17.11.2012 Aufrufe

Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen

Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen

Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DER GEIST VON GOTHA<br />

25. Juni 2010<br />

11–18 Uhr<br />

Schloss Friedenstein Gotha<br />

FANTASIEN<br />

für den Frieden<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

Hans-Ernst Böttcher · Martin Eberle<br />

Michel Fried<strong>man</strong> · Heinz Glässgen<br />

Lutz Görner · Gregor Gysi<br />

Hannes Heer · Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />

Rabbiner Walter Homolka<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> · Propst Siegfried<br />

Kasparick · Birgit Klaubert<br />

Knut Korschewsky · Iwona Kozłowska<br />

Knut Kreuch · Sewan Latchinian<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek · Nor<strong>man</strong> Paech<br />

Rüdiger Schmidt-Grépály · René Strien<br />

Peter Strutynski<br />

Ordinariatsrat Winfried Weinrich<br />

V.i.S.d.P. Ulrich Maurer<br />

Kultur<br />

neu denken<br />

Frieden – Macht – Freiheit<br />

Eine Veranstaltung<br />

der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag<br />

und der Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag


„Friedenskuss“ heißt das Emblem von Schloss Friedenstein in Gotha aus dem Jahr 1655.<br />

Die Justitia mit dem Friedenszweig umarmt die Schwertträgerin: „Friede ernehret, Unfriede verzehret“.


Inhaltsverzeichnis<br />

Programm 3<br />

Vorbemerkung 4<br />

„Der Geist von Gotha“<br />

Drei einführende Referate<br />

Die Geschichte des Gothaer Hofes 5<br />

Die Friedensgeschichte Gothas 1945 7<br />

Die Notwendigkeit der Versöhnung 9<br />

unter Nachbarn<br />

„Fantasien für den Frieden“<br />

Sechs Podiumsrunden zu der Frage:<br />

<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong>?<br />

Was müssen die Religionen leisten? 11<br />

Was muss das Recht garantieren? 17<br />

Was müssen die Medien vermitteln? 21<br />

Was müssen die Künste aufzeigen? 27<br />

Was müssen die Wissenschaften klären? 31<br />

Was bedeutet das für die Politik? 35<br />

Der Geist von Gotha: Bertha von Suttner 39<br />

Der Veranstaltungsort:<br />

Schloss Friedenstein – Das barocke Schloss 40<br />

Medienecho 40<br />

Anmerkung der Redaktion<br />

Die im Folgenden dokumentierten Redebeiträge<br />

wurden in sich leicht gekürzt, jedoch nicht in ihren<br />

Kernaussagen verändert.<br />

1


Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag<br />

Platz der Republik 1 , 11011 Berlin<br />

Telefon: 030/22 75 1170, Fax: 030/22756128<br />

E-Mail: fraktion@linksfraktion.de<br />

V.i.S.d.P.: Ulrich Maurer, MdB, Stellv. Fraktionsvorsitzender<br />

Verantwortlich: Dr. Lukrezia <strong>Jochimsen</strong>, MdB,<br />

kulturpolitische Sprecherin<br />

Redaktion: Anne Neller<br />

Endfassung: Februar 2011<br />

Dieses Material darf nicht zu Wahlkampfzwecken<br />

verwendet werden!<br />

Mehr Informationen zu unseren parlamentarischen<br />

Initiativen finden Sie unter: www.linksfraktion.de<br />

2


Programm<br />

11.00 – 12.00 Uhr „Der Geist von Gotha“<br />

11.00 – 11.05 Uhr Begrüßung <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong>,<br />

kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion<br />

DIE LINKE und Birgit Klaubert, Vizepräsidentin des<br />

Thüringer Landtags<br />

11.05 – 11.30 Uhr Martin Eberle, Direktor der Stiftung<br />

Schloss Friedenstein: Die Geschichte des<br />

Gothaer Hofes<br />

11.30 – 11.50 Uhr Knut Kreuch, Oberbürgermeister<br />

der Stadt Gotha: Die Friedensgeschichte<br />

Gothas 1945<br />

11.50 – 12.00 Uhr Iwona Kozłowska, I. Botschaftsrätin<br />

der Botschaft der Republik Polen: Die Notwendigkeit<br />

der Versöhnung unter Nachbarn<br />

12.00 – 18.00 Uhr „Fantasien für den Frieden“<br />

6 Podiumsrunden zu der Frage: <strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong><br />

<strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

12.00 – 13.00 Uhr Was müssen die Religionen<br />

leisten? Rabbiner Prof. Walter Homolka, Rektor<br />

Abraham Geiger Kolleg; Propst Siegfried Kasparick,<br />

Regionalbischof Propstsprengel Halle-Wittenberg;<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek, Generalsekretär Zentralrat der Muslime<br />

in Deutschland; Ordinariatsrat Winfried Weinrich,<br />

Bistum Erfurt<br />

Moderation <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

13.00 – 13.30 Uhr Was muss das Recht garantieren?<br />

Ein Dialog zwischen Hans-Ernst Böttcher, bis 2009<br />

Präsident des Landgerichts Lübeck, und Prof. Nor<strong>man</strong><br />

Paech, Völkerrechtler<br />

13.30 – 14.00 Uhr Mittagspause<br />

14.00 – 15.00 Uhr Was müssen die Medien<br />

vermitteln? Klaus-Dieter Böhm, <strong>Gesellschaft</strong>er des<br />

Weimarer und Erfurter Internet-Regionalfernsehens<br />

„Salve TV“; Michel Fried<strong>man</strong>, Anwalt, Moderator; Prof.<br />

Heinz Glässgen, bis 2009 Intendant von Radio Bremen;<br />

René Strien, Verleger Aufbau Verlag<br />

Moderation <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> & Birgit Klaubert<br />

15.00 – 15.45 Uhr Was müssen die Künste<br />

aufzeigen? Lutz Görner, Rezitator; Markus Heinzel<strong>man</strong>n,<br />

Regisseur, Künstlerischer Leiter Theaterhaus<br />

Jena; Sewan Latchinian, Intendant Neue Bühne Senftenberg<br />

Moderation Birgit Klaubert<br />

15.45 – 16.15 Uhr Kaffeepause<br />

16.15 – 17.00 Uhr Was müssen die Wissenschaften<br />

klären? Hannes Heer, Kurator der ersten Wehrmachtsausstellung;<br />

Rüdiger Schmidt-Grépály, Direktor Kolleg<br />

Friedrich Nietzsche Weimar; Peter Strutynski, Universität<br />

Kassel, AG Friedensforschung<br />

Moderation <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

17.00 – 18.00 Uhr Was bedeutet das für die Politik?<br />

Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Bundestag,<br />

und Knut Korschewsky, Landesvorsitzender<br />

DIE LINKE Thüringen, im Gespräch mit <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

und Birgit Klaubert<br />

3


Vorbemerkung<br />

Herzlich willkommen zur vierten Ausgabe unserer<br />

Reihe „Kultur neu denken“ in Thüringen. Nach den<br />

Diskussionen über MACHT, KUNST, FREIHEIT 2006 im<br />

Panorama-Museum in Bad Frankenhausen, RELIGION,<br />

MACHT, FREIHEIT 2008 in der Synagoge, dem Augustinerkloster<br />

und der Brunnenkirche in Erfurt und<br />

DEMOKRATIE, FREIHEIT, MACHT 2009 im Deutschen<br />

Nationaltheater Weimar geht es nun <strong>heute</strong> – wieder<br />

an <strong>eine</strong>m besonderen und überaus symbolträchtigen<br />

Ort – auf Schloss Friedenstein in Gotha um<br />

FRIEDEN, MACHT, FREIHEIT.<br />

Birgit Klaubert und <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Ausgangspunkt bilden dabei zwei herausragende<br />

Persönlichkeiten aus der Gothaer Geschichte: Herzog<br />

Ernst I. von Sachsen Gotha, der nach den Schrecken<br />

des Dreißigjährigen Krieges dieses Schloss als Symbol<br />

für <strong>eine</strong>n <strong>friedliche</strong>n zivilen Staat errichten ließ.<br />

Regierungsmotto: k<strong>eine</strong> Beteiligung an Kriegen mehr,<br />

stattdessen Bildung, Kultur und <strong>eine</strong> gute Verwaltung.<br />

Die zweite wichtige Person ist der Stadtkom<strong>man</strong>dant<br />

Ritter von Gadolla, der im April 1945 den Führerbefehl<br />

verweigerte, Gotha weiß beflaggen ließ, um es kampflos<br />

den Amerikanern zu übergeben. Er wurde vors<br />

Wehrmachtsgericht gestellt, zu Tode verurteilt und<br />

hingerichtet – Gotha war gerettet.<br />

Diese historischen Beispiele, Kräfte für den Frieden<br />

zu entwickeln, möchten wir in sechs Gesprächsrunden<br />

in unsere heutige Zeit übersetzen und darüber<br />

diskutieren, wie <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong> friedlich sein und<br />

bleiben kann. Wir wollen „Fantasien für den Frieden“<br />

entwickeln. Diesen Titel hat uns Margot Käß<strong>man</strong>n in<br />

ihrer Neujahrspredigt 2010 gewissermaßen geschenkt.<br />

4<br />

Sie sagte damals: “Auch wenn es in den Ohren derer,<br />

die der Gewalt als Antwort auf Gewalt vertrauen naiv<br />

klingen mag, ich bleibe dabei, wir brauchen mehr<br />

Fantasie für den Frieden. Für ganz andere Formen,<br />

Konflikte zu bewältigen.“<br />

Die Friedensfrage war übrigens auch ein Thema der<br />

Reformation. Und weil wir hier in <strong>eine</strong>r Kirche der Reformation<br />

sind, soll auch das an dieser Stelle gesagt<br />

sein. Philipp Melanchthon, der vor 450 Jahren gestorbene<br />

Reformator, gehörte ebenfalls zu den vermeintlich<br />

naiven Träumern. Bildung für alle war s<strong>eine</strong> Vision,<br />

die damals viele belächelten. Bildung bedeutete<br />

für Melanchthon immer auch Erziehung zum Frieden.<br />

Die verstand er als Befähigung dazu, mit Vernunft zu<br />

<strong>eine</strong>r Verständigung in Konflikten zu kommen.<br />

Und ein weiteres Motiv möchten wir dieser Veranstaltung<br />

voranstellen und richten unseren Blick – auf die<br />

Landesebene bezogen – auf die Thüringer Verfassung.<br />

Denn es wird <strong>heute</strong> auch darum gehen, Fantasien für<br />

den Frieden vor dem Hintergrund von Verfassungsanspruch<br />

und Verfassungswirklichkeit zu diskutieren.<br />

In der Präambel der Thüringer Verfassung heißt es:<br />

„In dem Bewusstsein des kulturellen Reichtums und<br />

der Schönheit des Landes, in dem Willen Freiheit und<br />

Würde des Einzelnen zu achten, das Gemeinschaftsleben<br />

in sozialer Gerechtigkeit zu ordnen, Natur und<br />

Umwelt zu bewahren und zu schützen, der Verantwortung<br />

für zukünftige Generationen gerecht zu werden,<br />

inneren wie äußeren Frieden zu fördern, die demokratisch<br />

verfasste Rechtsordnung zu erhalten, und trennendes<br />

in Europa und der Welt zu überwinden.“ So<br />

steht es in der Thüringer Verfassung, die den Auswirkungen<br />

der <strong>friedliche</strong>n Revolution des Herbstes 1989<br />

folgt und die es uns ermöglicht, in dieser Gemeinsamkeit<br />

<strong>heute</strong> diese Veranstaltung mit Ihnen zu gestalten.<br />

Dr. Lukrezia <strong>Jochimsen</strong><br />

Mitglied des Deutschen Bundestages; Kulturpolitische<br />

Sprecherin Fraktion DIE LINKE<br />

Dr. Birgit Klaubert<br />

Vizepräsidentin des Thüringer Landtages; Kulturpolitische<br />

Sprecherin Fraktion DIE LINKE


Die Geschichte des Gothaer Hofes<br />

Martin Eberle<br />

1968 in Bayern geboren;<br />

Studium der<br />

Kunstgeschichte und<br />

Geschichte in München,<br />

Bamberg und<br />

Jena; 1995 Promotion<br />

über den <strong>Wie</strong>ner<br />

Interieurmaler Franz<br />

Heinrich; 1995 Volontariat<br />

Grassi-Museum,<br />

Leipzig; 1996 Leiter<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Grassi-Museum; 1999<br />

Leiter des “Gohliser Schlösschens”, Leipzig; 2003<br />

Direktor des Städtischen Museums Braunschweig;<br />

seit 1. Oktober 2007 Direktor der Stiftung Schloss<br />

Friedenstein Gotha<br />

Ich habe jetzt die schöne Aufgabe, Sie in zehn Minuten<br />

in 350 Jahre Geschichte dieses Ortes einzuweihen.<br />

Ich werde mich auf die ersten fünf Herrscher dieses<br />

Hauses beschränken – und es gibt <strong>eine</strong>n ganz großen<br />

symbolträchtigen Namen für diesen Ort hier und das<br />

ist Herzog Ernst der Fromme. Ihm fiel dieses neue<br />

Staatsgebilde Sachsen–Gotha 1640 durch <strong>eine</strong> Erbteilung<br />

zu, damals etwa halb so groß wie Thüringen, und<br />

er suchte nun <strong>eine</strong> neue Residenz und wählte dafür<br />

die damals zweitgrößte Stadt Thüringens, nämlich<br />

Gotha. Und in Gotha hatte er gute Bauvoraussetzungen.<br />

Hier befand sich nämlich die umfangreiche<br />

Ruinenanlage mit dem Namen Grimmenstein. Mitten<br />

im Dreißigjährigen Krieg, 1643, beginnt er hier auf dem<br />

Grimmenstein s<strong>eine</strong> neue Schlossanlage zu bauen,<br />

den Friedenstein. Ein sehr symbolträchtiger Name<br />

und dieses Symbol des Namens äußert sich durchaus<br />

in diesem Bau. Er hat hier sozusagen die Krone <strong>eine</strong>s<br />

neu zu gründenden Gottesstaates errichtet, <strong>eine</strong> umfangreiche<br />

Vierflügelanlage, die nicht nur dazu diente<br />

die Wohnräume des Herzogs unterzubringen, sondern<br />

vor allem auch die Landesverwaltung. Mit der Kirche,<br />

in der wir uns hier befinden, war der Friedenstein<br />

auch das religiöse Zentrum des Landes, dann die<br />

Rüstkammer als militärisches Zentrum, das Archiv als<br />

juristisches Zentrum, die Münze als wirtschaftliches<br />

Zentrum und vor allem auch mit Kunstkammer und<br />

Bibliothek das kulturelle Zentrum.<br />

Bei all‘ dem möchte <strong>man</strong> m<strong>eine</strong>n, dass Ernst der<br />

Fromme ein sehr friedensvoller Fürst war. Die Geschichte<br />

geht aber etwas anders los. Denn bevor ihm<br />

das neugegründete Herzogtum zufiel, beteiligte er<br />

sich an <strong>eine</strong>m ganz gewaltigen Krieg, am Dreißigjährigen<br />

Krieg, und zwar im Gefolge von Gustav Adolf. Er<br />

war ein überzeugter Protestant und genau mit dieser<br />

Inbrunst beteiligte er sich auch an diesem Krieg,<br />

<strong>eine</strong>m der blutigsten und brutalsten, land- und men-<br />

schenverzehrend – aber er scheint während dieser<br />

Kriegsführung geleutert worden zu sein.<br />

1643 begann er also mit dem Ausbau dieser Residenz<br />

und leitete vor allem auch ganz umfangreiche<br />

Reformen in diesem Land ein. Juristische Reformen,<br />

Verwaltungsreformen, er führte die Schulpflicht für<br />

Mädchen und Jungen ein, er gründete ein Gymnasium,<br />

das bald schon <strong>eine</strong>n internationalen Ruf haben<br />

sollte, nicht nur wegen der vorzüglichen Lehranstalt,<br />

sondern auch wegen der vorzüglichen Schulbücher,<br />

die dort herausgegeben wurden. Ich bin ganz sicher,<br />

dass Ernst der Fromme dieses durchaus mit <strong>eine</strong>m<br />

christlichen Duktus unternahm, diese Reformen einleitete.<br />

Aber natürlich dienten diese Reformen auch<br />

dazu, dass er ein gebildetes Volk hatte – und dieses<br />

brauchte er auch. Er brauchte <strong>eine</strong> hohe Bildung, um<br />

s<strong>eine</strong> Verwaltung aufrecht zu erhalten und den Merkantilismus<br />

anzukurbeln, um <strong>eine</strong> Wirtschaftsförderung<br />

zu betreiben. Insgesamt kann <strong>man</strong> für Ernst den<br />

Frommen sagen, dass er zum Typ des altväterlichen<br />

Herrschers gehörte, der sich um das Wohlergehen<br />

s<strong>eine</strong>r Untertanen kümmerte, aber auch sehr strenge<br />

Züge anlegen konnte.<br />

Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, während<br />

der Friedensverhandlungen des Westfälischen<br />

Friedens, kamen die deutschen Höfe auf einmal mit<br />

den europäischen Höfen in Berührung, und mit etwas,<br />

was sich dort entwickelt hatte – der Diplomatie, die<br />

nun anstatt der Kriege bevorzugtes Mittel wurde, um<br />

Konflikte auszutragen.<br />

Der Nachfolger von Ernst dem Frommen, Friedrich<br />

der I., übertrug dieses Mittel der Diplomatie. Und mit<br />

der Diplomatie ging <strong>eine</strong> neue Form der Repräsentation<br />

einher.<br />

Friedrich der I. hatte ein kl<strong>eine</strong>s Problem, denn Ernst<br />

der Fromme, sein Vater, hatte <strong>eine</strong>n Fehler gemacht.<br />

Er hatte sieben lebende Söhne und alle wollten ein<br />

eigenes Herzogtum haben, so dass das gerade erst<br />

gegründete Herzogtum Sachsen-Gotha sieben Mal geteilt<br />

wurde. So entstanden Sachsen-Hildburghausen,<br />

Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg usw. – und mit<br />

dieser Teilung 1680 verlor das Herzogtum s<strong>eine</strong> reale<br />

politische Bedeutung. Wenn <strong>man</strong> aber <strong>eine</strong> reale politische<br />

Bedeutung verliert, dann muss <strong>man</strong> sich umso<br />

glänzender darstellen und das verstand Friedrich der<br />

I. ganz vorzüglich, indem er Schloss Friedenstein noch<br />

einmal ausbaute und die noch <strong>heute</strong> erhaltenen Repräsentationsräume<br />

schuf. Er war ganz ein Herrscher<br />

des Absolutismus, ein barocker Herrscher, für den<br />

nicht nur <strong>eine</strong> prunkvolle Hofhaltung dazugehörte,<br />

sondern auch das Militär. So ist er der erste Herrscher,<br />

der hier in Gotha ein feststehendes Heer von<br />

immerhin zehntausend Mann etablierte. Das war <strong>eine</strong><br />

Leistung, die wirklich die Grenzen des Finanzierbaren<br />

für Sachsen-Gotha erreichte. Allerdings kam dieses<br />

5


Heer kaum zum Einsatz. Es diente auch der Repräsentation<br />

und damit Machtvergrößerung.<br />

Sein Nachfolger Herzog Friedrich II., der 1732 starb,<br />

setzte die Politik s<strong>eine</strong>s Vorgängers fort. Er war ein<br />

sehr prunkliebender Barockherrscher, allerdings<br />

waren die finanziellen Mittel nun beschränkter. Um<br />

s<strong>eine</strong> finanziellen Mittel zu erhöhen, vermietete er<br />

das Heer, das sein Vater aufgebaut hatte. Die Mittel<br />

der Repräsentation reichten nicht mehr aus. Was <strong>man</strong><br />

nun im frühen 18. Jahrhundert auch brauchte, war vor<br />

allem Geist. Geist war extrem wichtig, um innerhalb<br />

des Reiches aufzufallen und somit <strong>eine</strong> politische<br />

Karriere anstreben zu können. Und dieser Geist wurde<br />

demonstriert. Friedrich dem II. gelang dies mit der<br />

Neuordnung der 1653 gegründeten Kunstkammer.<br />

Unter Ernst dem Frommen war alles noch vereint in<br />

<strong>eine</strong>r Kunstkammer. Der göttliche Makrokosmos war<br />

in diesem Mikrokosmos absehbar, so dass das ausgestopfte<br />

Huhn neben den Juwelen stand. Friedrich II.<br />

ordnete das neu. Er gliederte ganz scharf in Naturalia,<br />

Kunstwerke, in die geologische Sammlung, Gemäldekabinett<br />

– und diese Ordnung entsprach der Ordnung<br />

der Aufklärung. Auch die Bibliothek wurde damals<br />

neu geordnet, im aufklärerischen Sinne. So können<br />

wir sagen, dass in Gotha schon 1708 die Aufklärung<br />

einzog. Das ist unglaublich früh für <strong>eine</strong>n Fürstenhof<br />

in Deutschland. Damit bewies Friedrich II. s<strong>eine</strong>n<br />

Geist, s<strong>eine</strong>n Verstand, s<strong>eine</strong>n Intellekt. Dabei darf<br />

<strong>man</strong> aber nicht vergessen, das Krieg natürlich immer<br />

noch präsent blieb. Natürlich begegneten uns auch in<br />

Gotha überall Symbole des Krieges, bis hin zur Festtafel,<br />

auf der Salzfässchen aus Trommeln bestanden.<br />

Der Krieg war als Machtsymbol überall sichtbar, ohne<br />

dass er wirklich gewollt wurde.<br />

Ganz deutlich wird es bei s<strong>eine</strong>m Nachfolger Friedrich<br />

III., der 40 Jahre lang hier regierte und in dessen<br />

Regierungszeit der Siebenjährige Krieg fiel. Für <strong>eine</strong>n<br />

Kleinstaat bedeutete das, sich dort hinaus zu <strong>man</strong>övrieren<br />

und fernzuhalten. Das gelang Friedrich III. ganz<br />

vorzüglich. Er verhielt sich möglichst neutral, und<br />

auch wenn sein Land natürlich unter diesem Krieg litt,<br />

6<br />

war es doch nicht in die Kriegsgeschehen verwickelt.<br />

Und durch diese lange Friedenszeit unter Friedrich III.<br />

konnte der Hof intellektuell noch weiter ausgebaut<br />

werden. Es wurde das Zentrum der Aufklärung in<br />

Mitteldeutschland. An dem war vor allem auch s<strong>eine</strong><br />

Gemahlin Luise Dorothea beteiligt. Sie holten sich<br />

künstlerische Anregungen aus ganz Europa. Man hatte<br />

Agenten in London, Paris und Rom, informierte sich<br />

über das aktuelle Kunst- und Theatergeschehen, über<br />

die Literaturszene und die Wissenschaft und häufte<br />

hier <strong>eine</strong> Bibliothek und großes Wissen an. Diese Bibliothek<br />

war noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die<br />

größte Bibliothek Thüringens. Ein gewaltiger Wissensort,<br />

von dem auch ein anderes Herzogtum profitieren<br />

sollte – nämlich Weimar. In Gotha konnte <strong>man</strong> sich<br />

über die internationalen Entwicklungen informieren,<br />

konnte Wissen erhalten – das war wirklich die Glanzzeit,<br />

die Friedenszeit Gothas. Diese Zeit war natürlich<br />

nicht nur in Gotha vom Frieden geprägt. Wir haben<br />

das große Zeitalter der Aufklärung, die Höfe sind miteinander<br />

verwandt – jeder Krieg hätte <strong>eine</strong>n Krieg mit<br />

der Verwandtschaft bedeutet. Das wollte <strong>man</strong> nicht,<br />

<strong>man</strong> hatte sich international anerkannt. Ein Krieg war<br />

etwas Verpöntes, auch wenn <strong>man</strong> ihn führte. Im 18.<br />

Jahrhundert versuchte <strong>man</strong> das Schlachtgetümmel zu<br />

vermeiden und klärte die Dinge lieber diplomatisch,<br />

im aufklärerischen Sinne.<br />

Das wird auch bei dem letzten Herzog, den ich Ihnen<br />

ganz kurz vorstellen will, besonders deutlich: bei Ernst<br />

II.. Ein Kind von Friedrich III. und Luise Dorothea, ganz<br />

im Sinne der Aufklärung erzogen. Er war ein herausragend<br />

gebildeter Mann, der den Wissenschaften sehr<br />

zugetan war, diese förderte, und dem die Regierung<br />

eher <strong>eine</strong> Last war. Dieser Mensch hat sicherlich den<br />

Krieg verpönt – wie viele s<strong>eine</strong>r Zeitgenossen am<br />

Ende des 18. Jahrhunderts auch. Es bedurfte dann<br />

<strong>eine</strong>r neuen Entwicklung in Europa, nämlich der Französischen<br />

Revolution, die dem Krieg wieder Vorrang<br />

brachte. Nun ist das religiöse Ziel verlassen und ein<br />

neues Ziel wird kriegstreibend – die Nationalstaatlichkeit.<br />

Der Kampf um diese Nationalstaatlichkeit wird<br />

dann das ganze 19. Jahrhundert prägen.


Die Friedensgeschichte Gothas 1945<br />

Knut Kreuch<br />

1966 in Wechmar<br />

geboren; Ausbildung<br />

zum Fahrzeugschlosser,<br />

1985 Arbeit als<br />

Schlosser im Fahrzeugwerk<br />

Wechmar; 1989<br />

Kreisgeschäftsführer<br />

des Kulturbundes der<br />

DDR; 1991 Arbeit in der<br />

Abteilung für Kultur<br />

der Stadt Gotha; 1991<br />

Studium der Betriebswirtschaftslehre;<br />

1994 Pressereferent des Gothaer<br />

Oberbürgermeisters Volker Doenitz; 1998 Bürgermeister<br />

s<strong>eine</strong>s Geburtsortes Günthersleben-<br />

Wechmar; seit 1. Juli 2006 Oberbürgermeister von<br />

Gotha (SPD)<br />

Sie haben mir ein spannendes und zugleich schweres<br />

Thema gegeben. Der Geist von Gotha 1945. Was war<br />

es denn für ein Geist? Sicherlich nicht dieser Geist,<br />

der hier am Schloss steht: „Friede ernehret, Unfriede<br />

verzehret“. Was war Gotha am Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

für <strong>eine</strong> Stadt? Im 18. Jahrhundert war Gotha<br />

<strong>eine</strong> Stadt der Aufklärung und des Aufbruchs, im Jahrhundert<br />

darauf <strong>eine</strong> Stadt, in der <strong>man</strong> gut versichert<br />

sein konnte. Dem Aufbruch zum Versicherungswesen<br />

in Deutschland folgte auch die Zeit der Auseinandersetzung<br />

in der <strong>Gesellschaft</strong> um die neu einsetzende<br />

Kraft der Arbeiterklasse, der Sozialdemokratie. Ihre<br />

Kräfte haben sich hier versammelt und in starker<br />

Industrie wiedergefunden. Und auf der anderen Seite<br />

war das starke Bürgertum dieser Stadt. Im Jahre 1945<br />

war Gotha <strong>eine</strong> Stadt, die aus diesen Kräften bestand,<br />

die aber schon in den dreißiger Jahren k<strong>eine</strong> Stärke<br />

fanden. Schon 1930 wurde der erste Oberbürgermeister<br />

dieser Stadt gewählt, der vielleicht wesentlich<br />

mit dem Jahr 1945 und mit dem Geist von Gotha zu<br />

tun hatte: der damalige Oberbürgermeister Dr. Fritz<br />

Schmidt, der schon 1931 der nationalsozialistischen<br />

Partei beigetreten ist und von dieser getragen wurde.<br />

Dieser Geist von Gotha 1945 war <strong>eine</strong>rseits ein brauner<br />

Geist, andererseits auch der Geist <strong>eine</strong>r schweigenden<br />

Menge. Menschen, die mit ihren Problemen<br />

so beschäftigt waren, dass sie sich nicht weiter um<br />

anderes gekümmert haben. Es war die Stadt des Josef<br />

Ritter von Gadolla, der im Februar 1945 in Gotha zu<br />

Verantwortung gekommen ist. Er war schon Jahre vorher<br />

hier, ein Österreicher, ein Graazer, ein Offizier der<br />

K&K-Monarchie, der 1938 eigentlich in den Ruhestand<br />

treten wollte, weil er <strong>eine</strong> Verletzung aus dem Ersten<br />

Weltkrieg hatte, der dann aber verpflichtet wurde,<br />

in die Wehrmacht zu gehen. Er kam nach Gotha, hat<br />

sich eigentlich in dieser Stadt auch sehr wohl gefühlt<br />

und bekam im Februar 1945 den Führerbefehl, diese<br />

Stadt bis zum letzten Mann und zur völligen Vernich-<br />

tung zu verteidigen. Dieser Josef Ritter von Gadolla<br />

hatte hier <strong>eine</strong>n der wichtigsten Rüstungsstandorte<br />

in Deutschland vor sich. Gothaer Flugzeuge waren<br />

schon im Ersten Weltkrieg die Zeichen des Krieges,<br />

und die Gothaer Waggonfabrik war <strong>eine</strong> der führenden<br />

Produzentenfabriken, insbesondere auch für Teile der<br />

sogenannten Wunderwaffe Hitlers, mit der er immer<br />

noch gehofft hat, die Wende s<strong>eine</strong>s verheerenden<br />

Krieges herbeizuführen. Gadolla stand unter diesem<br />

Befehl im Februar 1945 und er war sicherlich zur<br />

damaligen Zeit auch davon überzeugt, dass es der<br />

richtige Befehl war.<br />

Als der Krieg sich immer mehr verdichtete, war die<br />

Stadt von 40.000 auf rund 55.000 Menschen angeschwollen,<br />

die hier Unterschlupf suchten. Eine Stadt<br />

mit Zwangsarbeitern, Evakuierten und Flüchtlingen<br />

aus allen Regionen, die im Februar <strong>eine</strong>n verheerenden<br />

Bombenangriff auf den Bahnhof erlebten. Und in<br />

dieser Zeit wurde Josef Ritter von Gadolla, so beschreiben<br />

es Zeitzeugen, immer mehr mit diesem Leiden,<br />

mit diesen Schrecken des Krieges konfrontiert.<br />

Und sicherlich ist in diesen zwei Monaten, zwischen<br />

Februar und April 1945, in ihm ein Geist entstanden,<br />

der gesagt hat: Diese Stadt, diese Menschen hier,<br />

kannst du nicht opfern. Die Amerikaner standen<br />

schon hinter Eisenach, die Stadt hatte k<strong>eine</strong> Soldaten<br />

mehr zu ihrer Verteidigung, es war klar, dass diese<br />

Stadt von den amerikanischen Truppen dem Erdboden<br />

gleichgemacht wird, wenn sie sich verteidigen.<br />

Josef Ritter von Gadolla<br />

In dieser Zeit traf <strong>man</strong> sich jeden Tag hier auf Schloss<br />

Friedenstein, um in den Kellern Schutz zu haben, weil<br />

<strong>man</strong> dachte, dass hier k<strong>eine</strong> Bombe fällt. Da waren es<br />

der SS General Hennecke, der damalige Oberbürgermeister<br />

Dr. Fritz Schmidt, und Josef Ritter von Gadolla,<br />

die darüber zu entscheiden hatten, was gemacht<br />

wird. Der damalige Kreisleiter Busch war auch dabei<br />

und hat gesagt: Wir müssen übergeben und das tut<br />

immer der Oberbürgermeister, das ist s<strong>eine</strong> Pflicht,<br />

dafür ist er im Amt. Schmidt hat gesagt, dass er das<br />

7


nicht macht. Busch hat gesagt, dass er das auch nicht<br />

macht. Hennecke ebenfalls nicht. Und so blieb nur<br />

noch Gadolla übrig, der sagte: Ich bin kein Gothaer,<br />

aber ich opfere mich für diese Stadt. Er hat dann<br />

zwei Versuche unternommen und ist von Gothaern<br />

festgenommen und an Gestapo und SS nach Weimar<br />

ausgeliefert worden. Aber er konnte die Stadt noch<br />

weiß beflaggen, was die Amerikaner sahen und damit<br />

wussten: die wollen übergeben. Und in dieser Zeit<br />

sind die Amerikaner in Gotha eingerückt, haben <strong>eine</strong><br />

<strong>friedliche</strong> Stadt vorgefunden, die ohne Zerstörung und<br />

ohne den Tod von Menschen übergeben wurde.<br />

Aber Gadolla wurde an jenem 4. April, wenige Minuten<br />

nachdem die Kapitulation in Gotha unterschrieben<br />

worden ist, auf Grund dieses Führerbefehls zum Tode<br />

verurteilt. Militärgericht, 5 Minuten, ruck zuck, tot.<br />

K<strong>eine</strong>r hat ihm beigestanden, k<strong>eine</strong>r hat ihm geholfen.<br />

Damals am 5. April – Gotha war schon <strong>eine</strong>n Tag frei<br />

– wurde er hingerichtet. An s<strong>eine</strong>r Seite stand nur ein<br />

katholischer Priester, um den Gadolla gebeten hatte.<br />

Und dieser Priester hat uns jenen Satz Gadollas überliefert:<br />

„Damit Gotha leben kann, muss ich sterben“.<br />

Gotha im April 1945<br />

8<br />

Gotha im April 1945<br />

Dieser Satz war für uns viele Jahre <strong>eine</strong> Verpflichtung.<br />

Und die DDR hat Gadolla eigentlich nie aus ihrem<br />

Gedächtnis getilgt. Das ist der große Anteil, den die<br />

erste Stadtverwaltung von Gotha nach dem Kriege<br />

hatte, indem sie Gadolla <strong>eine</strong> Straße gewidmet hat. Es<br />

gab aber k<strong>eine</strong> Möglichkeit s<strong>eine</strong>r Familie <strong>eine</strong> Geste<br />

und <strong>eine</strong> Botschaft zu reichen. Dieser Geist war nicht<br />

möglich, er war nicht vorhanden, denn damals begann<br />

der Kalte Krieg. Die Familie ging verarmt wieder zurück<br />

nach Österreich, lebte in größter Armut bis zum<br />

Tode der Ehefrau 1968, die Tochter verlor in dieser Zeit<br />

ihr Kind, konnte nie wieder Kinder bekommen. Eine<br />

Familie war zerstört, obwohl der Mann soviel Gutes<br />

für diese Stadt getan hat.<br />

Im Jahre 1995 war es dann an der Zeit, Gadolla ins<br />

Bewusstsein der Bevölkerung zurückzuholen. Wir<br />

müssen den Menschen sagen, dass das nicht nur ein<br />

Straßenname ist, sondern dass es jener Gadolla war.<br />

Seit 1995 hat es <strong>eine</strong> Bewegung in dieser Stadt gegeben,<br />

die diesem neuen Geist von Gotha entspricht.<br />

Diesen Mann Gadolla als Ehrenbürger der Stadt Gotha<br />

zu ehren, war juristisch nicht möglich. Tote können<br />

k<strong>eine</strong> Ehrenbürger werden. Aber er wurde verdienter<br />

Bürger der Stadt Gotha. S<strong>eine</strong> Tochter bekam vom<br />

Freistaat und von der Stadt Gotha <strong>eine</strong> Ehrengabe<br />

in Höhe von 20.000 DM – ein symbolisches Zeichen,<br />

dass wir ihn nicht vergessen haben. Die Gothaer Kulturstiftung<br />

hat im Friedensgespräch im vergangenen<br />

Jahr ein Denkmal für ihn gesetzt, im Herzen der Stadt.<br />

Und das Schöne ist, dieser Geist von Gotha lebt nicht<br />

nur in denen, die das noch erlebt haben, sondern er<br />

lebt auch in der Jugend. Weil junge Menschen sich in<br />

Schüler- und Diplomarbeiten damit beschäftigen und<br />

diese Geschichte aufgearbeitet haben.<br />

Es gibt da noch viel zu tun und jeder von uns ist aufgefordert<br />

mitzuhelfen, damit dieser Geist von Gotha<br />

nicht <strong>eine</strong> Fantasie für den Frieden ist, sondern <strong>eine</strong><br />

Wirklichkeit.


