Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen
Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen
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DER GEIST VON GOTHA<br />
25. Juni 2010<br />
11–18 Uhr<br />
Schloss Friedenstein Gotha<br />
FANTASIEN<br />
für den Frieden<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
Hans-Ernst Böttcher · Martin Eberle<br />
Michel Fried<strong>man</strong> · Heinz Glässgen<br />
Lutz Görner · Gregor Gysi<br />
Hannes Heer · Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />
Rabbiner Walter Homolka<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> · Propst Siegfried<br />
Kasparick · Birgit Klaubert<br />
Knut Korschewsky · Iwona Kozłowska<br />
Knut Kreuch · Sewan Latchinian<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek · Nor<strong>man</strong> Paech<br />
Rüdiger Schmidt-Grépály · René Strien<br />
Peter Strutynski<br />
Ordinariatsrat Winfried Weinrich<br />
V.i.S.d.P. Ulrich Maurer<br />
Kultur<br />
neu denken<br />
Frieden – Macht – Freiheit<br />
Eine Veranstaltung<br />
der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag<br />
und der Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag
„Friedenskuss“ heißt das Emblem von Schloss Friedenstein in Gotha aus dem Jahr 1655.<br />
Die Justitia mit dem Friedenszweig umarmt die Schwertträgerin: „Friede ernehret, Unfriede verzehret“.
Inhaltsverzeichnis<br />
Programm 3<br />
Vorbemerkung 4<br />
„Der Geist von Gotha“<br />
Drei einführende Referate<br />
Die Geschichte des Gothaer Hofes 5<br />
Die Friedensgeschichte Gothas 1945 7<br />
Die Notwendigkeit der Versöhnung 9<br />
unter Nachbarn<br />
„Fantasien für den Frieden“<br />
Sechs Podiumsrunden zu der Frage:<br />
<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong>?<br />
Was müssen die Religionen leisten? 11<br />
Was muss das Recht garantieren? 17<br />
Was müssen die Medien vermitteln? 21<br />
Was müssen die Künste aufzeigen? 27<br />
Was müssen die Wissenschaften klären? 31<br />
Was bedeutet das für die Politik? 35<br />
Der Geist von Gotha: Bertha von Suttner 39<br />
Der Veranstaltungsort:<br />
Schloss Friedenstein – Das barocke Schloss 40<br />
Medienecho 40<br />
Anmerkung der Redaktion<br />
Die im Folgenden dokumentierten Redebeiträge<br />
wurden in sich leicht gekürzt, jedoch nicht in ihren<br />
Kernaussagen verändert.<br />
1
Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag<br />
Platz der Republik 1 , 11011 Berlin<br />
Telefon: 030/22 75 1170, Fax: 030/22756128<br />
E-Mail: fraktion@linksfraktion.de<br />
V.i.S.d.P.: Ulrich Maurer, MdB, Stellv. Fraktionsvorsitzender<br />
Verantwortlich: Dr. Lukrezia <strong>Jochimsen</strong>, MdB,<br />
kulturpolitische Sprecherin<br />
Redaktion: Anne Neller<br />
Endfassung: Februar 2011<br />
Dieses Material darf nicht zu Wahlkampfzwecken<br />
verwendet werden!<br />
Mehr Informationen zu unseren parlamentarischen<br />
Initiativen finden Sie unter: www.linksfraktion.de<br />
2
Programm<br />
11.00 – 12.00 Uhr „Der Geist von Gotha“<br />
11.00 – 11.05 Uhr Begrüßung <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong>,<br />
kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion<br />
DIE LINKE und Birgit Klaubert, Vizepräsidentin des<br />
Thüringer Landtags<br />
11.05 – 11.30 Uhr Martin Eberle, Direktor der Stiftung<br />
Schloss Friedenstein: Die Geschichte des<br />
Gothaer Hofes<br />
11.30 – 11.50 Uhr Knut Kreuch, Oberbürgermeister<br />
der Stadt Gotha: Die Friedensgeschichte<br />
Gothas 1945<br />
11.50 – 12.00 Uhr Iwona Kozłowska, I. Botschaftsrätin<br />
der Botschaft der Republik Polen: Die Notwendigkeit<br />
der Versöhnung unter Nachbarn<br />
12.00 – 18.00 Uhr „Fantasien für den Frieden“<br />
6 Podiumsrunden zu der Frage: <strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong><br />
<strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />
12.00 – 13.00 Uhr Was müssen die Religionen<br />
leisten? Rabbiner Prof. Walter Homolka, Rektor<br />
Abraham Geiger Kolleg; Propst Siegfried Kasparick,<br />
Regionalbischof Propstsprengel Halle-Wittenberg;<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek, Generalsekretär Zentralrat der Muslime<br />
in Deutschland; Ordinariatsrat Winfried Weinrich,<br />
Bistum Erfurt<br />
Moderation <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
13.00 – 13.30 Uhr Was muss das Recht garantieren?<br />
Ein Dialog zwischen Hans-Ernst Böttcher, bis 2009<br />
Präsident des Landgerichts Lübeck, und Prof. Nor<strong>man</strong><br />
Paech, Völkerrechtler<br />
13.30 – 14.00 Uhr Mittagspause<br />
14.00 – 15.00 Uhr Was müssen die Medien<br />
vermitteln? Klaus-Dieter Böhm, <strong>Gesellschaft</strong>er des<br />
Weimarer und Erfurter Internet-Regionalfernsehens<br />
„Salve TV“; Michel Fried<strong>man</strong>, Anwalt, Moderator; Prof.<br />
Heinz Glässgen, bis 2009 Intendant von Radio Bremen;<br />
René Strien, Verleger Aufbau Verlag<br />
Moderation <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> & Birgit Klaubert<br />
15.00 – 15.45 Uhr Was müssen die Künste<br />
aufzeigen? Lutz Görner, Rezitator; Markus Heinzel<strong>man</strong>n,<br />
Regisseur, Künstlerischer Leiter Theaterhaus<br />
Jena; Sewan Latchinian, Intendant Neue Bühne Senftenberg<br />
Moderation Birgit Klaubert<br />
15.45 – 16.15 Uhr Kaffeepause<br />
16.15 – 17.00 Uhr Was müssen die Wissenschaften<br />
klären? Hannes Heer, Kurator der ersten Wehrmachtsausstellung;<br />
Rüdiger Schmidt-Grépály, Direktor Kolleg<br />
Friedrich Nietzsche Weimar; Peter Strutynski, Universität<br />
Kassel, AG Friedensforschung<br />
Moderation <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
17.00 – 18.00 Uhr Was bedeutet das für die Politik?<br />
Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Bundestag,<br />
und Knut Korschewsky, Landesvorsitzender<br />
DIE LINKE Thüringen, im Gespräch mit <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
und Birgit Klaubert<br />
3
Vorbemerkung<br />
Herzlich willkommen zur vierten Ausgabe unserer<br />
Reihe „Kultur neu denken“ in Thüringen. Nach den<br />
Diskussionen über MACHT, KUNST, FREIHEIT 2006 im<br />
Panorama-Museum in Bad Frankenhausen, RELIGION,<br />
MACHT, FREIHEIT 2008 in der Synagoge, dem Augustinerkloster<br />
und der Brunnenkirche in Erfurt und<br />
DEMOKRATIE, FREIHEIT, MACHT 2009 im Deutschen<br />
Nationaltheater Weimar geht es nun <strong>heute</strong> – wieder<br />
an <strong>eine</strong>m besonderen und überaus symbolträchtigen<br />
Ort – auf Schloss Friedenstein in Gotha um<br />
FRIEDEN, MACHT, FREIHEIT.<br />
Birgit Klaubert und <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Ausgangspunkt bilden dabei zwei herausragende<br />
Persönlichkeiten aus der Gothaer Geschichte: Herzog<br />
Ernst I. von Sachsen Gotha, der nach den Schrecken<br />
des Dreißigjährigen Krieges dieses Schloss als Symbol<br />
für <strong>eine</strong>n <strong>friedliche</strong>n zivilen Staat errichten ließ.<br />
Regierungsmotto: k<strong>eine</strong> Beteiligung an Kriegen mehr,<br />
stattdessen Bildung, Kultur und <strong>eine</strong> gute Verwaltung.<br />
Die zweite wichtige Person ist der Stadtkom<strong>man</strong>dant<br />
Ritter von Gadolla, der im April 1945 den Führerbefehl<br />
verweigerte, Gotha weiß beflaggen ließ, um es kampflos<br />
den Amerikanern zu übergeben. Er wurde vors<br />
Wehrmachtsgericht gestellt, zu Tode verurteilt und<br />
hingerichtet – Gotha war gerettet.<br />
Diese historischen Beispiele, Kräfte für den Frieden<br />
zu entwickeln, möchten wir in sechs Gesprächsrunden<br />
in unsere heutige Zeit übersetzen und darüber<br />
diskutieren, wie <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong> friedlich sein und<br />
bleiben kann. Wir wollen „Fantasien für den Frieden“<br />
entwickeln. Diesen Titel hat uns Margot Käß<strong>man</strong>n in<br />
ihrer Neujahrspredigt 2010 gewissermaßen geschenkt.<br />
4<br />
Sie sagte damals: “Auch wenn es in den Ohren derer,<br />
die der Gewalt als Antwort auf Gewalt vertrauen naiv<br />
klingen mag, ich bleibe dabei, wir brauchen mehr<br />
Fantasie für den Frieden. Für ganz andere Formen,<br />
Konflikte zu bewältigen.“<br />
Die Friedensfrage war übrigens auch ein Thema der<br />
Reformation. Und weil wir hier in <strong>eine</strong>r Kirche der Reformation<br />
sind, soll auch das an dieser Stelle gesagt<br />
sein. Philipp Melanchthon, der vor 450 Jahren gestorbene<br />
Reformator, gehörte ebenfalls zu den vermeintlich<br />
naiven Träumern. Bildung für alle war s<strong>eine</strong> Vision,<br />
die damals viele belächelten. Bildung bedeutete<br />
für Melanchthon immer auch Erziehung zum Frieden.<br />
Die verstand er als Befähigung dazu, mit Vernunft zu<br />
<strong>eine</strong>r Verständigung in Konflikten zu kommen.<br />
Und ein weiteres Motiv möchten wir dieser Veranstaltung<br />
voranstellen und richten unseren Blick – auf die<br />
Landesebene bezogen – auf die Thüringer Verfassung.<br />
Denn es wird <strong>heute</strong> auch darum gehen, Fantasien für<br />
den Frieden vor dem Hintergrund von Verfassungsanspruch<br />
und Verfassungswirklichkeit zu diskutieren.<br />
In der Präambel der Thüringer Verfassung heißt es:<br />
„In dem Bewusstsein des kulturellen Reichtums und<br />
der Schönheit des Landes, in dem Willen Freiheit und<br />
Würde des Einzelnen zu achten, das Gemeinschaftsleben<br />
in sozialer Gerechtigkeit zu ordnen, Natur und<br />
Umwelt zu bewahren und zu schützen, der Verantwortung<br />
für zukünftige Generationen gerecht zu werden,<br />
inneren wie äußeren Frieden zu fördern, die demokratisch<br />
verfasste Rechtsordnung zu erhalten, und trennendes<br />
in Europa und der Welt zu überwinden.“ So<br />
steht es in der Thüringer Verfassung, die den Auswirkungen<br />
der <strong>friedliche</strong>n Revolution des Herbstes 1989<br />
folgt und die es uns ermöglicht, in dieser Gemeinsamkeit<br />
<strong>heute</strong> diese Veranstaltung mit Ihnen zu gestalten.<br />
Dr. Lukrezia <strong>Jochimsen</strong><br />
Mitglied des Deutschen Bundestages; Kulturpolitische<br />
Sprecherin Fraktion DIE LINKE<br />
Dr. Birgit Klaubert<br />
Vizepräsidentin des Thüringer Landtages; Kulturpolitische<br />
Sprecherin Fraktion DIE LINKE
Die Geschichte des Gothaer Hofes<br />
Martin Eberle<br />
1968 in Bayern geboren;<br />
Studium der<br />
Kunstgeschichte und<br />
Geschichte in München,<br />
Bamberg und<br />
Jena; 1995 Promotion<br />
über den <strong>Wie</strong>ner<br />
Interieurmaler Franz<br />
Heinrich; 1995 Volontariat<br />
Grassi-Museum,<br />
Leipzig; 1996 Leiter<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Grassi-Museum; 1999<br />
Leiter des “Gohliser Schlösschens”, Leipzig; 2003<br />
Direktor des Städtischen Museums Braunschweig;<br />
seit 1. Oktober 2007 Direktor der Stiftung Schloss<br />
Friedenstein Gotha<br />
Ich habe jetzt die schöne Aufgabe, Sie in zehn Minuten<br />
in 350 Jahre Geschichte dieses Ortes einzuweihen.<br />
Ich werde mich auf die ersten fünf Herrscher dieses<br />
Hauses beschränken – und es gibt <strong>eine</strong>n ganz großen<br />
symbolträchtigen Namen für diesen Ort hier und das<br />
ist Herzog Ernst der Fromme. Ihm fiel dieses neue<br />
Staatsgebilde Sachsen–Gotha 1640 durch <strong>eine</strong> Erbteilung<br />
zu, damals etwa halb so groß wie Thüringen, und<br />
er suchte nun <strong>eine</strong> neue Residenz und wählte dafür<br />
die damals zweitgrößte Stadt Thüringens, nämlich<br />
Gotha. Und in Gotha hatte er gute Bauvoraussetzungen.<br />
Hier befand sich nämlich die umfangreiche<br />
Ruinenanlage mit dem Namen Grimmenstein. Mitten<br />
im Dreißigjährigen Krieg, 1643, beginnt er hier auf dem<br />
Grimmenstein s<strong>eine</strong> neue Schlossanlage zu bauen,<br />
den Friedenstein. Ein sehr symbolträchtiger Name<br />
und dieses Symbol des Namens äußert sich durchaus<br />
in diesem Bau. Er hat hier sozusagen die Krone <strong>eine</strong>s<br />
neu zu gründenden Gottesstaates errichtet, <strong>eine</strong> umfangreiche<br />
Vierflügelanlage, die nicht nur dazu diente<br />
die Wohnräume des Herzogs unterzubringen, sondern<br />
vor allem auch die Landesverwaltung. Mit der Kirche,<br />
in der wir uns hier befinden, war der Friedenstein<br />
auch das religiöse Zentrum des Landes, dann die<br />
Rüstkammer als militärisches Zentrum, das Archiv als<br />
juristisches Zentrum, die Münze als wirtschaftliches<br />
Zentrum und vor allem auch mit Kunstkammer und<br />
Bibliothek das kulturelle Zentrum.<br />
Bei all‘ dem möchte <strong>man</strong> m<strong>eine</strong>n, dass Ernst der<br />
Fromme ein sehr friedensvoller Fürst war. Die Geschichte<br />
geht aber etwas anders los. Denn bevor ihm<br />
das neugegründete Herzogtum zufiel, beteiligte er<br />
sich an <strong>eine</strong>m ganz gewaltigen Krieg, am Dreißigjährigen<br />
Krieg, und zwar im Gefolge von Gustav Adolf. Er<br />
war ein überzeugter Protestant und genau mit dieser<br />
Inbrunst beteiligte er sich auch an diesem Krieg,<br />
<strong>eine</strong>m der blutigsten und brutalsten, land- und men-<br />
schenverzehrend – aber er scheint während dieser<br />
Kriegsführung geleutert worden zu sein.<br />
1643 begann er also mit dem Ausbau dieser Residenz<br />
und leitete vor allem auch ganz umfangreiche<br />
Reformen in diesem Land ein. Juristische Reformen,<br />
Verwaltungsreformen, er führte die Schulpflicht für<br />
Mädchen und Jungen ein, er gründete ein Gymnasium,<br />
das bald schon <strong>eine</strong>n internationalen Ruf haben<br />
sollte, nicht nur wegen der vorzüglichen Lehranstalt,<br />
sondern auch wegen der vorzüglichen Schulbücher,<br />
die dort herausgegeben wurden. Ich bin ganz sicher,<br />
dass Ernst der Fromme dieses durchaus mit <strong>eine</strong>m<br />
christlichen Duktus unternahm, diese Reformen einleitete.<br />
Aber natürlich dienten diese Reformen auch<br />
dazu, dass er ein gebildetes Volk hatte – und dieses<br />
brauchte er auch. Er brauchte <strong>eine</strong> hohe Bildung, um<br />
s<strong>eine</strong> Verwaltung aufrecht zu erhalten und den Merkantilismus<br />
anzukurbeln, um <strong>eine</strong> Wirtschaftsförderung<br />
zu betreiben. Insgesamt kann <strong>man</strong> für Ernst den<br />
Frommen sagen, dass er zum Typ des altväterlichen<br />
Herrschers gehörte, der sich um das Wohlergehen<br />
s<strong>eine</strong>r Untertanen kümmerte, aber auch sehr strenge<br />
Züge anlegen konnte.<br />
Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, während<br />
der Friedensverhandlungen des Westfälischen<br />
Friedens, kamen die deutschen Höfe auf einmal mit<br />
den europäischen Höfen in Berührung, und mit etwas,<br />
was sich dort entwickelt hatte – der Diplomatie, die<br />
nun anstatt der Kriege bevorzugtes Mittel wurde, um<br />
Konflikte auszutragen.<br />
Der Nachfolger von Ernst dem Frommen, Friedrich<br />
der I., übertrug dieses Mittel der Diplomatie. Und mit<br />
der Diplomatie ging <strong>eine</strong> neue Form der Repräsentation<br />
einher.<br />
Friedrich der I. hatte ein kl<strong>eine</strong>s Problem, denn Ernst<br />
der Fromme, sein Vater, hatte <strong>eine</strong>n Fehler gemacht.<br />
Er hatte sieben lebende Söhne und alle wollten ein<br />
eigenes Herzogtum haben, so dass das gerade erst<br />
gegründete Herzogtum Sachsen-Gotha sieben Mal geteilt<br />
wurde. So entstanden Sachsen-Hildburghausen,<br />
Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg usw. – und mit<br />
dieser Teilung 1680 verlor das Herzogtum s<strong>eine</strong> reale<br />
politische Bedeutung. Wenn <strong>man</strong> aber <strong>eine</strong> reale politische<br />
Bedeutung verliert, dann muss <strong>man</strong> sich umso<br />
glänzender darstellen und das verstand Friedrich der<br />
I. ganz vorzüglich, indem er Schloss Friedenstein noch<br />
einmal ausbaute und die noch <strong>heute</strong> erhaltenen Repräsentationsräume<br />
schuf. Er war ganz ein Herrscher<br />
des Absolutismus, ein barocker Herrscher, für den<br />
nicht nur <strong>eine</strong> prunkvolle Hofhaltung dazugehörte,<br />
sondern auch das Militär. So ist er der erste Herrscher,<br />
der hier in Gotha ein feststehendes Heer von<br />
immerhin zehntausend Mann etablierte. Das war <strong>eine</strong><br />
Leistung, die wirklich die Grenzen des Finanzierbaren<br />
für Sachsen-Gotha erreichte. Allerdings kam dieses<br />
5
Heer kaum zum Einsatz. Es diente auch der Repräsentation<br />
und damit Machtvergrößerung.<br />
Sein Nachfolger Herzog Friedrich II., der 1732 starb,<br />
setzte die Politik s<strong>eine</strong>s Vorgängers fort. Er war ein<br />
sehr prunkliebender Barockherrscher, allerdings<br />
waren die finanziellen Mittel nun beschränkter. Um<br />
s<strong>eine</strong> finanziellen Mittel zu erhöhen, vermietete er<br />
das Heer, das sein Vater aufgebaut hatte. Die Mittel<br />
der Repräsentation reichten nicht mehr aus. Was <strong>man</strong><br />
nun im frühen 18. Jahrhundert auch brauchte, war vor<br />
allem Geist. Geist war extrem wichtig, um innerhalb<br />
des Reiches aufzufallen und somit <strong>eine</strong> politische<br />
Karriere anstreben zu können. Und dieser Geist wurde<br />
demonstriert. Friedrich dem II. gelang dies mit der<br />
Neuordnung der 1653 gegründeten Kunstkammer.<br />
Unter Ernst dem Frommen war alles noch vereint in<br />
<strong>eine</strong>r Kunstkammer. Der göttliche Makrokosmos war<br />
in diesem Mikrokosmos absehbar, so dass das ausgestopfte<br />
Huhn neben den Juwelen stand. Friedrich II.<br />
ordnete das neu. Er gliederte ganz scharf in Naturalia,<br />
Kunstwerke, in die geologische Sammlung, Gemäldekabinett<br />
– und diese Ordnung entsprach der Ordnung<br />
der Aufklärung. Auch die Bibliothek wurde damals<br />
neu geordnet, im aufklärerischen Sinne. So können<br />
wir sagen, dass in Gotha schon 1708 die Aufklärung<br />
einzog. Das ist unglaublich früh für <strong>eine</strong>n Fürstenhof<br />
in Deutschland. Damit bewies Friedrich II. s<strong>eine</strong>n<br />
Geist, s<strong>eine</strong>n Verstand, s<strong>eine</strong>n Intellekt. Dabei darf<br />
<strong>man</strong> aber nicht vergessen, das Krieg natürlich immer<br />
noch präsent blieb. Natürlich begegneten uns auch in<br />
Gotha überall Symbole des Krieges, bis hin zur Festtafel,<br />
auf der Salzfässchen aus Trommeln bestanden.<br />
Der Krieg war als Machtsymbol überall sichtbar, ohne<br />
dass er wirklich gewollt wurde.<br />
Ganz deutlich wird es bei s<strong>eine</strong>m Nachfolger Friedrich<br />
III., der 40 Jahre lang hier regierte und in dessen<br />
Regierungszeit der Siebenjährige Krieg fiel. Für <strong>eine</strong>n<br />
Kleinstaat bedeutete das, sich dort hinaus zu <strong>man</strong>övrieren<br />
und fernzuhalten. Das gelang Friedrich III. ganz<br />
vorzüglich. Er verhielt sich möglichst neutral, und<br />
auch wenn sein Land natürlich unter diesem Krieg litt,<br />
6<br />
war es doch nicht in die Kriegsgeschehen verwickelt.<br />
Und durch diese lange Friedenszeit unter Friedrich III.<br />
konnte der Hof intellektuell noch weiter ausgebaut<br />
werden. Es wurde das Zentrum der Aufklärung in<br />
Mitteldeutschland. An dem war vor allem auch s<strong>eine</strong><br />
Gemahlin Luise Dorothea beteiligt. Sie holten sich<br />
künstlerische Anregungen aus ganz Europa. Man hatte<br />
Agenten in London, Paris und Rom, informierte sich<br />
über das aktuelle Kunst- und Theatergeschehen, über<br />
die Literaturszene und die Wissenschaft und häufte<br />
hier <strong>eine</strong> Bibliothek und großes Wissen an. Diese Bibliothek<br />
war noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die<br />
größte Bibliothek Thüringens. Ein gewaltiger Wissensort,<br />
von dem auch ein anderes Herzogtum profitieren<br />
sollte – nämlich Weimar. In Gotha konnte <strong>man</strong> sich<br />
über die internationalen Entwicklungen informieren,<br />
konnte Wissen erhalten – das war wirklich die Glanzzeit,<br />
die Friedenszeit Gothas. Diese Zeit war natürlich<br />
nicht nur in Gotha vom Frieden geprägt. Wir haben<br />
das große Zeitalter der Aufklärung, die Höfe sind miteinander<br />
verwandt – jeder Krieg hätte <strong>eine</strong>n Krieg mit<br />
der Verwandtschaft bedeutet. Das wollte <strong>man</strong> nicht,<br />
<strong>man</strong> hatte sich international anerkannt. Ein Krieg war<br />
etwas Verpöntes, auch wenn <strong>man</strong> ihn führte. Im 18.<br />
Jahrhundert versuchte <strong>man</strong> das Schlachtgetümmel zu<br />
vermeiden und klärte die Dinge lieber diplomatisch,<br />
im aufklärerischen Sinne.<br />
Das wird auch bei dem letzten Herzog, den ich Ihnen<br />
ganz kurz vorstellen will, besonders deutlich: bei Ernst<br />
II.. Ein Kind von Friedrich III. und Luise Dorothea, ganz<br />
im Sinne der Aufklärung erzogen. Er war ein herausragend<br />
gebildeter Mann, der den Wissenschaften sehr<br />
zugetan war, diese förderte, und dem die Regierung<br />
eher <strong>eine</strong> Last war. Dieser Mensch hat sicherlich den<br />
Krieg verpönt – wie viele s<strong>eine</strong>r Zeitgenossen am<br />
Ende des 18. Jahrhunderts auch. Es bedurfte dann<br />
<strong>eine</strong>r neuen Entwicklung in Europa, nämlich der Französischen<br />
Revolution, die dem Krieg wieder Vorrang<br />
brachte. Nun ist das religiöse Ziel verlassen und ein<br />
neues Ziel wird kriegstreibend – die Nationalstaatlichkeit.<br />
Der Kampf um diese Nationalstaatlichkeit wird<br />
dann das ganze 19. Jahrhundert prägen.
