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Rassistische Vorfälle · Sonstige Behörden, öffentliche Institutionen und DienstleisterInnen<br />
54<br />
Frau K.s Schwester besucht eine höhere Schule<br />
in Linz. Anfang des Jahres berichtet sie, dass<br />
einer der Lehrer im Unterricht mehrfach das N-Wort<br />
benutzt. Als SchülerInnen mit dem Hinweis, dass dies<br />
rassistisch wäre, dagegen protestieren, weist er den<br />
Vorwurf zurück und besteht darauf, diesen Ausdruck<br />
auch weiterhin im Unterricht zu gebrauchen. Frau K.s<br />
Schwester geht davon aus, dass der Lehrer die Äußerung<br />
nicht „rassistisch meinte“, es ihm aber sehr wohl<br />
an der nötigen sprachlichen Sensibilität mangelt, die<br />
man insbesondere von einem Pädagogen erwarten<br />
dürfte. Frau K. ersucht ZARA daher, der Schulleitung<br />
den Vorfall anonymisiert ohne Nennung des betreffenden<br />
Lehrers und der SchülerInnen zu schildern<br />
und auf die Problematik hinzuweisen. ZARA tut dies,<br />
klärt ausführlich über die diskriminierende und abwertende<br />
Bedeutung des Wortes auf und regt an, die<br />
Themen <strong>Rassismus</strong> bzw. rassistischer Sprachgebrauch<br />
im LehrerInnenkollegium zu besprechen. Weiters bietet<br />
ZARA an, Sensibilisierungsworkshops, sowohl für<br />
die Lehrpersonen als auch die SchülerInnen durchzuführen.<br />
In seinem kurzen Antwortschreiben weist<br />
der Direktor der Schule darauf hin, dass die Schule<br />
grundsätzlich sehr positiv gegenüber SchülerInnen<br />
nichtösterreichischer Nationalität und anderer Hautfarbe<br />
eingestellt sei, er aber mangels Nennung des<br />
betreffenden Lehrers keine Möglichkeit sehe, in der<br />
angeführten Angelegenheit direkt aktiv zu werden.<br />
ZARA leitet die Antwort an Frau K. weiter. Sie möchte<br />
jedoch nicht, dass der betreffende Lehrer namentlich<br />
genannt wird. Auch befürchtet sie, dass eine solche<br />
Meldung möglicherweise negative Folgen für ihre<br />
Schwester in der Schule haben könnte. Sie ist enttäuscht<br />
darüber, dass der Direktor sich lediglich beschwichtigend<br />
zu dem Vorfall äußert und den Hinweis<br />
auf die bestehende Problematik rassistischen Sprachgebrauchs<br />
in seiner Schule nicht aufgreift. Sie ersucht<br />
ZARA um ein zweites aufklärendes Schreiben an die<br />
Schule. Damit möchte sie die Sache auf sich beruhen<br />
lassen.<br />
ZARA klärt in einer zweiten Stellungnahme an die<br />
Schule nochmals darüber auf, dass die Motivation des<br />
ersten Schreibens nicht die Diffamierung der Schule<br />
als „ausländerfeindlich“, sondern das Hinweisen auf<br />
die Wichtigkeit eines sensiblen Umgangs mit Sprache,<br />
gerade bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen<br />
war. Ein unhinterfragtes Verwenden von veralteten<br />
Ausdrücken könne zu Diskriminierung ohne tatsächlich<br />
rassistische Einstellung führen. Eine weitere<br />
Stellungnahme durch den Direktor der Schule erfolgt<br />
nicht.<br />
55<br />
Anfang Jänner berichten die Medien über<br />
einen Prozess gegen einen Mann türkischer<br />
Herkunft in Wien. Im November 2009 stach er mehrere<br />
Male in Kopf, Brust und Hals seiner Ehefrau, nachdem<br />
diese die Scheidung von ihm verlangt hatte. Die<br />
Anklage lautet in der Folge auf „versuchten Totschlag“,<br />
da die Staatsanwaltschaft dem Mann – bedingt durch<br />
