Über Christoph Marthalers Inszenierung von Shakespeares "Was ihr wollt" am Schauspielhaus Zürich 2001.
LMU München - Hauptseminar Theaterwissenschaft "Inszenierungsanalyse" - 2004/05
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und nicht auf Grund der Notwendigkeit einer verständlichen Motivation. Zeit als<br />
logische, aufeinander aufbauende Abfolge <strong>von</strong> Ereignissen ist so gut wie nicht<br />
relevant. Die einzelnen Spielpatterns wirken willkürlich zus<strong>am</strong>mengesetzt, es wird<br />
keine zwingende Reihenfolge suggeriert. Dabei kreisen sie um bestimmte inhaltliche<br />
Schwerpunkte, wie Liebe oder Sehnsucht, die sich schon in <strong>Shakespeares</strong> Vorlage<br />
finden lassen.<br />
Da Marthaler sehr frei mit dem Shakespeare-Text umgeht, und eine Rekonstruktion<br />
des Probenprozesses nicht möglich ist, erweist sich auch eine Transformationsanalyse<br />
als nicht hilfreich. Natürlich ist eine genaue Kenntnis <strong>von</strong> <strong>Shakespeares</strong> Dr<strong>am</strong>a<br />
unumgänglich. Der Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Dr<strong>am</strong>entext, Spielfassung<br />
(gesprochener Text) und ganzer Aufführung ist allerdings keine Einbahnstraße,<br />
sondern ein dyn<strong>am</strong>ischer Dialog.<br />
Die szenische Darstellung – hierin der Traumdarstellung<br />
vergleichbar – und die den Text begleitende Abbildung<br />
bereichern den Text und zeigen Lesarten mit bisweilen<br />
unvorhersehbaren Strategien. Jede <strong>Inszenierung</strong>, auch die<br />
einfachste und expliziteste, „verschiebt“ den Text: Durch sie sagt<br />
er Dinge, die kein kritischer Kommentar jemals zu sagen vermag<br />
– fast als könne die <strong>Inszenierung</strong> das Unsagbare sagen. 9<br />
Das, was in der Literatur zwischen den Zeilen steht, kann eine <strong>Inszenierung</strong><br />
konkretisieren. Eine komplementäre Ergänzung des Textes mit den szenischen Mitteln<br />
des Theaters hilft Redundanz zu vermeiden und erlaubt Vielschichtigkeit. Um die dabei<br />
gewonnene Polyvalenz nicht in eine unerwünschte Beliebigkeit zu führen, ist konzeptorientiertes<br />
Denken und Intuition <strong>von</strong>nöten. Diese Beschränkung auf bestimmte<br />
Bedeutungsfelder und Stilmittel der Gestaltung bedingt die dichte interne Vernetzung<br />
und die Geschlossenheit der Aufführung.<br />
Wie solche dominanten Themenkomplexe in <strong>Marthalers</strong> <strong>Inszenierung</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Shakespeares</strong> <strong>Was</strong> <strong>ihr</strong> wollt aufgebaut und durchgespielt werden, will ich in dieser<br />
Arbeit exemplarisch aufzeigen. Um das Springen <strong>von</strong> Einzelbeobachtung zu Motiv und<br />
zurück nicht allzu willkürlich erscheinen zu lassen, verläuft die Segmentierung und<br />
somit die Gliederung nach dominanten Topoi und nicht nach Zeichensystemen oder<br />
Szenenfolgen. Wiewohl all diese Zergliederungen im Vorhinein stattgefunden haben<br />
müssen.<br />
9 Pavis, „Die <strong>Inszenierung</strong>“, S. 19.<br />
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