Der_Aufklaerer_ Juergen_Habermas
Der_Aufklaerer_ Juergen_Habermas
Der_Aufklaerer_ Juergen_Habermas
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Europa und die neue Deutsche Frage 51<br />
gemeinsamen integrierten Währungsraum, und zum Abschluss setzen wir als<br />
Sahnehäubchen die gemeinsame Währung oben drauf.<br />
Was aber tut Europa? Man findet einen Kompromiss. Und der Kompromiss<br />
sah so aus: Die gemeinsame Währung wird eingeführt, es wird aber kein Institutionenrahmen<br />
geschaffen, der den homogenen Wirtschaftsraum aufbaut.<br />
Das ist der Sündenfall, denn was entsteht daraus zwangsläufig? Ungleichgewichte<br />
in Europa; und genau die haben wir in den vergangenen zehn Jahren<br />
gesehen.<br />
Warum aber entstehen diese Ungleichgewichte? Die Rentnerin, die Herr<br />
Fischer angesprochen hat, illustriert das wunderbar. Die Europäische Zentralbank<br />
(EZB) bestimmt einen einheitlichen Zinssatz für alle Länder, so unterschiedlich<br />
sie auch sein mögen. Wenn auf der einen Seite die Hälfte der Länder<br />
null Prozent Inflation haben und auf der anderen Seite die andere Hälfte<br />
der Länder vier Prozent, dann orientiert sich die EZB an dem Mittel von zwei<br />
Prozent Inflation. <strong>Der</strong> Zinssatz, der daher von ihr gesetzt wird, ist falsch für<br />
beide Seiten: zu hoch für die eine, zu niedrig für die andere. Die EZB macht<br />
eine „One-Size-Fits-None-Politik“, sprich: die richtige Politik für ein Land das<br />
nicht existiert.<br />
Die große Kapitalverlagerung<br />
Und was entsteht daraus? Es entstehen daraus natürlich Umlagerungseffekte,<br />
die zu Ungleichgewichten führen. Denn wenn sie in einem Null-Inflationsland<br />
leben, das kein Wachstum hat – das war die Bundesrepublik in der ersten<br />
Hälfte dieses Jahrzehnts –, dann sparen sie ihre Gelder an und investieren<br />
sie auf der anderen Seite, in den Regionen, die hohe Inflation haben, schnell<br />
wachsen, in denen die Immobilienmärkte boomen: Irland, Portugal, Spanien,<br />
Griechenland... Diesen Ländern geht es auf den ersten Blick sehr gut, die Problemländer<br />
liegen auf der anderen Seite.<br />
Solche Ungleichgewichte, die wir durch diese gemeinsame Währung geschaffen<br />
haben, sind aber in der Vertragsgrundlage des Maastricht-Vertrags<br />
nicht vorgesehen. <strong>Der</strong> Maastricht-Vertrag suggeriert, mit der gemeinsamen<br />
Währung würde es allen besser gehen. Deshalb hat er eine Legitimationsverankerung<br />
für den Euro geschaffen, die ungeeignet ist. Die Logik ist wie<br />
folgt: Wenn es keine Umverteilung gibt, dann können wir uns auf die bloße<br />
Output-Legitimation stützen, also auf die Legitimation durch politisch unabhängige<br />
Instanzen, wie etwa eine Zentralbank oder ein Regelsystem wie den<br />
Stabilitäts- und Wachstumspakt, die beide ihre Legitimation aus den erreichten<br />
Ergebnissen ableiten.<br />
Tritt aber Umverteilung auf, dann ist prozedurale Legitimation notwendig,<br />
also Input-Legitimation, die Parlamente mit einbezieht, eine politische Diskussion<br />
zulässt und letztlich nur im Kontext einer Wirtschaftsregierung umgesetzt<br />
werden kann. Diese haben wir aber nicht aufgebaut, und es war vor allem<br />
die deutsche Bundesregierung, die diese Wirtschaftsintegration immer abgelehnt<br />
hat.<br />
Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2011