Berlin - Prag - Wien - Graz - Köln 29
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KOMMENTAR<br />
week 46<br />
WEEK’S END<br />
Ist Journalismus die Einstiegsdroge<br />
zum Analphabetismus,<br />
oder kann man durch eine<br />
Zeitung gescheit werden? Diese<br />
Frage habe ich hier schon einmal<br />
gestellt. Keine Angst, ich habe<br />
nicht vor, diesen schönen Platz mit<br />
Selbstzitaten zu füllen. Die Frage<br />
hat allerdings schnell Aktualität<br />
gewonnen. Vor kurzem stellte<br />
nämlich in <strong>Wien</strong> der Verleger<br />
Wolfgang Fellner erstmals sein<br />
neues Projekt einer Tageszeitung<br />
vor. Es trägt den schlichten Arbeitstitel<br />
„Die neue Tageszeitung“.<br />
WOLFGANG FELLNER, falls Sie es<br />
nicht wissen – was ich für beinahe<br />
undenkbar halte – ist der in Österreich<br />
weltberühmte Champion<br />
des Neuen. Er findet anderswo<br />
Erprobtes und führt es uns als<br />
Innovation vor. Der Finder möchte<br />
jedoch nicht als Nachahmer,<br />
sondern als Erfinder gelten. Derzeit<br />
macht Fellner wieder einmal<br />
„Österreichs innovativstes Medienprojekt.“<br />
Die Zitate stammen<br />
aus einer Broschüre, die er bei der<br />
Präsentation dieses Projekts für<br />
die Anzeigenwirtschaft vorlegte.<br />
Schon nach Lektüre des Titelblatts<br />
müssen wir zur Kenntnis<br />
nehmen: Herr Fellner neigt zum<br />
Armin Thurnher, Chefredakteur der <strong>Wien</strong>er Stadtzeitung „Falter“<br />
Ein großer Innovator<br />
Wir leben in großen Zeiten. Große Dinge geschehen, eine große Zeitung<br />
wird kommen, und nur ihre Ansagen sind noch größer als sie selbst.<br />
Superlativ und zum bestimmten<br />
Artikel. Er macht die innovativste<br />
Tageszeitung.<br />
VORLÄUFIG MACHT ER zwar erst<br />
die Ansage dazu, aber im Ansagen<br />
besteht der Hauptteil seines<br />
Geschäfts. Fellner agiert als eine<br />
Art Platzsprecher im österreichischen<br />
Medienpark. Die Verbindung<br />
einer gedruckten mit einer<br />
Onlinezeitung gibt’s ja hierzulande<br />
angeblich da und dort bereits.<br />
Höchste Zeit, „den weltweiten<br />
Innovationsschub“ 2006 auch nach<br />
Österreich zu bringen. Andererseits,<br />
im Vergleich<br />
zu den Gründerzeiten<br />
der Illustrierten<br />
Basta und News,<br />
den bisherigen<br />
Heldentaten unseres<br />
Innovators, ist<br />
Fellners Auftreten<br />
diesmal von ungewöhnlicherBescheidenheit.<br />
„In Österreich<br />
gab es seit 16<br />
Jahren am Zeitungssektor keine<br />
Innovation mehr“ – das mutet<br />
geradezu kleinlaut an. Außerdem<br />
sind wir dankbar, vom weltweiten<br />
Innovationsschub zu erfahren.<br />
Obwohl er ein bisschen fiebrig<br />
Die neue Zeitung<br />
wird nicht mehr<br />
für Leser gemacht,<br />
nur noch für<br />
Inserenten. Was ist<br />
daran neu?<br />
klingt, der Schub, irgendwie nach<br />
Vogelgrippe, Inflation und ewiger<br />
Pubertät.<br />
DANN KOMMT’S: „Demnächst<br />
auch in Österreich?“ Ein Fragezeichen!<br />
Selbstzweifel, mitten in<br />
einer Fellner-Ansage! Das ist, als<br />
würde George Bush die Wahrheit<br />
sagen. Da kann unser Neuerer<br />
noch so sehr beteuern, die Hälfte<br />
aller Österreicher seien jung<br />
und gut ausgebildet und nur er<br />
erreiche sie, während alle anderen<br />
Verleger auf ihren alten Säcken<br />
von Abonnenten hocken blieben<br />
– nach diesem Frage-<br />
zeichen glauben wir<br />
ihm nichts mehr. Es<br />
ist leider völlig egal,<br />
was wir glauben. Er<br />
glaubt an die Werbewirtschaft.<br />
An die<br />
wendet er sich mit der<br />
Bitte: „Sagen sie uns<br />
ihre gewünschte Zielgruppe“.<br />
Sie sagen,<br />
wir liefern. So wird<br />
das wohl nichts mit der g’scheiten<br />
Zeitung. Es soll aber Leute geben,<br />
die wollen durch Zeitungen nicht<br />
gescheit werden, bloß reich.<br />
Schlecht? Nicht unbedingt. Halt<br />
nicht ganz neu! ■