Die Friedensgeschichte Gothas 1945<br />
Knut Kreuch<br />
1966 in Wechmar<br />
geboren; Ausbildung<br />
zum Fahrzeugschlosser,<br />
1985 Arbeit als<br />
Schlosser im Fahrzeugwerk<br />
Wechmar; 1989<br />
Kreisgeschäftsführer<br />
des Kulturbundes der<br />
DDR; 1991 Arbeit in der<br />
Abteilung für Kultur<br />
der Stadt Gotha; 1991<br />
Studium der Betriebswirtschaftslehre;<br />
1994 Pressereferent des Gothaer<br />
Oberbürgermeisters Volker Doenitz; 1998 Bürgermeister<br />
s<strong>eine</strong>s Geburtsortes Günthersleben-<br />
Wechmar; seit 1. Juli 2006 Oberbürgermeister von<br />
Gotha (SPD)<br />
Sie haben mir ein spannendes und zugleich schweres<br />
Thema gegeben. Der Geist von Gotha 1945. Was war<br />
es denn für ein Geist? Sicherlich nicht dieser Geist,<br />
der hier am Schloss steht: „Friede ernehret, Unfriede<br />
verzehret“. Was war Gotha am Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
für <strong>eine</strong> Stadt? Im 18. Jahrhundert war Gotha<br />
<strong>eine</strong> Stadt der Aufklärung und des Aufbruchs, im Jahrhundert<br />
darauf <strong>eine</strong> Stadt, in der <strong>man</strong> gut versichert<br />
sein konnte. Dem Aufbruch zum Versicherungswesen<br />
in Deutschland folgte auch die Zeit der Auseinandersetzung<br />
in der <strong>Gesellschaft</strong> um die neu einsetzende<br />
Kraft der Arbeiterklasse, der Sozialdemokratie. Ihre<br />
Kräfte haben sich hier versammelt und in starker<br />
Industrie wiedergefunden. Und auf der anderen Seite<br />
war das starke Bürgertum dieser Stadt. Im Jahre 1945<br />
war Gotha <strong>eine</strong> Stadt, die aus diesen Kräften bestand,<br />
die aber schon in den dreißiger Jahren k<strong>eine</strong> Stärke<br />
fanden. Schon 1930 wurde der erste Oberbürgermeister<br />
dieser Stadt gewählt, der vielleicht wesentlich<br />
mit dem Jahr 1945 und mit dem Geist von Gotha zu<br />
tun hatte: der damalige Oberbürgermeister Dr. Fritz<br />
Schmidt, der schon 1931 der nationalsozialistischen<br />
Partei beigetreten ist und von dieser getragen wurde.<br />
Dieser Geist von Gotha 1945 war <strong>eine</strong>rseits ein brauner<br />
Geist, andererseits auch der Geist <strong>eine</strong>r schweigenden<br />
Menge. Menschen, die mit ihren Problemen<br />
so beschäftigt waren, dass sie sich nicht weiter um<br />
anderes gekümmert haben. Es war die Stadt des Josef<br />
Ritter von Gadolla, der im Februar 1945 in Gotha zu<br />
Verantwortung gekommen ist. Er war schon Jahre vorher<br />
hier, ein Österreicher, ein Graazer, ein Offizier der<br />
K&K-Monarchie, der 1938 eigentlich in den Ruhestand<br />
treten wollte, weil er <strong>eine</strong> Verletzung aus dem Ersten<br />
Weltkrieg hatte, der dann aber verpflichtet wurde,<br />
in die Wehrmacht zu gehen. Er kam nach Gotha, hat<br />
sich eigentlich in dieser Stadt auch sehr wohl gefühlt<br />
und bekam im Februar 1945 den Führerbefehl, diese<br />
Stadt bis zum letzten Mann und zur völligen Vernich-<br />
tung zu verteidigen. Dieser Josef Ritter von Gadolla<br />
hatte hier <strong>eine</strong>n der wichtigsten Rüstungsstandorte<br />
in Deutschland vor sich. Gothaer Flugzeuge waren<br />
schon im Ersten Weltkrieg die Zeichen des Krieges,<br />
und die Gothaer Waggonfabrik war <strong>eine</strong> der führenden<br />
Produzentenfabriken, insbesondere auch für Teile der<br />
sogenannten Wunderwaffe Hitlers, mit der er immer<br />
noch gehofft hat, die Wende s<strong>eine</strong>s verheerenden<br />
Krieges herbeizuführen. Gadolla stand unter diesem<br />
Befehl im Februar 1945 und er war sicherlich zur<br />
damaligen Zeit auch davon überzeugt, dass es der<br />
richtige Befehl war.<br />
Als der Krieg sich immer mehr verdichtete, war die<br />
Stadt von 40.000 auf rund 55.000 Menschen angeschwollen,<br />
die hier Unterschlupf suchten. Eine Stadt<br />
mit Zwangsarbeitern, Evakuierten und Flüchtlingen<br />
aus allen Regionen, die im Februar <strong>eine</strong>n verheerenden<br />
Bombenangriff auf den Bahnhof erlebten. Und in<br />
dieser Zeit wurde Josef Ritter von Gadolla, so beschreiben<br />
es Zeitzeugen, immer mehr mit diesem Leiden,<br />
mit diesen Schrecken des Krieges konfrontiert.<br />
Und sicherlich ist in diesen zwei Monaten, zwischen<br />
Februar und April 1945, in ihm ein Geist entstanden,<br />
der gesagt hat: Diese Stadt, diese Menschen hier,<br />
kannst du nicht opfern. Die Amerikaner standen<br />
schon hinter Eisenach, die Stadt hatte k<strong>eine</strong> Soldaten<br />
mehr zu ihrer Verteidigung, es war klar, dass diese<br />
Stadt von den amerikanischen Truppen dem Erdboden<br />
gleichgemacht wird, wenn sie sich verteidigen.<br />
Josef Ritter von Gadolla<br />
In dieser Zeit traf <strong>man</strong> sich jeden Tag hier auf Schloss<br />
Friedenstein, um in den Kellern Schutz zu haben, weil<br />
<strong>man</strong> dachte, dass hier k<strong>eine</strong> Bombe fällt. Da waren es<br />
der SS General Hennecke, der damalige Oberbürgermeister<br />
Dr. Fritz Schmidt, und Josef Ritter von Gadolla,<br />
die darüber zu entscheiden hatten, was gemacht<br />
wird. Der damalige Kreisleiter Busch war auch dabei<br />
und hat gesagt: Wir müssen übergeben und das tut<br />
immer der Oberbürgermeister, das ist s<strong>eine</strong> Pflicht,<br />
dafür ist er im Amt. Schmidt hat gesagt, dass er das<br />
7
nicht macht. Busch hat gesagt, dass er das auch nicht<br />
macht. Hennecke ebenfalls nicht. Und so blieb nur<br />
noch Gadolla übrig, der sagte: Ich bin kein Gothaer,<br />
aber ich opfere mich für diese Stadt. Er hat dann<br />
zwei Versuche unternommen und ist von Gothaern<br />
festgenommen und an Gestapo und SS nach Weimar<br />
ausgeliefert worden. Aber er konnte die Stadt noch<br />
weiß beflaggen, was die Amerikaner sahen und damit<br />
wussten: die wollen übergeben. Und in dieser Zeit<br />
sind die Amerikaner in Gotha eingerückt, haben <strong>eine</strong><br />
<strong>friedliche</strong> Stadt vorgefunden, die ohne Zerstörung und<br />
ohne den Tod von Menschen übergeben wurde.<br />
Aber Gadolla wurde an jenem 4. April, wenige Minuten<br />
nachdem die Kapitulation in Gotha unterschrieben<br />
worden ist, auf Grund dieses Führerbefehls zum Tode<br />
verurteilt. Militärgericht, 5 Minuten, ruck zuck, tot.<br />
K<strong>eine</strong>r hat ihm beigestanden, k<strong>eine</strong>r hat ihm geholfen.<br />
Damals am 5. April – Gotha war schon <strong>eine</strong>n Tag frei<br />
– wurde er hingerichtet. An s<strong>eine</strong>r Seite stand nur ein<br />
katholischer Priester, um den Gadolla gebeten hatte.<br />
Und dieser Priester hat uns jenen Satz Gadollas überliefert:<br />
„Damit Gotha leben kann, muss ich sterben“.<br />
Gotha im April 1945<br />
8<br />
Gotha im April 1945<br />
Dieser Satz war für uns viele Jahre <strong>eine</strong> Verpflichtung.<br />
Und die DDR hat Gadolla eigentlich nie aus ihrem<br />
Gedächtnis getilgt. Das ist der große Anteil, den die<br />
erste Stadtverwaltung von Gotha nach dem Kriege<br />
hatte, indem sie Gadolla <strong>eine</strong> Straße gewidmet hat. Es<br />
gab aber k<strong>eine</strong> Möglichkeit s<strong>eine</strong>r Familie <strong>eine</strong> Geste<br />
und <strong>eine</strong> Botschaft zu reichen. Dieser Geist war nicht<br />
möglich, er war nicht vorhanden, denn damals begann<br />
der Kalte Krieg. Die Familie ging verarmt wieder zurück<br />
nach Österreich, lebte in größter Armut bis zum<br />
Tode der Ehefrau 1968, die Tochter verlor in dieser Zeit<br />
ihr Kind, konnte nie wieder Kinder bekommen. Eine<br />
Familie war zerstört, obwohl der Mann soviel Gutes<br />
für diese Stadt getan hat.<br />
Im Jahre 1995 war es dann an der Zeit, Gadolla ins<br />
Bewusstsein der Bevölkerung zurückzuholen. Wir<br />
müssen den Menschen sagen, dass das nicht nur ein<br />
Straßenname ist, sondern dass es jener Gadolla war.<br />
Seit 1995 hat es <strong>eine</strong> Bewegung in dieser Stadt gegeben,<br />
die diesem neuen Geist von Gotha entspricht.<br />
Diesen Mann Gadolla als Ehrenbürger der Stadt Gotha<br />
zu ehren, war juristisch nicht möglich. Tote können<br />
k<strong>eine</strong> Ehrenbürger werden. Aber er wurde verdienter<br />
Bürger der Stadt Gotha. S<strong>eine</strong> Tochter bekam vom<br />
Freistaat und von der Stadt Gotha <strong>eine</strong> Ehrengabe<br />
in Höhe von 20.000 DM – ein symbolisches Zeichen,<br />
dass wir ihn nicht vergessen haben. Die Gothaer Kulturstiftung<br />
hat im Friedensgespräch im vergangenen<br />
Jahr ein Denkmal für ihn gesetzt, im Herzen der Stadt.<br />
Und das Schöne ist, dieser Geist von Gotha lebt nicht<br />
nur in denen, die das noch erlebt haben, sondern er<br />
lebt auch in der Jugend. Weil junge Menschen sich in<br />
Schüler- und Diplomarbeiten damit beschäftigen und<br />
diese Geschichte aufgearbeitet haben.<br />
Es gibt da noch viel zu tun und jeder von uns ist aufgefordert<br />
mitzuhelfen, damit dieser Geist von Gotha<br />
nicht <strong>eine</strong> Fantasie für den Frieden ist, sondern <strong>eine</strong><br />
Wirklichkeit.
Die Notwendigkeit der Versöhnung unter Nachbarn<br />
Iwona Kozłowska<br />
In Vertretung für S.E.<br />
Marek Prawda, Botschafter<br />
der Republik Polen.<br />
I. Botschaftsrätin Iwona<br />
Kozłowska ist seit 2007<br />
in der Botschaft der<br />
Republik Polen in Berlin<br />
tätig. Davor arbeitete sie<br />
im Ministerium für Auswärtige<br />
Angelegenheiten<br />
der Republik Polen.<br />
Es ist für mich wirklich <strong>eine</strong> große Freude und Ehre, in<br />
Vertretung des Botschafters, Dr. Marek Prawda, der<br />
wegen des Außenministertreffens <strong>heute</strong> noch in Warschau<br />
sein muss, der Einladung der Linksfraktion im<br />
Bundestag und im thüringischen Landtag folgen und<br />
an der heutigen Veranstaltung „Der Geist von Gotha“<br />
teilnehmen zu können.<br />
Die ungewöhnliche Beschleunigung der Geschichte,<br />
die Unübersichtlichkeit, Unvorhersehbarkeit und<br />
Ungeduld der Zeiten, die Herausforderungen der modernen<br />
Welt lassen uns Europäer oft vergessen, was<br />
eigentlich die Hauptmotivation unseres Handelns und<br />
unserer Bestrebungen nach immer mehr Integration<br />
ist. Vielleicht ist es auch gut so, dass die junge Generation<br />
das <strong>friedliche</strong> Zusammenleben der europäischen<br />
Völker als etwas Selbstverständliches nimmt,<br />
dass sie mehr in die Zukunft schaut. Wir Polen und<br />
Deutsche wissen den Wert und die Bedeutung des<br />
Friedens in all‘ s<strong>eine</strong>n Ausprägungen zu schätzen. Wir<br />
wissen was es bedeutet, Frieden zur Hauptmotivation<br />
des Handelns und Denkens zu machen. Wir wissen<br />
uns für den Frieden zu engagieren und ihn weiter in<br />
die Welt zu transportieren. Wir wissen, was es für<br />
unsere Völker bedeutet, ohne den Frieden leben zu<br />
müssen.<br />
Für den europäischen Frieden ist die Versöhnung<br />
zwischen Polen und Deutschland von übergeordneter<br />
Bedeutung. Heute glaubt <strong>man</strong>, dass Polen und<br />
Deutsche k<strong>eine</strong> spektakulären Gesten wie den Kniefall<br />
von Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau oder die<br />
gemeinsame Messe Helmut Kohls in Krakau brauchen.<br />
Man postuliert, das Feiern der früheren Rituale<br />
durch tagtägliche Bemühungen um Annäherung und<br />
gegenseitiges Verstehen zu ersetzen. Der Wegfall<br />
der Grenzkontrollen durch das Schengener Abkommen<br />
hat die geographische Nähe zwischen unseren<br />
Ländern entstehen lassen. Der Öffnung der Grenzen<br />
sollte aber <strong>eine</strong> mentale Öffnung, <strong>eine</strong> Vertiefung des<br />
beiderseitigen Wissens übereinander folgen. Denn<br />
die politische Nähe hat bedeutende Asymmetrien ins<br />
Blickfeld gerückt. Das Vertrauen aus der Ferne wurde<br />
durch <strong>eine</strong> distanzierte Nähe ersetzt. Die Informationstechnik<br />
gibt uns zwar <strong>heute</strong> die Möglichkeit weiter<br />
zu blicken und mehr zu verstehen, doch setzt sich<br />
diese Tatsache nicht unmittelbar in Empathie für den<br />
Nachbarn um. So wie der Fall der Berliner Mauer die<br />
Deutschen in Ost und West nicht automatisch einander<br />
näher gebracht hat, so kann auch der Fall des<br />
Eisernen Vorhangs die historischen Erfahrungen der<br />
beiden Nationen nicht ohne Weiteres aufheben.<br />
Die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland war<br />
nicht selbstverständlich und hat sich als ein langwieriger<br />
Prozess erwiesen. Sie soll auch <strong>heute</strong> nicht als<br />
etwas Selbstverständliches wahrgenommen werden.<br />
Die Experten machen uns <strong>heute</strong> darauf aufmerksam,<br />
dass Polen und Deutschland zu den Nationen gehören,<br />
deren Verhältnis zueinander sich nur historisch<br />
verstehen lässt. Es gibt Interessen und Mentalitätsunterschiede,<br />
aber erst der Blick in die Vergangenheit<br />
macht die Schwierigkeiten begreiflich. Der deutschpolnische<br />
Annäherungs- und Verständigungsprozess<br />
zeigt, wie wichtig für die Versöhnung die Institutionalisierung<br />
der Beziehungen, die Schaffung effektiver<br />
Kooperationsstrukturen ist. Gleich nach der Wende<br />
wurde sowohl von polnischer, sowie auch von deutscher<br />
Seite sehr intensiv daran gearbeitet, die gute<br />
Nachbarschaft zwischen unseren Ländern zu festigen.<br />
Die politisch-gesellschaftlichen Bedingungen<br />
ermöglichen die Entfaltung der Initiativen von unten.<br />
Wenn Völker zueinander kommen sollen, muss die<br />
Politik Voraussetzungen schaffen. Aber das Wesentliche<br />
geschieht jenseits der Politik. Nur das dichte<br />
Verständnis von Verbindungen, Bekanntschaften,<br />
Freundschaften über die Grenzen hinweg hat ermöglicht,<br />
dass Polen und Deutsche die politischen,<br />
kulturellen, gesellschaftlichen und letztendlich auch<br />
die geographischen Trennlinien überwunden haben.<br />
Im Jahre 1990 wurde die Diskussion der Grenzfrage<br />
abgeschlossen. Das vereinigte Deutschland bestätigte<br />
den endgültigen Charakter der Grenze. Dank des<br />
Grenzvertrages wurde das Ende der Nachkriegszeit im<br />
polnisch-deutschen Verhältnis endgültig besiegelt. Es<br />
sind solide Grundlagen zur Entwicklung guter Zusammenarbeit<br />
auf allen Gebieten entstanden.<br />
Heute leben wir in <strong>eine</strong>r faszinierenden Phase, wo<br />
sich Ost und West endlich ihre Geschichten erzählen<br />
können. Und nur so können wir uns <strong>eine</strong>m neuen europäischen<br />
Selbstverständnis nähern. Heute kommt<br />
es darauf an, einander zuzuhören und sich in dieser<br />
Erzählung näherzukommen. Es soll verbinden und<br />
nicht trennen. Und wenn wir am Abbau der Fremdheitsbarrieren<br />
arbeiten, tun wir etwas dafür, dass die<br />
Erinnerung ein wichtiger Grund und kein Hindernis für<br />
Europa ist. So müssen wir verhindern, dass die historische<br />
Erinnerung nicht ausschließlich Rechnungen aus<br />
der Vergangenheit aufmacht, und sich gegen die anderen<br />
richtet, sondern dass sie als Grundlage für <strong>eine</strong><br />
Transformation taugt, mit der sie in <strong>eine</strong>n universalen<br />
9
Wert verwandelt werden kann, der der Sicherheit und<br />
dem Frieden künftiger Generationen dient. Für das<br />
vereinte Europa gibt es k<strong>eine</strong> Alternative. Die Völker<br />
haben zu viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht,<br />
dennoch lassen sich diese Erfahrungen vielleicht<br />
europäisieren, indem <strong>man</strong> sie als ständige Mahnung<br />
betrachtet und daraus den Mut schöpft, sich gemeinsam<br />
möglichen Katastrophen entgegenzustellen.<br />
Indem <strong>man</strong> zur Aufarbeitung aller Schattenseiten der<br />
eigenen Geschichte bereit ist und <strong>eine</strong>n antitotalitären<br />
Konsens fördert. Für uns sind Totalitarismen,<br />
Holocaust, Völkermord die zentralen Erfahrungen des<br />
20. Jahrhunderts. Das heißt folglich, dass <strong>man</strong> viele<br />
andere tragische Prozesse und Ereignisse, wie zum<br />
Beispiel kriegsbedingte Fluchtbewegungen, Vertreibungen<br />
in <strong>eine</strong>r unmissverständlichen Relation dazu<br />
betrachten sollte. Die gemeinsame Erinnerungskultur<br />
ist nicht in <strong>eine</strong>m aus dieser Kette herausgerissenen<br />
Prozess zu finden. Sie muss sich vielmehr auf der umfassenden<br />
Erfahrung der hu<strong>man</strong>itären Katastrophen<br />
des Zweiten Weltkrieges gründen.<br />
Die deutsch-polnischen Beziehungen gehören nicht zu<br />
den unkompliziertesten. Polen und Deutsche kennen<br />
sich immer noch zu wenig, verstehen sich oft nicht,<br />
haben <strong>man</strong>chmal zu geringes Vertrauen. Deshalb ist<br />
es wichtig, dass <strong>man</strong> sich näher kommt. Dass <strong>man</strong><br />
10<br />
durch gemeinsame Projekte die Annäherung zwischen<br />
Polen und Deutschen, zwischen den Nachbarn anstrebt.<br />
Die gemeinsame Zukunft kann <strong>man</strong> nur durch<br />
die Zusammenarbeit gestalten, die auf dem Vertrauen,<br />
auf der Empathie auf dem gegenseitigen Respekt<br />
basiert. Um das zu erreichen, muss <strong>man</strong> sich natürlich<br />
erst einmal kennen lernen. Man muss die Potenziale<br />
des Nachbarn entdecken und sie dann zu Gunsten der<br />
Nachbarschaft weiter entwickeln. Das Gedenken und<br />
die historische Reflexion müssen unsere Beziehungen<br />
begleiten. Sie sollten dafür jedoch nicht Hauptmotivation<br />
sein, sondern den Weg bereiten für die gegenwärtigen,<br />
in die Zukunft gerichteten Motivationen.<br />
Die Institutionalisierung der deutsch-polnischen<br />
Beziehungen kann als Musterbeispiel für gelungene,<br />
erfolgreiche Annäherung zwischen den Nachbarn<br />
gelten. Heute kann <strong>man</strong> sagen: Ja, das ist der richtige<br />
Weg, den wir Polen und Deutsche gemeinsam<br />
gehen sollen, um unsere Nachbarschaft und Europa<br />
zukunfts- und friedenssicher zu machen. Die Zukunft<br />
– die gemeinsame und die gute – wollen wir aber in<br />
dem Bewusstsein gestalten, dass jede Freundschaft<br />
Menschenwerk ist, Feindschaft auch. Nachbarschaft<br />
hingegen ist das Werk der Geschichte und der Versöhnung.<br />
So sollen und wollen wir die Notwendigkeit der<br />
Versöhnung unter den Nachbarn verstehen.
