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64. JAHRGANG – AUGUST 2013 – NR. 8<br />

ISSN 1861- 9746 Verkaufspreis: 3,- Euro H 6114<br />

Schlesischer Gottesfreund<br />

NACHRICHTEN UND BEITRÄGE AUS DEM EVANGELISCHEN SCHLESIEN<br />

Altar der Lutherkirche in Biala<br />

Foto: Edgar Kraus, Cottbus


114<br />

GEISTLICHES WORT<br />

GEISTLICHES WORT<br />

„Erkennet doch, dass der Herr<br />

seine Heiligen wunderbar führt”<br />

Predigt beim Deutschlandtreffen<br />

der Schlesier S. 114<br />

BEITRÄGE<br />

Rückblick –<br />

Schlesischer Kirchentag und<br />

Deutschlandtreffen der Schlesier S. 115<br />

„Brich den Hungrigen dein Brot” S. 117<br />

Flucht und Vertreibung<br />

als individuelles und<br />

kollektives Schicksal S. 121<br />

Jenseits von Oder und Neiße –<br />

Das alte Ostdeutschland im<br />

Spiegel der DDR-Literatur S. 123<br />

BUCHEMPFEHLUNG S. 125<br />

HUMOR S. 126<br />

VERANSTALTUNGEN S. 126<br />

AUS DER LESERGEMEINDE S. 127<br />

REISEIMPRESSIONEN S. 128<br />

Vom10.6. – 16.6.2013: fand unter dem<br />

Thema „150 Jahre Innere Mission/<br />

Diakonie in Schlesien“ eine Standortstudienreise<br />

nach Oberschlesien, Tschechien<br />

und ins Teschener Land statt. Das<br />

Titelbild und die hintere Umschlagseite<br />

wollen hiervon einen kleinen Eindruck<br />

vermitteln.<br />

Fotos S. 128: Edgar Kraus; Cottbus.<br />

Predigt beim Deutschlandtreffen der Schlesier am 23. Juni 2013 in Hannover Messegelände<br />

„Erkennet doch, dass der Herr seine Heiligen wunderbar führt”<br />

DR. CHRISTIAN-ERDMANN SCHOTT<br />

Liebe Gemeinde,<br />

alt und älter gewordene Schlesier neigen zum Bilanzieren.<br />

In der Regel sind es runde und halbrunde Geburtstage oder<br />

familiäre Jubiläen, die sie nutzen, um rückblickend eine<br />

vorläufige Bilanz ihres Lebens zu ziehen. Das ist nichts<br />

Ungewöhnliches. Andere Altersgenossen tun das auch. Der<br />

Unterschied besteht allerdings darin, dass die Schlesier<br />

von einem ganz anderen Leben berichten als etwa die Einheimischen.<br />

Heimatverlust, Flucht und Vertreibung, Neuanfang,<br />

häufige Demütigungen nach der Ankunft in der<br />

Bundesrepublik Deutschland sind Ereignisse, die nun<br />

schon Jahrzehnte zurückliegen, für uns, die wir diese Zeit<br />

mit unseren Eltern durchgestanden haben, sind sie bis<br />

heute prägend, für nicht wenige immer noch quälend und<br />

bedrückend. Das erklärt, warum bis ins Alter, bis in den<br />

späten Abend des Lebens, alle die Fragen, die für unsere<br />

Generation wichtig waren, weiterhin da sind, ja durch das<br />

Bedürfnis, das Ganze wenigstens in einem persönlichen<br />

Resümee zusammen zu fassen und auf den Punkt zu bringen,<br />

manchmal sogar noch eine Zuspitzung und Intensivierung<br />

erfahren.<br />

Die Briefe von Mitgliedern der „<strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong><br />

Schlesier (Hilfskomitee) e.V.” während der letzten<br />

zehn, fünfzehn Jahre – in der Regel Antworten auf Gratulationen<br />

– in denen sich Äußerungen zu dieser Thematik<br />

finden, zeigen, wie wichtig vielen Schlesiern diese Fragen<br />

sind, wie sehr sie das alles beschäftigt. Ganz von sich aus,<br />

ohne Aufforderung haben sie das Bedürfnis, ihre diesbezüglichen<br />

Gedanken freimütig und gern mitzuteilen. Dabei<br />

wird immer wieder deutlich, dass die Bilanzen ganz unterschiedlich,<br />

ja gegensätzlich ausfallen können.<br />

Zwei Tendenzen allerdings treten besonders deutlich<br />

hervor: Die eine zum Beispiel wird vertreten von einem<br />

älteren Herrn: „…ich … reise viel. Leider ist meine Heimat<br />

Schlesien nicht mehr mein Reiseziel: Jede Reise dorthin<br />

hat mir körperliche Schmerzen in der Herzgegend bereitet.<br />

Die Verbitterung ist einfach zu groß! Leider bin ich nicht<br />

tief genug im christlichen Glauben verwurzelt, um verzeihen<br />

zu können – obwohl sich diese Verbitterung nicht auf<br />

einzelne Menschen bezieht" (Nov. 2006).<br />

Die andere Tendenz wurde vertreten durch eine inzwischen<br />

verstorbene ältere Dame: „Ich habe viel zu danken,<br />

wenn ich daran denke, wie Gott mich durch viel Schweres<br />

hindurch geleitet hat; schon in meinen frühesten Kinderjahren.<br />

Ich durfte in einer Kinderheimat von Mutter Eva<br />

von Tiele-Winckler aufwachsen, habe sie auch selbst gekannt,<br />

weil sie ja immer die Kinderheimaten besuchte. Mit<br />

welcher Liebe wir erzogen wurden und durften von der<br />

Liebe Jesus lernen” (März 2007).<br />

Die Frage stellt sich: Wie kommt es, dass zwei<br />

Menschen unserer Generation ihr Vertriebenenschicksal so<br />

unterschiedlich, ja gegensätzlich sehen und verstehen Die<br />

nahe liegende Vermutung, dass der ältere Herr in seiner<br />

Kindheit vielleicht schlimmere Dinge erlebt hat als die<br />

Dame und darum so verbittert ist, scheidet m. E. aus. Wenn<br />

es so wäre, dass sehr schwerwiegende Erlebnisse, Bedrohungen<br />

und dergleichen ganz automatisch in Hass, erträglichere<br />

Umstände in Verständnis einmünden, wäre die Freiheit<br />

des Menschen aufgehoben. Wie bei einem Automaten<br />

wäre ab einer bestimmten Stufe Hass angesagt. Der<br />

Mensch ist aber auch durchaus fähig, nicht zu hassen.<br />

Begründet kann vielmehr vermutet werden, dass die gegensätzlichen<br />

Bewertungen darauf zurückzuführen sind,<br />

dass die beiden Briefschreiber die Zeit ab 1945 unterschiedlich<br />

wahrgenommen haben. Der alte Herr hat die<br />

Vertreibung als böse Tat von Russen und Polen erlebt. Seitdem<br />

fühlt er sich durch die Erinnerungen an diese Zeit gedemütigt,<br />

ohnmächtig und ehrlos, den Siegern und ihren<br />

Launen ausgeliefert. Diese Erfahrung verdüstert den Blick<br />

auf die schlesische Heimat, in der er das alles erlebt hat.<br />

Er erwartet eine Entschuldigung, die aber bleibt aus. Und<br />

von sich aus kann er seine Verbitterung nicht überwinden.<br />

Anders die Dame. Sie betont auch „das Schwere”, was<br />

sie erleben musste. .Aber sie bringt eine zusätzliche Dimension<br />

ins Spiel: Sie erleidet das Schwere als ein Mensch,<br />

der mit Gott im Gespräch ist. Dadurch ist ihre Sicht geteilt.