Die Notwendigkeit der Versöhnung unter Nachbarn<br />

Iwona Kozłowska<br />

In Vertretung für S.E.<br />

Marek Prawda, Botschafter<br />

der Republik Polen.<br />

I. Botschaftsrätin Iwona<br />

Kozłowska ist seit 2007<br />

in der Botschaft der<br />

Republik Polen in Berlin<br />

tätig. Davor arbeitete sie<br />

im Ministerium für Auswärtige<br />

Angelegenheiten<br />

der Republik Polen.<br />

Es ist für mich wirklich <strong>eine</strong> große Freude und Ehre, in<br />

Vertretung des Botschafters, Dr. Marek Prawda, der<br />

wegen des Außenministertreffens <strong>heute</strong> noch in Warschau<br />

sein muss, der Einladung der Linksfraktion im<br />

Bundestag und im thüringischen Landtag folgen und<br />

an der heutigen Veranstaltung „Der Geist von Gotha“<br />

teilnehmen zu können.<br />

Die ungewöhnliche Beschleunigung der Geschichte,<br />

die Unübersichtlichkeit, Unvorhersehbarkeit und<br />

Ungeduld der Zeiten, die Herausforderungen der modernen<br />

Welt lassen uns Europäer oft vergessen, was<br />

eigentlich die Hauptmotivation unseres Handelns und<br />

unserer Bestrebungen nach immer mehr Integration<br />

ist. Vielleicht ist es auch gut so, dass die junge Generation<br />

das <strong>friedliche</strong> Zusammenleben der europäischen<br />

Völker als etwas Selbstverständliches nimmt,<br />

dass sie mehr in die Zukunft schaut. Wir Polen und<br />

Deutsche wissen den Wert und die Bedeutung des<br />

Friedens in all‘ s<strong>eine</strong>n Ausprägungen zu schätzen. Wir<br />

wissen was es bedeutet, Frieden zur Hauptmotivation<br />

des Handelns und Denkens zu machen. Wir wissen<br />

uns für den Frieden zu engagieren und ihn weiter in<br />

die Welt zu transportieren. Wir wissen, was es für<br />

unsere Völker bedeutet, ohne den Frieden leben zu<br />

müssen.<br />

Für den europäischen Frieden ist die Versöhnung<br />

zwischen Polen und Deutschland von übergeordneter<br />

Bedeutung. Heute glaubt <strong>man</strong>, dass Polen und<br />

Deutsche k<strong>eine</strong> spektakulären Gesten wie den Kniefall<br />

von Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau oder die<br />

gemeinsame Messe Helmut Kohls in Krakau brauchen.<br />

Man postuliert, das Feiern der früheren Rituale<br />

durch tagtägliche Bemühungen um Annäherung und<br />

gegenseitiges Verstehen zu ersetzen. Der Wegfall<br />

der Grenzkontrollen durch das Schengener Abkommen<br />

hat die geographische Nähe zwischen unseren<br />

Ländern entstehen lassen. Der Öffnung der Grenzen<br />

sollte aber <strong>eine</strong> mentale Öffnung, <strong>eine</strong> Vertiefung des<br />

beiderseitigen Wissens übereinander folgen. Denn<br />

die politische Nähe hat bedeutende Asymmetrien ins<br />

Blickfeld gerückt. Das Vertrauen aus der Ferne wurde<br />

durch <strong>eine</strong> distanzierte Nähe ersetzt. Die Informationstechnik<br />

gibt uns zwar <strong>heute</strong> die Möglichkeit weiter<br />

zu blicken und mehr zu verstehen, doch setzt sich<br />

diese Tatsache nicht unmittelbar in Empathie für den<br />

Nachbarn um. So wie der Fall der Berliner Mauer die<br />

Deutschen in Ost und West nicht automatisch einander<br />

näher gebracht hat, so kann auch der Fall des<br />

Eisernen Vorhangs die historischen Erfahrungen der<br />

beiden Nationen nicht ohne Weiteres aufheben.<br />

Die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland war<br />

nicht selbstverständlich und hat sich als ein langwieriger<br />

Prozess erwiesen. Sie soll auch <strong>heute</strong> nicht als<br />

etwas Selbstverständliches wahrgenommen werden.<br />

Die Experten machen uns <strong>heute</strong> darauf aufmerksam,<br />

dass Polen und Deutschland zu den Nationen gehören,<br />

deren Verhältnis zueinander sich nur historisch<br />

verstehen lässt. Es gibt Interessen und Mentalitätsunterschiede,<br />

aber erst der Blick in die Vergangenheit<br />

macht die Schwierigkeiten begreiflich. Der deutschpolnische<br />

Annäherungs- und Verständigungsprozess<br />

zeigt, wie wichtig für die Versöhnung die Institutionalisierung<br />

der Beziehungen, die Schaffung effektiver<br />

Kooperationsstrukturen ist. Gleich nach der Wende<br />

wurde sowohl von polnischer, sowie auch von deutscher<br />

Seite sehr intensiv daran gearbeitet, die gute<br />

Nachbarschaft zwischen unseren Ländern zu festigen.<br />

Die politisch-gesellschaftlichen Bedingungen<br />

ermöglichen die Entfaltung der Initiativen von unten.<br />

Wenn Völker zueinander kommen sollen, muss die<br />

Politik Voraussetzungen schaffen. Aber das Wesentliche<br />

geschieht jenseits der Politik. Nur das dichte<br />

Verständnis von Verbindungen, Bekanntschaften,<br />

Freundschaften über die Grenzen hinweg hat ermöglicht,<br />

dass Polen und Deutsche die politischen,<br />

kulturellen, gesellschaftlichen und letztendlich auch<br />

die geographischen Trennlinien überwunden haben.<br />

Im Jahre 1990 wurde die Diskussion der Grenzfrage<br />

abgeschlossen. Das vereinigte Deutschland bestätigte<br />

den endgültigen Charakter der Grenze. Dank des<br />

Grenzvertrages wurde das Ende der Nachkriegszeit im<br />

polnisch-deutschen Verhältnis endgültig besiegelt. Es<br />

sind solide Grundlagen zur Entwicklung guter Zusammenarbeit<br />

auf allen Gebieten entstanden.<br />

Heute leben wir in <strong>eine</strong>r faszinierenden Phase, wo<br />

sich Ost und West endlich ihre Geschichten erzählen<br />

können. Und nur so können wir uns <strong>eine</strong>m neuen europäischen<br />

Selbstverständnis nähern. Heute kommt<br />

es darauf an, einander zuzuhören und sich in dieser<br />

Erzählung näherzukommen. Es soll verbinden und<br />

nicht trennen. Und wenn wir am Abbau der Fremdheitsbarrieren<br />

arbeiten, tun wir etwas dafür, dass die<br />

Erinnerung ein wichtiger Grund und kein Hindernis für<br />

Europa ist. So müssen wir verhindern, dass die historische<br />

Erinnerung nicht ausschließlich Rechnungen aus<br />

der Vergangenheit aufmacht, und sich gegen die anderen<br />

richtet, sondern dass sie als Grundlage für <strong>eine</strong><br />

Transformation taugt, mit der sie in <strong>eine</strong>n universalen<br />

9


Wert verwandelt werden kann, der der Sicherheit und<br />

dem Frieden künftiger Generationen dient. Für das<br />

vereinte Europa gibt es k<strong>eine</strong> Alternative. Die Völker<br />

haben zu viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht,<br />

dennoch lassen sich diese Erfahrungen vielleicht<br />

europäisieren, indem <strong>man</strong> sie als ständige Mahnung<br />

betrachtet und daraus den Mut schöpft, sich gemeinsam<br />

möglichen Katastrophen entgegenzustellen.<br />

Indem <strong>man</strong> zur Aufarbeitung aller Schattenseiten der<br />

eigenen Geschichte bereit ist und <strong>eine</strong>n antitotalitären<br />

Konsens fördert. Für uns sind Totalitarismen,<br />

Holocaust, Völkermord die zentralen Erfahrungen des<br />

20. Jahrhunderts. Das heißt folglich, dass <strong>man</strong> viele<br />

andere tragische Prozesse und Ereignisse, wie zum<br />

Beispiel kriegsbedingte Fluchtbewegungen, Vertreibungen<br />

in <strong>eine</strong>r unmissverständlichen Relation dazu<br />

betrachten sollte. Die gemeinsame Erinnerungskultur<br />

ist nicht in <strong>eine</strong>m aus dieser Kette herausgerissenen<br />

Prozess zu finden. Sie muss sich vielmehr auf der umfassenden<br />

Erfahrung der hu<strong>man</strong>itären Katastrophen<br />

des Zweiten Weltkrieges gründen.<br />

Die deutsch-polnischen Beziehungen gehören nicht zu<br />

den unkompliziertesten. Polen und Deutsche kennen<br />

sich immer noch zu wenig, verstehen sich oft nicht,<br />

haben <strong>man</strong>chmal zu geringes Vertrauen. Deshalb ist<br />

es wichtig, dass <strong>man</strong> sich näher kommt. Dass <strong>man</strong><br />

10<br />

durch gemeinsame Projekte die Annäherung zwischen<br />

Polen und Deutschen, zwischen den Nachbarn anstrebt.<br />

Die gemeinsame Zukunft kann <strong>man</strong> nur durch<br />

die Zusammenarbeit gestalten, die auf dem Vertrauen,<br />

auf der Empathie auf dem gegenseitigen Respekt<br />

basiert. Um das zu erreichen, muss <strong>man</strong> sich natürlich<br />

erst einmal kennen lernen. Man muss die Potenziale<br />

des Nachbarn entdecken und sie dann zu Gunsten der<br />

Nachbarschaft weiter entwickeln. Das Gedenken und<br />

die historische Reflexion müssen unsere Beziehungen<br />

begleiten. Sie sollten dafür jedoch nicht Hauptmotivation<br />

sein, sondern den Weg bereiten für die gegenwärtigen,<br />

in die Zukunft gerichteten Motivationen.<br />

Die Institutionalisierung der deutsch-polnischen<br />

Beziehungen kann als Musterbeispiel für gelungene,<br />

erfolgreiche Annäherung zwischen den Nachbarn<br />

gelten. Heute kann <strong>man</strong> sagen: Ja, das ist der richtige<br />

Weg, den wir Polen und Deutsche gemeinsam<br />

gehen sollen, um unsere Nachbarschaft und Europa<br />

zukunfts- und friedenssicher zu machen. Die Zukunft<br />

– die gemeinsame und die gute – wollen wir aber in<br />

dem Bewusstsein gestalten, dass jede Freundschaft<br />

Menschenwerk ist, Feindschaft auch. Nachbarschaft<br />

hingegen ist das Werk der Geschichte und der Versöhnung.<br />

So sollen und wollen wir die Notwendigkeit der<br />

Versöhnung unter den Nachbarn verstehen.


<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

Was müssen die Religionen leisten?<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Ich möchte der Runde zwei Zitate voranstellen, die im<br />

Zusammenhang mit dem stehen, was wir bisher gehört<br />

haben – denn Religionen spielen <strong>eine</strong> Hauptrolle,<br />

wenn es um Frieden oder auch um Unfrieden geht.<br />

Das erste Zitat stammt von Franz Kamphaus, dem<br />

emeritierten Bischof von Limburg und es wurde am<br />

Weihnachtstag des vergangenen Jahres in der Frankfurter<br />

Allgem<strong>eine</strong>n Zeitung veröffentlicht. Es lautet:<br />

„<strong>Wie</strong> werden Religionen friedensfähig? Das ist <strong>eine</strong><br />

provozierende Frage. Sie sind es doch, so beteuern sie<br />

fortwährend. Dann müssten sie es also nicht erst werden.<br />

Aber die geschichtliche Wirklichkeit sieht anders<br />

aus. Der Dreißigjährige Krieg belegt es. Im Text des<br />

Friedensvertrages von Münster und Osnabrück erklären<br />

die Vertragsparteien, im Artikel 5, die Vertreter der Konfessionen<br />

zu den Hauptverantwortlichen für den Krieg.<br />

Der Weg zum Frieden ist ein langer Prozess. Er dauert<br />

bis <strong>heute</strong>, ihn haben die Religionen nicht immer schon<br />

hinter sich, er steht als Aufgabe vor ihnen.“<br />

Und das zweite Zitat stammt von Hans Küng und<br />

findet sich in <strong>eine</strong>m Buch, das er zusammen mit<br />

Walter Homolka geschrieben hat: „Weltethos aus den<br />

Quellen des Judentums“. Es heißt:<br />

„Juden, Christen und Muslime leben in der <strong>eine</strong>n Welt.<br />

Oft leben sie sogar in ein und demselben Land, in ein<br />

und derselben Stadt, nicht nur in Israel und in Jerusalem,<br />

auch in New York und London, Paris, Amsterdam<br />

und Berlin. Frieden zwischen den drei Religionen, die<br />

sich alle auf den <strong>eine</strong>n Gott Abrahams berufen, ist <strong>eine</strong><br />

Voraussetzung für Frieden in der Stadt, im Land, in<br />

der Welt. Frieden aber herrscht nur, wo <strong>man</strong> sich nicht<br />

gegenseitig hasst, beleidigt, bekämpft, sondern wo<br />

<strong>man</strong> miteinander redet und kommuniziert. Der Dialog<br />

zwischen den Religionen ist somit Voraussetzung für<br />

Versöhnung, Verständigung, Frieden.“<br />

Leider kann Pfarrer Mihail Rahr nicht dabei sein, der<br />

die Russisch-Orthodoxe Gemeinde in Weimar leitet, die<br />

einzige Orthodoxe Gemeinde in Thüringen. Er hat unserer<br />

Runde aber <strong>eine</strong> kurze Grußbotschaft geschickt,<br />

die vielleicht sogar ein Anfang wäre für uns alle.<br />

Er schreibt: „Alle Religionen müssen sich zuallererst<br />

auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen, nämlich nach<br />

der Erlangung des Seelenheils für ihre Anhänger,<br />

anstatt nach der Vorherrschaft für die jeweilige irdische<br />

Institution in dieser Welt zu streben. Nur unter dieser<br />

Voraussetzung können die jeweiligen religiösen Führer<br />

ihre Gläubigen dahingehend erziehen, dass diese im<br />

Andersdenkenden oder im nicht Gläubigen k<strong>eine</strong>n<br />

Feind erkennen, sondern ebenso ein Kind Gottes, <strong>eine</strong>n<br />

Bruder oder <strong>eine</strong> Schwester, der oder die mich nicht an<br />

der Erlangung der Seligkeit gemäß m<strong>eine</strong>r religiösen<br />

Überzeugung hindern kann.“<br />

Was halten Sie für die wichtigste Leistung der Religion,<br />

um <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zu ermöglichen?<br />

Propst Siegfried Kasparick<br />

1955 in Herzberg (Elster)<br />

geboren; Studium der<br />

Theologie in Berlin,<br />

Leipzig und Naumburg;<br />

Vikariat in Freyburg /<br />

U.; nach dem Studium<br />

Assistent und Ephorus<br />

am Sprachenkonvikt<br />

(Theologische Hochschule<br />

) in Berlin; ab<br />

1986 Pfarrer, später<br />

Superintendent in<br />

Osterburg/Altmark; ab<br />

1993 Direktor des Predigerseminars Brandenburg;<br />

seit 2002 Propst des Kurkreises Wittenberg; seit<br />

2004 stellv. Bischof der Kirchenprovinz Sachsen;<br />

seit 2009 Regionalbischof von Wittenberg in der<br />

Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland<br />

Kolakowski hat schon in den siebziger Jahren gesagt:<br />

Wir brauchen das Christentum, damit die Menschen<br />

sich nicht ständig selbst überschätzen. Ich glaube,<br />

diese aufklärerische Funktion des Glaubens ist <strong>eine</strong><br />

ganz wichtige Sache und historisch ganz oft verschüttet,<br />

durch viele Dinge, die wir im Zusammenhang des<br />

Dreißigjährigen Krieges oder auch anderen Zusammenhängen<br />

diskutieren können. M<strong>eine</strong> Hoffnung ist,<br />

dass es gelingt, auf die Wurzeln von Religion zurückzugehen<br />

und die Funktion von Religion wieder klarer<br />

in den Mittelpunkt zu stellen.<br />

Rabbiner Prof. Walter Homolka<br />

1964 in Landau geboren;<br />

Studium der Philosophie,<br />

Theologie und<br />

Judaistik in München,<br />

London, Lampeter und<br />

Leipzig; 1997 Ordination<br />

zum Rabbiner;<br />

Beruflicher Werdegang<br />

u.a. bei Bertels<strong>man</strong>n,<br />

Greenpeace, der<br />

Alfred-Herrhausen-<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für internationalen<br />

Dialog und<br />

der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank; seit 2002<br />

Rektor des Abraham Geiger Kollegs, des ersten<br />

Rabbinerseminars in Deutschland seit dem<br />

Holocaust; Honorarprofessor der Philosophischen<br />

Fakultät der Universität Potsdam; Gastprofessuren<br />

u.a. an der New York University und der<br />

katholischen Péter Pázmány Universität Budapest<br />

11


Es gibt in der jüdischen Tradition <strong>eine</strong> bemerkenswerte<br />

Einsicht. Da heißt es nämlich: Man soll <strong>eine</strong>r<br />

Gebotserfüllung nicht nachjagen, sondern sie dann<br />

tun, wenn sie sich ergibt. Nur beim Frieden ist das<br />

anders. Dem Frieden solle <strong>man</strong> nachjagen. Und ich<br />

frage mich, was das für das Judentum heißt? Hier ist<br />

mir die Einsicht sehr wichtig, dass das Judentum <strong>eine</strong><br />

Religion ist, die nicht missioniert, die nicht glaubt,<br />

den anderen überzeugen zu müssen von der Wahrheit<br />

der eigenen Einsicht. Und das ist ein guter Anfang<br />

Frieden zu halten. Das gilt auch dem Nichtgläubigen<br />

gegenüber. Die Lehre von den Noachidischen Geboten<br />

besagt, dass es für die Beurteilung des Anderen<br />

wichtig ist, wie er sich ethisch und moralisch verhält,<br />

und dass dafür der Glaube an Gott nicht erforderlich<br />

ist. Und das ist für mich der Schlüssel zur wirklichen<br />

Versöhnung, Brüderlichkeit und Geschwisterlichkeit.<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

12<br />

1969 in Aachen geboren;<br />

Studium der<br />

Arabistik in Kairo;<br />

Studium der Philosophie,<br />

Ökonomie und<br />

Politischen Wissenschaften<br />

in Aachen,<br />

außerdem <strong>eine</strong> Reihe<br />

von Islamstudien; 1996<br />

Gründung der Internetpräsenz<br />

www.islam.<br />

de; 2000 Direktor des<br />

ersten Islampavillon<br />

auf <strong>eine</strong>r Expo-Weltausstellung; seit 1994 Mitglied<br />

der Vollversammlung des Zentralrates der Muslime<br />

in Deutschland; 2001 – 2004 hauptamtlicher<br />

Pressesprecher des Zentralrats; seit 2006 ist er<br />

dessen ehrenamtlicher Generalsekretär, seit 2010<br />

Vorsitzender des Zentralrates, arbeitet als freier<br />

Publizist und Medienberater<br />

Es gibt <strong>eine</strong>n interessanten Koranvers, da heißt es ungefähr:<br />

Wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch Christen,<br />

Juden, Muslime zu <strong>eine</strong>r einzigen Gemeinschaft<br />

gemacht. Aber er will euch prüfen. Das ist durchaus<br />

etwas, was an der Schöpfung im<strong>man</strong>ent ist, dass es<br />

verschiedene Rassen, Gruppen, Religionen gibt, und<br />

dass wir nicht zusammengekommen sind, um uns die<br />

Köpfe einzuschlagen, sondern wett zu eifern in guten<br />

Dingen, und dass wir allesamt zu Gott zurückgeführt<br />

werden und er uns offenbart, was wir da getan und<br />

da unterlassen haben. Und ich wünsche mir, dass wir<br />

Muslime diesen Vers noch mehr verinnerlichen und er<br />

uns dazu treibt, den Dialog mit unseren christlichen<br />

und jüdischen Freunden wesentlich gelassener zu führen.<br />

Das ist etwas, was mir der Koran auferlegt und ab<br />

und an ist es nötig, dass wir da mehr reinschauen und<br />

dann verstehen.<br />

Ordinariatsrat Winfried Weinrich<br />

1954 in Heiligenstadt geboren;<br />

Chemiestudium<br />

an der Friedrich-Schiller-Universität<br />

Jena;<br />

Arbeit als Chemiker; ab<br />

1980 Kirchlicher Dienst<br />

in der Gemeindepastoral;<br />

Theologiestudium<br />

am Philosophisch-<br />

Theologischen Studium<br />

Erfurt; 1987 – 1990<br />

Referent an der Studienstelle<br />

der Berliner<br />

Bischofskonferenz; 1991 Referent und seit 1992<br />

Leiter des Katholischen Büros Erfurt; 1995 Ernennung<br />

zum Ordinariatsrat im Bistum Erfurt<br />

Der Friedenskuss am Tor dieses Schlosses ist ja <strong>eine</strong><br />

bildhafte Darstellung des 85. Psalms und da heißt es<br />

im Vers 11: „Es begegnen einander Huld und Treue,<br />

Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“ So ja auf dem<br />

Bild auch erkennbar. Und ich fand diese Thematik und<br />

bildliche Einführung sehr schön, weil sie <strong>eine</strong>n ganz<br />

wichtigen Zusammenhang deutlich macht – nämlich<br />

den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden.<br />

Gerechtigkeit als <strong>eine</strong> Voraussetzung, um Frieden zu<br />

schaffen. Und diesen Ansatz aus dem Psalm halte ich<br />

für sehr wichtig. Nicht umsonst haben die deutschen<br />

Bischöfe 2000 <strong>eine</strong> friedensethische Schrift auf den<br />

Weg gebracht, unter dem Titel „Gerechter Friede“.<br />

Und ein grundsätzlicher Ansatz ist für mich natürlich<br />

die Bibel, das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe.<br />

Wenn wir diese Koordinate im Blick behalten,<br />

die Gottesliebe, aber auch die Nächstenliebe im Sinne<br />

der Bergpredigt leben, selig die k<strong>eine</strong> Gewalt anwenden,<br />

selig die Frieden stiften, dann sind wir miteinander<br />

auf <strong>eine</strong>m guten Weg.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

<strong>Wie</strong> weit leben wir das, was Sie uns hier auf<br />

den Weg mitgeben? <strong>Wie</strong> weit ist das Bestandteil<br />

unserer Lebenserfahrung? Und wenn wir finden, dass<br />

es da <strong>eine</strong> Diskrepanz gibt, was können und müssen<br />

dann die Religionen eigentlich tun, dass wir diesen<br />

klaffenden Unterschied zwischen unserer Realitätserfahrung<br />

und den Postulaten, dem was Sie uns sagen,<br />

zueinander bringen?<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir diese<br />

sogenannte klaffende Lücke zwischen Realität und<br />

dem, was wir unserer Religion vorgegeben haben,<br />

nicht künstlich übertreiben. Hätten wir diese klaffende<br />

Differenz zwischen dem, was die Theorie darstellt<br />

und dessen, was in der Praxis läuft, dann müssten wir<br />

in jeder Stadt und in unserer <strong>Gesellschaft</strong> Mord und<br />

Totschlag vorfinden.