<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />
Was müssen die Religionen leisten?<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Ich möchte der Runde zwei Zitate voranstellen, die im<br />
Zusammenhang mit dem stehen, was wir bisher gehört<br />
haben – denn Religionen spielen <strong>eine</strong> Hauptrolle,<br />
wenn es um Frieden oder auch um Unfrieden geht.<br />
Das erste Zitat stammt von Franz Kamphaus, dem<br />
emeritierten Bischof von Limburg und es wurde am<br />
Weihnachtstag des vergangenen Jahres in der Frankfurter<br />
Allgem<strong>eine</strong>n Zeitung veröffentlicht. Es lautet:<br />
„<strong>Wie</strong> werden Religionen friedensfähig? Das ist <strong>eine</strong><br />
provozierende Frage. Sie sind es doch, so beteuern sie<br />
fortwährend. Dann müssten sie es also nicht erst werden.<br />
Aber die geschichtliche Wirklichkeit sieht anders<br />
aus. Der Dreißigjährige Krieg belegt es. Im Text des<br />
Friedensvertrages von Münster und Osnabrück erklären<br />
die Vertragsparteien, im Artikel 5, die Vertreter der Konfessionen<br />
zu den Hauptverantwortlichen für den Krieg.<br />
Der Weg zum Frieden ist ein langer Prozess. Er dauert<br />
bis <strong>heute</strong>, ihn haben die Religionen nicht immer schon<br />
hinter sich, er steht als Aufgabe vor ihnen.“<br />
Und das zweite Zitat stammt von Hans Küng und<br />
findet sich in <strong>eine</strong>m Buch, das er zusammen mit<br />
Walter Homolka geschrieben hat: „Weltethos aus den<br />
Quellen des Judentums“. Es heißt:<br />
„Juden, Christen und Muslime leben in der <strong>eine</strong>n Welt.<br />
Oft leben sie sogar in ein und demselben Land, in ein<br />
und derselben Stadt, nicht nur in Israel und in Jerusalem,<br />
auch in New York und London, Paris, Amsterdam<br />
und Berlin. Frieden zwischen den drei Religionen, die<br />
sich alle auf den <strong>eine</strong>n Gott Abrahams berufen, ist <strong>eine</strong><br />
Voraussetzung für Frieden in der Stadt, im Land, in<br />
der Welt. Frieden aber herrscht nur, wo <strong>man</strong> sich nicht<br />
gegenseitig hasst, beleidigt, bekämpft, sondern wo<br />
<strong>man</strong> miteinander redet und kommuniziert. Der Dialog<br />
zwischen den Religionen ist somit Voraussetzung für<br />
Versöhnung, Verständigung, Frieden.“<br />
Leider kann Pfarrer Mihail Rahr nicht dabei sein, der<br />
die Russisch-Orthodoxe Gemeinde in Weimar leitet, die<br />
einzige Orthodoxe Gemeinde in Thüringen. Er hat unserer<br />
Runde aber <strong>eine</strong> kurze Grußbotschaft geschickt,<br />
die vielleicht sogar ein Anfang wäre für uns alle.<br />
Er schreibt: „Alle Religionen müssen sich zuallererst<br />
auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen, nämlich nach<br />
der Erlangung des Seelenheils für ihre Anhänger,<br />
anstatt nach der Vorherrschaft für die jeweilige irdische<br />
Institution in dieser Welt zu streben. Nur unter dieser<br />
Voraussetzung können die jeweiligen religiösen Führer<br />
ihre Gläubigen dahingehend erziehen, dass diese im<br />
Andersdenkenden oder im nicht Gläubigen k<strong>eine</strong>n<br />
Feind erkennen, sondern ebenso ein Kind Gottes, <strong>eine</strong>n<br />
Bruder oder <strong>eine</strong> Schwester, der oder die mich nicht an<br />
der Erlangung der Seligkeit gemäß m<strong>eine</strong>r religiösen<br />
Überzeugung hindern kann.“<br />
Was halten Sie für die wichtigste Leistung der Religion,<br />
um <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zu ermöglichen?<br />
Propst Siegfried Kasparick<br />
1955 in Herzberg (Elster)<br />
geboren; Studium der<br />
Theologie in Berlin,<br />
Leipzig und Naumburg;<br />
Vikariat in Freyburg /<br />
U.; nach dem Studium<br />
Assistent und Ephorus<br />
am Sprachenkonvikt<br />
(Theologische Hochschule<br />
) in Berlin; ab<br />
1986 Pfarrer, später<br />
Superintendent in<br />
Osterburg/Altmark; ab<br />
1993 Direktor des Predigerseminars Brandenburg;<br />
seit 2002 Propst des Kurkreises Wittenberg; seit<br />
2004 stellv. Bischof der Kirchenprovinz Sachsen;<br />
seit 2009 Regionalbischof von Wittenberg in der<br />
Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland<br />
Kolakowski hat schon in den siebziger Jahren gesagt:<br />
Wir brauchen das Christentum, damit die Menschen<br />
sich nicht ständig selbst überschätzen. Ich glaube,<br />
diese aufklärerische Funktion des Glaubens ist <strong>eine</strong><br />
ganz wichtige Sache und historisch ganz oft verschüttet,<br />
durch viele Dinge, die wir im Zusammenhang des<br />
Dreißigjährigen Krieges oder auch anderen Zusammenhängen<br />
diskutieren können. M<strong>eine</strong> Hoffnung ist,<br />
dass es gelingt, auf die Wurzeln von Religion zurückzugehen<br />
und die Funktion von Religion wieder klarer<br />
in den Mittelpunkt zu stellen.<br />
Rabbiner Prof. Walter Homolka<br />
1964 in Landau geboren;<br />
Studium der Philosophie,<br />
Theologie und<br />
Judaistik in München,<br />
London, Lampeter und<br />
Leipzig; 1997 Ordination<br />
zum Rabbiner;<br />
Beruflicher Werdegang<br />
u.a. bei Bertels<strong>man</strong>n,<br />
Greenpeace, der<br />
Alfred-Herrhausen-<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für internationalen<br />
Dialog und<br />
der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank; seit 2002<br />
Rektor des Abraham Geiger Kollegs, des ersten<br />
Rabbinerseminars in Deutschland seit dem<br />
Holocaust; Honorarprofessor der Philosophischen<br />
Fakultät der Universität Potsdam; Gastprofessuren<br />
u.a. an der New York University und der<br />
katholischen Péter Pázmány Universität Budapest<br />
11
Es gibt in der jüdischen Tradition <strong>eine</strong> bemerkenswerte<br />
Einsicht. Da heißt es nämlich: Man soll <strong>eine</strong>r<br />
Gebotserfüllung nicht nachjagen, sondern sie dann<br />
tun, wenn sie sich ergibt. Nur beim Frieden ist das<br />
anders. Dem Frieden solle <strong>man</strong> nachjagen. Und ich<br />
frage mich, was das für das Judentum heißt? Hier ist<br />
mir die Einsicht sehr wichtig, dass das Judentum <strong>eine</strong><br />
Religion ist, die nicht missioniert, die nicht glaubt,<br />
den anderen überzeugen zu müssen von der Wahrheit<br />
der eigenen Einsicht. Und das ist ein guter Anfang<br />
Frieden zu halten. Das gilt auch dem Nichtgläubigen<br />
gegenüber. Die Lehre von den Noachidischen Geboten<br />
besagt, dass es für die Beurteilung des Anderen<br />
wichtig ist, wie er sich ethisch und moralisch verhält,<br />
und dass dafür der Glaube an Gott nicht erforderlich<br />
ist. Und das ist für mich der Schlüssel zur wirklichen<br />
Versöhnung, Brüderlichkeit und Geschwisterlichkeit.<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />
12<br />
1969 in Aachen geboren;<br />
Studium der<br />
Arabistik in Kairo;<br />
Studium der Philosophie,<br />
Ökonomie und<br />
Politischen Wissenschaften<br />
in Aachen,<br />
außerdem <strong>eine</strong> Reihe<br />
von Islamstudien; 1996<br />
Gründung der Internetpräsenz<br />
www.islam.<br />
de; 2000 Direktor des<br />
ersten Islampavillon<br />
auf <strong>eine</strong>r Expo-Weltausstellung; seit 1994 Mitglied<br />
der Vollversammlung des Zentralrates der Muslime<br />
in Deutschland; 2001 – 2004 hauptamtlicher<br />
Pressesprecher des Zentralrats; seit 2006 ist er<br />
dessen ehrenamtlicher Generalsekretär, seit 2010<br />
Vorsitzender des Zentralrates, arbeitet als freier<br />
Publizist und Medienberater<br />
Es gibt <strong>eine</strong>n interessanten Koranvers, da heißt es ungefähr:<br />
Wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch Christen,<br />
Juden, Muslime zu <strong>eine</strong>r einzigen Gemeinschaft<br />
gemacht. Aber er will euch prüfen. Das ist durchaus<br />
etwas, was an der Schöpfung im<strong>man</strong>ent ist, dass es<br />
verschiedene Rassen, Gruppen, Religionen gibt, und<br />
dass wir nicht zusammengekommen sind, um uns die<br />
Köpfe einzuschlagen, sondern wett zu eifern in guten<br />
Dingen, und dass wir allesamt zu Gott zurückgeführt<br />
werden und er uns offenbart, was wir da getan und<br />
da unterlassen haben. Und ich wünsche mir, dass wir<br />
Muslime diesen Vers noch mehr verinnerlichen und er<br />
uns dazu treibt, den Dialog mit unseren christlichen<br />
und jüdischen Freunden wesentlich gelassener zu führen.<br />
Das ist etwas, was mir der Koran auferlegt und ab<br />
und an ist es nötig, dass wir da mehr reinschauen und<br />
dann verstehen.<br />
Ordinariatsrat Winfried Weinrich<br />
1954 in Heiligenstadt geboren;<br />
Chemiestudium<br />
an der Friedrich-Schiller-Universität<br />
Jena;<br />
Arbeit als Chemiker; ab<br />
1980 Kirchlicher Dienst<br />
in der Gemeindepastoral;<br />
Theologiestudium<br />
am Philosophisch-<br />
Theologischen Studium<br />
Erfurt; 1987 – 1990<br />
Referent an der Studienstelle<br />
der Berliner<br />
Bischofskonferenz; 1991 Referent und seit 1992<br />
Leiter des Katholischen Büros Erfurt; 1995 Ernennung<br />
zum Ordinariatsrat im Bistum Erfurt<br />
Der Friedenskuss am Tor dieses Schlosses ist ja <strong>eine</strong><br />
bildhafte Darstellung des 85. Psalms und da heißt es<br />
im Vers 11: „Es begegnen einander Huld und Treue,<br />
Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“ So ja auf dem<br />
Bild auch erkennbar. Und ich fand diese Thematik und<br />
bildliche Einführung sehr schön, weil sie <strong>eine</strong>n ganz<br />
wichtigen Zusammenhang deutlich macht – nämlich<br />
den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden.<br />
Gerechtigkeit als <strong>eine</strong> Voraussetzung, um Frieden zu<br />
schaffen. Und diesen Ansatz aus dem Psalm halte ich<br />
für sehr wichtig. Nicht umsonst haben die deutschen<br />
Bischöfe 2000 <strong>eine</strong> friedensethische Schrift auf den<br />
Weg gebracht, unter dem Titel „Gerechter Friede“.<br />
Und ein grundsätzlicher Ansatz ist für mich natürlich<br />
die Bibel, das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe.<br />
Wenn wir diese Koordinate im Blick behalten,<br />
die Gottesliebe, aber auch die Nächstenliebe im Sinne<br />
der Bergpredigt leben, selig die k<strong>eine</strong> Gewalt anwenden,<br />
selig die Frieden stiften, dann sind wir miteinander<br />
auf <strong>eine</strong>m guten Weg.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
<strong>Wie</strong> weit leben wir das, was Sie uns hier auf<br />
den Weg mitgeben? <strong>Wie</strong> weit ist das Bestandteil<br />
unserer Lebenserfahrung? Und wenn wir finden, dass<br />
es da <strong>eine</strong> Diskrepanz gibt, was können und müssen<br />
dann die Religionen eigentlich tun, dass wir diesen<br />
klaffenden Unterschied zwischen unserer Realitätserfahrung<br />
und den Postulaten, dem was Sie uns sagen,<br />
zueinander bringen?<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />
Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir diese<br />
sogenannte klaffende Lücke zwischen Realität und<br />
dem, was wir unserer Religion vorgegeben haben,<br />
nicht künstlich übertreiben. Hätten wir diese klaffende<br />
Differenz zwischen dem, was die Theorie darstellt<br />
und dessen, was in der Praxis läuft, dann müssten wir<br />
in jeder Stadt und in unserer <strong>Gesellschaft</strong> Mord und<br />
Totschlag vorfinden.
Das tun wir nicht. Gott sei Dank. Und ich wehre mich,<br />
marktschreierisch ständig diese große Lücke darzustellen.<br />
Ich würde das gerne mal hinterfragen. Ist das<br />
denn so <strong>eine</strong> große Differenz?<br />
Siegfried Kasparick<br />
Ich stimme Herrn Mazyek im Großen und Ganzen<br />
zu. Ich würde allerdings die Nuance anders setzen.<br />
Ich glaube, das ist nicht der Unterschied zwischen<br />
Realität und Theorie, sondern <strong>man</strong> kann zwei ganz<br />
unterschiedliche Geschichten erzählen und diese<br />
unterschiedlichen Geschichten müssen auch wahrgenommen<br />
werden. Man kann im Christentum die<br />
Geschichte der Milites Christi, also der Soldaten<br />
Christi erzählen. Das sind am Anfang die Märtyrer,<br />
die in den Tod gegangen sind, weil sie im Römischen<br />
Reich den Militärdienst verweigert haben. Man kann<br />
aber auch die andere Geschichte erzählen, dass die<br />
Milites Christi der Fachausdruck für die Kreuzritter<br />
waren. Und <strong>man</strong> kann die Geschichte erzählen,<br />
was die Christen den Juden angetan haben, was die<br />
Christen den Muslimen angetan haben. Man kann<br />
beides erzählen, darf aber auch nicht einfach sagen:<br />
Die Geschichte des Christentums ist <strong>eine</strong> Geschichte<br />
des Verbrechens. Wir müssen genau schauen, wo<br />
die Geschichte des Christentums <strong>eine</strong> ganz problematische<br />
Geschichte wird, weil die Religion plötzlich<br />
missbraucht wird für Machtzwecke und weil Religion<br />
sich auch missbrauchen lässt.<br />
Walter Homolka<br />
Ich finde ja schon gut, dass überhaupt Einigkeit<br />
darüber herrscht, dass Religionen Fantasien für<br />
den Frieden entwickeln und damit auf der Seite des<br />
Friedens sind. Von Hans Küng lernen wir, dass ohne<br />
Religionsfriede auch kein Weltfriede möglich ist. Das<br />
heißt, wir sollten uns um diesen Frieden zwischen den<br />
Religionen bemühen. Und da gibt es natürlich diese<br />
Kluft, die ich auf die <strong>man</strong>gelnde Kenntnis voneinander<br />
zurückführe, weil Menschen nicht friedlich miteinander<br />
umgehen. Wichtig ist, um im Frieden weiterzukommen,<br />
Versöhnungsarbeit zu leisten. Unsere<br />
jüdische Tradition weist uns immer wieder darauf hin,<br />
in uns selbst Momente des Hasses aufzuspüren und<br />
zu tilgen. Und diese Intention ist die Brücke über die<br />
Kluft, von der Sie gesprochen haben.<br />
Winfried Weinrich<br />
Ich möchte gern noch einmal auf die Frage eingehen,<br />
was Religionen denn für ein <strong>friedliche</strong>s Miteinander<br />
leisten müssen. Etwas Grundsätzliches ist die Erfahrung<br />
der Religionen, dass die Verbindung von Religion<br />
und Staat nicht zum Wohle der Gemeinschaft beigetragen<br />
hat. Ich halte es für sehr wichtig, dass Religionen<br />
nicht selbst Politik machen, sondern, dass sie vielleicht<br />
Politik ermöglichen, Menschen befähigen in die Politik<br />
zu gehen und sie begleiten. Und die Religionsfreiheit<br />
entbindet den Staat auch davon, die Religion für<br />
irgendwelche Legitimationszwecke zu missbrauchen.<br />
Und umgekehrt, dass <strong>eine</strong> Religion den Staat nicht zur<br />
institutionellen Stützung missbraucht. Dies ist <strong>eine</strong><br />
Grundvoraussetzung für den Dialog der Religionen im<br />
21. Jahrhundert und damit auch für den Frieden.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Ich will noch einmal auf die Neujahrspredigt von Margot<br />
Käß<strong>man</strong>n zurückkommen, mit diesem sich wiederholenden<br />
Urteil, dass nichts gut ist. Das hat sie ja<br />
nicht nur in Bezug auf Afghanistan und die Kriegssituation,<br />
sondern auch in Bezug auf die Armut der Kinder<br />
und das Zusammenleben in unserem Land gesagt.<br />
<strong>Wie</strong> sehen Sie den augenblicklichen Zustand der bundesrepublikanischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> – widmet sie sich<br />
der Friedlichkeit oder eher nicht?<br />
Walter Homolka<br />
Bei mir stellt sich das Gefühl <strong>eine</strong>r friedvollen <strong>Gesellschaft</strong><br />
jetzt weniger ein, als vielleicht vor 20 Jahren.<br />
Das liegt daran, dass diese <strong>Gesellschaft</strong> von <strong>eine</strong>r<br />
Vielzahl von Spannungen durchzogen ist – sozialer<br />
Art, aber auch von dem Gefühl <strong>eine</strong>r Unsicherheit, ob<br />
wir beispielsweise die Fragen der Finanzkrise überhaupt<br />
bewältigen können. Diese Unsicherheit, die<br />
Frage, wie es weitergeht, wird sicherlich auch dazu<br />
führen, dass es nicht so friedvoll zugehen wird, und<br />
dass die Verteidigungskämpfe größer werden.<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />
Ich habe hier nicht Friede, Freude, Eierkuchen gepredigt,<br />
sondern ich habe nur davor gewarnt, dass die<br />
Zuschreibung Religion gleich im<strong>man</strong>ent gewaltaffin ist.<br />
Dann müssten wir überall Mord- und Totschlag vorfinden.<br />
Das tun wir aber nicht. Also zeigt uns doch die<br />
Realität ein wesentlich differenzierteres Bild. Und ich<br />
werbe für diese Differenziertheit. Ich werbe dafür, dass<br />
wir uns ein stückweit von der Dialektik verabschieden<br />
– beispielsweise: Je weiter wir die Religion zurückdrängen,<br />
desto mehr Möglichkeiten und Friedensfantasien<br />
würden sich einstellen. Jede Religion hat ihre<br />
Verantwortung und wir müssen den Blick schärfen.<br />
Es ist eben von der Politisierung der Religion gesprochen<br />
worden. Dagegen müssen sich Religionsvertreter<br />
entschiedener wehren. Oder auch umgekehrt, dass<br />
die Religionsvertreter weder Selbstpolitisierung ihrer<br />
Religion, noch Missbrauch vornehmen.<br />
Ich spreche in diesem Zusammenhang auch von der<br />
Ideologisierung der Religionen. Das 20. Jahrhundert<br />
war ein Jahrhundert der Ideologien. Wir hatten Kommunismus,<br />
wir hatten Stalinismus und wir hatten –<br />
oder haben bis <strong>heute</strong> – aggressive Formen von Kapitalismus.<br />
Das sind auch Ideologien, die mitunter Krieg,<br />
Mord und Totschlag für die Welt gebracht haben. Und<br />
wo sich Religionen leider nicht e<strong>man</strong>zipiert und dem<br />
entzogen haben, sondern zum Teil ihrerseits ideologische<br />
Antworten gegeben haben. Das war nicht<br />
gut. Beispielsweise der Islamismus. Das ist für mich<br />
<strong>eine</strong> Form der Ideologie, der Pervertierung m<strong>eine</strong>r<br />
eigenen Religion im Kontext dieser Ideologisierungen.<br />
Da müssen wir genauer hinschauen. Was sagt die<br />
Religion, was tut das Gros der Muslime, der Christen,<br />
der Juden? Und was tun einige und wie funktioniert<br />
dieser Missbrauch? Die ständigen monokausalen<br />
Zuschreibungen sind nicht immer gut. Auch wenn ich<br />
mich vielleicht an dieser Stelle ein stückweit unbeliebt<br />
mache, dann tue ich das. Geht es uns besser, wenn<br />
13
wir diesen Moment von intimer Gläubigkeit, von Religiosität<br />
weiter zurückdrängen? Ist die <strong>Gesellschaft</strong> dem<br />
Frieden dann näher? Ich behaupte, dass das <strong>eine</strong> sehr<br />
gewagte Hypothese ist.<br />
Siegfried Kasparick<br />
Ich will das noch einmal von der anderen Seite her<br />
unterstreichen. Ich denke, der christliche Glaube hat<br />
immer kritisch und selbstkritisch zu sein, indem er<br />
zum Beispiel kulturkritisch und religionskritisch ist.<br />
Der Glaube selber ist ja auch religionskritisch, indem<br />
er guckt, wie weit das religiöse Geschäft ein Geschäft<br />
ist, wo sich die Leute nur noch mit sich selber<br />
beschäftigen, wo die Welt aus dem Blick gerät. Und<br />
da müssen wir schauen, was in dieser <strong>Gesellschaft</strong><br />
passiert, welche Kultur oktroyiert wird, was eigentlich<br />
die Götter sind, die jetzt das Sagen haben. Ob uns<br />
beispielsweise der Börsengott freundlich gesonnen ist<br />
oder nicht.<br />
Zu DDR-Zeiten haben wir beim konziliaren Prozess als<br />
Kirche klare Worte zur Verantwortung der Kirche für<br />
die Armen gefunden und haben uns selber als <strong>eine</strong><br />
reiche Kirche bezeichnet, die auf der falschen Seite<br />
steht. Diese Töne sind in der Kirche sehr leise geworden,<br />
weil natürlich die Frage besteht: Wo steht denn<br />
die Kirche eigentlich, mehr auf der Seite der Armen<br />
oder der Reichen?<br />
Ich will aber <strong>eine</strong> zweite Sache nicht vergessen: Ich<br />
halte den Satz von Margot Käß<strong>man</strong>n für falsch, auch<br />
theologisch. Es gibt k<strong>eine</strong> Situation auf der Welt, von<br />
der <strong>man</strong> sagen kann, sie ist einfach nicht gut. Denn<br />
wenn <strong>man</strong> von Gott ausgeht und an ihn glaubt, ist in<br />
jeder Situation Hoffnung und die Herausforderung,<br />
etwas gegen diese Situation zu machen.<br />
Walter Homolka<br />
Das stimmt schon. Nur das Interessante an Margot<br />
Käß<strong>man</strong>ns Predigt war, dass sie versucht hat, uns<br />
wachzurütteln, zu sagen, es müsste besser sein. Aber<br />
es ist eben nicht gut und das führt auf die Frage:<br />
Brauchen wir weniger Religion, damit der Friede<br />
kommt oder brauchen wir nicht eher mehr Religion,<br />
mehr Fantasie für den Frieden, auch aus Sicht der<br />
Religion? Ich glaube, wir müssen als Religion diese<br />
Fantasie stärker in die <strong>Gesellschaft</strong> einbringen. Wir<br />
dürfen nicht damit zufrieden sein, zu sagen: Ja, es<br />
gibt die Trennung von Staat und Kirche, so säkularisiert<br />
sich die <strong>Gesellschaft</strong> und dann ziehen wir uns<br />
zurück. Ich bin insofern für <strong>eine</strong> Politisierung, als ich<br />
hoffe, dass sich Menschen, die aus dem Judentum,<br />
aus dem Christentum, aus dem Islam geprägt sind, in<br />
die Politik einmischen und dann auch solche Boten,<br />
wie die von Margot Käß<strong>man</strong>n, aufnehmen und sagen:<br />
Es reicht mir nicht, wie wir handeln. Wir müssten<br />
eigentlich sehr viel mehr tun, damit hier auf Erden<br />
Friede wird.<br />
Winfried Weinrich<br />
Ich darf Herrn Fried<strong>man</strong> mal aufgreifen – er hat mir<br />
schon zugerufen, dass es <strong>eine</strong> Trennung zwischen<br />
Staat und Kirche nicht gibt.<br />
14<br />
Ich glaube, dass <strong>eine</strong> Kooperation zwischen Religion<br />
und der <strong>Gesellschaft</strong>, dem Staat sinnvoll ist. Beide<br />
haben den gleichen Menschen vor sich, beide dienen<br />
in Eigenständigkeit, mit eigenem Auftrag dem gleichen<br />
Menschen. Ich halte dieses Modell, das wir in<br />
Deutschland haben, für tragfähig und sinnvoll. Dieses<br />
Modell ermöglicht übrigens nicht nur den Kirchen,<br />
sondern auch jeder Religionsgemeinschaft soziale<br />
Einrichtungen zu betreiben – zum Beispiel die zentrale<br />
Wohlfahrtsstelle der Juden.<br />
Noch einmal zur Frage der Situation in Deutschland<br />
– dann übergebe ich gerne an Herrn Fried<strong>man</strong>. Ich<br />
halte es für wichtig, dass auch Religionen politische<br />
Angelegenheiten <strong>eine</strong>r Beurteilung unterziehen. Und<br />
zwar dann, wenn es die Grundrechte der menschlichen<br />
Person verlangen. Und das bedeutet, dass<br />
Religionen zu bioethischen Fragen, zu sozialethischen<br />
Fragen und auch zu friedensethischen Fragen Stellung<br />
nehmen. Ob wir das immer gut und richtig machen,<br />
das sei dahingestellt. Aber diesem Anspruch sollten<br />
wir uns stellen.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Die erste Frage: Warum wird hier geheuchelt? Wenn<br />
behauptet wird, es gäbe <strong>eine</strong> Trennung zwischen<br />
Staat und Religion, so ist das sachlich falsch. Wir haben<br />
in Deutschland, anders als in allen europäischen<br />
traditionellen Ländern, nach wie vor <strong>eine</strong> enge Beziehung<br />
