IV.1. Somatosensorik
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IV.1. Somatosensorik
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IV/1 <strong>Somatosensorik</strong> 101<br />
<strong>IV.1.</strong> <strong>Somatosensorik</strong><br />
Lernziele: Somatosensibilität: Mechanorezeption, Thermorezeption, Tiefensensibilität (Propriozeption);<br />
Nozizeption und Schmerz. Spezifität der Sinnesorgane. Rezeptorverhalten. Raum, Zeit,<br />
Qualität, Intensität und Schwelle als Grunddimensionen der Empfindung. WEBER-<br />
FECHNERsches Gesetz. Reflexe: Eigenreflex, Fremdreflex, Reflexlatenz, Reflexhemmung,<br />
Reflexermüdung, Reflexbahnung (räumlich und zeitlich) und -verschaltung, Transmitter.<br />
Seminar: „Psychophysik“. Schmerzformen, Schmerzausschaltung. Transduktionsprozesse an<br />
Nozi-, Mechano-, Thermo-, Geschmacks- und Geruchsrezeptoren. Afferente Leitungsbahnen.<br />
Spinale Informationsverarbeitung.<br />
Klinische Anwendungen: Neurologische Tests von <strong>Somatosensorik</strong> und spinalen Reflexen.<br />
Aufgabe 1: Ermitteln Sie Verteilung und Dichte von Druck-, Schmerz-, Warm- und<br />
Kaltpunkten!<br />
Einführung: Zur Oberflächensensibilität gehören die Sinnesmodalitäten Druck, Berührung,<br />
Temperatur und Schmerz, die sich hinsichtlich ihrer adäquaten Reize und Rezeptorverteilung<br />
unterscheiden. Die Rezeptoren sind regional unterschiedlich verteilt (vergl. Fingerspitze gegen<br />
Oberschenkel). Soll die Dichte der Rezeptoren verglichen werden, muss die Untersuchung daher<br />
am gleichen Hautareal durchgeführt werden (z.B. Volarseite des Unterarms). Eine extreme<br />
mechanische oder thermische Reizung kann zu einer Schmerzempfindung führen. Die Untersuchung<br />
der Druck-, Schmerz-, Warm- und Kaltpunkte sollte deshalb möglichst punktförmig<br />
vorgenommen werden.<br />
Durchführung: Auf der Volarseite des Unterarms wird eine definierte Fläche systematisch durch<br />
punktförmige spezifische Reize abgetastet. Die Reizmodalitäten der zu untersuchenden Rezeptoren<br />
sind in der Tabelle 1 aufgeführt, und die Reizgeräte in der Abbildung 1 dargestellt. Auf die<br />
Volarseiten des rechten oder des linken Unterarms werden Felder von 4 x 1 cm 2 aufgestempelt.<br />
Der Proband legt den zu untersuchenden Arm bequem auf und hält die Augen geschlossen. Der<br />
Untersucher zählt die angegebenen Empfindungsstellen mit einem mechanischen Zählgerät.<br />
Druck: Das v. FREYsche Reizhaar (Abbildung 1a) wird in Abständen von etwa 1 mm zeilenweise<br />
aufgesetzt, es soll sich leicht durchbiegen. Wegen der raschen Adapta-tion sind nur<br />
spontane und sofortige Angaben zu werten. Schmerz: Die Stachelborste (Abbildung 1b) muss in<br />
engem Abstand (ca. 0,5 mm) systematisch aufgesetzt werden (etwa 20 Prüfungen pro Zeile von<br />
1 cm Länge). Temperatur: Die Thermode (Abbildung 1c) wird 1 min in Wasser von 18°C<br />
gestellt und dann abgewischt (die Thermode kann diese Temperatur etwa 1 min halten). Auf dem<br />
