Der_Aufklaerer_ Juergen_Habermas
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»Für ein starkes Europa« – aber was heißt das? 91<br />
für die Überschuldung der Krisenstaaten und nicht, wie behauptet, die Haushaltspolitik<br />
der betroffenen Regierungen. 14<br />
Vor allem ist es aber dieser Konzentration auf die Staatsschuldenproblematik<br />
zuzuschreiben, dass das Krisenmanagement das zugrunde liegende<br />
strukturelle Problem bis heute verdrängt. Zwar konnte die Staatsschuldenkrise<br />
nur abgewendet werden, weil die EZB im Widerspruch zum bail-out-<br />
Verbot eine gemeinsame Haftung, das heißt die der Union fehlende fiskalische<br />
Souveränität, glaubhaft simuliert hat. Aber die der EZB fehlende<br />
Rückzahlungsverantwortung ist nicht der wesentliche Konstruktionsfehler<br />
der Währungsgemeinschaft. Seit langem weisen politische Ökonomen auf<br />
die suboptimalen Bedingungen hin, die in der Eurozone für einen gemeinsamen<br />
Währungsraum bestehen. 15 Wegen der realwirtschaftlichen Unterschiede<br />
in den Leistungsbilanzen der verschiedenen nationalen Ökonomien<br />
geben einheitliche Zinssätze den Regierungen die falschen Signale. One size<br />
for all fits none. Die Leistungen der strukturell verschiedenen Ökonomien<br />
werden ohne eine gemeinsame Wirtschaftsregierung weiter auseinanderdriften.<br />
Aus diesem Grunde ist die von der Bundesregierung verfolgte Linie einer<br />
strikt anlegerfreundlichen Politik, die den Krisenstaaten neben notwendigen<br />
Reformen der Verwaltung und des Arbeitsmarktes allein eine Sparpolitik<br />
zu Lasten von Löhnen, Sozialleistungen, öffentlichem Dienst und<br />
staatlichen Infrastrukturleistungen verordnet, kontraproduktiv. Stattdessen<br />
müsste der Konstruktionsfehler einer Währungsgemeinschaft ohne Politische<br />
Union behoben werden. Ohne den institutionellen Rahmen für eine<br />
gemeinsam abgestimmte Fiskal- und Wirtschaftspolitik (mit Konsequenzen<br />
für eine gemeinsame Sozialpolitik) werden die strukturellen Ungleichgewichte<br />
zwischen den verschiedenen Ökonomien zunehmen. Die Konsolidierungspolitik<br />
zehrt von der falschen Annahme, dass die Krisenstaaten in der<br />
ungebremsten Konkurrenz mit den überlegenen, wesentlich wettbewerbsfähigeren<br />
Mitgliedstaaten ihren Leistungsrückstand aus eigener Kraft aufholen<br />
könnten, obwohl sie im Spielraum ihrer Fiskal- und Haushaltspolitik<br />
eingeschränkt sind.<br />
Ich bin kein Ökonom, aber mich überzeugt das heute überwiegend vertretene<br />
Argument, dass diese Souveränitätsunterstellung eine schiere Fiktion<br />
ist. Deshalb darf das Muster des kreditfinanzierten Abschiebens der<br />
Probleme auf die Schultern von Krisenländern auch nicht mit Subsidiarität,<br />
also mit der Rücksichtnahme auf Kompetenzen verwechselt werden, die auf<br />
unteren Ebenen eines politischen Mehrebenensystems besser wahrgenommen<br />
werden können. Statt nationalen Regierungen Auflagen zu machen und<br />
Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Gemeinwesens wie unmün-<br />
14 Daniela Schwarzer, a.a.O., S. 185-206, hier S. 186 ff.<br />
15 Henrick Enderlein, Nationale Wirtschaftspolitik in der Europäischen Währungsunion, Frankfurt<br />
a. M. 2014; Fritz W. Scharpf, Monetary Union, Fiscal Crisis and the Preemption of Democracy, in:<br />
„Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften“, 2/2011, S. 163-198; ders., The Costs of Non-Desintegration:<br />
The Case of the European Monetary Union, in: Eppler/Scheller, a.a.O., S. 165-184; ders.,<br />
Die Finanzkrise als Krise der ökonomischen und rechtlichen Überintegration, in: Claudio Franzius,<br />
Franz C. Mayer und Jürgen Neyer (Hg.), Grenzen der europäischen Integration, Baden-Baden 2014,<br />
S. 51-60.<br />
Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2014