zwischen Staat und Religion, die sich formal<br />
beispielsweise durch das Recht des Staates darstellt,<br />
für die Religionsgemeinschaften Steuern einzuziehen.<br />
Und <strong>eine</strong> Gleichberechtigung findet übrigens nicht<br />
statt, weil die Muslime dieses Privileg nicht haben,<br />
anders als Juden und Christen. Das heißt, wir haben<br />
in Deutschland bereits <strong>eine</strong> Zwei-Klassen-<strong>Gesellschaft</strong><br />
der Religion. Dies zu rechtfertigen und zu erklären<br />
ist immer auch politisch und machtpolitisch, solange<br />
<strong>man</strong> vom christlichen Abendland und s<strong>eine</strong>r Kultur<br />
spricht. Wenn Sie so friedenspolitisch als Religion<br />
sind, stellt sich für mich die Frage der Gleichberechtigung<br />
dieser drei Weltreligionen. Wann kämpfen Sie<br />
dafür, dass die Muslime wie die Christen und Juden<br />
als monotheistische Weltreligion anerkannt werden in<br />
Deutschland – mit den Privilegien, die Sie sich in den<br />
Jahrhunderten erkämpft haben?<br />
Zweite Bemerkung: Wenn sich Religionen in Politik<br />
einmischen, habe ich aus <strong>eine</strong>r ganz demokratischen<br />
Sicht ein Problem. Jeder Bürger, der sich einmischt,<br />
spricht in der Ich-Form, in der Konkurrenz zum Ich.<br />
Gruppen und Parteien müssen sich legimitieren lassen<br />
in die Demokratie. Sobald sich Religionsvertreter<br />
einmischen, legitimeren sie sich aus Gott, Glauben<br />
und Vertrauen. Ehrlich gesagt, sollte <strong>eine</strong> Religion, die<br />
k<strong>eine</strong> Autoritätsdiskussionen führen will, was Gott ist<br />
und nicht, sehr vorsichtig sein, wenn sie mit der geliehenen<br />
Autorität dieses nicht angesprochenen Gottes<br />
der politischen Alltagswelt auf die Nerven geht.<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />
Herr Fried<strong>man</strong> hat durchaus auf <strong>eine</strong>n wunden Punkt<br />
hingewiesen. Wir Muslime klopfen gerade an den
Toren an und möchten, im Kontext der Gleichberechtigung<br />
und Gleichbehandlung, an diesen Privilegien teilhaben.<br />
Oder die <strong>Gesellschaft</strong> muss das ganze Konzept<br />
infrage stellen und ändern. Zurzeit wird auf unserem<br />
Rücken dieses Thema ausgetragen und wir verwahren<br />
uns davor. Wenn es in der <strong>Gesellschaft</strong> rumort, und<br />
das spüren wir momentan unglaublich stark, dann<br />
übergebe ich das auf die Allgemeinplätze – lasst es<br />
nicht allein auf den Schultern der Muslime. Das finde<br />
ich unfair und geheuchelt.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Ich möchte, dass wir das Thema Frieden für die<br />
<strong>Gesellschaft</strong> dabei nicht aus unseren Augen verlieren.<br />
Es kann ja sein, dass wir zu dem Punkt kommen, dass<br />
als Voraussetzung für <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, alle<br />
Religionen gleichermaßen anerkannt sein müssen.<br />
Walter Homolka<br />
Vielleicht kann <strong>man</strong> ja sagen: Wenn sich unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />
Religion schon leistet, dann haben wir auch<br />
die Pflicht und das Recht am Frieden mitzuwirken.<br />
Dazu gehört natürlich auch die Gleichberechtigung<br />
zwischen uns, aber <strong>man</strong> muss auch deutlich machen,<br />
wo Religionen stehen.<br />
Siegfried Kasparick<br />
Mit der Art Ihres Einwurfs (Red.: zu Michel Fried<strong>man</strong>)<br />
sind wir genau bei dem Thema: Bekommen wir <strong>eine</strong><br />
<strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, wenn wir weiter so agieren<br />
und uns ständig Plakate um die Ohren schmeißen?<br />
Die Frage, wie gleichberechtigt Muslime, Juden und<br />
Christen eigentlich in <strong>eine</strong>m Land sind, ist für mich<br />
<strong>eine</strong> ganz fundamentale. Die muss gestellt werden.<br />
Wir müssen aber auch die andere Sache fragen:<br />
Inwieweit helfen die überkommenen Formen, in der<br />
Kirche organisiert ist, ihren Dienst für die <strong>Gesellschaft</strong><br />
zu tun? Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die große<br />
Hilfe darin besteht, dass alle drei Religionen jetzt<br />
dieselben Privilegien bekommen wie die Kirche. Oder<br />
müsste <strong>man</strong> nicht umgekehrt fragen und umsteuern?<br />
Diese Diskussion läuft doch, die gibt es doch auch in<br />
den Kirchen, <strong>man</strong> fragt, ob die Kirchensteuer noch<br />
das System für die Zukunft ist. Wir müssen überlegen,<br />
wie wir miteinander <strong>eine</strong> Lösung finden. Und ein letztes<br />
Wort: Ich würde nicht sagen, dass wir nur das und<br />
das machen müssen, und dann haben wir Frieden.<br />
Sondern das ist <strong>eine</strong> ständige Herausforderung, die<br />
unter anderen Umständen immer wieder <strong>eine</strong> neue<br />
Herausforderung ist.<br />
Winfried Weinrich<br />
Es gibt ganz deutliche Signale, dass seitens unserer<br />
Kirche die Möglichkeiten des Zugangs zu den Schulen,<br />
des islamischen Religionsunterrichts, der Ausbildung<br />
von Religionslehrern öffentlich formuliert werden.<br />
Dahinter stehen wir und wir müssen auf Augenhöhe<br />
kommunizieren.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Es gibt für mich zwei Fragen: Ist die Säkularisierung<br />
der <strong>Gesellschaft</strong> eigentlich <strong>eine</strong> Garantie für Frieden?<br />
Oder ist es der andere Weg, dass die Fantasien für<br />
den Frieden, die sich in den Religionen befinden, in<br />
die <strong>Gesellschaft</strong> eingebracht werden müssen?<br />
Siegfried Kasparick<br />
Ich halte Religion für unverzichtbar für <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong>,<br />
weil die Unterscheidung von Gott und Mensch<br />
ganz fundamental und wichtig ist, um gesellschaftlich<br />
gut agieren zu können – weil Menschen ständig in der<br />
Gefahr sind, sich selbst zu überschätzen.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Die Religionen sind unverzichtbar. Erwarten wir<br />
deshalb zu viel von den Religionen und leisten sie zu<br />
wenig heutzutage?<br />
Siegfried Kasparick<br />
Die leisten immer zu wenig. Da müssen wir immer<br />
noch mehr tun.<br />
Winfried Weinrich<br />
Ich beobachte seit einigen Jahren Tendenzen der <strong>Wie</strong>derkehr<br />
von Religion. Sicher nicht gebunden an die<br />
Institutionen, an die Religionsgemeinschaften. Aber<br />
es gibt <strong>eine</strong> ganze Reihe von Ansätzen, wo Menschen<br />
nach <strong>eine</strong>m transzendenten Sinn und Gott fragen.<br />
Es ist <strong>eine</strong> Herausforderung, auch für die Religionsgemeinschaften,<br />
damit umzugehen. Ich sehe nicht<br />
schwarz für die Zukunft, sondern ich glaube, dass uns<br />
der gemeinsame Gott schon durch die Zeit führt.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Das ist ja nicht die Frage. Die Frage ist, ob wir<br />
erwarten, dass die Religionen etwas zum <strong>friedliche</strong>n<br />
Zusammenleben beitragen.<br />
Winfried Weinrich<br />
Dann sage ich doch mal etwas konkret zum Thema<br />
Auseinandersetzung in Gewaltfragen. Wer hat dem<br />
Präsidenten Bush sehr stark entgegengehalten, als<br />
der in den Irakkrieg eingezogen ist? Das war Johannes<br />
Paul II., der gesagt hat: Mittel des Krieges müssen<br />
die Ultima Ratio sein – alle anderen Möglichkeiten<br />
müssen erst geprüft sein. Da haben Religionen etwas<br />
in friedensethische Diskussionen einzubringen.<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />
Die Öffentlichkeit darf und soll Religionen einfordern,<br />
was friedensbringende Mittel und ihre friedenspolitische<br />
Verantwortung angeht. Ich werbe dafür,<br />
dass <strong>man</strong> nicht stets Religion als vorgeschobene<br />
Begründung für Krieg und Totschlag nimmt, sondern<br />
differenziert. Wo triftet die Religion in Ideologie, Hass<br />
oder in Hasstiraden ab. Wir hatten vor zwei Tagen<br />
<strong>eine</strong>n schlimmen Fall, wo muslimische Jugendliche auf<br />
<strong>eine</strong>m jüdischen Fest in Hannover St<strong>eine</strong> geworfen<br />
haben – das haben wir in aller Form verabscheut und<br />
gebrandmarkt . Trotzdem müssen wir genauer hinschauen.<br />
Ist die politische und religiöse Aufbauschung<br />
dieses Themas gut? Handeln diese Jugendlichen denn<br />
nach ihrem Islam? Selbstverständlich nicht. Der Islam<br />
sagt ganz klar, dass Rassismus, Antisemitismus, Hass<br />
k<strong>eine</strong>n Platz haben. Trotzdem haben sie so gehandelt.<br />
Also lasst uns diese Diskrepanz beschreiben und<br />
15
versuchen, bildungspolitisch und religionsaufklärend<br />
an sie heranzugehen.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Was ist mit dem Dschihad, dem Aufruf zum Krieg?<br />
Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />
Natürlich gibt es Menschen, die zum Dschihad aufrufen<br />
und den entsprechend missbrauchen. Aber das ist<br />
nicht mein Verständnis. Ich verstehe mich als <strong>eine</strong>n<br />
der Dschihad macht und zu erklären versucht, was<br />
ich als Moslem unter Krieg und Frieden verstehe. Das<br />
ist für mich das Verständnis von Dschihad. Übrigens<br />
heißt das übersetzt, sich auf dem Wege Gottes<br />
anstrengen, und nicht Krieg machen oder so. Wir<br />
brauchen Mut zur Differenzierung. Nicht überall wo<br />
Islam drauf steht, muss Islam drin sein.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Also Mut zur Differenzierung. Noch einmal: Welche<br />
Fantasien für den Frieden müssen seitens der Religion<br />
in unsere <strong>Gesellschaft</strong> eingebracht werden, um sie<br />
<strong>friedliche</strong>r zu machen?<br />
Siegfried Kasparick<br />
Ich will an <strong>eine</strong>r Art von Fantasie festhalten, wie<br />
wir sie schon lange Zeit praktizieren. Es wird ja so<br />
getan, als passiert auf dem Feld gar nichts. Aktion<br />
Sühnezeichen nach dem Krieg, die Schere von Arm<br />
und Reich, die Sozialfrage – das sind Themen, wo<br />
Kirchen engagiert sind, wo sie etwas tun. Da habe ich<br />
ganz viel Fantasie, dass wir das verstärken, gerade<br />
auch in Bildungsfragen. Und zwar selbstkritisch, denn<br />
Fundamentalismen kommen immer aus Unbildung.<br />
16<br />
Und gerade junge Konvertiten sind immer gefährdet<br />
Kriegstreiber zu sein. In allen Religionen. Ich halte<br />
die christliche Kirche, wie die anderen Religionen, für<br />
unverzichtbar auf diesem Weg.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Wäre Friedenserziehung als Fach in der Schule etwas,<br />
was in diesem Bereich helfen könnte?<br />
Siegfried Kasparick<br />
Ich bin kein Freund von Sonderfächern. Frieden ist<br />
ein Thema, was sich durch alle Fächer ziehen und<br />
nachweislich unterrichtet werden muss. Es sollte sich<br />
als Grundthema an Schulen durchziehen.<br />
Winfried Weinrich<br />
Ich hatte Mitte der neunziger Jahre der Thüringer Landesregierung<br />
<strong>eine</strong>n Thüringer Schüler-Friedenspreis<br />
vorgeschlagen – der wurde ein paar Jahre verliehen<br />
und ist leider eingeschlafen. Das war ein sehr wichtiger<br />
Impuls, auch für die Schulen. Es wäre ein Vorschlag,<br />
den wieder aufzugreifen.<br />
Walter Homolka<br />
Mein Fazit aus dieser Diskussion ist, dass <strong>man</strong> den<br />
Begriff Fantasie für den Frieden vielleicht etwas<br />
anders fassen muss. Mir geht es eigentlich um die<br />
Nüchternheit, dass Friede ein immer wieder zu erkämpfendes<br />
Thema ist. Wir müssen an der Schule und<br />
auch sonst überall beobachten, ob wir in Richtung<br />
Frieden gehen. Das ist harte Arbeit. Insofern ist nicht<br />
nur Fantasie gefragt, sondern Nüchternheit für diesen<br />
Weg des Friedens.
<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />
Was muss das Recht garantieren?<br />
Hans-Ernst Böttcher<br />
1944 in Zwönitz/Sachsen<br />
geboren; Studium<br />
(Jura, Soziologie und<br />
frz. Sprache) in Kiel, Tübingen<br />
und Rennes; 1971<br />
Erste Staatsprüfung in<br />
Schleswig, anschließend<br />
Referendarzeit in<br />
Schleswig-Holstein und<br />
Bremen; 1974 Große<br />
Juristische Staatsprüfung<br />
in Hamburg; 1980 –<br />
1983 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht; 1974<br />
– 1991 Richter am Amtsgericht und Hanseatischen<br />
Oberlandesgericht in Bremen; 1979 – 1991 stellv.<br />
Mitglied des Bremischen Staatsgerichtshofes; 1985<br />
Mitgründer der Europäischen Richtervereinigung<br />
MEDEL; 1998 Mitgründer und Vorstandsmitglied des<br />
„Forum Justizgeschichte“; 1991 – November 2009<br />
Präsident des Landgerichts Lübeck<br />
Es ist ein großes Positivum, dass das Recht hier mit<br />
aufgenommen worden ist, wenn es um Frieden und<br />
Kultur geht.<br />
Heinrich Böll hat einmal in <strong>eine</strong>m Gespräch mit dem<br />
Juristen und Publizisten Rudolf Gerhardt interessante<br />
Dinge zum Verhältnis Recht und Kultur gesagt. Und<br />
Rudolf Gerhardt hat ihn gefragt:<br />
Sie haben einmal in Ihrer berühmten und umstrittenen<br />
Wuppertaler Rede gesagt, Sie (Böll) brauchen den<br />
Staat dafür, dass er für Beleuchtung sorgt, wenn Sie<br />
nach Hause gehen, und dass er sozusagen äußere<br />
Daseinsvorsorge und Einrichtungen <strong>schafft</strong> – sehr<br />
verkürzt gesagt. Die Justiz haben Sie aber auch<br />
gebraucht. Halten Sie die Justiz also für solch <strong>eine</strong><br />
Einrichtung oder wie sehen Sie den Stellenwert der<br />
Justiz in dieser Daseinsvorsorge?<br />
Daraufhin Böll: Die habe ich in dem Zusammenhang<br />
nicht genannt, weil ich zu viel Respekt davor habe. Ich<br />
glaube, dass Rechtskultur wichtiger ist als das, was<br />
<strong>man</strong> üblicherweise Kultur nennt, was so im Feuilleton<br />
passiert: Theater, Literatur, Schauspiel, Film.<br />
Weil das, was im Feuilleton passiert, für sehr wenige<br />
Menschen wichtig ist. Das Recht, die Entwicklung des<br />
Rechts, die Tatsache, dass wir – nicht nur theoretisch,<br />
sondern in den meisten Fällen – alle vor dem Gesetz<br />
gleich sind, ist für die meisten Menschen viel wichtiger.<br />
Ich halte also das Recht für <strong>eine</strong>, wenn nicht die<br />
wichtigste Errungenschaft der menschlichen Kultur.<br />
Da sind wir beim Frieden. Die Rechtsordnung ist <strong>eine</strong><br />
Friedensordnung. Überhaupt <strong>eine</strong> Rechtsordnung zu<br />
haben, ist vielleicht das absolute Gegenteil <strong>eine</strong>r Ordnung,<br />
die eigentlich k<strong>eine</strong> Ordnung ist, sondern nur<br />
ein Austragen von Herrschaftsinteressen, die durch<br />
Krieg gekennzeichnet ist.<br />
Also, wenn wir über Frieden reden, wenn wir über<br />
Kultur reden, dann müssen wir über Recht reden. Das<br />
meiste, glaube ich nach wie vor, spielt sich auf der<br />
nationalen Ebene ab. Es ist ja immer die Rede davon,<br />
dass alles globalisiert ist und sich alles im Weltmaßstab<br />
abspielt – ohne große Rolle des Nationalen.<br />
Könntest du vielleicht etwas zu diesem Thema sagen,<br />
welche Rolle das Recht auf der internationalen Ebene<br />
spielt.<br />
Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />
1938 in Bremerhaven<br />
geboren; Studium der<br />
Geschichte und des<br />
Rechts an den Universitäten<br />
Tübingen,<br />
München, Paris und<br />
Hamburg; Dissertation<br />
über ein Thema im<br />
Bereich Arbeits- und<br />
Öffentliches Recht;<br />
Zusatzstudium am<br />
Deutschen Institut für<br />
Entwicklungspolitik<br />
Berlin; 1968 – 1972 im Bundesministerium für Wirtschaftliche<br />
Entwicklung in Bonn tätig; 1972 – 1974<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle<br />
der Vereinigung deutscher Wissenschaftler<br />
(VDW) in Hamburg; 1975 – 1982 Professor für Politische<br />
Wissenschaft an der Einstufigen Juristenausbildung<br />
der Universität Hamburg; 1982 – 2003<br />
Professor für öffentliches Recht an der Hochschule<br />
für Wirtschaft und Politik in Hamburg; 2005 –<br />
2009 Außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE<br />
LINKE im Deutschen Bundestag<br />
Ich will das ergänzen, was Böll gesagt hat. Wer über<br />
Frieden redet, darf nicht nur vom Recht nicht schweigen,<br />
sondern auch über den Krieg nicht schweigen.<br />
Dies ist immer auch Problem des Rechts gewesen.<br />
Krieg ist nicht nur Nationales. Es gibt <strong>eine</strong>n inneren<br />
Krieg, <strong>eine</strong>n sozialen Krieg, <strong>eine</strong> Auseinandersetzung,<br />
<strong>eine</strong>n Klassenkampf. Das Recht ist dazu da,<br />
die sozialen Auseinandersetzungen zu befrieden.<br />
Genauso im Internationalen. Und wenn wir uns in<br />
die Geschichte einmal zurückdenken, so waren alle<br />
Ansätze rechtlicher Regelung dem Ziel gewidmet, den<br />
Frieden zwischen den Völkern herzustellen, den Krieg<br />
einzudämmen. Das ist bis <strong>heute</strong> noch nicht gelungen.<br />
Aber das internationale Recht versteht sich in allen<br />
Bereichen als ein Friedensrecht. Man kann sagen,<br />
90% aller internationalen Beziehungen werden <strong>heute</strong><br />
relativ friedlich begangen, nur darüber wird nicht<br />
berichtet. Es wird berichtet, wo etwas explodiert, wo<br />
es nicht klappt.<br />
17
Ich will den Ball auch schon zurückgeben und an<br />
<strong>eine</strong>s erinnern, was mir dabei immer einfällt. In unserem<br />
Fraktionssaal im Bundestag hängt ein wunderbarer<br />
Spruch von Rousseau an der Wand und der<br />
heißt: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken<br />
ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz,<br />
das befreit.“ Ich glaube, diesen Satz würde Herr<br />
Westerwelle nie in s<strong>eine</strong>m Fraktionssaal aufhängen.<br />
Angesichts der Spaltung zwischen Reich und Arm,<br />
die immer weitergeht und die kein Naturprozess ist,<br />
sondern ein gesetzlich herbeigeführter Prozess, ist<br />
die Frage, ob solch ein Satz eigentlich noch stimmt.<br />
Ist das Gesetz eigentlich auch im Inneren, im sozialen<br />
Bereich ein solcher Friedensstifter, wie das Rousseau<br />
noch erhoffte?<br />
Hans-Ernst Böttcher<br />
Auf die Frage des sozialen Friedens kommen wir<br />
vielleicht auch noch zurück. Ich freue und wundere<br />
mich zugleich, dass du das Völkerrecht so gepriesen<br />
hast. Das ist in der Tat ein großer Fortschritt und es<br />
ist wichtig, das zu verbreiten. Es könnte vielleicht<br />
sein, dass zweierlei Dinge zu dem Ganzen noch<br />
fehlen: Eine allseits konsensierte Weltgesellschaft<br />
mit <strong>eine</strong>r legitimierten Exekutive, weil das bisher nur<br />
rudimentär ausgestaltet ist, und <strong>eine</strong> Gerichtsbarkeit<br />
auf Weltebene, die auch verbindlich und akzeptiert ist<br />
und die möglicherweise auch mit <strong>friedliche</strong>n Mitteln<br />
sanktionieren kann. Die Bedeutung der nationalen<br />
Rechtsebene liegt nach wie vor darin, dass es nicht<br />
nur die Gesetzgebung in ihrer freiheitssichernden<br />
Wirkung gibt, sondern auch <strong>eine</strong> Gerichtsbarkeit, die<br />
für die Durchsetzung sorgen kann. Naturgemäß nicht<br />
immer mit Ergebnissen die gefallen, aber immerhin.<br />
Ich will das mal kurz in den Zusammenhang stellen.<br />
Man kann natürlich in der Bundesrepublik Deutschland<br />
immer sagen, dass das Recht <strong>eine</strong> Doppelnatur<br />
hat. Es ist <strong>eine</strong>rseits ein Herrschaftsinstrument und<br />
andererseits dient es dem Schutz des Individuums.<br />
Hier hat das Grundgesetz nun das Kunststück fertig<br />
gebracht, dass die Grundrechte für unmittelbar<br />
geltendes Recht erklärt werden, die den Staat binden.<br />
Das war vorher anders. Da standen nicht die Grundrechte<br />
vorn, die Rechte des Bürgers gegenüber dem<br />
Staat, sondern die Staatsraison. Nun stehen die<br />
Grundrechte vorne an, sind einklagbares Recht und<br />
Gerichte haben dafür zu sorgen, dass sie gewahrt<br />
werden.<br />
Und auch die Geschichte des Bundesverfassungsgerichts<br />
ist <strong>eine</strong> Geschichte, die die allmähliche und<br />
mühsame Durchsetzung der Grundrechte gegen<br />
autoritäres deutsches Denken zeigt. Das hat vielleicht<br />
auch damit zu tun, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
mit Emigranten und Leuten aus dem Widerstand<br />
besetzt war, während der Bundesgerichtshof, wie es<br />
mal der Rechtssoziologe Theo Rasehorn gesagt hat,<br />
„<strong>eine</strong> Traditionskompanie des Reichsgerichts war, die<br />
doch mehr diesen alten Geist repräsentierte.“<br />
Das alles ist die heutige Rechtsordnung der Bundesrepublik<br />
und nun möchte ich noch <strong>eine</strong>n Gedan-<br />
18<br />
ken sagen: Ob <strong>eine</strong> Realverfassung existiert, in der<br />
die Grundrechte verwirklicht werden, <strong>man</strong>ifestiert<br />
sich am wenigsten in Gerichtsentscheidungen, die<br />
ja immer nur <strong>eine</strong>n Bruchteil der Konflikte, die zu<br />
Gericht kommen, zeigen. Und dann muss auch noch<br />
darüber geschrieben werden. Nein, die Tragfähigkeit<br />
<strong>eine</strong>r Rechtsordnung und auch die Frage, ob dort die<br />
Interessen der Einzelnen gewahrt sind, insbesondere<br />
die Grundrechte, zeigen sich im täglichen, tausendfachen,<br />
millionenfachen Gebrauch. Und darüber sollten<br />
wir uns einmal bewusst werden, dass sich die Religionsfreiheit<br />
dadurch verwirklicht, dass Menschen sie<br />
praktizieren. Die Meinungsfreiheit wird nicht in erster<br />
Linie dadurch geschützt, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
gelegentlich sagt, was durch die Meinungsfreiheit<br />
geschützt ist und was <strong>man</strong> sagen darf,<br />
ohne je<strong>man</strong>d anderes zu beleidigen, sondern dadurch,<br />
dass jeden Tag nahezu alle ihre Meinungsfreiheit<br />
wahrnehmen. Und so ist es mit der Demonstrationsfreiheit<br />
und anderen Dingen auch. Das heißt also: Die<br />
Ausübung der Rechte durch die Bürger ist der beste<br />
Verfassungsschutz den es gibt.<br />
Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />
Ich möchte bei der Frage der Gerichtsbarkeit einhaken<br />
– und bleiben wir bei dem Problem Krieg und<br />
Frieden. Wir haben <strong>eine</strong> Verfassung, in der es so<br />
etwas wie den Krieg ursprünglich gar nicht gab. Das<br />
kam dann später mit dem Integrationsaufbau <strong>eine</strong>r<br />
Armee, <strong>eine</strong>r Bundeswehr in die NATO 1956. Wir haben<br />
zusätzliche Artikel bekommen, aber es war <strong>eine</strong> r<strong>eine</strong><br />
Verteidigungsarmee. Was ist daraus <strong>heute</strong> geworden?<br />
Heute nennt <strong>man</strong> das Eingriffsarmee, Interventionsarmee.<br />
Die Bundeswehr ist <strong>heute</strong> alles andere als <strong>eine</strong><br />
Verteidigungsarmee, weil wir gar k<strong>eine</strong> Feinde um<br />
uns herum haben. Und wie ging das? Das ist mit der<br />
Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts eingerichtet<br />
worden. Die Politik ist vorangegangen, das<br />
Parlament natürlich auch, dann hat das Bundesverfassungsgericht<br />
in zwei bahnbrechenden Entscheidungen<br />
1994 und 1999 den Auslandseinsatz, eigentlich den<br />