4 cm 2 -Areal werden damit die Kaltpunkte abgetastet. Danach werden im gesamten 4 cm 2 -Areal<br />
die Warmpunkte mit der auf 40°C temperierten Thermode abgetastet. Wegen der Adaptation sind<br />
bei den Temperatursprüngen nur spezifische Temperaturempfindungen und spontane, sofortige<br />
Angaben zu werten.<br />
Modalität adäquater Reiz Adaptation Reizinstrument<br />
Drucksinn<br />
mechanische<br />
Deformation<br />
stark<br />
Reizhaar<br />
Oberflächenschmerz verschieden keine Stachelborste<br />
Tabelle 1<br />
Kaltsinn<br />
Warmsinn<br />
Temperaturen von 18<br />
bis 30°C<br />
Temperaturen von 30<br />
bis 41°C<br />
mittel Thermode 18°C<br />
mittel Thermode 40°C
102<br />
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong><br />
Abbildung 1: Reizinstrumente. a) v. FREYsches Reizhaar, b) Stachelborste, c) Thermode<br />
Ergebnisse:<br />
Druckpunkte/cm 2 Schmerzpunkte/cm 2 Kaltpunkte/cm 2 Warmpunkte/cm 2<br />
Proband<br />
Aufgabe 2: Ermitteln Sie die Unterschiedsschwelle für Druck- und Kraftsinn bei verschiedenen<br />
Reizstärken! Prüfen Sie das WEBER-FECHNERsche Gesetz!<br />
Einführung: Aus der logarithmischen Reizstärke-Empfindungsrelation<br />
E<br />
logI<br />
folgt durch Bildung der Differenzenquotienten das WEBER-FECHNERsche Gesetz:<br />
ΔE 1 ΔI<br />
bzw. ΔE<br />
ΔI I I<br />
Hiernach sind Änderungen der Empfindung (ΔE) proportional zur Reizstärkeänderung (ΔI)<br />
bezogen auf die Ausgangsreizstärke I (gültig im mittleren Reizstärkebereich). Der prozentuale<br />
Reizstärkezuwachs ΔI /I wird als Unterschiedsschwelle (US) bezeichnet. Die Größe der US ist<br />
für die jeweilige Modalität charakteristisch und im Bereich mittlerer Ausgangsstärken konstant,<br />
sie steigt jedoch für schwellennahe und sehr große Reizintensitäten erheblich an. Beim Kraftsinn<br />
unterscheidet man eine statische und eine dynamische US. Die letztere liegt niedriger, da einmal<br />
die dynamische Ansprechempfindlichkeit der Rezeptoren größer ist, zum anderen, weil sich<br />
Trägheitskräfte (zeitliche Änderung des Impulses = Masse × Beschleunigung) zur statischen<br />
Reizwirkung addieren.<br />
Durchführung: Die Ausgangsempfindung wird durch Rechts-Links-Vergleich bei gleicher<br />
Belastung I durch beschwerte Gewichtsschalen hergestellt. Anschließend erfährt die eine<br />
Gewichtsschale einen Zuschlag ΔI, der bei geschlossenen Augen durch den Probanden sicher<br />
erkannt werden muss. Zur Messung der Druck-US werden beide Hände mit der Dorsalseite<br />
aufgelegt (Tisch), die Gewichtsschalen werden gleichzeitig auf die Handflächen aufgesetzt. Die<br />
Anordnung der Schalen wird unsystematisch vertauscht. Zur Messung der statischen Kraft-US<br />
werden die Arme freigehalten, gereizt werden die Muskelrezeptoren der Armbeuger. Bei<br />
dynamischer Prüfung dürfen Wägebewegungen ausgeführt werden. Vor jeder Prüfung der<br />
Unterschiedsempfindlichkeit müssen zum Vergleich die Ausgangsgewichte angeboten werden.
