10.11.2012 Aufrufe

2. Das Konzept der erlernten Hilflosigkeit - Pflegebildung-mobil

2. Das Konzept der erlernten Hilflosigkeit - Pflegebildung-mobil

2. Das Konzept der erlernten Hilflosigkeit - Pflegebildung-mobil

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Fachhochschule Jena<br />

Fachbereich Sozialwesen<br />

Masterstudiengang Pflegewissenschaft/ Pflegemanagement<br />

<strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

Grundlagen <strong>der</strong> Beratung<br />

Prüfer: Prof. Dr. Krczizek<br />

Leipzig, den 5.8. 2009<br />

Vorgelegt von:<br />

Kirstin Göttel


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung ................................................................................................................ 3<br />

<strong>2.</strong> <strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong>............................................................... 3<br />

<strong>2.</strong>1 Theoretische Hintergründe des <strong>Konzept</strong>s <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> ................ 3<br />

<strong>2.</strong>2 Methodenkritik und Reformulierungen zur <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> ................... 5<br />

3. Erlernte <strong>Hilflosigkeit</strong> vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Situation alter Menschen ..... 6<br />

3.1 <strong>Das</strong> Altern in heutiger Sichtweise ...................................................................... 6<br />

3.2 Die heutige Lebenssituation Hochbetagter in <strong>der</strong> stationären Altenpflege ........ 8<br />

4. Behandlung und Prävention erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> ......................................... 10<br />

4.1 Theoretische Überlegungen im <strong>Konzept</strong> erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> ...................... 10<br />

4.2 Anwendung präventiver Maßnahmen zur Vermeidung und Behandlung<br />

erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> innerhalb stationärer altenpflegerischer Versorgung .......... 12<br />

5. Zusammenfassung ................................................................................................ 14<br />

Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 15<br />

2


1. Einleitung<br />

Wenn Ereignisse o<strong>der</strong> Situationen als unkontrollierbar eingeschätzt werden und diese<br />

Wahrnehmung generalisiert wird, spricht man in <strong>der</strong> Sozialpsychologie von <strong>der</strong><br />

<strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong>. Diese Theorie, entwickelt von dem Psychologen Martin E. P.<br />

Seligmann, hat Eingang in viele wissenschaftliche Disziplinen gefunden. Denn auch<br />

wenn sich das <strong>Konzept</strong> nach seiner Veröffentlichung starker Kritik aussetzen musste, so<br />

kann es doch als ein Ausgangspunkt verschiedenster Untersuchungen und<br />

weiterführen<strong>der</strong> Modelle in den Bereichen <strong>der</strong> Entwicklungs- und Sozialpsychologie,<br />

<strong>der</strong> Klinischen Psychologie, als auch <strong>der</strong> Pädagogik und Soziologie gesehen werden.<br />

Die Inhalte dieser Arbeit werden sich nun mit einem pflegewissenschaftlichen Bezug<br />

befassen. Dafür werden zunächst die theoretischen Hintergründe des <strong>Konzept</strong>s <strong>der</strong><br />

<strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> erläutert und Hinweise auf Reformulierungen im Zusammenhang<br />

<strong>der</strong> Kritikpunkte des Modells gegeben. Darauf aufbauend wird Seligmanns Sichtweise<br />

auf das Alter, im Kontext des Risikos einer unkontrollierbaren Lage, beschrieben und<br />

aus heutiger Sichtweise differenziert hinterfragt. Beson<strong>der</strong>es Augenmerk wird dabei auf<br />

die Situation Hochbetagter in Alten- bzw. Pflegeheimen gelegt. Hier liegt die<br />

Vermutung nahe, dass beson<strong>der</strong>s in dieser Lebensphase das Risiko von erlebtem<br />

Kontrollverlust steigt und sich eine Symptomatik erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> entwickeln<br />

kann. Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen hinsichtlich präventiver Maßnahmen zur<br />

Verhin<strong>der</strong>ung eines solchen Empfindens . Zu diesem Aspekt werden im letzten Kapitel<br />

Seligmanns Ergebnisse seiner Untersuchungen vorgestellt und Hypothesen zur<br />

Umsetzung dieser Resultate im pflegerischen Alltag stationärer Altenversorgung<br />

aufgestellt.<br />

<strong>2.</strong> <strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

<strong>2.</strong>1 Theoretische Hintergründe des <strong>Konzept</strong>s <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

Die ursprüngliche Theorie <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> ist aus tierexperimentellen<br />

Beobachtungen von Martin E.P. Seligmann <strong>der</strong> Jahre 1964 bis 1969 entstanden.<br />

Grundlage dieser Forschungen bildete ein triadischer Versuchsplan. Drei Gruppen von<br />

Hunden wurden dabei in einem Vor- und Hauptversuch hinsichtlich ihres Verhaltens in<br />

unkontrollierbaren bzw. kontrollierbaren Situationen getestet.<br />

3


In <strong>der</strong> ersten Versuchsreihe, dem Vorversuch, wurde eine Gruppe von Tieren<br />

Elektroschocks ausgesetzt, die sie nicht beeinflussen konnten. Die zweite Gruppe<br />

konnte diese Schocks durch ein bestimmtes Verhalten abstellen, die dritte Gruppe<br />

bekam keine Elektroschocks. In <strong>der</strong> zweiten Versuchsreihe, dem Hauptversuch, waren<br />

theoretisch alle Gruppen in <strong>der</strong> Lage, den unangenehmen Reiz <strong>der</strong> elektrischen Impulse<br />

durch entsprechendes Verhalten aufzuheben. Es zeigte sich jedoch, dass die erste<br />