Kriegseinsatz, in der gesamten Welt legitimiert. Dagegen<br />
sind viele Verfassungsrechtler Sturm gelaufen.<br />
Aber wir wissen, dass über dem Verfassungsgericht<br />
nur noch der blaue Himmel ist, dagegen kann <strong>man</strong><br />
nichts machen.<br />
Das heißt, die Gerichtsbarkeit ist problematisch,<br />
dagegen sind wir immer wieder angegangen. Zuletzt<br />
gegen das Bundesverfassungsgericht bei dem Tornadoeinsatz<br />
in Afghanistan. Wir haben drei Entscheidungen<br />
des Bundesverfassungsgerichts bekommen, wo<br />
das ursprüngliche Konzept <strong>eine</strong>r Verteidigungsarmee<br />
vollkommen verlassen worden ist und es zu <strong>eine</strong>r<br />
Interventionsarmee – ob nun am Hindukusch oder in<br />
der Straße von Taiwan – legitimiert wurde. Und ich<br />
halte die These für richtig, dass unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />
dadurch auch nicht <strong>friedliche</strong>r geworden ist. Wenn<br />
wir uns die Situation in Afghanistan seit neun Jahren<br />
ansehen, wenn wir uns den Einsatz der Bundeswehr<br />
weltweit ansehen, sehen wir nicht, dass die Welt<br />
dadurch <strong>friedliche</strong>r geworden ist. Sondern es hat <strong>eine</strong><br />
Militarisierung der <strong>Gesellschaft</strong> stattgefunden. Das
heißt, das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur<br />
<strong>eine</strong>n Rechtsspruch erlassen, sondern es hat auch<br />
die Mentalität, das Bewusstsein in der Bevölkerung<br />
gedreht. Und dieses ist außerordentlich bedenklich,<br />
wogegen <strong>man</strong> auch als Jurist vor <strong>eine</strong>m Bundesverfassungsgericht<br />
nicht mehr ankommt. Man muss sehen,<br />
ob <strong>man</strong> das vielleicht auf der Basis der UNO doch<br />
noch zurückdrehen kann.<br />
Hans-Ernst Böttcher<br />
Ich greife einige Punkte auf, die vielleicht zeigen, dass<br />
es noch differenzierter und komplizierter ist. Kaum<br />
haben wir es hoffentlich ge<strong>schafft</strong> klarzumachen, dass<br />
das Recht ein Maßstab im sozialen und demokratischen<br />
Rechtsstaat ist, an dem sich alles zu messen<br />
hat und kaum haben wir gelernt, dass gerade das den<br />
Rechtsstaat ausmacht, muss ich gleich festhalten,<br />
dass der Feininhalt des Rechts natürlich auch mit dem<br />
zu tun hat, worüber Konsens in der demokratischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> herrscht. Damit es nicht zu abstrakt<br />
wird, nenne ich ein Beispiel aus der Inlandsverfassungsgeschichte<br />
der Bundesrepublik Deutschland,<br />
das vielleicht als Ermutigung dient. Während das<br />
Bundesverfassungsgericht zur Meinungsfreiheit sehr<br />
früh bahnbrechende und klare Entscheidungen gefunden<br />
hat, war das für die Versammlungsfreiheit lange<br />
nicht so. Da wurde lange im Sinne der deutschen<br />
Strafrechtstradition vertreten. Wenn 100 Leute auf<br />
<strong>eine</strong>r Straßenkreuzung sitzen, dann ist das strafbare<br />
Nötigung und das Demonstrationsrecht spielt dabei<br />
k<strong>eine</strong> Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hat sich<br />
langsam dahin vorgearbeitet, dass das nicht so einfach<br />
ist. Daraus ist dann langsam <strong>eine</strong> differenzierte<br />
Rechtssprechung entstanden. Es herrscht eben nicht<br />
überall und immer der eindeutige Maßstab, sondern<br />
<strong>man</strong>chmal muss in <strong>eine</strong>m Prozess – gefördert durch<br />
Prozesse im technischen Sinne, durch Gerichtsprozesse,<br />
durch politische Prozesse, durch Bewusstwerden,<br />
durch Manifestieren der Meinung – <strong>eine</strong> demokratische<br />
<strong>Gesellschaft</strong> dahin kommen, dass sie sich <strong>eine</strong>,<br />
objektiv gesehen, richtige Meinung bildet.<br />
Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />
Ich stelle gar nicht in Absprache, dass die Gerichtsbarkeit,<br />
insbesondere auch die des Bundesverfassungsgerichts,<br />
sehr viel für den inneren Frieden dieser<br />
<strong>Gesellschaft</strong> getan hat. Insbesondere bei den politischen<br />
Rechten, ob das nun die Meinungsfreiheit oder<br />
die Versammlungsfreiheit ist. Ich kritisiere nur, da es<br />
hier um Krieg und Frieden geht, diesen <strong>eine</strong>n Bereich,<br />
wo die Verfassungsgerichtsbarkeit sozusagen der<br />
Exekutive auch <strong>eine</strong> Prerogative eingeräumt hat – <strong>eine</strong><br />
alte Krankheit seit Bismarck.<br />
Ich will aber noch etwas parallel der Rechtssprechung<br />
hinzufügen, und zwar unter dem Aspekt Fantasie für<br />
den Frieden. Es gab ja schon während des Zweiten<br />
Weltkriegs <strong>eine</strong> große Fantasie für den Frieden, als<br />
der Völkerbund gescheitert war. 1941 haben Roosevelt<br />
und Churchill sich zusammengetan und gefragt, wie<br />
sie <strong>eine</strong> Friedensordnung nach 1945 oder nach dem<br />
Krieg und der Niederlage des Faschismus einrichten<br />
können. Und sie sind auf das gleiche Prinzip wie<br />
der Völkerbund gekommen – und haben dann die<br />
Vereinten Nationen gegründet. Aber sie haben noch<br />
etwas anderes gemacht und das wird meistens etwas<br />
vernachlässig: die Nürnberger Prozesse. Weil sie nämlich<br />
sagten: Nein, wir dürfen diesen Menschen nicht<br />
durchgehen lassen, was sie getan haben. Kriegsverbrechen<br />
müssen verurteilt werden. Es hat dann über<br />
50 Jahre gedauert, ehe aus diesen Militärtribunalen,<br />
die auch für die Erhaltung des Friedens so wichtig<br />
waren, Tribunale über den Ruandavölkermord, gegen<br />
Jugoslawien wurden – alles vom UNO-Sicherheitsrat<br />
unter dem Kapitel „Bewahrung des Friedens“ eingerichtet.<br />
Was ich damit sagen will ist Folgendes: Nicht nur die<br />
Gesetze, <strong>eine</strong> Verfassung, sondern auch die Justiz ist<br />
für <strong>eine</strong> Friedensordnung absolut notwendig. Damit<br />
ist auch das Strafgericht notwendig. Nur hat das hier<br />
ein riesenhaftes Problem. Der Chefankläger von 1945,<br />
Jackson, hat gesagt: Wir werden die Legitimität <strong>eine</strong>s<br />
solches Strafverfahrens in der Welt nur dann erreichen,<br />
wenn wir bereit sind, den Schierlingsbecher,<br />
den wir jetzt unseren Angeklagten, nämlich den Nazis<br />
geben, auch selber bereit sind zu trinken. Und was ist<br />
<strong>heute</strong>? Wo gibt es überhaupt den Ansatz, <strong>eine</strong>n Mann<br />
wie Bush oder Rumsfeld für den Irakkrieg vor Gericht<br />
zu bringen? Gar nicht, es geht nicht. Diejenigen, die<br />
große Kriege entfacht haben, hat <strong>man</strong> nicht. Das<br />
heißt, wir sind immer noch auf <strong>eine</strong>m unvollständigen<br />
und holprigen Weg, auch um <strong>eine</strong> Friedensordnung zu<br />
erstellen. Und zwar nicht nur mittels <strong>eine</strong>r Verfassung<br />
wie der UNO-Charta, sondern auch in der Verfolgung<br />
von Verbrechen.<br />
Ich frage dich als Richter mit langer Justizpraxis: <strong>Wie</strong><br />
siehst du das?<br />
Hans-Ernst Böttcher<br />
Die Nürnberger Prozesse hast du angesprochen. Man<br />
kann hier ganz wunderbar sehen, dass Fortschritte,<br />
dass neue Einsichten nicht von <strong>heute</strong> auf morgen in<br />
Gang kommen. Ich will es mal verkürzt sagen: Ohne<br />
etwa das Buch von Ingo Müller „Furchtbare Juristen“<br />
über die Justiz und das Unrecht im NS-Staat, ohne<br />
andere Bücher und auch ohne Völkerrechtler wie Gerhard<br />
Stuby und du, wäre <strong>eine</strong> Renaissance der Gedanken<br />
von Nürnberg in Deutschland oder überhaupt <strong>eine</strong><br />
Rezeption der Gedanken nie in Gang gekommen. Und<br />
jeder Richter ist an Recht und Gesetz gebunden, soll<br />
unabhängig urteilen und sich nicht von Strömungen<br />
in der Exekutive und politischem Wohlwollen beeinflussen<br />
lassen. Das ist in der ganzen Welt ein Kampf,<br />
auch in Deutschland. Die Versuche der Beeinträchtigung<br />
der Unabhängigkeit, die nicht so direkt daher<br />
kommen in Deutschland, passieren auch jeden Tag.<br />
Ich kann aber glücklicherweise für die deutsche Justiz<br />
sagen, dass hier etwas von dem Geist der Menschenrechte,<br />
des Völkerrechts und auch der Grundrechte<br />
angekommen ist.<br />
Bevor ich dir zum letzten Mal die Mikrophongewalt<br />
übergebe, will ich von mir aus, die in der Einladung<br />
gestellten Fragen in aller Kürze beantworten:<br />
19
Was muss das Recht garantieren? Bei der Justiz kann<br />
<strong>man</strong> vielleicht fragen: Was sollten das Recht und die<br />
Justiz mit ihren Kräften, als <strong>eine</strong> Determinante in der<br />
Politik, garantieren? Also, was muss das Recht garantieren?<br />
Die Rationalisierung der Politik am Maßstab<br />
der Verfassung, den Schutz der Grundrechte. Der<br />
Staat ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Den<br />
Schutz vor Willkür, auch vor wirtschaftlicher Willkür.<br />
Das Besondere der Richterinnen und Richter ist ja,<br />
dass sie – und das ist ein gewolltes Paradox – <strong>eine</strong>rseits<br />
Teil der Staatsgewalt sind, im gewaltengeteilten<br />
Staat. Aber das sie andererseits <strong>eine</strong> Art institutionelle<br />
Opposition, zugunsten von Gesetz und Verfassung,<br />
zugunsten des Parlaments und zugunsten der Opposition<br />
sind. Im Sinne und Geiste des Rechts und im<br />
Sinne des Friedens <strong>eine</strong>r <strong>Gesellschaft</strong>.<br />
Prof. Nor<strong>man</strong> Paech<br />
Recht ist ja pure Politik, um es mal so zu formulieren.<br />
Denn woher kommt das Recht? Recht kommt aus<br />
20<br />
den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Die<br />
Stärkeren können die Gesetze machen. Insofern ist<br />
auch immer die Frage, inwieweit das Gesetz wirklich<br />
befreit. Und inwieweit das Gesetz auch die Armut<br />
einschränken kann. Es gibt dann <strong>eine</strong> Justiz, die<br />
<strong>eine</strong>rseits abhängig ist von dieser Politik, qua Gesetzesbindung.<br />
Aber andererseits durch die Freiheit der<br />
Interpretation gerichtlicher Kognition, auch zurückwirken<br />
kann auf die Politik und die <strong>Gesellschaft</strong>. Und auf<br />
diesen Prozess haben wir alle Einfluss. Das ist nicht<br />
so etwas wie <strong>eine</strong> Parallelgesellschaft, obwohl es uns<br />
oft so erscheint. Aber der gesellschaftliche Druck auf<br />
die Verbindungen zwischen Exekutive, Legislative und<br />
Judikative ist ganz entscheidend. Wenn wir darüber<br />
klagen, dass die Gesetze den Frieden nicht bringen,<br />
müssen wir uns auch fragen, was wir eigentlich dagegen<br />
machen. Und das ist die Aufforderung an uns alle,<br />
aktiv zu bleiben. Den Frieden in dieser <strong>Gesellschaft</strong>,<br />
wie aber auch international, zu verfolgen und Druck<br />
auf diese Instanzen auszuüben.
Die Podiumsrunde mit den Religionsvertretern Propst Siegfried Kasparick, Rabbiner Prof. Walter Homolka, Ai<strong>man</strong> Mazyek und Ordinariatsrat Winfried Weinrich (v.l.)
Aus der Vogelperspektive - Birgit Klaubert und <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> im Gespräch mit den Medienschaffenden<br />
Michel Fried<strong>man</strong>, Prof. Heinz Glässgen, Klaus-Dieter Böhm und René Strien (v.l.)
Großes Medieninteresse auf dem Schlosshof von Friedenstein<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> mit den Wissenschaftlern Rüdiger Schmidt-Grépály, Peter Strutynski und<br />
Hannes Heer (v.l.)
Die vollbesetzte Schlosskirche
<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />
Was müssen die Medien vermitteln?<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Medien und <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>. Ich will zum<br />
Anfang nur kurz sagen: Immer wenn ein Land <strong>eine</strong>n<br />
Krieg führt, wird die Presse- und Informationsfreiheit<br />
eingeschränkt, der Zensur unterworfen und die<br />
Medienlandschaft verändert sich mit dem Ausbruch<br />
des Krieges. Auch das führte dazu, dass schon 1917<br />
ein amerikanischer Senator den berühmten Satz<br />
geprägt hat, dass das erste Opfer des Krieges immer<br />
die Wahrheit sei. Insofern wollen wir über Medien im<br />
Umgang mit Kriegsberichterstattung reden. Und wie<br />
können die Medien von der Unterwerfung unter die<br />
Zensur, von militärischer Desinformation wegkommen,<br />
hin zu Wahrheit und <strong>eine</strong>r Berichterstattung über<br />
<strong>friedliche</strong> Werte.<br />
Prof. Heinz Glässgen<br />
1943 in Erbach/Odenwald<br />
geboren; Studium<br />
der Philosophie,<br />
Theologie, Geschichte<br />
und Politik in Tübingen,<br />
Bonn und <strong>Wie</strong>n; 1980<br />
Promotion zur Rundfunkgeschichte<br />
1945<br />
bis 1962; 1970 – 1985<br />
Medienarbeit für die<br />
Katholische Kirche in<br />
Württemberg; 1985 –<br />
1999 Arbeit beim Norddeutschen<br />
Rundfunk: 1990 Leiter der Hauptabteilung<br />
Kultur, 1995 Leiter des Programmbereichs<br />
Kultur und stellv. Programmdirektor Fernsehen;<br />
1999 – 2009 Intendant von Radio Bremen; Professor<br />
für Kulturjournalismus an der Universität der<br />
Künste in Berlin<br />
Die Medien fallen nicht vom Himmel, sondern sie<br />
haben <strong>eine</strong>n Auftrag. Für den öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunk haben diesen Auftrag die Landesparlamente<br />
gegeben, also die Menschen, die durch uns in das<br />
Parlament gekommen sind. Wenn <strong>man</strong> fragt, was die<br />
Medien vermitteln, dann muss <strong>man</strong> nach dem Rahmen<br />
fragen, nach der Grundordnung, nach dem Auftrag,<br />
den diese Medien haben. Ich bin der Auffassung,<br />
dass wir, 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
und nach den drastischen Veränderungen in diesem<br />
Mediengeschäft, uns darüber verständigen müssten,<br />
wie wir in dieser gesellschaftlichen Ordnung miteinander<br />
kommunizieren wollen. Von mir aus an <strong>eine</strong>m<br />
runden Tisch, an dem Politiker, gesellschaftliche Gruppen<br />
und Medienvertreter sitzen. Ich bin dafür, dass<br />
wir uns, angesichts der veränderten Voraussetzungen,<br />
kritisch mit <strong>eine</strong>r neuen Medienordnung beschäftigen.<br />
Das ist der erste Punkt.<br />
Der zweite Punkt: Medien haben in erster Linie zu vermitteln.<br />
Und in zweiter Linie kommt die Frage, was sie<br />
zu vermitteln haben. Es gibt ja diesen Satz von Hajo<br />
Friedrichs, dass Journalisten und Medien in gewisser<br />
Weise neutral sein sollten. Ein goldrichtiger Satz. Herausgekommen<br />
ist aber häufig, dass <strong>man</strong> meint, Journalisten<br />
und Medien haben also indifferent zu sein.<br />
Und wenn <strong>man</strong> diesen Satz so verstehen würde, dann<br />
ist dieser richtige Satz falsch. Medien haben innerhalb<br />
<strong>eine</strong>s bestimmten Rahmens, <strong>eine</strong> bestimmte Aufgabe<br />
zu erfüllen. Und in diesem Sinne sind Medien nicht<br />
neutral, sondern sie müssen parteilich sein. Nicht im<br />
parteipolitischen Sinne, aber parteilich für Freiheit,<br />
Gleichheit, Brüderlichkeit. Für Gleichberechtigung,<br />
für Gerechtigkeit, auch für Frieden – nicht nur für<br />
gesellschaftlichen, sondern auch im internationalen<br />
Maßstab. Ich werbe dafür, dass Medien und Journalisten<br />
in diesem Sinne auch parteilich sein dürfen.<br />
Birgit Klaubert<br />
<strong>Wie</strong> viel Manipulation ist durch Medien möglich?<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
1951 in Merseburg<br />
geboren; Studium<br />
der Geschichte und<br />
Betriebswirtschaft in<br />
Freiburg/Brsg.; 1986 –<br />
1992 Geschäftsführer<br />
der TOMESA Fachklinik<br />
in Bad Salzschlirf; seit<br />
1993 Geschäftsführer<br />
Klinikzentrum Bad Sulza;<br />
seit 1994 Präsident<br />
des Kunstvereins Apolda<br />
Avantgarde e.V.; seit<br />
1997 Vorsitzender des Kinderhilfswerks Ourchild<br />
e.V.; seit 1999 Geschäftsführer der Toskana Therme<br />
Bad Sulza; seit 2004 Geschäftsführer Hotel an der<br />
Therme und der Toskana Therme Bad Schandau;<br />
seit 2007 <strong>Gesellschaft</strong>er des Weimarer und Erfurter<br />
Regionalfernsehens „Salve TV“ und Betreiber des<br />
Internet-Videonetzwerks „Salve World“<br />
Medien sind nur ein Lautsprecher von irgendetwas.<br />
Heutzutage ist in den Medien auch immer ein starkes<br />
wirtschaftliches Interesse sicherzustellen. Man bewegt<br />
sich auch dorthin, wo gewisse Unterstützungen<br />
sind. Ist <strong>man</strong> dann noch unabhängig und ein Beurteiler<br />
von Dingen? Einen runden Tisch zu schaffen, wo<br />
<strong>man</strong> <strong>eine</strong> Ordnung herstellt, ist sehr kühn. Im Internet<br />
der heutigen Welt ist das wahrscheinlich nicht realisierbar.<br />
Und es gibt k<strong>eine</strong> Macht, die irgendje<strong>man</strong>d<br />
zwingt, etwas zu tun.<br />
Ich, je<strong>man</strong>d aus dem Lokalfernsehen, habe zur<br />
Jahrtausendwende m<strong>eine</strong> eigene Stellung hinterfragt:<br />
Was willst du denn eigentlich noch erreichen, was ist<br />
d<strong>eine</strong> innere Zielsetzung? Da habe ich mir <strong>eine</strong>n Satz<br />
vorgenommen: Ich will etwas tun, damit der Mensch<br />
21
und die Natur in Einklang gebracht werden. Dass<br />
wir mit diesem Planeten, mit dieser Natur in Frieden<br />
leben. Und wir müssen allen Menschen vorhalten, was<br />
sie denn dafür tun, dass wir im Frieden, in Harmonie,<br />
in Einklang mit der Natur und mit anderen Menschen<br />
sind. Wenn ich das als ethischen Grundsatz für mich<br />
selber und die Arbeit in diesem Lokalfernsehen definiere,<br />
dann ist das ein sehr komplexer Anspruch. Weil<br />
die Dinge, die nicht im Einklang sind, komplex sind.<br />
Wir sollten auch nicht ständig Horrorszenarien an die<br />
Wand malen – das hilft den Menschen auch nicht.<br />
Bertrand Russell, der Gründer des Vietnam-Tribunals,<br />
hat s<strong>eine</strong>r Zeit zur Veröffentlichung der Todeslisten<br />
durch die amerikanischen Medien gesagt: Du kannst<br />
noch so viele Namen im Fernsehen laufen sehen,<br />
du wirst dadurch nicht emotional ergriffen. Da ist<br />
<strong>man</strong>chmal die emotionale Wirkung des totgefahrenen<br />
Hundes vor d<strong>eine</strong>r Tür, der in s<strong>eine</strong>m Todesschmerz<br />
noch quietscht, viel intensiver. Um im Einklang mit der<br />
Natur zu leben, braucht <strong>man</strong> die emotionale Ansprache.<br />
Medien sollten die Menschen dahingehend berühren,<br />
dass sie sich diesen Zielen verpflichtet fühlen.<br />
Und das ist ein Bildungsauftrag, den ich vertrete.<br />
René Strien<br />
22<br />
1953 geboren; zweijähriges<br />
Jurastudium;<br />
Studium der Ger<strong>man</strong>istik<br />
und Ro<strong>man</strong>istik<br />
in Köln; 1982 – 1989<br />
wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter und Dozent<br />
am Ro<strong>man</strong>istischen<br />
Seminar der Universität<br />
zu Köln; 1989<br />
– 1993 Lektor beim<br />
Gustav Lübbe Verlag,<br />
Bergisch-Gladbach;<br />
1994 Verlagsleiter Rütten & Loening; seit 1995<br />
Verlegerischer Geschäftsführer der Aufbau GmbH<br />
& Co. KG<br />
Ich weigere mich vehement, hier als Mann der alten<br />
Tradition zu sitzen. Das mag für mich persönlich<br />
gelten. Aber ein Verlag hätte k<strong>eine</strong> Chance, wenn<br />
er nicht genauso in die Zukunft schauen würde, wie<br />
die elektronischen Medien. Privat habe ich so viele<br />
Bücher, dass ich immer Sorge habe, die Balken halten<br />
das nicht aus. Aber dienstlich benutze ich seit etlichen<br />
Jahren <strong>eine</strong>n Sony-Reader und ein I-Pad. Nicht,<br />
weil ich damit spielen will, sondern weil ich wissen<br />
muss, was wir mit den Inhalten, die wir verbreiten<br />
wollen, in Zukunft machen. Soviel zur Tradition.<br />
Eben habe ich viel von dem Auftrag der öffentlichrechtlich<br />
Medien gehört. Die Frage ist: Hat ein Verlag<br />
eigentlich auch <strong>eine</strong>n Auftrag? Das ist kompliziert zu<br />
beantworten und hat viel mit Verlegerpersönlichkeiten<br />
und Gründungsideen zu tun. Bei Aufbau ist es glücklicherweise<br />
relativ einfach. Um kurz an die Aufbau-<br />
Tradition zu erinnern: 1945 als erster belletristischer<br />
Verlag nach dem Krieg in Deutschland gegründet,<br />
wirklich auf den Trümmerbergen von Berlin. Der sich<br />
da gerade formierende Kulturbund für die Erneuerung<br />
Deutschlands war der Gedankengeber, speziell war<br />
es Becher als treibende Kraft. Und da gab es vier<br />
Gründungsideen: Man wollte an das alte Deutschland<br />
wieder anknüpfen, an die schöne deutsche hu<strong>man</strong>istische<br />
Tradition, die dann in so <strong>eine</strong>r pervertierten Art<br />
und Weise missbraucht worden ist. Und schon war die<br />
erste Programmsäule klar: Man hat sich wieder auf<br />
die Klassiker besonnen. Zweite Programmsäule, aus<br />
der gleichen Idee heraus: Man hat sich in Übersetzungen<br />
engagiert und wollte diesem Chauvinismus Aufklärung<br />
entgegensetzen. Aufklärung, <strong>eine</strong> großartige<br />
Idee, die nicht <strong>eine</strong>r politischen Richtung zuzuordnen<br />
ist. Dritte Sache, die wesentlich für den Aufbau-Verlag<br />
wurde: Man versuchte die exilierten Autoren, die<br />
übrigens im Westen relativ schnell vergessen waren,<br />
zusammenzusammeln und wieder Heim zu holen. Und<br />
zwar buchstäblich. Man hat ihnen auch dabei geholfen,<br />
wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen und hat ihre<br />
Gesamtwerke verlegt.<br />
Das ist die Tradition des Aufbau-Verlags und diese<br />
Grundidee, mit diesen Säulen, trägt noch <strong>heute</strong>.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
1956 in Paris geboren;<br />
Studium der Medizin<br />
bis zum Physikum, anschließendJura-Studium;<br />
seit 1987 Rechtsanwalt<br />
in Frankfurt a.M.;<br />
1994 Promotion an der<br />
Universität Mainz in<br />
Rechtswissenschaften;<br />
2000 – 2003 Vizepräsident<br />
des Zentralrats<br />
der Juden in Deutschland;<br />
1998 – 2003 Moderator<br />
der ARD-Sendung „Vorsicht Fried<strong>man</strong>!“;<br />
2000 – 2003 Herausgeber der Wochenzeitung<br />
„Jüdische Allgem<strong>eine</strong>“; 2001 – 2003 Moderator der<br />
ARD-Sendung „Fried<strong>man</strong>“; seit 2003 Herausgeber<br />
der Reihe „Politisches Buch“ im Aufbau Verlag;<br />
seit 2004 Moderator der Fernsehsendungen „Im<br />
Zweifel für … Fried<strong>man</strong>s Talk“ bei Universal – 13TH<br />
STREET und „ Studio – Fried<strong>man</strong>“ bei N24<br />
Ich glaube, dass es nicht die Wahrheit, sondern Wahrnehmungen<br />
von Wahrheit gibt. Und das ist <strong>eine</strong>s der<br />
schwersten Dinge, die wir als Menschen für uns verarbeiten<br />
können. Denn selbstverständlich würde ich behaupten<br />
können, dass ich die Wahrheit habe, denn ich<br />
habe auch die Intelligenz, das Wissen, die Erfahrung<br />
etc. darüber. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen<br />
von Wahrheit und an diesem Punkt beginnt schon<br />
Friedensarbeit. Nämlich, ob wir es aushalten, darüber<br />
zu reden, zu diskutieren, können wir auch stehenlassen,<br />
dass wir unterschiedliche Meinungen haben.