BEITRÄGE 115<br />

Sie ist nicht ausschließlich auf Polen und Russen fixiert,<br />

sieht nicht nur die „Feinde”, sondern weiß sich beheimatet<br />

bei Gott. Sein Wort ist ihre Leitlinie. Und so – mit Gott im<br />

Herzen – geht sie aus Schlesien heraus. Sie nimmt den<br />

Glauben an Gott mit. In diesem Glauben sieht sie sich nicht<br />

aufgerufen zum Hass gegen Polen und Russen, sondern zur<br />

Annahme ihres Schicksals aus den Händen Gottes. Dieser<br />

Friede im Glauben an Gott bedeutet, ihre Seele ist ungebrochen.<br />

Und das war der unsichtbare Schatz, den die<br />

Flüchtlinge und Vertriebenen bei sich trugen und mitbrachten.<br />

Aber es waren nicht nur Unterschiede in der Wahrnehmung,<br />

die in den Bilanzen der Menschen von damals auftauchen.<br />

Für die Urteilsbildung und Bewertung war auch<br />

der Umgang mit dem Bösen entscheidend. Der ältere Herr<br />

ist überwältigt von der Stärke und Sieghaftigkeit des Bösen.<br />

Jedes mal, wenn er nach Schlesien reiste, spürte er bis<br />

ins Körperliche hinein die Verbitterung darüber, dass sich<br />

das Böse so erfolgreich durchgesetzt und behauptet hat:<br />

Sein Bericht klingt denn auch zornig und traurig.<br />

Anders die Dame. Ganz im Sinn unsres Predigttextes<br />

blickt sie dankbar zurück auf die Führung durch Gott in<br />

schwerer Zeit. Dabei stützt sie sich auf den Glauben an die<br />

Liebe Gottes. Diesen Glauben trägt sie seit den Tagen in<br />

der Kinderheimat der Mutter Eva von Tiele-Winckler in<br />

sich. Er ist unerschütterlich, aber angefochten durch die<br />

Maßnahmen der Militärregierungen von Russen und Polen.<br />

Es gelingt ihr, an die Liebe Gottes zu glauben, weil sie<br />

Gott und Christus abgenommen hat, dass ihr Weg und ihr<br />

Handeln so gemeint ist. Das heißt, sie unterstellt Gott die<br />

gute, liebende Absicht mit den Menschen, ist damit allerdings<br />

auch gezwungen, nach Belegen für diese Güte zu suchen.<br />

Die Suche auf der Basis des Gottvertrauens gibt sich erst<br />

zufrieden, wenn es ihr gelingt, einer unter Umständen auch<br />

bösen Sache einen guten Bezug abzugewinnen. Auf diese<br />

Weise kann Böses in Sinn und Segen verwandelt werden.<br />

Aber wir werden auch verwandelt. Diese Verwandlung<br />

beginnt damit, dass ich bereit bin, das Schicksal nicht nur<br />

hinzunehmen, sondern im Glauben an seiner Verwandlung<br />

und Umsetzung in Sinn und Segen zu arbeiten; oder anders:<br />

wenn ich erkenne: Wir sind nicht nur Empfänger des<br />

Schicksals, sondern gestalten es mit, damit alles einen<br />

guten Sinn bekommt. In diesem Verständnis ist der Glaube<br />

an die Führung Gottes kein passiver, sondern ein aktiver,<br />

tätiger Glaube. Es ist der Glaube, der die Liebe Gottes in<br />

allem festhält.<br />

Spätestens hier, liebe Gemeinde, muss ich allerdings<br />

auch Protest anmelden. Protest gegen eine allzu sichere<br />

Frömmigkeit, die sich zur selbsternannten Deuterin der<br />

göttlichen Absichten aufschwingt und dabei Gott doch nur<br />

ihre eigenen Gedanken unterstellt, Dabei denke ich zum<br />

Beispiel an die nach 1945 vielfach geäußerte Meinung,<br />

dass die Vertreibung eine Strafe Gottes für die Verbrechen<br />

der Deutschen in der NS-Zeit sei. Das ist eine sehr nahe liegende<br />

Deutung. Aber wissen wir wirklich, ob Gott das will<br />

und denkt Es wäre bescheidener, wenn wir bei allen Deutungen<br />

und Unterstellungen nicht zu viel sagten. Das Geheimnis<br />

des Handelns Gottes in der Geschichte bleibt damit<br />

gewahrt. Und der Predigttext ist damit ebenfalls zu seinem<br />

Recht gekommen. Denn im Grunde besagt der Satz<br />

aus Psalm 4 dasselbe; „Erkennet doch, dass der Herr seine<br />

Heiligen wunderbar führt” (Ps. 4,4).<br />

Amen <br />

Rückblick<br />

Schlesischer Kirchentag und Deutschlandreffen der Schlesier<br />

CHRISTIAN-ERDMANN SCHOTT<br />

Es waren zwei für die „<strong>Gemeinschaft</strong>” wichtige Ereignisse,<br />

die in diesem Sommer dicht hintereinander<br />

stattgefunden haben: Vom 5.-9. Juni der Schlesische<br />

Kirchentag in der evangelischen Tagungsstätte Kreuzbergbaude<br />

Jauernick-Buschbach bei Görlitz und vom 21.-23.<br />

Juni das Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover.<br />

Von unserer Seite sind beide mit fast ausschließlich ehrenamtlichen<br />

Kräften durchgeführt worden. Und beide haben<br />

bei den Teilnehmern eine erfreulich hohe Zustimmung und<br />

Anerkennung gefunden.<br />

Den erfolgreichen Abschluss dieser Veranstaltungen<br />

nehme ich zum Anlass zu einem Rückblick und um im<br />

Namen des Vorstandes der „<strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong><br />

Schlesier (Hilfskomitee)” e. V. allen, die dabei mitgewirkt<br />

und sich so außerordentlich eingesetzt haben, noch einmal<br />

öffentlich und herzlich zu danken<br />

Für den Präsidenten des Schlesischen Kirchentages,<br />

Landespfarrer i. R. Dr. Hans-Ulrich Minke, gestaltete sich<br />

die Vorbereitung dieses Mal so schwierig und langwierig<br />

wie noch nie. Das lag hauptsächlich an den Problemen, die<br />

die Landesarbeitsgemeinschaften mit der Delegierung hatten.<br />

Wen sollten, wen konnten sie als Vertretung zum Kirchentag<br />

schicken Das Alter, der Gesundheitszustand, anderweitige<br />

Verpflichtungen und Verhinderungen der Mitglieder<br />

machten die Auswahl schwierig. Hinzu kommt,<br />

dass bei einigen LAGen der Vorstand nur noch rudimentär<br />

besetzt und begrenzt arbeitsfähig ist. Mit bewundernswerter<br />

Ausdauer und viel Phantasie ist es Dr. Minke – in<br />

„Tateinheit” und mit kräftiger Unterstützung durch den<br />

stellvertretenden Präsidenten des Schlesischen Kirchentages,<br />

Schuldekan a. D. Georg Burkert – dann doch gelungen,<br />

ein sehr würdiges und ansehnliches Plenum zusammenzubringen.<br />

Dazu kamen die Ehrengäste, die den Kirchentag durch<br />

Ihre Präsenz und ihre Ansprachen auszeichneten. Zu nennen<br />

sind hier besonders Konsistorialpräsident Ulrich See-


116<br />

BEITRÄGE<br />

Evangelischer Gottesdienst beim Deutschlandtreffen<br />

Fotos: K.-U. Vogel<br />

Pfarrerin D. Cunow, Ritter des Johanniterordens und der Vorsitzende<br />

der <strong>Gemeinschaft</strong> Dr. C.-E. Schott Fotos: K.-U. Vogel<br />

lemann von der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg-schlesische<br />

Oberlausitz in Berlin; Bischof Ryszard Bogusz aus<br />

Breslau, Generalsuperintendent Martin Herche aus Görlitz,<br />

Janus Witt vom Kirchenvorstand Breslau, Pfarrerin Petra-<br />

Edith Pietz für die Diakonie der schlesischen Oberlausitz,<br />

Superintendent Dr. Thomas Koppehl vom Verein für Schlesische<br />

Kirchengeschichte e.V. und Oberin Irmgard Stolz<br />

für das Diakonissenmutterhaus Frankenstein-Wertheim/M.<br />

Dr. Minke seinerseits dankte seinem Stellvertreter, Georg<br />

Burkert, dem Vorstand, den Damen der Geschäftsstelle<br />

in Porta Westli<strong>ca</strong> und Oberkonsistorialrätin i. R. Margrit<br />

Kempgen (Görlitz). Sie war bei den Vorbereitungen für<br />

den Kirchentag vor Ort und dann bei der Durchführung<br />

ständig im Einsatz – ich denke hier vor allem an die<br />

Führungen im Rahmen der verschiedenen Ausstellungen<br />

und an den „Abend der Begegnung” im Wichernhaus.<br />

Danken möchten wir aber auch Pfarrer Dr. Hans-<br />

Wilhelm Pietz für die mit Humor gewürzte Andacht in der<br />

Peterskirche, dem Chor der Peterskirchengemeinde unter<br />

der Leitung von KMD Reinhard Seeliger, der den<br />

Abschieds-Abendmahls-Gottesdienst mit seinem kraftvollen<br />

Gesang bereicherte. Die Predigt unseres Präsidenten<br />

war dann zugleich Höhepunkt und Abschluss dieses 12.<br />

schlesischen Krchentages, der in dieser Art dann auch der<br />

Gut besucht: der Stand der <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong> Schlesier – auch von jungen Menschen!<br />

Letzte gewesen ist. Nach den eingangs geschilderten Erfahrungen,<br />

ist verständlich, dass Präsident Dr. Minke den Antrag<br />

gestellt hat, der Schlesische Kirchentag möge das Delegationsprinzip<br />

aufgeben und sich in Zukunft als Mitgliederversammlung<br />

konstituieren. Die notwendigen Änderungen<br />

der Satzung wurden auf den Weg gebracht. Abschließend<br />

wurde Dr. Minke unter dem Beifall der Delegierten mit<br />

der Goldenen Ehrennadel der „<strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong><br />

Schlesier (Hilfskomitee)” e.V. ausgezeichnet.<br />

Nur knapp zwei Wochen später folgte das Deutschlandtreffen<br />

der Schlesier. Bis zum Jahr 2005 fand es in Nürnberg<br />

statt, seit 2007 ist es wieder in Hannover, im Partnerbundesland<br />

der Schlesier. Die Veranstaltungen sind weitgehend<br />

im Messegelände konzentriert. Veranstalter ist die<br />

Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien.<br />

Das „Heimatwerk Schlesischer Katholiken” und die „<strong>Gemeinschaft</strong><br />

<strong>evangelischer</strong> Schlesier” sind aber eingeladen<br />

und gebeten, dort Gottesdienste zu halten – und zwar einen<br />

gemeinsamen ökumenischen zur Eröffnung und je einen<br />

katholischen und einen evangelischen Festgottesdienst<br />

am Sonntagvormittag.<br />

Mit dieser Umstellung, das heißt seit der Rückkehr des<br />

Schlesiertreffens aus Franken und der Neuaufstellung in<br />

Foto: K.-U. Vogel


BEITRÄGE 117<br />

Hannover weiß sich die LAG Hannover-Braunschweig-<br />

Schaumburg/Lippe unter der Leitung von Oberstudienrat<br />

i. R. Christoph Scholz für die organisatorische Vorbereitung<br />

und die möglichst problemlose Durchführung unserer<br />

Beteiligung verantwortlich; mit der Folge, dass sie inzwischen<br />

über eine gut eingeübte Professionalität verfügt.<br />

Diese Professionalität war auch in diesem Jahr wieder<br />

sehr entlastend zu spüren für alle, die wir woanders wohnen<br />

und uns an den Vorbereitungen kaum beteiligen konnten. Sie<br />

zeigte sich in der Einrichtung und Besetzung eines Info-<br />

Standes in der Messehalle, direkt neben dem „Heimatwerk”,<br />

der guten Zuspruch fand. Sie zeigte sich aber vor allem bei<br />

den Vorbereitungen rund um den Festgottesdienst – bei der<br />

Beschaffung und Aufstellung eines Altarkreuzes in der<br />

schmucklosen Münchner Halle, auch von Blumenschmuck,<br />

bei der Verteilung von Liedblättern, der Einsammlung und<br />

Zählung der Kollekten, in der Bereitschaft zu schneller Hilfe<br />

im Bedarfsfall. Christoph Scholz hat das alles souverän geleitet<br />

und in unerschütterlicher Ruhe fest in der Hand gehalten.<br />

Das war für die Beteiligten, gerade auch für mich als<br />

Prediger, sehr beruhigend.<br />

Danken möchte ich auch Pfarrerin Dietlinde Cunow und<br />

den Rittern der Schlesischen Genossenschaft des Johanniterordens,<br />

die sich am Gottesdienst und an den Lesungen beteiligten<br />

und den Bläsern der Kirchenmusikschule Herford unter<br />

der Leitung von Rainer Meyer-Arend, die uns sicher durch<br />

die für sie fremde Liturgie bis zum guten Ende begleitet<br />

haben – schließlich auch Klaus Christian Röhrbein für die<br />

von ihm im Anschluss an den Eröffnungsgottesdienst durchgeführte<br />

gut besuchte ökumenische Gesprächsrunde<br />

„Christsein in Schlesien heute”. <br />

„Brich den Hungrigen dein Brot”<br />

Herausforderungen für Kirche und Diakonie in der niederschlesischen Oberlausitz<br />

