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Der_Aufklaerer_ Juergen_Habermas

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»Für ein starkes Europa«<br />

– aber was heißt das?<br />

Von Jürgen <strong>Habermas</strong><br />

Am 2. Februar d. J. referierte Jürgen <strong>Habermas</strong> auf Einladung des SPD-Vorsitzenden Sigmar<br />

Gabriel während der Klausurtagung der SPD-Spitze aus Parteivorstand, Bundesregierung und<br />

Ministerpräsidenten in Berlin-Hermannswerder. <strong>Der</strong> Vortrag, der eine kontroverse Diskussion<br />

auslöste, erscheint außer in den „Blättern“ in gekürzter Fassung in der französischen „Le Monde”<br />

sowie in in der italienischen „La Repubblica“ und in der spanischen „El País“. – D. Red.<br />

Unsere Epoche ist gekennzeichnet durch ein wachsendes Missverhältnis<br />

zwischen einer systemisch zusammenwachsenden Weltgesellschaft<br />

und der nach wie vor unveränderten Fragmentierung der Staatenwelt.<br />

Daraus resultieren gravierende Probleme. Die mit dem Willen und<br />

Bewusstsein ihrer Bürger integrierten Staaten sind nach wie vor die einzigen<br />

Kollektive, die auf der Grundlage demokratischer Willensbildung effektiv<br />

handeln und auf Gesellschaften intentional einwirken können. Aber sie verstricken<br />

sich immer tiefer in die funktionalen Zusammenhänge, die durch<br />

nationale Grenzen hindurchgreifen. Vor allem globalisierte Märkte und<br />

digitale Verbindungen knüpfen, gewissermaßen hinter dem Rücken dieser<br />

kollektiven Akteure, netzförmige Interdependenzen. Angesichts der politisch<br />

unerwünschten Nebenfolgen dieser systemischen Integration entsteht<br />

ein Steuerungsbedarf, dem die Nationalstaaten immer weniger gewachsen<br />

sind. Diesen Verlust an politischer Handlungsfähigkeit spüren Politiker und<br />

Bürger und klammern sich in ihrer psychologisch verständlichen, aber paradoxen<br />

Abwehr umso heftiger an den Nationalstaat und dessen längst porös<br />

gewordene Grenzen.<br />

Aktuelle Beispiele für die Überforderung des Nationalstaates sind die<br />

Unterstützung, die Frankreich in Zentralafrika von Seiten seiner EU-Partner<br />

benötigt, oder das vergebliche Bemühen der Bundesregierung um ein No-<br />

Spy-Abkommen mit den USA. Gleichzeitig ist der Verzicht der Europäischen<br />

Kommission auf Vorgaben für nationale Ziele des Klimaschutzes eines von<br />

vielen Zeichen für eine fatale Regression, zurück in die Wagenburg des Nationalstaates.<br />

Tatsächlich kann der fehlende nationale Handlungsspielraum<br />

nur auf supranationaler Ebene wettgemacht werden. In Gestalt zwischenstaatlicher<br />

Kooperation geschieht dies ja auch: Mit der rasch gewachsenen<br />

Zahl einflussreicher internationaler Organisationen hat sich inzwischen eine<br />

Form des Regierens jenseits des Nationalstaates herausgebildet, die unter<br />

Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2014

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