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Ergebnisse:<br />
Drucksinn<br />
Kraftsinn<br />
US (abs.) US (rel.) statisch dynamisch<br />
I [g] ΔI [g] ΔI /I ΔI [g] ΔI /I ΔI [g] ΔI /I<br />
50<br />
100<br />
200<br />
300<br />
Aufgabe 3: Ermitteln Sie die simultane und sukzessive Raumschwelle für Druck- und<br />
Schmerzsinn in Längs- und Querrichtung des Unterarms!<br />
Einführung: Die relative Lokalisation wird durch das taktile Auflösungsvermögen der Haut für<br />
zwei getrennte Reize geprüft. Sie kann durch die Raumschwelle quantifiziert werden. Die<br />
Raumschwelle gibt den minimalen, noch trennbaren räumlichen Abstand zweier Reize an. Zwei<br />
gleichzeitige Empfindungen sind dann räumlich trennbar, wenn sie über getrennte Nervenfasern<br />
geleitet und projiziert werden, zwischen denen eine geringer oder nicht erregte Faser liegt, so<br />
dass zwischen den Erregungsgipfeln im Projektionsgebiet eine Einsattelung liegt. Die Größe der<br />
Raumschwelle charakterisiert die Ausdehnung der Rezeptorfelder, sie ist quer zur Verlaufsrichtung<br />
des Nerven kleiner, weil hier die Länge der rezeptiven Felder kleiner ist. Die Raumschwelle<br />
wird bei neurologischen Untersuchungen der sensiblen Hautinnervation bestimmt.<br />
Abbildung 2: Aesthesiometer<br />
Durchführung: An den Schenkeln des Aesthesiometers (Abbildung 2) werden zur Prüfung des<br />
Drucksinns Kugelansätze, zur Prüfung des Schmerzsinns Spitzen befestigt. Die beiden Schenkel<br />
werden mit gleicher Kraft aufgesetzt. Die Ablesung erfolgt an den Federdynamometern. Der<br />
Proband legt den Unterarm bequem auf und schließt die Augen. Die Prüfung beginnt bei großem<br />
Abstand der Reizpunkte. Der Schenkelabstand wird soweit verringert, bis gerade eben noch zwei<br />
räumlich getrennte Empfindungen auftreten. Die Raumschwelle kann am Noniusmaßstab<br />
abgelesen werden. Für die simultane Schwelle müssen beide Reizpunkte streng gleichzeitig, für<br />
die sukzessive Schwelle kurz hintereinander aufgesetzt werden.
104<br />
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong><br />
Ergebnisse:<br />
Druck<br />
Schmerz<br />
Raumschwelle sukzessiv [cm]<br />
Raumschwelle simultan [cm]<br />
längs quer längs quer<br />
Aufgabe 4: Prüfen Sie die absolute und relative Lokalisation des Lagesinns mit dem<br />
Fingerbeugeversuch!<br />
Einführung: Gelenkrezeptoren arbeiten phasisch-tonisch im jeweiligen Arbeitsbereich von etwa<br />
± 10°; Änderungen der Winkelstellung führen zu einer dynamischen Entladungsserie, die auf<br />
einen stationären Wert abklingt, der die Endstellung des Gelenks widerspiegelt. Die Richtung der<br />
Winkeländerung (Flexion oder Extension) wird innerhalb des Arbeitsbereiches eines Rezeptors<br />
durch das Vorzeichen der dynamischen Antwort (Hemmung oder Erregung) angezeigt. Der<br />
Winkelbereich wird durch die Ortsanordnung der unterschiedlichen Rezeptoren kodiert. Mittels<br />
dieser Informationen kann eine vorgeschriebene Gelenkstellung aktiv aus dem Gedächtnis<br />
reproduziert werden (absolute Lokalisation), oder es kann eine von der vorgeschriebenen<br />
Stellung abweichende passive Einstellung unterschieden werden (relative Lokalisation). Für diese<br />
Winkelunterschiedsschwelle gilt nicht das Weber-Fechner-Gesetz, da für jeden Winkelbereich<br />
andere Rezeptoren gereizt werden.<br />
Durchführung: Über die oberen Fingerglieder des Zeigefingers wird eine Hülse geschoben, die<br />
einen Zeiger trägt. Das Interdigitalgelenk wird in den Mittelpunkt eines graduierten Halbkreises<br />
gebracht (Abbildung 3). Bei allen Versuchen hält die Versuchsperson die Augen geschlossen.<br />
Abbildung 3: Prüfung des Lagesinns durch Fingerbeugeversuch<br />
A. Aktive Reproduktion einer passiv vorgegebenen Winkelstellung: Der Zeiger wird vom<br />
Versuchsleiter auf einen Winkel α eingestellt und danach auf 0° zurückgeführt. Der Proband<br />
wird aufgefordert, die vorherige passive Einstellung aktiv zu reproduzieren.<br />
B. Feststellung der Unterschiedsschwelle bei passiver Gelenkeinstellung: Der Zeiger wird vom<br />
Versuchsleiter auf einen Winkel α eingestellt, auf 0° zurückgeführt und dann auf einen etwas<br />
abweichenden Winkel α ± Δα gebracht. Es soll die kleinste, vom Probanden sicher angegebene<br />
Winkelabweichung Δα festgestellt werden.
