14 Ist <strong>die</strong> Todesstrafe tot? Von Manuela Mart<strong>in</strong>o & Benno Schmieder
E<strong>in</strong> Strafverteidiger br<strong>in</strong>gt se<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Sohn zu Bett. Der Kle<strong>in</strong>e hat im Laufe des Tages <strong>aus</strong> Gesprächen zwischen Erwachsenen mitbekommen, dass e<strong>in</strong> Mandant se<strong>in</strong>es Vaters h<strong>in</strong>gerichtet werden soll. Der Sohn fragt also den Vater: „Warum soll der Mann sterben?“ Der Vater antwortet: „Er soll sterben, weil er e<strong>in</strong>en anderen Menschen getötet hat!“ Der Sohn fragt weiter: „Muss jeder sterben, der e<strong>in</strong>en Menschen getötet hat?“ Der Vater bestätigt: „Ja, so will es das Gesetz: Wer tötet, der muss sterben!“ Der Sohn überlegt e<strong>in</strong>e Weile <strong>und</strong> entgegnet dann: „Wenn der Staat <strong>die</strong>sen Mann tötet, wer tötet dann den Staat?“ Aus dem Buch „Dead Man Walk<strong>in</strong>g“ Def<strong>in</strong>ition des Begriffs Todesstrafe: <strong>Di</strong>e schon seit Jahrt<strong>aus</strong>enden angewandte Todesstrafe ist <strong>die</strong> gesetzlich vorgesehene Tötung e<strong>in</strong>es Menschen als Strafe für e<strong>in</strong> Verbrechen. <strong>Di</strong>e Todesstrafe wird durch H<strong>in</strong>richtung mittels e<strong>in</strong>es Henkers vollzogen. Geschichte Im Laufe der Zeit veränderten sich <strong>die</strong> Methoden der H<strong>in</strong>richtung jeweils mit dem Stand der Technik. Im Alten Orient war es <strong>die</strong> Ste<strong>in</strong>igung, im römischen Reich wurde das Kreuz zur Folter <strong>und</strong> zur Tötung verwendet. <strong>Di</strong>e <strong>wohl</strong> bekannteste H<strong>in</strong>richtung <strong>die</strong>ser Art war <strong>die</strong> Kreuzigung Jesu. Im Mittelalter erfand man neue Methoden: Das Erhängen, das Erwürgen mit e<strong>in</strong>em Strick <strong>und</strong> das Rädern wurden bei schweren Vergehen angewandt. Wobei beim Rädern mittels e<strong>in</strong>es Wagenrades <strong>die</strong> Glieder des Verurteilten zerschmettert wurden. <strong>Di</strong>e von der Kirche als „Ketzer“ Bezeichneten wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. <strong>Di</strong>e Enthauptung durch das Schwert war den Adligen vorbehalten. In Frankreich benutzte man für <strong>die</strong> Adligen später <strong>die</strong> Guillot<strong>in</strong>e. In der Zeit des Nationalsozialismus gab es e<strong>in</strong>en weiteren „Fortschritt“ bei der Art der H<strong>in</strong>richtung: <strong>die</strong> Gaskammer. Sie wurde allerd<strong>in</strong>gs nicht als Strafe für Verbrechen verwendet, sondern für <strong>die</strong> Tötung der Juden. E<strong>in</strong> Mittel der H<strong>in</strong>richtung, das früher wie heute verwendet wird, ist der Galgen, bei dem der Verurteilte durch Erhängen getötet wird. Nicht <strong>in</strong> allen Ländern, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> Todesstrafe noch praktiziert wird, ist der Galgen erlaubt. Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen afrikanischen <strong>und</strong> asiatischen Ländern (etwa Iran, Japan <strong>und</strong> Ägypten) ist das Erhängen noch e<strong>in</strong>e übliche H<strong>in</strong>richtungsart. Seit dem 20. Jahrh<strong>und</strong>ert wird der zum Tode Verurteilte durch den elektrischen Stuhl oder <strong>die</strong> letale Injektion (tödliche Giftspritze) exekutiert. 60 Pfennig Schulden - drei Schulk<strong>in</strong>der getötet „In Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Spielhallenbesitzer <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Bruder am 28. März 2003 zum Tode verurteilt worden. Sie hatten drei Gr<strong>und</strong>schüler getötet <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gully verbrannt. <strong>Di</strong>ese hatten sich nach dem Videospielen davongemacht, ohne zu bezahlen. <strong>Di</strong>e drei K<strong>in</strong>der schuldeten dem Spielhallenchef umgerechnet 60 Pfennig.“ Ist es auch bei uns üblich, dass K<strong>in</strong>der umgebracht werden, wenn sie e<strong>in</strong>en Streich spielen? In Ch<strong>in</strong>a werden Todesurteile auch bei Bestechung, Geld- <strong>und</strong> Scheckfälschung, Steuerh<strong>in</strong>terziehung, <strong>Di</strong>ebstahl <strong>und</strong> Zuhälterei verhängt. <strong>Di</strong>e Angeklagten werden öffentlich h<strong>in</strong>gerichtet, um <strong>die</strong> Macht des Staates zu demonstrieren. Frage: <strong>Wie</strong> viele Menschen müssten dann <strong>in</strong> Italien wegen Steuerh<strong>in</strong>terziehung h<strong>in</strong>gerichtet werden? Fünf bis zehn Millionen? In Ch<strong>in</strong>a, e<strong>in</strong>em Land mit 1,314 Milliarden