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12 Mutmacher<br />
Schwäche zu zeigen kann Stärke bewirken<br />
Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig ( 2. Kor. 12,9)<br />
Eine Frau, nennen wir sie mal Waltraud, hat sich entschlossen, eine<br />
Hüftoperation machen zu lassen. Alles ist gut gegangen, die Ärzte<br />
sind zufrieden, die Pflege ist freundlich und gut, im Grunde könnte<br />
sie zufrieden sein. Aber als ich sie besuchte, meinte sie: „Gerade habe<br />
ich einen richtigen Durchhänger. Es macht mich ganz fertig, dass ich<br />
jetzt für alles, was sonst selbstverständlich und schnell geht, so lang<br />
brauche, und dauernd muss ich jemanden um Hilfe bitten.“<br />
Bei Waltraud ging es nach ein paar Tagen schon viel besser, die alten<br />
Kräfte sind wieder da. Sie hat diese Zeit überstanden. Aber sie hat am<br />
eigenen Leib erfahren, wie das ist, auf fremde Hilfe angewiesen zu<br />
sein. Sie versteht jetzt besser, wie es Menschen geht, deren Kräfte<br />
immer mehr nachlassen.<br />
Wer ist schon gerne schwach? Kleine Schwächen haben, einmal<br />
schwach werden, ja. Aber bitte nur bei angenehmen Dingen!<br />
Schwach sein heißt doch auch immer, von anderen abhängig zu sein.<br />
Eigene Schwächen einzugestehen, das fällt schwer.<br />
„Wer Schwächen zeigt, hat verloren“, so heißt es in Politik, Gesellschaft<br />
und im Leistungssport. Bis hinein in Familien und die Schulen.<br />
Dass immer mehr Menschen auch schon in jungen Jahren am Burn-<br />
Out-Syndrom leiden, dem körperlichen und seelischen Ausgebranntsein,<br />
hat auch damit zu tun. Wenn uns in diesem Jahr in der evangelischen<br />
Kirche das Wort des Apostels Paulus aus dem Korintherbrief<br />
von Gottes Kraft, die in den Schwachen mächtig ist, als Jahreslosung<br />
begleitet, dann passt dieser Klang ins allgemeine Konzert des „Besser“,<br />
„Schneller“, „Weiter“ anscheinend nicht richtig hinein.<br />
An Kreuzen in öffentlichen Gebäuden und auch in Krankenzimmern<br />
wird immer mal wieder Anstoß genommen, denn schließlich ist das<br />
Kreuz, das an Jesu Leiden und Sterben erinnert, auch ein Symbol des<br />
Scheiterns. Sind Christen also die, die den Anforderungen des Lebens<br />
nicht richtig gewachsen sind und Hilfe „von oben“ brauchen? Dabei<br />
könnte gerade im Krankenhaus ein anderer Umgang mit dem<br />
Schwachsein sehr hilfreich sein.<br />
Mir kommt dabei eine Begebenheit in den Sinn. Ich kam in ein Krankenzimmer,<br />
ohne zu wissen, wer da im Zimmer war. Schon bald stellte<br />
sich heraus, dass die etwa 80-jährige Dame, schon ziemlich dement<br />
war. Auf alles, was ich sagte, antwortete sie mir mit zwei Worten. Das<br />
eine davon war „Schätzele“, das andere „genau“. Ich habe nicht erfahren,<br />
warum sie im Krankenhaus war oder woher sie kam. Ich war einfach<br />
ein „Schätzele“ und auf alles, was ich sagte, antwortete sie mir<br />
„genau“. Es war eine ganz besondere Begegnung, freundlich und<br />
warmherzig, und am Ende dachte ich mir: Wenn diese Worte einmal<br />
übrig bleiben von den vielen anderen, die schon vergessen sind, dann<br />