Das tun wir nicht. Gott sei Dank. Und ich wehre mich,<br />

marktschreierisch ständig diese große Lücke darzustellen.<br />

Ich würde das gerne mal hinterfragen. Ist das<br />

denn so <strong>eine</strong> große Differenz?<br />

Siegfried Kasparick<br />

Ich stimme Herrn Mazyek im Großen und Ganzen<br />

zu. Ich würde allerdings die Nuance anders setzen.<br />

Ich glaube, das ist nicht der Unterschied zwischen<br />

Realität und Theorie, sondern <strong>man</strong> kann zwei ganz<br />

unterschiedliche Geschichten erzählen und diese<br />

unterschiedlichen Geschichten müssen auch wahrgenommen<br />

werden. Man kann im Christentum die<br />

Geschichte der Milites Christi, also der Soldaten<br />

Christi erzählen. Das sind am Anfang die Märtyrer,<br />

die in den Tod gegangen sind, weil sie im Römischen<br />

Reich den Militärdienst verweigert haben. Man kann<br />

aber auch die andere Geschichte erzählen, dass die<br />

Milites Christi der Fachausdruck für die Kreuzritter<br />

waren. Und <strong>man</strong> kann die Geschichte erzählen,<br />

was die Christen den Juden angetan haben, was die<br />

Christen den Muslimen angetan haben. Man kann<br />

beides erzählen, darf aber auch nicht einfach sagen:<br />

Die Geschichte des Christentums ist <strong>eine</strong> Geschichte<br />

des Verbrechens. Wir müssen genau schauen, wo<br />

die Geschichte des Christentums <strong>eine</strong> ganz problematische<br />

Geschichte wird, weil die Religion plötzlich<br />

missbraucht wird für Machtzwecke und weil Religion<br />

sich auch missbrauchen lässt.<br />

Walter Homolka<br />

Ich finde ja schon gut, dass überhaupt Einigkeit<br />

darüber herrscht, dass Religionen Fantasien für<br />

den Frieden entwickeln und damit auf der Seite des<br />

Friedens sind. Von Hans Küng lernen wir, dass ohne<br />

Religionsfriede auch kein Weltfriede möglich ist. Das<br />

heißt, wir sollten uns um diesen Frieden zwischen den<br />

Religionen bemühen. Und da gibt es natürlich diese<br />

Kluft, die ich auf die <strong>man</strong>gelnde Kenntnis voneinander<br />

zurückführe, weil Menschen nicht friedlich miteinander<br />

umgehen. Wichtig ist, um im Frieden weiterzukommen,<br />

Versöhnungsarbeit zu leisten. Unsere<br />

jüdische Tradition weist uns immer wieder darauf hin,<br />

in uns selbst Momente des Hasses aufzuspüren und<br />

zu tilgen. Und diese Intention ist die Brücke über die<br />

Kluft, von der Sie gesprochen haben.<br />

Winfried Weinrich<br />

Ich möchte gern noch einmal auf die Frage eingehen,<br />

was Religionen denn für ein <strong>friedliche</strong>s Miteinander<br />

leisten müssen. Etwas Grundsätzliches ist die Erfahrung<br />

der Religionen, dass die Verbindung von Religion<br />

und Staat nicht zum Wohle der Gemeinschaft beigetragen<br />

hat. Ich halte es für sehr wichtig, dass Religionen<br />

nicht selbst Politik machen, sondern, dass sie vielleicht<br />

Politik ermöglichen, Menschen befähigen in die Politik<br />

zu gehen und sie begleiten. Und die Religionsfreiheit<br />

entbindet den Staat auch davon, die Religion für<br />

irgendwelche Legitimationszwecke zu missbrauchen.<br />

Und umgekehrt, dass <strong>eine</strong> Religion den Staat nicht zur<br />

institutionellen Stützung missbraucht. Dies ist <strong>eine</strong><br />

Grundvoraussetzung für den Dialog der Religionen im<br />

21. Jahrhundert und damit auch für den Frieden.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Ich will noch einmal auf die Neujahrspredigt von Margot<br />

Käß<strong>man</strong>n zurückkommen, mit diesem sich wiederholenden<br />

Urteil, dass nichts gut ist. Das hat sie ja<br />

nicht nur in Bezug auf Afghanistan und die Kriegssituation,<br />

sondern auch in Bezug auf die Armut der Kinder<br />

und das Zusammenleben in unserem Land gesagt.<br />

<strong>Wie</strong> sehen Sie den augenblicklichen Zustand der bundesrepublikanischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> – widmet sie sich<br />

der Friedlichkeit oder eher nicht?<br />

Walter Homolka<br />

Bei mir stellt sich das Gefühl <strong>eine</strong>r friedvollen <strong>Gesellschaft</strong><br />

jetzt weniger ein, als vielleicht vor 20 Jahren.<br />

Das liegt daran, dass diese <strong>Gesellschaft</strong> von <strong>eine</strong>r<br />

Vielzahl von Spannungen durchzogen ist – sozialer<br />

Art, aber auch von dem Gefühl <strong>eine</strong>r Unsicherheit, ob<br />

wir beispielsweise die Fragen der Finanzkrise überhaupt<br />

bewältigen können. Diese Unsicherheit, die<br />

Frage, wie es weitergeht, wird sicherlich auch dazu<br />

führen, dass es nicht so friedvoll zugehen wird, und<br />

dass die Verteidigungskämpfe größer werden.<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

Ich habe hier nicht Friede, Freude, Eierkuchen gepredigt,<br />

sondern ich habe nur davor gewarnt, dass die<br />

Zuschreibung Religion gleich im<strong>man</strong>ent gewaltaffin ist.<br />

Dann müssten wir überall Mord- und Totschlag vorfinden.<br />

Das tun wir aber nicht. Also zeigt uns doch die<br />

Realität ein wesentlich differenzierteres Bild. Und ich<br />

werbe für diese Differenziertheit. Ich werbe dafür, dass<br />

wir uns ein stückweit von der Dialektik verabschieden<br />

– beispielsweise: Je weiter wir die Religion zurückdrängen,<br />

desto mehr Möglichkeiten und Friedensfantasien<br />

würden sich einstellen. Jede Religion hat ihre<br />

Verantwortung und wir müssen den Blick schärfen.<br />

Es ist eben von der Politisierung der Religion gesprochen<br />

worden. Dagegen müssen sich Religionsvertreter<br />

entschiedener wehren. Oder auch umgekehrt, dass<br />

die Religionsvertreter weder Selbstpolitisierung ihrer<br />

Religion, noch Missbrauch vornehmen.<br />

Ich spreche in diesem Zusammenhang auch von der<br />

Ideologisierung der Religionen. Das 20. Jahrhundert<br />

war ein Jahrhundert der Ideologien. Wir hatten Kommunismus,<br />

wir hatten Stalinismus und wir hatten –<br />

oder haben bis <strong>heute</strong> – aggressive Formen von Kapitalismus.<br />

Das sind auch Ideologien, die mitunter Krieg,<br />

Mord und Totschlag für die Welt gebracht haben. Und<br />

wo sich Religionen leider nicht e<strong>man</strong>zipiert und dem<br />

entzogen haben, sondern zum Teil ihrerseits ideologische<br />

Antworten gegeben haben. Das war nicht<br />

gut. Beispielsweise der Islamismus. Das ist für mich<br />

<strong>eine</strong> Form der Ideologie, der Pervertierung m<strong>eine</strong>r<br />

eigenen Religion im Kontext dieser Ideologisierungen.<br />

Da müssen wir genauer hinschauen. Was sagt die<br />

Religion, was tut das Gros der Muslime, der Christen,<br />

der Juden? Und was tun einige und wie funktioniert<br />

dieser Missbrauch? Die ständigen monokausalen<br />

Zuschreibungen sind nicht immer gut. Auch wenn ich<br />

mich vielleicht an dieser Stelle ein stückweit unbeliebt<br />

mache, dann tue ich das. Geht es uns besser, wenn<br />

13


wir diesen Moment von intimer Gläubigkeit, von Religiosität<br />

weiter zurückdrängen? Ist die <strong>Gesellschaft</strong> dem<br />

Frieden dann näher? Ich behaupte, dass das <strong>eine</strong> sehr<br />

gewagte Hypothese ist.<br />

Siegfried Kasparick<br />

Ich will das noch einmal von der anderen Seite her<br />

unterstreichen. Ich denke, der christliche Glaube hat<br />

immer kritisch und selbstkritisch zu sein, indem er<br />

zum Beispiel kulturkritisch und religionskritisch ist.<br />

Der Glaube selber ist ja auch religionskritisch, indem<br />

er guckt, wie weit das religiöse Geschäft ein Geschäft<br />

ist, wo sich die Leute nur noch mit sich selber<br />

beschäftigen, wo die Welt aus dem Blick gerät. Und<br />

da müssen wir schauen, was in dieser <strong>Gesellschaft</strong><br />

passiert, welche Kultur oktroyiert wird, was eigentlich<br />

die Götter sind, die jetzt das Sagen haben. Ob uns<br />

beispielsweise der Börsengott freundlich gesonnen ist<br />

oder nicht.<br />

Zu DDR-Zeiten haben wir beim konziliaren Prozess als<br />

Kirche klare Worte zur Verantwortung der Kirche für<br />

die Armen gefunden und haben uns selber als <strong>eine</strong><br />

reiche Kirche bezeichnet, die auf der falschen Seite<br />

steht. Diese Töne sind in der Kirche sehr leise geworden,<br />

weil natürlich die Frage besteht: Wo steht denn<br />

die Kirche eigentlich, mehr auf der Seite der Armen<br />

oder der Reichen?<br />

Ich will aber <strong>eine</strong> zweite Sache nicht vergessen: Ich<br />

halte den Satz von Margot Käß<strong>man</strong>n für falsch, auch<br />

theologisch. Es gibt k<strong>eine</strong> Situation auf der Welt, von<br />

der <strong>man</strong> sagen kann, sie ist einfach nicht gut. Denn<br />

wenn <strong>man</strong> von Gott ausgeht und an ihn glaubt, ist in<br />

jeder Situation Hoffnung und die Herausforderung,<br />

etwas gegen diese Situation zu machen.<br />

Walter Homolka<br />

Das stimmt schon. Nur das Interessante an Margot<br />

Käß<strong>man</strong>ns Predigt war, dass sie versucht hat, uns<br />

wachzurütteln, zu sagen, es müsste besser sein. Aber<br />

es ist eben nicht gut und das führt auf die Frage:<br />

Brauchen wir weniger Religion, damit der Friede<br />

kommt oder brauchen wir nicht eher mehr Religion,<br />

mehr Fantasie für den Frieden, auch aus Sicht der<br />

Religion? Ich glaube, wir müssen als Religion diese<br />

Fantasie stärker in die <strong>Gesellschaft</strong> einbringen. Wir<br />

dürfen nicht damit zufrieden sein, zu sagen: Ja, es<br />

gibt die Trennung von Staat und Kirche, so säkularisiert<br />

sich die <strong>Gesellschaft</strong> und dann ziehen wir uns<br />

zurück. Ich bin insofern für <strong>eine</strong> Politisierung, als ich<br />

hoffe, dass sich Menschen, die aus dem Judentum,<br />

aus dem Christentum, aus dem Islam geprägt sind, in<br />

die Politik einmischen und dann auch solche Boten,<br />

wie die von Margot Käß<strong>man</strong>n, aufnehmen und sagen:<br />

Es reicht mir nicht, wie wir handeln. Wir müssten<br />

eigentlich sehr viel mehr tun, damit hier auf Erden<br />

Friede wird.<br />

Winfried Weinrich<br />

Ich darf Herrn Fried<strong>man</strong> mal aufgreifen – er hat mir<br />

schon zugerufen, dass es <strong>eine</strong> Trennung zwischen<br />

Staat und Kirche nicht gibt.<br />

14<br />

Ich glaube, dass <strong>eine</strong> Kooperation zwischen Religion<br />

und der <strong>Gesellschaft</strong>, dem Staat sinnvoll ist. Beide<br />

haben den gleichen Menschen vor sich, beide dienen<br />

in Eigenständigkeit, mit eigenem Auftrag dem gleichen<br />

Menschen. Ich halte dieses Modell, das wir in<br />

Deutschland haben, für tragfähig und sinnvoll. Dieses<br />

Modell ermöglicht übrigens nicht nur den Kirchen,<br />

sondern auch jeder Religionsgemeinschaft soziale<br />

Einrichtungen zu betreiben – zum Beispiel die zentrale<br />

Wohlfahrtsstelle der Juden.<br />

Noch einmal zur Frage der Situation in Deutschland<br />

– dann übergebe ich gerne an Herrn Fried<strong>man</strong>. Ich<br />

halte es für wichtig, dass auch Religionen politische<br />

Angelegenheiten <strong>eine</strong>r Beurteilung unterziehen. Und<br />

zwar dann, wenn es die Grundrechte der menschlichen<br />

Person verlangen. Und das bedeutet, dass<br />

Religionen zu bioethischen Fragen, zu sozialethischen<br />

Fragen und auch zu friedensethischen Fragen Stellung<br />

nehmen. Ob wir das immer gut und richtig machen,<br />

das sei dahingestellt. Aber diesem Anspruch sollten<br />

wir uns stellen.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Die erste Frage: Warum wird hier geheuchelt? Wenn<br />

behauptet wird, es gäbe <strong>eine</strong> Trennung zwischen<br />

Staat und Religion, so ist das sachlich falsch. Wir haben<br />

in Deutschland, anders als in allen europäischen<br />

traditionellen Ländern, nach wie vor <strong>eine</strong> enge Beziehung<br />

zwischen Staat und Religion, die sich formal<br />

beispielsweise durch das Recht des Staates darstellt,<br />

für die Religionsgemeinschaften Steuern einzuziehen.<br />

Und <strong>eine</strong> Gleichberechtigung findet übrigens nicht<br />

statt, weil die Muslime dieses Privileg nicht haben,<br />

anders als Juden und Christen. Das heißt, wir haben<br />

in Deutschland bereits <strong>eine</strong> Zwei-Klassen-<strong>Gesellschaft</strong><br />

der Religion. Dies zu rechtfertigen und zu erklären<br />

ist immer auch politisch und machtpolitisch, solange<br />

<strong>man</strong> vom christlichen Abendland und s<strong>eine</strong>r Kultur<br />

spricht. Wenn Sie so friedenspolitisch als Religion<br />

sind, stellt sich für mich die Frage der Gleichberechtigung<br />

dieser drei Weltreligionen. Wann kämpfen Sie<br />

dafür, dass die Muslime wie die Christen und Juden<br />

als monotheistische Weltreligion anerkannt werden in<br />

Deutschland – mit den Privilegien, die Sie sich in den<br />

Jahrhunderten erkämpft haben?<br />

Zweite Bemerkung: Wenn sich Religionen in Politik<br />

einmischen, habe ich aus <strong>eine</strong>r ganz demokratischen<br />

Sicht ein Problem. Jeder Bürger, der sich einmischt,<br />

spricht in der Ich-Form, in der Konkurrenz zum Ich.<br />

Gruppen und Parteien müssen sich legimitieren lassen<br />

in die Demokratie. Sobald sich Religionsvertreter<br />

einmischen, legitimeren sie sich aus Gott, Glauben<br />

und Vertrauen. Ehrlich gesagt, sollte <strong>eine</strong> Religion, die<br />

k<strong>eine</strong> Autoritätsdiskussionen führen will, was Gott ist<br />

und nicht, sehr vorsichtig sein, wenn sie mit der geliehenen<br />

Autorität dieses nicht angesprochenen Gottes<br />

der politischen Alltagswelt auf die Nerven geht.<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

Herr Fried<strong>man</strong> hat durchaus auf <strong>eine</strong>n wunden Punkt<br />

hingewiesen. Wir Muslime klopfen gerade an den


Toren an und möchten, im Kontext der Gleichberechtigung<br />

und Gleichbehandlung, an diesen Privilegien teilhaben.<br />

Oder die <strong>Gesellschaft</strong> muss das ganze Konzept<br />

infrage stellen und ändern. Zurzeit wird auf unserem<br />

Rücken dieses Thema ausgetragen und wir verwahren<br />

uns davor. Wenn es in der <strong>Gesellschaft</strong> rumort, und<br />

das spüren wir momentan unglaublich stark, dann<br />

übergebe ich das auf die Allgemeinplätze – lasst es<br />

nicht allein auf den Schultern der Muslime. Das finde<br />

ich unfair und geheuchelt.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Ich möchte, dass wir das Thema Frieden für die<br />

<strong>Gesellschaft</strong> dabei nicht aus unseren Augen verlieren.<br />

Es kann ja sein, dass wir zu dem Punkt kommen, dass<br />

als Voraussetzung für <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, alle<br />

Religionen gleichermaßen anerkannt sein müssen.<br />

Walter Homolka<br />

Vielleicht kann <strong>man</strong> ja sagen: Wenn sich unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />

Religion schon leistet, dann haben wir auch<br />

die Pflicht und das Recht am Frieden mitzuwirken.<br />

Dazu gehört natürlich auch die Gleichberechtigung<br />

zwischen uns, aber <strong>man</strong> muss auch deutlich machen,<br />

wo Religionen stehen.<br />

Siegfried Kasparick<br />

Mit der Art Ihres Einwurfs (Red.: zu Michel Fried<strong>man</strong>)<br />

sind wir genau bei dem Thema: Bekommen wir <strong>eine</strong><br />

<strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, wenn wir weiter so agieren<br />

und uns ständig Plakate um die Ohren schmeißen?<br />

Die Frage, wie gleichberechtigt Muslime, Juden und<br />

Christen eigentlich in <strong>eine</strong>m Land sind, ist für mich<br />

<strong>eine</strong> ganz fundamentale. Die muss gestellt werden.<br />

Wir müssen aber auch die andere Sache fragen:<br />

Inwieweit helfen die überkommenen Formen, in der<br />

Kirche organisiert ist, ihren Dienst für die <strong>Gesellschaft</strong><br />

zu tun? Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die große<br />

Hilfe darin besteht, dass alle drei Religionen jetzt<br />

dieselben Privilegien bekommen wie die Kirche. Oder<br />

müsste <strong>man</strong> nicht umgekehrt fragen und umsteuern?<br />

Diese Diskussion läuft doch, die gibt es doch auch in<br />

den Kirchen, <strong>man</strong> fragt, ob die Kirchensteuer noch<br />

das System für die Zukunft ist. Wir müssen überlegen,<br />

wie wir miteinander <strong>eine</strong> Lösung finden. Und ein letztes<br />

Wort: Ich würde nicht sagen, dass wir nur das und<br />

das machen müssen, und dann haben wir Frieden.<br />

Sondern das ist <strong>eine</strong> ständige Herausforderung, die<br />

unter anderen Umständen immer wieder <strong>eine</strong> neue<br />

Herausforderung ist.<br />

Winfried Weinrich<br />

Es gibt ganz deutliche Signale, dass seitens unserer<br />

Kirche die Möglichkeiten des Zugangs zu den Schulen,<br />

des islamischen Religionsunterrichts, der Ausbildung<br />

von Religionslehrern öffentlich formuliert werden.<br />

Dahinter stehen wir und wir müssen auf Augenhöhe<br />

kommunizieren.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Es gibt für mich zwei Fragen: Ist die Säkularisierung<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> eigentlich <strong>eine</strong> Garantie für Frieden?<br />

Oder ist es der andere Weg, dass die Fantasien für<br />

den Frieden, die sich in den Religionen befinden, in<br />

die <strong>Gesellschaft</strong> eingebracht werden müssen?<br />

Siegfried Kasparick<br />

Ich halte Religion für unverzichtbar für <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

weil die Unterscheidung von Gott und Mensch<br />

ganz fundamental und wichtig ist, um gesellschaftlich<br />

gut agieren zu können – weil Menschen ständig in der<br />

Gefahr sind, sich selbst zu überschätzen.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Die Religionen sind unverzichtbar. Erwarten wir<br />

deshalb zu viel von den Religionen und leisten sie zu<br />

wenig heutzutage?<br />

Siegfried Kasparick<br />

Die leisten immer zu wenig. Da müssen wir immer<br />

noch mehr tun.<br />

Winfried Weinrich<br />

Ich beobachte seit einigen Jahren Tendenzen der <strong>Wie</strong>derkehr<br />

von Religion. Sicher nicht gebunden an die<br />

Institutionen, an die Religionsgemeinschaften. Aber<br />

es gibt <strong>eine</strong> ganze Reihe von Ansätzen, wo Menschen<br />

nach <strong>eine</strong>m transzendenten Sinn und Gott fragen.<br />

Es ist <strong>eine</strong> Herausforderung, auch für die Religionsgemeinschaften,<br />

damit umzugehen. Ich sehe nicht<br />

schwarz für die Zukunft, sondern ich glaube, dass uns<br />

der gemeinsame Gott schon durch die Zeit führt.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Das ist ja nicht die Frage. Die Frage ist, ob wir<br />

erwarten, dass die Religionen etwas zum <strong>friedliche</strong>n<br />

Zusammenleben beitragen.<br />

Winfried Weinrich<br />

Dann sage ich doch mal etwas konkret zum Thema<br />

Auseinandersetzung in Gewaltfragen. Wer hat dem<br />

Präsidenten Bush sehr stark entgegengehalten, als<br />

der in den Irakkrieg eingezogen ist? Das war Johannes<br />

Paul II., der gesagt hat: Mittel des Krieges müssen<br />

die Ultima Ratio sein – alle anderen Möglichkeiten<br />

müssen erst geprüft sein. Da haben Religionen etwas<br />

in friedensethische Diskussionen einzubringen.<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

Die Öffentlichkeit darf und soll Religionen einfordern,<br />

was friedensbringende Mittel und ihre friedenspolitische<br />

Verantwortung angeht. Ich werbe dafür,<br />

dass <strong>man</strong> nicht stets Religion als vorgeschobene<br />

Begründung für Krieg und Totschlag nimmt, sondern<br />

differenziert. Wo triftet die Religion in Ideologie, Hass<br />

oder in Hasstiraden ab. Wir hatten vor zwei Tagen<br />

<strong>eine</strong>n schlimmen Fall, wo muslimische Jugendliche auf<br />

<strong>eine</strong>m jüdischen Fest in Hannover St<strong>eine</strong> geworfen<br />

haben – das haben wir in aller Form verabscheut und<br />

gebrandmarkt . Trotzdem müssen wir genauer hinschauen.<br />

Ist die politische und religiöse Aufbauschung<br />

dieses Themas gut? Handeln diese Jugendlichen denn<br />

nach ihrem Islam? Selbstverständlich nicht. Der Islam<br />

sagt ganz klar, dass Rassismus, Antisemitismus, Hass<br />

k<strong>eine</strong>n Platz haben. Trotzdem haben sie so gehandelt.<br />

Also lasst uns diese Diskrepanz beschreiben und<br />

15


versuchen, bildungspolitisch und religionsaufklärend<br />

an sie heranzugehen.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Was ist mit dem Dschihad, dem Aufruf zum Krieg?<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

Natürlich gibt es Menschen, die zum Dschihad aufrufen<br />

und den entsprechend missbrauchen. Aber das ist<br />

nicht mein Verständnis. Ich verstehe mich als <strong>eine</strong>n<br />

der Dschihad macht und zu erklären versucht, was<br />

ich als Moslem unter Krieg und Frieden verstehe. Das<br />

ist für mich das Verständnis von Dschihad. Übrigens<br />

heißt das übersetzt, sich auf dem Wege Gottes<br />

anstrengen, und nicht Krieg machen oder so. Wir<br />

brauchen Mut zur Differenzierung. Nicht überall wo<br />

Islam drauf steht, muss Islam drin sein.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Also Mut zur Differenzierung. Noch einmal: Welche<br />

Fantasien für den Frieden müssen seitens der Religion<br />

in unsere <strong>Gesellschaft</strong> eingebracht werden, um sie<br />

<strong>friedliche</strong>r zu machen?<br />

Siegfried Kasparick<br />

Ich will an <strong>eine</strong>r Art von Fantasie festhalten, wie<br />

wir sie schon lange Zeit praktizieren. Es wird ja so<br />

getan, als passiert auf dem Feld gar nichts. Aktion<br />

Sühnezeichen nach dem Krieg, die Schere von Arm<br />

und Reich, die Sozialfrage – das sind Themen, wo<br />

Kirchen engagiert sind, wo sie etwas tun. Da habe ich<br />

ganz viel Fantasie, dass wir das verstärken, gerade<br />

auch in Bildungsfragen. Und zwar selbstkritisch, denn<br />

Fundamentalismen kommen immer aus Unbildung.<br />

16<br />

Und gerade junge Konvertiten sind immer gefährdet<br />

Kriegstreiber zu sein. In allen Religionen. Ich halte<br />

die christliche Kirche, wie die anderen Religionen, für<br />

unverzichtbar auf diesem Weg.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Wäre Friedenserziehung als Fach in der Schule etwas,<br />

was in diesem Bereich helfen könnte?<br />

Siegfried Kasparick<br />

Ich bin kein Freund von Sonderfächern. Frieden ist<br />

ein Thema, was sich durch alle Fächer ziehen und<br />

nachweislich unterrichtet werden muss. Es sollte sich<br />

als Grundthema an Schulen durchziehen.<br />

Winfried Weinrich<br />

Ich hatte Mitte der neunziger Jahre der Thüringer Landesregierung<br />

<strong>eine</strong>n Thüringer Schüler-Friedenspreis<br />

vorgeschlagen – der wurde ein paar Jahre verliehen<br />

und ist leider eingeschlafen. Das war ein sehr wichtiger<br />

Impuls, auch für die Schulen. Es wäre ein Vorschlag,<br />

den wieder aufzugreifen.<br />

Walter Homolka<br />

Mein Fazit aus dieser Diskussion ist, dass <strong>man</strong> den<br />

Begriff Fantasie für den Frieden vielleicht etwas<br />

anders fassen muss. Mir geht es eigentlich um die<br />

Nüchternheit, dass Friede ein immer wieder zu erkämpfendes<br />

Thema ist. Wir müssen an der Schule und<br />

auch sonst überall beobachten, ob wir in Richtung<br />

Frieden gehen. Das ist harte Arbeit. Insofern ist nicht<br />

nur Fantasie gefragt, sondern Nüchternheit für diesen<br />

Weg des Friedens.


<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

Was muss das Recht garantieren?<br />

Hans-Ernst Böttcher<br />

1944 in Zwönitz/Sachsen<br />

geboren; Studium<br />

(Jura, Soziologie und<br />

frz. Sprache) in Kiel, Tübingen<br />

und Rennes; 1971<br />

Erste Staatsprüfung in<br />

Schleswig, anschließend<br />

Referendarzeit in<br />

Schleswig-Holstein und<br />

Bremen; 1974 Große<br />

Juristische Staatsprüfung<br />

in Hamburg; 1980 –<br />

1983 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht; 1974<br />

– 1991 Richter am Amtsgericht und Hanseatischen<br />

Oberlandesgericht in Bremen; 1979 – 1991 stellv.<br />

Mitglied des Bremischen Staatsgerichtshofes; 1985<br />

Mitgründer der Europäischen Richtervereinigung<br />

MEDEL; 1998 Mitgründer und Vorstandsmitglied des<br />

„Forum Justizgeschichte“; 1991 – November 2009<br />

Präsident des Landgerichts Lübeck<br />

Es ist ein großes Positivum, dass das Recht hier mit<br />

aufgenommen worden ist, wenn es um Frieden und<br />

Kultur geht.<br />

Heinrich Böll hat einmal in <strong>eine</strong>m Gespräch mit dem<br />

Juristen und Publizisten Rudolf Gerhardt interessante<br />

Dinge zum Verhältnis Recht und Kultur gesagt. Und<br />

Rudolf Gerhardt hat ihn gefragt:<br />

Sie haben einmal in Ihrer berühmten und umstrittenen<br />

Wuppertaler Rede gesagt, Sie (Böll) brauchen den<br />

Staat dafür, dass er für Beleuchtung sorgt, wenn Sie<br />

nach Hause gehen, und dass er sozusagen äußere<br />

Daseinsvorsorge und Einrichtungen <strong>schafft</strong> – sehr<br />

verkürzt gesagt. Die Justiz haben Sie aber auch<br />

gebraucht. Halten Sie die Justiz also für solch <strong>eine</strong><br />

Einrichtung oder wie sehen Sie den Stellenwert der<br />

Justiz in dieser Daseinsvorsorge?<br />

Daraufhin Böll: Die habe ich in dem Zusammenhang<br />

nicht genannt, weil ich zu viel Respekt davor habe. Ich<br />

glaube, dass Rechtskultur wichtiger ist als das, was<br />

<strong>man</strong> üblicherweise Kultur nennt, was so im Feuilleton<br />

passiert: Theater, Literatur, Schauspiel, Film.<br />

Weil das, was im Feuilleton passiert, für sehr wenige<br />

Menschen wichtig ist. Das Recht, die Entwicklung des<br />

Rechts, die Tatsache, dass wir – nicht nur theoretisch,<br />

sondern in den meisten Fällen – alle vor dem Gesetz<br />

gleich sind, ist für die meisten Menschen viel wichtiger.<br />

Ich halte also das Recht für <strong>eine</strong>, wenn nicht die<br />

wichtigste Errungenschaft der menschlichen Kultur.<br />

Da sind wir beim Frieden. Die Rechtsordnung ist <strong>eine</strong><br />

Friedensordnung. Überhaupt <strong>eine</strong> Rechtsordnung zu<br />

haben, ist vielleicht das absolute Gegenteil <strong>eine</strong>r Ordnung,<br />

die eigentlich k<strong>eine</strong> Ordnung ist, sondern nur<br />

ein Austragen von Herrschaftsinteressen, die durch<br />

Krieg gekennzeichnet ist.<br />

Also, wenn wir über Frieden reden, wenn wir über<br />

Kultur reden, dann müssen wir über Recht reden. Das<br />

meiste, glaube ich nach wie vor, spielt sich auf der<br />

nationalen Ebene ab. Es ist ja immer die Rede davon,<br />

dass alles globalisiert ist und sich alles im Weltmaßstab<br />

abspielt – ohne große Rolle des Nationalen.<br />

Könntest du vielleicht etwas zu diesem Thema sagen,<br />

welche Rolle das Recht auf der internationalen Ebene<br />

spielt.<br />

Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />

1938 in Bremerhaven<br />

geboren; Studium der<br />

Geschichte und des<br />

Rechts an den Universitäten<br />

Tübingen,<br />

München, Paris und<br />

Hamburg; Dissertation<br />

über ein Thema im<br />

Bereich Arbeits- und<br />

Öffentliches Recht;<br />

Zusatzstudium am<br />

Deutschen Institut für<br />

Entwicklungspolitik<br />

Berlin; 1968 – 1972 im Bundesministerium für Wirtschaftliche<br />

Entwicklung in Bonn tätig; 1972 – 1974<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle<br />

der Vereinigung deutscher Wissenschaftler<br />

(VDW) in Hamburg; 1975 – 1982 Professor für Politische<br />

Wissenschaft an der Einstufigen Juristenausbildung<br />

der Universität Hamburg; 1982 – 2003<br />

Professor für öffentliches Recht an der Hochschule<br />

für Wirtschaft und Politik in Hamburg; 2005 –<br />

2009 Außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE<br />

LINKE im Deutschen Bundestag<br />

Ich will das ergänzen, was Böll gesagt hat. Wer über<br />

Frieden redet, darf nicht nur vom Recht nicht schweigen,<br />

sondern auch über den Krieg nicht schweigen.<br />

Dies ist immer auch Problem des Rechts gewesen.<br />

Krieg ist nicht nur Nationales. Es gibt <strong>eine</strong>n inneren<br />

Krieg, <strong>eine</strong>n sozialen Krieg, <strong>eine</strong> Auseinandersetzung,<br />

<strong>eine</strong>n Klassenkampf. Das Recht ist dazu da,<br />

die sozialen Auseinandersetzungen zu befrieden.<br />

Genauso im Internationalen. Und wenn wir uns in<br />

die Geschichte einmal zurückdenken, so waren alle<br />

Ansätze rechtlicher Regelung dem Ziel gewidmet, den<br />

Frieden zwischen den Völkern herzustellen, den Krieg<br />

einzudämmen. Das ist bis <strong>heute</strong> noch nicht gelungen.<br />

Aber das internationale Recht versteht sich in allen<br />

Bereichen als ein Friedensrecht. Man kann sagen,<br />

90% aller internationalen Beziehungen werden <strong>heute</strong><br />

relativ friedlich begangen, nur darüber wird nicht<br />

berichtet. Es wird berichtet, wo etwas explodiert, wo<br />

es nicht klappt.<br />

17


Ich will den Ball auch schon zurückgeben und an<br />

<strong>eine</strong>s erinnern, was mir dabei immer einfällt. In unserem<br />

Fraktionssaal im Bundestag hängt ein wunderbarer<br />

Spruch von Rousseau an der Wand und der<br />

heißt: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken<br />

ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz,<br />

das befreit.“ Ich glaube, diesen Satz würde Herr<br />

Westerwelle nie in s<strong>eine</strong>m Fraktionssaal aufhängen.<br />

Angesichts der Spaltung zwischen Reich und Arm,<br />

die immer weitergeht und die kein Naturprozess ist,<br />

sondern ein gesetzlich herbeigeführter Prozess, ist<br />

die Frage, ob solch ein Satz eigentlich noch stimmt.<br />

Ist das Gesetz eigentlich auch im Inneren, im sozialen<br />

Bereich ein solcher Friedensstifter, wie das Rousseau<br />

noch erhoffte?<br />

Hans-Ernst Böttcher<br />

Auf die Frage des sozialen Friedens kommen wir<br />

vielleicht auch noch zurück. Ich freue und wundere<br />

mich zugleich, dass du das Völkerrecht so gepriesen<br />

hast. Das ist in der Tat ein großer Fortschritt und es<br />

ist wichtig, das zu verbreiten. Es könnte vielleicht<br />

sein, dass zweierlei Dinge zu dem Ganzen noch<br />

fehlen: Eine allseits konsensierte Weltgesellschaft<br />

mit <strong>eine</strong>r legitimierten Exekutive, weil das bisher nur<br />

rudimentär ausgestaltet ist, und <strong>eine</strong> Gerichtsbarkeit<br />

auf Weltebene, die auch verbindlich und akzeptiert ist<br />

und die möglicherweise auch mit <strong>friedliche</strong>n Mitteln<br />

sanktionieren kann. Die Bedeutung der nationalen<br />

Rechtsebene liegt nach wie vor darin, dass es nicht<br />

nur die Gesetzgebung in ihrer freiheitssichernden<br />

Wirkung gibt, sondern auch <strong>eine</strong> Gerichtsbarkeit, die<br />

für die Durchsetzung sorgen kann. Naturgemäß nicht<br />

immer mit Ergebnissen die gefallen, aber immerhin.<br />

Ich will das mal kurz in den Zusammenhang stellen.<br />

Man kann natürlich in der Bundesrepublik Deutschland<br />

immer sagen, dass das Recht <strong>eine</strong> Doppelnatur<br />

hat. Es ist <strong>eine</strong>rseits ein Herrschaftsinstrument und<br />

andererseits dient es dem Schutz des Individuums.<br />

Hier hat das Grundgesetz nun das Kunststück fertig<br />

gebracht, dass die Grundrechte für unmittelbar<br />

geltendes Recht erklärt werden, die den Staat binden.<br />

Das war vorher anders. Da standen nicht die Grundrechte<br />

vorn, die Rechte des Bürgers gegenüber dem<br />

Staat, sondern die Staatsraison. Nun stehen die<br />

Grundrechte vorne an, sind einklagbares Recht und<br />

Gerichte haben dafür zu sorgen, dass sie gewahrt<br />

werden.<br />

Und auch die Geschichte des Bundesverfassungsgerichts<br />

ist <strong>eine</strong> Geschichte, die die allmähliche und<br />

mühsame Durchsetzung der Grundrechte gegen<br />

autoritäres deutsches Denken zeigt. Das hat vielleicht<br />

auch damit zu tun, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

mit Emigranten und Leuten aus dem Widerstand<br />

besetzt war, während der Bundesgerichtshof, wie es<br />

mal der Rechtssoziologe Theo Rasehorn gesagt hat,<br />

„<strong>eine</strong> Traditionskompanie des Reichsgerichts war, die<br />

doch mehr diesen alten Geist repräsentierte.“<br />

Das alles ist die heutige Rechtsordnung der Bundesrepublik<br />

und nun möchte ich noch <strong>eine</strong>n Gedan-<br />

18<br />

ken sagen: Ob <strong>eine</strong> Realverfassung existiert, in der<br />

die Grundrechte verwirklicht werden, <strong>man</strong>ifestiert<br />

sich am wenigsten in Gerichtsentscheidungen, die<br />

ja immer nur <strong>eine</strong>n Bruchteil der Konflikte, die zu<br />

Gericht kommen, zeigen. Und dann muss auch noch<br />

darüber geschrieben werden. Nein, die Tragfähigkeit<br />

<strong>eine</strong>r Rechtsordnung und auch die Frage, ob dort die<br />

Interessen der Einzelnen gewahrt sind, insbesondere<br />

die Grundrechte, zeigen sich im täglichen, tausendfachen,<br />

millionenfachen Gebrauch. Und darüber sollten<br />

wir uns einmal bewusst werden, dass sich die Religionsfreiheit<br />

dadurch verwirklicht, dass Menschen sie<br />

praktizieren. Die Meinungsfreiheit wird nicht in erster<br />

Linie dadurch geschützt, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

gelegentlich sagt, was durch die Meinungsfreiheit<br />

geschützt ist und was <strong>man</strong> sagen darf,<br />

ohne je<strong>man</strong>d anderes zu beleidigen, sondern dadurch,<br />

dass jeden Tag nahezu alle ihre Meinungsfreiheit<br />

wahrnehmen. Und so ist es mit der Demonstrationsfreiheit<br />

und anderen Dingen auch. Das heißt also: Die<br />

Ausübung der Rechte durch die Bürger ist der beste<br />

Verfassungsschutz den es gibt.<br />

Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />

Ich möchte bei der Frage der Gerichtsbarkeit einhaken<br />

– und bleiben wir bei dem Problem Krieg und<br />

Frieden. Wir haben <strong>eine</strong> Verfassung, in der es so<br />

etwas wie den Krieg ursprünglich gar nicht gab. Das<br />

kam dann später mit dem Integrationsaufbau <strong>eine</strong>r<br />

Armee, <strong>eine</strong>r Bundeswehr in die NATO 1956. Wir haben<br />

zusätzliche Artikel bekommen, aber es war <strong>eine</strong> r<strong>eine</strong><br />