Und jetzt komme ich zu den Fragen Medien und<br />
Frieden. Es ist natürlich leichter, über den äußeren<br />
Unfrieden und Medien zu diskutieren. Aber ich möchte<br />
darauf hinweisen, dass natürlich auch Journalisten<br />
in gesellschaftspolitischen Fragen zerrissen sind<br />
– auch <strong>eine</strong> Berichterstattung zu machen, die <strong>eine</strong>rseits<br />
diesen Wahrheitsanspruch verinnerlicht, und die<br />
andererseits nicht missbräuchlich mit der Übermacht<br />
des Instruments umgeht.<br />
Deswegen m<strong>eine</strong> erste Bemerkung: Wir stecken alle<br />
in Machtinteressen. Bei <strong>eine</strong>m existenziellen Konflikt,<br />
wie <strong>eine</strong>m Krieg, <strong>eine</strong>m Bürgerkrieg im Land oder<br />
sozialen revolutionären Veränderungen, werden die<br />
Machtinteressen mit weitaus mehr Aggression und<br />
Gewalt, sowohl Person zu Person, als auch Institution<br />
zu Institution, ausgelebt.<br />
Zweite Bemerkung: Auch wir Journalisten sind Teil dieser<br />
Machtinteressen, nicht nur wirtschaftlich, sondern<br />
auch als Personen, die wir uns in unserer jeweiligen<br />
journalistischen Gruppe wiederfinden: Zeitung, Fernsehen,<br />
privat, öffentlich etc.<br />
In m<strong>eine</strong>r dritten Bemerkung komme ich auf das Recht<br />
zurück: Es gibt k<strong>eine</strong>n rechtsfreien Raum und das gilt<br />
auch für uns Journalisten. So gesehen ist bei aller<br />
Nachdenklichkeit die Herausforderung gegeben, dass<br />
uns das Machtinteresse Politik <strong>man</strong>ipulieren möchte,<br />
nicht nur im Krieg, sondern bei jeder politischen<br />
Entscheidung, die sie mehrheitsfähig machen will. Das<br />
ist übrigens auch legitim. Denn hätte sie nicht diesen<br />
Machtwillen, wäre sie gar nicht berechtigt in dem<br />
Wettbewerb zu sein. Und wir müssen als Journalisten<br />
ein Gegengewicht setzen – so weit es geht.<br />
Und deswegen m<strong>eine</strong> letzte Bemerkung: Das Spannende<br />
in der freien <strong>Gesellschaft</strong> ist, dass bei alle dem,<br />
was uns Macht <strong>man</strong>ipulativ, durch Zensur antut, in<br />
dem Pluralismus der unterschiedlichen Sichtweisen<br />
ein Stück Aufklärung gelingt. Und da bin ich ein Fan<br />
der neuen Technologien. Wir haben es im Iran gesehen,<br />
wir sehen es auch im Irak, dass das Internet mehr<br />
Wahrheit ans Licht rückt, vor allem immer gegen den<br />
Willen der Zensur, als wir das früher mit den großen<br />
Kameras je gekonnt haben. Und das finde ich dann<br />
wieder sehr ermutigend. Egal wie <strong>man</strong>ipulativ <strong>man</strong><br />
sein will, früher oder später gibt es immer wieder den<br />
<strong>eine</strong>n oder anderen Menschen, der aufklären möchte.<br />
So gesehen bin ich sehr optimistisch, dass selbst in<br />
<strong>eine</strong>r Diktatur, aber erst recht in <strong>eine</strong>r freien <strong>Gesellschaft</strong>,<br />
der Auftrag der Wahrheitsfindung von <strong>eine</strong>m<br />
pluralen Journalismus <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Beitrag bekommt.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Das ist zwar richtig, dass es bei der Wahrheit Interpretationen<br />
gibt, trotzdem gibt es, gerade im Zusammenhang<br />
mit Krieg und Kriegsbeginn, so etwas wie<br />
Wahrheit und Lüge. Es ist nicht mehr zu interpretieren,<br />
wenn je<strong>man</strong>d sagt: Wir müssen Krieg führen, weil<br />
der, gegen den wir Krieg führen müssen, im Besitz<br />
von Massenvernichtungswaffen ist. Und dann stellt<br />
sich heraus, dass dieses <strong>eine</strong> pure Lüge ist. Es gibt<br />
offensichtlich <strong>eine</strong>n Zusammenhang zwischen der Tatsache,<br />
dass Kriege geführt werden und dem Umgang<br />
der Machthabenden mit Information und Medien. Sie<br />
werden anders eingesetzt als in zivilen Zeiten, wo es<br />
mehr Wettbewerbsmöglichkeiten gibt. Das heißt also,<br />
Kriege und Kriegsführung haben <strong>eine</strong> starke Auswirkung<br />
auf die Medien.<br />
Aber noch einmal zum Internet: Die Machthabenden<br />
können Informationen zurückhalten oder verdrehen.<br />
Aber es gibt dieses milliardengroße Publikum von<br />
Beobachtern, die ihre Erkenntnis ins Netz stellen können.<br />
Aber mit welchem Effekt?<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
Bei der heutigen Vielfalt der Medienmöglichkeiten und<br />
Zugänge, sollten wir pädagogische Orientierung und<br />
Medienkompetenz vermitteln und sagen: Teste das<br />
Medium und überprüfe, ob das, was wir sagen, richtig<br />
ist. Und wenn wir was falsch gemacht haben, dann<br />
gib uns <strong>eine</strong>n Hinweis und wir können es korrigieren.<br />
Also ein offener Prozess. Das Wesentliche ist, dass<br />
Herrschaft mit den Medien gemacht wird. Die Medien<br />
sind ja nicht unabhängig. Man hat ja schon langfristig<br />
und vorbereitend für Kriege Artikel lanciert, Wissenschaftler<br />
beauftragt Aufsätze zu schreiben, große<br />
Diskussionen anzuzetteln, dass es jetzt notwendig ist,<br />
den Irakkrieg zu führen und möglicherweise auch zu<br />
verschleiern, warum <strong>man</strong> den eigentlich führen will.<br />
Im Internet gibt es noch etwas ganz Witziges: WikiLeaks<br />
– <strong>eine</strong> Art Wikipedia für geheime Informationen.<br />
Leute stellen das, was sie irgendwo erfahren, anonymisiert<br />
ins Netz. Das verändert auch die Welt, macht<br />
den Herrschenden richtig Angst. Das ist okay. Die<br />
Ordnung liegt letztendlich in der Unordnung und im<br />
Chaos. Und diejenigen, die das betreiben, müssen<br />
sich schützen, weil sie gegebenenfalls sogar strafrechtlich<br />
verfolgt werden. Das zeigt ja <strong>eine</strong> Qualität<br />
von Medien heutzutage. Nie<strong>man</strong>d ist mehr sicher,<br />
dass das, was da hinter dem Rücken ausgemauschelt<br />
wird, nicht doch an die Öffentlichkeit kommt. Und<br />
das ist die Wirkung. Ich glaube, dass es irgendwann<br />
genügend Leute gibt, professionelle Journalisten und<br />
andere Personen, die an diesem großen Thema der<br />
Wahrheit arbeiten.<br />
Prof. Heinz Glässgen<br />
Unsere öffentlich-rechtliche Medienwelt wurde nach<br />
dem Krieg geordnet und diese Basis gibt es noch<br />
<strong>heute</strong>, obwohl sich der mediale Kontext und die<br />
gesellschaftliche Situation total geändert haben.<br />
Ich rede nicht davon, dass jetzt erst <strong>eine</strong> Ordnung<br />
geschaffen werden muss. Ich plädiere aber dafür,<br />
dass wir, 60 Jahre nachdem diese Ordnung erlassen<br />
worden ist, <strong>heute</strong> neu darüber nachdenken, dass wir<br />
Mediengesetze haben, die in diese Zeit passen. Das<br />
duale System, das Internet und die Digitalisierung<br />
sind gekommen und wir tun immer noch so, als hätten<br />
wir die Zeit von 1948.<br />
Vielleicht noch <strong>eine</strong>n Satz zum Internet: Diese Freiheit,<br />
durch die sich die Wahrheit durchsetzen soll,<br />
23
kann <strong>man</strong> ja auch skeptisch betrachten. Denn die<br />
Frage ist: Wer verantwortet das, was da rein kommt?<br />
Wer sagt, dass das stimmt und wer kontrolliert diese<br />
Kommunikation? Es wäre hinterweltlerisch, wenn <strong>man</strong><br />
gegen diese neuen Medien wäre. Die kann und soll<br />
<strong>man</strong> nicht verhindern. Nur frage ich schon, und das<br />
empfehle ich auch den Politikern: Was passiert mit<br />
<strong>eine</strong>r <strong>Gesellschaft</strong>, wenn auch die gesellschaftliche<br />
Kommunikation immer stärker individualisiert wird?<br />
Wo ist der Zusammenhalt, wo ist der gesellschaftliche<br />
Kit? Parteien haben in ihrer Relevanz abgenommen,<br />
genau wie die Kirchen und Gewerkschaften. Wo sind<br />
die gesellschaftlichen Bindekräfte?<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Sie haben es ja bewusst die gesellschaftlichen Kräfte<br />
genannt. Das öffentlich-rechtliche Programm gehört<br />
den Ländern, den Parteien, den Politikern. Und wir haben<br />
ja beim ZDF erlebt, bei Roland Koch und Nikolaus<br />
Brender, was das bringen kann – und mir hier weißmachen<br />
wollen, dass das <strong>eine</strong> ordnungspolitische Ebene<br />
sei. <strong>Wie</strong> kann also ein extrem anders denkender<br />
politischer Journalist gegen die politisch herrschende<br />
Meinung in s<strong>eine</strong>m Rundfunkrat arbeiten? <strong>Wie</strong> kann<br />
<strong>man</strong> diesen Konflikt friedlich lösen, ohne dass am<br />
Ende der Chefredakteur fliegt?<br />
Zweite Bemerkung: Ich glaube, dass der Begriff der<br />
Streitkultur in <strong>eine</strong>r <strong>Gesellschaft</strong> sehr wichtig ist – als<br />
Grundvoraussetzung für Fantasien für den Frieden.<br />
Ich habe den Eindruck, dass die bundesrepublikanische<br />
<strong>Gesellschaft</strong> Streit als Bedrohung, anstatt als<br />
Bereicherung, empfindet. Und so lernen gerade junge<br />
Leute, die Klappe zu halten und sich anzupassen. Das<br />
beginnt bei Mama und Papa, dann geht’s weiter beim<br />
Kindergärtner, beim Lehrer, beim Vorgesetzten, beim<br />
Parteivorsitzenden. Ich plädiere für <strong>eine</strong> Streitkultur,<br />
in der wir lernen, dass der Widerspruch auch ein Akt<br />
des Respekts und der Freundschaft sein kann. Wir<br />
müssen lernen, Meinungen zu formulieren, von denen<br />
wir wissen, dass sie vor allem in der eigenen Gruppe<br />
<strong>eine</strong>n hohen Widerstand hervorrufen. Denn das ist die<br />
Leistung. Sich mutig zu zeigen gegenüber <strong>eine</strong>r Gruppe,<br />
die mich nicht sanktionieren kann, ist nicht mutig.<br />
Wenn wir das im Alltag, auch im journalistischen,<br />
lernen, dann haben wir <strong>eine</strong> Chance im Sinne von<br />
Fantasie für den Frieden. Wer streiten nicht gelernt<br />
hat, hat k<strong>eine</strong> Fantasie für den Frieden.<br />
Prof. Heinz Glässgen<br />
Zustimmung zu dem, was Michel Fried<strong>man</strong> über<br />
Streitkultur gesagt hat. Ich wäre falsch verstanden<br />
worden, wenn ich für <strong>eine</strong> Medienordnung nach dem<br />
System Koch plädiere. Ich sagte, wir müssen das<br />
im Streit neu ordnen und dann sind möglicherweise<br />
solche Systeme ausgeschlossen.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
René Strien, unter welchem Diktat steht <strong>heute</strong> eigentlich<br />
ein Verlag? Dem reden kein Ministerpräsident<br />
und k<strong>eine</strong> politische Partei rein. Aber wenn er k<strong>eine</strong><br />
Bestseller produziert, steht es nicht sehr gut um ihn.<br />
Oder?<br />
24<br />
René Strien<br />
Ja.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Und wie weiter?<br />
René Strien<br />
Wir haben es in gewisser Weise ein bisschen besser<br />
als die Kollegen, von denen hier eben geredet worden<br />
ist – zumindest da, wo es um unabhängige Verlage<br />
geht. Das wirtschaftliche Diktat, unter dem wir alle<br />
zu bleiben haben, ist natürlich bei <strong>eine</strong>m individuell<br />
geführten Verlag noch einmal anders zu sehen.<br />
Wir zum Beispiel haben <strong>eine</strong>n Eigentümer, der sich<br />
nicht als Mäzen betrachtet. Das wäre auch ziemlich<br />
schlimm, weil Mäzenatentum immer auch dazu führt,<br />
nicht nach gesellschaftlicher Relevanz zu schauen –<br />
und dann macht <strong>man</strong> Alibibücher. <strong>Gesellschaft</strong>liche<br />
Relevanz drückt sich in gewisser Weise auch durch<br />
wirtschaftlichen Erfolg aus. Nicht automatisch, nicht<br />
alles, was erfolgreich ist, ist relevant. Aber ob das,<br />
was nicht erfolgreich ist <strong>eine</strong> hinreichende Relevanz<br />
bekommt, das müsste gefragt werden. Die Quadratur<br />
des Kreises ist, zu versuchen, den Leuten nicht zu<br />
sehr aufs Maul zu schauen.<br />
Wir hatten eben den Medienauftrag – wir haben uns<br />
selber <strong>eine</strong>n gegeben. Unser Eigentümer will zum<br />
Beispiel k<strong>eine</strong> große Rendite, sondern dass sich der<br />
Verlag trägt und unsere Erträge müssen für <strong>eine</strong> Stiftung<br />
zur Förderung der Lesefähigkeit ausreichen. Wir<br />
züchten nämlich unseren Nachwuchs selber.<br />
In m<strong>eine</strong>r kurzen und sehr verunglückten Zeit als Studienreferendar<br />
am Gymnasium habe ich festgestellt,<br />
dass die Schüler die Dinge selber entdecken müssen.<br />
Und diesen Weg zu weisen, wie <strong>man</strong> von all<strong>eine</strong> auf<br />
Dinge kommt, das ist der volkspädagogische Auftrag<br />
– wenn <strong>man</strong> das so großmäulig sagen darf – dem sich<br />
ein Verlag wie der unsrige stellt. Wir wollen, dass die<br />
Leute zum eigenen Denken angeregt werden.<br />
Birgit Klaubert<br />
Ich würde jetzt gerne noch einmal zum Regionalfernsehen<br />
kommen. <strong>Wie</strong> sind Sie auf die Idee gekommen,<br />
diesen Regionalsender zu übernehmen?<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
Die Macher kamen vor ca. vier Jahren zu mir, es ging<br />
ihnen wirtschaftlich nicht so gut, und fragten, ob ich<br />
mitmachen könnte. Und ich fragte: Was macht ihr<br />
denn da? Lokalfernsehen in Weimar. Und wie viele<br />
gucken sich das an? Wenn <strong>man</strong> es hochrechnet<br />
vielleicht 60.000. Da sagte ich: Das ist ja nett aber<br />
ich habe mehr Interesse am Internet-TV. Das sehen<br />
dann eben auch mehr Leute. Wir haben damals relativ<br />
schnell ein Internet-TV daraus gemacht. Ich wollte<br />
damit erreichen, dass Weimar und das Weimarer Land<br />
kulturell noch enger zusammenarbeiten. Dass Weimar<br />
versteht, dass es ohne das Umland nichts ist.<br />
Wir sind genauso reglementiert wie die öffentlichrechtlichen<br />
Sender – wir kriegen nur kein Geld. Das
ist der Unterschied. Sonst haben wir die gleichen Verpflichtungen<br />
wie ARD und ZDF. Das würde ich bei der<br />
Neuordnung der Thematik gerne lösen. Ich möchte<br />
von dem Milliarden-Töpfchen auch etwas haben. Jetzt<br />
müssen wir das selber erwirtschaften.<br />
Das Zweite ist, dass auch Erfurt und Weimar zusammenarbeiten<br />
sollten. Thüringen ist so ein Liliput-Land,<br />
da brauchen wir nicht so viele verschiedene Fürstentümer,<br />
sondern sollten an <strong>eine</strong>m Strang ziehen. Und<br />
das ist die nächste Etappe, Erfurt und Weimar näher<br />
zusammenzubringen, weil die Kräfte für die kulturelle<br />
Entwicklung angesichts der Haushaltssituation gebündelt<br />
werden müssen. Wenn wir Energien zusammenbringen,<br />
können wir schneller vorankommen.<br />
Was hier in der Diskussion noch k<strong>eine</strong> Rolle gespielt<br />
hat, ist die Frage der Quote. Die Quote ist so <strong>eine</strong><br />
Hure geworden, dass sich selbst das öffentlich-rechtliche<br />
Fernsehen daran orientiert. Das finde ich nicht<br />
korrekt. Wenn <strong>man</strong> schon mit öffentlichen Geldern<br />
ausgestattet wird, dann muss es auch <strong>eine</strong>n Anspruch<br />
geben, anderes Fernsehen zu machen und sich nicht<br />
nur an der Quote zu orientieren. Man kann die Leute<br />
auch wieder an das gute Fernsehen gewöhnen, indem<br />
<strong>man</strong> es macht. Diesen Anspruch habe ich mit m<strong>eine</strong>m<br />
Zwergen-Fernsehen.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Ich würde doch auf unsere Grundfrage zurückkommen<br />
wollen. Der Grundgedanke ist natürlich vollkommen<br />
richtig: <strong>Wie</strong> wird <strong>man</strong>ipuliert, damit <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
aggressiveres Verhalten hinnimmt? Diese Aggression<br />
kann <strong>eine</strong> Notwehraggression sein, sie wäre dann ein<br />
Verteidigungsfall. Sie kann aber auch <strong>eine</strong> missbrauchte<br />
politische Begründung sein, um politische Interessen<br />
im Sinne <strong>eine</strong>s Angriffs gegenüber <strong>eine</strong>m anderen<br />
Staat oder <strong>eine</strong>r anderen Gruppe durchzuführen.<br />
Jedenfalls haben die Medien bis in die Gegenwart ihre<br />
Kontrollaufgabe vernachlässigt oder gar verloren. Und<br />
erreichen das retardiert wieder, wenn <strong>man</strong> beispielsweise<br />
sehr viel schneller und deutlicher als früher<br />
Bilder von Angegriffenen oder gegnerischen Betroffenen<br />
sieht. Dazwischen findet Zensur statt, dazwischen<br />
findet Gefährlichkeit statt und dazwischen findet aber<br />
immer noch Kriegsreporterarbeit statt. Das sind für<br />
mich Journalisten, die mit großem Mut und Idealismus<br />
ihr Leben aufs Spiel setzen. Also nicht die, die vor irgend<strong>eine</strong>r<br />
Botschaft ganz sicher ihren Bericht machen,<br />
sondern die, die dorthin gehen, wo sie nach Meinung<br />
der herrschenden Kriegspartei nicht hin dürfen.<br />
Es gibt k<strong>eine</strong> isolierte Gruppe, die Fantasien für den<br />
Frieden entwickelt und damit Frieden in die Gesamtgesellschaft<br />
bringt. In allen anderen Gruppen der<br />
<strong>Gesellschaft</strong> muss die Wahrnehmungsbereitschaft<br />
ausgeprägt sein, dass die Bilder und die Berichterstattung<br />
vielleicht nicht mehr stimmen. Nur so kann <strong>eine</strong><br />
gesamtgesellschaftliche Veränderung stattfinden. Da<br />
gibt es <strong>eine</strong> Chance für Journalisten. Seit es mit dem<br />
Handy möglich ist ein Minivideo herzustellen, können<br />
auch ungewollte Bilder in die Welt verschickt werden.<br />
Und das ist <strong>eine</strong> Erneuerung, die wir gerade in Krisen,<br />
im Bürgerkrieg, in totalitären Strukturen nicht hoch<br />
genug bewerten können.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Das ist ja vollkommen richtig. Aber es gibt neue<br />
Erkenntnisse aus Amerika zur Informationspolitik der<br />
Regierung Obama. Sehr bedeutende und exponierte<br />
Journalisten der New York Times und der Washington<br />
Post weisen selbstkritisch nach, dass sich die Informationspolitik<br />
der Regierung Obama von der der<br />
Regierung Bush so gut wie überhaupt nicht unterscheidet.<br />
Dass Desinformation als Machtinstrument<br />
eben weitergeht. Diese millionenfache Gegenwelt des<br />
Internets ist zwar vorhanden, aber in ihrer Auswirkung<br />
auf <strong>Gesellschaft</strong> und Politik nicht wirksam.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Aber interessiert uns das <strong>heute</strong> noch so, wie vor zwei<br />
Jahren? Ist unsere Wahrnehmung und Interessenlage<br />
über Guantanamo beispielsweise noch so aktiv wie<br />
vor zwei Jahren? Die Medien können über Guantanamo<br />
berichten. Unsere Empörungsbereitschaft und die<br />
daraus entstehende Handlungsbereitschaft hat sich,<br />
m<strong>eine</strong>r Wahrnehmung nach, aber verändert. Deswegen<br />
kann Obama vielleicht ganz ähnliche Dinge machen,<br />
wo wir bei Bush in <strong>eine</strong>r Grundempörung waren<br />
und es bei ihm gar nicht zur Kenntnis nehmen wollen.<br />
Weil wir froh sind, es eigentlich hinter uns zu haben<br />
und feststellen müssten, dass wir noch mitten drin<br />
sind. Dieses Bewusstsein zu prägen ist <strong>eine</strong> Wechselwirkung,<br />
die wir brauchen.<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
Vorgestern kam ich aus den USA und ich stellte dort<br />
fest, dass sich immer mehr Leute vom Fernsehen<br />
und den Medien abklemmen. Sie haben nur noch das<br />