Gruppe, die im Vorversuch die Elektroschocks nicht beeinflussen konnte, auch in <strong>der</strong><br />

zweiten Versuchsreihe nicht in <strong>der</strong> Lage war, die Verhaltensweisen zu erlernen, die zur<br />

Einstellung <strong>der</strong> Schocks nötig waren: „Von diesen Tieren reagierten zwei Drittel<br />

(ungefähr 100) hilflos. Diese Tiere machten die […] eigenartige Verhaltenssequenz des<br />

Aufgebens durch.“ 1<br />

Ähnliches ließ sich auch in späteren Untersuchungen bei Menschen nachweisen. So<br />

zeigten diese, dass Versuchspersonen, die bestimmten Stressoren, wie z.B.<br />

unkontrollierbaren Lärm ausgesetzt waren, in späteren kognitiven Aufgabenstellungen<br />

schlechter abschnitten, als Personen, die nicht in vorheriger Versuchsanordnung hilflos<br />

gemacht wurden. 2<br />

Mittels <strong>der</strong> beschriebenen Experimente, kam Seligmann zu dem Ergebnis, dass<br />

Unkontrollierbarkeit von Situationen zur <strong>Hilflosigkeit</strong> führt und die Motivation zur<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation verringern: „ Damit willentliche Verhaltensweisen auftreten<br />

können, muss ein Anreiz in Gestalt <strong>der</strong> Erwartung vorliegen, dass Reagieren zum<br />

Erfolg führt. Ohne eine solche Erwartung, […], wird er keine willentliche Reaktionen<br />

ausführen.“ 3<br />

Außerdem zeigen sich Defizite <strong>der</strong> Kognition: „…hat ein Mensch o<strong>der</strong> ein Tier einmal<br />

die Erfahrung von Unkontrollierbarkeit gemacht, so hat er bzw. es Schwierigkeiten zu<br />

lernen, dass seine Reaktion einen Einfluss hat…“ 4 , die Lernfähigkeit wird<br />

eingeschränkt. Überdies definierte Seligmann als Folge <strong>der</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> emotionale<br />

Störungen, das heißt die zunächst bei Tieren und Menschen auftretende Furcht mit<br />

entsprechenden Reaktionen wird, im Zusammenhang <strong>der</strong> traumatischen Situation, wenn<br />

die Lage als unkontrollierbar erkannt ist, durch depressives Verhalten ersetzt.<br />

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Seligmann die Folgen erlernter<br />

<strong>Hilflosigkeit</strong> im motivationalen, kognitiven und emotionalen Bereichen sieht.<br />

1 Seligmann (1999), S. 21.<br />

2 Vgl. Hiroto (1975), Vgl. Glass und Singer (1972)<br />

3 Seligmann (1999), S. 46.<br />

4 Seligmann (1999), S. 34.<br />

4


<strong>2.</strong>2 Methodenkritik und Reformulierungen zur <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

Der größte Kritikpunkt des <strong>Konzept</strong>s <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> liegt in <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong><br />

tierexperimentellen Untersuchungen. Neben <strong>der</strong> ethischen Problematik stellte sich die<br />

Frage, ob die Ergebnisse <strong>der</strong> Studien überhaupt auf das menschliche Verhalten<br />

übertragbar seien und nicht präziser formuliert werden müssten. Ungewiss blieb, ob<br />

Unkontrollierbarkeit immer unausweichlich zu <strong>Hilflosigkeit</strong> führen muss.<br />

Beobachtungen von Alltagsereignissen ( z.B. <strong>der</strong> Tod eines nahestehenden Menschen)<br />

ließen auf Unterschiede in <strong>der</strong> Dauer, dem Situationsbezug, Verlust o<strong>der</strong> Erhalt von<br />

Selbstwert schließen. 5 Deshalb beinhalten Weiterentwicklungen <strong>der</strong> Theorie neue<br />

kognitive Variablen, die Situations- und Persönlichkeitsfaktoren spezifizieren und nun<br />

im Folgenden dargestellt werden sollen. Im wesentlichen werden sich diese<br />

Überlegungen auf Attributionen und die Beziehung von Reaktanz und <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

beziehen.<br />

Abramson, Seligmann und Teasdale modifizierten 1978 das <strong>Hilflosigkeit</strong>smodell und<br />

ziehen in ihre Überlegungen einen Attributionsprozess ein, <strong>der</strong> bestimmt wie<br />

Nichtkontrollierbarkeit von Situationen verarbeitet wird. Dabei werden die<br />

Attributionsstile internal vs. external, global vs. spezifisch und stabil vs. variabel<br />

unterschieden. Internaler Attribution liegt die Annahme zu Grunde, dass die Ursache<br />

<strong>der</strong> persönlichen <strong>Hilflosigkeit</strong> bei dem Individuum selbst liegt. Bei <strong>der</strong> externalen<br />

Attribution hingegen, geht die Person davon aus, dass er selbst und auch alle an<strong>der</strong>en<br />

Personen <strong>der</strong> Situation hilflos gegenüberstehen. Somit ist diese Dimension auch für<br />

den Selbstwert verantwortlich, denn die Vermutung interner und damit persönlicher<br />

Ursachen führt zu einem vermin<strong>der</strong>ten Selbstbewusstsein.<br />

Globale Attribution meint eine sehr allgemeine und weit gefasste Bestimmung <strong>der</strong><br />

