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Juli & August - in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde ...

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se<strong>in</strong>er Zuhörer.<br />

Für jemanden, <strong>der</strong> die For<strong>der</strong>ung<br />

„Du sollst de<strong>in</strong>en Nächsten lieben wie<br />

dich selbst“ (Levitikus 19,18) <strong>in</strong> das Zentrum<br />

se<strong>in</strong>es Lebens gestellt hat und mit<br />

Aufmerksamkeit auf se<strong>in</strong>e Mitmenschen<br />

zugeht, offenbart sich die traurige Tatsache,<br />

dass <strong>der</strong> Alltag <strong>der</strong> meisten Menschen<br />

von Angst, Depressionen und an<strong>der</strong>en negativen<br />

Gefühlen geprägt ist.<br />

In dieser Situation kann sich <strong>der</strong><br />

Possenreißer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er moralischen<br />

Hässlichkeit als jemand erweisen, <strong>der</strong> für<br />

die Leiden se<strong>in</strong>er Mitmenschen völlig<br />

bl<strong>in</strong>d ist o<strong>der</strong> – <strong>in</strong> schwereren Fällen – gar<br />

die Wunden se<strong>in</strong>er Mitmenschen mit Salz<br />

bedeckt.<br />

Der religiöse Mensch, <strong>der</strong> dagegen<br />

ernst, verantwortungsbewusst und engagiert<br />

auftritt, möchte sich aus Rücksichtnahme<br />

vor dem Leiden an<strong>der</strong>er den Witz<br />

und das Lachen nicht leisten.<br />

Dazu gehen die Religionen zumeist<br />

davon aus, dass es das Leiden ist, welches<br />

den Menschen näher zu Gott br<strong>in</strong>gt. So<br />

heißt es <strong>in</strong> Hebräer 12,11: „Alle Züchtigung<br />

aber, wenn sie da ist, düngt uns nicht<br />

Freude, son<strong>der</strong>n Traurigkeit zu se<strong>in</strong>, aber<br />

danach wird sie geben e<strong>in</strong>e friedsame<br />

Frucht <strong>der</strong> Gerechtigkeit denen, die dadurch<br />

geübt s<strong>in</strong>d.“ Und im babylonischen<br />

Talmud steht geschrieben, dass „Qual und<br />

Leid den Menschen von allen se<strong>in</strong>en Sünden<br />

re<strong>in</strong>igen“.<br />

Im babylonischen Talmud steht aber<br />

auch e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Geschichte. Dieser<br />

Erzählung zufolge gehen Elija und Rabbi<br />

Beroqa auf dem Marktplatz e<strong>in</strong>er Stadt<br />

namens Be Lapet spazieren. (Wie auch <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>en jüdischen Quellen ist <strong>der</strong> Markt<br />

e<strong>in</strong> S<strong>in</strong>nbild für den seelischen Zustand des<br />

Menschen, <strong>der</strong> stark mit den Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

des Alltags beschäftigt ist.) Der<br />

Rabbi fragt den Propheten, ob es auf diesem<br />

Marktplatz e<strong>in</strong>en Menschen gebe, <strong>der</strong><br />

sich durch se<strong>in</strong>e guten Taten bereits e<strong>in</strong>en<br />

Platz im Jenseits gesichert habe. Elija verweist<br />

den Rabbi auf zwei Brü<strong>der</strong>, die als<br />

Komödianten und Possenreißer die Traurigen<br />

erheitern und unter streitenden Menschen<br />

Frieden stiften. Sie s<strong>in</strong>d die wahren<br />

Wohltäter, die dem Auge <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

verborgen bleiben.<br />

Wie lässt sich erklären, dass die beiden<br />

Witzbolde im Talmud als verborgene<br />

Gerechte präsentiert werden, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

jenseitigen Hierarchie über den sichtbaren<br />

Gerechten angesiedelt werden, wo doch<br />

<strong>der</strong> Humor für die Weisen des Talmuds<br />

e<strong>in</strong>e problematische Angelegenheit darstellt<br />

Mordechai Rotenberg unterscheidet<br />

zwischen e<strong>in</strong>em „Lachen über jemanden“<br />

und e<strong>in</strong>em „Lachen mit jemandem“. Der<br />

Talmud erwähnt die beiden Figuren unserer<br />

Erzählung, weil sie den Humor als<br />

Mittel e<strong>in</strong>setzten, um im dialogischen S<strong>in</strong>ne<br />

geme<strong>in</strong>sam mit an<strong>der</strong>en zu lachen. Das<br />

heißt, dass <strong>der</strong> Humor als Werkzeug dient,<br />

um e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung mit dem an<strong>der</strong>en<br />

aufzubauen. E<strong>in</strong> Beispiel für das Lachen<br />

über jemanden: „Jetzt werde ich endlich<br />

gehen“, sagte <strong>der</strong> Gast, nachdem er sich<br />

schon mehrfach verabschiedet hatte und<br />

doch nicht gegangen war. „Ihr müsst euch<br />

nicht bemühen, mich bis zur Tür zu begleiten,<br />

ich kennen ja den Weg.“ „Ne<strong>in</strong>, das<br />

bereitet uns ke<strong>in</strong>e Mühe“, erklärten die<br />

Gastgeber mit e<strong>in</strong>em Lächeln, „das ist uns<br />

e<strong>in</strong> Vergnügen.“<br />

Der Witz deckt mit e<strong>in</strong>em Augenzw<strong>in</strong>kern<br />

über den Kopf des ahnungslosen<br />

Gastes h<strong>in</strong>weg das verborgene Wissen<br />

zwischen dem Gastgeber und dem Leser<br />

auf. Die Gestalt des Gastes wird <strong>in</strong> ihrer<br />

Ehre herabgesetzt, ihrer menschlichen Dimension<br />

beraubt und dadurch zu e<strong>in</strong>em<br />

Objekt degradiert.<br />

Kehren wir zu den Komödianten aus<br />

dem Talmud zurück. Die Tatsache, dass sie<br />

den Rabb<strong>in</strong>ern als große Helden gelten,<br />

können wir auf folgende Weise verstehen:<br />

Ihre Possen und Witze, mit denen sie traurige<br />

Menschen im Durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong> des<br />

Marktes aufzuheitern versuchten, zielten<br />

darauf ab, die therapeutischen<br />

J u l i — A u g u s t 2 0 1 3 17

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