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BEITRÄGE<br />
über die Aufteilung der Lebensmittelkarten. In Hilmsen<br />
waren wir bei der sehr netten Rektorenfamilie Mohr im<br />
Schulhaus untergebracht, die uns ihr großes Schlafzimmer<br />
überließen. Meine Mutter hatte schon 1945 Passierscheine<br />
für die britische Zone zu ihrer Schwester nach Hamburg<br />
erwirkt. Als wir uns damit auf den Weg machten, rückten<br />
die Russen 150 km weiter nach Westen vor. Wir kamen nur<br />
bis Aschersleben, nicht mehr weiter ... „Der Eiserne Vorhang<br />
ist heruntergelassen” , hieß es schon damals. Ich habe<br />
mir das ganz wörtlich so vorgestellt.<br />
1946, ein weiterer V ersuch, in den Westen zu gelangen.<br />
Als Bäuerin mit einer Kiepe verkleidet hat meine Mutter<br />
die Grenze schwarz überquert, um eine Zuzugsgenehmigung<br />
für uns in die amerikanische Zone zu den Großeltern<br />
zu erwirken. Diese waren nach ihrer Flucht aus Schlesien<br />
schließlich in einer Flüchtlingssiedlung in Wehrmachtskasernen<br />
in Wertheim angekommen. Nach vier Wochen erhielten<br />
wir die ersehnte Zuzugsgenehmigung in die amerikanische<br />
Zone. Fünf Tage brauchten wir im November<br />
1946 von Hilmsen nach Wertheim mit Grenzübertritt bei<br />
Eisenach. Ein Lageraufenthalt blieb uns erspart, da meine<br />
Mutter eine Fürsorgerin kannte, die uns die Papiere für den<br />
Übergang in die Westzonen ohne Lageraufenthalt besorgte.<br />
Mir hatten schon die Übernachtungen in den Riesenschlafsälen<br />
der Bahnhofsmission mit all den unvermeidbaren Geräuschen<br />
gereicht. Ich habe aufgeatmet, als wir nach fünf<br />
Tagen schließlich in Wertheim morgens um 6 Uhr angekommen<br />
waren. Es gab frische Brötchen in einer Bäckerei.<br />
Mit dieser Stärkung ließ sich auch der Aufstieg auf den<br />
Reinhardshof bewältigen. Wir sind dann bei den Großeltern<br />
in deren Küche untergekommen und haben dort gut drei<br />
Jahre gelebt. Die drei Ami-Pritschen für uns haben fast<br />
vollständig den Raum ausgefüllt.<br />
IV. Wilde und organisierte Vertreibungen<br />
Neben der Flucht aus den Reichsgebieten jenseits der Oder/<br />
Neiße gab es „wilde” und „organisierte” Vertreibungen. Nach<br />
dem Potsdamer Abkommen sollte es „geordnete und humane<br />
Umsiedlungen” geben. In Wirklichkeit waren die Vertreibungen<br />
seit drei Monaten bereits im Gange. Die polnische<br />
Regierung war auf die Planung der Aussiedlung nicht vorbereitet.<br />
Es gab keinen Plan fiir das schnelle Sammeln und<br />
Transportieren von Millionen von Menschen. Die Transporte<br />
von Deutschen aus Danzig begannen im April 1945 und<br />
waren eher freiwillig als erzwungen. Das wurde anders im<br />
Juni, als militärische Direktiven die Vertreibung der deutschen<br />
Bevölkerung anordneten. Teilweise gab es Vorschriften,<br />
dass nur 20 kg Gepäck mitgeführt werden durfte. Pferde<br />
und Ochsenkarren wurden an der Grenze beschlagnahmt. Es<br />
war eine Prozession des Elends. „Während der 5 Wochen auf<br />
der Straße lebten wir nur von Kartoffeln und Feldfrüchten,<br />
die wir selbst ausgruben”, so ein Flüchtlingsbericht (zit. nach<br />
R. M. Douglas: Ordnungsgemäße Überfiihrung, S. 143). Neben<br />
den Plünderungen wurde auch den Frauen Gewalt angetan.<br />
Andere Vertreibungen wurden in Güterwaggons durchgeführt,<br />
nach einem Bericht mit 98 Personen in einem Waggon,<br />
14 Tage auf der Fahrt nach Berlin, die hygienischen und humanitären<br />
