
rotes Licht energieärmer ist, wird das<br />
Vor allem neuronale<br />
Netzwerke werden<br />
unter dem Zwei-<br />
Photonen-Mikroskop<br />
„durchschaubar“.<br />
Gewebe geschont. Das<br />
Entscheidende dabei:<br />
Nur jene Moleküle werden<br />
angeregt, <strong>die</strong> sich<br />
im Fokus des Laserstrahls<br />
bef<strong>in</strong>den, wo<br />
<strong>die</strong> Intensität besonders hoch ist.<br />
„Das Präparat außerhalb der Fokusebene<br />
bleibt von Anregung und damit<br />
von Ausbleichen fast völlig verschont<br />
– was besonders dann wichtig<br />
ist, wenn durch sukzessives Abbilden<br />
übere<strong>in</strong>ander liegender Schichten e<strong>in</strong><br />
Volumenbild aufgenommen werden<br />
soll“, sagt Denk. Was außerdem für<br />
se<strong>in</strong>e Methode spricht: Rotes (langwelliges)<br />
Licht wird <strong>in</strong> Gewebe nicht<br />
so stark gestreut wie blaues (kurzwelliges)<br />
– was <strong>die</strong> Abbildung tiefer<br />
liegender Gewebeschichten erlaubt.<br />
E<strong>in</strong> Hauptanwendungsgebiet der<br />
Zwei-Photonen-Mikroskopie ist <strong>die</strong><br />
Neurobiologie: Die Zellen s<strong>in</strong>d untere<strong>in</strong>ander<br />
vernetzt und streuen das<br />
Licht stark. Hier hat <strong>die</strong> Methode<br />
völlig neuartige E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> das <strong>in</strong>takte<br />
Gewebe ermöglicht. Zum Beispiel<br />
gelang es Denk, biochemische<br />
Abläufe <strong>in</strong> den Gehirnzellen von<br />
Ratten sichtbar zu machen. Hierzu<br />
wurden <strong>in</strong>trazelluläre Botenstoffe<br />
zunächst mit bestimmten Molekülen<br />
„markiert“. Dann wurde <strong>die</strong> Wellenlänge<br />
des abtastenden Laserstrahls<br />
genau so e<strong>in</strong>gestellt, dass er nur <strong>die</strong>se<br />
Markermoleküle anregte; nur sie<br />
sandten Fluoreszenzlicht aus, das<br />
sich im Mikroskop nachweisen ließ.<br />
Auf <strong>die</strong>se Weise zeigten sich Veränderungen<br />
<strong>in</strong> der Konzentration der<br />
Botenstoffe, woraus <strong>die</strong> Forscher auf<br />
<strong>die</strong> Arbeitsweise und <strong>die</strong> Kommunikation<br />
der Zellen schließen konnten.<br />
Ebenso war es möglich, <strong>die</strong> Verteilung<br />
von Rezeptoren auf lebenden<br />
Zellen zu charakterisieren. Selbst tief<br />
<strong>in</strong> der <strong>in</strong>takten Gehirnr<strong>in</strong>de gel<strong>in</strong>gt<br />
es mit Denks Methode, noch Signale<br />
<strong>in</strong> den fe<strong>in</strong>sten Verästelungen von<br />
Nervenzellen nachzuweisen. <br />
34 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 35
FOKUS<br />
Vergleich e<strong>in</strong>es Konfokalmikroskops (l<strong>in</strong>ks) mit<br />
e<strong>in</strong>em Zwei-Photonen-Mikroskop (rechts). In beiden<br />
Geräten wird das Anregungslicht (von l<strong>in</strong>ks<br />
kommend) von e<strong>in</strong>em Laser erzeugt und über e<strong>in</strong>en<br />
halbdurchlässigen Spiegel und e<strong>in</strong>e Objektivl<strong>in</strong>se<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Probe fokussiert. Das dort entstehende Fluoreszenzlicht<br />
gelangt auf e<strong>in</strong>en Photodetektor.<br />
Beim konfokalen Mikroskop blockt e<strong>in</strong>e Blende<br />
Fluoreszenzlicht ab, das nicht aus der Fokusebene<br />
stammt. Beim Zwei-Photonen-Mikroskop ist ke<strong>in</strong>e<br />
Blende nötig; hier nutzt man <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>die</strong><br />
Energie, <strong>die</strong> zur Anregung e<strong>in</strong>es Farbstoffmoleküls<br />
benötigt wird, statt von e<strong>in</strong>em energiereichen Photon<br />
von zwei Photonen kommt. Fluoreszenz entsteht<br />
nur im Fokus, wo <strong>die</strong> Photonendichte für <strong>die</strong>sen<br />
Prozess ausreichend hoch ist. Da ke<strong>in</strong>e Fluoreszenz<br />
außerhalb des Fokus entsteht, kann man das gesamte<br />
Fluoreszenzlicht aus der Probe verwenden.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus erlaubt das Verfahren<br />
sogar, <strong>die</strong> Zwei-Photonen-<br />
Mikroskopie mit e<strong>in</strong>em Infrarot-Laser<br />
zu betreiben. Das hat e<strong>in</strong>en<br />
großen Vorteil bei der Untersuchung<br />
der Signalverarbeitung <strong>in</strong> der Netzhaut<br />
(Ret<strong>in</strong>a) des Auges. Da <strong>die</strong><br />
lichtempf<strong>in</strong>dlichen Zellen <strong>in</strong> der Ret<strong>in</strong>a<br />
– <strong>die</strong> Photorezeptoren – ke<strong>in</strong> Infrarotlicht<br />
„sehen“, werden sie auch<br />
nicht geblendet. Dies hat es ermöglicht,<br />
<strong>die</strong> neuronale Aktivität <strong>in</strong> den<br />
<strong>in</strong>formationsverarbeitenden Schichten<br />
der Netzhaut zu stu<strong>die</strong>ren. Erst<br />
kürzlich erzielte Denks Mitarbeiter<br />
Thomas Euler zusammen mit Kollegen<br />
von der University of Wash<strong>in</strong>gton<br />
bedeutende Fortschritte bei der<br />
Erforschung neurophysiologischer<br />
Vorgänge <strong>in</strong> der Ret<strong>in</strong>a (MAXPLANCK-<br />
FORSCHUNG 3/2002, S. 12).<br />
Die Ret<strong>in</strong>a besteht aus mehreren<br />
Schichten und enthält mehr als 60<br />
verschiedene Typen von Nervenzellen.<br />
In der äußersten Schicht bef<strong>in</strong>den<br />
sich <strong>die</strong> Photorezeptoren, <strong>die</strong><br />
GRAFIKEN: MPI FÜR MEDIZINISCHE FORSCHUNG<br />
Licht <strong>in</strong> elektrische Signale umwandeln.<br />
So genannte Bipolarzellen leiten<br />
<strong>die</strong> Signale dann von den Photorezeptoren<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Ret<strong>in</strong>a. Hier<br />
s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Fortsätze verschiedener Typen<br />
von Neuronen zu komplexen<br />
„Schaltkreisen“ verknüpft. Schließlich<br />
werden <strong>die</strong> Signale an <strong>die</strong> Ausgangsneurone<br />
(Ganglienzellen) weitergeleitet,<br />
wo sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Folge von<br />
elektrischen Signalen umko<strong>die</strong>rt und<br />
über den optischen Nerv ans Gehirn<br />
gesendet werden.<br />
GANGLIENZELLEN SIND AUF<br />
MUSTER GEPRÄGT<br />
Viele Ganglienzelltypen reagieren<br />
am besten auf komplexe Lichtmuster.<br />
So gibt es Zellen, <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ien oder<br />
Kanten erkennen. Andere Zellen<br />
antworten fast ausschließlich, wenn<br />
sich e<strong>in</strong> Lichtstimulus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten<br />
Richtung durch ihr empf<strong>in</strong>dliches<br />
Feld bewegt, und wiederum<br />
andere Zellen ko<strong>die</strong>ren Helligkeits-<br />
oder Farb<strong>in</strong>formationen. Die<br />
Ganglienzellen besitzen e<strong>in</strong>e komplizierte<br />
räumliche Struktur und<br />
fe<strong>in</strong>e Verästelungen (Dendriten),<br />
können <strong>in</strong> verschiedene Schichten<br />
der <strong>in</strong>neren Ret<strong>in</strong>a vordr<strong>in</strong>gen und<br />
<strong>die</strong> Signale unterschiedlicher „Schaltkreise“<br />
anzapfen. Eulers Gruppe gelang<br />
es mithilfe der Zwei-Photonen-<br />
Mikroskopie, <strong>die</strong> lokalen Ereignisse<br />
<strong>in</strong> den Dendriten unterschiedlicher<br />
Zelltypen <strong>in</strong> der Ret<strong>in</strong>a sichtbar<br />
zu machen. Auf <strong>die</strong>se Weise lässt<br />
sich e<strong>in</strong>e Menge über <strong>die</strong> <strong>in</strong>forma-<br />
tionsverarbeitenden Mechanismen<br />
erfahren.<br />
Bedeutende Fortschritte erwarten<br />
<strong>die</strong> Heidelberger Forscher auch von<br />
e<strong>in</strong>er m<strong>in</strong>iaturisierten Variante ihres<br />
Mikroskops. „Wir zielen dabei direkt<br />
auf <strong>die</strong> Neurowissenschaften ab“,<br />
sagt Fritjof Helmchen, der als Gruppenleiter<br />
<strong>in</strong> der Abteilung des Nobelpreisträgers<br />
Bert Sakmann am Heidelberger<br />
<strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut arbeitet.<br />
Große Hoffnungen setzen <strong>die</strong><br />
Wissenschaftler auf neuartige stabförmige<br />
L<strong>in</strong>sen mit nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em<br />
Millimeter Durchmesser. Mit<br />
<strong>die</strong>sen Optiken sollte es zukünftig<br />
möglich se<strong>in</strong>, auch an lebenden Tieren<br />
im Labor Messungen vorzunehmen<br />
und längerfristige Veränderungen<br />
im Gehirn zu untersuchen.<br />
Zuvor gilt es aber, e<strong>in</strong>ige technische<br />
Hürden zu überw<strong>in</strong>den. So wird<br />
das Laserlicht über Glasfasern <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Optik geleitet. Voraussetzung für das<br />
Funktionieren der Zwei-Photonen-<br />
Mikroskopie s<strong>in</strong>d kurze Laserpulse<br />
<strong>in</strong> rascher Folge. Im Innern der<br />
Glasfasern werden <strong>die</strong> Pulse jedoch<br />
ause<strong>in</strong>ander gezogen und gleichsam<br />
verschmiert. „Wir glauben aber, dass<br />
wir auch <strong>die</strong>se Problem durch den<br />
E<strong>in</strong>satz neuer Glasfaserarten <strong>in</strong> den<br />
Griff bekommen“, hofft Helmchen.<br />
Dann wird e<strong>in</strong>e Stoßrichtung der<br />
Forschung <strong>die</strong> Bildung von Eiweißablagerungen<br />
se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> für viele<br />
neurodegenerative Krankheiten, wie<br />
etwa der Alzheimerschen, typisch<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
THOMAS BÜHRKE<br />
E<strong>in</strong>e lebende Netzhaut, aufgenommen mit e<strong>in</strong>em Zwei-Photonen-<br />
Mikroskop. Ganglienzellen ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Magenta, der Bereich, <strong>in</strong> dem<br />
Bipolarzellen zusammenwirken, ist Rot bis Grün gefärbt.<br />
FOTOS: MPI FÜR MEDIZINISCHE FORSCHUNG/EULER<br />
Pate gesucht!<br />
Seit September bietet der Verlag Spektrum der Wissenschaft – unter der Schirmherrschaft<br />
der <strong>Gesellschaft</strong> für Biochemie und Molekularbiologie sowie des <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-<br />
Instituts für Astronomie – Oberstufenklassen <strong>in</strong> den naturwissenschaftlich-mathematischen<br />
Fächern hochwertige, an aktueller <strong>in</strong>ternationaler Forschung orientierte<br />
Zusatzmaterialien zur Ergänzung des Lernstoffes – und <strong>die</strong>s kostenlos für <strong>die</strong> Schulen.<br />
Die Aktion umfasst den kostenlosen Bezug der Zeitschriften Spektrum der Wissenschaft<br />
sowie Sterne und Weltraum. Jeweils e<strong>in</strong> Thema pro Ausgabe wird durch<br />
erfahrene Schulbuchredakteure des PAETEC-Verlags didaktisch aufbereitet und<br />
Schülern sowie Lehrern im Internet zur Verfügung gestellt. F<strong>in</strong>anziert wird <strong>die</strong><br />
Kampagne jeweils zur Hälfte vom Verlag sowie von Sponsoren aus der Wirtschaft.<br />
Die Resonanz <strong>in</strong> den Schulen auf <strong>die</strong>ses Angebot ist überwältigend hoch:<br />
mehr als 5.000 Schüler haben sich bereits für e<strong>in</strong>e Teilnahme angemeldet.<br />
Ermöglichen auch Sie Schülern<br />
<strong>die</strong> Teilnahme an e<strong>in</strong>em praxisnahen<br />
Unterricht und werden Sie Pate!<br />
Diese Firmen haben bereits <strong>die</strong> Patenschaft für e<strong>in</strong>e oder mehrere Schulklassen übernommen:<br />
Biotronik GmbH . Evotec . Harald Meyer Brandschutz . Vermessungsbüro Re<strong>in</strong>hard Brenke<br />
Stiebel Eltron . Henkel KgaA . GWU GmbH . Aventis . Frankfurter Buchmesse<br />
Buchhandlung B<strong>in</strong>dernagel . Merck KgaA . IVO Industrievere<strong>in</strong>igung Odenwald<br />
Masch<strong>in</strong>enfabrik Rhe<strong>in</strong>hausen . CEMA AG<br />
Ausführliche Informationen f<strong>in</strong>den Sie im Internet: www.wissenschaft-schulen.de<br />
Wir schicken Ihnen gerne ausführliche Informationen zu.<br />
36 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH<br />
4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 37<br />
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