Ursachen zur Nichtkontrollierbarkeit, spezifische Attribution beschränkt sich dagegen<br />

auf signifikante Reize. Je spezifischer also die angenommene Ursache ist, um so<br />

weniger wird <strong>Hilflosigkeit</strong> auf an<strong>der</strong>e Ereignisse übertragen. Der Attributionsstil stabil<br />

umfasst langlebige und wie<strong>der</strong>kehrende Nichtkontrollbedingungen und kann zu<br />

chronischer <strong>Hilflosigkeit</strong> führen, variabel dagegen meint kurzlebige und<br />

vorübergehende. 6<br />

5 Vgl. Herkner (1991), S. 108.<br />

6 Vgl. Petermann (1999), S. 213- 216., Vgl. Herkner (1991), S. 109.<br />

5


Miller und Norman beschrieben in ihrer Reformulierung ebenso ein<br />

attributionstheoretisches <strong>Konzept</strong>, artikulierten allerdings auch eine notwendige<br />

Spezifizierung von Situationsfaktoren (Instruktionen zur Versuchsdurchführung, Dauer<br />

<strong>der</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> usw.) bzw. Persönlichkeitsfaktoren (Vorerfahrung, Geschlecht,<br />

Stimmung usw.). Zusätzlich führten sie die Dimension <strong>der</strong> Wichtigkeit ein. Hier wird<br />

ein eingetretenes Ereignis bezüglich seiner Wichtigkeit bzw. Unwichtigkeit näher<br />

bewertet. 7 .<br />

Wortmann und Brehm entwickelten ein integriertes Reaktanz- <strong>Hilflosigkeit</strong>s- Modell,<br />

in dem davon ausgegangen wird, dass Reaktanz und <strong>Hilflosigkeit</strong> zwei zeitlich<br />

aufeinan<strong>der</strong> folgende Phänomene darstellen. Reaktanz meint hierbei:“…den<br />

unmittelbar nach einer Unkontrollierbarkeitsbedingung eintretenden Zustand, <strong>der</strong> mit<br />

einer Einschränkung von Entscheidungsmöglichkeiten einhergeht und eine Art<br />

‚Wi<strong>der</strong>stand‘ bzw. Ärger, Wut und vermehrte Anstrengung zur Folge hat.“ 8 Erst, wenn<br />

diese Phase durchlaufen wurde und die Unkontrollierbarkeit <strong>der</strong> Situation anhält, tritt<br />

<strong>Hilflosigkeit</strong> ein, ansonsten Reaktanz. In nun daraus folgenden Überlegungen von<br />

Wortmann und Dintzer wird angenommen, dass <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> eine<br />

Problembewältigungsphase folgt. Die Untersucher gehen also von <strong>der</strong> Fähigkeit des<br />

Menschen aus, unkontrollierbare Ereignisse bewältigen zu können. Gelingt die<br />

Anpassung daran, wird die Motivation zur Kontrolle wie<strong>der</strong> ansteigen. 9<br />

3. Erlernte <strong>Hilflosigkeit</strong> vor dem Hintergrund <strong>der</strong><br />

Situation alter Menschen<br />

3.1 <strong>Das</strong> Altern in heutiger Sichtweise<br />

Seligmann betrachtet das Altern als:“…beson<strong>der</strong>s anfällig für den Verlust von<br />

Kontrolle…“ 10 und spricht, im Zusammenhang damit verbundener Einschränkungen,<br />

von einem hilflosen Zustand alter Menschen.<br />

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob diese Aussagen heute noch allgemeingültig<br />

für den Begriff des Alterns zu betrachten sind. Wie ich meine hat sich das Bild des<br />

alten Menschen in den letzten Jahren stark verän<strong>der</strong>t, alt ist nicht gleich alt.<br />

7 Vgl. Petermann (1999), S. 220f.<br />

8 Petermann (1999), S. 223.<br />

9 Vgl. Petermann (1999), S. 223f.<br />

10 Seligmann (1999), S. 175.<br />

6


Je<strong>der</strong> kennt sie, die vitalen Alten, unternehmungslustig und agil genießen sie, scheinbar<br />

ohne gesundheitliche Einschränkungen, ihren Lebensabend und ihre Rentenzeit. Diese<br />

Gruppe, definiert als das dritte Lebensalter o<strong>der</strong> die jungen Alten, scheint in <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit durch neue Lebensstile und Lebensformen den Blick <strong>der</strong> Gesellschaft auf<br />

das Alter zu revolutionieren. Ihre, im Vergleich vorheriger Generationen, bessere<br />

gesundheitliche und auch materielle Lage erlaubt ihnen selbstbestimmt und<br />

selbstbewusst die „Freiheit des Alters“ zu genießen. So schätzen in <strong>der</strong> Altersgruppe<br />

<strong>der</strong> 60-69- Jährigen 57,2% <strong>der</strong> Frauen und 56% <strong>der</strong> Männer ihre subjektive Gesundheit<br />

als sehr gut bis gut ein 11 , die Zufriedenheitswerte in den Lebensbereichen<br />

Haushaltseinkommen, Wohnung, Freizeit, Familienleben und Lebensstandard liegen<br />

hoch 12 und im Zusammenhang materieller Ressourcen weisen im Vergleich aller<br />

Altersgruppen, die 61-70- Jährigen die niedrigste Armutsquote von 8,9% auf. 13<br />

Kontrollverlust und <strong>Hilflosigkeit</strong> scheinen kein Charakteristikum dieses<br />

Lebensabschnitts. Aber es prägen natürlich auch die pflegebedürftigen, gesundheitlich<br />

stark eingeschränkten, oft vereinsamten alten Menschen unser gesellschaftliches Bild.<br />

Statistisch gesehen, trifft dies aber erst auf die Altersgruppe <strong>der</strong> über 80- Jährigen zu.<br />

