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Besuch der alten Dame - Stowarzyszenie De Musica

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M u z y k a l i a IV · <strong>De</strong>utsches Heft 1<br />

3. Das Libretto<br />

Die Gestaltung des Librettos ist formbewußt und dramatisch effektvoll, dicht, verknappt, verkürzt,<br />

um zu intensivieren. Umstellungen einzelner Stellen verursachen die Modifizierung des Inhalts. Von<br />

Einem nennt in seiner Autobiographie manche Grundzüge dieser wichtigen literarischen Gattung, die noch<br />

im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t stark unterschätzt wurde. Das Libretto hat ein zusätzliches Ziel, das den an<strong>der</strong>en<br />

Gattungen fehlt – es ist für die Musik geschrieben, muß also vieles mit ihr teilen: die Zeit (Kürze), die sich<br />

erzeugende Spannung <strong>der</strong> dramatischen Handlung. Die Sprache des Textes, <strong>der</strong> zum Libretto wird, muß<br />

schon musikalische Züge an sich besitzen. Solch kleine Elemente wie Vokale und Konsonanten spielen<br />

eine große Rolle. Die dramatische Struktur muß so klar wie möglich hervorgehoben werden: „Wenn ein<br />

Wort für den Gesang vertont wird, erfährt es eine Verän<strong>der</strong>ung nicht nur in seiner Dauer, son<strong>der</strong>n auch<br />

inhaltlich; es erhält eine neue Dimension“ 51 . Die Musik braucht Räume zwischen den Zeilen, die sie<br />

ausfüllen kann, denn: „Die durchschnittliche Dauer eines Sprechsatzes in <strong>der</strong> Musik ist ziemlich genau um<br />

die Hälfte länger als im gesprochenem Stück (wobei natürlich Variationen im Sprachtempo keine völlig<br />

zuverlässige Basis bieten)“ 52 . Die Information fließt an<strong>der</strong>s, nicht vom Hören zum <strong>De</strong>nken, wie beim<br />

Stück, son<strong>der</strong>n vom Hören zum Fühlen.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Komponist den Begriff „Literaturoper“ in seiner Autobiographie nirgendwo gebraucht<br />

und <strong>der</strong> Terminus noch mangelnde Trennschärfe zu besitzen scheint, kann die Zugehörigkeit <strong>der</strong> Oper <strong>De</strong>r<br />

<strong>Besuch</strong> <strong>der</strong> <strong>alten</strong> <strong>Dame</strong> zu den Literaturopern nicht abgesprochen werden, weil sie, wie die Forschung von<br />

Albert Gier zeigt, wie Claude <strong>De</strong>bussys Pelleas et Melisande sich ähnlichen Mitteln bedient 53 .<br />

Literaturoper ist ihrem Begriff nach ein Operntypus des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Die Sprechstücke, die per<br />

definitionem nicht zur Komposition bestimmt sind, werden mehr o<strong>der</strong> weniger stark gekürzt, aber sonst<br />

weitgehend unverän<strong>der</strong>t vertont 54 . Die Alte <strong>Dame</strong> erfüllt alle diese Bedingungen. Das Libretto besteht aus<br />

„größeren o<strong>der</strong> kleineren Bruchstücken“ eines Schauspiels, wo jedoch viele Erscheinungen in neuem Licht<br />

gezeigt werden.<br />

Wenden wir uns an dieser Stelle den Verän<strong>der</strong>ungen Dürrenmatts zu, die er an seinem Schauspiel<br />

durchgeführt hat. Sie beruhen auf <strong>der</strong> Erkenntnis, die er nach <strong>der</strong> Oper Dantons Tod gewonnen hat, daß<br />

man manches vom Text gar nicht verstehen dürfe, weil die Musik <strong>der</strong> absolut legitime Sinnträger sei. Nur<br />

muß das Fortschreiten <strong>der</strong> Handlung für den Zuhörer klar sein, in welchem Fall die Musik zurückzutreten<br />

habe 55 . <strong>De</strong>r Schriftsteller war mit von Einem darüber einig, daß <strong>der</strong> Grundzusammenhang einer Oper<br />

stärker durch die Musik als durch die Worte enthüllt werde, es gäbe sogar Augenblicke, in denen ein Zuviel<br />

an Wortgenauigkeit sogar störend sein könnte. Dies ist auch die Meinung von Einems 56 . Dürrenmatt hat<br />

auch gleich eingesehen, daß diese musikdramatische Gattung ein zur Komposition bestimmter Text ist,<br />

51<br />

Vgl. Ebda, S. 239.<br />

52<br />

Vgl. A. Briner, S. 253.<br />

53<br />

Vgl. A. Gier, S. 201.<br />

54<br />

Ebda, S. 6.<br />

55<br />

Vgl. vE, S. 241.<br />

56<br />

Ebda, S. 246.<br />

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