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong> 105<br />
Ergebnisse:<br />
vorgegebener<br />
Winkel α [°]<br />
20<br />
40<br />
60<br />
80<br />
absolute Lokalisation<br />
aktiv eingestellter Winkel<br />
α [°]<br />
absolute Unterschiedsschwelle<br />
Δα [°]<br />
relative Lokalisation<br />
relative Unterschiedsschwelle<br />
Δα/α<br />
Aufgabe 5: Bestimmen Sie die Abhängigkeit der Adaptationszeit von Größe und Richtung<br />
eines Temperatursprungs und der gereizten Hautfläche!<br />
Einführung: Die Temperaturempfindung wird bestimmt durch Größe, Richtung und Dauer der<br />
dynamischen Rezeptorantwort, die ihrerseits eine Funktion der zeitlichen Temperaturänderung<br />
am Rezeptor ist, also von Größe, Vorzeichen und Steilheit des Temperatursprungs abhängt. Wird<br />
die Entladungsfrequenz stationär, so erlischt schließlich die Temperaturempfindung. Die<br />
Adaptationszeit t A hängt bei rechteckigen Temperatursprüngen von der Differenz von Ausgangsund<br />
Endtemperatur sowie von der Größe des gereizten Hautbezirks ab. Sie überdauert die<br />
Rezeptoradaptation infolge der räumlichen und zeitlichen Summation der an den Zentren<br />
einlaufenden Erregungen.<br />
Durchführung: Adaptationszeit: Zeit zwischen Temperatursprung (rascher Übergang einer<br />
definierten Hautfläche aus Wasser von Indifferenztemperatur in kälteres bzw. wärmeres Wasser)<br />
und Erlöschen der Temperaturempfindung. Tauchen Sie Ihren Zeigefinger bis zur Wurzel in<br />
Wasser der Indifferenztemperatur T 1 (30°C; Voradaptation, muss streng konstant gehalten<br />
werden). In einem zweiten Glas wird Wasser von abweichender Prüftemperatur T 2 (zwischen<br />
20...40°C) aus der Kalt- und Warmwasserleitung gemischt. Die beiden oberen Fingerglieder<br />
werden rasch eingetaucht. Sie dürfen dann nicht mehr bewegt werden, da sonst eine Störung des<br />
Temperaturgradienten eintritt. Die Zeit bis zum Erlöschen der Empfindung wird bestimmt (in<br />
Sekunden). Anschließend erfolgt wieder Voradaptation auf 30°C und Prüfung bei anderen<br />
Temperatursprüngen. Danach werden für einige der untersuchten Temperatursprünge die<br />
Adaptationszeiten bei Überführung der ganzen Hand aus Wasser von 30°C in solches mit<br />
abweichender Temperatur geprüft.<br />
Ergebnisse:<br />
Prüftemperatur T 2<br />
[°C]:<br />
Finger: t A [s]<br />
Hand: t A [s]<br />
20 25 30<br />
(Bezugstemperatur)<br />
35 40
106<br />
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong><br />
t A<br />
[s]<br />
18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40<br />
Prüftemperatur T 2<br />
[°C]<br />
Abbildung 4: Messpunkte für t A (Finger) bzw. t A (Hand) (verschiedene Symbole verwenden!)<br />
Aufgabe 6: WEBERscher Dreischalenversuch<br />
Weisen Sie die Bedeutung der zeitlichen Temperaturänderung für die Temperaturempfindung<br />
nach!<br />
Einführung: Temperaturrezeptoren haben eine ausgeprägte Differentialquotienten-<br />
Empfindlichkeit. Warmrezeptoren zeigen bei Warmsprung eine positiv dynamische Antwort<br />
(überschießende Erregung), die nach Ausgleich des Temperaturgefälles dT/dt in der Haut in die<br />
statische AP-Frequenz übergeht. Diese zeigt die höhere Temperatur als solche an. Bei Kaltsprung<br />