Beson<strong>der</strong>heiten dieser Lebensphase liegen nachweislich in einem erhöhten Risiko<br />

chronisch körperlicher, als auch psychischer Erkrankungen, dem Auftreten von<br />

Multimorbidität und einem damit verbundenen erhöhten Pflegebedarf. 14<br />

<strong>Das</strong> Risiko von Pflegebedürftigkeit und die daraus resultierende notwendige<br />

pflegerische Unterstützung, kann das psychische Gleichgewicht <strong>der</strong> Betroffenen stören<br />

und eine Kompensation <strong>der</strong> neuen Lebenssituation behin<strong>der</strong>n. 15<br />

Wenn Seligmann also von einem Kontrollverlust im Alter spricht, müsste man in<br />

heutiger Betrachtung eine differenziertere Definition des Alterns berücksichtigen und<br />

beson<strong>der</strong>es Augenmerk auf die Lebenssituation <strong>der</strong> Hochbetagten legen. Obwohl<br />

natürlich auch anzumerken bleibt, dass eine grundsätzliche Verallgemeinerung <strong>der</strong><br />

vorhandenen Ressourcen und Defizite bei jungen bzw. alten Alten nicht immer<br />

Gültigkeit hat, wird im Rahmen dieser Arbeit <strong>der</strong> Focus auf <strong>der</strong> zweiten Altersgruppe<br />

liegen. Wichtig bleibt aber immer eine mehrdimensionale Betrachtungsweise, die die<br />

Individualität des Alterns berücksichtigt.<br />

11 Vgl. Robert- Koch- Institut (2004), S.31.<br />

12 Vgl. Statistisches Bundesamt (2008), S. 406.<br />

13 Vgl. Statistisches Bundesamt (2008), S. 167.<br />

14 Vgl. Robert- Koch- Institut (2004), S. 18-27., Robert- Koch- Institut (2004a), S. 14., ZUMA (2001),<br />

S. 92-93.<br />

15 Vgl. Pohlmann (2001), S.55ff.<br />

7


3.2 Die heutige Lebenssituation Hochbetagter in <strong>der</strong> stationären Altenpflege<br />

Seligmann betont in seinen Ausführungen zum <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> die<br />

beson<strong>der</strong>e Problemlage in Institutionen wie Heimen o<strong>der</strong> Kliniken. Er vertritt die<br />

Anschauung, dass die dort herrschende Abhängigkeit, einen Kontrollverlust erzeugt,<br />

<strong>der</strong>: „…einen organisch kranken Menschen weiter schwächen und seinen Tod<br />

verursachen.“ 16 kann. In den folgenden Ausführungen soll nun die Frage beantwortet<br />

werden, inwiefern Hochbetagte ihre Lebenssituation im Kontext stationärer<br />

pflegerischer Versorgung als unkontrollierbar sehen und eventuelle <strong>Hilflosigkeit</strong> o<strong>der</strong><br />

sogar <strong>der</strong> Todesfall, wie Seligmann vermutet, daraus resultieren könnte.<br />

Der, im vorherigen Kapitel, erwähnte zunehmende Pflegebedarf Hochbetagter zwingt<br />

diese häufig zu einem Umzug in ein Pflege- bzw. Altenheim, 60% <strong>der</strong> Heimbewohner<br />

kommen dabei aus einem ,bisher allein geführten Privathaushalt, 55% waren schon seit<br />

längerer Zeit pflegebedürftig. Gründe für den Heimeinzug liegen zumeist im<br />

persönlichen Gesundheitszustand bzw. einer Entlastung <strong>der</strong> Angehörigen und keinen<br />

an<strong>der</strong>en möglichen Hilfspersonen. 17 Es wäre also anzunehmen, dass die neuen<br />

Bewohner, trotz ihrer auch schon im häuslichen Bereich nötigen pflegerischen<br />

Unterstützung, zuvor noch weitgehend autonom und selbständig in ihrem persönlichen<br />

Umfeld gelebt haben und sich nun mit <strong>der</strong> neuen Situation im Pflegeheim, verbunden<br />

mit an<strong>der</strong>en Regelungen (z.B. verän<strong>der</strong>ten zeitlichen Tagesabläufen) und eventuellen<br />

Einschränkungen ihrer privaten Lebenswelt (z.B. durch die gegebenen räumlichen<br />

Umstände im Heim), auseinan<strong>der</strong> setzen müssen. Dies kann eine große seelische<br />

Belastung <strong>der</strong> Betroffenen bedeuten, die sich häufig in Ängsten und Unsicherheit nach<br />

dem Einzug zeigt. Zusätzlich erschwerend auf die Situation wirkt <strong>der</strong> Faktor, dass <strong>der</strong><br />

Umzug in das Heim in dem Bewusstsein erfolgt, dass dieser Schritt kaum rückgängig<br />

zu machen ist und <strong>der</strong> dortige Aufenthalt wahrscheinlich mit dem Tode enden wird. Die<br />

genannten Schwierigkeiten erfor<strong>der</strong>n starke Anpassungsvorgänge bei alten Menschen.<br />

Gelingt diese Adaption nicht und <strong>der</strong> alte Mensch gelangt außerdem zu <strong>der</strong><br />

Überzeugung, dass seine Erwartungen nicht erfüllbar und Verän<strong>der</strong>ungen nicht möglich<br />

sind, wird <strong>der</strong> Betroffene seine Motivation zur Reaktion nach Seligmann verlieren.<br />

Seiner Kontrolle über die Lebenssituation beraubt, würde Furcht in Depression<br />