Verteidigungsarmee. Was ist daraus <strong>heute</strong> geworden?<br />

Heute nennt <strong>man</strong> das Eingriffsarmee, Interventionsarmee.<br />

Die Bundeswehr ist <strong>heute</strong> alles andere als <strong>eine</strong><br />

Verteidigungsarmee, weil wir gar k<strong>eine</strong> Feinde um<br />

uns herum haben. Und wie ging das? Das ist mit der<br />

Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts eingerichtet<br />

worden. Die Politik ist vorangegangen, das<br />

Parlament natürlich auch, dann hat das Bundesverfassungsgericht<br />

in zwei bahnbrechenden Entscheidungen<br />

1994 und 1999 den Auslandseinsatz, eigentlich den<br />

Kriegseinsatz, in der gesamten Welt legitimiert. Dagegen<br />

sind viele Verfassungsrechtler Sturm gelaufen.<br />

Aber wir wissen, dass über dem Verfassungsgericht<br />

nur noch der blaue Himmel ist, dagegen kann <strong>man</strong><br />

nichts machen.<br />

Das heißt, die Gerichtsbarkeit ist problematisch,<br />

dagegen sind wir immer wieder angegangen. Zuletzt<br />

gegen das Bundesverfassungsgericht bei dem Tornadoeinsatz<br />

in Afghanistan. Wir haben drei Entscheidungen<br />

des Bundesverfassungsgerichts bekommen, wo<br />

das ursprüngliche Konzept <strong>eine</strong>r Verteidigungsarmee<br />

vollkommen verlassen worden ist und es zu <strong>eine</strong>r<br />

Interventionsarmee – ob nun am Hindukusch oder in<br />

der Straße von Taiwan – legitimiert wurde. Und ich<br />

halte die These für richtig, dass unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />

dadurch auch nicht <strong>friedliche</strong>r geworden ist. Wenn<br />

wir uns die Situation in Afghanistan seit neun Jahren<br />

ansehen, wenn wir uns den Einsatz der Bundeswehr<br />

weltweit ansehen, sehen wir nicht, dass die Welt<br />

dadurch <strong>friedliche</strong>r geworden ist. Sondern es hat <strong>eine</strong><br />

Militarisierung der <strong>Gesellschaft</strong> stattgefunden. Das


heißt, das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur<br />

<strong>eine</strong>n Rechtsspruch erlassen, sondern es hat auch<br />

die Mentalität, das Bewusstsein in der Bevölkerung<br />

gedreht. Und dieses ist außerordentlich bedenklich,<br />

wogegen <strong>man</strong> auch als Jurist vor <strong>eine</strong>m Bundesverfassungsgericht<br />

nicht mehr ankommt. Man muss sehen,<br />

ob <strong>man</strong> das vielleicht auf der Basis der UNO doch<br />

noch zurückdrehen kann.<br />

Hans-Ernst Böttcher<br />

Ich greife einige Punkte auf, die vielleicht zeigen, dass<br />

es noch differenzierter und komplizierter ist. Kaum<br />

haben wir es hoffentlich ge<strong>schafft</strong> klarzumachen, dass<br />

das Recht ein Maßstab im sozialen und demokratischen<br />

Rechtsstaat ist, an dem sich alles zu messen<br />

hat und kaum haben wir gelernt, dass gerade das den<br />

Rechtsstaat ausmacht, muss ich gleich festhalten,<br />

dass der Feininhalt des Rechts natürlich auch mit dem<br />

zu tun hat, worüber Konsens in der demokratischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> herrscht. Damit es nicht zu abstrakt<br />

wird, nenne ich ein Beispiel aus der Inlandsverfassungsgeschichte<br />

der Bundesrepublik Deutschland,<br />

das vielleicht als Ermutigung dient. Während das<br />

Bundesverfassungsgericht zur Meinungsfreiheit sehr<br />

früh bahnbrechende und klare Entscheidungen gefunden<br />

hat, war das für die Versammlungsfreiheit lange<br />

nicht so. Da wurde lange im Sinne der deutschen<br />

Strafrechtstradition vertreten. Wenn 100 Leute auf<br />

<strong>eine</strong>r Straßenkreuzung sitzen, dann ist das strafbare<br />

Nötigung und das Demonstrationsrecht spielt dabei<br />

k<strong>eine</strong> Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hat sich<br />

langsam dahin vorgearbeitet, dass das nicht so einfach<br />

ist. Daraus ist dann langsam <strong>eine</strong> differenzierte<br />

Rechtssprechung entstanden. Es herrscht eben nicht<br />

überall und immer der eindeutige Maßstab, sondern<br />

<strong>man</strong>chmal muss in <strong>eine</strong>m Prozess – gefördert durch<br />

Prozesse im technischen Sinne, durch Gerichtsprozesse,<br />

durch politische Prozesse, durch Bewusstwerden,<br />

durch Manifestieren der Meinung – <strong>eine</strong> demokratische<br />

<strong>Gesellschaft</strong> dahin kommen, dass sie sich <strong>eine</strong>,<br />

objektiv gesehen, richtige Meinung bildet.<br />

Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />

Ich stelle gar nicht in Absprache, dass die Gerichtsbarkeit,<br />

insbesondere auch die des Bundesverfassungsgerichts,<br />

sehr viel für den inneren Frieden dieser<br />

<strong>Gesellschaft</strong> getan hat. Insbesondere bei den politischen<br />

Rechten, ob das nun die Meinungsfreiheit oder<br />

die Versammlungsfreiheit ist. Ich kritisiere nur, da es<br />

hier um Krieg und Frieden geht, diesen <strong>eine</strong>n Bereich,<br />

wo die Verfassungsgerichtsbarkeit sozusagen der<br />

Exekutive auch <strong>eine</strong> Prerogative eingeräumt hat – <strong>eine</strong><br />

alte Krankheit seit Bismarck.<br />

Ich will aber noch etwas parallel der Rechtssprechung<br />

hinzufügen, und zwar unter dem Aspekt Fantasie für<br />

den Frieden. Es gab ja schon während des Zweiten<br />

Weltkriegs <strong>eine</strong> große Fantasie für den Frieden, als<br />

der Völkerbund gescheitert war. 1941 haben Roosevelt<br />

und Churchill sich zusammengetan und gefragt, wie<br />

sie <strong>eine</strong> Friedensordnung nach 1945 oder nach dem<br />

Krieg und der Niederlage des Faschismus einrichten<br />

können. Und sie sind auf das gleiche Prinzip wie<br />

der Völkerbund gekommen – und haben dann die<br />

Vereinten Nationen gegründet. Aber sie haben noch<br />

etwas anderes gemacht und das wird meistens etwas<br />

vernachlässig: die Nürnberger Prozesse. Weil sie nämlich<br />

sagten: Nein, wir dürfen diesen Menschen nicht<br />

durchgehen lassen, was sie getan haben. Kriegsverbrechen<br />

müssen verurteilt werden. Es hat dann über<br />

50 Jahre gedauert, ehe aus diesen Militärtribunalen,<br />

die auch für die Erhaltung des Friedens so wichtig<br />

waren, Tribunale über den Ruandavölkermord, gegen<br />

Jugoslawien wurden – alles vom UNO-Sicherheitsrat<br />

unter dem Kapitel „Bewahrung des Friedens“ eingerichtet.<br />

Was ich damit sagen will ist Folgendes: Nicht nur die<br />

Gesetze, <strong>eine</strong> Verfassung, sondern auch die Justiz ist<br />

für <strong>eine</strong> Friedensordnung absolut notwendig. Damit<br />

ist auch das Strafgericht notwendig. Nur hat das hier<br />

ein riesenhaftes Problem. Der Chefankläger von 1945,<br />

Jackson, hat gesagt: Wir werden die Legitimität <strong>eine</strong>s<br />

solches Strafverfahrens in der Welt nur dann erreichen,<br />

wenn wir bereit sind, den Schierlingsbecher,<br />

den wir jetzt unseren Angeklagten, nämlich den Nazis<br />

geben, auch selber bereit sind zu trinken. Und was ist<br />

<strong>heute</strong>? Wo gibt es überhaupt den Ansatz, <strong>eine</strong>n Mann<br />

wie Bush oder Rumsfeld für den Irakkrieg vor Gericht<br />

zu bringen? Gar nicht, es geht nicht. Diejenigen, die<br />

große Kriege entfacht haben, hat <strong>man</strong> nicht. Das<br />

heißt, wir sind immer noch auf <strong>eine</strong>m unvollständigen<br />

und holprigen Weg, auch um <strong>eine</strong> Friedensordnung zu<br />

erstellen. Und zwar nicht nur mittels <strong>eine</strong>r Verfassung<br />

wie der UNO-Charta, sondern auch in der Verfolgung<br />

von Verbrechen.<br />

Ich frage dich als Richter mit langer Justizpraxis: <strong>Wie</strong><br />

siehst du das?<br />

Hans-Ernst Böttcher<br />

Die Nürnberger Prozesse hast du angesprochen. Man<br />

kann hier ganz wunderbar sehen, dass Fortschritte,<br />

dass neue Einsichten nicht von <strong>heute</strong> auf morgen in<br />

Gang kommen. Ich will es mal verkürzt sagen: Ohne<br />

etwa das Buch von Ingo Müller „Furchtbare Juristen“<br />

über die Justiz und das Unrecht im NS-Staat, ohne<br />

andere Bücher und auch ohne Völkerrechtler wie Gerhard<br />

Stuby und du, wäre <strong>eine</strong> Renaissance der Gedanken<br />

von Nürnberg in Deutschland oder überhaupt <strong>eine</strong><br />

Rezeption der Gedanken nie in Gang gekommen. Und<br />

jeder Richter ist an Recht und Gesetz gebunden, soll<br />

unabhängig urteilen und sich nicht von Strömungen<br />

in der Exekutive und politischem Wohlwollen beeinflussen<br />

lassen. Das ist in der ganzen Welt ein Kampf,<br />

auch in Deutschland. Die Versuche der Beeinträchtigung<br />

der Unabhängigkeit, die nicht so direkt daher<br />

kommen in Deutschland, passieren auch jeden Tag.<br />

Ich kann aber glücklicherweise für die deutsche Justiz<br />

sagen, dass hier etwas von dem Geist der Menschenrechte,<br />

des Völkerrechts und auch der Grundrechte<br />

angekommen ist.<br />

Bevor ich dir zum letzten Mal die Mikrophongewalt<br />

übergebe, will ich von mir aus, die in der Einladung<br />

gestellten Fragen in aller Kürze beantworten:<br />

19


Was muss das Recht garantieren? Bei der Justiz kann<br />

<strong>man</strong> vielleicht fragen: Was sollten das Recht und die<br />

Justiz mit ihren Kräften, als <strong>eine</strong> Determinante in der<br />

Politik, garantieren? Also, was muss das Recht garantieren?<br />

Die Rationalisierung der Politik am Maßstab<br />

der Verfassung, den Schutz der Grundrechte. Der<br />

Staat ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Den<br />

Schutz vor Willkür, auch vor wirtschaftlicher Willkür.<br />

Das Besondere der Richterinnen und Richter ist ja,<br />

dass sie – und das ist ein gewolltes Paradox – <strong>eine</strong>rseits<br />

Teil der Staatsgewalt sind, im gewaltengeteilten<br />

Staat. Aber das sie andererseits <strong>eine</strong> Art institutionelle<br />

Opposition, zugunsten von Gesetz und Verfassung,<br />

zugunsten des Parlaments und zugunsten der Opposition<br />

sind. Im Sinne und Geiste des Rechts und im<br />

Sinne des Friedens <strong>eine</strong>r <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />

Recht ist ja pure Politik, um es mal so zu formulieren.<br />

Denn woher kommt das Recht? Recht kommt aus<br />

20<br />

den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Die<br />

Stärkeren können die Gesetze machen. Insofern ist<br />

auch immer die Frage, inwieweit das Gesetz wirklich<br />

befreit. Und inwieweit das Gesetz auch die Armut<br />

einschränken kann. Es gibt dann <strong>eine</strong> Justiz, die<br />

<strong>eine</strong>rseits abhängig ist von dieser Politik, qua Gesetzesbindung.<br />

Aber andererseits durch die Freiheit der<br />

Interpretation gerichtlicher Kognition, auch zurückwirken<br />

kann auf die Politik und die <strong>Gesellschaft</strong>. Und auf<br />

diesen Prozess haben wir alle Einfluss. Das ist nicht<br />

so etwas wie <strong>eine</strong> Parallelgesellschaft, obwohl es uns<br />

oft so erscheint. Aber der gesellschaftliche Druck auf<br />

die Verbindungen zwischen Exekutive, Legislative und<br />

Judikative ist ganz entscheidend. Wenn wir darüber<br />

klagen, dass die Gesetze den Frieden nicht bringen,<br />

müssen wir uns auch fragen, was wir eigentlich dagegen<br />

machen. Und das ist die Aufforderung an uns alle,<br />

aktiv zu bleiben. Den Frieden in dieser <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

wie aber auch international, zu verfolgen und Druck<br />

auf diese Instanzen auszuüben.


Die Podiumsrunde mit den Religionsvertretern Propst Siegfried Kasparick, Rabbiner Prof. Walter Homolka, Ai<strong>man</strong> Mazyek und Ordinariatsrat Winfried Weinrich (v.l.)


Aus der Vogelperspektive - Birgit Klaubert und <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> im Gespräch mit den Medienschaffenden<br />

Michel Fried<strong>man</strong>, Prof. Heinz Glässgen, Klaus-Dieter Böhm und René Strien (v.l.)


Großes Medieninteresse auf dem Schlosshof von Friedenstein<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> mit den Wissenschaftlern Rüdiger Schmidt-Grépály, Peter Strutynski und<br />

Hannes Heer (v.l.)


Die vollbesetzte Schlosskirche


<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

Was müssen die Medien vermitteln?<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Medien und <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>. Ich will zum<br />

Anfang nur kurz sagen: Immer wenn ein Land <strong>eine</strong>n<br />

Krieg führt, wird die Presse- und Informationsfreiheit<br />

eingeschränkt, der Zensur unterworfen und die<br />

Medienlandschaft verändert sich mit dem Ausbruch<br />

des Krieges. Auch das führte dazu, dass schon 1917<br />

ein amerikanischer Senator den berühmten Satz<br />

geprägt hat, dass das erste Opfer des Krieges immer<br />

die Wahrheit sei. Insofern wollen wir über Medien im<br />

Umgang mit Kriegsberichterstattung reden. Und wie<br />

können die Medien von der Unterwerfung unter die<br />

Zensur, von militärischer Desinformation wegkommen,<br />

hin zu Wahrheit und <strong>eine</strong>r Berichterstattung über<br />

<strong>friedliche</strong> Werte.<br />

Prof. Heinz Glässgen<br />

1943 in Erbach/Odenwald<br />

geboren; Studium<br />

der Philosophie,<br />

Theologie, Geschichte<br />

und Politik in Tübingen,<br />

Bonn und <strong>Wie</strong>n; 1980<br />

Promotion zur Rundfunkgeschichte<br />

1945<br />

bis 1962; 1970 – 1985<br />

Medienarbeit für die<br />

Katholische Kirche in<br />

Württemberg; 1985 –<br />

1999 Arbeit beim Norddeutschen<br />

Rundfunk: 1990 Leiter der Hauptabteilung<br />

Kultur, 1995 Leiter des Programmbereichs<br />

Kultur und stellv. Programmdirektor Fernsehen;<br />

1999 – 2009 Intendant von Radio Bremen; Professor<br />

für Kulturjournalismus an der Universität der<br />

Künste in Berlin<br />

Die Medien fallen nicht vom Himmel, sondern sie<br />

haben <strong>eine</strong>n Auftrag. Für den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk haben diesen Auftrag die Landesparlamente<br />

gegeben, also die Menschen, die durch uns in das<br />

Parlament gekommen sind. Wenn <strong>man</strong> fragt, was die<br />

Medien vermitteln, dann muss <strong>man</strong> nach dem Rahmen<br />

fragen, nach der Grundordnung, nach dem Auftrag,<br />

den diese Medien haben. Ich bin der Auffassung,<br />

dass wir, 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

und nach den drastischen Veränderungen in diesem<br />

Mediengeschäft, uns darüber verständigen müssten,<br />

wie wir in dieser gesellschaftlichen Ordnung miteinander<br />

kommunizieren wollen. Von mir aus an <strong>eine</strong>m<br />

runden Tisch, an dem Politiker, gesellschaftliche Gruppen<br />

und Medienvertreter sitzen. Ich bin dafür, dass<br />

wir uns, angesichts der veränderten Voraussetzungen,<br />

kritisch mit <strong>eine</strong>r neuen Medienordnung beschäftigen.<br />

Das ist der erste Punkt.<br />

Der zweite Punkt: Medien haben in erster Linie zu vermitteln.<br />

Und in zweiter Linie kommt die Frage, was sie<br />

zu vermitteln haben. Es gibt ja diesen Satz von Hajo<br />

Friedrichs, dass Journalisten und Medien in gewisser<br />

Weise neutral sein sollten. Ein goldrichtiger Satz. Herausgekommen<br />

ist aber häufig, dass <strong>man</strong> meint, Journalisten<br />

und Medien haben also indifferent zu sein.<br />

Und wenn <strong>man</strong> diesen Satz so verstehen würde, dann<br />

ist dieser richtige Satz falsch. Medien haben innerhalb<br />

<strong>eine</strong>s bestimmten Rahmens, <strong>eine</strong> bestimmte Aufgabe<br />

zu erfüllen. Und in diesem Sinne sind Medien nicht<br />

neutral, sondern sie müssen parteilich sein. Nicht im<br />

parteipolitischen Sinne, aber parteilich für Freiheit,<br />

Gleichheit, Brüderlichkeit. Für Gleichberechtigung,<br />

für Gerechtigkeit, auch für Frieden – nicht nur für<br />

gesellschaftlichen, sondern auch im internationalen<br />

Maßstab. Ich werbe dafür, dass Medien und Journalisten<br />

in diesem Sinne auch parteilich sein dürfen.<br />

Birgit Klaubert<br />

<strong>Wie</strong> viel Manipulation ist durch Medien möglich?<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

1951 in Merseburg<br />

geboren; Studium<br />

der Geschichte und<br />

Betriebswirtschaft in<br />

Freiburg/Brsg.; 1986 –<br />

1992 Geschäftsführer<br />

der TOMESA Fachklinik<br />

in Bad Salzschlirf; seit<br />

1993 Geschäftsführer<br />

Klinikzentrum Bad Sulza;<br />

seit 1994 Präsident<br />

des Kunstvereins Apolda<br />

Avantgarde e.V.; seit<br />

1997 Vorsitzender des Kinderhilfswerks Ourchild<br />

e.V.; seit 1999 Geschäftsführer der Toskana Therme<br />

Bad Sulza; seit 2004 Geschäftsführer Hotel an der<br />

Therme und der Toskana Therme Bad Schandau;<br />

seit 2007 <strong>Gesellschaft</strong>er des Weimarer und Erfurter<br />

Regionalfernsehens „Salve TV“ und Betreiber des<br />

Internet-Videonetzwerks „Salve World“<br />

Medien sind nur ein Lautsprecher von irgendetwas.<br />

Heutzutage ist in den Medien auch immer ein starkes<br />

wirtschaftliches Interesse sicherzustellen. Man bewegt<br />

sich auch dorthin, wo gewisse Unterstützungen<br />

sind. Ist <strong>man</strong> dann noch unabhängig und ein Beurteiler<br />

von Dingen? Einen runden Tisch zu schaffen, wo<br />

<strong>man</strong> <strong>eine</strong> Ordnung herstellt, ist sehr kühn. Im Internet<br />

der heutigen Welt ist das wahrscheinlich nicht realisierbar.<br />

Und es gibt k<strong>eine</strong> Macht, die irgendje<strong>man</strong>d<br />

zwingt, etwas zu tun.<br />

Ich, je<strong>man</strong>d aus dem Lokalfernsehen, habe zur<br />

Jahrtausendwende m<strong>eine</strong> eigene Stellung hinterfragt:<br />

Was willst du denn eigentlich noch erreichen, was ist<br />

d<strong>eine</strong> innere Zielsetzung? Da habe ich mir <strong>eine</strong>n Satz<br />

vorgenommen: Ich will etwas tun, damit der Mensch<br />

21


und die Natur in Einklang gebracht werden. Dass<br />

wir mit diesem Planeten, mit dieser Natur in Frieden<br />

leben. Und wir müssen allen Menschen vorhalten, was<br />

sie denn dafür tun, dass wir im Frieden, in Harmonie,<br />

in Einklang mit der Natur und mit anderen Menschen<br />

sind. Wenn ich das als ethischen Grundsatz für mich<br />

selber und die Arbeit in diesem Lokalfernsehen definiere,<br />

dann ist das ein sehr komplexer Anspruch. Weil<br />

die Dinge, die nicht im Einklang sind, komplex sind.<br />

Wir sollten auch nicht ständig Horrorszenarien an die<br />

Wand malen – das hilft den Menschen auch nicht.<br />

Bertrand Russell, der Gründer des Vietnam-Tribunals,<br />

hat s<strong>eine</strong>r Zeit zur Veröffentlichung der Todeslisten<br />

durch die amerikanischen Medien gesagt: Du kannst<br />

noch so viele Namen im Fernsehen laufen sehen,<br />

du wirst dadurch nicht emotional ergriffen. Da ist<br />

<strong>man</strong>chmal die emotionale Wirkung des totgefahrenen<br />

Hundes vor d<strong>eine</strong>r Tür, der in s<strong>eine</strong>m Todesschmerz<br />

noch quietscht, viel intensiver. Um im Einklang mit der<br />

Natur zu leben, braucht <strong>man</strong> die emotionale Ansprache.<br />

Medien sollten die Menschen dahingehend berühren,<br />

dass sie sich diesen Zielen verpflichtet fühlen.<br />

Und das ist ein Bildungsauftrag, den ich vertrete.<br />

René Strien<br />

22<br />

1953 geboren; zweijähriges<br />

Jurastudium;<br />

Studium der Ger<strong>man</strong>istik<br />

und Ro<strong>man</strong>istik<br />

in Köln; 1982 – 1989<br />

wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter und Dozent<br />

am Ro<strong>man</strong>istischen<br />

Seminar der Universität<br />

zu Köln; 1989<br />

– 1993 Lektor beim<br />

Gustav Lübbe Verlag,<br />

Bergisch-Gladbach;<br />

1994 Verlagsleiter Rütten & Loening; seit 1995<br />

Verlegerischer Geschäftsführer der Aufbau GmbH<br />

& Co. KG<br />

Ich weigere mich vehement, hier als Mann der alten<br />

Tradition zu sitzen. Das mag für mich persönlich<br />

gelten. Aber ein Verlag hätte k<strong>eine</strong> Chance, wenn<br />

er nicht genauso in die Zukunft schauen würde, wie<br />

die elektronischen Medien. Privat habe ich so viele<br />

Bücher, dass ich immer Sorge habe, die Balken halten<br />

das nicht aus. Aber dienstlich benutze ich seit etlichen<br />

Jahren <strong>eine</strong>n Sony-Reader und ein I-Pad. Nicht,<br />

weil ich damit spielen will, sondern weil ich wissen<br />

muss, was wir mit den Inhalten, die wir verbreiten<br />

wollen, in Zukunft machen. Soviel zur Tradition.<br />

Eben habe ich viel von dem Auftrag der öffentlichrechtlich<br />

Medien gehört. Die Frage ist: Hat ein Verlag<br />

eigentlich auch <strong>eine</strong>n Auftrag? Das ist kompliziert zu<br />

beantworten und hat viel mit Verlegerpersönlichkeiten<br />

und Gründungsideen zu tun. Bei Aufbau ist es glücklicherweise<br />

relativ einfach. Um kurz an die Aufbau-<br />

Tradition zu erinnern: 1945 als erster belletristischer<br />

Verlag nach dem Krieg in Deutschland gegründet,<br />

wirklich auf den Trümmerbergen von Berlin. Der sich<br />

da gerade formierende Kulturbund für die Erneuerung<br />

Deutschlands war der Gedankengeber, speziell war<br />

es Becher als treibende Kraft. Und da gab es vier<br />

Gründungsideen: Man wollte an das alte Deutschland<br />

wieder anknüpfen, an die schöne deutsche hu<strong>man</strong>istische<br />

Tradition, die dann in so <strong>eine</strong>r pervertierten Art<br />

und Weise missbraucht worden ist. Und schon war die<br />

erste Programmsäule klar: Man hat sich wieder auf<br />

die Klassiker besonnen. Zweite Programmsäule, aus<br />

der gleichen Idee heraus: Man hat sich in Übersetzungen<br />

engagiert und wollte diesem Chauvinismus Aufklärung<br />

entgegensetzen. Aufklärung, <strong>eine</strong> großartige<br />

Idee, die nicht <strong>eine</strong>r politischen Richtung zuzuordnen<br />

ist. Dritte Sache, die wesentlich für den Aufbau-Verlag<br />

wurde: Man versuchte die exilierten Autoren, die<br />

übrigens im Westen relativ schnell vergessen waren,<br />

zusammenzusammeln und wieder Heim zu holen. Und<br />

zwar buchstäblich. Man hat ihnen auch dabei geholfen,<br />

wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen und hat ihre<br />

Gesamtwerke verlegt.<br />

Das ist die Tradition des Aufbau-Verlags und diese<br />

Grundidee, mit diesen Säulen, trägt noch <strong>heute</strong>.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

1956 in Paris geboren;<br />

Studium der Medizin<br />

bis zum Physikum, anschließendJura-Studium;<br />

seit 1987 Rechtsanwalt<br />

in Frankfurt a.M.;<br />

1994 Promotion an der<br />

Universität Mainz in<br />

Rechtswissenschaften;<br />

2000 – 2003 Vizepräsident<br />

des Zentralrats<br />

der Juden in Deutschland;<br />

1998 – 2003 Moderator<br />

der ARD-Sendung „Vorsicht Fried<strong>man</strong>!“;<br />

2000 – 2003 Herausgeber der Wochenzeitung<br />

„Jüdische Allgem<strong>eine</strong>“; 2001 – 2003 Moderator der<br />

ARD-Sendung „Fried<strong>man</strong>“; seit 2003 Herausgeber<br />

der Reihe „Politisches Buch“ im Aufbau Verlag;<br />

seit 2004 Moderator der Fernsehsendungen „Im<br />

Zweifel für … Fried<strong>man</strong>s Talk“ bei Universal – 13TH<br />

STREET und „ Studio – Fried<strong>man</strong>“ bei N24<br />

Ich glaube, dass es nicht die Wahrheit, sondern Wahrnehmungen<br />

von Wahrheit gibt. Und das ist <strong>eine</strong>s der<br />

schwersten Dinge, die wir als Menschen für uns verarbeiten<br />

können. Denn selbstverständlich würde ich behaupten<br />

können, dass ich die Wahrheit habe, denn ich<br />

habe auch die Intelligenz, das Wissen, die Erfahrung<br />

etc. darüber. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen<br />

von Wahrheit und an diesem Punkt beginnt schon<br />

Friedensarbeit. Nämlich, ob wir es aushalten, darüber<br />

zu reden, zu diskutieren, können wir auch stehenlassen,<br />

dass wir unterschiedliche Meinungen haben.