angesichts wachsender Individualisierung und Liberalisierung<br />

PFARRERIN PETRA-EDITH PIETZ, VORSTAND STIFTUNG MARTINSHOF ROTHENBURG DIAKONIEWERK<br />

Foto: Martinshof<br />

1. Professionalisierung<br />

diakonischer Handlungsfelder<br />

War es in DDR-Zeiten so, dass die diakonischen Einrichtungen<br />

wohlwollend geduldet waren – kümmerten sie sich<br />

doch hauptsächlich um alte Menschen und Menschen mit<br />

Behinderung, die für den Staat keinen volkswirtschaftlichen<br />

Nutzen hatten, so wuchs nach der politischen Wende<br />

ein Bewusstsein dafür, dass es mehr diakonische Handlungsfelder<br />

gibt, die jetzt mit staatlicher Unterstützung und<br />

gesetzlichen Leistungen angepackt werden können und<br />

dem Subsidiaritätsprinzip entsprechen.<br />

Dazu gehörten die Zivildienstschulen und jetzigen Freiwilligendienste<br />

(FSJ und BFD), gehören die Kinder- und Jugendsozialarbeit,<br />

die ambulanten Dienste, Bildungs- und Begegnungsstätten,<br />

Beratungsarbeit vom Schwangerschaftskonflikt<br />

bis hin zur Suchtprävention, vom Frauen- und Kinderschutzhaus<br />

bis zur Tagespflege. In der Liga der Freien<br />

Wohlfahrt hat die Diakonie eine wichtige Stimme. Die<br />

Marke „Diakonie” gilt es in der schlesischen Oberlausitz<br />

und darüber hinaus fest zu verankern.<br />

Die diakonischen Einrichtungen unserer Region sind<br />

für Arbeitsuchende mit entsprechender Ausbildung gute<br />

Arbeitgeberinnen, auch wenn der angewandte Tarif nicht<br />

immer zu 100% durchgehalten werden kann und Ausgründungen<br />

von Serviceleistungen in 100%ige Tochtergesellschaften<br />

verlockend erscheinen. In der schlesischen Oberlausitz<br />

finden <strong>ca</strong>. 2000 Menschen in diakonischen Einrichtungen<br />

Arbeit. Die unternehmerische Diakonie ist somit in<br />

der Region eine wichtige Arbeitgeberin. Neben den erforderlichen<br />

Fachkräften kommen viele Menschen als Hilfskräfte<br />

in Lohn und Brot. Die Bindung der Menschen hier<br />

an Hof und Scholle ist hoch, selbst wenn die Jungen zur<br />

Ausbildung woanders hingehen, kommen doch etliche nach<br />

einigen Jahren zurück, was den demografischen Wandel dennoch<br />

nicht aufhalten wird.<br />

Der Altersdurchschnitt ist besonders in den pflegerischen<br />

Berufen hoch, so daß wir versuchen müssen, sukzessive<br />

ältere Mitarbeitende durch jüngere zu ersetzen: durch<br />

Umsetzen in einen anderen Arbeitsbereich z.B. – was nur<br />

sehr begrenzt möglich ist (Fachlichkeit, Gehalt, Stellenumfang<br />

u.s.w.). Um körperliche und mentale Belastungen<br />

zu minimieren, legen wir Wert auf Schulungen und Weiterbildungen,<br />

die dann auch durch die jeweilige Einrichtung<br />

finanziell gefördert werden.


118 BEITRÄGE<br />

Welche Folgen hat nun die Professionalisierung innerhalb<br />

der Diakonie für die Kirchengemeinden Schaut man sich<br />

das Fortbildungsprogramm der Bundesakademie für Kirche<br />

und Diakonie (Burckhardthaus) an, finden sich Angebote wie<br />

„Kirchengemeinden im Gemeinwesen entwickeln und gestalten<br />

– Von der Gemeindediakonie zur Gemeinwesendiakonie”;<br />

„Älter werden in Dorf und Quartier – Demografischer<br />

Wandel”; „Netzwerkarbeit als Schlüssel zur Gemeinwesendiakonie”<br />

…. u.s.w. Was mit solchen Angeboten<br />

deutlich wird: Es kann gar nicht alle diakonische Arbeit<br />

von der unternehmerisch arbeitenden Diakonie geleistet<br />

werden; es braucht immer das freiwillige, ehrenamtliche<br />

Arbeiten, um den Gedanken der christlichen Nächstenliebe<br />

erfahrbar und wirkmächtig in unser Lebens- und Arbeitsumfeld<br />

zu tragen. Mit dem Kirchenzusammenschluß von<br />

EKiBB und EKsOL zur EKBO wurde das Diakonische<br />

Werk der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz<br />

aufgelöst. Übrig blieb im Kirchenkreisverband niederschlesische<br />

Oberlausitz eine Arbeitsstelle für Diakonie, die<br />

ihren Briefkasten in Görlitz in der Schlaurother Straße 11<br />

und einen nichtselbständigen Vorstand hat, der Zinserträge<br />

aus den eingebrachten Rücklagen in Projekte und Regelförderungen<br />

ausreicht.<br />

Frage: Würde es nicht Sinn machen, wenn evangelische<br />

Schlesier/innen aus Ost und West eine Förderstiftung ins<br />

Leben rufen,die an die Arbeitsstelle angedockt ist, um mit<br />

finanzieller Unterstützung den Herausforderungen unserer<br />

Zeit und Region besser begegnen zu können und so das<br />

Evangelium in Wort und Tat zu den Menschen bringt<br />

Haupteingang Martinshof Rothenburg<br />

2. Besser gemeinsam als einsam oder<br />

Zusammen ist man weniger allein<br />

Wenn Touristen durch Görlitz gehen oder sogar in die kleineren<br />

ländlich geprägten Städte wie Reichenbach, Niesky,<br />

Rothenburg, Bad Muskau, Ruhland kommen, dann werden<br />

sie feststellen, daß viel öffentliches und auch privates Geld<br />

in die Rekonstruktion alter Bausubstanz, in Marktplätze<br />

und öffentliche Räume investiert wurde. Was nicht bedacht<br />

wurde vor 15 Jahren, daß der demografische Wandel bestimmte<br />

Anforderungen an Wohnen und Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben alter und hochbetagter Menschen<br />