Umstände waren unbeschreilich.<br />
V. Die Internierungslager<br />
Tausende improvisierte Internierungslager fiir Deutsche<br />
entstehen in Mitteleuropa in den Wochen nach dem Rückzug<br />
der Wehrmacht: in der Tschechoslowakei, in Polen,<br />
Jugoslawien, Ungarn und Rumänien. Viele KZ des Nazi-<br />
Regimes wurden erst gar nicht geschlossen, sondern dienten<br />
noch jahrelang als Internierungslager für Deutsche, so<br />
z.B. Majdanek und Theresienstadt. In Auschwitz lagen<br />
zwischen der Befreiung der letzten überlebenden Häftlinge<br />
und der Ankunft der ersten deutschen Häftlinge keine zwei<br />
Wochen. Das Lager Linzervorstadt wird von Douglas als<br />
typisch für tausende improvisierte Internierungslager bezeichnet,<br />
die in ganz Mitteleuropa entstanden. Es war während<br />
des Krieges vom Reichsarbeitsdienst genutzt. Einige<br />
Verwalter und Lagerwachen waren vor kurzem noch selbst<br />
Häftlinge in deutschen KZ gewesen, andere waren 15-18<br />
jährige jungeMänner, die als „Partisanen” bezeichnet wurden.<br />
Über dem Lagertor von Linzervorstadt stand das<br />
Motto: „Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Neuankömmlinge<br />
wurden nackt ausgezogen und durch Schläge mit Gummiknüppeln<br />
ins Lagerleben „eingeführt”. Ein katholischer<br />
Priester hatte einem Sterbenden die Sakramente gegeben,<br />
dafür erhielt er zweimal 50 Schläge mit einem daumendikken<br />
Stahldraht auf Rücken, Brust und Gesäß.<br />
Nach einem anderen Bericht fanden die Torturen zumeist<br />
zwischen 21 und 22 Uhr statt. Auch wurden frühere<br />
Gefangene in die Waschräume eingeladen, um diejenigen<br />
zu verprügeln, „gegen die sie aus früherer Zeit einen Groll<br />
verspürten.” Das Lagersystem war vielgestaltig und ausgedehnt.<br />
In Mittel- und Südosteuropa zeigte sich viel Improvisation.<br />
Lokale Behörden, Volksmiliz oder selbsternannte<br />
Bürgerkomitees richteten Internierungslager ein, und zwar<br />
auch in Sportstadien, verlassenen Fabriken, Kirchen oder<br />
Wohnhäusern. Klare Kriterien für eine Internierung lassen<br />
sich nicht feststellen. Anweisungen, dass Alte, Schwangere<br />
oder Behinderte ausgenommen werden sollten, wurden fast<br />
immer ignoriert. Auch Opfer des NS-Regimes internierte<br />
man, ebenso 2-3000 Juden, die sich einmal als Deutsche<br />
hatten registrieren lassen. Andere hatten als politische Gefangene<br />
den Krieg ganz oder teilweise in KZ zugebracht<br />
und wurden ebenfalls interniert. Selbst das blonde Haar eines<br />
14-jährigen Niederländers genügte, um ihn als „deutsch”<br />
einzustufen und ihn nach Auschwitz III zu schicken.<br />
Es gab aber auch Kinderlager wie z.B. im ehemaligen<br />
KZ Bunzlau wo 1200 Jungen im Alter zwischen 12 und 15<br />
Jahren als Zwangsarbeiter für den Straßenbau eingesetzt<br />
wurden. Douglas fasst sein Kapitel über die Lager dahingehend<br />
zusammen, dass 1945 für internierte Menschen das<br />
höchste Risiko bestand, an vermeidbaren Krankheiten zu<br />
sterben, gefoltert oder hingerichtet zu werden. Auch die<br />
Zahl der sexuellen Übergriffe war sehr hoch. Zahlen sind<br />
sehr schwer zu ermitteln. Douglas formuliert: „Während<br />
die Gefangenenzahl der deutschen Konzentrationslager<br />
Anfang 1945 mit 700.000 ihren Höhepunkt erreichte,<br />
könnte die Zahl der in Europa in ähnlichen Einrichtungen<br />
eingesperrten Menschen am Ende des Jahres noch höher<br />
gelegen haben.” (Ordnungsgemäße Überführung, S. 174).