Und jetzt komme ich zu den Fragen Medien und<br />

Frieden. Es ist natürlich leichter, über den äußeren<br />

Unfrieden und Medien zu diskutieren. Aber ich möchte<br />

darauf hinweisen, dass natürlich auch Journalisten<br />

in gesellschaftspolitischen Fragen zerrissen sind<br />

– auch <strong>eine</strong> Berichterstattung zu machen, die <strong>eine</strong>rseits<br />

diesen Wahrheitsanspruch verinnerlicht, und die<br />

andererseits nicht missbräuchlich mit der Übermacht<br />

des Instruments umgeht.<br />

Deswegen m<strong>eine</strong> erste Bemerkung: Wir stecken alle<br />

in Machtinteressen. Bei <strong>eine</strong>m existenziellen Konflikt,<br />

wie <strong>eine</strong>m Krieg, <strong>eine</strong>m Bürgerkrieg im Land oder<br />

sozialen revolutionären Veränderungen, werden die<br />

Machtinteressen mit weitaus mehr Aggression und<br />

Gewalt, sowohl Person zu Person, als auch Institution<br />

zu Institution, ausgelebt.<br />

Zweite Bemerkung: Auch wir Journalisten sind Teil dieser<br />

Machtinteressen, nicht nur wirtschaftlich, sondern<br />

auch als Personen, die wir uns in unserer jeweiligen<br />

journalistischen Gruppe wiederfinden: Zeitung, Fernsehen,<br />

privat, öffentlich etc.<br />

In m<strong>eine</strong>r dritten Bemerkung komme ich auf das Recht<br />

zurück: Es gibt k<strong>eine</strong>n rechtsfreien Raum und das gilt<br />

auch für uns Journalisten. So gesehen ist bei aller<br />

Nachdenklichkeit die Herausforderung gegeben, dass<br />

uns das Machtinteresse Politik <strong>man</strong>ipulieren möchte,<br />

nicht nur im Krieg, sondern bei jeder politischen<br />

Entscheidung, die sie mehrheitsfähig machen will. Das<br />

ist übrigens auch legitim. Denn hätte sie nicht diesen<br />

Machtwillen, wäre sie gar nicht berechtigt in dem<br />

Wettbewerb zu sein. Und wir müssen als Journalisten<br />

ein Gegengewicht setzen – so weit es geht.<br />

Und deswegen m<strong>eine</strong> letzte Bemerkung: Das Spannende<br />

in der freien <strong>Gesellschaft</strong> ist, dass bei alle dem,<br />

was uns Macht <strong>man</strong>ipulativ, durch Zensur antut, in<br />

dem Pluralismus der unterschiedlichen Sichtweisen<br />

ein Stück Aufklärung gelingt. Und da bin ich ein Fan<br />

der neuen Technologien. Wir haben es im Iran gesehen,<br />

wir sehen es auch im Irak, dass das Internet mehr<br />

Wahrheit ans Licht rückt, vor allem immer gegen den<br />

Willen der Zensur, als wir das früher mit den großen<br />

Kameras je gekonnt haben. Und das finde ich dann<br />

wieder sehr ermutigend. Egal wie <strong>man</strong>ipulativ <strong>man</strong><br />

sein will, früher oder später gibt es immer wieder den<br />

<strong>eine</strong>n oder anderen Menschen, der aufklären möchte.<br />

So gesehen bin ich sehr optimistisch, dass selbst in<br />

<strong>eine</strong>r Diktatur, aber erst recht in <strong>eine</strong>r freien <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

der Auftrag der Wahrheitsfindung von <strong>eine</strong>m<br />

pluralen Journalismus <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Beitrag bekommt.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Das ist zwar richtig, dass es bei der Wahrheit Interpretationen<br />

gibt, trotzdem gibt es, gerade im Zusammenhang<br />

mit Krieg und Kriegsbeginn, so etwas wie<br />

Wahrheit und Lüge. Es ist nicht mehr zu interpretieren,<br />

wenn je<strong>man</strong>d sagt: Wir müssen Krieg führen, weil<br />

der, gegen den wir Krieg führen müssen, im Besitz<br />

von Massenvernichtungswaffen ist. Und dann stellt<br />

sich heraus, dass dieses <strong>eine</strong> pure Lüge ist. Es gibt<br />

offensichtlich <strong>eine</strong>n Zusammenhang zwischen der Tatsache,<br />

dass Kriege geführt werden und dem Umgang<br />

der Machthabenden mit Information und Medien. Sie<br />

werden anders eingesetzt als in zivilen Zeiten, wo es<br />

mehr Wettbewerbsmöglichkeiten gibt. Das heißt also,<br />

Kriege und Kriegsführung haben <strong>eine</strong> starke Auswirkung<br />

auf die Medien.<br />

Aber noch einmal zum Internet: Die Machthabenden<br />

können Informationen zurückhalten oder verdrehen.<br />

Aber es gibt dieses milliardengroße Publikum von<br />

Beobachtern, die ihre Erkenntnis ins Netz stellen können.<br />

Aber mit welchem Effekt?<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

Bei der heutigen Vielfalt der Medienmöglichkeiten und<br />

Zugänge, sollten wir pädagogische Orientierung und<br />

Medienkompetenz vermitteln und sagen: Teste das<br />

Medium und überprüfe, ob das, was wir sagen, richtig<br />

ist. Und wenn wir was falsch gemacht haben, dann<br />

gib uns <strong>eine</strong>n Hinweis und wir können es korrigieren.<br />

Also ein offener Prozess. Das Wesentliche ist, dass<br />

Herrschaft mit den Medien gemacht wird. Die Medien<br />

sind ja nicht unabhängig. Man hat ja schon langfristig<br />

und vorbereitend für Kriege Artikel lanciert, Wissenschaftler<br />

beauftragt Aufsätze zu schreiben, große<br />

Diskussionen anzuzetteln, dass es jetzt notwendig ist,<br />

den Irakkrieg zu führen und möglicherweise auch zu<br />

verschleiern, warum <strong>man</strong> den eigentlich führen will.<br />

Im Internet gibt es noch etwas ganz Witziges: WikiLeaks<br />

– <strong>eine</strong> Art Wikipedia für geheime Informationen.<br />

Leute stellen das, was sie irgendwo erfahren, anonymisiert<br />

ins Netz. Das verändert auch die Welt, macht<br />

den Herrschenden richtig Angst. Das ist okay. Die<br />

Ordnung liegt letztendlich in der Unordnung und im<br />

Chaos. Und diejenigen, die das betreiben, müssen<br />

sich schützen, weil sie gegebenenfalls sogar strafrechtlich<br />

verfolgt werden. Das zeigt ja <strong>eine</strong> Qualität<br />

von Medien heutzutage. Nie<strong>man</strong>d ist mehr sicher,<br />

dass das, was da hinter dem Rücken ausgemauschelt<br />

wird, nicht doch an die Öffentlichkeit kommt. Und<br />

das ist die Wirkung. Ich glaube, dass es irgendwann<br />

genügend Leute gibt, professionelle Journalisten und<br />

andere Personen, die an diesem großen Thema der<br />

Wahrheit arbeiten.<br />

Prof. Heinz Glässgen<br />

Unsere öffentlich-rechtliche Medienwelt wurde nach<br />

dem Krieg geordnet und diese Basis gibt es noch<br />

<strong>heute</strong>, obwohl sich der mediale Kontext und die<br />

gesellschaftliche Situation total geändert haben.<br />

Ich rede nicht davon, dass jetzt erst <strong>eine</strong> Ordnung<br />

geschaffen werden muss. Ich plädiere aber dafür,<br />

dass wir, 60 Jahre nachdem diese Ordnung erlassen<br />

worden ist, <strong>heute</strong> neu darüber nachdenken, dass wir<br />

Mediengesetze haben, die in diese Zeit passen. Das<br />

duale System, das Internet und die Digitalisierung<br />

sind gekommen und wir tun immer noch so, als hätten<br />

wir die Zeit von 1948.<br />

Vielleicht noch <strong>eine</strong>n Satz zum Internet: Diese Freiheit,<br />

durch die sich die Wahrheit durchsetzen soll,<br />

23


kann <strong>man</strong> ja auch skeptisch betrachten. Denn die<br />

Frage ist: Wer verantwortet das, was da rein kommt?<br />

Wer sagt, dass das stimmt und wer kontrolliert diese<br />

Kommunikation? Es wäre hinterweltlerisch, wenn <strong>man</strong><br />

gegen diese neuen Medien wäre. Die kann und soll<br />

<strong>man</strong> nicht verhindern. Nur frage ich schon, und das<br />

empfehle ich auch den Politikern: Was passiert mit<br />

<strong>eine</strong>r <strong>Gesellschaft</strong>, wenn auch die gesellschaftliche<br />

Kommunikation immer stärker individualisiert wird?<br />

Wo ist der Zusammenhalt, wo ist der gesellschaftliche<br />

Kit? Parteien haben in ihrer Relevanz abgenommen,<br />

genau wie die Kirchen und Gewerkschaften. Wo sind<br />

die gesellschaftlichen Bindekräfte?<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Sie haben es ja bewusst die gesellschaftlichen Kräfte<br />

genannt. Das öffentlich-rechtliche Programm gehört<br />

den Ländern, den Parteien, den Politikern. Und wir haben<br />

ja beim ZDF erlebt, bei Roland Koch und Nikolaus<br />

Brender, was das bringen kann – und mir hier weißmachen<br />

wollen, dass das <strong>eine</strong> ordnungspolitische Ebene<br />

sei. <strong>Wie</strong> kann also ein extrem anders denkender<br />

politischer Journalist gegen die politisch herrschende<br />

Meinung in s<strong>eine</strong>m Rundfunkrat arbeiten? <strong>Wie</strong> kann<br />

<strong>man</strong> diesen Konflikt friedlich lösen, ohne dass am<br />

Ende der Chefredakteur fliegt?<br />

Zweite Bemerkung: Ich glaube, dass der Begriff der<br />

Streitkultur in <strong>eine</strong>r <strong>Gesellschaft</strong> sehr wichtig ist – als<br />

Grundvoraussetzung für Fantasien für den Frieden.<br />

Ich habe den Eindruck, dass die bundesrepublikanische<br />

<strong>Gesellschaft</strong> Streit als Bedrohung, anstatt als<br />

Bereicherung, empfindet. Und so lernen gerade junge<br />

Leute, die Klappe zu halten und sich anzupassen. Das<br />

beginnt bei Mama und Papa, dann geht’s weiter beim<br />

Kindergärtner, beim Lehrer, beim Vorgesetzten, beim<br />

Parteivorsitzenden. Ich plädiere für <strong>eine</strong> Streitkultur,<br />

in der wir lernen, dass der Widerspruch auch ein Akt<br />

des Respekts und der Freundschaft sein kann. Wir<br />

müssen lernen, Meinungen zu formulieren, von denen<br />

wir wissen, dass sie vor allem in der eigenen Gruppe<br />

<strong>eine</strong>n hohen Widerstand hervorrufen. Denn das ist die<br />

Leistung. Sich mutig zu zeigen gegenüber <strong>eine</strong>r Gruppe,<br />

die mich nicht sanktionieren kann, ist nicht mutig.<br />

Wenn wir das im Alltag, auch im journalistischen,<br />

lernen, dann haben wir <strong>eine</strong> Chance im Sinne von<br />

Fantasie für den Frieden. Wer streiten nicht gelernt<br />

hat, hat k<strong>eine</strong> Fantasie für den Frieden.<br />

Prof. Heinz Glässgen<br />

Zustimmung zu dem, was Michel Fried<strong>man</strong> über<br />

Streitkultur gesagt hat. Ich wäre falsch verstanden<br />

worden, wenn ich für <strong>eine</strong> Medienordnung nach dem<br />

System Koch plädiere. Ich sagte, wir müssen das<br />

im Streit neu ordnen und dann sind möglicherweise<br />

solche Systeme ausgeschlossen.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

René Strien, unter welchem Diktat steht <strong>heute</strong> eigentlich<br />

ein Verlag? Dem reden kein Ministerpräsident<br />

und k<strong>eine</strong> politische Partei rein. Aber wenn er k<strong>eine</strong><br />

Bestseller produziert, steht es nicht sehr gut um ihn.<br />

Oder?<br />

24<br />

René Strien<br />

Ja.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Und wie weiter?<br />

René Strien<br />

Wir haben es in gewisser Weise ein bisschen besser<br />

als die Kollegen, von denen hier eben geredet worden<br />

ist – zumindest da, wo es um unabhängige Verlage<br />

geht. Das wirtschaftliche Diktat, unter dem wir alle<br />

zu bleiben haben, ist natürlich bei <strong>eine</strong>m individuell<br />

geführten Verlag noch einmal anders zu sehen.<br />

Wir zum Beispiel haben <strong>eine</strong>n Eigentümer, der sich<br />

nicht als Mäzen betrachtet. Das wäre auch ziemlich<br />

schlimm, weil Mäzenatentum immer auch dazu führt,<br />

nicht nach gesellschaftlicher Relevanz zu schauen –<br />

und dann macht <strong>man</strong> Alibibücher. <strong>Gesellschaft</strong>liche<br />

Relevanz drückt sich in gewisser Weise auch durch<br />

wirtschaftlichen Erfolg aus. Nicht automatisch, nicht<br />

alles, was erfolgreich ist, ist relevant. Aber ob das,<br />

was nicht erfolgreich ist <strong>eine</strong> hinreichende Relevanz<br />

bekommt, das müsste gefragt werden. Die Quadratur<br />

des Kreises ist, zu versuchen, den Leuten nicht zu<br />

sehr aufs Maul zu schauen.<br />

Wir hatten eben den Medienauftrag – wir haben uns<br />

selber <strong>eine</strong>n gegeben. Unser Eigentümer will zum<br />

Beispiel k<strong>eine</strong> große Rendite, sondern dass sich der<br />

Verlag trägt und unsere Erträge müssen für <strong>eine</strong> Stiftung<br />

zur Förderung der Lesefähigkeit ausreichen. Wir<br />

züchten nämlich unseren Nachwuchs selber.<br />

In m<strong>eine</strong>r kurzen und sehr verunglückten Zeit als Studienreferendar<br />

am Gymnasium habe ich festgestellt,<br />

dass die Schüler die Dinge selber entdecken müssen.<br />

Und diesen Weg zu weisen, wie <strong>man</strong> von all<strong>eine</strong> auf<br />

Dinge kommt, das ist der volkspädagogische Auftrag<br />

– wenn <strong>man</strong> das so großmäulig sagen darf – dem sich<br />

ein Verlag wie der unsrige stellt. Wir wollen, dass die<br />

Leute zum eigenen Denken angeregt werden.<br />

Birgit Klaubert<br />

Ich würde jetzt gerne noch einmal zum Regionalfernsehen<br />

kommen. <strong>Wie</strong> sind Sie auf die Idee gekommen,<br />

diesen Regionalsender zu übernehmen?<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

Die Macher kamen vor ca. vier Jahren zu mir, es ging<br />

ihnen wirtschaftlich nicht so gut, und fragten, ob ich<br />

mitmachen könnte. Und ich fragte: Was macht ihr<br />

denn da? Lokalfernsehen in Weimar. Und wie viele<br />

gucken sich das an? Wenn <strong>man</strong> es hochrechnet<br />

vielleicht 60.000. Da sagte ich: Das ist ja nett aber<br />

ich habe mehr Interesse am Internet-TV. Das sehen<br />

dann eben auch mehr Leute. Wir haben damals relativ<br />

schnell ein Internet-TV daraus gemacht. Ich wollte<br />

damit erreichen, dass Weimar und das Weimarer Land<br />

kulturell noch enger zusammenarbeiten. Dass Weimar<br />

versteht, dass es ohne das Umland nichts ist.<br />

Wir sind genauso reglementiert wie die öffentlichrechtlichen<br />

Sender – wir kriegen nur kein Geld. Das


ist der Unterschied. Sonst haben wir die gleichen Verpflichtungen<br />

wie ARD und ZDF. Das würde ich bei der<br />

Neuordnung der Thematik gerne lösen. Ich möchte<br />

von dem Milliarden-Töpfchen auch etwas haben. Jetzt<br />

müssen wir das selber erwirtschaften.<br />

Das Zweite ist, dass auch Erfurt und Weimar zusammenarbeiten<br />

sollten. Thüringen ist so ein Liliput-Land,<br />

da brauchen wir nicht so viele verschiedene Fürstentümer,<br />

sondern sollten an <strong>eine</strong>m Strang ziehen. Und<br />

das ist die nächste Etappe, Erfurt und Weimar näher<br />

zusammenzubringen, weil die Kräfte für die kulturelle<br />

Entwicklung angesichts der Haushaltssituation gebündelt<br />

werden müssen. Wenn wir Energien zusammenbringen,<br />

können wir schneller vorankommen.<br />

Was hier in der Diskussion noch k<strong>eine</strong> Rolle gespielt<br />

hat, ist die Frage der Quote. Die Quote ist so <strong>eine</strong><br />

Hure geworden, dass sich selbst das öffentlich-rechtliche<br />

Fernsehen daran orientiert. Das finde ich nicht<br />

korrekt. Wenn <strong>man</strong> schon mit öffentlichen Geldern<br />

ausgestattet wird, dann muss es auch <strong>eine</strong>n Anspruch<br />

geben, anderes Fernsehen zu machen und sich nicht<br />

nur an der Quote zu orientieren. Man kann die Leute<br />

auch wieder an das gute Fernsehen gewöhnen, indem<br />

<strong>man</strong> es macht. Diesen Anspruch habe ich mit m<strong>eine</strong>m<br />

Zwergen-Fernsehen.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Ich würde doch auf unsere Grundfrage zurückkommen<br />

wollen. Der Grundgedanke ist natürlich vollkommen<br />

richtig: <strong>Wie</strong> wird <strong>man</strong>ipuliert, damit <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

aggressiveres Verhalten hinnimmt? Diese Aggression<br />

kann <strong>eine</strong> Notwehraggression sein, sie wäre dann ein<br />

Verteidigungsfall. Sie kann aber auch <strong>eine</strong> missbrauchte<br />

politische Begründung sein, um politische Interessen<br />

im Sinne <strong>eine</strong>s Angriffs gegenüber <strong>eine</strong>m anderen<br />

Staat oder <strong>eine</strong>r anderen Gruppe durchzuführen.<br />

Jedenfalls haben die Medien bis in die Gegenwart ihre<br />

Kontrollaufgabe vernachlässigt oder gar verloren. Und<br />

erreichen das retardiert wieder, wenn <strong>man</strong> beispielsweise<br />

sehr viel schneller und deutlicher als früher<br />

Bilder von Angegriffenen oder gegnerischen Betroffenen<br />

sieht. Dazwischen findet Zensur statt, dazwischen<br />

findet Gefährlichkeit statt und dazwischen findet aber<br />

immer noch Kriegsreporterarbeit statt. Das sind für<br />

mich Journalisten, die mit großem Mut und Idealismus<br />

ihr Leben aufs Spiel setzen. Also nicht die, die vor irgend<strong>eine</strong>r<br />

Botschaft ganz sicher ihren Bericht machen,<br />

sondern die, die dorthin gehen, wo sie nach Meinung<br />

der herrschenden Kriegspartei nicht hin dürfen.<br />

Es gibt k<strong>eine</strong> isolierte Gruppe, die Fantasien für den<br />

Frieden entwickelt und damit Frieden in die Gesamtgesellschaft<br />

bringt. In allen anderen Gruppen der<br />

<strong>Gesellschaft</strong> muss die Wahrnehmungsbereitschaft<br />

ausgeprägt sein, dass die Bilder und die Berichterstattung<br />

vielleicht nicht mehr stimmen. Nur so kann <strong>eine</strong><br />

gesamtgesellschaftliche Veränderung stattfinden. Da<br />

gibt es <strong>eine</strong> Chance für Journalisten. Seit es mit dem<br />

Handy möglich ist ein Minivideo herzustellen, können<br />

auch ungewollte Bilder in die Welt verschickt werden.<br />

Und das ist <strong>eine</strong> Erneuerung, die wir gerade in Krisen,<br />

im Bürgerkrieg, in totalitären Strukturen nicht hoch<br />

genug bewerten können.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Das ist ja vollkommen richtig. Aber es gibt neue<br />

Erkenntnisse aus Amerika zur Informationspolitik der<br />

Regierung Obama. Sehr bedeutende und exponierte<br />

Journalisten der New York Times und der Washington<br />

Post weisen selbstkritisch nach, dass sich die Informationspolitik<br />

der Regierung Obama von der der<br />

Regierung Bush so gut wie überhaupt nicht unterscheidet.<br />

Dass Desinformation als Machtinstrument<br />

eben weitergeht. Diese millionenfache Gegenwelt des<br />

Internets ist zwar vorhanden, aber in ihrer Auswirkung<br />

auf <strong>Gesellschaft</strong> und Politik nicht wirksam.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Aber interessiert uns das <strong>heute</strong> noch so, wie vor zwei<br />

Jahren? Ist unsere Wahrnehmung und Interessenlage<br />

über Guantanamo beispielsweise noch so aktiv wie<br />

vor zwei Jahren? Die Medien können über Guantanamo<br />

berichten. Unsere Empörungsbereitschaft und die<br />

daraus entstehende Handlungsbereitschaft hat sich,<br />

m<strong>eine</strong>r Wahrnehmung nach, aber verändert. Deswegen<br />

kann Obama vielleicht ganz ähnliche Dinge machen,<br />

wo wir bei Bush in <strong>eine</strong>r Grundempörung waren<br />

und es bei ihm gar nicht zur Kenntnis nehmen wollen.<br />

Weil wir froh sind, es eigentlich hinter uns zu haben<br />

und feststellen müssten, dass wir noch mitten drin<br />

sind. Dieses Bewusstsein zu prägen ist <strong>eine</strong> Wechselwirkung,<br />

die wir brauchen.<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

Vorgestern kam ich aus den USA und ich stellte dort<br />

fest, dass sich immer mehr Leute vom Fernsehen<br />

und den Medien abklemmen. Sie haben nur noch das<br />

Internet und holen sich dort ihre Informationen. TV ist<br />

dort fast nicht zu ertragen und die Zeitungen gehen<br />

durchgehend ein, denn die werden nicht mehr gelesen<br />

und entsprechend auch nicht mehr durch die Werbung<br />

finanziert. Das ist ein großes Problem in Amerika.<br />

Aber es hat mich sehr optimistisch gestimmt, dass<br />

es vor 40 Jahren in Amerika noch Apartheit gab und<br />

jetzt gibt es <strong>eine</strong>n farbigen Präsidenten. Kennedy hat<br />

gesagt: In 10 Jahren wollen wir auf den Mond und sie<br />

sind dann in 10 Jahren auf dem Mond gewesen. Und<br />

Obama hat von der Energiewende gesprochen. Und<br />

wenn die das ehrlich m<strong>eine</strong>n, dann werden die Amerikaner<br />

auch die Energiewende einrichten. Da ist richtig<br />

Bewegung drin. Insofern habe ich auch Hoffnung für<br />

uns.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Gehen wir weg von Amerika, hin zu unserem Beitrag<br />

in Afghanistan und anderen Regionen der Welt. <strong>Wie</strong><br />

viel Informations- und Desinformationspolitik gibt es<br />

und wie viel Informationspolitik wollen wir wirklich<br />

haben? Als wir noch nirgends im Krieg waren, gab es<br />

Friedensdemos in Deutschland mit 100.000 Leuten.<br />

Jetzt, wo wir im Krieg sind, kriegst du kaum Friedensdemos<br />

zusammen. Und daran scheitert am Ende jede<br />

Fantasie einzelner Gruppenverantwortungen, und wird<br />

erst dann konstruktiv, wenn im Rahmen der Grup-<br />

25


penverantwortung die Individuen zu <strong>eine</strong>r politischen<br />

Bewegung werden.<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

Die gesellschaftlichen Kräfte, die für den Frieden sind,<br />

sind zurückgedrängt worden. Die Grünen waren früher<br />

bei diesen 100.000 dabei und sind <strong>heute</strong> Befürworter.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Aber dass wir wie die Lämmer im Hof bleiben, weil<br />

unsere Schafhirten nicht mehr unterwegs sind? Mein<br />

Selbstverständnis ist, dass ich auch ohne Politiker<br />

weiß, wann ich demonstrieren möchte und wann<br />

nicht.<br />

Birgit Klaubert<br />

Wir haben jetzt über Politik, Kommunikation, Medien<br />

und Gruppen gesprochen. Ich bitte nun in <strong>eine</strong>m<br />

kurzen Abschlussstatement um Ihre ganz individuelle<br />

Verantwortung für Fantasien für den Frieden.<br />

René Strien<br />

Früher war m<strong>eine</strong> Welt einfacher. Das ist vielleicht<br />

alterstypisch, hatte aber vielleicht auch mit der<br />

vor-postmodernen Zeit zu tun. Wenn <strong>eine</strong>r in <strong>eine</strong>r<br />

Bundeswehruniform in die Kneipe kam, kriegte er <strong>eine</strong><br />

aufs Maul. So einfach war das. Auch nicht richtig und<br />

sicherlich k<strong>eine</strong> intelligente Auseinandersetzung. Aber<br />

die Jugend, die sich als links auffasste, ohne genau zu<br />

wissen, was das war, war gegen die Bundeswehr. Aber<br />

auch als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer konnte<br />

<strong>man</strong> für Friedensmissionen sein. In <strong>eine</strong>r idealen Welt<br />

könnte es <strong>eine</strong> Art Weltpolizei geben, die überall, wo<br />

etwas schief läuft, Gerechtigkeit und Ordnung <strong>schafft</strong>.<br />

Das ist alles vorbei. Jetzt sind wir tatsächlich im Krieg<br />

und sehen, dass es diese Art von gottvatermäßiger<br />

Weltgerechtigkeit nicht gibt und natürlich auch nicht<br />

geben kann. Die wesentlichen Wurzeln vieler Übel<br />

sind Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit.<br />

Wir brauchen <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, die e<strong>man</strong>zipiert ist.<br />

Ich habe m<strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Platz gefunden, an dem ich<br />

versuche, dazu beizutragen. Mit Medien, speziell mit<br />

Büchern, mit den Inhalten, kann <strong>man</strong> zur E<strong>man</strong>zipation<br />

des Einzelnen beitragen.<br />

Klaus-Dieter Böhm<br />

Ich selber bin sehr optimistisch. Als der Irakkrieg<br />

begann, sind 80 Millionen Menschen an <strong>eine</strong>m Tag auf<br />

die Straße gegangen. Es gibt Situationen, in denen es<br />

ein Selbstverständnis auf der Welt gibt und wo dieses<br />

Potential aufgerufen werden kann. Nur muss es die<br />

Situation geben, dass <strong>man</strong> das machen will. Und<br />

die Medien schaffen im Augenblick die Begründung<br />

26<br />

dafür, warum es richtig ist, Krieg zu führen. Wir sind<br />

in Afghanistan – was ich nach wie vor nicht verstehe<br />

– und das wird dauernd kommuniziert. Jeden Tag<br />

wird irgend<strong>eine</strong> Sau durchs Dorf getrieben und das<br />

ist dann interessant. Und Guantanamo ist halt nicht<br />

mehr aktuell. Das ist das Problem des Flüchtigen. Um<br />

Frieden zu schaffen, für sich selber und mit anderen,<br />

müssen wir <strong>eine</strong> Streitkultur so gestalten, dass <strong>man</strong><br />

sich trotz unterschiedlicher Meinungen auch wieder<br />

zusammensetzen kann. Das ist vielleicht ein Weg.<br />

Prof. Heinz Glässgen<br />

Man kann ja schwarz malen und sagen: Die Medien<br />

gehören den Parteien, nie<strong>man</strong>d interessiert sich mehr<br />

für Guantanamo und wo gibt es überhaupt noch <strong>eine</strong>n<br />

Fortschritt. Man kann sagen, dass das Internet die<br />

<strong>Gesellschaft</strong> spaltet, individualisiert und die Wahrheit<br />

landet auf dem Friedhof. Ich gehöre nicht zu denen.<br />

Ich bin durchaus auch optimistisch, dass es voran<br />

geht und dass sich Dinge verändern. Ein Stichwort<br />

zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Wenn wir und<br />

die jungen Leute nicht mehr in diesem System sind,<br />

wird das System von sich aus überlegen, was es<br />

anders machen kann. Es werden Veränderungen<br />

kommen und ich glaube, dass Aufklärung k<strong>eine</strong> Angelegenheit<br />

der Vergangenheit ist, sondern <strong>eine</strong> außerordentlich<br />

zeitgemäße und wichtige Aufgabe für diese<br />

<strong>Gesellschaft</strong>. Und jeder, der an dieser Aufklärung und<br />

damit an der E<strong>man</strong>zipation von Menschen mitwirkt<br />

– durch solche Tagungen, Artikel, Handyfotos – trägt<br />

dazu bei, dass es ein bisschen nach vorne geht.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Dazu muss ich aus Prinzip <strong>eine</strong> andere Haltung einnehmen.<br />

Ich glaube, dass sich die Dinge nicht zum<br />

Besseren wenden, vielleicht nicht unbedingt zum<br />

Schlechteren, aber auf alle Fälle nicht zum Besseren.<br />

Seit 1945 gab es k<strong>eine</strong>n Tag ohne Krieg, irgendwo auf<br />

dieser Welt.<br />

Übrigens können Kinder, die die ersten fünf Jahre in<br />

<strong>eine</strong>r Gewaltatmosphäre aufwachsen sind – und dafür<br />

musst du gar nicht in Afghanistan sein, das kann<br />

genauso in Gotha und Frankfurt am Main passieren –<br />

mit unserem Thema überhaupt nichts mehr anfangen.<br />

Und wenn diese Kinder k<strong>eine</strong> gute Bildung erfahren,<br />

lernen sie nicht, <strong>eine</strong> andere Lebensperspektive,<br />

Meinung, Position oder Wahrheit zu ertragen. Und sie<br />

können nicht friedlich reagieren. Sie haben gelernt,<br />

darauf mit Gewalt zu reagieren. Ich kann das nicht<br />

in China ändern, ich kann das nicht in Afghanistan<br />

ändern aber ich kann es dort ändern, wo ich lebe.<br />

Und wenn wir das hier nicht tun, dann sollen wir die<br />

Klappe in Afghanistan nicht zu weit aufmachen.


