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typisch evangelisch - Kirchenbezirk Geislingen

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Aus Kirche und Gesellschaft<br />

Luther beim Thesenanschlag<br />

Den eigenen Zugang zu Gott finden<br />

Martin Luthers Übersetzung der Bibel war revolutionär<br />

MARKUS HARTMANN<br />

Welches Schlagwort fällt einem katholischen Theologen<br />

als erstes ein zum Thema protestantische Theologie?<br />

Richtig: Zuerst das sola gratia. Und als Zweites gleich das<br />

sola scriptura, die Besinnung darauf, dass die Heilige<br />

Schrift die einzige und authentische Quelle theologischer<br />

Erkenntnis ist. Und das nicht nur für Theologen, sondern<br />

für alle Glaubenden. Diese Erkenntnis ist im Grunde<br />

selbstverständlich. Dennoch war sie zur Zeit Martin<br />

Luthers, in der beginnenden Renaissance, in Vergessenheit<br />

geraten. Die Frömmigkeit dieser Zeit war geprägt von<br />

Vorstellungen des Spätmittelalters von einem richtenden<br />

und strafenden Gott, vor dem der Mensch bestehen<br />

muss. Das gilt auch für den jungen Martin Luther. Über<br />

seine Zeit im Erfurter Augustinerkloster schreibt er selbst:<br />

»Ist je ein Mönch in den Himmel gekommen durch Möncherei,<br />

so wollte ich auch hineingekommen sein«. Luther<br />

ringt immer wieder darum, die biblischen Texte über die<br />

Gerechtigkeit Gottes richtig zu verstehen. Er kommt zu<br />

der Einsicht, dass dem Menschen vom richtenden Gott<br />

nicht zwangsläufig ein hartes Urteil droht. Vielmehr<br />

schenkt Gott ihm die Gerechtigkeit durch seinen Sohn<br />

Jesus Christus. In seiner Übersetzung des Römerbriefs hat<br />

er diese Erkenntnis so formuliert: »So halten wir nun<br />

dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes<br />

Werke, allein durch den Glauben« (Röm 3,28).<br />

In elf Wochen übersetzt Luther<br />

das Neue Testament<br />

Mit seiner neuen Lehre gerät Luther auch in Konflikt mit<br />

der Kirche seiner Zeit, insbesondere mit einer Praxis, die<br />

sich beim Bußsakrament eingeschlichen hat: dem Ablasshandel.<br />

Luther fasst seine Einwände in 95 Thesen zusammen,<br />

die er am 31. Oktober 1517 an der Tür der Schlosskirche<br />

in Wittenberg anbringt. Der Konflikt eskaliert und<br />

am 3. Januar 1521 verhängt der Papst den Bann über<br />

Luther. Im April des gleichen Jahres steht Luther vor dem<br />

Reichstag in Worms. Unbeirrt hält er an seiner Meinung<br />

fest und wird als Ketzer für vogelfrei erklärt. Sein Landes-<br />

24 EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />

herr, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, lässt ihn<br />

auf dem Rückweg von Worms zum Schein entführen und<br />

auf die Wartburg bringen. Dort lebt Luther zehn Monate<br />

zurückgezogen unter dem Decknamen »Junker Jörg« und<br />

übersetzt in der unglaublichen Zeit von nur elf Wochen<br />

das Neue Testament ins Deutsche. Im September 1522<br />

erscheint die Übersetzung in Wittenberg im Druck (das<br />

sogenannte »September-Testament«). Die Auflage war für<br />

die damalige Zeit ungewöhnlich hoch. Dennoch war das<br />

Buch in kürzester Zeit ausverkauft. Schon im Dezember<br />

1522 kommt eine zweite Auflage mit Verbesserungen im<br />

Text und Korrekturen an den Bildern auf den Markt<br />

(»Dezember-Testament«).<br />

Über Jahrhunderte ist Luthers<br />

Übersetzung Maßstab<br />

Für die Übersetzung des Alten Testaments benötigt<br />

Luther länger Zeit. Im Jahre 1534 zur Leipziger Michaelismesse<br />

vom 4. bis 11. Oktober 1534 legt er die erste vollständige<br />

Fassung seiner Bibel vor. Sie besteht aus sechs<br />

Einzelteilen mit jeweils eigenem Titelblatt und eigener Seitenzählung:<br />

Mose-Bücher (Pentateuch), historische und<br />

poetische Bücher, Propheten, Apokryphen (Spätschriften),<br />

Neues Testament. In der Folge arbeitet Luther bis an sein<br />

Lebensende weiter an seiner Übersetzung. Die letzte Fassung,<br />

die Luther selbst bearbeitet hat, die so genannte<br />

»Ausgabe letzter Hand«, erscheint im Todesjahr Luthers<br />

1545 in Wittenberg. Sie bleibt für die nächsten Jahrhunderte<br />

maßgeblich.<br />

Luther-Bibel vereinheitlichte<br />

die deutschen Sprache<br />

Einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg seiner<br />

Übersetzung war ihre sprachliche Qualität. Luther orientierte<br />

sich bei seiner Übersetzung an der sächsischen<br />

Kanzleisprache, »welcher es alle Herzöge und Könige<br />

Deutschlands nachtun, alle Reichsstädte, Fürsten, Höfe«.<br />

Sie wurde in ganz Deutschland verstanden, was wesentlich<br />

zur Verbreitung beitrug. Auf der anderen Seite<br />

gewann diese Sprache, die zunächst nur Verwaltungssprache<br />

gewesen war, eine Form, die sie zur Grundlage der<br />

deutschen Hoch- und Literatursprache werden ließ. So<br />

stammen zahlreiche, bis heute geläufige Sprichwörter und<br />

Redensarten aus der Lutherbibel, und erst ihre Verbreitung<br />

schuf die Voraussetzungen, dass Deutschland zu<br />

einem einheitlichen Sprachraum zusammenwachsen<br />

konnte.<br />

Luther selbst schreibt in seinem »Sendbrief vom Dolmetschen«,<br />

dass er beim Übersetzen »dem Volk aufs Maul<br />

sehen« wollte. Das bedeutet aber keineswegs, dass er sich<br />

eines volkstümlichen Gassenjargons bediente. Es ging ihm<br />

vielmehr darum, von möglichst vielen Menschen verstanden<br />

zu werden. Das wird unter anderem an der Art und<br />

Weise deutlich, wie Luther übersetzt hat: Er versucht, den<br />

charakteristischen Eigenarten der deutschen Sprache

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