mit sich bringt. Das fällt den Kommunen jetzt auf die Füße.<br />

Deshalb ist es für diakonische Träger interessant, ja mehr<br />

noch eine Pflicht, nach guten Finanzierungsmöglichkeiten<br />

zu suchen, um zusammen mit Wohnungsbaugesellschaften,<br />

Kommunen und dem Land Modelle des „Daheimbleibenkönnens”<br />

bzw. des Zusammenseins zu entwickeln. So<br />

schön es ist, weitgehend selbstbestimmt im hohen Alter in<br />

den eigenen vier Wänden sein zu können, darf nicht unterschätzt<br />

werden, dass sehr viele allein in diesen vier Wänden<br />

sind. Auch hier gilt es ein Netzwerk von professioneller<br />

Hilfe durch diakonische Träger und ehrenamtliches<br />

Engagement von Kirchengemeinden stärker zu knüpfen.<br />

Ein gutes und gelungenes Beispiel dafür ist das Soziale<br />

Zentrum St. Barbara in Schleife in der Trägerschaft des<br />

Martinshofes. Hier ist in Zusammenarbeit mit dem Energieunternehmen<br />

Vattenfall, der Kommune, der Kirchengemeinde<br />

und dem Martinshof ein Treffpunkt, Verweil- und<br />

Kommunikationsort für alte Menschen entstanden – mitten<br />

Foto: Martinshof


BEITRÄGE<br />

119<br />

Restaurant im Martinshof<br />

in einem Mehrgenerationenwohnkomplex. Kurzzeitpflege,<br />

Tagespflege und Sozialstation unter einem Dach – ein Angebot<br />

im ländlichen Raum, das durch seine Nähe zum Ort<br />

mit Einkaufsmöglichkeiten, Cafe, Apotheke und Arzt genau<br />

auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt ist. Am<br />

29. April konnten wir es unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit<br />

seiner Bestimmung übergeben. Ein Ausflug dahin<br />

lohnt sich!<br />

Ähnlich verhält es sich mit der in aller Munde geführten<br />

Debatte um Inklusion. Menschen mit Behinderung sind<br />

mitgestaltend und mitverantwortlich im Blick auf die Entwicklung<br />

unserer Gesellschaft: Wohnen, Arbeiten, Partnerschaft,<br />

Geld, Freizeit, Wahlrecht – das alles sollen Menschen<br />

mit Behinderung frei und selbstbestimmt wählen,<br />

ausüben und händeln. Also nicht mehr das Wohnheim allein<br />

und die geschützte Werkstatt, der Heimbewohnerurlaub<br />

und das Freizeitwerk einer Einrichtung bilden das Lebensumfeld<br />

von Menschen mit Behinderung ab. Je nach<br />

Hilfe- und Assistenzbedarf leben sie Tür an Tür mit mir<br />

und Ihnen, sitzen im Theater oder Kino neben uns, bedienen<br />

im Restaurant, fahren einen Gabelstapler im mittelständischen<br />

Unternehmen, gehen mit anderen Kindern in die<br />

Regelschule, erfahren eine vergleichbare medizinische Betreuung<br />

in Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten<br />

und Ärztinnen. Hierzu ein Beispiel: Die drei Stiftungen<br />

Diakoniesozialwerk Lausitz, Diakonie Görlitz und Martinshof<br />

Rothenburg (inclusive MVZ Martinshof) haben zusammen<br />

mit der Orthopädischen Klinik Martin-Ulbrich<br />

Krankenhaus in Rothenburg ein besonderes Projekt gestartet,<br />

das die medizinische Versorgung von Menschen mit<br />

Behinderung in den Fokus rückt. Es geht darum, zum einen<br />

Standards zu entwickeln, die eine optimale medizinische<br />

Versorgung von Menschen mit Mehrfachbehinderung im<br />

ambulanten und stationären Bereich gewährleisten und<br />

zum anderen geht es darum, den Nachweis des finanziellen<br />

Mehrbedarfs auf Grund von Betreuungs- und Pflegeaufwand<br />

gegenüber den Kassen zu erbringen. Das Projekt ist<br />

auf vier Jahre angelegt und soll Modellcharakter haben.<br />

Foto: ANN<br />

Inklusion betrifft alle Lebensbereiche und die ganze Gesellschaft<br />

ist gefragt. Noch ist unsere Gesellschaft auf das,<br />

was Inklusion meint, in der Fläche nicht vorbereitet. Andererseits<br />

sind diakonische Einrichtungen keine geschlossenen<br />

Anstalten mit hohen Zäunen, sondern es vollzieht<br />

sich in ihnen eine Art gemeinschaftlichen Lebens, die sich<br />

viele wünschen: der private Raum für die individuelle Lebensführung<br />

ist ebenso vorhanden, wie die Möglichkeit,<br />

mit anderen zusammen zu sein.<br />

3. Es wächst zusammen, was zusammen gehört …<br />

Ein konzertiertes Zusammenrücken vielleicht sogar Verschmelzen<br />

von großen diakonischen Trägern mit ähnlichem<br />

Profil und ähnlicher Organisationsstruktur halte ich<br />

für unsere Region angezeigt. Die demografische Entwicklung<br />

und die Fachkräftesituation könnten entspannter angegangen<br />

werden und im Verbund wären wir gegenüber den<br />

anderen Anbietern der Wohlfahrtspflege gut aufgestellt. In<br />

der Öffentlichkeit könnte die Marke Diakonie und auch<br />

eine Stärkung der Ortsgemeinden bzw. der Kirche überhaupt<br />

nachhaltig vorangetrieben werden. (siehe Arbeitsstelle<br />

Diakonie) Effizienz in Verwaltung und Bewerbung der<br />

Dienstleistungen wären gegeben, innerdiakonische Konkurrenzen<br />

ausgespart.<br />

4. Fundraising und Spendengewinnung<br />

am Beispiel des Martinshofes<br />

Natürlich geht es darum, für die Arbeit auch Geld einzuwerben.<br />

Dabei ist der pekuniäre Gewinn nur ein Aspekt. Es<br />

geht in erster Linie darum, Freunde und Freundinnen, Fürsprecher/innen<br />

für diakonisch-unternehmerisches Handeln<br />

zu gewinnen. Das Loben der eigenen Arbeit ist immer irgendwie<br />

verdächtig, wenn Nutznießer von angebotenen<br />

Dienstleistungen und deren Angehörige oder auch Kirchengemeinden<br />

das Lob aussprechen, erfährt es eine andere<br />

Gewichtung. Der Martinshof hat in den vergangenen<br />

Jahren Spender/innen verloren: Alter und Tod sind dafür<br />

die Hauptursache. Es ist nicht gelungen, in gleicher Anzahl


120<br />

BEITRÄGE<br />

NeuspenderInnen zu gewinnen, da sich das Spendenverhalten<br />

der Menschen verändert hat, z.B. spenden die Leute<br />

eher projektbezogen, d.h. einmalig oder in einer besonderen<br />

Notsituation (siehe Hochwasser in 2010 mit zweimaliger<br />

Evakuierung des gesamten Martinshofes). Ein Großspender<br />

hat sich auf Grund der Wirtschaftskrise seit 2009<br />

zurückgezogen mit der Option die Spende wieder einzusetzen,<br />

sobald es dem Unternehmen besser geht. Der gute bauliche<br />

Zustand der gesamten Einrichtung signalisiert nicht<br />

„Bedürftigkeit”. Professionalität in der Öffentlichkeitsarbeit<br />

und in der Spendengewinnung ist nur bedingt vorhanden<br />

und müsste finanziell anders aufgestellt sein. Dennoch<br />

wird es für die Zukunft wichtig sein eine Anzahl von Großspendern<br />

mit einem jährlichen Engagement zwischen 5000<br />

und 20.000 Euro zu finden, um besondere Qualitätsmerkmale<br />

unserer Arbeit zu etablieren, bzw. auszubauen; dazu<br />

gehört auch das Einwerben von Vermächtnissen und Anlassspenden;<br />

als Beispiele seien genannt: das Martins-Hoftheater,<br />

der Ausbau der Begleitung von an Demenz erkrankten<br />

Menschen, Angebote im Freizeitbereich, die den<br />

Inklusionsgedanken berücksichtigen, geistliche und seelsorgerliche<br />

Begleitung für Menschen mit speziellem Hilfebedarf,<br />

Förderung von Mitarbeitenden, die sich zum Diakon<br />

und zur Diakonin ausbilden lassen wollen.<br />

5. Ausblick mit Vergewisserung<br />

Brich den Hungrigen dein Brot – als unternehmerische Diakonie<br />

in der schlesischen Oberlausitz sind wir zusammen<br />

mit den Kirchengemeinden und diakonisch missionarischen<br />

Initiativen Statthalterinnen für das Soziale in einer<br />

Gesellschaft, die mit ihrem Streben nach Individualisierung<br />

droht, das Solidaritätsprinzip zu verlieren und einer Liberalisierung<br />

Raum gibt, die die Schwachen immer weiter an<br />

den Rand auch der öffentlichen Wahrnehmung drängt. In<br />

dieser Weise haben wir einen prophetischen Auftrag, wie er<br />

in dem Jesajawort beschrieben ist.<br />

Und wir müssen dafür einstehen, daß Jesu Wort „Meine<br />

Kraft ist in den Schwachen mächtig” zwar zuerst ein urchristlich/jüdisches<br />

Anliegen aufzeigt, dessen Umsetzung<br />

in den gesellschaftlichen Alltag aber eben auch die Gesellschaft<br />

gestalten und prägen kann; eine Gesellschaft, in der<br />

der das einzelne Individuum sich in Verantwortung sieht<br />

für das Miteinander. Solchem verantwortungsbewusstem<br />

Handeln ist eine Verheißung geschenkt, die sich an ein kollektives<br />

„Du” richtet: „Wenn du die Hungrigen dein Herz<br />

finden lässt, … dann wird dein Licht hervorbrechen wie die<br />

Morgenröte und deine Heilung wird schnell voran schreiten;…<br />

dein Licht wird in der Finsternis aufleuchten; Gott<br />

wird dich führen immerdar und dich stärken; … du wirst<br />

sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle,<br />

der es nie an Wasser fehlt; durch dich wird aufgebaut werden,<br />

was lange wüst gelegen hat, und du wirst aufrichten;…<br />

und du sollst heißen: der die Lücken schließt und die Wege<br />

ausbessert, dass Menschen da wohnen können.” (nach<br />

Jes.58)<br />

Der vorstehende Beitrag wurde von Pfarrerin Pietz als<br />

Vortrag während des SchlesischenKirchentages gehalten. <br />

Der Martinshof aus der Vogelperspektive<br />

Foto: Martinshof


BEITRÄGE 121<br />

Flucht und Vertreibung als individuelles und kollektives Schicksal<br />

GOTTHARD SCHOLZ-CURTIUS<br />

Den nachfolgenden Beitrag hat der Verfasser als Vortrag<br />

im Rotary Club DA-Kranichstein am 22. März 2013 gehalten.<br />

In aller Knappheit fasst er die wesentlichen Aspekte<br />

des gestellten Themas zusammen und gibt anhand sorgfältiger<br />

Literaturrecherche Auskünfte, die des Nachdenkens<br />

lohnen. Im Wesentlichen bezieht er sich auf die nachfolgend<br />

genannten Publikationen: Stefan Aust und Stephan<br />

Burgdorff (Hg): Die Flucht, dtv München 2005; R. M. Douglas:<br />

Ordnungsgemäße Überführung, München 2012; Ian<br />

Kershaw: Das Ende, 2. Aufl. München 2011. (Anm. d. Red.)<br />

Vorbemerkung<br />

Hitlers Politik und Krieg hat zu Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen<br />