<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

Was müssen die Künste aufzeigen?<br />

Lutz Görner<br />

1945 in Thüringen<br />

geboren; Studium der<br />

Theaterwissenschaft,<br />

Ger<strong>man</strong>istik, Kunstgeschichte,Philosophie<br />

und Soziologie<br />

in Köln; Arbeit als<br />

Schauspieler, Bühnenarbeiter,<br />

Requisiteur,<br />

Dramaturg, Inspizient,<br />

Regisseur an<br />

verschiedenen deutschen<br />

Bühnen; erste<br />

Auftritte als Rezitator mit dem H<strong>eine</strong>-Programm<br />

„Die Menschen sind k<strong>eine</strong> Esel“ in <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n<br />

Schwabinger Theater machten ihn zum gefragten<br />

Rezitator; Kündigung s<strong>eine</strong>r Theaterarbeit, fortan<br />

eigenständige Organisation s<strong>eine</strong>r Gastspiele;<br />

ab 1993 strahlte der Sender 3Sat s<strong>eine</strong> 200-teilige<br />

Serie „Lyrik für alle“ aus<br />

Es ist ein bisschen altes Denken: Was muss <strong>man</strong> tun.<br />

Es wäre schöner: Was könnte <strong>man</strong> tun. Aber ich will<br />

das jetzt nicht weiter vertiefen.<br />

Birgit Klaubert<br />

Wir haben schon über den Befehlston und über die<br />

Möglichkeit der Kommunikation gesprochen. Sind die<br />

Künste auch Medien in diesem Prozess?<br />

Lutz Görner<br />

Ja, sicherlich sind wir auch Medien. Wir sind halt nicht so<br />

bedeutend wie die Fernsehsender, die <strong>eine</strong> ganz andere<br />

Präsenz und andere Möglichkeiten haben, für die Leute<br />

glaubhaft zu machen, was sie verkünden wollen. Manche<br />

Sachen muss <strong>man</strong> halt nur mehrmals verkünden, dann<br />

glaubt es der Fernsehzuschauer. Der glaubt dann auch,<br />

dass der Politiker gut ist und richtig redet. An den Umfrageergebnissen<br />

kann <strong>man</strong> das sehr gut ablesen. Wenn ein<br />

Politiker oft im Fernsehen vorgekommen ist, dann hat er<br />

meistens ein bisschen mehr, und wenn er dummes Zeug<br />

geredet hat, dann ein bisschen weniger Prozente. Und<br />

wenn ein Politiker lange nicht vorgekommen ist, dann<br />

kennt ihn k<strong>eine</strong>r mehr. Insofern hat das Fernsehen schon<br />

<strong>eine</strong> große Auswirkung. Ich bin 17 Jahre lang immer sonntags,<br />

von 9.05 bis 9.15 Uhr bei 3sat vorgekommen. Und<br />

wenn <strong>man</strong> das 17 Jahre lang tut, dann ist <strong>man</strong> irgendwie<br />

ein guter Rezitator. Und wenn das nicht der Fall gewesen<br />

wäre, wäre <strong>man</strong> ein nicht so guter Rezitator.<br />

Birgit Klaubert<br />

Sewan Latchinian, ich möchte Sie ausdrücklich nach<br />

<strong>eine</strong>m Projekt aus dem Jahr 2009 befragen. Sie haben<br />

damals „Die Brücke von Varvarin“ auf die Bühne<br />

gebracht. Es war <strong>eine</strong> vielbeachtete Uraufführung. Sie<br />

wurden als engagierter Aufklärer bezeichnet. Sind Sie<br />

das und hat die Aufklärung überhaupt noch Sinn?<br />

Sewan Latchinian<br />

1961 in Leipzig geboren;<br />

Studium an der Hochschule<br />

für Schauspielkunst<br />

„Ernst Busch“<br />

Berlin; anschließendes<br />

Engagement als Schauspieler<br />

am Mecklenburgischen<br />

Staatstheater<br />

Schwerin; 1986 Debüt<br />

als Dramatiker mit dem<br />

Theaterstück „Grabbes<br />

Grab“, Uraufführung<br />

am Mecklenburgischen<br />

Staatstheater Schwerin; 1988 – 1997 Engagement<br />

als Schauspieler am Deutschen Theater Berlin; seit<br />

1993 Regiearbeiten an den Schauspielhäusern Bonn,<br />

Dortmund, Düsseldorf, Leipzig, am Staatstheater<br />

Cottbus und am Münchner Volkstheater; zudem<br />

Schauspieldozent an der Hochschule für Schauspielkunst<br />

„Ernst Busch“ und an der „Folkwang Hochschule“<br />

Essen; 1997 – 2003 Oberspielleiter am Rheinischen<br />

Landestheater Neuss; seit 2004 Intendant der<br />

Neuen Bühne Senftenberg (2005 von der Zeitschrift<br />

Theater <strong>heute</strong> zum Theater des Jahres gewählt)<br />

Ich versuche unbedingt <strong>eine</strong> engagierter Aufklärer zu<br />

sein, zusammen mit m<strong>eine</strong>n Kolleginnen und Kollegen,<br />

und m<strong>eine</strong>, das auch in diesem Sinne zu müssen.<br />

Als innere Dringlichkeit gegenüber all den Defiziten<br />

in unserer, an sich gar nicht so schlechten und<br />

chancenlosen <strong>Gesellschaft</strong>sordnung. Aber es gibt so<br />

viele Defizite, um die sich k<strong>eine</strong>r kümmert, was dem<br />

Theater viele Chancen gibt, etwas zu tun. Und sei es<br />

aufzuklären.<br />

Krieg ist für mich die größte Form von Barbarei und<br />

ich empfinde m<strong>eine</strong> Arbeit als tagtäglichen Kampf<br />

zwischen Kultur und Barbarei. Wir gewöhnen uns viel<br />

zu sehr an Kriege – das m<strong>eine</strong> ich durchaus auch<br />

selbstkritisch. Das ist für mich k<strong>eine</strong> Fortsetzung der<br />

Politik mit anderen Mitteln. Das ist ein Versagen von<br />

Politik. Natürlich bin ich froh, dass wir als Deutsche<br />

1945 befreit worden sind, sozusagen durch <strong>eine</strong>n Gegenkrieg<br />

der Alliierten. Aber im 21. Jahrhundert hätte<br />

ich doch große Lust, mit all‘ unseren Möglichkeiten,<br />

hinter denen wir täglich bleiben, weltweit Fantasien<br />

zu entwickeln, neue Ideen zu finden, wie <strong>man</strong> Kriege<br />

nicht mehr braucht und trotzdem Ungerechtigkeiten<br />

zurückdrängt. Da gibt es so unendlich viel mehr Möglichkeiten.<br />

Und ein Thema war Varvarin, dieser Jugoslawienkrieg,<br />

der ja, wenn ich mich nicht falsch erinnere, ohne<br />

völkerrechtliches Mandat zustande gekommen ist.<br />

Ich glaube auch gegen den Willen der Mehrheit der<br />

Deutschen. An jenem Pfingstsonntag in Varvarin sind<br />

16 unschuldige Menschen, aus der Kirche kommend,<br />

27


zwei Mal von Tornados beschossen worden. Die Brücke<br />

ist zerstört worden und 16 Menschen waren tot.<br />

Bestialische Fotos gibt es darüber im Internet. Kein<br />

Mensch hat sich bei denen entschuldigt. Kein Mensch<br />

hat irgendetwas wiedergutgemacht. Kein Mensch<br />

hat die Verantwortung übernommen, auch nicht die<br />

NATO. Das ist ein entsetzlicher Kollateralschaden,<br />

nicht nur an diesen 16 Menschen in Ex-Jugoslawien,<br />

sondern auch an unserer Demokratie. Und den<br />

mussten wir auf die Bühne bringen, wenn es denn<br />

kein anderer tut. In einigen Nischen in den Medien ist<br />

es gemacht worden. Aber wir fanden, das gehört auf<br />

<strong>eine</strong> Bühne als moralische Anstalt, mit Aufklärungswillen<br />

und demokratischem Engagement. Es war sicher<br />

<strong>eine</strong>r unserer typischen Versuche, gesellschaftliche<br />

Relevanz mit Ästhetik und den Live-Möglichkeiten von<br />

Theater zu verbinden.<br />

Lutz Görner<br />

Was du geschildert hast ist bewundernswert und gut,<br />

aber das ist ein subjektives Müssen.<br />

Sewan Latchinian<br />

Na klar. Anderes Müssen kenne ich ja auch. Ich war in<br />

der DDR als Soldat der Nationalen Volksarmee 18 Monate<br />

als Sprengtaucher auf irgendwelchen Geländen<br />

und habe Sprengungen gelernt und geübt. Und das ist<br />

<strong>eine</strong> solche Idiotie – auch an der Natur. Es gab da Unfälle<br />

und Tote, nur schon beim Krieg spielen. Es ist ein<br />

solcher Wahnsinn, wie viele Fische bei <strong>eine</strong>r Wasserexplosion<br />

sterben, wie viele Bäume bei <strong>eine</strong>r Erddetonation<br />

umfallen. Wenn <strong>man</strong> sich das mit Empathie<br />

vergrößert vorstellt, in irgend<strong>eine</strong>m Land oder Volk,<br />

wo auch lauter Kinder leben – das ist die größtmögliche<br />

Katastrophe, die muss verhindert werden.<br />

Wir haben ja viel über den kl<strong>eine</strong>ren, über den inneren<br />

Frieden gesprochen. Ich bin froh, dass es wenigstens<br />

<strong>eine</strong> Partei in der Bundesrepublik Deutschland gibt,<br />

die dezidiert Nein sagt – auch wenn das <strong>man</strong>chmal etwas<br />

stur wirkt und ich mich <strong>man</strong>chmal frage: Aber wie<br />

soll es anders gehen? Aber es regt an, sich andere<br />

Gedanken zu machen. Und dafür bin ich dankbar.<br />

Birgit Klaubert<br />

Markus Heinzel<strong>man</strong>n, Sie waren ein Jahr Geschäftsführer<br />

des Hauses, da wurde am Kriegerdenkmal auf<br />

dem Friedensberg in Jena mit dem Jugendtheater das<br />

Stück „Picknick im Felde“ aufgeführt. Die Ostthüringer<br />

Zeitung schrieb damals: „Wenn ein Galgen Friedensberg<br />

genannt wird, kann <strong>man</strong> vielleicht kaum anders,<br />

als dort <strong>eine</strong> absurde Kriegsidylle aufführen und <strong>eine</strong>n<br />

sonnigen Sonntagnachmittag in ein kühles Oktoberdunkel<br />

verlegen. Aber <strong>man</strong> kann nicht übersehen, was<br />

groß auf dem Denkmalstein steht: Die Toten der Kriege<br />

mahnen zum Frieden. Und <strong>man</strong> weiß, es ist kein<br />

Spiel mehr, wenn die Sanitäter am Ende zu tragen<br />

haben, bis ihnen die Hände bluten.“<br />

Kann Theater Fantasien für den Frieden entwickeln?<br />

28<br />

Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />

1968 geboren; ab<br />

1999 freier Regisseur<br />

in Mainz, Bielefeld,<br />

Kassel, Lübeck, Berlin,<br />

Linz und Konstanz;<br />

2003/04 Dozent an<br />

der Schauspielschule<br />

Leipzig, Studio Weimar;<br />

seit Sommer 2004<br />

Künstlerischer Leiter<br />

und Geschäftsführer<br />

am Theaterhaus Jena;<br />

2006 inszenierte er<br />

als Gast in Bern „Sieh mich an und sprich“ von<br />

Savyon Liebrecht (dt. EA); außerdem hat er für<br />

die Stückemärkte der Berliner Theatertreffen 2005<br />

und 2006 szenische Lesungen inszeniert; für die<br />

Ruhrfestspiele Recklinghausen inszenierte er in<br />

Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus<br />

Hamburg „Bowling Alone“ von Oliver Bukowski;<br />

für das Schauspielhaus Hamburg inszenierte er<br />

2008 „Die Kümmerer“ und für das Bremer Theater<br />

2009 „Blühende Landschaften“<br />

Auf jeden Fall, wie <strong>man</strong> an dem Projekt gesehen hat.<br />

Dieses Kriegerdenkmal in Jena steht am Friedensberg,<br />

was früher ein Henkersplatz war. Auf kroteske Art und<br />

Weise, nämlich mit Jugendlichen, haben wie die Geschichte<br />

<strong>eine</strong>s jungen Soldaten erzählt, der im Krieg<br />

ist und eigentlich nicht so richtig etwas damit anfangen<br />

kann. Die Familie kommt vorbei, die k<strong>eine</strong> Angst<br />

um ihn hat, sondern stolz ist und ein Picknick mit<br />

ihm macht. Hier wird die Geschichte dieses jungen,<br />

überforderten Menschen erzählt und die Haltung der<br />

bürgerlichen <strong>Gesellschaft</strong> dazu thematisiert. Wenn<br />

das so zusammenkommt, ästhetisch und mit dem Ort<br />

der Geschichte, dann kann Theater sehr viel machen.<br />

Natürlich sind wir nicht so bedeutend wie die anderen<br />

Medien. Aber wir können versuchen, es vor Ort zu<br />

machen, für die Stadt und die Leute, die zu uns ins<br />

Theater kommen.<br />

Sewan Latchinian<br />

Und das sind in Senftenberg 60.000 im Jahr, in <strong>eine</strong>r<br />

Stadt mit 24.000 Einwohnern. Und das ist für mich<br />

immer wieder beglückend, weil ich weiß, diese 60.000<br />

wären alle nicht in ein Theater gegangen, wenn es<br />

dieses Theater nicht gäbe. Es werden Werte weitergegeben,<br />

die den Staat etwas kosten, was er sonst,<br />

wenn es k<strong>eine</strong> Theater gäbe, vielleicht auch noch in<br />

die Rüstung und in Kriege packen würde. Theater sind<br />

Orte der Demokratie. Orte, die Krieg erzählen und die<br />

zu <strong>eine</strong>r anderen Umgangsweise von Menschen, Staaten<br />

und Rassen untereinander anregen, die immer<br />

ein Gegenprogramm zu Barbarei und damit auch für<br />

Frieden sind.<br />

Birgit Klaubert<br />

Was muss eigentlich in unserer multimedialen <strong>Gesellschaft</strong><br />

seitens der Künste passieren, um aufzuklären?


Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />

Wir erreichen nur <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Teil der <strong>Gesellschaft</strong> und<br />

trotzdem finde ich es sehr wichtig, dass die Theater gesellschaftspolitisch<br />

relevante Themen verfolgen und auf<br />

die Bühne bringen. Damit beziehen sie Position und rechtfertigen<br />

auch ihre Subventionen. Die besser finanzierten<br />

Medien haben das Problem der Quote. Das ist in Theatern<br />

teilweise genauso. Sie sind auch unter Druck, was die<br />

Einspielergebnisse angeht. Manche Intendanten setzen<br />

nur noch Unterhaltungsprogramme an. Das verwässert<br />

natürlich <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong>. Es ist wichtig, dass die Künste<br />

immer wieder Qualität anbieten, dass diese Qualität<br />

gefordert und auch politisch unterstützt wird, ohne immer<br />

diesen Quotendruck aus Kostengründen zu verstärken.<br />

Lutz Görner<br />

Wir haben den zahlenmäßigen Nachteil, aber auch <strong>eine</strong>n<br />

riesigen Vorteil. Wir stehen demjenigen, dem wir unsere<br />

Kunst, unsere Sicht auf die Welt mitteilen, Aug in Aug<br />

gegenüber. Und dieses Aug-in-Aug-Gegenüberstehen<br />

hat auf <strong>man</strong>che Menschen <strong>eine</strong>n wesentlich größeren<br />

Einfluss und <strong>eine</strong> größere Wirkung, als dieses Riesel-<br />

Medium. Insofern können wir ab und zu auch mal stolz<br />

sein, dass wir etwas Vernünftiges erreicht haben.<br />

Sewan Latchinian<br />

Wir können auch die tagtägliche Routine unserer Wahrnehmung<br />

immer mal wieder überraschend unterbrechen,<br />

bei unserem Publikum und bei uns selbst. Und<br />

das ist an sich schon ein Vorgang, der immer wieder<br />

für Erfrischung sorgt. Und im besten Falle auch für die<br />

Idee, zu fragen, ob das denn immer alles so sein muss,<br />

oder ob das nicht auch anders geht. Dazu laden Theater,<br />

Kunst, Malerei und Musik immer wieder aktiv ein –<br />

und sei es <strong>man</strong>chmal in der Hofnarrenposition.<br />

Birgit Klaubert<br />

Wir haben vorhin festgestellt, dass die Friedensbewegung<br />

nicht mehr die große Friedensbewegung ist, dass<br />

<strong>man</strong> oft darum ringen muss, die Leute in Bewegung<br />

zu setzen. Können die Künste mit ihren Möglichkeiten<br />

gegen den Zeitgeist schwimmen? Und wenn ja, wie?<br />

Lutz Görner<br />

Wenn sie erfolgreich sein wollen, können sie das nicht.<br />

Ob wir nun Aug-in-Aug-Künstler oder Medien-Künstler<br />

sind, müssen wir immer schauen, dass wir Abnehmer<br />

finden. Und die Abnehmer heutzutage sind andere Abnehmer<br />

als vor 30 Jahren. Als ich in Bonn auf der Hochgartenwiese<br />

stand und vor 300.000 Menschen Tucholskys<br />

„Krieg dem Kriege“ vorgetragen habe, erzählte ich<br />

vorher, dass die Dichter immer schon für den Frieden<br />

gewesen seien, und dass ein Dichter ganz besonders<br />

für den Frieden war. Der wäre nämlich Kriegsminister<br />

gewesen und hätte das Heer auf die Hälfte reduziert –<br />

und hieß Johann Wolfgang Goethe. Und daraufhin hat<br />

es mindestens fünf Minuten lang ein Geschrei gegeben:<br />

Goethe, Goethe, Goethe. Und wenn 300.000 Leute das<br />

schreien, dann kommen <strong>eine</strong>m die Tränen. Und anschließend<br />

habe ich dann „Krieg dem Kriege“ vorgetragen.<br />

Diese Erfahrung ist etwas, was für ein Leben<br />

ausreicht. Und diese Sache könnte ich heutzutage nie<br />

wieder machen, weil es k<strong>eine</strong> 300.000 Menschen mehr<br />

gibt, die auf der Hofgartenwiese stehen und <strong>eine</strong>m<br />

zuhören würden. Ich finde, dass Kriege nicht nur Kriege<br />

sind, wenn sie mit Waffen ausgeführt werden. Es gibt<br />

noch ganz andere Kriege. Und wir führen im Moment<br />

<strong>eine</strong>n ganz wahnsinnigen Krieg gegen die gesamte Welt.<br />

Die UNO-Zahlen der Armut und Hungertoten sind so<br />

hoch. Wir müssen uns überlegen, ob unser Wohlstand<br />

mit unserer Hände Arbeit geschehen ist oder ob das<br />

nicht vielleicht mit der Armut der Welt zu begründen ist.<br />

Es gibt ein Märchen von Dietrich Kittner, das geht so:<br />

„Liebe Kinder, es war einmal ein Mann, der wurde mit<br />

s<strong>eine</strong>r eigenen Hände Arbeit zum Millionär. Morgen, liebe<br />

Kinder, erzähle ich euch ein anderes Märchen.“<br />

Sewan Latchinian<br />

Wir sollten mit unseren künstlerischen Mitteln Widerstand<br />

gegen diesen Zeitgeist organisieren. Und das<br />

versuchen wir auch auf fantasievolle und überraschende<br />

Weise. Der Zeitgeist ist natürlich die Quersumme aus allem,<br />

was letztendlich auch immer wieder zu Kriegen führt<br />

oder zu unserem Reichtum auf Kosten der Armut anderer.<br />

Die USA haben im vorigen Jahr die Hälfte ihrer Maisernte<br />

verbrannt, um dann nachwachsende Energien damit zu<br />

erzeugen. Das ist <strong>eine</strong>rseits der neue Trend. Aber darauf,<br />

dass dieser Mais gegen den Hunger Sterbender sinnvoller<br />

angelegt wäre, kommt k<strong>eine</strong>r mehr. Und da ist Theater ein<br />

Ort, wo sich 300, 400 Menschen hinsetzen und zwei oder<br />

drei Stunden bereit sind, hinzugucken und mitzudenken.<br />

Da haben wir <strong>eine</strong> große Verantwortung aber auch <strong>eine</strong><br />

Chance. Und das macht viel Spaß.<br />

Birgit Klaubert<br />

Darf ich bei dem Theaterhaus Jena noch einmal fragen,<br />

wie sich das besondere Theater in <strong>eine</strong>r Universitätsstadt<br />

auch im Umgang mit Kindern und Jugendlichen<br />

anpacken lässt?<br />

Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />

Wir haben wirklich <strong>eine</strong> besondere Situation. Wir sind<br />

Gott sei Dank nicht dem politischen Druck unterworfen,<br />

wie <strong>man</strong>che andere Häuser, was die Zuschauerzahlen<br />

und Einspielergebnisse angeht. Sondern bei uns wird<br />

gewollt, dass wir Theater so machen, wie wir das tun.<br />

Und wir versuchen, Stücke für Kinder zu machen. Es<br />

gibt Programme mit Theaterpädagogen, wir haben<br />

<strong>eine</strong>n Jugendklub, machen auch einmal im Jahr <strong>eine</strong><br />

Jugendklub-Inszenierung auf der großen Bühne. Wir<br />

versuchen, für die kl<strong>eine</strong>n Kinder, über die Jugendlichen,<br />

bis zu den jungen Erwachsenen und Erwachsenen<br />

Programme anzubieten, die sich mit unseren Themen<br />

auseinandersetzen. Denn Bildung, Aufklärung oder Konfrontation<br />

fangen schon in jungen Jahren an.<br />

Ich wundere mich immer wieder, warum es k<strong>eine</strong><br />

Demonstrationen gegen bestimmte Formen von Hartz<br />

IV und soziale Ungerechtigkeit in Deutschland gibt.<br />

Davon sind so viele Menschen betroffen. Deshalb kann<br />

ich es verstehen, wenn auch nicht gutheißen, dass es<br />

k<strong>eine</strong> Demonstrationen zu <strong>eine</strong>m Thema gibt, das nicht<br />

einmal direkt in Deutschland stattfindet. Um jetzt wieder<br />

auf das Theater zurückzukommen: M<strong>eine</strong>r Meinung<br />

29


nach ist es wichtig, außerhalb dieser Kriegsthemen die<br />

Themen der sozialen Gerechtigkeit, die mit Krieg direkt<br />

verbunden sind, zu thematisieren. Zur Zeit mache ich<br />

die Nibelungen. Ein Stück, das eigentlich immer im<br />

Krieg spielt und zum Schluss gehen alle in den Tod. Hier<br />

besteht die Möglichkeit, Figuren oder Emotionen darin<br />

ersch<strong>eine</strong>n zu lassen, die wir durchaus wiedererkennen.<br />

Es gibt die Chance, unserem eigenen Verhalten <strong>eine</strong>n<br />

Spiegel vorzuhalten.<br />

Birgit Klaubert<br />

Sewan Lachinian, Sie haben während der Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 davon gesprochen, dass Frieden<br />

<strong>eine</strong> große Kulturleistung gegen die Barbarei ist. Können<br />

Sie das noch etwas genauer beschreiben?<br />

Sewan Latchinian<br />

Damals ist gefragt worden, ob <strong>man</strong> als Fan der Fußballweltmeisterschaft<br />

tatsächlich nicht nach Brandenburg<br />

soll. Ich hatte gesagt, dass dies k<strong>eine</strong> No-Go-Area ist.<br />

Da leben auch Menschen, die weitestgehend gastfreundlich<br />

sind. Und ich habe beschrieben, dass es<br />

mit bestehenden Defiziten zusammenhängt, wenn es<br />

anders ist. Weil Aggressionen, Neid, Ausländerhass bis<br />

Rechtsradikalismus natürlich immer etwas damit zu tun<br />

haben, dass Kultur nicht wirklich <strong>eine</strong> Chance hat. Weil<br />

da eher barbarische, genetische, atavistische Reflexe<br />

funktionieren, die selbstverständlicher sind als <strong>friedliche</strong>,<br />

kultivierte, zivilisierte Verhaltensweisen. Deswegen<br />

sind Kultur, die Künste, Parteien, natürlich auch die<br />

Gerichtsbarkeit sehr wichtig. Eine der schönsten Blüten<br />

von Kultur ist Frieden. Auch Gerechtigkeit, Glück. Deswegen<br />

gibt es da <strong>eine</strong>n direkten Zusammenhang.<br />

Lutz Görner<br />

Die Künste sind <strong>eine</strong> wunderbare und angenehme<br />

Angelegenheit. Und wer die Künste genießen kann, wer<br />

genügend Bildung in s<strong>eine</strong>m Leben bekommen und sich<br />

damit auseinandergesetzt hat, der hat natürlich ein<br />

großes Vergnügen daran. Nach m<strong>eine</strong>r Erfahrung findet<br />

Frieden eigentlich nur dann statt, wenn die <strong>Gesellschaft</strong><br />

Wohlstand hat. Ich kenne k<strong>eine</strong> einzige <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

in der es Hunger und Armut gibt und die dabei friedlich<br />

ist. Wenn unsere <strong>Gesellschaft</strong> nicht mehr so reich<br />

wäre wie jetzt, dann würden wir sehr schnell wieder die<br />

Knarre in die Hand nehmen und gegen die Franzosen<br />

losziehen. Davon bin ich fest überzeugt.<br />

Sewan Latchinian<br />

Da muss ich widersprechen.<br />

Lutz Görner<br />

Streitkultur ist ja das Beste, was wir haben. Wir müssen<br />

uns streiten – friedlich.<br />

Sewan Latchinian<br />

Wir haben gerade im letzten Jahr gemerkt, dass es auf<br />

<strong>eine</strong> größere Einfachheit und Bescheidenheit hinauslaufen<br />

muss, weil es diesen Luxus, den wir teilweise haben,<br />

nicht für die ganze Menschheit geben kann. Aber es<br />

wird, damit es weniger Armut gibt, bei weniger Reichtum<br />

insgesamt, vielleicht für alle <strong>eine</strong> gerechtere, bescheidenere<br />

und einfachere Lebensform geben können.<br />

30<br />

Birgit Klaubert<br />

Wo sehen Sie sich in Ihrem eigenen Wirken bei der<br />

Frage nach den Fantasien für den Frieden?<br />

Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />

Natürlich empfinde ich den Frieden – im Kl<strong>eine</strong>n wie<br />

im Großen – als das Wichtigste und Erstrebenswerteste.<br />

Wenn ich mich damit beschäftige, wie gerade mit<br />

den Nibelungen, dann bin ich ein bisschen skeptisch,<br />

dass das besser wird. Was ich auf Deutschland bezogen<br />

ganz wichtig finde ist, dass allen Kindern ähnliche<br />

Bildungschancen eingeräumt werden. Dass Kinder<br />

überhaupt die Möglichkeit haben, bestimmte Themen<br />

mitzubekommen und sich dementsprechend zu<br />

entwickeln und zu verhalten und dadurch zum Frieden<br />

beizutragen. Ich persönlich werde mich immer wieder<br />

im Theater gesellschaftspolitisch relevant verhalten<br />

und versuchen, größere Themen dort zu belegen. Und<br />

im Alltag geht es dann darum, Vorbild zu sein, etwas<br />

anzustoßen, zu unterstützen und diese Kultur möglichst<br />

breit zu vermitteln.<br />

Sewan Latchinian<br />

Ich kann nur dafür werben, dass nicht weiter Kriege<br />

geführt werden, um Frieden zu schaffen. Ich kann dafür<br />

werben, und das auch mit den Mitteln des Theaters,<br />

die Ursachen anzugehen, die zu Kriegen, Fundamentalismus<br />

oder Radikalismus führen. Sich Gedanken zu<br />

machen, wie <strong>man</strong> diese Ursachen bekämpfen kann,<br />

ohne die Wirkung zu bekriegen.<br />

Lutz Görner<br />

Und ich kann nur dazu auffordern, sich an die eigene<br />

Nase zu fassen, wenn <strong>man</strong> die Ungerechtigkeit dieser<br />

Welt, die eben auch zu Kriegen führt, betrachtet.<br />

Ansonsten bin ich gebeten worden noch ein Gedicht<br />

vorzutragen, was ich auch gerne mache. Es ist ein<br />

wunderschönes aus dem „West-östlichen Divan“ von<br />

Goethe, also aus dem Buch, wo der Westen und der Osten<br />

ein bisschen miteinander versöhnt werden sollen:<br />

„Selige Sehnsucht“:<br />

„Sagt es nie<strong>man</strong>d, nur den Weisen,<br />

Weil die Menge gleich verhöhnet,<br />

Das Lebendige will ich preisen,<br />

Das nach Flammentod sich sehnet.<br />

In der Liebesnächte Kühlung,<br />

Die dich zeugte, wo du zeugtest,<br />

Überfällt die fremde Fühlung<br />

Wenn die stille Kerze leuchtet.<br />

Nicht mehr bleibest du umfangen<br />

In der Finsternis Beschattung,<br />

Und dich reißet neu Verlangen<br />

Auf zu höherer Begattung.<br />

K<strong>eine</strong> Ferne macht dich schwierig,<br />

Kommst geflogen und gebannt,<br />

Und zuletzt, des Lichts begierig,<br />

Bist du Schmetterling verbrannt,<br />

Und so lang du das nicht hast,<br />

Dieses: Stirb und Werde!<br />

Bist du nur ein trüber Gast<br />

Auf der dunklen Erde.“


<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

Was müssen die Wissenschaften klären?<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Die Frage liegt ja auf dem Tisch: Was müssen denn<br />

die Wissenschaften aufzeigen und benennen, damit<br />

die <strong>Gesellschaft</strong> friedlich ist, friedlich bleibt, oder<br />

<strong>friedliche</strong>r wird?<br />

Rüdiger Schmidt-Grépály<br />

1952 geboren; Studium<br />

der Philosophie, Politik<br />

und Literaturwissenschaft<br />

in Kiel, Freiburg<br />

im Breisgau und Marburg;<br />

1980 Promotion<br />

mit <strong>eine</strong>r Arbeit über<br />

das Frühwerk Friedrich<br />

Nietzsches; 1983 – 1985<br />

als Stipendiat des Deutschen<br />

Akademischen<br />

Austauschdienstes in<br />

Florenz und Mitarbeiter<br />

des Nietzsche-Forschers Mazzino Montinari;<br />

1989 – 1995 Philosophischer Geschäftsführer<br />

der Karl Jaspers Vorlesung zu Fragen der Zeit in<br />

Verbindung mit der Stiftung Niedersachsen an der<br />

Universität Oldenburg; ab 1993 freier Mitarbeiter<br />

der Stiftung Weimarer Klassik; 1999 Gründung des<br />

Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung<br />

Weimar, dessen Leiter er seither ist; seit 1998<br />

Lehrbeauftragter für Philosophie an den Universitäten<br />

Jena, Weimar<br />

Die Wissenschaften sollten wieder anfangen, über<br />

Begriffe nachzudenken und auch Welt wieder zusammenzudenken.<br />

Welt, die auseinanderfällt und die auch<br />

von vielen Philosophen der Postmoderne als <strong>eine</strong><br />

auseinanderfallende Welt mit dem Satz ‚Wir können<br />

gar nichts mehr verändern‘ gerechtfertigt wird. Natürlich<br />

können wir verändern und wir sollten auch daran<br />

erinnern. Und mir fällt auf, dass wir uns eigentlich<br />

den ganzen Tag mit Überbauphänomenen beschäftigt<br />

haben. Wir haben aber nicht vom Kapitalismus<br />

gesprochen, auch nicht davon, dass wir immer noch<br />

in <strong>eine</strong>r Klassengesellschaft leben. Seit es Geschichte<br />

gibt, die aufgeschrieben wird, gibt es Kriege – und es<br />

hat sicher damit zu tun, dass es seitdem immer Unterdrücker<br />

und Unterdrückte gibt. Wir leben in <strong>eine</strong>r<br />

<strong>Gesellschaft</strong>, die voller Gewalt ist, bis in den Betrieb<br />

und die Familie hinein. Ich m<strong>eine</strong>, das hat etwas mit<br />

dem Kapitalismus zu tun. Der Kapitalismus ist nicht<br />

friedensfähig.<br />

Peter Strutynski<br />

1945 in Österreich<br />

geboren; Studium der<br />

Politikwissenschaft,<br />

Ger<strong>man</strong>istik und<br />

Geschichte in München;<br />

seit 1977 an der<br />

Universität Kassel:<br />

Dozent der Politikwissenschaft,<br />

Aufbau der<br />

AG Friedensforschung<br />

an der Uni Kassel, Veranstalter<br />

der jährlichen<br />

„Friedenspolitischen<br />

Ratschläge“ an der Uni Kassel; Sprecher Bundesausschuss<br />

Friedensratschlag; Mitherausgeber der<br />

jährlich ersch<strong>eine</strong>nden Schriftenreihe „Kasseler<br />

Schriften zur Friedenspolitik“<br />

Wir haben von Herzog Ernst und <strong>eine</strong>m mutigen adligen<br />

Stadtkom<strong>man</strong>danten erfahren. Ich möchte aber<br />

ganz kurz darauf hinweisen, dass es <strong>eine</strong> große Mehrheit<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> gibt, die weder von diesem Fürsten<br />

noch von Ritter von Gadolla repräsentiert wird,<br />

die aus sich heraus überhaupt kein Interesse an Krieg,<br />

sondern nur an <strong>friedliche</strong>n Verhältnissen hat. Weil wir<br />

an diesem historischen Ort in Gotha sind, möchte ich<br />

darauf aufmerksam machen, dass hier in Gotha vor 135<br />

Jahren ein Vereinigungsparteitag stattgefunden hat.<br />

Ein linker Vereinigungsparteitag. Es ist ja in der Linken<br />

meistens umgekehrt, da spaltet <strong>man</strong> sich – das ist<br />

auch <strong>eine</strong> deutsche Erfahrung. Aber ab und zu kommt<br />

es doch vor, dass sich linke Parteien vereinigen.<br />

Und die Vereinigung zur Sozialistischen Deutschen<br />

Arbeiterpartei 1875 in Gotha sollte doch kurz benannt<br />

werden, weil sich in den Gothaer Programmen <strong>eine</strong><br />

wichtige Forderung befindet: Entscheidung über Krieg<br />

und Frieden durch das Volk. Hätten wir diese Möglichkeit<br />

<strong>heute</strong>, würden Bundeswehrsoldaten nicht in<br />

Afghanistan stehen. Das wäre doch schon etwas.<br />

Leider bin ich kein Lutz Görner, aber ich wollte in dem<br />

Zusammenhang etwas zum Besten geben. Wir haben<br />

uns vor 135 Jahren auch in der Situation <strong>eine</strong>s Krieges<br />

befunden. Damals galt es als Hochverrat, zum Beispiel<br />

während des Deutsch-Französischen Krieges, wenn<br />

<strong>man</strong> sich für Völkerverständigung zwischen Deutschen<br />

und Franzosen einsetzte. Ich möchte nun vortragen,<br />

was damals ein beliebtes Volkslied gewesen ist:<br />

„Ihr Brüder all‘, ob Deutsche ob Franzosen, ob Ungarn,<br />

Dänen, ob vom Niederland, ob grün, ob rot, ob blau,<br />

ob weiß die Hosen, gebt euch statt Blei zum Gruß die<br />

Bruderhand. Auf, lasst zur Heimat uns zurückmarschieren,<br />

von den Tyrannen unser Volk befreien, denn nur<br />

Tyrannen müssen Kriege führen. Soldat der Freiheit will<br />

ich gerne sein.“<br />

31


Das ist nicht nur aus historischer Perspektive interessant.<br />

Da steckt auch für <strong>eine</strong>n Wissenschaftler, der<br />

sich mit Krieg und Frieden befasst, ein sehr wichtiger<br />

Kern von historischer Wahrheit drin: Diejenigen, die<br />

die Werte schaffen und die arbeiten, haben kein Interesse<br />

daran, dass andere ausgebeutet werden, woraus<br />

sich wieder Konflikte und Kriege ergeben können,<br />

oder dass die Herrschenden ihre Söhne und Töchter<br />

in Kriege schicken. Das ist die Lehre, die wir aus der<br />

Geschichte ziehen können. Auch als Wissenschaftler<br />

sollten wir uns zuallererst daran erinnern.<br />

Hannes Heer<br />

32<br />

1941 in Wissen/Sieg geboren;<br />

Studium der Geschichte<br />

und Literatur<br />

in Bonn, Freiburg und<br />

Köln; Aufbaustudium<br />

der Volkswirtschaft in<br />

Bonn; Arbeit als Rundfunkautor;<br />

Lehraufträge<br />

und Forschungsprojekte<br />

an der Universität<br />

Bremen; 1980 – 1985<br />

Dramaturg und Regisseur<br />

am Deutschen<br />

Schauspielhaus Hamburg und an den Städtischen<br />

Bühnen Köln; 1985 – 1992 Dokumentarfilme für ARD<br />

und ZDF; 1993 – 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

am Hamburger Institut für Sozialforschung; Ausstellungsprojekte<br />

u.a.: 1995 „Vernichtungskrieg. Verbrechen<br />

der Wehrmacht 1941 bis 1944“; 2004/2005<br />

„Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese“;<br />

2006 „Verstummte Stimmen. Die Vertreibung<br />

der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“; Arbeit als<br />

freier Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher<br />

Ich will <strong>eine</strong> Erfahrung von <strong>heute</strong> Morgen preisgeben.<br />

