Stenografischer Bericht - Deutscher Bundestag
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18514 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2008<br />
Hans-Christian Ströbele<br />
(A)<br />
(B)<br />
angemessen repräsentiert, nicht angemessen vertreten<br />
ist.<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />
und bei der LINKEN)<br />
Es kann nicht sein, dass in einem Senat eine Frau und in<br />
einem anderen Senat zwei Frauen sind. Insgesamt sind<br />
in einem Senat acht Richter. Da müssen wir zu einer<br />
Gleichstellung von Mann und Frau kommen. Das fordern<br />
wir auch in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft<br />
von diesem Platz aus immer wieder ein.<br />
(Thomas Oppermann [SPD]: Da haben Sie<br />
recht, Herr Kollege!)<br />
– Sehr gut, auch die SPD stimmt zu.<br />
Deshalb schlagen wir ein transparentes Verfahren vor.<br />
In Zukunft soll sich der Rechtsausschuss – das ist ein<br />
sehr ehrenwerter Ausschuss des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es<br />
– immer dann, wenn eine Richterstelle frei wird,<br />
weil eine Richterin oder ein Richter ausscheidet, mit den<br />
möglichen Kandidaten beschäftigen. Er soll eine öffentliche<br />
Anhörung durchführen, in der sich die Kandidaten<br />
vorstellen und in der die Mitglieder des Rechtsausschuss<br />
die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen. Dann erstellt<br />
der Rechtsausschuss auf dieser Grundlage Vorschläge,<br />
die er dem Plenum des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es vorlegt.<br />
Das Plenum des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es stimmt dann<br />
geheim darüber ab, wie es bei Personalentscheidungen<br />
immer der Fall ist. Eine Richterin oder ein Richter muss<br />
dann mit Dreiviertelmehrheit – heute ist es eine Zweidrittelmehrheit<br />
– gewählt werden, damit auch die kleinen<br />
Fraktionen nicht einfach übergangen werden können,<br />
sondern in eine Konsensbildung einbezogen<br />
werden. Wir halten das für richtig. Das würde dem Petitum<br />
des Grundgesetzes endlich Rechnung tragen.<br />
Wir fügen hinzu, dass in Zukunft eine feste Regelung<br />
bestehen soll, dass in jedem Senat mindestens drei Richter<br />
und drei Richterinnen vorhanden sein müssen. Das<br />
heißt, in Zukunft muss auch da eine gewisse Quotierung<br />
stattfinden. Bei den Juristen, zum Beispiel Richtern und<br />
Staatsanwälten, in Deutschland ist der Frauenanteil – das<br />
sieht man, wenn man in die Amts- und Landgerichte<br />
geht – schon ganz hoch; zumindest auf den niedrigen<br />
Ebenen sind sehr viele oder überwiegend Frauen vertreten.<br />
Das kann man in allen Gerichten feststellen. Wir<br />
meinen: Die Frauen sind genauso fähig wie die Männer,<br />
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />
NEN]: Mehr! Fähiger!)<br />
auch im Bundesverfassungsgericht Recht zu sprechen<br />
und die Grundregeln unseres Grundgesetzes zu wahren.<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
Deshalb wollen wir auch in diesem Bereich eine Quotierung.<br />
Über diese Vorschläge wollen wir diskutieren. Wir<br />
wünschen uns, dass wir ein transparentes Verfahren bekommen.<br />
Das würde das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes<br />
noch mehr steigern und uns allen, auch<br />
Ihnen, Gelegenheit geben, sich mit Meinungsäußerungen<br />
an der Diskussion über zukünftige Richterinnen und<br />
Richter des Bundesverfassungsgerichts zu beteiligen.<br />
Dazu gibt es ja auch immer parallel eine öffentliche Debatte.<br />
Wir hoffen deshalb auf eine wohlwollende Beratung<br />
unseres Gesetzentwurfes und Zustimmung auch<br />
durch die großen Fraktionen.<br />
Ich danke sehr und wünsche schöne Ferien.<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:<br />
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković von der<br />
Fraktion Die Linke.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Wolfgang Nešković (DIE LINKE):<br />
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten<br />
Damen und Herren! Die Verfassung der Bundesrepublik<br />
Deutschland besteht aus ungefähr 21 400 Wörtern und<br />
aus genau 146 Artikeln. Die vom Deutschen <strong>Bundestag</strong><br />
herausgegebene Textausgabe umfasst 86 Seiten. Dieses<br />
schmale Bändchen enthält die Grundprinzipien der deutschen<br />
Gesellschaft. Zugleich enthält es diese Prinzipien<br />
nicht. Dieses schmale Bändchen enthält die Errungenschaften<br />
der Demokratie, der bürgerlichen Freiheit und<br />
der sozialen Sicherheit und enthält sie zugleich nicht.<br />
Denn die Verfassung gewinnt ihren konkreten und verbindlichen<br />
Inhalt erst durch die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts.<br />
Seit seiner Gründung im Jahre 1951 hat dieses Gericht<br />
circa 6 900 Senatsentscheidungen getroffen, in denen<br />
es den Inhalt der Grundrechte ermittelte und präzisierte,<br />
neue Grundrechte fand, das Verhältnis der<br />
Staatsgewalten und die rechtlichen Beziehungen von<br />
Bund und Ländern regelte.<br />
Die Entscheidungen des Gerichts, die von Verfassungsrang<br />
sind, füllen eine riesige Bibliothek, der Text<br />
der Verfassung füllt nicht einmal 100 Seiten. Dieses unterschiedliche<br />
Verhältnis beim Papierbedarf beleuchtet<br />
die große Macht des Gerichts. Es hat die Macht, über die<br />
Grenzen der politischen Entscheidungsfreiheit zu befinden.<br />
Es hat die Macht, den Sozialstaat zu konkretisieren<br />
und soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Es hat die<br />
Macht, Zweck, Inhalt und Grenzen des Privateigentums<br />
zu bestimmen und dessen Sozialpflichtigkeit einzufordern.<br />
Es hat die Macht, einer hysterischen Sicherheitspolitik<br />
entgegenzutreten, um die Freiheit der Menschen zu<br />
schützen. Es hat aber auch die Macht, bei allem das Gegenteil<br />
zu tun.<br />
Das Gericht hat von seiner Macht seit dem Jahre 1951<br />
zurückhaltend und gelegentlich auch weise Gebrauch<br />
gemacht. Macht rechtfertigt sich aber nicht allein daraus,<br />
dass sie auf Akzeptanz stößt. In einer repräsentativen<br />
Demokratie gibt es nur eine Rechtfertigung der Macht:<br />
die direkte oder abgeleitete durch die Wählerinnen und<br />
Wähler. Die Legitimation der vom <strong>Bundestag</strong> zu benennenden<br />
Bundesverfassungsrichterinnen und -richter leitet<br />
sich also aus den <strong>Bundestag</strong>swahlen ab. Die <strong>Bundestag</strong>swahlen<br />
lassen seit über 25 Jahren einen ungebrochenen<br />
Trend erkennen. Dieser Trend besteht in einer zunehmenden<br />
Segmentierung der Parteienlandschaft.<br />
(C)<br />
(D)