größten Ausmaßes in den von der Wehrmacht<br />

eroberten Gebieten geführt. Die Zahl wird mit etwa 10 Millionen<br />

ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener<br />

beziffert. Diese Politik war zunächst im „Generalplan Ost”,<br />

später umfassender im „Generalsiedlungsplan” mit einer<br />

kalkulierten Verlustquote von 32 Mio. Russen zusammengefasst.<br />

Dazu kam die Vertreibung und Zwangsumsiedlung bis<br />

zur physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im<br />

ganzen von Hitler besetzten Europa. Ich möchte dies bewusst<br />

an den Anfang setzen, bevor ich auf die Flucht und<br />

Vertreibung in den Jahren 1944-47 aus den damaligen<br />

Reichsgebieten jenseits der Oder/Neiße zu sprechen komme.<br />

I. Aufbruch aus Frankenstein/ Schlesien<br />

Am 24. Januar 1945 begann unsere Flucht aus Frankenstein.<br />

Wir waren zu dritt, meine Mutter, mein Bruder (4)<br />

und ich (5½). Wir hatten schon den Vortag bei einigen Grad<br />

Kälte auf dem Bahnhof verbracht, ohne dass es uns gelungen<br />

war, in einen Zug zu gelangen. Der Bahnsteig war<br />

schwarz von Menschen. Schließlich konnten wir am Abend<br />

einen Zug besteigen, dessen Fensterscheiben zerbrochen<br />

waren. Er brauchte bis Königszelt die ganze Nacht, eine<br />

Strecke, die man normalerweise in 50 Minuten zurücklegt.<br />

Wir gelangten nach Lauban (etwa 140 km), wo wir bei<br />

Verwandten unterkamen. Infolge der eiskalten, zugigen<br />

Nachtfahrt wurden wir alle drei erst einmal krank.<br />

Lauban war bereits mit Flüchtlingen überfüllt, die aus<br />

Breslau evakuiert worden waren. Wenige Tage später kam<br />

meine Tante, die in der Sparkasse arbeitete, mittags nach<br />

Hause mit der Nachricht: „Russische Panzer bei Bunzlau.<br />

Frauen und Kinder sollten sofort die Stadt verlassen.” Das<br />

taten wir dann auch, obwohl mein Bruder noch fieberte. In<br />

Falkenberg wieder 4-5 Stunden Aufenthalt. Meine Mutter<br />

mit dem kranken Bruder im Bahnhofsgebäude, ich musste<br />

das Gepäck auf dem Bahnsteig bewachen. – Soweit der<br />

Bericht meiner Mutter vom Beginn unserer Flucht, den sie<br />

25 Jahre später verfasst hat. An viele Einzelheiten kann ich<br />

mich selbst noch gut erinnern.<br />

II. Flucht und Vertreibung als kollektives Schicksal<br />

Am 21. Oktober 1944 überschritten sowjetische Panzer die<br />

Grenze von Ostpreußen. Damit begann der Exodus der<br />

deutschen Bevölkerung aus den östlichen Reichsgebieten.<br />

Die ländliche Bevölkerung floh zumeist in Planwagen in<br />

endlosen Trecks über verschneite Straßen und unter Beschuss<br />

aus der Luft. Ein Teil nimmt den Weg über das vereiste<br />

Haff, um die Häfen an der Ostsee zu erreichen. Bekannt<br />

ist der Untergang der „Gustloff” durch die Torpedos<br />

eines sowjetischen U-Boots mit heute geschätzten 9000 Toten,<br />

von der Zahl derOpfer her die größte Schiffskatastrophe.<br />

Über die maritime Evakuierung sind zwischen 1-2<br />

Millionen Flüchtlinge nach Westen transportiert worden.<br />

Auch die in ostpreußischen Nebenlagern des KZ<br />

Stutthof festgehaltenen jüdischen Menschen erlebten und<br />

erlitten „kaum vorstellbare Tage des Schreckens” (Jan<br />

Kershaw: Das Ende, S. 266). Auf ihrem Marsch durch Eis<br />

und Schnee, „gekleidet in wenig mehr als Lumpen und<br />

Holzpantoffeln” und bewacht von SS und Mitgliedern der<br />

Organisation Todt, sollten sie schließlich in einen stillgelegten<br />

Bergwerksschacht getrieben und der Eingang versiegelt<br />

werden. Der Grubendirektor weigerte sich jedoch, die<br />

Schächte zu öffnen. Sie wurden am Ende auf das Eis und in<br />

das eiskalte Wasser getrieben und mit Maschinengewehrsalven<br />

niedergemäht. Von ursprünglich 7000 Gefangenen<br />

überlebten 200.<br />

Eine besondere Rolle bei der Flucht spielte Gauleiter<br />

Erich Koch, der eine rechtzeitige Evakuierung von Ostpreußen<br />

strikt verbot. Seine Ehefrau und Sekretärin ließ er<br />

jedoch in Sicherheit bringen. Die meisten Familien griffen<br />

zur Selbsthilfe. Für viele war es dann schon zu spät.<br />

Ein eigenes Schicksal hatte auch Breslau, die schlesische<br />

Hauptstadt. Sie war von Hitler zur Festung erklärt<br />

worden und sollte bis zum letzten verteidigt werden. Anfang<br />

April 1945 ging der Flugplatz Gandau verloren. Somit<br />

konnte die Stadt nicht mehr aus der Luft versorgt werden.<br />

Da wurden mit Planierraupen ganze Straßenzüge abgeräumt,<br />

um eine Notlandebahn zu schaffen. Am 2. April<br />

löschten ununterbrochene Luftangriffe fast die ganze Innenstadt<br />

aus. Gauleiter Hanke lehnte es ab, sich zu ergeben.<br />

Wegen seiner persönlichen Führung ehrte Hitler ihn mit<br />

dem Goldenen Kreuz des Deutschen Ordens. Am 4. Mai –<br />

wenige Stunden vor der Kapitulation Breslaus – verließ der<br />

„Held” die Stadt mit einem Fieseler Storch, wahrscheinlich<br />

dem einzigen Flugzeug, das von der Notlandebahn in der<br />

Stadt abhob. (Jan Kershaw: Das Ende, S. 442/3).<br />

III. Weitere Flucht bis zur Ankunft im Westen<br />

Wir sind nach unserem Aufbruch aus Frankenstein über<br />

fünf Stationen ( Mertendorf, Könnern, Salzwedel, Aschersleben<br />

und Hilmsen ) schließlich nach knapp zwei Jahren im<br />

November 1946 in der amerikanischen Zone in Wertheim<br />

gelandet. Ich habe noch die brennenden Leunawerke und<br />

den stark beschädigten Leipziger Hauptbahnhof in Erinnerung.<br />

Jedes Mal, wenn wir in Leipzig unsere Kinder und<br />

Enkel besuchen, kommen die Eindrücke von der Flucht<br />

wieder hoch. Einige Monate haben wir bei Verwandten in<br />

Mertendorf im Pfarrhaus gewohnt, mit einigen Konflikten


122<br />

BEITRÄGE<br />

über die Aufteilung der Lebensmittelkarten. In Hilmsen<br />

waren wir bei der sehr netten Rektorenfamilie Mohr im<br />

Schulhaus untergebracht, die uns ihr großes Schlafzimmer<br />

überließen. Meine Mutter hatte schon 1945 Passierscheine<br />

für die britische Zone zu ihrer Schwester nach Hamburg<br />

erwirkt. Als wir uns damit auf den Weg machten, rückten<br />

die Russen 150 km weiter nach Westen vor. Wir kamen nur<br />

bis Aschersleben, nicht mehr weiter ... „Der Eiserne Vorhang<br />

ist heruntergelassen” , hieß es schon damals. Ich habe<br />

mir das ganz wörtlich so vorgestellt.<br />

1946, ein weiterer V ersuch, in den Westen zu gelangen.<br />

Als Bäuerin mit einer Kiepe verkleidet hat meine Mutter<br />

die Grenze schwarz überquert, um eine Zuzugsgenehmigung<br />

für uns in die amerikanische Zone zu den Großeltern<br />

zu erwirken. Diese waren nach ihrer Flucht aus Schlesien<br />

schließlich in einer Flüchtlingssiedlung in Wehrmachtskasernen<br />

in Wertheim angekommen. Nach vier Wochen erhielten<br />

wir die ersehnte Zuzugsgenehmigung in die amerikanische<br />

Zone. Fünf Tage brauchten wir im November<br />

1946 von Hilmsen nach Wertheim mit Grenzübertritt bei<br />

Eisenach. Ein Lageraufenthalt blieb uns erspart, da meine<br />

Mutter eine Fürsorgerin kannte, die uns die Papiere für den<br />

Übergang in die Westzonen ohne Lageraufenthalt besorgte.<br />

Mir hatten schon die Übernachtungen in den Riesenschlafsälen<br />

der Bahnhofsmission mit all den unvermeidbaren Geräuschen<br />

gereicht. Ich habe aufgeatmet, als wir nach fünf<br />

Tagen schließlich in Wertheim morgens um 6 Uhr angekommen<br />

waren. Es gab frische Brötchen in einer Bäckerei.<br />

Mit dieser Stärkung ließ sich auch der Aufstieg auf den<br />

Reinhardshof bewältigen. Wir sind dann bei den Großeltern<br />

in deren Küche untergekommen und haben dort gut drei<br />

Jahre gelebt. Die drei Ami-Pritschen für uns haben fast<br />

vollständig den Raum ausgefüllt.<br />

IV. Wilde und organisierte Vertreibungen<br />

Neben der Flucht aus den Reichsgebieten jenseits der Oder/<br />

Neiße gab es „wilde” und „organisierte” Vertreibungen. Nach<br />

dem Potsdamer Abkommen sollte es „geordnete und humane<br />

Umsiedlungen” geben. In Wirklichkeit waren die Vertreibungen<br />

seit drei Monaten bereits im Gange. Die polnische<br />

Regierung war auf die Planung der Aussiedlung nicht vorbereitet.<br />

Es gab keinen Plan fiir das schnelle Sammeln und<br />

Transportieren von Millionen von Menschen. Die Transporte<br />

von Deutschen aus Danzig begannen im April 1945 und<br />

waren eher freiwillig als erzwungen. Das wurde anders im<br />

Juni, als militärische Direktiven die Vertreibung der deutschen<br />

Bevölkerung anordneten. Teilweise gab es Vorschriften,<br />

dass nur 20 kg Gepäck mitgeführt werden durfte. Pferde<br />

und Ochsenkarren wurden an der Grenze beschlagnahmt. Es<br />

war eine Prozession des Elends. „Während der 5 Wochen auf<br />

der Straße lebten wir nur von Kartoffeln und Feldfrüchten,<br />

die wir selbst ausgruben”, so ein Flüchtlingsbericht (zit. nach<br />

R. M. Douglas: Ordnungsgemäße Überfiihrung, S. 143). Neben<br />

den Plünderungen wurde auch den Frauen Gewalt angetan.<br />

Andere Vertreibungen wurden in Güterwaggons durchgeführt,<br />

nach einem Bericht mit 98 Personen in einem Waggon,<br />

14 Tage auf der Fahrt nach Berlin, die hygienischen und humanitären<br />

Umstände waren unbeschreilich.<br />

V. Die Internierungslager<br />

Tausende improvisierte Internierungslager fiir Deutsche<br />

entstehen in Mitteleuropa in den Wochen nach dem Rückzug<br />

der Wehrmacht: in der Tschechoslowakei, in Polen,<br />

Jugoslawien, Ungarn und Rumänien. Viele KZ des Nazi-<br />

Regimes wurden erst gar nicht geschlossen, sondern dienten<br />

noch jahrelang als Internierungslager für Deutsche, so<br />

z.B. Majdanek und Theresienstadt. In Auschwitz lagen<br />

zwischen der Befreiung der letzten überlebenden Häftlinge<br />

und der Ankunft der ersten deutschen Häftlinge keine zwei<br />

Wochen. Das Lager Linzervorstadt wird von Douglas als<br />

typisch für tausende improvisierte Internierungslager bezeichnet,<br />

die in ganz Mitteleuropa entstanden. Es war während<br />

des Krieges vom Reichsarbeitsdienst genutzt. Einige<br />

Verwalter und Lagerwachen waren vor kurzem noch selbst<br />

Häftlinge in deutschen KZ gewesen, andere waren 15-18<br />

jährige jungeMänner, die als „Partisanen” bezeichnet wurden.<br />

Über dem Lagertor von Linzervorstadt stand das<br />

Motto: „Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Neuankömmlinge<br />

wurden nackt ausgezogen und durch Schläge mit Gummiknüppeln<br />

ins Lagerleben „eingeführt”. Ein katholischer<br />

Priester hatte einem Sterbenden die Sakramente gegeben,<br />

dafür erhielt er zweimal 50 Schläge mit einem daumendikken<br />

Stahldraht auf Rücken, Brust und Gesäß.<br />

Nach einem anderen Bericht fanden die Torturen zumeist<br />

zwischen 21 und 22 Uhr statt. Auch wurden frühere<br />

Gefangene in die Waschräume eingeladen, um diejenigen<br />

zu verprügeln, „gegen die sie aus früherer Zeit einen Groll<br />

verspürten.” Das Lagersystem war vielgestaltig und ausgedehnt.<br />

In Mittel- und Südosteuropa zeigte sich viel Improvisation.<br />

Lokale Behörden, Volksmiliz oder selbsternannte<br />

Bürgerkomitees richteten Internierungslager ein, und zwar<br />

auch in Sportstadien, verlassenen Fabriken, Kirchen oder<br />

Wohnhäusern. Klare Kriterien für eine Internierung lassen<br />

sich nicht feststellen. Anweisungen, dass Alte, Schwangere<br />

oder Behinderte ausgenommen werden sollten, wurden fast<br />

immer ignoriert. Auch Opfer des NS-Regimes internierte<br />

man, ebenso 2-3000 Juden, die sich einmal als Deutsche<br />

hatten registrieren lassen. Andere hatten als politische Gefangene<br />

den Krieg ganz oder teilweise in KZ zugebracht<br />

und wurden ebenfalls interniert. Selbst das blonde Haar eines<br />

14-jährigen Niederländers genügte, um ihn als „deutsch”<br />

einzustufen und ihn nach Auschwitz III zu schicken.<br />

Es gab aber auch Kinderlager wie z.B. im ehemaligen<br />

KZ Bunzlau wo 1200 Jungen im Alter zwischen 12 und 15<br />

Jahren als Zwangsarbeiter für den Straßenbau eingesetzt<br />

wurden. Douglas fasst sein Kapitel über die Lager dahingehend<br />

zusammen, dass 1945 für internierte Menschen das<br />

höchste Risiko bestand, an vermeidbaren Krankheiten zu<br />

sterben, gefoltert oder hingerichtet zu werden. Auch die<br />

Zahl der sexuellen Übergriffe war sehr hoch. Zahlen sind<br />

sehr schwer zu ermitteln. Douglas formuliert: „Während<br />

die Gefangenenzahl der deutschen Konzentrationslager<br />

Anfang 1945 mit 700.000 ihren Höhepunkt erreichte,<br />

könnte die Zahl der in Europa in ähnlichen Einrichtungen<br />

eingesperrten Menschen am Ende des Jahres noch höher<br />

gelegen haben.” (Ordnungsgemäße Überführung, S. 174).