Ich bin durch den Park gegangen, habe das wunderbare<br />

Schloss gesehen, bin dann zum Denkmal der Opfer<br />

des Faschismus gekommen – ohne die Absicht zu<br />

haben. Ich wusste gar nicht, dass es das hier gibt. Auf<br />

der Vorderseite steht ‚Ehre den Helden des Antifaschistischen<br />

Widerstandes‘. Aber ein wichtiger Buchstabe<br />

fehlte, der nicht mehr ersetzt worden ist. Ich bin auf<br />

die Rückseite gegangen und sah dort ‚Den Toten‘ mit<br />

<strong>eine</strong>m unvollständigen Artikel. Ich wusste nicht, ob da<br />

noch weitere Sätze folgen, welche Toten, wie viele, unter<br />

welchen Umständen tot, warum… Das alles fehlte.<br />

Wenn ich daran denke, wie viele Besucher sich diese<br />

schönen Sammlungen im Schloss anschauen und wer<br />

dort vor dem Denkmal steht und an Krieg und Faschismus<br />

denkt. Das ist der Zustand unserer <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

So schön es ist, dem Geist von Gotha zu begegnen<br />

– wer vom Frieden redet und Frieden will, muss über<br />

Krieg reden. Ohne über Krieg zu reden und zu forschen,<br />

kommen wir k<strong>eine</strong>n Schritt weiter. Als Bürger<br />

gehe ich davon aus, dass Demokratie nur durch<br />

ständige Rebellion, ständigen Widerstand überleben<br />

kann – sonst geht sie kaputt oder kehrt sich möglicherweise<br />

in ihr Gegenteil. Ich bin natürlich gegen<br />

diesen Krieg in Afghanistan, aber wir werden ihn nicht<br />

wegkriegen. Da sammeln sich Sedimente aus vergangenen<br />

Kriegen an, Konflikte von Kriegen vorher, die<br />

nicht durchgeführten Eroberungszüge. Die Engländer<br />

haben es ja schon versucht in Afghanistan, die Russen<br />

auch, die Amerikaner sind jetzt dran und wir sind<br />

dabei. Wenn <strong>man</strong> nicht die Methoden untersucht, die<br />

sich aus vergangenen Kriegen in diesem gegenwärtigen<br />

Krieg wiederfinden, wenn <strong>man</strong> nicht die Rhetorik<br />

der Legitimation dieses Kriegs als <strong>eine</strong>n gerechten<br />

aufdeckt und mit dem vergleicht, was in Kriegen davor<br />

geredet worden ist, dann kommen wir k<strong>eine</strong>n Schritt<br />

weiter. Wir müssen Kriegsforschung betreiben, wenn<br />

wir den Frieden wollen. Wir sind konfrontiert mit dem<br />

Thema der Lüge, der Desinformation. In modernen<br />

Zeiten können Kriege nur geführt werden, wenn<br />

Soldaten und <strong>Gesellschaft</strong>en davon überzeugt sind,<br />

dass dieser Krieg gerecht ist. Wir leben nicht mehr<br />

im Zeitalter der Söldner, die auf Münzen schielten,<br />

sondern Legitimation wird durch Desinformation und<br />

Lüge erreicht.<br />

Das zweite entscheidende Element ist die Gewalt.<br />

Und zwar nicht nur, um bestimmte Ziele zu erreichen,<br />

sondern Gewalt als Wert an sich. Wenn <strong>man</strong> die<br />

Berichte der Soldaten in Afghanistan liest, dann steht<br />

an erster Stelle Kameradschaft. Das ist hochbesetzt<br />

mit Heldentum, mit Einstehen, mit Treue für <strong>eine</strong><br />

Gemeinschaft. Das ist Wert an sich, Identifikation des<br />

Individuums über Gewalt.<br />

Drittens: Macht. Das sind abgelagert die imperialistischen<br />

Kriege, die kolonialen Kriege und neokolonialistischen<br />

Versuche und Unternehmungen. Wenn wir uns<br />

mit all‘ dem nicht konfrontieren, kommen wir k<strong>eine</strong>n<br />

Schritt weiter. Und dann wird sich das erfüllen, was<br />

Karl Kraus am Ende des Ersten Weltkrieges gesagt<br />

hat:<br />

„Man wird vergessen haben, was gestern war. Man<br />

wird nicht sehen, was <strong>heute</strong> ist. Man wird nicht fürchten,<br />

was morgen kommt. Wir werden vergessen haben,<br />

dass wir den Krieg verloren haben, wir werden vergessen<br />

haben, dass wir ihn begonnen haben. Wir werden<br />

vergessen, dass wir ihn geführt haben. Deshalb wird er<br />

weitergehen.“<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Hannes Heer sagt, dass das Thema Krieg nicht unter<br />

Wissenschaftlern bleiben darf. Es muss in die Bevölkerung.<br />

Nun sind Sie, Herr Strutynski, <strong>eine</strong> doppelte<br />

Bürgerperson – nicht nur Wissenschaftler, sondern<br />

auch Friedensaktivist. Was ist eigentlich aus der<br />

aktiven Bewegung geworden? Warum hat sie so viel<br />

an Kraft verloren? Warum passiert nicht mehr in der<br />

Bevölkerung?<br />

Peter Strutynski<br />

Das ist das Hauptproblem, vor dem wir seit geraumer<br />

Zeit stehen. Es gab ja durchaus in den letzten Jahren<br />

große Friedensdemonstrationen – wir müssen nicht<br />

30 Jahre zurückgehen. Ich erinnere an den 15. Februar<br />

2003 in Berlin, mit über <strong>eine</strong>r halben Million Menschen<br />

– sehr eindrucksvoll. Da hätte ich mir auch Lutz<br />

Görner gewünscht.


Warum ist dies nicht mehr beim Afghanistankrieg der<br />

Fall? Ich glaube, die Motive in der Bevölkerung, den<br />

Krieg abzulehnen, sind sehr unterschiedlich. Es sind<br />

nicht immer die besten Motive, die zu diesen großartigen<br />

Meinungsumfragen führen: 70% gegen den Krieg.<br />

Sondern es befinden sich sicher <strong>eine</strong> ganze Menge<br />

Stimmen darunter, die sagen: Lasst uns doch in<br />

Frieden, was geht uns Afghanistan an. Das ist doch so<br />

weit weg, wir haben unsere eigenen Probleme. Ich will<br />

das nicht negativ bewerten, aber ich will darauf hinweisen,<br />

dass wir die Analyse, auch die politische Analyse<br />

brauchen, dass <strong>man</strong> thematisiert, woher dieser<br />

Konflikt kommt und warum sich der Westen einmischt<br />

und sogar Waffen und Soldaten dorthin schickt. Das<br />

ist doch kein Aufbau – im Krieg kann kein Aufbau<br />

stattfinden. Entweder <strong>man</strong> führt Krieg oder <strong>man</strong> baut<br />

auf. Und wenn uns die Bundesregierung weißmacht,<br />

dass wir hier beides machen, dann ist das gelogen.<br />

Wir müssen die Ursachen des Konflikts und die Interessen<br />

der Herrschenden in die Öffentlichkeit bringen.<br />

Und diese Interessen sind nicht damit beschrieben:<br />

Wir wollen die Frauen dort befreien oder wir wollen<br />

die Demokratie einführen. Beides ist übrigens nicht<br />

passiert. Sie sind sicher besser mit Rohstoff- und<br />

Ressourcenfragen, geostrategischen Fragen, mit der<br />

allgem<strong>eine</strong>n Konkurrenz, mit dem Kampf um Öl und<br />

Pipelines usw. beschrieben. Diese Gründe müssen<br />

wir darlegen. Und wir können auch nur über diese<br />

Analyse sagen: Das einzige, was in diesem Konflikt zu<br />

tun ist, ist, den Krieg zu beenden und die Afghanen<br />

ihr Ding machen zu lassen. Und im Übrigen haben wir<br />

die Pflicht, die Zerstörungen, die wir dort angerichtet<br />

haben, wieder gutzumachen und finanzielle und soziale<br />

Hilfe zu geben, damit diese <strong>Gesellschaft</strong> aufgebaut<br />

werden kann. Aber k<strong>eine</strong> Waffen und Soldaten.<br />

Rüdiger Schmidt-Grépály<br />

Ich wollte auch noch einmal die Frage aufgreifen,<br />

warum die Demonstrationen <strong>heute</strong> nicht mehr da<br />

sind. Ich denke, dass die Demonstrationen damals<br />

stattgefunden haben, weil Begriffe noch utopisch<br />

aufgeladen waren. Das sollte <strong>eine</strong> Aufgabe für Wissenschaft<br />

– aber nicht nur für Wissenschaft – sein,<br />

dass <strong>man</strong> Begriffe wieder utopisch auflädt und zeigt:<br />

Eine andere Welt ist möglich. Ich denke, dass sich die<br />

Menschen <strong>heute</strong> nicht mehr engagieren, weil <strong>man</strong><br />

immer wieder gesagt bekommt: Eine andere Welt als<br />

diese, in der wir <strong>heute</strong> leben, ist nicht möglich. Wir<br />

sollten zeigen, dass es sehr wohl Alternativen und die<br />

Möglichkeit gibt, diese <strong>Gesellschaft</strong> zu überschreiten,<br />

auch Begriffe und Kultur neu zu denken. Dann werden<br />

sich Menschen auch wieder engagieren. Aber sie<br />

müssen wissen wofür.<br />

Hannes Heer<br />

Ich habe in m<strong>eine</strong>m Leben <strong>eine</strong> Talkshow gesehen,<br />

das war vor etwa <strong>eine</strong>m halben Jahr – es ging um den<br />

Afghanistankrieg. Und da erlebte ich Herrn Niebel,<br />

der den Krieg als Entwicklungshilfe erklärt. Ich erlebte<br />

Kerstin Müller von den Grünen, die erklärte, dass es<br />

dort auch um die Einrichtung von Schulen für Mädchen<br />

geht. Ich erlebte Herrn Wolf, Münchner Wissenschaftler<br />

jüdischer Herkunft, der erklärte: Indem wir<br />

den Terrorismus in Afghanistan bekämpfen, retten wir<br />

die Existenz Israels. Und ich erlebte <strong>eine</strong>n Soldaten,<br />

der <strong>eine</strong> Dolchstoßlegende formulierte: Wir stehen allein<br />

am Hindukusch, die deutsche <strong>Gesellschaft</strong> unterstützt<br />

uns nicht, die Politik fällt uns in den Rücken, die<br />

Medien wollen von uns nichts wissen. Und bei jedem<br />

dieser Statements klatschte das Publikum. Und dann<br />

kamen Gysi und Willemsen, die einzigen vernünftigen<br />

Menschen, und da klatschte <strong>man</strong> auch. Das ist das<br />

Bild <strong>eine</strong>r total durcheinander geratenen <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

ohne irgend<strong>eine</strong> moralische Richtung und ohne den<br />

Schimmer von Wissen.<br />

Den Begriff des gerechten Krieges darf <strong>man</strong> eigentlich<br />

nur denken, den darf <strong>man</strong> nicht formulieren – das ist<br />

ein Widerspruch in sich. Man kann das auch an den<br />

Dokumenten der NATO-Konzeption sehen. Im Jahr<br />

2000 hat es <strong>eine</strong> Konferenz gegeben, auf der die NATO<br />

neue globale Doktrin ausgearbeitet hat. In den entscheidenden<br />

Kapiteln heißt es: Es muss <strong>eine</strong>n gerechten<br />

Grund, gerechte Mittel und <strong>eine</strong> gerechte Absicht<br />

geben, um diesen Krieg zu führen. Und dann führt<br />

<strong>man</strong> danach die Kriege und soll sich nicht wundern,<br />

wenn die <strong>Gesellschaft</strong> völlig durcheinander ist. Dann<br />

soll <strong>man</strong> sich nicht wundern, wenn k<strong>eine</strong>r auf die<br />

Straße geht. Und <strong>man</strong> muss sagen, dass die Medien<br />

das Verwirrspiel mitmachen. Das war in der ARD-<br />

Talkshow der Fall. Und ich habe in k<strong>eine</strong>r deutschen<br />

Zeitung etwas Vernünftiges über den Hintergrund erfahren.<br />

Und wenn Buchmacher und Buchmacherinnen<br />

mit heimgekehrten Soldaten reden wollten, hat das<br />

Verteidigungsministerium den Soldaten das verboten.<br />

Alle öffentlich-rechtlichen und politischen Instanzen,<br />

mit Ausnahme der Linken und kl<strong>eine</strong>r Gruppen, sind<br />

dabei, dieses Verwirrspiel mitzumachen und den Krieg<br />

damit zu verlängern. Es wundert mich nicht, dass die<br />

Straßen mit Autos voll, aber leer von Friedensdemonstranten<br />

sind.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Ist unsere kommerzialisierte Welt nicht geradezu<br />

prädestiniert dafür, zwischen Werten wie Krieg und<br />

Frieden gar nicht mehr zu unterscheiden? Es gibt <strong>eine</strong>n<br />

Slogan von Calvin Klein, der für mich am Rand zur<br />

Volksverhetzung ist. Der heißt: Be Good, Be Bad, Just<br />

Be. Sei schlecht, sei gut, die Hauptsache ist, du bist.<br />

Ist das ein gesellschaftliches Motto, dass es nicht<br />

darauf ankommt, ob <strong>man</strong> gut sein möchte, Schwache<br />

respektiert, Gewalt ablehnt, sondern dass <strong>man</strong><br />

ebenso gut auch schlecht sein kann? Be Bad, Just Be.<br />

Die Hauptsache ist, du bist. Ist also die auf Konsum<br />

setzende <strong>Gesellschaft</strong> nicht genau die, die auch diese<br />

Beliebigkeit und letztlich das Nichterkennen der Gefahren<br />

und Schrecknisse des Krieges ermöglicht?<br />

Peter Strutynski<br />

Ja und nein. Natürlich spielt das <strong>eine</strong> Rolle. Ich<br />

wundere mich auch immer über die Beliebigkeit, die<br />

in der <strong>Gesellschaft</strong> herrscht, vor allem unter jüngeren<br />

Leuten. Man kann in Umfragen sehen, dass die<br />

Kriegsskepsis abnimmt mit dem jugendlichen Alter.<br />

Also je älter die Leute, desto weniger sind sie für<br />

den Krieg, auch für den Afghanistankrieg. Je jünger<br />

33


die Leute, desto mehr Verständnis können sie dafür<br />

aufbringen. Ich glaube auch, dass beispielsweise die<br />

Frage der Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung<br />

<strong>eine</strong>r Berufsarmee, die Gleichgültigkeit bei dem<br />

Rest der <strong>Gesellschaft</strong>, die nicht bei der Bundeswehr<br />

ist, noch verstärken würde. Deshalb müssen wir nach<br />

Anhaltspunkten suchen, wie wir diese Gleichgültigkeit<br />

aufheben können. M<strong>eine</strong>r Meinung nach lässt der Afghanistankrieg<br />

die Menschen deshalb so kalt, obwohl<br />

laut Umfragen die Mehrheit dagegen ist, weil kaum<br />

je<strong>man</strong>d davon betroffen ist. Die Soldaten sind dort,<br />

die verdienen auch ganz gut, und die paar toten Bundeswehrsoldaten<br />

in neun Jahren – ich m<strong>eine</strong> das jetzt<br />

nicht zynisch – hätte es auch bei Verkehrsunfällen<br />

geben können. Ich glaube, wir müssen in der Vermittlung<br />

dieses Krieges da ansetzen und die <strong>Gesellschaft</strong><br />

in ihrer Betroffenheit bekommen. Ein Ansatz ist für<br />

mich: Was <strong>heute</strong> für Kriege und Rüstung ausgegeben<br />

wird, was an wissenschaftlichem Knowhow, an schöpferischen<br />

Kräften in Zerstörungsapparaturen gesteckt<br />

wird, muss anderen Zwecken zugeführt werden. Es<br />

gibt Alternativen.<br />

Hannes Heer<br />

Es gibt <strong>eine</strong> parlamentarische Diktatur der Mehrheit.<br />

Diejenigen, die für uns damals Partner waren, Teile der<br />

Sozialdemokratie, sind verloren. Diese sogenannten<br />

Parlamentskriege sind von der SPD abgesegnet. Die<br />

Grünen sind offen auf die Seite dieser Kriegspartei<br />

übergegangen. Und die CDU und FDP sowieso. Es gibt<br />

wirklich <strong>eine</strong> Diktatur der Mehrheit, die sie als Konsens<br />

ausgibt. Und es gibt <strong>eine</strong> Diktatur der Medien.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Müssen wir das Diktatur nennen? Daran nehme ich<br />

Anstoß. Es ist <strong>eine</strong> Mehrheit in <strong>eine</strong>r Demokratie. Das<br />

ist etwas anderes als <strong>eine</strong> Einheitspartei. Die Unterscheidung<br />

finde ich ganz wichtig.<br />

Hannes Heer<br />

Okay. Ich messe Demokratie nicht daran, ob Hände<br />

gehoben worden sind und abgestimmt wurde. Sondern<br />

daran, ob um <strong>eine</strong>n Entschluss gestritten worden<br />

ist. Ich habe das in den fünfziger Jahren erlebt, als es<br />

um die Remilitarisierung gegangen ist. Das ist nicht<br />

einfach durch Händeheben passiert, sondern da hat<br />

es monatelange Debatten gegeben – auf <strong>eine</strong>m sehr<br />

hohen Niveau. Da hat <strong>man</strong> gespürt, dass Für und<br />

Wider gleichermaßen entflammt waren. Das waren<br />

authentische Debatten, da ging es ums Ganze. Solche<br />

Debatten habe ich um die Parlamentskriege, ob das<br />

nun Jugoslawien oder Afghanistan war, nicht erlebt.<br />

Und deshalb ist das für mich k<strong>eine</strong> lebendige Demokratie.<br />

Es hat etwas von Diktatur an sich.<br />

Es ist so schwierig, an die wirklichen Bilder der Kriege<br />

heranzukommen. Es gibt massenhaft verbreitete<br />

Bilder, die die Wahrnehmung verstopfen. Wenn ich<br />

daran denke, was Guido Knopp mit s<strong>eine</strong>n Filmen für<br />

<strong>eine</strong> verheerende Wirkung hat. Da wird die Faszination<br />

des Nationalsozialismus, des Bösen reproduziert.<br />

Da wird die Begeisterung für Waffen reproduziert. <strong>Wie</strong><br />

sollen Jugendliche da noch das Gefühl haben, wirk-<br />

34<br />

liche Bilder zu sehen und nach wirklichen Bildern zu<br />

verlangen. <strong>Wie</strong> soll dann Empathie passieren?<br />

Das sind Prozesse, die auf der institutionellen, parlamentarischen,<br />

staatlichen Ebene und individuell<br />

passieren und sich ineinander verschränken. Wohin<br />

dieser Prozess geht, weiß ich nicht. Jedenfalls läuft<br />

im Moment ein Krieg und die nächsten werden folgen<br />

und ich sehe nicht, wie wir da raus kommen.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Wir müssen sehen, wie wir da raus kommen. Das ist<br />

unsere Chance und letztlich auch unsere Aufgabe.<br />

Gibt es zum Schluss dieser Runde Ratschläge von<br />

Ihnen, die wir aufnehmen und vielleicht weiterreichen<br />

in die Politik, in unsere Arbeit?<br />

Peter Strutynski<br />

Ich wünschte mir von der Politik, dass sie die Expertise<br />

der Wissenschaft zur Kenntnis nimmt und auch mal<br />

danach handelt. Gerade in den Fragen von Kriegseinsätzen,<br />

Auslandseinsätzen, militärischen Interventionen<br />

gibt es auf der Seite der Friedensforschung, der<br />

Friedenswissenschaft so viel ausgezeichnete Expertise.<br />

Die wird von der Politik nicht wahrgenommen, sonst<br />

würde es solche Abstimmungsergebnisse nicht geben.<br />

Das Problem ist, dass 70 % oder mehr per<strong>man</strong>ent und<br />

seit Jahren <strong>eine</strong>n Krieg ablehnen, und dass 80 oder<br />

90 % der Bundestagsabgeordneten per<strong>man</strong>ent diesen<br />

Krieg wieder beschließen. So funktioniert dann möglicherweise<br />

die Demokratie.<br />

Wir haben jetzt erstmals in der Friedensbewegung<br />

<strong>eine</strong>n gemeinsamen Appell formuliert, mit dem wir<br />

nicht nur Unterschriften sammeln wollen, sondern<br />

mit dem wir streiten wollen. Mit dem wollen wir auf<br />

der Straße, in den Kirchen, in den Gewerkschaften, in<br />

den Universitäten und Schulen… diskutieren. Unsere<br />

Forderungen sind: Sofort den Krieg dort beenden, die<br />

Kampfhandlungen einstellen. Sofort mit dem Abzug<br />

der Bundeswehr aus Afghanistan beginnen. Und alle<br />

Mittel, die dort für den Krieg eingesetzt worden sind,<br />

für den sozialen und zivilen Aufbau zu verwenden.<br />

Hannes Heer<br />

Ich werde für drei Ziele arbeiten. Erstens: Die Intensivierung<br />

<strong>eine</strong>r kritischen Kriegsgeschichte. Das heißt,<br />

<strong>eine</strong>n Wohlfahrtsausschuss aller Wissenschaftler<br />

zu gründen, die sich in irgend<strong>eine</strong>r Weise mit dem<br />

Phänomen Gewalt, Desinformation, Lüge und Macht<br />

beschäftigen. Zweitens: Man muss versuchen, <strong>eine</strong><br />

kritische Wissenschaft mit politischem Engagement<br />

zu paaren. Aber nicht nur im Parlament, sondern auch<br />

durch <strong>eine</strong> außerparlamentarische Gegenöffentlichkeit.<br />

Drittens: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse<br />

mögen wichtig sein. Aber wenn sie nur im<br />

Parlament stattfinden, und nicht auf Straßen und Plätzen,<br />

dann führt uns das nicht weiter. Straßentheater,<br />

alle Formen der Kunst, die das nach außen bringen, visualisieren,<br />

nachempfindbar machen, die anrührende<br />

Bilder erzeugen – das ist die dritte Aufgabe. Das sind<br />

konkrete Fantasien für den Frieden. Und das ist <strong>eine</strong><br />

produktive Begegnung mit dem Geist von Gotha.


Was bedeutet das für die Politik?<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Was muss die Politik aus den Überlegungen der vorhergehenden<br />

Podiumsrunden lernen und mitnehmen?<br />

Religion, Recht, Medien, Kunst, Wissenschaft und<br />

Frieden.<br />

Knut Korschewsky<br />

1960 in Seehausen/Altmark<br />

geboren; Studium<br />

an der Technischen<br />

Hochschule in Ilmenau,<br />

ab 1981 Schleifer und ab<br />

1985 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter des Betriebsdirektors<br />

im Feinmeßgerätewerk<br />

Suhl;<br />

1988 – 1989 Bezirksparteischule<br />

Schleusingen;<br />

1989 – 1990 Sekretär<br />

der FDJ Kreisleitung<br />

Suhl; 1990 – 1991 Mitarbeiter PDS Stadtvorstand<br />

Suhl; 1991 – 2006 Mitarbeiter und Geschäftsführer<br />

des PDS Landesvorstandes Thüringen; seit<br />

März 2006 Landesvorsitzender der Linkspartei.<br />

PDS Thüringen und der LINKEN. Thüringen; seit<br />

der Thüringer Landtagswahl am 30. August 2009<br />

Mitglied des Landtags als Sport- und Tourismuspolitischer<br />

Sprecher der Fraktion DIE LINKE<br />

Vor genau <strong>eine</strong>r Woche habe ich im Thüringer Landtag<br />

zu <strong>eine</strong>m Friedensantrag gesprochen, den unsere<br />

Fraktion eingebracht hat – der es den anderen Fraktionen<br />

noch nicht einmal wert war, in den Ausschüssen<br />

weiter darüber zu beraten. Das sagt eigentlich schon<br />

viel. In m<strong>eine</strong>r Rede habe ich gesagt, dass es zu diesem<br />

Zeitpunkt 350 kriegerische Auseinandersetzungen<br />

in der Welt gibt. Heute sind es vielleicht schon nicht<br />

mehr 350, sondern 360. Die kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

in der Welt nehmen zu.<br />

Fantasien für den Frieden. Nachdem, was ich <strong>heute</strong><br />

in den Diskussionen erlebt und wahrgenommen habe,<br />

würde ich das Thema sogar weiterfassen: Fantasien<br />

gegen den Krieg mit Gewalt und Waffen. Fantasien<br />

gegen den Krieg in der <strong>Gesellschaft</strong>, gegen soziale<br />

Ausgrenzung. Und Fantasien gegen den Krieg in<br />

den Köpfen. Es reicht nicht aus, dass wir in solchen<br />

Runden darüber reden, welche Möglichkeiten es in<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> gibt, etwas gegen den Krieg zu tun.<br />

Das muss eigentlich schon im Kindergarten und in der<br />

Familie anfangen.<br />

Und was kann Politik tun? Politik muss dafür sorgen,<br />

dass wir die Möglichkeit haben, uns und unsere<br />

Meinung in Streitgesprächen gegenseitig zu<br />

akzeptieren. Im Endeffekt sollten wir aber zu <strong>eine</strong>r<br />

Gemeinsamkeit kommen – für den Frieden und gegen<br />

den Krieg. Das ist für mich <strong>eine</strong> umfassende Frage,<br />

die sich eben nicht nur auf kriegerische Auseinandersetzungen<br />

mit Waffengewalt beschränkt, sondern<br />

die die gesamtgesellschaftliche Entwicklung auf den<br />

Prüfstand stellt. Und wenn <strong>man</strong> sich unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />

anschaut, dann begegnet uns der Krieg doch<br />

jeden Tag – im Spielzeug, mit Gewalt in den neuen<br />

Medien, im Internet, er begegnet uns aber auch in der<br />

Judikative, in der Gerichtsbarkeit. Auch dort wird mit<br />

Wortauseinandersetzungen damit gespielt. Es muss<br />

in <strong>eine</strong>r gemeinsamen Auseinandersetzung zu <strong>eine</strong>r<br />

neuen Kultur von Diskussion, Kultur der Entwicklung<br />

von Fantasien gegen den Krieg und Fantasien für den<br />

Frieden kommen.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Darf ich noch kurz auf den Antrag eingehen, den ihr<br />

im Thüringer Landtag gestellt habt. In dem Antrag ist<br />

ein Katalog an Forderungen enthalten, über den wir<br />

auch auf Bundesebene dringend nachdenken sollten.<br />

In dem Antrag geht es darum, dass die Bundeswehr<br />

nichts in Schulen zu suchen hat – diese Forderung<br />

können wir nur unterstützen. Nun sind die Schulen<br />

r<strong>eine</strong> Ländersache, trotzdem kann <strong>man</strong> darüber<br />

nachdenken, wie <strong>man</strong> das ins nationale Bewusstsein<br />

bringt.<br />

In dem Antrag steht auch, dass militärische Standorte,<br />

die aufgegeben werden, für zivile und <strong>friedliche</strong><br />

Zwecke genutzt und konvertiert werden müssen.<br />

In dem Antrag steht, dass <strong>man</strong> überlegen sollte, Friedenserziehung<br />

als Schulpflichtfach zu kreieren – auch<br />

Friedensinformation für Erwachsene.<br />

Außerdem wird das Verteidigungsministerium aufgefordert,<br />

k<strong>eine</strong> geographischen Namen von Städten,<br />

Orten, Schlössern usw. für militärische Gebäude, Einheiten,<br />

Kasernen, Flugzeuge oder Panzer zu nutzen.<br />

Das ist ein sehr umfassender Antrag zur Umstellung<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> vom militärischen zum <strong>friedliche</strong>n<br />

