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Lichtblicke in die Nanowelt - Max-Planck-Gesellschaft

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FOKUS<br />

Optische HORIZONTE<br />

<strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Institut für Biochemie<br />

<strong>die</strong> treibende Kraft des Tomographieprojekts<br />

ist. „Das steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sonderbaren<br />

Kontrast zu der verhältnismäßig<br />

ger<strong>in</strong>gen Wertschätzung, <strong>die</strong><br />

der methodisch orientierten Forschung<br />

zuteil wird.“ Es gab sogar<br />

Diskussionen darüber, ob <strong>die</strong> Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es bildgebenden Verfahrens<br />

überhaupt Aufgabe der <strong>Max</strong>-<br />

<strong>Planck</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> sei – oder ob<br />

nicht vielmehr <strong>die</strong> Industrie solche<br />

Tomographen entwickeln und herstellen<br />

müsse. Der Biophysiker gibt<br />

hierauf e<strong>in</strong>e klare Antwort: „Wenn<br />

<strong>die</strong> Industrie nicht willens ist, <strong>die</strong>ses<br />

Risiko e<strong>in</strong>zugehen und uns <strong>die</strong>jenigen<br />

Instrumente zur Verfügung zu<br />

stellen, <strong>die</strong> wir für unsere wissenschaftlichen<br />

Fragestellungen brauchen,<br />

dann müssen wir sie eben<br />

selbst produzieren.“ Man tat <strong>die</strong>s allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>in</strong> enger Kooperation mit<br />

e<strong>in</strong>schlägigen Firmen.<br />

„vakuumfähig“ zu machen und <strong>die</strong><br />

Zellen <strong>in</strong> ihrem natürlichen Zustand<br />

zu bewahren, wird es schockgefroren.<br />

Dazu br<strong>in</strong>gt man es blitzschnell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Flüssigkeit von m<strong>in</strong>us 196 Grad<br />

Celsius. Die Zellen kühlen so rasch<br />

ab, dass <strong>die</strong> Wassermoleküle <strong>in</strong> ihnen<br />

und um sie herum ke<strong>in</strong>e Zeit haben,<br />

Eiskristalle zu bilden. So bleiben <strong>die</strong><br />

fe<strong>in</strong>en Strukturen <strong>in</strong>takt – viele Zellen<br />

könnten sogar nach dem Auftauen<br />

weiterleben. Das Präparat befestigt<br />

man nun auf e<strong>in</strong>em speziellen Probenhalter,<br />

der es mit flüssigem Stickstoff<br />

kühlt, damit <strong>die</strong> Probe während<br />

der Untersuchung nicht auftauen<br />

kann. Da seit e<strong>in</strong>iger Zeit bekannt ist,<br />

dass Zellen der Strahlung umso besser<br />

standhalten, je kälter sie s<strong>in</strong>d, beg<strong>in</strong>nen<br />

<strong>die</strong> Mart<strong>in</strong>srieder Forscher<br />

neuerd<strong>in</strong>gs damit, <strong>die</strong> Proben noch<br />

weit unter <strong>die</strong> Stickstofftemperatur zu<br />

kühlen. Man benutzt dazu flüssiges<br />

Helium von m<strong>in</strong>us 269 Grad.<br />

Gruppen beschäftigen sich mittlerweile<br />

mit der Elektronentomographie.<br />

Konkurrenz belebt natürlich das<br />

Geschäft, doch noch haben wir e<strong>in</strong>en<br />

Wissensvorsprung.“<br />

PARALLELRECHNER<br />

„ENTSCHLEIERT“ DIE BILDER<br />

Im Gegensatz zur Computertomographie<br />

<strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik ist es bei der<br />

Elektronentomographie nicht s<strong>in</strong>nvoll,<br />

das Mikroskop rund um das Objekt<br />

zu führen. Hier wird <strong>die</strong> Zelle<br />

gedreht, während <strong>die</strong> „Lichtquelle“,<br />

also <strong>die</strong> Quelle der Elektronenstrahlen,<br />

an ihrem Platz bleibt. Das kl<strong>in</strong>gt<br />

e<strong>in</strong>fach, ist aber <strong>in</strong> der Praxis mit e<strong>in</strong>er<br />