übergehen und sogar zum Tode führen.<br />

16 Seligmann (1999), S. 17<strong>2.</strong><br />

17 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007), S. 98-100, S. 244.<br />

8


An dieser Stelle sollen Zahlen zur Prävalenz <strong>der</strong> Depression im Alter näher betrachtet<br />

werden. Feststellen lässt sich hier zunächst keine Altersabhängigkeit, das heißt die<br />

Erkrankungshäufigkeit nimmt mit steigendem Alter nicht zu. Es zeigt sich allerdings<br />

auch, dass <strong>der</strong> deutlich größere Teil pflegebedürftiger Menschen psychische Symptome<br />

(vor allem erhöhte Depressivität, verringerte Lebenszufriedenheit, pessimistische<br />

Lebenseinstellung) aufweist. 18 Pflegebedürftigkeit scheint also eine Gefährdung zu<br />

bedeuten und beson<strong>der</strong>s bei institutionalisierten Personen, ist ein erhöhtes Risiko zu<br />

beobachten: „Depressive Symptome traten nach Studienangaben bei 40 % bis 50 % <strong>der</strong><br />

untersuchten Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen auf (davon<br />

15 % bis 20 % schwere Depression).“ 19 Der Abschlussbericht zu Möglichkeiten und<br />

Grenzen selbständiger Lebensführung in stationären Einrichtungen (MuG IV) gibt an,<br />

dass 14% <strong>der</strong> Pflegebedürftigen in Altenpflegeeinrichtungen schwere Depressionen<br />

aufweisen. 20 Diese Zahlen würden also die Richtigkeit Seligmanns Aussage belegen,<br />

sind allerdings auch, vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Zunahme von Demenzerkrankungen im<br />

Alter und damit verbundener Begleitsymptomatik von Depressionen, kritisch zu<br />

hinterfragen. Hier müsste eine spezifizierte Ursachenanalyse und Symptomdarstellung<br />

erfolgen. Ein Punkt, <strong>der</strong> sich auch in <strong>der</strong> Kritik zum <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong>,<br />

Seligmann wird vorgeworfen den Depressionsbegriff zu global zu verwenden,<br />

wi<strong>der</strong>spiegelt. 21<br />

Kann <strong>der</strong> Einzug in ein Pflegeheim, bedingt durch das Erleben von Kontrollverlust und<br />

Abhängigkeit zur pflegerischen Institution, nun tatsächlich zu einem vorzeitigen Tod<br />

führen? In diesem Zusammenhang soll die Verweildauer in Alten- und Pflegeheimen<br />

näher betrachtet werden. Hier liegen zum Teil wi<strong>der</strong>sprüchliche Aussagen vor. So wird<br />

im dritten Altenbericht eine durchschnittliche Verweildauer von 36 Monaten ermittelt.<br />

Nur 8,5% <strong>der</strong> Bewohner lebten weniger als 6 Monate im Pflegebereich und mehr als<br />

60% lebten länger als ein Jahr im Pflegeheim. 22 Im MuG IV- Bericht kommt man<br />

allerdings zu weniger positiven Ergebnissen: „Etwas mehr als ein Fünftel (22%) <strong>der</strong><br />

Heimbewohnerinnen und Heimbewohner verstirbt innerhalb <strong>der</strong> ersten sechs Monate<br />

und insgesamt etwa ein Drittel (31%) innerhalb des ersten Jahres nach dem Einzug in<br />

das Heim. …Im Vergleich zu 1994 ist die Verweildauer rückläufig (im Durchschnitt 41<br />

18<br />

Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001), S. 58, S. 78.<br />

19<br />

Robert Koch Institut (2009), S. 5<strong>2.</strong><br />

20<br />

Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007), S. 105.<br />

21<br />

Vgl. Petermann (1999), S. 248.<br />

22<br />

Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001), S. 128<br />

9


Monate zu früher 56 Monaten).“ 23<br />

Auch in diesem Zusammenhang kann keine eindeutige Aussage getroffen werden, da<br />

hier <strong>der</strong> jeweilige Gesundheitszustand <strong>der</strong> Bewohner zum Zeitpunkt des Einzuges in<br />

das Pflegeheim unberücksichtigt bleibt. Anzumerken ist, dass ein Großteil <strong>der</strong><br />

Bewohner innerhalb stationärer Versorgung pflegerische Leistungen <strong>der</strong> Pflegestufe<br />

zwei in Anspruch nimmt 24 und somit zu vermuten ist, dass sich die alten Menschen<br />

bereits in einem fortgeschrittenen Stadium von Erkrankungen mit entsprechenden<br />

Einschränkungen befinden. Diese Aussage wird auch durch einen 1984 in den USA<br />

durchgeführten Mikrozensus bestätigt. Im Vergleich gleichaltriger Betagter starben die<br />

gesün<strong>der</strong>en seltener in den jeweiligen Beobachtungszeiträumen. Ein Ergebnis, das nicht<br />

überrascht. Allerdings wurde in dieser Studie auch festgestellt, dass die<br />

Sterbehäufigkeit alter Menschen mit grundsätzlich gleichen statistisch erfassten<br />

Merkmalen (z.B. Krankheitsbil<strong>der</strong>n) im Pflegeheim 96% höher lag, als bei den nicht in<br />

ein Heim überwiesenen. 25 Eine direkte Beziehung zwischen dem Einzug in die<br />

Institution und dem Tod lässt sich somit nicht belegen, ist aber in Anbetracht genannter<br />