tritt an diesen Fasern eine negativ dynamische Phase (überschießende Hemmung) auf, bei<br />
anhaltender Kälte wird die AP-Frequenz wieder stationär. Kaltrezeptoren verhalten sich<br />
umgekehrt. Das Vorzeichen der dynamischen Antwort ist die Information für die Art des<br />
Rezeptors. Lange vor dieser elektrophysiologischen Erklärung behauptete WEBER, dass der<br />
adäquate Reiz für die Temperaturempfindung die zeitliche Änderung der Hauttemperatur sei.<br />
Grundlage dieser Theorie ist die Beobachtung beim Dreischalenversuch, dass bei verschiedener<br />
Voradaptation trotz gleicher Umgebungstemperatur der Hand verschiedene Temperaturempfindungen<br />
auftreten.
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong> 107<br />
Abbildung 5: Aktionspotenzialmuster von Thermorezeptoren bei Temperatursprüngen<br />
Durchführung: Drei Schalen werden gemäß Abbildung 6 mit Wasser von 25°C, 30°C bzw. 35°C<br />
gefüllt. Die linke Hand wird auf 25°C, die rechte auf 35°C adaptiert. Nach Erlöschen der<br />
Empfindung werden beide Hände gleichzeitig in die mittlere Schale von 30°C getaucht und ruhig<br />
gehalten. Bestimmen sie für jede Hand die Zeit, bis die spezifische Temperaturempfindung<br />
erlischt. Vergleichen Sie rechts/links!<br />
Abbildung 6: WEBERscher Dreischalenversuch<br />
Ergebnisse:<br />
Empfindung links: rechts:<br />
Zeit [s] bis zum Erlöschen der Temperaturempfindung<br />
links:<br />
rechts:<br />
Temperatursprung<br />
Warmrezeptoren<br />
Kaltrezeptoren<br />
linke Hand<br />
rechte Hand<br />
Deutung der Befunde durch das AP-Muster der Warm- und Kaltrezeptoren beider Hände (vergl.<br />
Abbildung 5):
108<br />
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong><br />
Aufgabe 7: Ermitteln Sie die regionale Verteilung der Geschmacksqualitäten auf der<br />
Zunge!<br />
Einführung: Die Empfindung der vier Grundqualitäten süß, sauer, salzig, bitter wird durch<br />
spezifische, auf der Zunge regional angeordnete Geschmacksknospen vermittelt. Für eine<br />
regionale Trennung der Geschmacksempfindungen spricht auch die unterschiedliche afferente<br />
Zungeninnervation: Vorderer Teil durch N. lingualis und Chorda tympani, Zungengrund durch<br />
N. glossopharyngeus und N. vagus.<br />
Durchführung: Die vorgestreckte Zunge der Probanden wird mit zugespitzten Papierfilterstreifen<br />
punktweise abgetastet, die mit den Testlösungen getränkt sind.<br />
Geschmacksempfindung Testlösung Konzentration [mmol /l]<br />
süß Rohrzucker 116<br />
sauer Weinsäure 29<br />
salzig Kochsalz 1710<br />
bitter Chininhydrochlorid 1,4<br />
Prüfen Sie die Qualitäten in der genannten Reihenfolge jeweils systematisch von der Spitze bis<br />
zum Grund einschließlich der Zungenränder. Spülen Sie nach jeder Geschmacksqualität und<br />
trocknen Sie die Zunge. Achten Sie darauf, dass die Reizung punktförmig ist und der Geschmacksstoff<br />
auf der Zunge nicht verläuft. Tragen Sie die Reizpunkte mit spezifischer Geschmacksempfindung<br />
in das nachfolgende Zungenschema ein!<br />
Ergebnisse:<br />
Abbildung 7: Zungenschema. Verwenden Sie für die vier Geschmacksqualitäten verschiedene<br />
Symbole und vermerken Sie die ungefähre Innervationsverteilung!