BEITRÄGE 123<br />

VI. Zahlen<br />

In keiner der zum Thema „Flucht und Vertreibung” herangezogenen<br />

Darstellungen fand ich belastbare Zahlen zur<br />

Anzahl der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen. Man<br />

ist also auf Schätzungen angewiesen. Die meisten Schätzungen<br />

bewegen sich zwischen 10 und 14 Mio. Bei dieser<br />

Sachlage kann man nur auf die Seriosität der Schätzer abstellen.<br />

Bei dem deutschen Historiker Hans-Ulrich Wehler<br />

und dem amerikanischen Historiker R.M. Douglas fand ich<br />

die Angaben: rund 14 Mio Deutsche und „Volksdeutsche<br />

(Wehler: Die Flucht, S. 10) und die Zahl 12 bis 14 Mio bei<br />

Douglas (Ordnungsgemäße Überführung, S. 13). Zur Verteilung<br />

fand ich über Google (Wikipedia) folgende geschätzte<br />

Zahlen: SBZ 4,4 Mio, amerikanische Besatzungszone<br />

knapp 3 Mio, britische Besatzungszone 3,3 Mio und französische<br />

Besatzungszone 0,06 Mio. Ob dabei auch Wanderungsbewegungen<br />

zwischen den Zonen – also z.B. wie in<br />

unserem Fall 1946 von der SBZ in die amerikanische Zone<br />

– berücksichtigt worden sind, kann nicht gesagt werden.<br />

VII. Zusammenfassung<br />

1. Douglas kommt zu dem Ergebnis, dass fiir den Rest der<br />

Welt außerhalb Deutschlands die Geschichte der Vertreibungen<br />

„das am besten gehütete Geheimnis des Zweiten<br />

Weltkriegs ist.” (Ordnungsgemäße Überführung, S.14). Das<br />

hängt auch damit zusammen, dass die Vertreibungsländer<br />

ausschließlich als Opfer und nicht auch als Täter gesehen<br />

werden möchten.<br />

2. Es handelte sich um die größte Zwangsumsiedlung in der<br />

Menschheitsgeschichte (Douglas, S.17). Zusammen mit den<br />

weiteren, von Hitler und Stalin Zwangsumgesiedelten, Deportierten<br />

und Gefangenen bildete dies einen traurigen Rekord<br />

in der Geschichte.<br />

3. Nicht zuletzt durch den Aufbauwillen und die Leistungsbereitschaft<br />

der Vertriebenen ist das deutsche Wirtschaftswunder<br />

ermöglicht worden. Dabei geschah die Aufnahme<br />

im Reichsgebiet diesseits der Oder/Neiße u.a. in weitgehend<br />

zerstörten Großstädten.<br />

4. „Deportation” war ein Anklagepunkt bei den Nürnberger<br />

Kriegsverbrecherprozessen. Dazu Bertrand Russel: „Sind<br />

Massendeportationen Verbrechen, wenn sie von unseren<br />

Feinden während des Krieges durchgeführt werden, und gerechtfertigte<br />

Maßnahmen sozialer Anpassung, wenn unsere<br />

Verbündeten sie im Frieden veranlassen” (zit. nach Douglas,<br />

a.a.O. S. 357).<br />

5. Die Vertreibungen sind Teil der unsäglichen europäischen<br />

Geschichte der Kriegs- und Nachkriegszeit. So ist es besonders<br />

hervorzuheben, dass zwei Generationen später Vertreiber<br />

wie Vertriebene in der Europäischen Union zusammengeschlossen<br />

sind. Möglicherweise war der absolute<br />

Tiefpunkt der Schlüssel für die heutige Lösung. <br />

Jenseits von Oder und Neiße<br />

Das alte Ostdeutschland im Spiegel der DDR-Literatur<br />

GEORG K. SCHMELZLE<br />

Erst ein Jahr nach dem Mauerfall wurde bekannt, dass<br />

allein vier Millionen ehemalige Ost- und Sudetendeutsche<br />

auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mit<br />

ihren Nachfahren lebten. Weitere zwei Millionen waren<br />

von 1945 bis zum 13. August 1961 (Mauerbau in Berlin)<br />

weiter nach Westen geflohen. Auch von den Schriftstellern<br />

und Dichtern der DDR sind genau ein Viertel jenseits von<br />

Oder/Neiße und südlich des Erzgebirges geboren, wenn wir<br />

in der DDR-offiziellen Sammlung DICHTER IM FRIE-<br />

DEN von 1986 nachlesen.<br />

Natürlich sind dabei die zwei Dutzend Literaten unberücksichtigt,<br />

die man mit der Zeit aus dem „Arbeiter- und<br />

Bauernstaat” herausgeekelt hatte, weil sie nicht linientreu<br />

schrieben. Nur sieben Schriftsteller waren im Westen und<br />

Süden Deutschlands geboren und stellten sich nach<br />

Kriegsende den Sowjets zur Verfügung, darunter so bedeutende<br />

wie Anna Sehgers (Mainz), Berthold Brecht<br />

(Augsburg) und die Gebrüder Hermann und Uwe Kant<br />

(Hamburg). Sie wollten helfen, den Sozialismus auf deutschem<br />

Boden in den Kommunismus überzuleiten und sahen<br />

bewusst keine Internierungslager, Vergewaltigungen<br />

oder andere Übergriffe der „sowjetischen Befreier”. Diejenigen,<br />

die aus dem Deutschen Osten stammten, hatten es<br />

sehr schwer aus ihrer Jugendzeit zu schöpfen, sie konnten<br />

höchstens von der Ausbeutung der Arbeiter und Bauern<br />

durch die adeligen Gutsbesitzer und „Kapitalisten” schreiben.<br />

Geschickt gelöst hat dieses Problem Johannes<br />

Bobrowski in seinen LITAUISCHE CLAVIERE, die das<br />

Lokalkolorit von Preußisch-Litauen östlich von Gumbinnen<br />

schilderte mit der Benachteiligung dieser „Litauer”<br />

durch die „deutschen Kolonisten”. Darum wurde er auch<br />

im Westen Deutschlands verlegt, weil er einen Gegenpol zu<br />

der umfänglichen Vertriebenenliteratur in den Westzonen<br />

und später in der Bundesrepublik darstellte, die die<br />

Schönheit der alten Heimat verklärt schilderte und Flucht<br />

und Vertreibung drastisch beschrieb. Günter Grass tat das<br />

aber erst 2001 in KREBSGANG!<br />

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass im<br />

Kommunismus nur parteiliche Schriftsteller gebraucht und<br />

geduldet wurden. Anna Sehgers hat das schon in dem<br />

Geleitwort im aufwendigen Bildband DICHTER IM FRIE-<br />

DEN (1986) formuliert: „Denn es begann mit dem Frieden<br />

der Anteil des Buches am friedlichen, antiimperialistischen<br />

Denken. Viel ist getan. Als ich aus der Emigration zurück-


124<br />

BEITRÄGE<br />

kam und man zeigte mir unterwegs in Schweden DAS<br />

SIEBTE KREUZ im Aufbau Verlag, so kurz nach dem<br />

Krieg – ich war (und bin) nicht blasiert genug um nicht froh<br />

darüber zu sein.”<br />

Die Machthaber in der „sowjetisch besetzten Zone<br />

Deutschlands” hatten sehr früh erkannt, wie wichtig<br />

Schriftsteller für die Verbreitung ihrer Ideologie waren.<br />

Erich Weinert war ja bereits seit 1942 im Nationalkomitee<br />

Freies Deutschland (NKFD) und die „Gruppe Ulbricht”<br />

flog mit fertigen Schulbüchern in Berlin-Karlshorst am 2.<br />

Mai 1945 ein. Die Kommunisten, die nach England und in<br />

die USA emigriert waren, kamen (Jürgen Kuczynski, Anna<br />

Sehgers, Berthold Brecht, Stefan Heym) in den kommunistisch<br />

kontrollierten Teil Deutschlands zurück und stellten<br />

sich den Ideologen bewusst zur Verfügung. Der tote Gerhart<br />

Hauptmann wurde an seinen Urlaubsort nach<br />

Hiddensee überführt (1946) und durch eine Ansprache von<br />

Johannes R. Becher mit einem Begräbnis geehrt – es störte<br />

die Kommunisten keinesfalls, dass Hauptmann auch mit<br />

den braunen Machthabern ausgekommen war, man wollte<br />

ihn nur vereinnahmen.<br />

Im westlichen Deutschland erschien eine Fülle von<br />

Flüchtlings- und Vertriebenenliteratur, sicher von den<br />

Besatzungsmächten im „Kalten Krieg” begünstigt. Die<br />

Amerikaner gaben sogar einem nationalen Kabarett eine finanzielle<br />

Startförderung, das sich für die Wiederbewaffnung<br />

einsetzte. Bereits bekannte Schriftsteller durften wieder<br />

schreiben auch wenn sie nicht aus Deutschland emigriert<br />

waren. Ich nenne nur Agnes Miegel, Erich Edwin<br />

Dwinger, Wilhelm Pleyer; Hugo Scholz, Hans Watzlik,<br />

Guido Kolbenheyer, Hans Schober, Frank Thiess, Bruno<br />

Brehm u.a. Sie schilderten, wie sie durch den Krieg und die<br />

Vertreibung gekommen waren. Dwinger hatte mit seiner<br />

FLUCHT AUS OSTPREUSSEN 1950 eine hohe Auflage.<br />

Nicht zu vergessen die vielen Berichte über die Endkämpfe<br />

in den „Festungen” und die „Millionenrettung über die<br />

Ostsee”. Das Zerbrechen der „Anti-Hitler-Koalition”<br />

machte es möglich.<br />

Bald schrieb auch schon die jüngere Generation und<br />

schöpfte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit im Osten. Denken<br />