Zahlen auch nicht als zusammenhangslos zu sehen.<br />

Seligmanns Annahmen zum Kontrollverlust im Alter bleiben also anfechtbar, sind aber<br />

auch im Kontext seiner Aussagen zur individuellen Erfahrung von Unkontrollierbarkeit<br />

zu sehen. Er geht davon aus, dass vorhergehende Erlebnisse, die kontrollierbar waren,<br />

die Erwartung erzeugen, auch an<strong>der</strong>e Ereignisse als kontrollierbar zu sehen. Hier würde<br />

also ein Erklärungsansatz zur unterschiedlichen Ausprägung von z.B. depressiven<br />

Symptomen bei alten Menschen im Pflegeheim liegen. Diese Vermutung soll im<br />

nächsten Kapitel weiter analysiert werden.<br />

4. Behandlung und Prävention erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

4.1 Theoretische Überlegungen im <strong>Konzept</strong> erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong><br />

Die Behandlung einmal erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong>, wie erwähnt hatte eine Gruppe von<br />

Hunden, keine Möglichkeit den Elektroschocks zu umgehen und zeigte<br />

dementsprechend eine mangelnde Reaktionsbereitschaft, gestaltete sich in den<br />

tierexperimentellen Untersuchungen Seligmanns schwierig und zeitaufwendig.<br />

23 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007), S. 10.<br />

24 Vgl. Statistisches Bundesamt (2003), S.9.<br />

25 Vgl. Gebert und Kneubühler (2001), S. 89-91.<br />

10


Eine Verhaltensän<strong>der</strong>ung und Reaktion <strong>der</strong> Hunde konnte nur, durch den direkten<br />

Einsatz <strong>der</strong> Untersucher erzwungen werden, indem die Tiere mittels Leinen 25-200mal<br />

auf die Käfighälfte gezogen wurden, in <strong>der</strong> kein Schock mehr auftrat. Erst dann hatten<br />

die Hunde die Reaktion- Erleichterung Kontingenz begriffen und konnten<br />

dementsprechend reagieren. Diese Heilung von <strong>Hilflosigkeit</strong> wird als vollständig und<br />

dauerhaft beschrieben. 26<br />

Weitaus wichtiger erscheint Seligmann aber <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Prävention, in <strong>der</strong> mittels<br />

behavioraler Immunisierung gelernte <strong>Hilflosigkeit</strong> vermieden werden kann. Gemeint<br />

ist, dass wenn Situationen bewältigt werden können, bevor Unkontrollierbarkeit<br />

deutlich wird, erlernte <strong>Hilflosigkeit</strong> vermieden werden kann.<br />

Unterstützt wird diese These durch Versuche an im Labor aufgezogenen Hunden und<br />

Hunden unbekannter Vorgeschichte. Die im Käfig aufgezogenen Hunde erwiesen sich,<br />

durch die damit verbundenen begrenzten und positiv beeinflussbaren Erlebnisse<br />

hinsichtlich kontrollierbarer Ereignisse, als anfälliger für <strong>Hilflosigkeit</strong>. Seligmann<br />

verweist mit diesen Resultaten auf den Einfluss von Erfahrungen kontrollierbarer<br />

traumatischer Bedingungen, das heißt er begründet somit auch das unterschiedliche<br />

Auftreten von <strong>Hilflosigkeit</strong>.<br />

In <strong>der</strong> revidierten Theorie (s. Kap.<strong>2.</strong><strong>2.</strong> Abramson, Seligmann und Teasdale) wird diese<br />

Ungleichheit weiter im Zusammenhang menschlicher Reaktionen beleuchtet: „ Je mehr<br />

und je stärker interne, stabile und globale Ursachen für negative, und je mehr und je<br />

stärker externe, variable und spezifische Ursachen für positive Ereignisse genannt<br />

werden, desto ungünstiger ist <strong>der</strong> Attributionsstil.“ 27 Wie dann konkret auf die<br />

negativen Ereignisse reagiert wird, hängt von <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Ereignisse, dem persönlichen<br />

Attributionsstil und von Informationen zu den Gegebenheiten <strong>der</strong> Situation ab. Der<br />

persönliche Attributionsstil wird dazu durch Imitation erlernt o<strong>der</strong> von früheren<br />

Erfahrungen und Verlusten geprägt.<br />

26 Seligmann (1999), S. 53f.<br />

27 Herkner (1991), S. 110.<br />

11


4.2 Anwendung präventiver Maßnahmen zur Vermeidung und Behandlung<br />

erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> innerhalb stationärer altenpflegerischer<br />

Versorgung<br />

Seligmanns Schlussfolgerungen zur Prävention erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> lassen die<br />

Hypothese zu, dass auch in <strong>der</strong> stationären Altenpflege für die dortigen Bewohner mit<br />

entsprechenden Maßnahmen eine Verhin<strong>der</strong>ung des Gefühls des Kontrollverlusts<br />

möglich wäre. Auch wenn mittels <strong>der</strong> vorhergehenden Ausführungen nur Vermutungen<br />

zum Auftreten erlernter <strong>Hilflosigkeit</strong> und damit verbundenen Depressionen und einem<br />

vorzeitigen Tod alter Menschen in Pflegeheimen geäußert werden konnten, so erscheint<br />

eine Betrachtung vorbeugen<strong>der</strong> Schritte doch als sinnvoll. Begründet in den häufig<br />

erwähnten Problemfel<strong>der</strong>n des Verlusts von Selbständigkeit, und Einschränkung <strong>der</strong><br />

Autonomie von Bewohnern innerhalb <strong>der</strong> stationären altenpflegerischen Versorgung 28 ,<br />

lässt sich hier ein Ansatzpunkt prophylaktischer Maßnahmen zur Vermeidung des<br />

Gefühls von Kontrollverlust und <strong>der</strong> Symptome von <strong>Hilflosigkeit</strong> erkennen. Die<br />

genannten Problematiken werden zunächst im Zusammenhang, <strong>der</strong> von Seligmann<br />

erwähnten Attributionsdimensionen näher betrachtet . So könnte anzunehmen sein, dass<br />

ein Teil <strong>der</strong> alten Menschen ihren Einzug in das Pflegeheim mit den damit verbundenen<br />

Einschränkungen als internal, stabil und global einschätzen. Internal würde bedeuten,<br />

dass <strong>der</strong> alte Mensch seine Situation als selbst verursacht und persönlich nicht<br />

kontrollierbar sieht. Diese Einstellung wäre möglicherweise im Zusammenhang seines<br />

aktuellen Gesundheitszustands begründet. Stabil beinhaltet seine Sichtweise auf den<br />

langanhaltenden Aufenthalt im Pflegeheim, wie bereits erwähnt wird <strong>der</strong> Umzug in die<br />

Institution häufig als endgültig bis zum Tod erlebt. Die globale Attributionsdimension<br />

umfasst die verallgemeinerte Einschätzung <strong>der</strong> Ursache seiner jetzigen Lage. Gründe<br />

könnten für die Person im hohen Alter, Erkrankungen o<strong>der</strong> im sozialen Umfeld liegen.<br />

Pflegekräften sollte es also gelingen diesen Gefühlen des Kontrollverlusts zu begegnen.<br />

Mögliche Handlungsweisen können sich hier auf alle genannten Dimensionen beziehen.<br />

So kann interne Attribution durch scheinbar schwierige Aufgabenstellungen und dritte<br />

Personen negativ beeinflusst werden. Konkret im Pflegealltag betrachtet, würde dies<br />

eine Überfor<strong>der</strong>ung des Bewohners durch die Pflegekraft bedeuten. Verrichtungen und<br />

dessen Zielsetzungen sollten also immer für den alten Menschen angepasst an seine<br />

28 Vgl. Gebert und Kneubühler (2001), S. 261 , Roth (2002), S.24.<br />

12


Lage durchgeführt und beurteilt werden. Physischer und psychischer Stress kann<br />

dadurch vermieden und das Selbstwertgefühl gesteigert werden. Als Beispiel sei hier<br />

die Motivation zur Bewegung genannt. Kleinere Übungen in diesem Bereich mit<br />

entsprechenden Erfolgserlebnissen, könnten hier dafür sorgen, dass die oft emotional<br />

als belastend empfundene Situation zunehmen<strong>der</strong> Bewegungseinschränkungen, als<br />

kontrollierbarer erlebt wird.<br />

Die Stabilitätsdimension lässt sich nur schwierig von Pflegekräften beeinflussen. Hier<br />

falsche Erwartungen zu wecken und nur von einem vorübergehenden Aufenthalt im<br />

Pflegeheim zu sprechen, ist unrealistisch und ethisch nicht vertretbar. Allerdings sollten<br />

hier durch Pflegekräfte positive Aspekte, im Zusammenhang <strong>der</strong> Selbst- und<br />

Mitbestimmung des Einzelnen, in <strong>der</strong> stationären Versorgung aufgezeigt werden.<br />

Absprachen bezüglich persönlicher Wünsche und Erwartungen des Bewohners, z. B.<br />

bei <strong>der</strong> grundpflegerischen Versorgung und <strong>der</strong> Alltagsgestaltung, müssen dabei ein<br />

qualitatives Minimum bedeuten, um dem Bewohner Kontrollmöglichkeiten erkennbar<br />

zu machen.<br />

In <strong>der</strong> Globalitätsdimension wird <strong>Hilflosigkeit</strong> generalisiert und in vielen Ursachen ,<br />

wie z.B. dem Alter gesehen. Hier ist es wichtig dem Bewohner zu vermitteln, Alter<br />

nicht nur als eine Lebensphase von Einschränkungen zu sehen, son<strong>der</strong>n auch die<br />

positiven Elemente aufzuzeigen. Erfahrungsschatz und Wissen seien hier als Beispiele<br />

genannt. Respekt im Umgang und die Achtung <strong>der</strong> Persönlichkeit des alten Menschen,<br />

vor dem Hintergrund seines bisherigen Lebens, sind hier Grundvoraussetzung <strong>der</strong><br />

Interaktionen zwischen Pflegekraft und Bewohner. In diesem Zusammenhang ist es<br />

natürlich auch entscheidend, den persönlichen Attributionsstil des alten Menschen zu<br />

berücksichtigen, <strong>der</strong> wie bereits erwähnt (s. Kap. 4.1) auch durch frühere Erfahrungen<br />

geformt wird. Gerade die heute Hochbetagten haben durch Kriegsereignisse viele<br />

traumatische Situationen erleben müssen, die ihre jetzige Einstellung beeinflussen.<br />

Hier sei auch nochmals, auf die von Seligmann beschriebenen positiven und<br />

präventiven Effekte <strong>der</strong> behavioralen Immunisierung hingewiesen, denn auch wenn<br />

natürlich die vorherigen Erlebnisse und Erfahrungen <strong>der</strong> alten Menschen eine große<br />

Rolle spielen, so kann auch davon ausgegangen werden, dass <strong>der</strong> Einzug in das<br />

Pflegeheim zum erstem Mal von dem Pflegebedürftigen durchlebt und innerhalb <strong>der</strong><br />

konkreten Situation bewertet wird. Deshalb ist es hier beson<strong>der</strong>e Sensibilität <strong>der</strong><br />