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong> 109<br />
Aufgabe 8: Klinisch relevante Eigen- und Fremdreflexe<br />
Prüfen Sie Bizeps-, Trizeps-, Patellarsehnen-(Quadrizeps-), Achillessehnen-(Trizeps-surae-) und<br />
Masseterreflex sowie die Fremdreflexe: Bauchhautreflex, Fußsohlenreflex, Korneal- und<br />
Konjunktivalreflex!<br />
Durchführung: Bizepssehnenreflex (BSR, Verschaltung in C5..C6): Man legt den Unterarm der<br />
Versuchsperson auf den eigenen Unterarm, umfasst mit der Hand das Ellenbogengelenk, legt den<br />
Daumen auf die Bizepssehne und schlägt mit dem Reflexhammer auf den Daumen. Der<br />
Reflexerfolg ist eine Unterarmbeugung.<br />
Trizepssehnenreflex (TSR, Verschaltung C7..C8): Er wird durch Schlag auf die Trizepssehne<br />
oberhalb des Olekranon, die man zuvor palpiert hat, ausgelöst und besteht in der Streckung des<br />
Unterarms. Auch hierbei unterstützt man den Arm des Probanden in der Ellenbeuge, so dass er<br />
leicht gebeugt ist.<br />
Patellarsehnenreflex (PSR, Verschaltung L3..L4; Effektor M. quadriceps.): Die sitzende<br />
Versuchsperson schlägt die Knie übereinander, so dass der Unterschenkel gebeugt ist. Zweckmäßig<br />
lässt man das Bein etwas strecken, hemmt aber die Streckung durch Zurückdrücken des<br />
Schienbeins und schlägt dann mit dem Reflexhammer auf die Kniesehne. Bei mehrmaligem<br />
Ausbleiben des Reflexerfolges lässt man den JENDRASSIK-Handgriff ausführen: Man zieht die<br />
ineinander fest verhakten Hände ruckartig auseinander, gleichzeitig führt man den Schlag mit<br />
dem Reflexhammer aus.<br />
Achillessehnenreflex (ASR, Verschaltung in S1..S2; Effektor: M. triceps surae) Der Proband<br />
kniet mit dem zu prüfenden Bein auf einem Stuhl, so dass der Unterschenkel gebeugt ist und frei<br />
überhängt. Mit dem Reflexhammer schlägt man auf die Achillessehne, der Reflexerfolg ist eine<br />
Plantarflexion des Fußes. Bei Misserfolg lässt man auch hierbei den JENDRASSIK-Handgriff<br />
ausführen.<br />
Masseterreflex (MR, N. trigeminus ..Pons ..N. facialis): Bei halb geöffnetem Mund wird ein<br />
Spatel auf die untere Zahnreihe gelegt und mit dem Reflexhammer daraufgeklopft. Der Reflexerfolg<br />
ist eine Hebung des Unterkiefers. Grundsätzlich kann man jeden Muskel durch Beklopfen<br />
seiner Sehne oder des Muskelbauchs zur Reflexkontraktion bringen, wenn dies nur zur Dehnung<br />
um mindestens 0,8 % der Ausgangslänge in 0,05 s führt und eine gewisse Hintergrundtonisierung<br />
vorliegt.<br />
Bauchhautreflex (BHR, Th6..Th12): Bestreichen der Bauchhaut mit einer Nadel. Durch die<br />
Inscriptiones tendineae des M. rectus abdominalis wird die Abdominalmuskulatur in drei Etagen<br />
geteilt. Es soll versucht werden, die Abschnitte durch Bestreichen der entsprechenden Hautabschnitte<br />
einzeln zur Kontraktion zu bringen.<br />
Fußsohlenreflex (FSR): Kräftiges Bestreichen der lateralen Fußsohlenkante von der Ferse nach<br />
ventral (mit einem Spatel). Beobachten Sie die Reaktion bei schwachem und starkem Reiz.<br />
Korneal- und Konjunktivalreflex (KOR, KJR; N. trigeminus ..Pons ..N. facialis): Berühren Sie<br />
mit dem Wattestäbchen die Konjunktiva. Die agierende Hand sollte auf der Wange der Versuchsperson<br />
abgestützt werden. Versuchen Sie, mit gleicher Reizstärke auch die Kornea zu<br />
berühren. Sie werden bei richtiger Ausführung beobachten, dass der Kornealreflex leichter<br />
auslösbar ist als der Konjunktivalreflex.