Reihe von Problemen verbunden.<br />

So verschiebt sich bei jedem Kippschritt<br />

das Gesichtsfeld e<strong>in</strong> wenig –<br />

der Elektronenstrahl muss deshalb<br />

neu ausgerichtet und wieder genau<br />

auf das Objekt fokussiert werden.<br />

Würde man <strong>die</strong>s von Hand machen,<br />

FOTOS: BIOPHYSICAL JOURNAL 72, 1031-1042 (1998) UND JOURNAL OF STRUCTURAL BIOLOGY 138, 105-113 (2002)<br />

wäre <strong>die</strong> Zelle unter dem Elektronenbeschuss<br />

schon nach den ersten Bildern<br />

verkohlt.<br />

Die Mart<strong>in</strong>srieder nehmen e<strong>in</strong>e<br />

höchst empf<strong>in</strong>dliche CCD-Kamera<br />

und den Computer zu Hilfe. Er wertet<br />

bei jedem Schritt das registrierte Bild<br />

aus, positioniert <strong>die</strong> Zelle wieder exakt<br />

und fokussiert auf <strong>die</strong> richtige<br />

Stelle – alles automatisch. Und während<br />

der ganzen Zeit wird der Elektronenstrahl<br />

zur Seite abgelenkt und<br />

kann deshalb das Objekt nicht schädigen.<br />

„Auf <strong>die</strong>se Weise gel<strong>in</strong>gt es<br />

uns, rund 97 Prozent der Strahlendosis<br />

für das Aufnehmen der Bilder zu<br />

verwenden“, sagt Harald Engelhardt,<br />

„nur drei Prozent benötigen wir für<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>stellung des Mikroskops.“<br />

E<strong>in</strong>e weitere Schwierigkeit: Die<br />

Probe lässt sich nicht aus allen Richtungen<br />

durchleuchten; e<strong>in</strong> gewisser<br />

W<strong>in</strong>kel wird immer durch den Probenhalter<br />

verdeckt. Diese Daten fehlen<br />

später bei der Rekonstruktion der<br />

Bilder zum 3-D-Objekt. Neuerd<strong>in</strong>gs<br />

versuchen <strong>die</strong> Forscher, <strong>die</strong>se Informationslücke<br />

dadurch zu verr<strong>in</strong>gern,<br />

dass sie <strong>die</strong> Probe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigens<br />

konstruierten Dreh-Kipphalter nach<br />

e<strong>in</strong>er Bilderserie um 90 Grad drehen<br />

und dann e<strong>in</strong>e zweite Sequenz aufnehmen.<br />

S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Bilder erst e<strong>in</strong>mal im Kasten,<br />

sprich Computer, beg<strong>in</strong>nt <strong>die</strong><br />

zeitaufwändige Verarbeitung der Daten.<br />

Aufgrund der extrem ger<strong>in</strong>gen<br />

Dosis s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> E<strong>in</strong>zelbilder sehr verrauscht<br />

– oft erkennt das menschliche<br />

Auge darauf nur schemenhafte<br />

Schleier. Die Aufgabe der Mart<strong>in</strong>srieder<br />

Bildverarbeiter um Re<strong>in</strong>er Hegerl<br />

ist es nun, <strong>die</strong>se Schleier zu lüften<br />

und <strong>die</strong> Bilder so zu komb<strong>in</strong>ieren<br />

und aufzubereiten, dass man aus der<br />

Datenflut Objekte herausfiltern kann,<br />

<strong>die</strong> sich klar von der Umgebung abgrenzen<br />

lassen. „Man muss <strong>die</strong> relesellschaft<br />

<strong>in</strong> Garch<strong>in</strong>g sowie e<strong>in</strong>e<br />

Reihe leistungsfähiger Workstations<br />

im Institut.<br />

Ist das räumliche Bild der Zelle<br />

erst e<strong>in</strong>mal bestimmt und ersche<strong>in</strong>t<br />

auf dem Computerbildschirm, geht<br />

es darum, das Gewirr <strong>in</strong> ihrem Inneren<br />

zu gliedern und <strong>in</strong> fassbare<br />

Strukturen e<strong>in</strong>zuteilen – Segmentieren<br />

nennen das <strong>die</strong> Fachleute. Oft<br />

scheitert <strong>die</strong>se Methode jedoch daran,<br />

dass <strong>in</strong> der übervölkerten Zelle<br />

viele Prote<strong>in</strong>komplexe zu eng ane<strong>in</strong>ander<br />

liegen. Der Computer kann<br />

dann nicht mehr erkennen, wo der<br />

e<strong>in</strong>e aufhört und der nächste anfängt.<br />

Welche Enzyme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle<br />

arbeiten, ist zum großen Teil bekannt,<br />

und soweit man deren räumliche<br />

Struktur mit physikalischen<br />

Methoden – etwa der Röntgenstrukturanalyse<br />

oder der Elektronenmikroskopie<br />

– ermittelt hat, kennt man<br />

auch ihre Form. Diese Kenntnis wol-<br />

Die Entwicklung der zellulären<br />

Kryo-Elektronentomographie war e<strong>in</strong>e<br />

Sisyphusarbeit: Hatten <strong>die</strong> Forscher<br />

e<strong>in</strong> Problem gelöst, so tauchte<br />

meist gleich das nächste auf. Trotzdem<br />

ließ sich Baumeisters Team, das<br />

unter anderem aus Biologen, Chemikern,<br />

Physikern und Informatikern<br />

besteht, nicht entmutigen. Und so<br />

entstand e<strong>in</strong> Verfahren, das <strong>die</strong> neuesten<br />

technologischen Erkenntnisse<br />

und Fortschritte komb<strong>in</strong>iert.<br />

Zunächst gibt man <strong>die</strong> Lösung mit<br />

den Zellen, <strong>die</strong> man betrachten will,<br />

auf e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>es Netzchen, das so konstruiert<br />