Denken.<br />

Birgit Klaubert<br />

Wir sind hier an <strong>eine</strong>m Ort, an dem die Politik zeitweise<br />

gegen den Zeitgeist bürstete. Der Herzog, der dieses<br />

Schloss errichten ließ, wollte k<strong>eine</strong>n Krieg führen,<br />

sondern investierte stattdessen in Kultur und Bildung.<br />

Gadolla hat die Stadt kampflos übergeben und dafür mit<br />

dem Leben bezahlt. DIE LINKE bürstet auch gegen den<br />

Zeitgeist. Es ist <strong>heute</strong> mehrfach gesagt worden, dass<br />

DIE LINKE die einzige Partei im Deutschen Bundestag<br />

ist, die mit aller Konsequenz den Kriegseinsatz in Afghanistan<br />

ablehnt und als Friedenspartei Gesicht zeigt.<br />

Das kann es doch aber nicht sein, dass nur DIE LINKE<br />

im Deutschen Bundestag die Stimme erhebt. Welchen<br />

Auftrag kann die Politik für sich annehmen, um zu vervielfältigen,<br />

dass Krieg kein Mittel der Politik ist?<br />

35


Gregor Gysi<br />

36<br />

1948 in Berlin geboren;<br />

Jurastudium an der<br />

Humboldt-Universität<br />

Berlin; Richterassistent,<br />

dann Wechsel zum<br />

Kollegium der Rechtsanwälte<br />

als Assistent;<br />

1976 Promotion; seit<br />

1971 Rechtsanwalt in<br />

Berlin; Vorsitzender<br />

des Kollegiums der<br />

Rechtsanwälte in Berlin<br />

und des Rates der<br />

Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte in<br />

der DDR von 1988 – 1989; Dezember 1989 – Januar<br />

1993 Vorsitzender der PDS; Mitglied der Volkskammer<br />

vom 18. März – 2. Oktober 1990, Vorsitzender<br />

der PDS-Fraktion; Oktober 1990 – Februar 2002<br />

Mitglied des Bundestages, 1990 – 1998 Vorsitzender<br />

der Gruppe der PDS; von 1998 – Oktober 2000<br />

Vorsitzender der PDS-Fraktion; Januar 2002 – zum<br />

Rücktritt am 31. Juli 2002 Berliner Bürgermeister<br />

und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in<br />

<strong>eine</strong>r SPD-PDS Koalition in Berlin; seit August 2002<br />

wieder als Rechtsanwalt tätig; am 18. September<br />

2005 und 27. September 2009 im Wahlkreis Berlin-<br />

Treptow-Köpenick direkt wieder in den Bundestag<br />

gewählt; seit 2005 Fraktionsvorsitzender<br />

Das kann die Politik offenkundig nicht. Es gibt ja<br />

viele Vertreterinnen und Vertreter der Politik, die für<br />

Krieg sind und versuchen, dafür edle Begründungen<br />

zu finden. Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Ich<br />

weiß gar nicht, ob das mit dem Zeitgeist stimmt. Es<br />

ist wahr, alle anderen Parteien im Bundestag rechtfertigen<br />

Kriege seit dem Jugoslawienkrieg. Es ist wahr,<br />

<strong>eine</strong> Vielzahl der Medien rechtfertigen Kriege. Aber<br />

<strong>eine</strong> große Mehrzahl der Bevölkerung lehnt sie ab.<br />

Das ist doch interessant. <strong>Wie</strong>so trägt die Bevölkerung<br />

zum Beispiel den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan<br />

zu etwa 70 % nicht mit? Und das, obwohl Union,<br />

SPD, FDP und Grüne sagen, dass das richtig ist und<br />

<strong>eine</strong> Vielzahl von Zeitungen und Fernsehstationen<br />

auch. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass<br />

in beiden deutschen Staaten, wenn auch auf sehr unterschiedliche<br />

Weise, mit dem NS-Regime gebrochen<br />

worden ist. Dadurch wollen die Leute k<strong>eine</strong> Kriege<br />

mehr und sie sind misstrauisch gegenüber allen noch<br />

so edlen Begründungen für Kriege. Und sie wollen<br />

zweifellos auch k<strong>eine</strong> Diktatur mehr. Das sitzt im<br />

Fühlen und Denken der Menschen so tief, dass es für<br />

alle etablierten Parteien und Medien schwer ist, das<br />

umzukrämpeln.<br />

Der nächte Punkt ist der Jugoslawienkrieg – da war<br />

das nicht einheitlich. Ich würde mal sagen Halbe-<br />

Halbe. Und danach kam heraus, dass viele Informationen<br />

zum Jugoslawienkrieg nicht stimmten. Also wie<br />

immer: Das erste was beim Krieg verschwindet, ist<br />

die Wahrheit. Ich weiß noch ganz genau, wie Scharping<br />

mit mir in der Fernsehsendung Sonntagabend<br />

saß und erzählte, dass da Lehrer erschossen werden<br />

und vieles mehr. Ich konnte das nicht widerlegen, ich<br />

hatte k<strong>eine</strong> Ahnung, ob das stimmte oder nicht. Das<br />

waren alles Erfindungen, die nicht er erfunden hatte,<br />

sondern die ihm zugetragen wurden. Und später<br />

haben die Fernsehzuschauerinnen und Zuschauer das<br />

mitbekommen und sind deshalb misstrauisch gegenüber<br />

Begründungen von Kriegen.<br />

Und was ist unsere Aufgabe? Unsere erste Aufgabe<br />

besteht darin, die Begründungen zu widerlegen. In<br />

m<strong>eine</strong>r letzten Rede zu Afghanistan bin ich Punkt für<br />

Punkt durchgegangen: Kann <strong>man</strong> damit Terrorismus<br />

bekämpfen? Ich habe versucht, dies zu widerlegen.<br />

Kann <strong>man</strong> damit zivilen Aufbau schützen? Ich habe<br />

versucht, das zu widerlegen. Ist das Ganze wirklich<br />

ein Schutz davor, dass Terroristen in den Besitz von<br />

Atomwaffen kommen? Das ist ja der größte Blödsinn,<br />

den ich je gehört habe. Ich nehme ihre Begründungen<br />

und versuche, sie Punkt für Punkt zu widerlegen. Und<br />

das hat Folgen: Ich bekomme dann viele Briefe, weil<br />

die Leute nicht ganz sicher sind, welche Begründungen<br />

nun stimmen und welche nicht.<br />

Ich komme zu <strong>eine</strong>m weiteren Punkt: Wenn wir den<br />

Kampf neu orientieren wollen, müssen wir ein paar<br />

grundsätzliche Fragen stellen. Es gibt fast auf der ganzen<br />

Erde private Rüstungsindustrie. Wenn es private<br />

Rüstungsindustrie gibt, dann sind die daran interessiert,<br />

ihre Rüstungsprodukte zu verkaufen. Je mehr sie<br />

davon verkaufen, desto mehr Profit machen sie. Und<br />

du verkaufst im Krieg mehr Waffen als im Frieden. So<br />

einfach ist es. Ergo: Wenn wir nicht wollen, dass am<br />

Krieg verdient wird, darf es k<strong>eine</strong> private Rüstungsindustrie<br />

geben, damit es k<strong>eine</strong>n privaten Gewinn mehr<br />

daran gibt. Wenn das alles staatliche Unternehmen<br />

wären, würde Krieg nur kosten. Wenn Krieg nur kostet,<br />

ist der Friedenskampf viel erfolgreicher.<br />

Letztlich zur Schule: Wir haben ja schon einmal <strong>eine</strong>n<br />

Kompromiss angeboten: Wenn die Bundeswehr in die<br />

Schulen geht und dort wirbt, soll immer <strong>eine</strong>r mitgehen,<br />

der das Gegenteil meint. Dann stehen immer<br />

zwei vorne, <strong>eine</strong>r wirbt für die Bundeswehr und <strong>eine</strong>r<br />

kommt aus <strong>eine</strong>r Initiative und begründet, weshalb er<br />

strikt dagegen ist. Das ist doch okay, <strong>man</strong> kann sich<br />

beide anhören.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Es geht jetzt auch darum, <strong>eine</strong>n Dialog mit Ihnen und<br />

Euch zu führen.<br />

Gast aus dem Publikum<br />

Ich bin Hellmut Kess, ehemaliger Hausarzt aus Braunschweig.<br />

Die Kultur des Friedens muss auf verschiedenen<br />

Ebenen ansetzen, damit sie wirklich fest wird.<br />

Man muss zum Beispiel <strong>eine</strong>n Ältestenrat auf der UN-<br />

Ebene, <strong>eine</strong>n Friedensrat auf der EU-Ebene, auf den<br />

verschiedenen regionalen Ebenen, auf der nationalen<br />

Ebene… einführen. Man muss die Leute dazu aufrufen,<br />

dass sie sich für das Ganze verantwortlich fühlen.


Gregor Gysi<br />

Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Jugoslawienkrieg<br />

völlig anders begründet wurde als der<br />

Afghanistankrieg und dazwischen der Irakkrieg. Das<br />

Interessante sind die Widersprüche, die sich dabei<br />

ergeben. Bei Jugoslawien ging es ja darum, dass der<br />

serbische Staat dabei war, die Kosovoalbaner zu<br />

ermorden. Und <strong>man</strong> musste eingreifen, um sie zu<br />

retten. Damals ist mit Serbien vereinbart worden,<br />

dass der Kosovo Bestandteil bleibt. Jetzt hat <strong>man</strong><br />

das geändert. Damals konnten wir immer sagen,<br />

dass es kein UN-Mandat gibt, der Sicherheitsrat war<br />

nicht bereit, diesen Krieg zu beschließen. Damit ist<br />

es ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Es kamen<br />

Meldungen von massenhaften Vergewaltigungen.<br />

Später haben die Ärzte aus allen Lagern gesagt, dass<br />

sie k<strong>eine</strong> vergewaltigten Frauen angetroffen haben.<br />

Das war aber erst einmal ein Argument, wo die Seele<br />

der ganzen Bevölkerung mitgeht und sagt: Dagegen<br />

muss doch etwas unternommen werden. Was ich<br />

auch verstehe. Aber dann bist du auch als Oppositionspolitiker<br />

ziemlich machtlos, denn du kannst nicht<br />

nur sagen: Glaube ich nicht, glaube ich nicht, glaube<br />

ich nicht. <strong>Wie</strong> sollten wir damals an Informationen<br />

aus dem Kosovo kommen?<br />

Rechtlich ist durch SPD und Grüne eingeführt worden,<br />

dass <strong>man</strong> Kriege auch völkerrechtswidrig führen kann.<br />

Unser damaliger Bundespräsident Herzog sagte, es<br />

sei Notstand. Eine schöne juristische Idee. Das Problem<br />

ist nur, der Notstand ist im Strafgesetzbuch geregelt,<br />

wie auch die Notwehr. Und im Völkerrecht gibt<br />

es auch Regelungen, nämlich den Sicherheitsrat. Und<br />

es steht nirgends, wenn der das nicht macht, kann<br />

es <strong>eine</strong> Notstandssituation geben. Es ist einfach <strong>eine</strong><br />

Erfindung. Wenn du aber das Völkerrecht zerstörst,<br />

gilt es für k<strong>eine</strong>n Staat mehr.<br />

Ich sage ja nicht, dass das Völkerrecht ideal ist. Aber<br />

zwischen gar k<strong>eine</strong>m Völkerrecht und dem Völkerrecht<br />

muss DIE LINKE die Völkerrechtspartei sein und<br />

darf <strong>eine</strong>n Fehler nicht machen, dass wir das Völkerrecht<br />

nehmen, das uns gefällt und das, was uns nicht<br />

gefällt, schicken wir über den Jordan. Das machen die<br />

anderen ja auch und genau das geht nicht.<br />

Nach Jugoslawien kam der Irakkrieg, der ja nicht<br />

geführt wurde, weil es <strong>eine</strong>n Diktator gab. Denn wenn<br />

das die Begründung wäre, dass <strong>man</strong> <strong>eine</strong>n Krieg führt,<br />

um <strong>eine</strong>n Diktator abzusetzen, dann hätten wir aber<br />

noch viele Kriege vor uns. Nein, die Begründung war,<br />

dass er Massenvernichtungswaffen besäße. M<strong>eine</strong> Logik<br />

ist <strong>eine</strong> andere: An dem Tag, als die einmarschierten,<br />

wusste ich, dass er k<strong>eine</strong> hat. Denn wenn er Massenvernichtungswaffen<br />

gehabt hätte, hätte er k<strong>eine</strong>n<br />

Grund mehr gehabt, die nicht einzusetzen. Und dann<br />

haben sie sich hinterher entschuldigt – der Grund<br />

war halt falsch. Es wurde <strong>eine</strong> erlogene Begründung<br />

gegeben, und zwar im Zusammenspiel von Geheimdiensten,<br />

Kriegsministerium, Außenministerium und<br />

dem Präsidenten selbst und auch den Journalistinnen<br />

und Journalisten, die das verbreitet haben.<br />

Dann kam die Begründung für den Afghanistankrieg.<br />

Ich darf daran erinnern: Die ursprüngliche Begründung<br />

war, dass dort die Terroristen ausgebildet werden<br />

und das müsse <strong>man</strong> verhindern. Dort wird kein<br />

Terrorist mehr ausgebildet, sondern inzwischen in<br />

Pakistan und anderen Ländern. Wenn die erste Logik<br />

stimmt, dann müssten die Truppen jetzt nach Pakistan<br />

und in andere Länder ziehen. Deshalb wechselt<br />

die Begründung. Dann hieß es plötzlich: Wir müssen<br />

dort sein, um den zivilen Aufbau zu ermöglichen.<br />

Jetzt geht es um Atomwaffen – nur deshalb, weil<br />

sie merken, dass die erste Begründung nicht mehr<br />

überzeugend ist.<br />

Ich habe das alles nur erklärt, weil es nicht reicht<br />

zu sagen: Wir sind für den Frieden. Das sagen alle<br />

anderen auch. Sie sind ja gezwungen. Deshalb<br />

müssen wir deren Begründungen widerlegen und<br />

klarmachen, um welche Interessen es wirklich geht.<br />

Und wir müssen verdeutlichen, dass Befreiung von<br />

außen die absolute Ausnahme in der Geschichte<br />

der Menschheit ist. Einmal gab es das in Bezug auf<br />

Deutschland, aber nur nach dem gewalttätigsten<br />

Aggressionskrieg in der Geschichte. Aber du kannst<br />

nicht sagen: Ich finde die Zustände in Saudi-Arabien<br />

falsch, wir marschieren jetzt ein und ordnen die. Das<br />

kriegen wir nicht hin, selbst wenn wir die edelsten<br />

Motive haben. Man kann militärisch und von außen<br />

und mittels Krieg niemals auf vernünftige Art und<br />

Weise <strong>eine</strong> kulturelle, <strong>eine</strong> ökonomische oder soziale<br />

Struktur verändern.<br />

Knut Korschewsky<br />

Genau weil es so ist, und weil es k<strong>eine</strong> gerechten<br />

Kriege gibt, müssen wir als Politiker auch im Kl<strong>eine</strong>n<br />

etwas dagegen tun. Erstens: Schon im Kindergarten<br />

muss angefangen werden, darüber zu reden. Da<br />

gehört für mich ein Verbot der Produktion und des<br />

Vertriebs von Kriegsspielzeug dazu. Zweitens: Wir<br />

brauchen <strong>eine</strong> schnelle Umgestaltung der Militäranlagen<br />

für zivile Zwecke. Drittens: Die Bundeswehr hat in<br />

der Schule definitiv nichts zu suchen, egal ob da noch<br />

je<strong>man</strong>d dabei ist. Viertens: Es muss endlich aufhören,<br />

dass diese unsäglichen Glorifizierungsveranstaltungen<br />

von Fahnenweihen oder ähnlichen Dingen auf öffentlichen<br />

Plätzen in Städten und Gemeinden stattfinden.<br />

Fünftens: Es muss ein generelles Verbot von Rüstungsexporten<br />

geben – egal, ob damit Geld verdient<br />

wird oder nicht. Rüstung gehört nicht exportiert,<br />

Rüstung gehört eigentlich gar nicht produziert.<br />

Gast aus dem Publikum<br />

Ich habe k<strong>eine</strong> Fantasie für den Frieden, aber <strong>eine</strong><br />

Forderung auf völkerrechtlicher Basis. Vor 65 Jahren<br />

wurde der Krieg beendet und seitdem warte ich auf<br />

<strong>eine</strong>n Friedensvertrag. Denn nur wenn ein Friedensvertrag<br />

vorliegt, kann ein Staat entstehen, der sich<br />

<strong>eine</strong> Verfassung gibt und diese Verfassung von der<br />

ganzen Bevölkerung bestätigen lässt. Solange dies<br />

nicht der Fall ist, gibt es k<strong>eine</strong>n Staat Bundesrepublik<br />

Deutschland, sondern ein Land, ein Unternehmen.<br />

Und ein Unternehmen Bundesrepublik Deutschland<br />

wird von Unternehmensleitern geführt und nicht von<br />

37


Politikern. Es wird Zeit, dass Wissenschaftler und<br />

Juristen mal so darüber nachdenken, dass <strong>man</strong> dem<br />

nicht mehr ausweichen kann.<br />

Gregor Gysi<br />

Natürlich gibt es in <strong>eine</strong>m völkerrechtlichen Sinne die<br />

Bundesrepublik Deutschland, auch als souveränen<br />

Staat und als Mitglied der Organisation der Vereinten<br />

Nationen. Richtig ist, dass wir k<strong>eine</strong>n Friedensvertrag<br />

haben und auch nicht mehr bekommen, weil zum<br />

Schluss ja fast alle in den Krieg mit Deutschland<br />

eingetreten sind, auch lateinamerikanische Länder.<br />

Das heißt, wir müssten mit etwa 80 Staaten <strong>eine</strong>n<br />

Friedensvertrag schließen. Es hätte dazu <strong>eine</strong> einzige<br />

Gelegenheit gegeben, nämlich bei der Herstellung<br />

der deutschen Einheit. Es war ja ganz klar, dass die<br />

Bundesregierung fürchtete, Entschädigungen zahlen<br />

zu müssen, was ja auch Gegenstand <strong>eine</strong>s Friedensvertrages<br />

ist.<br />

Peter Strutynski<br />

Ich habe den Programmentwurf der LINKEN gelesen,<br />

den außenpolitischen Teil. Jetzt haben Sie sehr<br />

eloquent dafür plädiert, die Rüstungsindustrie zu<br />

verstaatlichen. Ich finde das sehr gut, bin sofort dafür,<br />

die Argumentation hat mir auch eingeleuchtet. Aber<br />

davon steht kein Wort in dem Entwurf. Ich hoffe, das<br />

wird korrigiert.<br />

Gregor Gysi<br />

Die Medien haben ja lange gesagt, dass wir nicht<br />

einmal in der Lage wären, ein Parteiprogramm im<br />

Entwurf vorzulegen. Was nicht stimmte, weil die<br />

Mitglieder beider Parteien in der Urabstimmung<br />

programmatische Grundsätze beschlossen haben, die<br />

wir blöderweise Eckpunkte genannt haben. Und Eckpunkte<br />

klingt natürlich nicht nach <strong>eine</strong>m Programm.<br />

Aber es war ja eigentlich <strong>eine</strong>s. Dann hatten wir <strong>eine</strong><br />

Programmkommission, die sehr unterschiedlich zusammengesetzt<br />

war und es bestand die Gefahr, dass<br />

wir zwei oder drei Entwürfe bekommen. Das wäre<br />

verheerend gewesen. Aber sie haben sich für <strong>eine</strong>n<br />

Entwurf entschieden. Und jetzt haben wir Zeit, bis<br />

Ende 2011 darüber zu diskutieren.<br />

Die Eigentumsfrage ist natürlich die spannendste.<br />

Ich versuche immer <strong>eine</strong> Logik aufzubauen, andere<br />

machen Prinzipien. Das Prinzip Staatseigentum an<br />

sich ist gut. Weiß ich gar nicht. Ein staatlicher Bäcker?<br />

Da habe ich m<strong>eine</strong> Zweifel. Ich mache etwas anderes.<br />

Ich sage: Was passiert im Falle A und was passiert im<br />

Falle B? Und auch im Falle B gibt es ein paar Nachtei-<br />

38<br />

le, aber die im Falle A sind viel schwerwiegender. Und<br />

damit entscheide ich mich für B. Und deshalb begründe<br />

ich Rüstungsindustrie. Ich möchte, dass privater<br />

Gewinn an Krieg ausgeschlossen wird. Denn solange<br />

es privaten Gewinn an Krieg gibt, fallen denen immer<br />

Gründe ein, weshalb es Krieg geben sollte.<br />

Bei uns Linken ist mir wichtig, dass wir mit Beispielen<br />

operieren und Logik entwickeln, dass wir Dinge<br />

nicht allein nach ideologischen Prinzipien erklären.<br />

Wir müssen die Leute mitnehmen wo sie sind, nicht<br />

wo wir sie uns hin träumen. Ich bin in der Kriegs- und<br />

Friedensfrage ein bisschen stolz, denn es hat auch ein<br />

wenig mit uns zu tun, dass <strong>eine</strong> Mehrheit der Bevölkerung<br />

der Mehrheit des Bundestages nicht folgt.<br />

Ich sage immer, dass <strong>man</strong> Schritte tun muss. Und im<br />

Augenblick wären wir schon <strong>eine</strong>n deutlichen Schritt<br />

weiter, wenn es ein Exportverbot für Rüstung gäbe.<br />

Wir wären noch <strong>eine</strong>n Schritt weiter, wenn die Rüstung<br />

staatlich wäre. Und wenn wir <strong>eine</strong>s Tages soweit<br />

sind, das wir k<strong>eine</strong> Rüstungsindustrie mehr haben und<br />

brauchen, dann sind wir viel weiter.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Das waren Fantasien für den Frieden, durchaus als<br />

Handlungsanweisungen für den politischen Raum.<br />

Und wir können vielleicht noch <strong>eine</strong> Botschaft von<br />

<strong>heute</strong> Morgen mitnehmen: Auch in der Diskussion um<br />

Frieden kann es so etwas wie Frieden und lebendige<br />

Streitkultur geben – im Streit miteinander herausfinden,<br />

was sind die Begründungen, was ist der richtige<br />

Weg, wo wollen wir hin. In diesem Sinne: Kultur neu<br />

denken, Frieden – Macht – Freiheit. Ich danke für das<br />

Interesse, ich danke für die entwickelten Fantasien,<br />

ich danke allen, die zu diesem Tag beigetragen haben<br />

und ich danke Ihnen und Euch für das andauernde<br />

Interesse. Ich glaube, dass wir nach Hause gehen<br />

können und in der Frage der Friedlichkeit ein kl<strong>eine</strong>s<br />

Stück weiter gekommen sind. Jetzt geht es darum,<br />

dies in die <strong>Gesellschaft</strong> zu tragen.<br />

Für mich bleibt Mahatma Gandhi das Vorbild, der in<br />

<strong>eine</strong>m riesigen Land, das von <strong>eine</strong>r großen Militärmacht<br />

besetzt war, gesagt hat: Wenn wir mit allen<br />

Menschen, die wir treffen, darüber reden, dass wir ein<br />

Recht haben auf Selbstbestimmung und auf Freiheit,<br />

dann wird sich das <strong>eine</strong>s Tages durchsetzen.<br />

Das ist für mich ein Vorbild und ich hoffe, dass über<br />

die Diskussion, die Auseinandersetzung und das vertiefende<br />

Denken über Frieden, wir dem Frieden auch<br />

in diesem Land näher kommen können.


Der Geist von Gotha: Bertha von Suttner<br />

Folgt <strong>man</strong> den Spuren der berühmten Pazifistin und<br />

Friedensnobelpreisträgerin gelangt <strong>man</strong> ebenfalls<br />

nach Gotha …<br />

Bertha Sophia Felicita von Suttner, geborene Gräfin<br />

Kinsky von Chimic und Tettau, wurde in Prag als<br />

Tochter <strong>eine</strong>s hochrangigen österreichischen Offiziers<br />

geboren. Sie studierte in Brünn Sprach- und Musikwissenschaft.<br />

1876 heiratete sie gegen den Willen ihrer<br />

Familie den österreichischen Schriftsteller Arthur<br />

Freiherr von Suttner. In der Folgezeit veränderte sich<br />

ihre Weltanschauung, die bisher durch ihre aristokratische<br />

Erziehung geprägt war, immer mehr. Während<br />

<strong>eine</strong>s 9-jährigen Aufenthaltes in der georgischen<br />

Hauptstadt Tiflis war sie als Musik- und Sprachlehrerin<br />

sowie als Schriftstellerin tätig. Nach ihrer Rückkehr<br />

aus dem Kaukasus organisierte sie sich in der<br />

bürgerlich-pazifistischen Bewegung. 1889 entstand<br />

ihr Ro<strong>man</strong> “Die Waffen nieder!”. Er wurde zu <strong>eine</strong>m<br />

Welterfolg und zum Signal für die sich rasch organisierende<br />

Weltfriedensbewegung, in der Bertha von<br />

Suttner fortan <strong>eine</strong>n führenden Platz einnahm. 1892<br />

gründete sie mit anderen Pazifisten in Deutschland<br />

<strong>eine</strong> Friedensgesellschaft, wobei <strong>eine</strong> der aktivsten<br />

Ortsgruppen am 14. April 1896 in Gotha entstand.<br />

Sie wurde 1893 Präsidentin der <strong>Wie</strong>ner Friedensgesellschaft<br />

und Vizepräsidentin des internationalen<br />

Friedensbüros in Bern. Der von Alfred Nobel gestiftete<br />

Friedenspreis, den sie 1905 als erste Frau erhielt, geht<br />

in s<strong>eine</strong>r Entstehung auf ihren Einfluss zurück. Unter<br />

dem Motto “Krieg dem Krieg” fand am 23. und 24.<br />

Februar 1902 die Generalversammlung der deutschen<br />

Friedensgesellschaft in Gotha statt. Der Vorsitzende<br />

der Ortsgruppe Gotha, der Gymnasialdirektor Dr.<br />

Adolf Schmidt, wurde von der Generalversammlung<br />

in den Vorstand der Deutschen Friedensgesellschaft<br />

gewählt. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

starb sie am 1. Juni 1914 in <strong>Wie</strong>n.<br />

Bereits 1907 verfügte sie testamentarisch, dass ihr<br />

Leichnam nach ihrem Ableben nach Gotha – wo es<br />

das erste Krematorium in Deutschland und sogar in<br />

Europa gab – zur Feuerbestattung überführt wird und<br />

die Ascheurne in Gotha zu verbleiben hat. Seitdem<br />

hat Bertha von Suttners Urne <strong>eine</strong>n Ehrenplatz im<br />

Kolumbarium des Gothaer Hauptfriedhofes.<br />

39


Der Veranstaltungsort:<br />

Schloss Friedenstein – Das barocke Schloss<br />

Im Jahr 1640 wurde Gotha Residenz des neu gegründeten<br />

Herzogtums Sachsen-Gotha (ab 1672 Sachsen-<br />

Gotha-Altenburg). Von 1643 bis 1656 erbaute Herzog<br />

Ernst I. (1601-1675) - auch der Fromme genannt - das<br />

heutige Schloss Friedenstein als ursprünglich vierflügelige<br />

Anlage. Ernst I. war der Begründer der bis ins<br />

19. Jahrhundert reichenden Sammlungstradition der<br />

Gothaer Linie der Ernestiner. Er und s<strong>eine</strong> Nachfahren<br />

erwarben umfangreiche Sammlungen.<br />

Ausgewählte Daten zur Baugeschichte<br />

• 1642 Bezeichnung „Friedenstein“ für Schlossbau<br />

geprägt<br />

• Februar 1643 Beginn der Bauarbeiten an der Nord-<br />

Ost-Ecke<br />

• 26. Oktober 1643 offizielle, feierliche Grundsteinlegung<br />

• Mitte 1644 Zimmererarbeiten, Aufsetzen des<br />

Daches auf den Hauptflügel<br />

• 1645 Ausbau der inneren Gewölbe, Vollendung des<br />

Daches und des inneren Zimmerwerkes, Bautischlerarbeiten<br />

• 1646 Bezug des Hauptflügels durch die herzogliche<br />

Familie und <strong>eine</strong>s Teils des Hofstaates<br />

• 1646 – 47 Bauarbeiten an den nördlichen Teilen der<br />

beiden Seitenflügel<br />

• 1648 Westflügel wird vollendet, Westturm und Reithaus<br />

im Bau<br />

Medienecho<br />

PHOENIX<br />

Veranstaltungsreihe „Kultur neu denken“ der LINKEN<br />

mit <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong>, 25.06.2010, 16.05 Uhr<br />

MDR Fernsehen<br />

Thüringen Journal (Regionalmagazin), 25.06.2010, 19 Uhr<br />

Unsere Neue Zeitung<br />

Der Geist von Gotha – Fantasien für den Frieden LINKE<br />

Veranstaltungsreihe „Kultur neu denken“ wird auf<br />

Schloss Friedenstein fortgesetzt, 1. Juni-Ausgabe 2010<br />

Thüringische Landeszeitung<br />

Fantasien für den Frieden<br />

Kulturforum mit <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong>, 26.06.2010<br />

Thüringer Allgem<strong>eine</strong><br />

Ein bisschen Frieden<br />

40<br />

• 1649 – 50 Ostflügel vollendet<br />

• 1650 Ostturm vollendet<br />

• 1654 – 56 Ausbau des hohen Saales im Ostturm<br />

(1678 durch Brand vernichtet)<br />

• 1655 – 87 Bau der Fortifikationsanlage mit vier Bastionen<br />

in altniederländischer Befestigungs<strong>man</strong>ier<br />

• 1680/81 - 86 Umbau des Hauptgeschosses im<br />

Nordflügel<br />

• 1681 - 83 Einbau des Theaters im Westturm<br />

• 1687 Einbau der Fürstengruft<br />

• 1747 Beginn der Anlage des Orangeriegartens<br />

• 1747 - 51 Neuausstattung der Gemächer der Herzogin<br />

• 1771 - 1811 Abbruch der Befestigungsanlagen<br />

• 1793 Abriss des Südflügels<br />

• 1797 Umgestaltung der Gemächer im Westflügel<br />

• 1864 - 79 Errichtung des Museums an der Parkallee<br />

(<strong>heute</strong> Museum der Natur)<br />

• 2004 Übertragung von Schloss Friedenstein mit<br />

Park an die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten,<br />

Beginn umfassender Sanierungsarbeiten<br />

<strong>Wie</strong> <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> zwischen Friedenstein und Bellevue<br />

um Sympathie wirbt, 26.06.2010<br />

Hu<strong>man</strong>istischer Pressedienst<br />

FRIEDEN, MACHT, FREIHEIT – Kultur neu denken,<br />

27.06.1010<br />

Thüringische Landeszeitung<br />

Brauchen neue Formen für den Friedenskampf<br />

Politikerrunde in Schlosskirche – Hochkarätiges<br />

Podium, 30.06.2010<br />

Unsere Neue Zeitung<br />

Vielfältige „Fantasien für den Frieden“ entwickelt (Seite 1)<br />

Kultur-neu-denken-Marathon fand im Gothaer Schloss<br />

Friedenstein eindrucksvolle Fortsetzung mit der<br />

Veranstaltung FRIEDEN, MACHT, FREIHEIT<br />

„Fantasien für den Frieden“ –<br />

Konflikte ohne Gewalt lösen, 3. Juni-Ausgabe 2010


www.linksfraktion.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!