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Über Christoph Marthalers Inszenierung von Shakespeares "Was ihr wollt" am Schauspielhaus Zürich 2001.

LMU München - Hauptseminar Theaterwissenschaft "Inszenierungsanalyse" - 2004/05

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Dieser der Aufführung immanenten Erinnerungskultur wird die Erinnerungskultur des<br />

mitteleuropäischen Raums entgegengesetzt. Die große intertextuelle Verschränkung<br />

mit der abendländischen Kulturtradition reißt Bedeutungs- und Assoziationshorizonte<br />

auf.<br />

Der Pluralismus einer Multilingua, der sich innerhalb einzelner<br />

Idiolekte und in der enormen Variationsbreite heterogener<br />

künstlerischer Sprachformen im derzeitigen „Labyrinth der Kunst“<br />

(Achille Bonito Oliva) äußert, bedarf einer neuen flexiblen<br />

Interpretationshaltung und neuer Kriterien der Aufmerks<strong>am</strong>keit<br />

und Beurteilung gleichermaßen. Die Vielfalt, die eine Orientierung<br />

erschwert, da sie sich nicht sofort stimmig, sondern vielstimmig<br />

präsentiert, ist ebenso Potential zu einer motivierten, neuen<br />

Stiftung <strong>von</strong> Beziehungs-Sinn wie Tendenz zur Beliebigkeit. Eine<br />

neue Misch-Technik ermöglich sowohl einen avancierten<br />

materialgerechten Umgang mit Rücksicht auf ein Gedächtnis im<br />

Zeichen und die eigene historische Position als auch eine<br />

Verr<strong>am</strong>schung des reichhaltigen Inventars in kulturellen<br />

Gedächtnis-Archiven. 55<br />

Mit dieser Methode des Zitierens entsteht mitunter der Eindruck, die Figuren hätten<br />

keine originär eigene Rede. Die Bilder, aus denen sich die Motive der <strong>Inszenierung</strong><br />

zus<strong>am</strong>mensetzen, sind wohlbekannt. Der verhandelte Inhalt wird so um die<br />

„Hintergrunderzählungen“ erweitert, auf die angespielt wird. Gleichzeitig erlaubt diese<br />

Zus<strong>am</strong>menstellung <strong>von</strong> „Aufführungsgeschichte“ und Kulturgeschichte dem Zuschauer<br />

Analogien zu persönlichen Lebenssituationen und Gefühlen zu ziehen.<br />

Aus dieser formalen Dichte ergeben sich inhaltliche Schwerpunkte, die um die<br />

Verlorenheit eines bürgerlichen Individuums in seiner Gesellschaft kreisen. Es stellt<br />

sich die Frage nach der persönlichen Rechtfertigung einer postbürgerlichen Existenz.<br />

Ist dieses möglich und denkbar, oder sind wir zu stark an die alten Werte, vor allem<br />

des 19. Jahrhunderts, gebunden<br />

Die Arbeiten <strong>von</strong> <strong>Christoph</strong> Marthaler zeigen so starke formelle und inhaltliche<br />

Ähnlichkeiten und Referenzen untereinander, dass man mittlerweile wirklich <strong>von</strong> einem<br />

kohärenten Ges<strong>am</strong>twerk sprechen kann. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtungen<br />

sich dieser Stil noch entwickeln kann und wie sich sein Einfluss auf andere Theatermacher<br />

weiterhin gestalten wird. <strong>Was</strong> bleibt, ist Literatur.<br />

55 Meyer, Intermedialität, S. 348.<br />

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