E<strong>in</strong>wohnern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Fläche, <strong>die</strong> 31mal mal größer ist als jene Italiens, darf pro Familie nur e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d geboren werden. Da s<strong>in</strong>d natürlich <strong>die</strong> Buben erwünscht. Und wenn es mal ke<strong>in</strong> Junge ist, was passiert dann? <strong>Wie</strong> viele K<strong>in</strong>der werden da heimlich getötet? Wenn es <strong>in</strong> jedem Land so weitergehen würde wie <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a mit der „K<strong>in</strong>dergeburtskl<strong>aus</strong>el“, wäre <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> <strong>in</strong> spätestens zwei Jahrh<strong>und</strong>erten unterbevölkert. Bei uns werden Ehen mit mehreren K<strong>in</strong>dern bevorzugt. In Ch<strong>in</strong>a werden sie verboten <strong>und</strong> im Falle e<strong>in</strong>er weiteren Geburt wird das K<strong>in</strong>d vom Staat umgebracht. K<strong>in</strong>dermörder soll wie se<strong>in</strong> Opfer sterben Als ich den Artikel über <strong>die</strong> Todesstrafe schrieb <strong>und</strong> mich <strong>in</strong>tensiver mit <strong>die</strong>sem Thema beschäftigte, stieß ich auf e<strong>in</strong>er Website auf e<strong>in</strong>en Artikel, der mich schockierte: E<strong>in</strong> Chemie<strong>in</strong>genieur <strong>in</strong> Pakistan war mit se<strong>in</strong>em Komplizen zum Tode verurteilt worden, weil sie über 100 K<strong>in</strong>der umgebracht hatten. Sie hatten sie erwürgt <strong>und</strong> ihre Leichen zerteilt, um sie dann <strong>in</strong> Säure aufzulösen. Der Richter entschied, dass <strong>die</strong> Angeklagten genau wie ihre Opfer sterben sollten. <strong>Di</strong>e Eltern werden bei der H<strong>in</strong>richtung anwesend se<strong>in</strong>. Kann der Wunsch nach Rache wirklich so groß se<strong>in</strong>, dass man als Eltern jemandem e<strong>in</strong>en so furchtbaren <strong>und</strong> erniedrigenden 15 Tod wünscht? Und selbst wenn: Ist es erträglich, dabei zuzuschauen? Ich glaube nicht. Besonders nicht, wenn man weiß, dass dem eigenen K<strong>in</strong>d genau dasselbe schreckliche Schicksal widerfahren ist. <strong>Di</strong>e Todesstrafe für Saddam Husse<strong>in</strong> Saddam Husse<strong>in</strong> wurde vor zwei Monaten von e<strong>in</strong>em Sondertribunal <strong>in</strong> Bagdad angeklagt <strong>und</strong> zum Tode durch Erhängen verurteilt. Das Urteil gegen Saddam Husse<strong>in</strong> wurde am 30. Dezember 2006 kurz nach 6 Uhr Ortszeit vollstreckt. Der Sunnit ist wegen Völkermord an r<strong>und</strong> 290.000 Kurden <strong>und</strong> Schiiten angeklagt worden. Weitere Anklagepunkte waren: Verfolgung der Kurden mit illegalen chemischen Waffen <strong>und</strong> Vergehen gegen das Völkerrecht. Wir wollten <strong>die</strong>se Thematik <strong>aus</strong> drei verschiedenen Blickpunkten betrachte, nämlich <strong>aus</strong> religiöser, philosophischer <strong>und</strong> gesetzlicher Sicht. Das erste Interview führten wir mit unserem Religionslehrer Christian Brunner. Als wir den Artikel für „Reality“ verfassten, war Saddam Husse<strong>in</strong> noch nicht h<strong>in</strong>gerichtet worden. Deshalb entsprechen <strong>die</strong> Antworten im Interview nicht mehr dem letzten Stand. Herr Brunner, haben Sie als Religionslehrer sich schon öfters mit dem Thema Todesstrafe <strong>aus</strong>e<strong>in</strong>andergesetzt? Es gibt sehr viele kritische Themen <strong>und</strong> Bereiche auch außerhalb der Todesstrafe. Klarerweise wird man als Religionslehrer mit <strong>die</strong>sen ethischen Fragen etwas mehr konfrontiert <strong>und</strong> man muss sich notgedrungen auch damit <strong>aus</strong>e<strong>in</strong>andersetzen. Halten Sie das Todesurteil für Saddam Husse<strong>in</strong> für richtig? Ich b<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich gegen <strong>die</strong> Todesstrafe. Warum? Zentral für mich ist <strong>die</strong> biblische Botschaft der Gottes- <strong>und</strong> Nächstenliebe. Jesus verkündete sogar e<strong>in</strong>e radikale Gewaltlosigkeit <strong>und</strong> Fe<strong>in</strong>desliebe. Auch <strong>die</strong> Zehn Gebote im Alten Testament sagen uns: „Du sollst nicht töten!“ Außerdem glaube ich, dass <strong>die</strong> Todesstrafe angehende Verbrecher oder Mörder ke<strong>in</strong>eswegs abschrecken wird. Gewalt provoziert immer auch Gegengewalt. Was halten sie davon, dass Saddam erhängt wird? <strong>Wie</strong>so der Tod Husse<strong>in</strong>s gerade durch Erhängung erfolgen soll, weiß ich nicht. Hatte er selber etwa Menschen <strong>in</strong> der gleichen Art h<strong>in</strong>richten lassen? Will man durch <strong>die</strong> Erhängung vielleicht