seine türkische Herkunft – zubilligte , in einer „allgemein<br />
begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung“ gehandelt<br />
zu haben. Gerade Ausländer oder Personen<br />
mit Migrationshintergrund befänden sich häufig in<br />
besonders schwierigen Lebenssituationen, die sich,<br />
auch begünstigt durch die Art ihrer Herkunft, in einem<br />
Affekt entladen können. Im Prozess entschlägt<br />
sich die verletzte Ehefrau der Aussage. Der Schöffensenat<br />
schließt sich dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft<br />
an und verurteilt den Mann wegen „versuchten<br />
Totschlags“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren.<br />
Die Staatsanwaltschaft beruft gegen die Strafhöhe, da<br />
sie ein Strafmaß „im oberen Viertel“ der Strafdrohung<br />
von 10 Jahren gefordert hatte.<br />
Politikerinnen der SPÖ und der Grünen kritisieren<br />
das Urteil und die herkunftsbezogene Wertung der<br />
Tat als „kulturbedingte Affekthandlung“. In einem<br />
Zeitungsartikel wird die Grüne Nationalratsabgeordnete<br />
Alev Korun zitiert: „Migranten-Herkunft als Milderungs-<br />
oder gar Entschuldigungsgrund bei Gewalt<br />
gegen Frauen seitens eines Gerichts anzuführen, widerspricht<br />
dem Grundsatz, Menschen gleichen rechtlichen<br />
Schutz zu gewähren. In Österreich lebende<br />
Menschen haben unabhängig von ihrer Herkunft das<br />
Recht, nach österreichischem Recht geschützt und<br />
bestraft zu werden.“<br />
In Reaktion auf diese Kritik rechtfertigt der Sprecher<br />
der Wiener Staatsanwaltschaft Gerhard Jarosch<br />
die Anklage seiner Behörde. Bei der Frage, ob bei<br />
dem Angeklagten eine „heftige Gemütsbewegung“<br />
gegeben war, sei nicht auf den Durchschnittsösterreicher<br />
abzustellen gewesen, sondern „auf einen durchschnittlichen,<br />
aus der Türkei stammenden Arbeiter in<br />
seinem Alter“, sagte Jarosch. Einem solchen sei, bezogen<br />
auf seine Herkunft, Sozialisation und Mentalität<br />
eine heftige Gemütsbewegung jedenfalls zuzubilligen,<br />
wenn ihm seine Frau die Scheidungspapiere präsentiere.<br />
„Die Anklage wegen versuchten Totschlags<br />
war schlicht und ergreifend richtig“, meinte Jarosch<br />
(http://wien.orf.at/stories/417563/).<br />
ZARA dokumentiert das Gerichtsverfahren und die<br />
Kritik am Urteil anhand von Medienberichten.<br />
56<br />
Im August wird ZARA von einer Zeugin auf<br />
einen Artikel hingewiesen, in dem eine Angehörige<br />
der serbischen Minderheit der Walachen<br />
von ihren Erlebnissen bei der Verleihung der österreichischen<br />
Staatsbürgerschaft berichtet (http://dastandard.at/,<br />
12.08.<strong>2010</strong>, „Ich-bin-offensichtlich-anders“).<br />
Frau G. ist Vertriebs- und Marketingverantwortliche<br />
einer großen internationalen Fluglinie. Im Jahr <strong>2010</strong><br />
entschließt sie sich, die österreichische Staatsbürgerschaft<br />
zu beantragen, da sich die Visa-Beschaffung<br />
auf ihren zahlreichen Dienstreisen als Serbin sehr<br />
mühsam gestaltet. Obwohl sie in Österreich geboren<br />
und aufgewachsen ist und ihre Schullaufbahn mit Matura<br />
abgeschlossen hat, muss sie einen Deutschtest<br />
absolvieren. Bei einem anschließenden Telefonat mit<br />
einer Mitarbeiterin des für sie zuständigen Magistrats<br />
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