wir nur an Siegfried Lenz, Günter Grass, Horst Bienek,<br />

Jochen Hofbauer, Christine Brückner und mundartliche<br />

Schreiber; ich nenne nur stellvertretend für viele den Sudetenschlesier<br />

Viktor Heeger .<br />

Es wurden auch lange verstorbene Schriftsteller neu<br />

aufgelegt, z.B. Gustav Freytag (1816- 1895) mit „Soll und<br />

Haben” (1865) und DIE AHNEN, Hermann Sudermann mit<br />

dem KATZENSTEG oder auch Werner Keller mit DREI<br />

MÄNNER IM SCHNEE. Bildbände über die ostdeutschen<br />

Provinzen hatten hohe Auflagen. Verlage wie Wilhelm<br />

Gottlieb Korn (Augsburg früher Breslau) und der Rautenberg-Verlag<br />

in Leer/Ostfriesland setzten sich durch. Einheimische<br />

Verlage versuchten zu kopieren und an dem<br />

Geschäft teilzuhaben.<br />

Selbst Illustrierte wie der STERN brachten Sondernummern.<br />

Die Heimatblättchen der Vertriebenen brachten als<br />

Monatsperiodika und „Jahresbuchkalender” immer mundartliche<br />

Heimatgeschichten und bestehen immer noch, fast<br />

70 Jahre nach Flucht und Vertreibung – eine kulturelle<br />

Höchstleistung der Vertriebenen begleitet von wissenschaftlicheren<br />

Veröffentlichungen über die Bauten- und Kulturleistungen<br />

in den Ostprovinzen und dem Sudetenland.<br />

In der DDR waren dagegen die Namen der ostdeutschen<br />

Landschaften, das Sudetenland und auch die Worte „Vertreibung”<br />

und „Deportation” Unworte. Bereits die wenigen<br />

lizensierten Kinder- und Jugendzeitschriften – BUMMI,<br />

ATZE und ABC-Zeitung – schrieben einheitlich nur von<br />

„Umsiedlern”, „Neubauern” und „Antifaschisten”. „Zuzügler”<br />

von östlich der Oder galten immer als verdächtig:<br />

„Sie fuhren als Schieber nach West-Berlin und wurden oft<br />

von ihren alten Ausbeutern aufgehetzt, die als Rittergutsbesitzer<br />

unter einer Decke mit den westdeutschen Imperialisten<br />

und Kriegstreibern steckten.”<br />

In der Literatur waren diese Gebiete nur als altes polnisches<br />

und tschechisches Land darzustellen, selten, dass die<br />

neuen slawischen Ortsnamen übersetzt wurden. Die „Oder-<br />

Neiße-Linie” war ab 1950 als „Friedensgrenze” zu feiern<br />

und als Folge des „faschistischen Überfalls” auf Polen, die<br />

Tschecho-Slowakei und die Sowjetunion darzustellen, oder<br />

die Provinzen mussten als urslawisches, von jenen zurück<br />

gewonnenes Land geschildert werden.<br />

Wie vorsichtig formulierte der 1926 in Oberschlesien<br />

geborene Werner Heiduczek in seiner Novelle VERFEH-<br />

LUNG (1976) mit der Herkunft seiner Hauptfigur Elisabeth<br />

Bosch: „… sie kam mit einem der Schübe, von denen unser<br />

Jahrhundert voll ist, aus dem Böhmischen nach Sachsen“<br />

und das in einer Novelle, die mutig im Hintergrund die<br />

Unmenschlichkeit der „Mauer” thematisierte. Denn Elisabeth<br />

Bosch lernt einen westdeutschen Besucher in ihrem<br />

durch Braunkohlenabbau geschädigten Dorf kennen. Sie<br />

will die Karrieren ihrer beiden Kinder als Redakteur und<br />

Lehrerin nicht gefährden und sie kommt mit ihm zu der<br />

Lösung, dass er von Hamburg nach West-Berlin zieht und<br />

sie sich für gelegentliche Treffen in Ost-Berlin ein Zimmer<br />

anmieten. Werner Heiduczek – ein immer noch überzeugter<br />

Sozialist – hat sich leider nach der Wende ganz von der<br />

Schriftstellerei zurückgezogen, weil er meint, nun keine<br />

Leser mehr erreichen zu können.<br />

Ganz vorsichtig musste man bis zum 200. Todestag<br />

(1986) mit Friedrich dem Großen und dem Staat Preußen<br />

sein. Entweder hat sich der unfehlbare Staatsratsvorsitzende<br />

versprochen oder man wollte 1981 zumindest die preußischen<br />

Arbeitstugenden und das Stammland für die Identität<br />

der DDR reklamieren. Das Reiterstandbild Friedrich<br />

des Großen wurde aus seinem Versteck im Park von Sanssouci<br />

hervorgeholt und auf dem alten Platz „Unter den<br />

Linden” wieder aufgestellt. Nun waren er und Preußen wieder<br />

ein positives Thema in der historischen Forschung und<br />

der Literatur der DDR. Selbst Bundespräsident Richard<br />

von Weizsäcker hielt eine bemerkenswerte Rede zu diesem<br />

Gedenktag, die ohne die angemeldeten Besitzansprüche der<br />

DDR auf diesen großen König wohl nicht gehalten worden<br />

wäre. Sehr geschickt zu Werke ging schon vorher (1978)<br />

der märkische Schriftsteller Günter de Bruyn, um die Kurmark<br />

Brandenburg und Preußen wieder in die Literatur zu<br />

bekommen. Er schrieb den Roman MÄRKISCHE FOR-


BEITRÄGE 125<br />

SCHUNGEN in Anlehnung an Theodor Fontane und ließ<br />

ganz zufällig die Suche nach einem Adeligen aus den Befreiungskriegen<br />

in Stolp/Hinterpommem fündig werden. Er<br />

gab mit Gerhard Wolf den MÄRKISCHEN DICHTERGAR-<br />

TEN heraus, der den Gebildeten in Ost und West Schriftsteller<br />

und Dichter aus des „Reiches Streusandbüchse” präsentierte.<br />

Ich erwähne: Friedrich de la Motte Fouque,<br />

Schmidt von Werneuchen, Rahel Varnhagen, Theodor Fontane,<br />

Heinrich Heine, F.A. Ludwig August v.d. Marwitz,<br />

E.T.A. Hoffmann, Ludwig Tieck und Chr. Fried. Nicolai:<br />

Dabei konnte man auch das ganze Preußen bis Königsberg<br />

in Ostpreußen einfließen lassen. In NEUE HERRLICH-<br />

KEIT (1986) läßt er die Schwestern, die ein christliches<br />

Altersheim leiten, aus Schlesien stammen und er bringt die<br />

Ergüsse des ehemaligen Königsberger Bürgermeisters<br />

Theodor Gottlieb Hippel über die Ehe neu kommentiert<br />

heraus, um „Kaliningrad” wieder als „Königsberg” in die<br />

DDR-Literatur einzuschmuggeln. Er schafft es sogar Jean<br />

Paul Friedrich Richter aus der bayrischen Oberpfalz in der<br />

DDR bekannt zu machen, in der Dichter aus dem Westen<br />

nur interessant waren, wenn sie sich als „Antifaschisten”,<br />

als nützliche „Anerkennungstrottel”, historische Revolutionäre<br />

oder Kritiker des westdeutschen Gesellschaftssystems<br />

gebrauchen ließen. Er holte J. P. F. Richter als historisches<br />

Beispiel für einen der wenigen deutschen Antimilitaristen<br />

während der Befreiungskriege (1813) aus den Archiven,<br />

um so versteckt gegen den aggressiven Militarismus der<br />

DDR zu zeugen!<br />

Gebildete Menschen in der DDR konnten zwischen den<br />

Zeilen lesen und waren auch für jedes unzensierte Buch<br />

dankbar, welches vom Westen durchgeschmuggelt wurde.<br />

Hundertfach wurde ein solches gelesen. Ich erinnere mich<br />

einer Taschenbuchausgabe „Vom Winde verweht”, die ich<br />

nach einem Jahr Dorflektüre wiedergesehen habe – vollkommen<br />

zerlesen.<br />

Arno Surminski war mit seinen ostpreußischen Romanen<br />

ein Geheimtipp. Vor allem POLNIKEN ODER EINE<br />

DEUTSCHE LIEBE, der zwei junge Ostpreußen aus Lübeck<br />

und Jena in ihrer Heimat Ostpreußen in Liebe verstrickt.<br />

Die tragische Lösung dieser Zuneigung führte dazu,<br />

daß Arno Surminski die letzten Jahre vor dem Fall des<br />

Eisernen Vorhangs nur mit der Fähre nach Danzig fahren<br />

konnte. Seine Romane, die die Einordnung der vertriebenen<br />

Ostpreußen in Westdeutschland beschrieben, waren<br />

„drüben” und vor allem in Mecklenburg immer ein gesuchteres<br />

Mitbringsel als Genussmittel und Textilien. Eben<br />

Nahrung für die Seele! Kein Zufall, dass Arno Surminski<br />

mit seinem Kurzgeschichtenband STRALSUND (1990)<br />

Themen aus der Zeit nach dem Mauerfall in der DDR aufgegriffen<br />

hat. Gern gelesen wurde von vertriebenen Sudetendeutschen<br />

in Sachsen Gudrun Pausewang und der Kinderbuchautor<br />

Ottfried Preußler, der das Riesengebirge von<br />

der böhmischen Seite her besang. 1983 schaffte es der Verlag<br />

der Nation (VdN) – er gehörte der NDPD – die Urlegenden<br />

vom Rübezahl von August Musäus mit Zeichnungen<br />

von Max Slevogt herauszubringen. In Leinen gebunden<br />

war das Buch (17.50 MDN) überwiegend für den<br />

Export in die Bundesrepublik gedacht – in der DDR blieb<br />

er für Schlesier „Bückware”. Der gleiche Verlag fühlte sich<br />

dem kulturellen Erbe verbunden und brachte auch den<br />

„Rheinischen Hausfreund” heraus oder die „Wunderbaren<br />

Reisen und Feldzüge und lustigen Abenteuer des Freiherrn<br />

von Münchhausen” wie auch Lieder von Joseph von Eichendorff,<br />

ohne natürlich auf seine schlesische Herkunft zu<br />

verweisen. Selbst der „Zupfgeigenhansel” der Wandervögel<br />

von 1912 wurde für ganze 12.50 MDN angeboten und<br />

war auch im Großformat für Klavierspieler zu haben. Ein<br />

kulturelles Angebot, das im Westen fehlte. Wie groß der<br />

Hunger nach Lesestoff über den Deutschen Osten war<br />

merkte man vor allem in Vorpommern und im deutschen<br />

Niederschlesien, wo sich die Verlage aus dem Westen 1990<br />

eine goldene Nase mit ihren Altbeständen verdienten.<br />

Fortsetzung in der folgenden Ausgabe. <br />

Buchempfehlung<br />

SEBASTIAN RIPPRICH<br />

Nein, eigentlich ist der Gottesfreund nicht der Ort, für Bücher<br />

dieser Art zu werben. Aber warum eigentlich nicht,<br />

zumal der Autor der Redakteur selbst ist.<br />

Er hält Rückblick und zwar einen der<br />

ganz besonderen Art: nämlich einen „karikativen”.<br />

Kostproben seines zeichnerischen<br />

Könnens hat Andreas Neumann-<br />

Nochten den Lesern des „Gottesfreundes”<br />

in den letzten mehr als acht Jahren<br />

schon häufiger zukommen lassen, dass<br />

er aber über Jahrzehnte hinweg Zeitgeschehen<br />

und Zeitgenossen mit spitzer<br />

Feder und nicht minder spitzem Humor<br />

begleitet hat, dürfte nur Wenigen bekannt<br />

sein. Ohne hier vollständig auf<br />

sein „karikatives” Spektrum eingehen zu<br />

können, darf eine grundsätzliche Wirkung beim Betrachten<br />

vieler Arbeiten nicht unerwähnt bleiben: Es ist die des selten<br />

abebbenden, vergnüglichen Staunens,<br />

auch und vor allem bei jenen Arbeiten,<br />

die sich vielleicht am besten<br />

unter dem Hilfsbegriff „Angewandte<br />

Karikatur” zusammenfassen lassen –<br />

Bildgeschichten, Illustrationen oder<br />

Parodien, bei denen er gelegentlich die<br />

Fähigkeit aufblitzen lässt, auch wortsprachlich<br />

mehr als solides Handwerkszeug<br />

zu besitzen.<br />

Bildband „karikativer Rückblick”;<br />

gaudeoSV; 132 Seiten; 2. erw. Aufl.;<br />

Görlitz 2013; ISBN 978-3-00-042594-3,<br />

19,90 Euro. Zu beziehen beim Autor.


