Berlin - Prag - Wien - Graz - Köln 29
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GESUNDHEIT<br />
week 34<br />
Auch wenn wir uns unabhängig von<br />
den Rhythmen der Umwelt gemacht<br />
haben, spüren wir an ihren Schattenseiten<br />
noch den Bezug zu Mutter<br />
Natur. Bei der Aussicht<br />
angesichts eines<br />
unübersehbar heraufgrauenden<br />
Herbstes<br />
für ein Vierteljahr<br />
im nebeligen Grau zu<br />
versinken, mag vielen<br />
sonnenverwöhnten<br />
Vorarlbergern ganz<br />
anders und manchen<br />
auch schwer ums Herz<br />
werden. Dass Herbst<br />
mit Abschiednehmen<br />
und Loslassen zu tun<br />
hat, wissen wir, die<br />
Literatur ist voller<br />
einschlägiger Bilder,<br />
die Natur lässt keinen Zweifel. Tod<br />
liegt in der Luft, und das ist uns<br />
Modernen zuwider. Schon immer<br />
hat man versucht, ihm ein Schnippchen<br />
zu schlagen, aber nicht nur der<br />
Jederman ist daran gescheitert, der<br />
Medizin ergeht es nicht besser. Am<br />
Tod kommt letztlich niemand vorbei,<br />
er holt sich zum Schluss auch<br />
all jene, die nie freiwillig kämen.<br />
DIE VERDRÄNGUNGSSTRATEGIE geht<br />
weit, wie eine Umfrage bei den deutschen<br />
Nachbarn peinlich enthüllte.<br />
Eine Mehrheit glaubt gar nicht<br />
mehr an den eigenen Tod. Auf die<br />
Frage, ob sie lieber zu Hause oder in<br />
der Klinik sterben wollten, antwor-<br />
BEWUSST GESUND<br />
Dr. med. Ruediger Dahlke<br />
Die Winterdepression<br />
FOTO: HANS ZELLHOFER<br />
teten über 90 % sinngemäß: „Wenn<br />
schon, dann zu Hause“. Wir wollen<br />
allesamt mit dem Tod nichts mehr<br />
zu tun haben.<br />
HIER HAT AUCH DIE Ablehnung des<br />
Herbstes mit seinen melancholischen<br />
Stimmungen ihre Wurzeln.<br />
Das Laub färbt sich zwar bunt,<br />
aber jeder weiß, dass es das letzte<br />
Aufleuchten vor dem Ende ist, bevor<br />
Grau endgültig die Macht übernimmt<br />
und das weiße Leichentuch<br />
des Winters naht. Die Analogie zwischen<br />
Herbst und Alter und Winter<br />
und Tod teilt sich auch unromantischen<br />
Gemütern auf direkte sinnliche<br />
Art mit und einige reagieren<br />
mit (Winter-)Depressionen.<br />
SCHULMEDIZINER versuchen mit<br />
chemischer Stimmungsaufhellung<br />
und Antriebssteigerung die passive<br />
Niedergeschlagenheit zu bekämpfen.<br />
Hinzu kommt die mildere Form<br />
der Lichttherapie, bei der Depressive<br />
dem Licht künstlicher Sonnen<br />
aussetzt werden. Findige<br />
Gemüter flüchten<br />
rechtzeitig in südlich<br />
sonnige Gefilde, wo<br />
ihnen die Macht des<br />
Todes weniger direkt<br />
vor Augen geführt<br />
wird.<br />
DABEI HABEN WIR in<br />
Bezug auf die Beschäftigung<br />
mit dem<br />
Tod gar keine Wahl,<br />
wir können lediglich<br />
entscheiden, ob wir<br />
sie im religiösen Sinn<br />
erleben oder in Form<br />
von Suizidgedanken bei der Depression.<br />
Insofern täte uns die bewusste<br />
Auseinandersetzung mit dem<br />
Abschiednehmen und letztlich dem<br />
Tod unendlich gut und Herbst und<br />
Winter wären ideale Zeiten dafür.<br />
Die Idee ist, sich mit der eigenen<br />
Sterblichkeit auszusöhnen, um<br />
danach mehr Zugang zur Unsterblichkeit<br />
der Seele zu erlangen. ■<br />
LITERATUR ZUM THEMA<br />
Lebenskrisen als Entwicklungschancen<br />
– Zeiten des Umbruchs<br />
und ihre Krankheitsbilder<br />
(Goldmann Taschenbuch)<br />
Info: www.dahlke.at