ist das nicht das Schlechteste. Welche Worte werden wohl von meinen<br />
einmal übrig bleiben?<br />
Mit Schwachheit kannte sich der Apostel Paulus aus. Anlass für seinen<br />
Brief nach Korinth war die Erfahrung der Gemeinde dort, dass da<br />
ein glänzender christlicher Redner auftauchte, neben dem Paulus<br />
ganz klar als der Schwächere erschien. Paulus will seine Schwäche<br />
nicht verleugnen oder verbergen, vermutlich musste er darunter sehr<br />
leiden. Das, worunter er leidet, wird zur Angriffsfläche für seine Geg-<br />
ner. Dreimal hat er<br />
darum gebeten, dass<br />
Gott ihm diesen<br />
„Stachel im Fleisch“<br />
wegnehmen solle,<br />
aber dessen Antwort<br />
lautete: „Lass dir an<br />
meiner Gnade genügen,<br />
denn meine<br />
Kraft ist in den<br />
Schwachen mächtig.“<br />
Und Paulus lernt,<br />
und mit ihm auch<br />
wir: Schwachheit ist<br />
kein Makel, sondern<br />
Voraussetzung dafür,<br />
dass sich Gottes<br />
Kraft entfalten kann. Ursula Schütz<br />
In der Zerbrechlichkeit<br />
unseres Lebens, wo von uns Menschen nichts zu erwarten ist, kann<br />
sie sich zeigen.<br />
Ein Kollege im Krankenhauspfarramt, der in der Kinderseelsorge arbeitet,<br />
erzählt in seinem Buch „Handbuch Kinderseelsorge“ von einem<br />
14-jährigen Jungen, der schon einige Herzoperationen hinter sich hat<br />
und ihm bei einer Begegnung erklärt: „Jeder Mensch wird mit einer<br />
Aufgabe geboren. Meine Aufgabe ist es, mit meinem Herzen zurechtzukommen.<br />
Auszuprobieren, was alles trotzdem geht. Freilich würde<br />
ich gerne Fußball spielen, so bin ich aber im Schachverein gar nicht<br />
schlecht.“ „Du hast also zwangsläufig Fähigkeiten entwickelt und<br />
Möglichkeiten entdeckt, die dir aber viel Lebensfreude geben“, interpretiert<br />
der Klinikpfarrer seine positive Einstellung. Und der Junge ergänzt<br />
lachend: „Und deshalb bin ich Gott überhaupt nicht böse.“<br />
Gottes Geist erweist seine Kraft an den Stellen, wo ich schwach bin.<br />
Ich kann entspannen, weil Gott eine Schwäche für Schwache hat. Das<br />
Gelingen, der Sinn und die Bedeutung unserer Tage hängt nicht von<br />
unserer eigenen Stärke oder unserem Können ab, sondern anders herum:<br />
Gerade, wenn wir nicht mehr weiter können und weiter wissen,<br />
möchte Christus seine Macht und seine Kraft ins Spiel bringen und uns<br />
einladen, das, was uns belastet und uns Sorgen macht, aus der Hand zu<br />
geben, ruhig zu werden und es Gott zu überlassen. Ich muss nicht alles<br />
allein machen, ich darf auch schwach sein und zugeben, dass ich nicht<br />
weiter weiß. Gott ist auch noch da und wartet vielleicht nur darauf,<br />
dass wir ihn zum Zug kommen lassen.<br />
Manchmal fängt das an mit einem Gebet: Lieber Gott, sieh an, wie es<br />
mir geht, in welcher Not ich gerade bin. Hilf doch mit und steh mir bei.<br />
Lass mich nicht im Stich und hilf mir. Vielleicht hört sich das Gebet bei<br />
Ihnen noch ganz anders an, das wissen Sie selbst am besten. Ich wünsche<br />
Ihnen, dass Sie bei und trotz Schwächen mit Gottes Hilfe neue<br />
Möglichkeiten und ganz überraschende Kräfte entdecken.<br />
Krankenhauspfarrerin<br />
Ursula Schütz