Einrichtungsmitarbeiter gefragt.<br />

13


5. Zusammenfassung<br />

<strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>der</strong> <strong>erlernten</strong> <strong>Hilflosigkeit</strong> zeigt viele Zusammenhänge und<br />

Einflussmöglichkeiten von unkontrollierbar erlebten Zuständen auf und kann, auch im<br />

Kontext altenpflegerischer Versorgung, ein Erklärungsmodell zum Verhalten alter<br />

Menschen in Institutionen wie dem Pflege- bzw. Altenheim bieten. Wenn auch in dieser<br />

Arbeit keine eindeutigen Belege gefunden werden konnten, so weisen die<br />

beschriebenen Untersuchungen, doch auf einen mögliche Ähnlichkeit zur Situation im<br />

Alter, den nachlassenden Kontrollmöglichkeiten und <strong>der</strong> damit verbundenen fehlenden<br />

Motivation zur Reaktion hin. Die Zahlen zur Prävalenz von Depression und zur<br />

Verweildauer in Pflegeheimen lassen diesen Rückschluss zu. Allerdings kann auch<br />

keine Verallgemeinerung zum Auftreten von <strong>Hilflosigkeit</strong> im diesem Zusammenhang<br />

stattfinden. Hier sollen auch Kritikpunkte des <strong>Konzept</strong>s nicht unberücksichtigt bleiben.<br />

So erscheinen die Bedingungen für das Auftreten von <strong>Hilflosigkeit</strong> und die Vielfalt von<br />

Folgen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Reformulierung Seligmanns mit <strong>der</strong><br />

Darstellung <strong>der</strong> beschriebenen drei Attributionsdimensionen weisen hier auf eine nötige<br />

Erweiterung hin, werfen aber auch das neue Problemfeld <strong>der</strong> schwierigen Abgrenzung<br />

und Erfassung auf. Trotzdem ergeben sich für die Versorgung von<br />

Pflegeheimbewohnern eine Reihe von Kriterien, die Beachtung finden müssen und in<br />

die Handlungen des Pflegealltags einfließen sollten. Die immer wie<strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>te<br />

Erhaltung von Selbständigkeit und Autonomie, stellt hier ein bedeutungsvolles Element<br />

dar und kann nicht unberücksichtigt bleiben. Die Erreichung dieses Ziels wäre <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung von Kontrollmöglichkeiten in <strong>der</strong> Situation des Alterns gleich zu setzen<br />

und dient somit <strong>der</strong> entsprechenden Motivation zur Bewältigung dieses schwierigen<br />

Lebensabschnitts.<br />

14


Literaturverzeichnis:<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2001):<br />

Dritter Bericht zur Lage <strong>der</strong> älteren Generation.<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2007):<br />

Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in stationären Einrichtungen<br />

(MuG IV)- Demenz, Angehörige und Freiwillige, Versorgungssituation, sowie<br />

Beispielen für „Good Practice“.<br />

Gebert, A., Kneubühler ,H.-U. (2001): Qualitätsbeurteilung und Evaluation <strong>der</strong><br />

Qualitätssicherung in Pflegeheimen, Bern: Hans Huber.<br />

Glass, D. C. und Singer, J.E. (1972): Urban Stress: Experiments on noise and social<br />

stressors, Academic Press New York.<br />

Herkner, W. (1991): Lehrbuch Sozialpsychologie, Bern: Hans Huber, S. 97- 120.<br />

Hiroto, D. S. (1974): Locus of control and learned helplessness, in: Journal of<br />

Experimental Psychology, 102, S. 187- 193.<br />

Petermann, F. (1999): Erlernte <strong>Hilflosigkeit</strong>: Neue <strong>Konzept</strong>e und Anwendungen, in:<br />

Seligmann, M.E.P, Erlernte <strong>Hilflosigkeit</strong>, Weinheim und Basel: Beltz, S. 209-250.<br />

Pohlmann, S. (2001): <strong>Das</strong> Altern <strong>der</strong> Gesellschaft als globale Herausfor<strong>der</strong>ung-<br />

Deutsche Impulse, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend, Bd. 201, Stuttgart: Kohlhammer, S. 55ff.<br />

Robert- Koch- Institut (Hrsg.) (2004): Telefonischer Gesundheitssurvey des Robert-<br />

Koch- Institutes zu chronischen Krankheiten und ihren Bedingungen, S. 18-27.<br />

Robert- Koch- Institut (Hrsg.) (2004a): Schwerpunktbericht <strong>der</strong><br />

Gesundheitsberichterstattung des Bundes- Pflege, S. 14.<br />

Robert- Koch- Institut (Hrsg.) (2009): Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des<br />

Bundes- Gesundheit und Krankheit im Alter, S.5<strong>2.</strong><br />

Roth, G. (2002): Qualität in Pflegeheimen- Expertise im Auftrag des<br />

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S.24.<br />

Seligmann, M.E.P. (1999): Erlernte <strong>Hilflosigkeit</strong>, Weinheim und Basel: Beltz.<br />

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2003): 4.Bericht : Pflegestatistik 2003- Pflege im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Pflegeversicherung- Län<strong>der</strong>vergleich Pflegeheime, S. 9.<br />

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2008): Datenreport 2008- Ein Sozialbericht für die<br />

Bundesrepublik Deutschland.<br />

15


ZUMA- Zentrum für Umfragen Methoden und Analysen (Hrsg.) (2001): Der<br />

Wohlfahrtssurvey 1978- 1998- Zeitreihendaten zur Wohlfahrtsentwicklung in <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland, S. 92f.<br />

16

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!