110<br />
IV/1 <strong>Somatosensorik</strong><br />
Ergebnisse:<br />
BSR<br />
TSR<br />
PSR<br />
Reflex normal lebhaft träge nicht auslösbar Seitendifferenz<br />
PSR + Jendrassik<br />
ASR<br />
ASR + Jendrassik<br />
MR<br />
BHR<br />
FSR<br />
KOR<br />
KJR<br />
Aufgabe 9: Eigenreflex-EMG bei Bahnung und Hemmung<br />
Weisen Sie mit dem EMG die Einzelzuckung beim Achillessehnenreflex nach. Studieren Sie den<br />
Einfluss von Bahnung und Hemmung!<br />
Einführung: Dehnung des Muskels durch Schlag auf die Sehne löst über den Eigenreflex eine<br />
Einzelzuckung aus, und im Reflex-EMG sollte sich nur ein einzelnes Summenaktionspotenzial<br />
(AP) finden. Bei einer kurzen tetanischen Zuckung, die äußerlich nicht von der Einzelzuckung zu<br />
unterscheiden ist, müsste stets eine Serie von Summen-AP zu finden sein. Die im Oberflächen-<br />
EMG ableitbare Potenzialhöhe ist von der Zahl gleichzeitig erregter motorischer Einheiten<br />
abhängig. Bei Bahnung des Eigenreflexes, z.B. durch den JENDRASSIK-Handgriff, wird das<br />
Potenzial größer. Durch willkürliche antagonistische Hemmung des Eigenreflexes wird die Zahl<br />
der erregten Agonisten-MN und damit die Reflexgröße weitgehend reduziert. Es resultiert eine<br />
Abnahme der EMG-Höhe.<br />
Durchführung: Am Unterschenkel des Probanden werden in Längsrichtung über M. gastrocnemius<br />
und M. soleus EKG-Plattenelektroden mit NaCl-getränkter Zellstofflage mittels Gummibinden<br />
befestigt und mit dem Eingang eines EKG-Direktschreibers verbunden. Am anderen Bein<br />
wird geerdet. Lösen Sie den Achillessehnenreflex wie unter Aufgabe 8 aus, zeichnen Sie das<br />
EMG mit 50 mm/s Schreibgeschwindigkeit und etwa 10 mm Amplitude mehrmals auf. Variieren<br />
Sie die Schlagstärke und studieren Sie die Änderungen der Spikehöhe. Führen Sie den gleichen<br />
Versuch bei konstanter Schlagstärke mit und ohne JENDRASSIK-Handgriff durch. Fordern Sie<br />
den Probanden zur Willkürflexion des Fußes auf, lösen Sie den Reflex erneut aus. Hierbei<br />
können Beuger-Aktionsströme in das EMG einstreuen. Bei allen Versuchen soll eine konstante<br />
Verstärkung am EKG-Gerät beibehalten werden.<br />
Ergebnisse: Originalregistrierung bzw. Nachzeichnung der verschiedenen EMG-Formen mit<br />
sorgfältiger Beschriftung.