Internet und holen sich dort ihre Informationen. TV ist<br />
dort fast nicht zu ertragen und die Zeitungen gehen<br />
durchgehend ein, denn die werden nicht mehr gelesen<br />
und entsprechend auch nicht mehr durch die Werbung<br />
finanziert. Das ist ein großes Problem in Amerika.<br />
Aber es hat mich sehr optimistisch gestimmt, dass<br />
es vor 40 Jahren in Amerika noch Apartheit gab und<br />
jetzt gibt es <strong>eine</strong>n farbigen Präsidenten. Kennedy hat<br />
gesagt: In 10 Jahren wollen wir auf den Mond und sie<br />
sind dann in 10 Jahren auf dem Mond gewesen. Und<br />
Obama hat von der Energiewende gesprochen. Und<br />
wenn die das ehrlich m<strong>eine</strong>n, dann werden die Amerikaner<br />
auch die Energiewende einrichten. Da ist richtig<br />
Bewegung drin. Insofern habe ich auch Hoffnung für<br />
uns.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Gehen wir weg von Amerika, hin zu unserem Beitrag<br />
in Afghanistan und anderen Regionen der Welt. <strong>Wie</strong><br />
viel Informations- und Desinformationspolitik gibt es<br />
und wie viel Informationspolitik wollen wir wirklich<br />
haben? Als wir noch nirgends im Krieg waren, gab es<br />
Friedensdemos in Deutschland mit 100.000 Leuten.<br />
Jetzt, wo wir im Krieg sind, kriegst du kaum Friedensdemos<br />
zusammen. Und daran scheitert am Ende jede<br />
Fantasie einzelner Gruppenverantwortungen, und wird<br />
erst dann konstruktiv, wenn im Rahmen der Grup-<br />
25
penverantwortung die Individuen zu <strong>eine</strong>r politischen<br />
Bewegung werden.<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
Die gesellschaftlichen Kräfte, die für den Frieden sind,<br />
sind zurückgedrängt worden. Die Grünen waren früher<br />
bei diesen 100.000 dabei und sind <strong>heute</strong> Befürworter.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Aber dass wir wie die Lämmer im Hof bleiben, weil<br />
unsere Schafhirten nicht mehr unterwegs sind? Mein<br />
Selbstverständnis ist, dass ich auch ohne Politiker<br />
weiß, wann ich demonstrieren möchte und wann<br />
nicht.<br />
Birgit Klaubert<br />
Wir haben jetzt über Politik, Kommunikation, Medien<br />
und Gruppen gesprochen. Ich bitte nun in <strong>eine</strong>m<br />
kurzen Abschlussstatement um Ihre ganz individuelle<br />
Verantwortung für Fantasien für den Frieden.<br />
René Strien<br />
Früher war m<strong>eine</strong> Welt einfacher. Das ist vielleicht<br />
alterstypisch, hatte aber vielleicht auch mit der<br />
vor-postmodernen Zeit zu tun. Wenn <strong>eine</strong>r in <strong>eine</strong>r<br />
Bundeswehruniform in die Kneipe kam, kriegte er <strong>eine</strong><br />
aufs Maul. So einfach war das. Auch nicht richtig und<br />
sicherlich k<strong>eine</strong> intelligente Auseinandersetzung. Aber<br />
die Jugend, die sich als links auffasste, ohne genau zu<br />
wissen, was das war, war gegen die Bundeswehr. Aber<br />
auch als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer konnte<br />
<strong>man</strong> für Friedensmissionen sein. In <strong>eine</strong>r idealen Welt<br />
könnte es <strong>eine</strong> Art Weltpolizei geben, die überall, wo<br />
etwas schief läuft, Gerechtigkeit und Ordnung <strong>schafft</strong>.<br />
Das ist alles vorbei. Jetzt sind wir tatsächlich im Krieg<br />
und sehen, dass es diese Art von gottvatermäßiger<br />
Weltgerechtigkeit nicht gibt und natürlich auch nicht<br />
geben kann. Die wesentlichen Wurzeln vieler Übel<br />
sind Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit.<br />
Wir brauchen <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, die e<strong>man</strong>zipiert ist.<br />
Ich habe m<strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Platz gefunden, an dem ich<br />
versuche, dazu beizutragen. Mit Medien, speziell mit<br />
Büchern, mit den Inhalten, kann <strong>man</strong> zur E<strong>man</strong>zipation<br />
des Einzelnen beitragen.<br />
Klaus-Dieter Böhm<br />
Ich selber bin sehr optimistisch. Als der Irakkrieg<br />
begann, sind 80 Millionen Menschen an <strong>eine</strong>m Tag auf<br />
die Straße gegangen. Es gibt Situationen, in denen es<br />
ein Selbstverständnis auf der Welt gibt und wo dieses<br />
Potential aufgerufen werden kann. Nur muss es die<br />
Situation geben, dass <strong>man</strong> das machen will. Und<br />
die Medien schaffen im Augenblick die Begründung<br />
26<br />
dafür, warum es richtig ist, Krieg zu führen. Wir sind<br />
in Afghanistan – was ich nach wie vor nicht verstehe<br />
– und das wird dauernd kommuniziert. Jeden Tag<br />
wird irgend<strong>eine</strong> Sau durchs Dorf getrieben und das<br />
ist dann interessant. Und Guantanamo ist halt nicht<br />
mehr aktuell. Das ist das Problem des Flüchtigen. Um<br />
Frieden zu schaffen, für sich selber und mit anderen,<br />
müssen wir <strong>eine</strong> Streitkultur so gestalten, dass <strong>man</strong><br />
sich trotz unterschiedlicher Meinungen auch wieder<br />
zusammensetzen kann. Das ist vielleicht ein Weg.<br />
Prof. Heinz Glässgen<br />
Man kann ja schwarz malen und sagen: Die Medien<br />
gehören den Parteien, nie<strong>man</strong>d interessiert sich mehr<br />
für Guantanamo und wo gibt es überhaupt noch <strong>eine</strong>n<br />
Fortschritt. Man kann sagen, dass das Internet die<br />
<strong>Gesellschaft</strong> spaltet, individualisiert und die Wahrheit<br />
landet auf dem Friedhof. Ich gehöre nicht zu denen.<br />
Ich bin durchaus auch optimistisch, dass es voran<br />
geht und dass sich Dinge verändern. Ein Stichwort<br />
zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Wenn wir und<br />
die jungen Leute nicht mehr in diesem System sind,<br />
wird das System von sich aus überlegen, was es<br />
anders machen kann. Es werden Veränderungen<br />
kommen und ich glaube, dass Aufklärung k<strong>eine</strong> Angelegenheit<br />
der Vergangenheit ist, sondern <strong>eine</strong> außerordentlich<br />
zeitgemäße und wichtige Aufgabe für diese<br />
<strong>Gesellschaft</strong>. Und jeder, der an dieser Aufklärung und<br />
damit an der E<strong>man</strong>zipation von Menschen mitwirkt<br />
– durch solche Tagungen, Artikel, Handyfotos – trägt<br />
dazu bei, dass es ein bisschen nach vorne geht.<br />
Michel Fried<strong>man</strong><br />
Dazu muss ich aus Prinzip <strong>eine</strong> andere Haltung einnehmen.<br />
Ich glaube, dass sich die Dinge nicht zum<br />
Besseren wenden, vielleicht nicht unbedingt zum<br />
Schlechteren, aber auf alle Fälle nicht zum Besseren.<br />
Seit 1945 gab es k<strong>eine</strong>n Tag ohne Krieg, irgendwo auf<br />
dieser Welt.<br />
Übrigens können Kinder, die die ersten fünf Jahre in<br />
<strong>eine</strong>r Gewaltatmosphäre aufwachsen sind – und dafür<br />
musst du gar nicht in Afghanistan sein, das kann<br />
genauso in Gotha und Frankfurt am Main passieren –<br />
mit unserem Thema überhaupt nichts mehr anfangen.<br />
Und wenn diese Kinder k<strong>eine</strong> gute Bildung erfahren,<br />
lernen sie nicht, <strong>eine</strong> andere Lebensperspektive,<br />
Meinung, Position oder Wahrheit zu ertragen. Und sie<br />
können nicht friedlich reagieren. Sie haben gelernt,<br />
darauf mit Gewalt zu reagieren. Ich kann das nicht<br />
in China ändern, ich kann das nicht in Afghanistan<br />
ändern aber ich kann es dort ändern, wo ich lebe.<br />
Und wenn wir das hier nicht tun, dann sollen wir die<br />
Klappe in Afghanistan nicht zu weit aufmachen.
<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />
Was müssen die Künste aufzeigen?<br />
Lutz Görner<br />
1945 in Thüringen<br />
geboren; Studium der<br />
Theaterwissenschaft,<br />
Ger<strong>man</strong>istik, Kunstgeschichte,Philosophie<br />
und Soziologie<br />
in Köln; Arbeit als<br />
Schauspieler, Bühnenarbeiter,<br />
Requisiteur,<br />
Dramaturg, Inspizient,<br />
Regisseur an<br />
verschiedenen deutschen<br />
Bühnen; erste<br />
Auftritte als Rezitator mit dem H<strong>eine</strong>-Programm<br />
„Die Menschen sind k<strong>eine</strong> Esel“ in <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n<br />
Schwabinger Theater machten ihn zum gefragten<br />
Rezitator; Kündigung s<strong>eine</strong>r Theaterarbeit, fortan<br />
eigenständige Organisation s<strong>eine</strong>r Gastspiele;<br />
ab 1993 strahlte der Sender 3Sat s<strong>eine</strong> 200-teilige<br />
Serie „Lyrik für alle“ aus<br />
Es ist ein bisschen altes Denken: Was muss <strong>man</strong> tun.<br />
Es wäre schöner: Was könnte <strong>man</strong> tun. Aber ich will<br />
das jetzt nicht weiter vertiefen.<br />
Birgit Klaubert<br />
Wir haben schon über den Befehlston und über die<br />
Möglichkeit der Kommunikation gesprochen. Sind die<br />
Künste auch Medien in diesem Prozess?<br />
Lutz Görner<br />
Ja, sicherlich sind wir auch Medien. Wir sind halt nicht so<br />
bedeutend wie die Fernsehsender, die <strong>eine</strong> ganz andere<br />
Präsenz und andere Möglichkeiten haben, für die Leute<br />
glaubhaft zu machen, was sie verkünden wollen. Manche<br />
Sachen muss <strong>man</strong> halt nur mehrmals verkünden, dann<br />
glaubt es der Fernsehzuschauer. Der glaubt dann auch,<br />
dass der Politiker gut ist und richtig redet. An den Umfrageergebnissen<br />
kann <strong>man</strong> das sehr gut ablesen. Wenn ein<br />
Politiker oft im Fernsehen vorgekommen ist, dann hat er<br />
meistens ein bisschen mehr, und wenn er dummes Zeug<br />
geredet hat, dann ein bisschen weniger Prozente. Und<br />
wenn ein Politiker lange nicht vorgekommen ist, dann<br />
kennt ihn k<strong>eine</strong>r mehr. Insofern hat das Fernsehen schon<br />
<strong>eine</strong> große Auswirkung. Ich bin 17 Jahre lang immer sonntags,<br />
von 9.05 bis 9.15 Uhr bei 3sat vorgekommen. Und<br />
wenn <strong>man</strong> das 17 Jahre lang tut, dann ist <strong>man</strong> irgendwie<br />
ein guter Rezitator. Und wenn das nicht der Fall gewesen<br />
wäre, wäre <strong>man</strong> ein nicht so guter Rezitator.<br />
Birgit Klaubert<br />
Sewan Latchinian, ich möchte Sie ausdrücklich nach<br />
<strong>eine</strong>m Projekt aus dem Jahr 2009 befragen. Sie haben<br />
damals „Die Brücke von Varvarin“ auf die Bühne<br />
gebracht. Es war <strong>eine</strong> vielbeachtete Uraufführung. Sie<br />
wurden als engagierter Aufklärer bezeichnet. Sind Sie<br />
das und hat die Aufklärung überhaupt noch Sinn?<br />
Sewan Latchinian<br />
1961 in Leipzig geboren;<br />
Studium an der Hochschule<br />
für Schauspielkunst<br />
„Ernst Busch“<br />
Berlin; anschließendes<br />
Engagement als Schauspieler<br />
am Mecklenburgischen<br />
Staatstheater<br />
Schwerin; 1986 Debüt<br />
als Dramatiker mit dem<br />
Theaterstück „Grabbes<br />
Grab“, Uraufführung<br />
am Mecklenburgischen<br />
Staatstheater Schwerin; 1988 – 1997 Engagement<br />
als Schauspieler am Deutschen Theater Berlin; seit<br />
1993 Regiearbeiten an den Schauspielhäusern Bonn,<br />
Dortmund, Düsseldorf, Leipzig, am Staatstheater<br />
Cottbus und am Münchner Volkstheater; zudem<br />
Schauspieldozent an der Hochschule für Schauspielkunst<br />
„Ernst Busch“ und an der „Folkwang Hochschule“<br />
Essen; 1997 – 2003 Oberspielleiter am Rheinischen<br />
Landestheater Neuss; seit 2004 Intendant der<br />
Neuen Bühne Senftenberg (2005 von der Zeitschrift<br />
Theater <strong>heute</strong> zum Theater des Jahres gewählt)<br />
Ich versuche unbedingt <strong>eine</strong> engagierter Aufklärer zu<br />
sein, zusammen mit m<strong>eine</strong>n Kolleginnen und Kollegen,<br />
und m<strong>eine</strong>, das auch in diesem Sinne zu müssen.<br />
Als innere Dringlichkeit gegenüber all den Defiziten<br />
in unserer, an sich gar nicht so schlechten und<br />
chancenlosen <strong>Gesellschaft</strong>sordnung. Aber es gibt so<br />
viele Defizite, um die sich k<strong>eine</strong>r kümmert, was dem<br />
Theater viele Chancen gibt, etwas zu tun. Und sei es<br />
aufzuklären.<br />
Krieg ist für mich die größte Form von Barbarei und<br />
ich empfinde m<strong>eine</strong> Arbeit als tagtäglichen Kampf<br />
zwischen Kultur und Barbarei. Wir gewöhnen uns viel<br />
zu sehr an Kriege – das m<strong>eine</strong> ich durchaus auch<br />
selbstkritisch. Das ist für mich k<strong>eine</strong> Fortsetzung der<br />
Politik mit anderen Mitteln. Das ist ein Versagen von<br />
Politik. Natürlich bin ich froh, dass wir als Deutsche<br />
1945 befreit worden sind, sozusagen durch <strong>eine</strong>n Gegenkrieg<br />
der Alliierten. Aber im 21. Jahrhundert hätte<br />
ich doch große Lust, mit all‘ unseren Möglichkeiten,<br />
hinter denen wir täglich bleiben, weltweit Fantasien<br />
zu entwickeln, neue Ideen zu finden, wie <strong>man</strong> Kriege<br />
nicht mehr braucht und trotzdem Ungerechtigkeiten<br />
zurückdrängt. Da gibt es so unendlich viel mehr Möglichkeiten.<br />
Und ein Thema war Varvarin, dieser Jugoslawienkrieg,<br />
der ja, wenn ich mich nicht falsch erinnere, ohne<br />
völkerrechtliches Mandat zustande gekommen ist.<br />
Ich glaube auch gegen den Willen der Mehrheit der<br />
Deutschen. An jenem Pfingstsonntag in Varvarin sind<br />
16 unschuldige Menschen, aus der Kirche kommend,<br />
27
zwei Mal von Tornados beschossen worden. Die Brücke<br />
ist zerstört worden und 16 Menschen waren tot.<br />
Bestialische Fotos gibt es darüber im Internet. Kein<br />
Mensch hat sich bei denen entschuldigt. Kein Mensch<br />
hat irgendetwas wiedergutgemacht. Kein Mensch<br />
hat die Verantwortung übernommen, auch nicht die<br />
NATO. Das ist ein entsetzlicher Kollateralschaden,<br />
nicht nur an diesen 16 Menschen in Ex-Jugoslawien,<br />
sondern auch an unserer Demokratie. Und den<br />
mussten wir auf die Bühne bringen, wenn es denn<br />
kein anderer tut. In einigen Nischen in den Medien ist<br />
es gemacht worden. Aber wir fanden, das gehört auf<br />
<strong>eine</strong> Bühne als moralische Anstalt, mit Aufklärungswillen<br />
und demokratischem Engagement. Es war sicher<br />
<strong>eine</strong>r unserer typischen Versuche, gesellschaftliche<br />
Relevanz mit Ästhetik und den Live-Möglichkeiten von<br />
Theater zu verbinden.<br />
Lutz Görner<br />
Was du geschildert hast ist bewundernswert und gut,<br />
aber das ist ein subjektives Müssen.<br />
Sewan Latchinian<br />
Na klar. Anderes Müssen kenne ich ja auch. Ich war in<br />
der DDR als Soldat der Nationalen Volksarmee 18 Monate<br />
als Sprengtaucher auf irgendwelchen Geländen<br />
und habe Sprengungen gelernt und geübt. Und das ist<br />
<strong>eine</strong> solche Idiotie – auch an der Natur. Es gab da Unfälle<br />
und Tote, nur schon beim Krieg spielen. Es ist ein<br />
solcher Wahnsinn, wie viele Fische bei <strong>eine</strong>r Wasserexplosion<br />
sterben, wie viele Bäume bei <strong>eine</strong>r Erddetonation<br />
umfallen. Wenn <strong>man</strong> sich das mit Empathie<br />
vergrößert vorstellt, in irgend<strong>eine</strong>m Land oder Volk,<br />
wo auch lauter Kinder leben – das ist die größtmögliche<br />
Katastrophe, die muss verhindert werden.<br />
Wir haben ja viel über den kl<strong>eine</strong>ren, über den inneren<br />
Frieden gesprochen. Ich bin froh, dass es wenigstens<br />
<strong>eine</strong> Partei in der Bundesrepublik Deutschland gibt,<br />
die dezidiert Nein sagt – auch wenn das <strong>man</strong>chmal etwas<br />
stur wirkt und ich mich <strong>man</strong>chmal frage: Aber wie<br />
soll es anders gehen? Aber es regt an, sich andere<br />
Gedanken zu machen. Und dafür bin ich dankbar.<br />
Birgit Klaubert<br />
Markus Heinzel<strong>man</strong>n, Sie waren ein Jahr Geschäftsführer<br />
des Hauses, da wurde am Kriegerdenkmal auf<br />
dem Friedensberg in Jena mit dem Jugendtheater das<br />
Stück „Picknick im Felde“ aufgeführt. Die Ostthüringer<br />
Zeitung schrieb damals: „Wenn ein Galgen Friedensberg<br />
genannt wird, kann <strong>man</strong> vielleicht kaum anders,<br />
als dort <strong>eine</strong> absurde Kriegsidylle aufführen und <strong>eine</strong>n<br />
sonnigen Sonntagnachmittag in ein kühles Oktoberdunkel<br />
verlegen. Aber <strong>man</strong> kann nicht übersehen, was<br />
groß auf dem Denkmalstein steht: Die Toten der Kriege<br />
mahnen zum Frieden. Und <strong>man</strong> weiß, es ist kein<br />
Spiel mehr, wenn die Sanitäter am Ende zu tragen<br />
haben, bis ihnen die Hände bluten.“<br />
Kann Theater Fantasien für den Frieden entwickeln?<br />
28<br />
Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />
1968 geboren; ab<br />
1999 freier Regisseur<br />
in Mainz, Bielefeld,<br />
Kassel, Lübeck, Berlin,<br />
Linz und Konstanz;<br />
2003/04 Dozent an<br />
der Schauspielschule<br />
Leipzig, Studio Weimar;<br />
seit Sommer 2004<br />
Künstlerischer Leiter<br />
und Geschäftsführer<br />
am Theaterhaus Jena;<br />
2006 inszenierte er<br />
als Gast in Bern „Sieh mich an und sprich“ von<br />
Savyon Liebrecht (dt. EA); außerdem hat er für<br />
die Stückemärkte der Berliner Theatertreffen 2005<br />
und 2006 szenische Lesungen inszeniert; für die<br />
Ruhrfestspiele Recklinghausen inszenierte er in<br />
Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus<br />
Hamburg „Bowling Alone“ von Oliver Bukowski;<br />
für das Schauspielhaus Hamburg inszenierte er<br />
2008 „Die Kümmerer“ und für das Bremer Theater<br />
2009 „Blühende Landschaften“<br />
Auf jeden Fall, wie <strong>man</strong> an dem Projekt gesehen hat.<br />
Dieses Kriegerdenkmal in Jena steht am Friedensberg,<br />
was früher ein Henkersplatz war. Auf kroteske Art und<br />
Weise, nämlich mit Jugendlichen, haben wie die Geschichte<br />
<strong>eine</strong>s jungen Soldaten erzählt, der im Krieg<br />
ist und eigentlich nicht so richtig etwas damit anfangen<br />
kann. Die Familie kommt vorbei, die k<strong>eine</strong> Angst<br />
um ihn hat, sondern stolz ist und ein Picknick mit<br />
ihm macht. Hier wird die Geschichte dieses jungen,<br />
überforderten Menschen erzählt und die Haltung der<br />
bürgerlichen <strong>Gesellschaft</strong> dazu thematisiert. Wenn<br />
das so zusammenkommt, ästhetisch und mit dem Ort<br />
der Geschichte, dann kann Theater sehr viel machen.<br />
Natürlich sind wir nicht so bedeutend wie die anderen<br />
Medien. Aber wir können versuchen, es vor Ort zu<br />
machen, für die Stadt und die Leute, die zu uns ins<br />
Theater kommen.<br />
Sewan Latchinian<br />
Und das sind in Senftenberg 60.000 im Jahr, in <strong>eine</strong>r<br />
Stadt mit 24.000 Einwohnern. Und das ist für mich<br />
immer wieder beglückend, weil ich weiß, diese 60.000<br />
wären alle nicht in ein Theater gegangen, wenn es<br />
dieses Theater nicht gäbe. Es werden Werte weitergegeben,<br />
die den Staat etwas kosten, was er sonst,<br />
wenn es k<strong>eine</strong> Theater gäbe, vielleicht auch noch in<br />
die Rüstung und in Kriege packen würde. Theater sind<br />
Orte der Demokratie. Orte, die Krieg erzählen und die<br />
zu <strong>eine</strong>r anderen Umgangsweise von Menschen, Staaten<br />
und Rassen untereinander anregen, die immer<br />
ein Gegenprogramm zu Barbarei und damit auch für<br />
Frieden sind.<br />
Birgit Klaubert<br />
Was muss eigentlich in unserer multimedialen <strong>Gesellschaft</strong><br />
seitens der Künste passieren, um aufzuklären?
Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />
Wir erreichen nur <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Teil der <strong>Gesellschaft</strong> und<br />
trotzdem finde ich es sehr wichtig, dass die Theater gesellschaftspolitisch<br />
relevante Themen verfolgen und auf<br />
die Bühne bringen. Damit beziehen sie Position und rechtfertigen<br />
auch ihre Subventionen. Die besser finanzierten<br />
Medien haben das Problem der Quote. Das ist in Theatern<br />
teilweise genauso. Sie sind auch unter Druck, was die<br />
Einspielergebnisse angeht. Manche Intendanten setzen<br />
nur noch Unterhaltungsprogramme an. Das verwässert<br />
natürlich <strong>eine</strong> <strong>Gesellschaft</strong>. Es ist wichtig, dass die Künste<br />
immer wieder Qualität anbieten, dass diese Qualität<br />
gefordert und auch politisch unterstützt wird, ohne immer<br />
diesen Quotendruck aus Kostengründen zu verstärken.<br />
Lutz Görner<br />
Wir haben den zahlenmäßigen Nachteil, aber auch <strong>eine</strong>n<br />
riesigen Vorteil. Wir stehen demjenigen, dem wir unsere<br />
Kunst, unsere Sicht auf die Welt mitteilen, Aug in Aug<br />
gegenüber. Und dieses Aug-in-Aug-Gegenüberstehen<br />
hat auf <strong>man</strong>che Menschen <strong>eine</strong>n wesentlich größeren<br />
Einfluss und <strong>eine</strong> größere Wirkung, als dieses Riesel-<br />
Medium. Insofern können wir ab und zu auch mal stolz<br />
sein, dass wir etwas Vernünftiges erreicht haben.<br />
Sewan Latchinian<br />
Wir können auch die tagtägliche Routine unserer Wahrnehmung<br />
immer mal wieder überraschend unterbrechen,<br />
bei unserem Publikum und bei uns selbst. Und<br />
das ist an sich schon ein Vorgang, der immer wieder<br />
für Erfrischung sorgt. Und im besten Falle auch für die<br />
Idee, zu fragen, ob das denn immer alles so sein muss,<br />
oder ob das nicht auch anders geht. Dazu laden Theater,<br />
Kunst, Malerei und Musik immer wieder aktiv ein –<br />
und sei es <strong>man</strong>chmal in der Hofnarrenposition.<br />
Birgit Klaubert<br />
Wir haben vorhin festgestellt, dass die Friedensbewegung<br />
nicht mehr die große Friedensbewegung ist, dass<br />
<strong>man</strong> oft darum ringen muss, die Leute in Bewegung<br />
zu setzen. Können die Künste mit ihren Möglichkeiten<br />
gegen den Zeitgeist schwimmen? Und wenn ja, wie?<br />
Lutz Görner<br />
Wenn sie erfolgreich sein wollen, können sie das nicht.<br />
Ob wir nun Aug-in-Aug-Künstler oder Medien-Künstler<br />
sind, müssen wir immer schauen, dass wir Abnehmer<br />
finden. Und die Abnehmer heutzutage sind andere Abnehmer<br />
als vor 30 Jahren. Als ich in Bonn auf der Hochgartenwiese<br />
stand und vor 300.000 Menschen Tucholskys<br />
„Krieg dem Kriege“ vorgetragen habe, erzählte ich<br />
vorher, dass die Dichter immer schon für den Frieden<br />
gewesen seien, und dass ein Dichter ganz besonders<br />
für den Frieden war. Der wäre nämlich Kriegsminister<br />
gewesen und hätte das Heer auf die Hälfte reduziert –<br />
und hieß Johann Wolfgang Goethe. Und daraufhin hat<br />
es mindestens fünf Minuten lang ein Geschrei gegeben:<br />
Goethe, Goethe, Goethe. Und wenn 300.000 Leute das<br />
schreien, dann kommen <strong>eine</strong>m die Tränen. Und anschließend<br />
habe ich dann „Krieg dem Kriege“ vorgetragen.<br />
Diese Erfahrung ist etwas, was für ein Leben<br />
ausreicht. Und diese Sache könnte ich heutzutage nie<br />
wieder machen, weil es k<strong>eine</strong> 300.000 Menschen mehr<br />
gibt, die auf der Hofgartenwiese stehen und <strong>eine</strong>m<br />
zuhören würden. Ich finde, dass Kriege nicht nur Kriege<br />
sind, wenn sie mit Waffen ausgeführt werden. Es gibt<br />
noch ganz andere Kriege. Und wir führen im Moment<br />
<strong>eine</strong>n ganz wahnsinnigen Krieg gegen die gesamte Welt.<br />
Die UNO-Zahlen der Armut und Hungertoten sind so<br />
hoch. Wir müssen uns überlegen, ob unser Wohlstand<br />
mit unserer Hände Arbeit geschehen ist oder ob das<br />
nicht vielleicht mit der Armut der Welt zu begründen ist.<br />
Es gibt ein Märchen von Dietrich Kittner, das geht so:<br />
„Liebe Kinder, es war einmal ein Mann, der wurde mit<br />
s<strong>eine</strong>r eigenen Hände Arbeit zum Millionär. Morgen, liebe<br />
Kinder, erzähle ich euch ein anderes Märchen.“<br />
Sewan Latchinian<br />
Wir sollten mit unseren künstlerischen Mitteln Widerstand<br />
gegen diesen Zeitgeist organisieren. Und das<br />
versuchen wir auch auf fantasievolle und überraschende<br />
Weise. Der Zeitgeist ist natürlich die Quersumme aus allem,<br />
was letztendlich auch immer wieder zu Kriegen führt<br />
oder zu unserem Reichtum auf Kosten der Armut anderer.<br />
Die USA haben im vorigen Jahr die Hälfte ihrer Maisernte<br />
verbrannt, um dann nachwachsende Energien damit zu<br />
erzeugen. Das ist <strong>eine</strong>rseits der neue Trend. Aber darauf,<br />
dass dieser Mais gegen den Hunger Sterbender sinnvoller<br />
angelegt wäre, kommt k<strong>eine</strong>r mehr. Und da ist Theater ein<br />
Ort, wo sich 300, 400 Menschen hinsetzen und zwei oder<br />
drei Stunden bereit sind, hinzugucken und mitzudenken.<br />
Da haben wir <strong>eine</strong> große Verantwortung aber auch <strong>eine</strong><br />
Chance. Und das macht viel Spaß.<br />
Birgit Klaubert<br />
Darf ich bei dem Theaterhaus Jena noch einmal fragen,<br />
wie sich das besondere Theater in <strong>eine</strong>r Universitätsstadt<br />
auch im Umgang mit Kindern und Jugendlichen<br />
anpacken lässt?<br />
Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />
Wir haben wirklich <strong>eine</strong> besondere Situation. Wir sind<br />
Gott sei Dank nicht dem politischen Druck unterworfen,<br />
wie <strong>man</strong>che andere Häuser, was die Zuschauerzahlen<br />
und Einspielergebnisse angeht. Sondern bei uns wird<br />
gewollt, dass wir Theater so machen, wie wir das tun.<br />
Und wir versuchen, Stücke für Kinder zu machen. Es<br />
gibt Programme mit Theaterpädagogen, wir haben<br />
<strong>eine</strong>n Jugendklub, machen auch einmal im Jahr <strong>eine</strong><br />
Jugendklub-Inszenierung auf der großen Bühne. Wir<br />
versuchen, für die kl<strong>eine</strong>n Kinder, über die Jugendlichen,<br />
bis zu den jungen Erwachsenen und Erwachsenen<br />
Programme anzubieten, die sich mit unseren Themen<br />
auseinandersetzen. Denn Bildung, Aufklärung oder Konfrontation<br />
fangen schon in jungen Jahren an.<br />
Ich wundere mich immer wieder, warum es k<strong>eine</strong><br />
Demonstrationen gegen bestimmte Formen von Hartz<br />
IV und soziale Ungerechtigkeit in Deutschland gibt.<br />
Davon sind so viele Menschen betroffen. Deshalb kann<br />
ich es verstehen, wenn auch nicht gutheißen, dass es<br />
k<strong>eine</strong> Demonstrationen zu <strong>eine</strong>m Thema gibt, das nicht<br />
einmal direkt in Deutschland stattfindet. Um jetzt wieder<br />
auf das Theater zurückzukommen: M<strong>eine</strong>r Meinung<br />
29
nach ist es wichtig, außerhalb dieser Kriegsthemen die<br />
Themen der sozialen Gerechtigkeit, die mit Krieg direkt<br />
verbunden sind, zu thematisieren. Zur Zeit mache ich<br />
die Nibelungen. Ein Stück, das eigentlich immer im<br />
Krieg spielt und zum Schluss gehen alle in den Tod. Hier<br />
besteht die Möglichkeit, Figuren oder Emotionen darin<br />
ersch<strong>eine</strong>n zu lassen, die wir durchaus wiedererkennen.<br />
Es gibt die Chance, unserem eigenen Verhalten <strong>eine</strong>n<br />
Spiegel vorzuhalten.<br />
Birgit Klaubert<br />
Sewan Lachinian, Sie haben während der Fußballweltmeisterschaft<br />
2006 davon gesprochen, dass Frieden<br />
<strong>eine</strong> große Kulturleistung gegen die Barbarei ist. Können<br />
Sie das noch etwas genauer beschreiben?<br />
Sewan Latchinian<br />
Damals ist gefragt worden, ob <strong>man</strong> als Fan der Fußballweltmeisterschaft<br />
tatsächlich nicht nach Brandenburg<br />
soll. Ich hatte gesagt, dass dies k<strong>eine</strong> No-Go-Area ist.<br />
Da leben auch Menschen, die weitestgehend gastfreundlich<br />
sind. Und ich habe beschrieben, dass es<br />
mit bestehenden Defiziten zusammenhängt, wenn es<br />
anders ist. Weil Aggressionen, Neid, Ausländerhass bis<br />
Rechtsradikalismus natürlich immer etwas damit zu tun<br />
haben, dass Kultur nicht wirklich <strong>eine</strong> Chance hat. Weil<br />
da eher barbarische, genetische, atavistische Reflexe<br />
funktionieren, die selbstverständlicher sind als <strong>friedliche</strong>,<br />
kultivierte, zivilisierte Verhaltensweisen. Deswegen<br />
sind Kultur, die Künste, Parteien, natürlich auch die<br />
Gerichtsbarkeit sehr wichtig. Eine der schönsten Blüten<br />
von Kultur ist Frieden. Auch Gerechtigkeit, Glück. Deswegen<br />
gibt es da <strong>eine</strong>n direkten Zusammenhang.<br />
Lutz Görner<br />
Die Künste sind <strong>eine</strong> wunderbare und angenehme<br />
Angelegenheit. Und wer die Künste genießen kann, wer<br />
genügend Bildung in s<strong>eine</strong>m Leben bekommen und sich<br />
damit auseinandergesetzt hat, der hat natürlich ein<br />
großes Vergnügen daran. Nach m<strong>eine</strong>r Erfahrung findet<br />
Frieden eigentlich nur dann statt, wenn die <strong>Gesellschaft</strong><br />
Wohlstand hat. Ich kenne k<strong>eine</strong> einzige <strong>Gesellschaft</strong>,<br />
in der es Hunger und Armut gibt und die dabei friedlich<br />
ist. Wenn unsere <strong>Gesellschaft</strong> nicht mehr so reich<br />
wäre wie jetzt, dann würden wir sehr schnell wieder die<br />
Knarre in die Hand nehmen und gegen die Franzosen<br />
losziehen. Davon bin ich fest überzeugt.<br />
Sewan Latchinian<br />
Da muss ich widersprechen.<br />
Lutz Görner<br />
Streitkultur ist ja das Beste, was wir haben. Wir müssen<br />
uns streiten – friedlich.<br />
Sewan Latchinian<br />
Wir haben gerade im letzten Jahr gemerkt, dass es auf<br />
<strong>eine</strong> größere Einfachheit und Bescheidenheit hinauslaufen<br />
muss, weil es diesen Luxus, den wir teilweise haben,<br />
nicht für die ganze Menschheit geben kann. Aber es<br />
wird, damit es weniger Armut gibt, bei weniger Reichtum<br />
insgesamt, vielleicht für alle <strong>eine</strong> gerechtere, bescheidenere<br />
und einfachere Lebensform geben können.<br />
30<br />
Birgit Klaubert<br />
Wo sehen Sie sich in Ihrem eigenen Wirken bei der<br />
Frage nach den Fantasien für den Frieden?<br />
Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />
Natürlich empfinde ich den Frieden – im Kl<strong>eine</strong>n wie<br />
im Großen – als das Wichtigste und Erstrebenswerteste.<br />
Wenn ich mich damit beschäftige, wie gerade mit<br />
den Nibelungen, dann bin ich ein bisschen skeptisch,<br />
dass das besser wird. Was ich auf Deutschland bezogen<br />
ganz wichtig finde ist, dass allen Kindern ähnliche<br />
Bildungschancen eingeräumt werden. Dass Kinder<br />
überhaupt die Möglichkeit haben, bestimmte Themen<br />
mitzubekommen und sich dementsprechend zu<br />
entwickeln und zu verhalten und dadurch zum Frieden<br />
beizutragen. Ich persönlich werde mich immer wieder<br />
im Theater gesellschaftspolitisch relevant verhalten<br />
und versuchen, größere Themen dort zu belegen. Und<br />
im Alltag geht es dann darum, Vorbild zu sein, etwas<br />
anzustoßen, zu unterstützen und diese Kultur möglichst<br />
breit zu vermitteln.<br />
Sewan Latchinian<br />
Ich kann nur dafür werben, dass nicht weiter Kriege<br />
geführt werden, um Frieden zu schaffen. Ich kann dafür<br />
werben, und das auch mit den Mitteln des Theaters,<br />
die Ursachen anzugehen, die zu Kriegen, Fundamentalismus<br />
oder Radikalismus führen. Sich Gedanken zu<br />
machen, wie <strong>man</strong> diese Ursachen bekämpfen kann,<br />
ohne die Wirkung zu bekriegen.<br />
Lutz Görner<br />
Und ich kann nur dazu auffordern, sich an die eigene<br />
Nase zu fassen, wenn <strong>man</strong> die Ungerechtigkeit dieser<br />
Welt, die eben auch zu Kriegen führt, betrachtet.<br />
Ansonsten bin ich gebeten worden noch ein Gedicht<br />
vorzutragen, was ich auch gerne mache. Es ist ein<br />
wunderschönes aus dem „West-östlichen Divan“ von<br />
Goethe, also aus dem Buch, wo der Westen und der Osten<br />
ein bisschen miteinander versöhnt werden sollen:<br />
„Selige Sehnsucht“:<br />
„Sagt es nie<strong>man</strong>d, nur den Weisen,<br />
Weil die Menge gleich verhöhnet,<br />
Das Lebendige will ich preisen,<br />
Das nach Flammentod sich sehnet.<br />
In der Liebesnächte Kühlung,<br />
Die dich zeugte, wo du zeugtest,<br />
Überfällt die fremde Fühlung<br />
Wenn die stille Kerze leuchtet.<br />
Nicht mehr bleibest du umfangen<br />
In der Finsternis Beschattung,<br />
Und dich reißet neu Verlangen<br />
Auf zu höherer Begattung.<br />
K<strong>eine</strong> Ferne macht dich schwierig,<br />
Kommst geflogen und gebannt,<br />
Und zuletzt, des Lichts begierig,<br />
Bist du Schmetterling verbrannt,<br />
Und so lang du das nicht hast,<br />
Dieses: Stirb und Werde!<br />
Bist du nur ein trüber Gast<br />
Auf der dunklen Erde.“
<strong>Wie</strong> <strong>schafft</strong> <strong>man</strong> <strong>heute</strong> <strong>eine</strong> <strong>friedliche</strong> <strong>Gesellschaft</strong>?<br />
Was müssen die Wissenschaften klären?<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Die Frage liegt ja auf dem Tisch: Was müssen denn<br />
die Wissenschaften aufzeigen und benennen, damit<br />
die <strong>Gesellschaft</strong> friedlich ist, friedlich bleibt, oder<br />
<strong>friedliche</strong>r wird?<br />
Rüdiger Schmidt-Grépály<br />
1952 geboren; Studium<br />
der Philosophie, Politik<br />
und Literaturwissenschaft<br />
in Kiel, Freiburg<br />
im Breisgau und Marburg;<br />
1980 Promotion<br />
mit <strong>eine</strong>r Arbeit über<br />
das Frühwerk Friedrich<br />
Nietzsches; 1983 – 1985<br />
als Stipendiat des Deutschen<br />
Akademischen<br />
Austauschdienstes in<br />
Florenz und Mitarbeiter<br />
des Nietzsche-Forschers Mazzino Montinari;<br />
1989 – 1995 Philosophischer Geschäftsführer<br />
der Karl Jaspers Vorlesung zu Fragen der Zeit in<br />
Verbindung mit der Stiftung Niedersachsen an der<br />
Universität Oldenburg; ab 1993 freier Mitarbeiter<br />
der Stiftung Weimarer Klassik; 1999 Gründung des<br />
Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung<br />
Weimar, dessen Leiter er seither ist; seit 1998<br />
Lehrbeauftragter für Philosophie an den Universitäten<br />
Jena, Weimar<br />
Die Wissenschaften sollten wieder anfangen, über<br />
Begriffe nachzudenken und auch Welt wieder zusammenzudenken.<br />
Welt, die auseinanderfällt und die auch<br />
von vielen Philosophen der Postmoderne als <strong>eine</strong><br />
auseinanderfallende Welt mit dem Satz ‚Wir können<br />
gar nichts mehr verändern‘ gerechtfertigt wird. Natürlich<br />
können wir verändern und wir sollten auch daran<br />
erinnern. Und mir fällt auf, dass wir uns eigentlich<br />
den ganzen Tag mit Überbauphänomenen beschäftigt<br />
haben. Wir haben aber nicht vom Kapitalismus<br />
gesprochen, auch nicht davon, dass wir immer noch<br />
in <strong>eine</strong>r Klassengesellschaft leben. Seit es Geschichte<br />
gibt, die aufgeschrieben wird, gibt es Kriege – und es<br />
hat sicher damit zu tun, dass es seitdem immer Unterdrücker<br />
und Unterdrückte gibt. Wir leben in <strong>eine</strong>r<br />
<strong>Gesellschaft</strong>, die voller Gewalt ist, bis in den Betrieb<br />
und die Familie hinein. Ich m<strong>eine</strong>, das hat etwas mit<br />
dem Kapitalismus zu tun. Der Kapitalismus ist nicht<br />
friedensfähig.<br />
Peter Strutynski<br />
1945 in Österreich<br />
geboren; Studium der<br />
Politikwissenschaft,<br />
Ger<strong>man</strong>istik und<br />
Geschichte in München;<br />
seit 1977 an der<br />
Universität Kassel:<br />
Dozent der Politikwissenschaft,<br />
Aufbau der<br />
AG Friedensforschung<br />
an der Uni Kassel, Veranstalter<br />
der jährlichen<br />
„Friedenspolitischen<br />
Ratschläge“ an der Uni Kassel; Sprecher Bundesausschuss<br />
Friedensratschlag; Mitherausgeber der<br />
jährlich ersch<strong>eine</strong>nden Schriftenreihe „Kasseler<br />
Schriften zur Friedenspolitik“<br />
Wir haben von Herzog Ernst und <strong>eine</strong>m mutigen adligen<br />
Stadtkom<strong>man</strong>danten erfahren. Ich möchte aber<br />
ganz kurz darauf hinweisen, dass es <strong>eine</strong> große Mehrheit<br />
der <strong>Gesellschaft</strong> gibt, die weder von diesem Fürsten<br />
noch von Ritter von Gadolla repräsentiert wird,<br />
die aus sich heraus überhaupt kein Interesse an Krieg,<br />
sondern nur an <strong>friedliche</strong>n Verhältnissen hat. Weil wir<br />
an diesem historischen Ort in Gotha sind, möchte ich<br />
darauf aufmerksam machen, dass hier in Gotha vor 135<br />
Jahren ein Vereinigungsparteitag stattgefunden hat.<br />
Ein linker Vereinigungsparteitag. Es ist ja in der Linken<br />
meistens umgekehrt, da spaltet <strong>man</strong> sich – das ist<br />
auch <strong>eine</strong> deutsche Erfahrung. Aber ab und zu kommt<br />
es doch vor, dass sich linke Parteien vereinigen.<br />
Und die Vereinigung zur Sozialistischen Deutschen<br />
Arbeiterpartei 1875 in Gotha sollte doch kurz benannt<br />
werden, weil sich in den Gothaer Programmen <strong>eine</strong><br />
wichtige Forderung befindet: Entscheidung über Krieg<br />
und Frieden durch das Volk. Hätten wir diese Möglichkeit<br />
<strong>heute</strong>, würden Bundeswehrsoldaten nicht in<br />
Afghanistan stehen. Das wäre doch schon etwas.<br />
Leider bin ich kein Lutz Görner, aber ich wollte in dem<br />
Zusammenhang etwas zum Besten geben. Wir haben<br />
uns vor 135 Jahren auch in der Situation <strong>eine</strong>s Krieges<br />
befunden. Damals galt es als Hochverrat, zum Beispiel<br />
während des Deutsch-Französischen Krieges, wenn<br />
<strong>man</strong> sich für Völkerverständigung zwischen Deutschen<br />
und Franzosen einsetzte. Ich möchte nun vortragen,<br />
was damals ein beliebtes Volkslied gewesen ist:<br />
„Ihr Brüder all‘, ob Deutsche ob Franzosen, ob Ungarn,<br />
Dänen, ob vom Niederland, ob grün, ob rot, ob blau,<br />
ob weiß die Hosen, gebt euch statt Blei zum Gruß die<br />
Bruderhand. Auf, lasst zur Heimat uns zurückmarschieren,<br />
von den Tyrannen unser Volk befreien, denn nur<br />
Tyrannen müssen Kriege führen. Soldat der Freiheit will<br />
ich gerne sein.“<br />
31
Das ist nicht nur aus historischer Perspektive interessant.<br />
Da steckt auch für <strong>eine</strong>n Wissenschaftler, der<br />
sich mit Krieg und Frieden befasst, ein sehr wichtiger<br />
Kern von historischer Wahrheit drin: Diejenigen, die<br />
die Werte schaffen und die arbeiten, haben kein Interesse<br />
daran, dass andere ausgebeutet werden, woraus<br />
sich wieder Konflikte und Kriege ergeben können,<br />
oder dass die Herrschenden ihre Söhne und Töchter<br />
in Kriege schicken. Das ist die Lehre, die wir aus der<br />
Geschichte ziehen können. Auch als Wissenschaftler<br />
sollten wir uns zuallererst daran erinnern.<br />
Hannes Heer<br />
32<br />
1941 in Wissen/Sieg geboren;<br />
Studium der Geschichte<br />
und Literatur<br />
in Bonn, Freiburg und<br />
Köln; Aufbaustudium<br />
der Volkswirtschaft in<br />
Bonn; Arbeit als Rundfunkautor;<br />
Lehraufträge<br />
und Forschungsprojekte<br />
an der Universität<br />
Bremen; 1980 – 1985<br />
Dramaturg und Regisseur<br />
am Deutschen<br />
Schauspielhaus Hamburg und an den Städtischen<br />
Bühnen Köln; 1985 – 1992 Dokumentarfilme für ARD<br />
und ZDF; 1993 – 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Hamburger Institut für Sozialforschung; Ausstellungsprojekte<br />
u.a.: 1995 „Vernichtungskrieg. Verbrechen<br />
der Wehrmacht 1941 bis 1944“; 2004/2005<br />
„Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese“;<br />
2006 „Verstummte Stimmen. Die Vertreibung<br />
der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“; Arbeit als<br />
freier Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher<br />
Ich will <strong>eine</strong> Erfahrung von <strong>heute</strong> Morgen preisgeben.<br />
Ich bin durch den Park gegangen, habe das wunderbare<br />
Schloss gesehen, bin dann zum Denkmal der Opfer<br />
des Faschismus gekommen – ohne die Absicht zu<br />
haben. Ich wusste gar nicht, dass es das hier gibt. Auf<br />
der Vorderseite steht ‚Ehre den Helden des Antifaschistischen<br />
Widerstandes‘. Aber ein wichtiger Buchstabe<br />
fehlte, der nicht mehr ersetzt worden ist. Ich bin auf<br />
die Rückseite gegangen und sah dort ‚Den Toten‘ mit<br />
<strong>eine</strong>m unvollständigen Artikel. Ich wusste nicht, ob da<br />
noch weitere Sätze folgen, welche Toten, wie viele, unter<br />
welchen Umständen tot, warum… Das alles fehlte.<br />
Wenn ich daran denke, wie viele Besucher sich diese<br />
schönen Sammlungen im Schloss anschauen und wer<br />
dort vor dem Denkmal steht und an Krieg und Faschismus<br />
denkt. Das ist der Zustand unserer <strong>Gesellschaft</strong>.<br />
So schön es ist, dem Geist von Gotha zu begegnen<br />
– wer vom Frieden redet und Frieden will, muss über<br />
Krieg reden. