Lichtblicke in die Nanowelt - Max-Planck-Gesellschaft
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FOKUS<br />
Optische HORIZONTE<br />
Neuland <strong>in</strong> drei Dim ensionen<br />
Im Inneren der Zelle herrscht Gedrängel, <strong>die</strong> verschiedenen Prote<strong>in</strong>strukturen<br />
schwimmen ke<strong>in</strong>eswegs ungeh<strong>in</strong>dert umher. Woher <strong>die</strong> Forscher<br />
das wissen? Aus den sensationellen dreidimensionalen Aufnahmen<br />
lebender Zellen. Die „Fotografen“: Wissenschaftler um WOLFGANG<br />
BAUMEISTER, Direktor am MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR BIOCHEMIE<br />
<strong>in</strong> Mart<strong>in</strong>sried. Das Verfahren: <strong>die</strong> Kryo-Elektronentomographie.<br />
„Zellk<strong>in</strong>o“: Drei unterschiedliche<br />
makromolekulare<br />
Prote<strong>in</strong>komplexe,<br />
<strong>die</strong> Wissenschaftler mit<br />
der Kryo-Elektronentomographie<br />
<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er<br />
Zelle lokalisiert haben.<br />
Selbst <strong>in</strong> den Naturwissenschaften<br />
halten sich manche Legenden<br />
über Jahrzehnte h<strong>in</strong>weg und länger.<br />
Mehr als 300 Jahre lang glaubte man<br />
beispielsweise, jede lebende Zelle enthalte<br />
<strong>in</strong> der Hauptsache Wasser, <strong>in</strong> der<br />
vere<strong>in</strong>zelte Partikel treiben. Dass <strong>die</strong>s<br />
nicht so ist, ahnte man zwar schon<br />
seit längerem, und vor etwa 20 Jahren<br />
hat man erkannt, dass sehr viele<br />
Makromoleküle das Zell<strong>in</strong>nere bevölkern.<br />
Aber erst <strong>die</strong> Aufsehen erregenden<br />
Darstellungen der Mart<strong>in</strong>srieder<br />
Wissenschaftler schufen Klarheit –<br />
nach mehr als zehnjähriger Forschungs-<br />
und Entwicklungsarbeit auf<br />
dem Gebiet der zellulären Kryo-Elektronentomographie.<br />
Trotzdem war <strong>die</strong> Idee, <strong>die</strong>se Methode<br />
auf mikroskopisch kle<strong>in</strong>e lebende<br />
Objekte wie Zellen zu übertragen,<br />
reichlich verwegen, und das hat<br />
mehrere Gründe. Erstens: Zellen s<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>en bis wenige Mikrometer groß,<br />
<strong>die</strong> Dimension ihrer <strong>in</strong>neren Strukturen<br />
bewegt sich aber im Nanometerbereich;<br />
deshalb ist e<strong>in</strong>e Abbildungsmethode<br />
mit hoher optischer Auflösung<br />
notwendig. Elektronenstrahlen,<br />
wie man sie im Elektronenmikroskop<br />
verwendet, s<strong>in</strong>d hier geeignet. Zweitens:<br />
Die Durchleuchtung mit Elektronenstrahlen<br />
geschieht im Hochvakuum,<br />
und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem kann ke<strong>in</strong>e<br />
Zelle überleben – sie würde sofort<br />
platzen, ihre Flüssigkeit verdampfen.<br />
bis 5000 Elektronen auf e<strong>in</strong>er Fläche<br />
von e<strong>in</strong>em Quadrat-Nanometer <strong>die</strong><br />
obere Grenze bilden – lächerlich wenig,<br />
wenn man <strong>die</strong>se Zahl auch noch<br />
auf Hunderte von Bildern verteilen<br />
muss. Gleichzeitig benötigt aber <strong>die</strong><br />
Tomographie viele E<strong>in</strong>zelaufnahmen.<br />
Je mehr verschiedene Projektionen<br />
e<strong>in</strong>es Objekts der Computer komb<strong>in</strong>iert,<br />
desto höher ist <strong>die</strong> erreichbare<br />
Auflösung, desto „schärfer“ werden<br />
<strong>die</strong> 3-D-Bilder. Viele Aufnahmen bedeuten<br />
jedoch auch e<strong>in</strong>e hohe Strahlenbelastung.<br />
Die Idee, Elektronentomographie<br />
für wissenschaftliche Zwecke zu betreiben,<br />
ist schon 35 Jahre alt. Im<br />
Jahr 1968 veröffentlichten drei For-<br />
Architektur des Herpes simplex<br />
Virus 1: L<strong>in</strong>ks e<strong>in</strong> mikroskopisches<br />
Bild, <strong>in</strong> der Mitte<br />
das rekonstruierte und entrauschte<br />
Tomogramm, rechts<br />
<strong>die</strong> gesonderte Darstellung der<br />
Hauptbestandteile des Virus.<br />
FOTOS: PNAS USA 97, 14245-14250 (2000) UND PNAS USA 99, 14153-14158 (2002)<br />
FOTOS: SCIENCE 302, 1396-1398 (2003)<br />
Das Pr<strong>in</strong>zip gleicht dem der Computertomographie,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong><br />
allen großen Kl<strong>in</strong>iken gang und gäbe<br />
ist und es erlaubt, Schichtbilder vom<br />
Inneren des Menschen herzustellen.<br />
Dazu umkreisen e<strong>in</strong>e Röntgenquelle<br />
und e<strong>in</strong>e Kamera den Patienten. Die<br />
Kamera nimmt dabei Röntgenbilder<br />
aus vielen W<strong>in</strong>keln auf, <strong>die</strong> anschließend<br />
im Computer mite<strong>in</strong>ander<br />
komb<strong>in</strong>iert werden. So errechnen<br />
sich schließlich dreidimensionale<br />
Bilder, auf denen sich <strong>die</strong> <strong>in</strong>neren<br />
Organe zeigen. Das Verfahren ist<br />
heute technisch ziemlich ausgereift<br />
und liefert zuverlässige E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong><br />
den menschlichen Körper.<br />
Dies ist auch der Grund, warum man<br />
unter dem Elektronenmikroskop von<br />
jeher getrocknete Präparate betrachtet<br />
hatte, <strong>die</strong> meist <strong>in</strong> Kunststoff e<strong>in</strong>gebettet<br />
oder mit Schwermetallen fixiert<br />
und gefärbt waren.<br />
ZU VIELE ELEKTRONEN<br />
SIND DER ZELLE TOD<br />
Außerdem hält das fragile Gebilde<br />
e<strong>in</strong>er lebenden Zelle energiereiche<br />
Strahlung wie etwa Elektronen nur<br />
sehr begrenzt aus. Wird <strong>die</strong> Bestrahlungszeit<br />
und damit <strong>die</strong> Dosis zu<br />
hoch, „verkohlt“ <strong>die</strong> Zelle und ist für<br />
e<strong>in</strong>e weitere Untersuchung verloren.<br />
Die Erfahrung hat gezeigt, dass 2000<br />
schergruppen erste pr<strong>in</strong>zipielle Stu<strong>die</strong>n<br />
dazu, <strong>die</strong> jedoch wegen der damals<br />
verwendeten Technik <strong>in</strong> ihrer<br />
Anwendbarkeit äußerst limitiert waren.<br />
Erst im Laufe der neunziger Jahre<br />
hatten sich <strong>die</strong> Geräte- und vor allem<br />
<strong>die</strong> Computertechnik und Informatik<br />
so weit entwickelt, dass man<br />
allmählich an e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz für Auflösungen<br />
im Nanometerbereich auch<br />
bei <strong>in</strong>takten Zellen denken konnte.<br />
„Wahrsche<strong>in</strong>lich führen beim heutigen<br />
Stand des Wissens neue Methoden<br />
und Techniken häufiger zu<br />
Erkenntnisfortschritten als neue Hypothesen“,<br />
sagt Wolfgang Baumeister,<br />
der seit 1988 als Direktor am<br />
24 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />
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