ist, dass <strong>die</strong> Zellen nicht<br />

durchrutschen, trotzdem aber durch<br />

<strong>die</strong> Maschen h<strong>in</strong>durch sichtbar bleiben.<br />

Um das empf<strong>in</strong>dliche Objekt<br />

In elegantem Hellgrau präsentiert<br />

sich <strong>die</strong> neueste Errungenschaft des<br />

Instituts: Das heliumgekühlte Transmissions-Elektronenmikroskop<br />

namens<br />

„Polara“ steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bunker<br />

des eigens für <strong>die</strong> Elektronenmikroskopie<br />

errichteten Neubaus, der gegen<br />

Erschütterungen und elektromagnetische<br />

Felder von außen gut abgeschirmt<br />

ist. Unspektakulär sieht es<br />

aus, und für mehrere Millionen Euro<br />

kann jeder so e<strong>in</strong> Gerät kaufen. Dass<br />

gerade <strong>die</strong> Forscher rund um Wolfgang<br />

Baumeister derart aufregende<br />

Bilder damit machen können, liegt<br />

an ihrer umfassenden Erfahrung.<br />

„Das Gebiet ist heute für viele Wissenschaftler<br />

attraktiv“, sagt Jürgen<br />

M. Plitzko, „und e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

„Schnappschüsse“ aus<br />

e<strong>in</strong>em zellulären Tomogramm<br />

nach 3-dimensionaler<br />

Bildanalyse e<strong>in</strong>es<br />

vollständig <strong>in</strong> Eis e<strong>in</strong>gebetteten<br />

Archaebakteriums<br />

(Pyrodictium abyssi):<br />

Sichtbar s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> regelmäßig<br />

geformte Oberflächenschicht<br />

(hellblau),<br />

e<strong>in</strong>e Gruppe von Vesikeln<br />

(dunkelblau) und<br />

e<strong>in</strong> „Röhrchen“ (ebenfalls<br />

dunkelblau). Außerdem<br />

erkennt man verschiedene<br />

an <strong>die</strong> Vesikel<br />

angelagerte Prote<strong>in</strong>komplexe<br />

(weiß).<br />

Trotzdem ist es noch e<strong>in</strong>e Herkulesarbeit<br />

für den Computer, <strong>die</strong>se<br />

Komplexe im Inneren der Zelle auszumachen.<br />

Es ist das alte Problem,<br />

das Informatiker mit dem „Blick <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en Werkzeugkasten“ umschreiben:<br />

Der Mensch ist <strong>in</strong>tuitiv <strong>in</strong> der<br />

Lage, auf e<strong>in</strong>en Blick zum Beispiel<br />

e<strong>in</strong>en Schraubenschlüssel aus der<br />

Fülle anderer Werkzeuge herauszuf<strong>in</strong>den.<br />

Der Rechner kann das nicht.<br />

Er muss mühsam das Bild des Werk-<br />

„Polara“, e<strong>in</strong><br />

Transmissionselektronenmikroskop<br />

der neuesten<br />

Generation,<br />

ermöglicht neben<br />

der herkömmlichen<br />

Stickstoffauch<br />

Heliumkühlung.<br />

Am <strong>Max</strong>-<br />

<strong>Planck</strong>-Institut<br />

für Biochemie<br />

wird <strong>die</strong>ses Gerät<br />

seit Anfang 2003<br />

zur Aufzeichnung<br />

von Kippserien für<br />

<strong>die</strong> Tomographie<br />

verwendet.<br />

FOTO: MPI FÜR BIOCHEMIE<br />

vanten Daten erkennen und vom<br />

überlagernden Rauschen befreien“,<br />

schildert Harald Engelhardt das Vorgehen,<br />

„wir erproben zur Zeit unterschiedliche<br />

Verfahren. Die Astronomen<br />

haben übrigens ähnliche Probleme,<br />

wenn sie w<strong>in</strong>zige Lichtsignale<br />

aus dem Rauschen des Nachthimmels<br />

herausfiltern wollen.“<br />

Gigabyte von Informationen müssen<br />

bei <strong>die</strong>ser Aufgabe transportiert,<br />

durchforstet und gegene<strong>in</strong>ander verrechnet<br />

werden. Noch vor wenigen<br />

Jahren wären <strong>die</strong> Computer an <strong>die</strong>ser<br />

gigantischen Aufgabe gescheitert.<br />

Erst heute stehen potente Parallelrechner<br />

zur Verfügung, etwa e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>ux-Cluster<br />

<strong>in</strong> Mart<strong>in</strong>sried, das Rechenzentrum<br />

der <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Gelen<br />

<strong>die</strong> Mart<strong>in</strong>srieder Forscher nutzen,<br />

um <strong>die</strong> Muster bestimmter Molekülkomplexe<br />

<strong>in</strong> den 3-D-Datensätzen<br />

zu f<strong>in</strong>den.<br />

DER COMPUTER<br />

MUSS ALLES ERTASTEN<br />

26 M AXP LANCKF ORSCHUNG 4/2003<br />

4/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 27

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