Juli & August - in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde ...
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Z E I T Z E I C H E N<br />
Ist Religion humorlos<br />
Admiel Kosman, Professor für jüdische Studien<br />
Wer sich den Religionen humoristisch<br />
nähert, muss mit heftiger Abwehr rechnen.<br />
Dennoch lernt <strong>der</strong> Leser des<br />
Talmuds: Lachen kann auch heilsam se<strong>in</strong>.<br />
Im Regelfall lassen die großen Religionen<br />
e<strong>in</strong>e Distanz zum Humor und dem<br />
maßlos törichten Lachen erkennen und betrachten<br />
beides als niedrige Ausdrucksweisen<br />
<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Torheit verbundenen<br />
Freude. Diese Haltung drückt sich zum<br />
Beispiel <strong>in</strong> den Worten <strong>der</strong> Bergpredigt<br />
aus: „Selig, die ihr jetzt we<strong>in</strong>t, denn ihr<br />
werdet lachen … Weh euch, die ihr jetzt<br />
lacht, denn ihr werden klagen und we<strong>in</strong>en.“<br />
(Lukas 6,21 und 25). In diesem<br />
S<strong>in</strong>ne erklärt <strong>der</strong> Kirchenvater Johannes<br />
Chrysostomos, dass Jesus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben<br />
nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal gelacht habe und<br />
erläutert ferner, e<strong>in</strong> vernünftiger Mensch<br />
könne während se<strong>in</strong>es Lebens <strong>in</strong> dieser<br />
Welt nicht lachen, wenn er von den<br />
schweren Qualen wüsste, die Jesus bei se<strong>in</strong>er<br />
Kreuzigung erlitten habe. Chrysostomos<br />
schlussfolgert zum e<strong>in</strong>en, dass das Lachen<br />
und die Fröhlichkeit zur Sünde führten,<br />
zum an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> Anlehnung an Lukas,<br />
dass diejenigen, die während ihres Lebens<br />
lachen, am Tag des letzten Gerichts<br />
we<strong>in</strong>en werden. Diese Haltung ist für die<br />
Kirchenväter typisch. In den asketischen<br />
Strömungen des Judentums und des Christentums<br />
existiert die Auffassung, dass <strong>der</strong><br />
ideale Mensch se<strong>in</strong> gesamtes Leben lang<br />
nicht lacht.<br />
Im Koran lässt sich schwer e<strong>in</strong>e<br />
humoristische Passage f<strong>in</strong>den – bis auf jene<br />
Passagen, die denjenigen Hohn versprechen,<br />
die nicht denselben Glauben haben.<br />
Ähnlich respektlose Haltungen gegenüber<br />
„Ungläubigen“ f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> allen an<strong>der</strong>en<br />
Religionen. In den Buddhakarita, e<strong>in</strong>er<br />
buddhistischen Quelle des 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
steht<br />
g e s c h r i e -<br />
ben, dass<br />
s i c h<br />
Buddha, als<br />
er lachende<br />
M ä d c h e n<br />
sah, fragte,<br />
wie sie nur<br />
so sehr lachen<br />
könnten, da doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt so<br />
schreckliche Ersche<strong>in</strong>ungen wie Krankheit<br />
und Tod existierten.<br />
In gleicher Weise lassen auch die antiken<br />
Quellen des Judentums e<strong>in</strong>e Abneigung<br />
gegenüber dem Lachen erkennen. So<br />
heißt es zum Beispiel im Traktat Avot des<br />
babylonischen Talmud: „Wegen des Lachens<br />
und <strong>der</strong> Leichts<strong>in</strong>nigkeit gewöhnt<br />
sich <strong>der</strong> Mensch an die Hurerei.“ Rabbi<br />
Jochanan, e<strong>in</strong> Gelehrter des 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
warnte davor, dass „<strong>der</strong> Mensch <strong>in</strong><br />
dieser Welt se<strong>in</strong>en Mund nicht mit Lachen<br />
fülle“.<br />
Der berühmte Lyriker Chaim Nachman<br />
Bialik beklagte sich: „Bei uns (<strong>in</strong> unseren<br />
Quellen) gibt es wenig Humor. In <strong>der</strong><br />
hebräischen Bibel lassen sich schwer fünf<br />
durchgehende Verse f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> denen<br />
Humor ersichtlich ist.“<br />
Aus theologischer Perspektive ist nachvollziehbar,<br />
warum die verschiedenen Religionen<br />
den Humor als e<strong>in</strong> dubioses und<br />
manchmal sogar korrompierendes Phänomen<br />
betrachten.<br />
Für den religösen Menschen ist <strong>der</strong> Witz<br />
e<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dische Eigenschaft. Denn <strong>der</strong><br />
Mensch, <strong>der</strong> Witze macht, ist auf sich<br />
selbst konzentriert, er erfreut sich <strong>in</strong> narzisstischer<br />
Weise an se<strong>in</strong>er geistreichen<br />
Phantasie sowie se<strong>in</strong>er Kunst des Wortspiels<br />
und sonnt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bewun<strong>der</strong>ung<br />
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