126<br />

HUMOR<br />

„Hiern Se moal, Perschla!”<br />

Das war’s, was ich mir erträumt hatte: endlich<br />

an der eigentlichen Front des Hotelbetriebes.<br />

Vor zwei Monaten habe ich meine<br />

Ausbildung zum Hotelkaufmann begonnen,<br />

und zwar in einem der renomiertesten<br />

Deutschlands, im Hyatt in Mainz. Zum ersten<br />

Male sitze ich heute am „Belldesk”,<br />

also am Empfang, dem Aushängeschild jeden<br />

Hotels. Gerade habe ich – natürlich in<br />

perfektem Oxford-Englisch – das Gespräch<br />

mit dem Leiter der Delegation eines südkoreanischen<br />

Konzerns beendet, als ein sympathisch-gemütlich<br />

aussehender Gast, dem<br />

man nicht ansieht, dass er mit der Produktion<br />

„Schlesischer Wurstwaren” ein Millionenvermögen<br />

verdient hat, das Hotel betritt,<br />

auf mich zutritt und freundlich sagt: „Hiern<br />

Se moal, Perschla, täten Se und Se hätten<br />

noch een Zimmer Oaber schoo woas Urdentliches<br />

und ni soo ne verpoamperte kleene<br />

Klitsche!”<br />

Da stand ich nun, spreche neben Deutsch<br />

noch zwei Sprachen nahezu perfekt und<br />

dann „Hiern Se moal, Perschla ...!”<br />

Aber man wird’s nicht glauben und meinem<br />

direkten Vorgesetzten, dem neben mir<br />

stehenden Chefportier, blieb die Luft weg,<br />

als ich antwortete: „Selbstverständlich,<br />

mein Herr, ein Zimmer mit unserem Komfort-Frühstück,<br />

oaber leckerfetzig und ni<br />

etwa su’n loatschiges Gepoamper!”<br />

Das Trinkgeld, das ich bei seiner Abreise<br />

bekam, konnte sich sehen lassen.<br />

Es hat schon etwas Gutes, wenn man<br />

einen Großvater hat, der aus Neiße stammt,<br />

dessen Jubiläumsgeburtstag unsere gesamte<br />

Familie in Neisse mit Prälat Mróz bei<br />

den Grauen Schwestern gefeiert hat und<br />

dem zuliebe ich das Gedicht auswendig gelernt<br />

hatte: „Schläßscher Kucha, Sträselkucha,<br />

doas ies Kucha sapperlot ... nischt<br />

wie loatschiges Gepoamper ...!”<br />

Johannes Wessels, z.Zt. Mainz, Enkelsohn<br />

von Maria und Bernward Trouw. Gefunden<br />

im „Neisser Heimatblatt”, Nr.271/<br />

2013. Abbildung: „wohlhabender Gast”,<br />

Skizze von Gerhard Loerke, 1920er Jahre,<br />

Archiv ANN.<br />

<br />

VERANSTALTUNGEN DER<br />

GEMEINSCHAFT EVANGELISCHER SCHLESIER<br />

Hamburg<br />

Gemeindenachmittag der evangelischen Schlesier<br />

Mittwoch, 2. August 2013 im Gemeindesaal von St. Petri<br />

in Altona, Schmarjestr. 31.<br />

LAG Baden-Württemberg/Stuttgart<br />

Gottesdienst mit Feier des Hl. Abendmahls<br />

nach der Liturgie der Altpreußischen Union<br />

18. Sonntag nach Trinitatis, 29. September um 14.30 Uhr<br />

in der Schloßkirche in Stuttgart.<br />

EVANGELISCHE GOTTESDIENSTE<br />

IN DEUTSCHER SPRACHE IN SCHLESIEN<br />

Breslau:<br />

an jedem Sonntag um 10 Uhr in der Christophorikirche,<br />

pl. Św. Krzyzstofa 1.<br />

Lauban:<br />

an jedem 2. Sonnabend um 10 Uhr in der Frauenkirche,<br />

al. Kombatantów.<br />

Liegnitz:<br />

am 1. und 3. Sonntag um 13 Uhr<br />

in der Liebfrauenkirche, pl. Mariacki 1.<br />

Schweidnitz:<br />

an jedem 4. Sonnabend um 9 Uhr im Lutherhaus,<br />

pl. Pokoju 6.<br />

Waldenburg:<br />

an jedem 2. Sonntag und jedem 4. Sonnabend um 14 Uhr<br />

in der Erlöserkirche, pl. Kościelny 4.<br />

Bad Warmbrunn:<br />

an jedem 2. Sonnabend in der Erlöserkirche, pl. Piastowski 18.<br />

Jauer<br />

Friedenskirche<br />

Auf Anfrage: Park Pokoju 2, 59-400 Jawor.<br />

Tel. (+4876) 870 51 45. E-Mail: jawor@luteranie.pl<br />

Pfarramt:<br />

ul. Partyzantów 60, 51-675 Wrocław.<br />

Tel. 0048 - 71-3484598. Pfarrer Andrzej Fober<br />

www.stchristophori.eu<br />

christophori@poczta.onet.eu<br />

GEBURTSTAGE AUS DER LESERGEMEINDE<br />

95. Am 30.08. Frau Agnes Geisler, 81543 München,<br />

früher Schickwitz.<br />

92. Am 23.08. Frau Ursula Bader, 64656 Heppenheim,<br />

früher Breslau.<br />

91. Am 09.08. Frau Hanna Schröter, 51107 Köln. <br />

Am 11.08. Frau Gisela Schmidek, 21357 Bardowick, früher<br />

Strehlen. Am 22.08. Frau Hildegard Glatzer, 28759<br />

Bremen, früher Markstädt/Ohlau.<br />

90. Am 26.08. Frau Lieselotte Schlesinger, 89073<br />

Ulm, früher Schweidnitz.<br />

89. Am 05.08. Frau Gerda Stock, geb. Lösche, 22177<br />

Hamburg, früher Hirschberg. Am 14.08. Frau Johanna<br />

Demota, 32791 Lage, früher Alt-Jauer. Am 18.08. S.H.


AUS DER LESERGEMEINDE 127<br />

Herr Leuther v. Gersdorff, 83624 Otterfing, früher Görlitz.<br />

88. Am 09.08. Frau Marlene Theidel, 58256 Ennepetal,<br />

früher Breslau. Am 23.08. Frau Pfarrerin i. R.<br />

Elisabeth Buschbeck, 79104 Freiburg, früher Frankenstein.<br />

Am 26.08. Frau Ursula Klapper, 30559 Hannover, früher<br />

Wittenberg, Lutherstadt.<br />

87. Am 04.08. Herr Horst Dierschke, 95213 Münchberg,<br />

früher Lossen und Pampitz / Brieg. Am 16.08.<br />

Frau Eleonore Kästing, 26123 Oldenburg, früher Liegnitz.<br />

86. Am 30.08. Herr Klaus-Dieter Gaebel, 60599<br />

Frankfurt/M..<br />

85. Am 16.08. Frau Johanna Ulmer, 71101 Schönaich.<br />

Am 19.08. Frau Renate Netsch, 14052 Berlin, früher<br />

Jauer.<br />

84. Am 12.08. Herr Pfarrer Dr. Otto Lillge, 32760<br />

Detmold, früher Breslau. Am 25.08. Frau Agnes Hohnhaus,<br />

geb. Ueberschär, 60326 Frankfurt, früher Feldstr. 58,<br />

Breslau.<br />

83. Am 04.08. Herr Siegfried Streit, 47228 Duisburg,<br />

früher Alt-Kohlfurt. Am 10.08. Frau Annemarie Liss,<br />

geb. Kreutzer, 30519 Hannover, früher Breslau.<br />

82. Am 06.08. Herr Pfarrer Reinhard Hausmann,<br />

97827 Marktheidenfeld, früher Wüstegiersdorf. Am<br />

07.08. Frau Margarete Kretschmer, 73431 Aalen, früher<br />

Breslau.<br />

81. Am 09.08. Herr Bodo Chemnitz, 24161 Altenholz,<br />

früher Landeshut. Am 13.08. Herr Pfarrer i. R. Dr. Chr.-<br />

Erdmann Schott, 55124 Mainz, früher Liegnitz.<br />

78. Am 08.08. Herr Manfred Haftmann, 14478 Potsdam,<br />

früher Troitschendorf, Krs. Görlitz. Am 14.08.<br />

Frau Ilse Scharffetter, geb. Machoy, 37441 Bad Sachsa,<br />

früher Langhelwigsdorf Krs.Jauer. Am 18.08. Herr Kurt<br />

Zimmer, 21149 Hamburg, früher Postelwitz. Am 26.08.<br />

Frau Ilse-Mette v. Oheimb, 32361 Preußisch Oldendorf,<br />

früher Erkelsdorf.<br />

77. Am 05.08. Herr Karl-Heinz Scholz, 77933 Lahr.<br />

Am 11.08. Frau Margarete Zdrojek, 06502 Thale/Harz,<br />

früher Sacken,Krs.Oppeln. Am 16.08. Herr Günter Hanke,<br />

95447 Bayreuth, früher Hirschberg.<br />

76. Am 17.08. Herr StD i.R. Dr. Bolko Schulz, 67433<br />

Neustadt, früher Bolko.<br />

75. Am 04.08. Frau Helga Krug, 39261 Zerbst, früher<br />

Kornfelde, Kreuzburg.<br />

74. Am 02.08. Herr Wolf-Dietrich Weidner, 90766<br />

Fürth, früher Breslau. Am 03.08. Herr Dr. Jürgen Altmann<br />

, 02827 Görlitz, früher Görlitz.<br />

73. Am 01.08. Herr Werner E. Zapfe, 37520 Osterode,<br />

früher Breslau. Am 06.08. S.D. Ernst-Johann Prinz<br />

Biron v. Curland, 82541 Münsing, früher Groß Wartenberg.<br />

72. Am 11.08. Frau Isolde Möller, 26135 Oldenburg,<br />

früher Wiesau/Glogau. Am 18.08. Frau Dr. med. Astrid<br />

Klemm, 61231 Bad Nauheim, früher Goldberg.<br />

71. Am 31.08. Herr Ekkehard Loch, 58511 Lüdenscheid,<br />

früher Obernick.<br />

70. Am 30.08. Frau Friederike Jann, 30169 Hannover,<br />

früher Oppeln.<br />

65. Am 10.08. Frau Annelliese Woschke, geb. Wilke,<br />

91301 Forchheim.<br />

Beitrittserklärung:<br />

Ich erkläre hiermit meinen Beitritt zur <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong><br />

Schlesier e. V. bei einem Mitglieder-Jahresbeitrag von aktuell 30 Euro<br />

für das laufende Kalenderjahr; im Rahmen meiner Vereinsmitgliedschaft<br />

erhalte ich die Zeitschrift „Schlesischer Gottesfreund” kostenfrei.<br />

Ich möchte kein Mitglied werden, bestelle aber die Monatszeitschrift<br />

„Schlesischer Gottesfreund” zum Abo-Preis von 36 Euro pro<br />

Jahr.<br />

Bitte senden Sie mir eine Probenummer der Zeitschrift „Schlesischer<br />

Gottesfreund” zu.<br />

Datum:<br />

Titel:<br />

Nachname:<br />

Vorname:<br />

Straße:<br />

PLZ, Ort:<br />

Geburtsdatum/-ort:<br />

Unterschrift:<br />

Beruf:<br />

persönlicher bzw. familiärer<br />

schlesischer Herkunftsort:<br />

Sollten Sie nicht mit der Veröffentlichung einiger Ihrer persönlichen<br />

Daten in der Geburtstagsliste des „Gottesfreundes” einverstanden<br />

x<br />

sein, kreuzen Sie es bitte in den entsprechenden Kästchen an.<br />

Bitte einsenden an: <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong> Schlesier e.V.<br />

Postfach 1410, D – 32440 Porta Westfali<strong>ca</strong><br />

oder Stiftung Evangelisches Schlesien<br />

Schlaurother Straße 11, D – 02827 Görlitz<br />

Bankverbindung: Stadtsparkasse Porta Westfali<strong>ca</strong><br />

BLZ: 490 519 90 Kto.-Nr.: 26 997<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Gemeinschaft</strong> <strong>evangelischer</strong> Schlesier (Hilfskomitee) e.V.<br />

D 32440 Porta Westfali<strong>ca</strong>, PF 1410, Tel.: 0571-971 99 74,<br />

Bankverbindung: Stadtsparkasse Porta Westfali<strong>ca</strong><br />

BLZ: 490 519 90 Kto.-Nr.: 26 997<br />

E-mail: info@gesev.de<br />

Verantwortlich für den Inhalt:<br />

Andreas Neumann-Nochten<br />

Hotherstraße 32, D - 02826 Görlitz<br />

Tel.: 03581 - 878988<br />

E-mail: gottesfreund@nochtenart.de<br />

Beiträge/Grafik/Satz/Layout: Andreas Neumann-Nochten<br />

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der<br />

Stiftung Evangelisches Schlesien<br />

Einsendungen: Schlaurother Straße 11, 02827 Görlitz<br />

E-Mail: gottesfreund@kkvsol.net<br />

Druck: JAENSCH & AHRENSMEYER, Porta Westfali<strong>ca</strong>


128 REISEIMPRESSIONEN<br />

Impressionen von der<br />

Standortstudienreise<br />

Oberschlesien, Tschechien<br />

und das Teschener Land<br />

„150 Jahre Innere Mission –<br />

Diakonie in Schlesien“<br />

Teschen, Gnadenkirche II Miechowitz,<br />

Grab von Mutter Eva von Tiele-Winckler<br />

II Miechowitz, Schwester Martha II<br />

Fenster in der Ev. Kirche in Ostrau II Ein<br />

Kanon in der Kirche von Drogomysl.<br />

(Von links oben im Uhrzeigersinn)

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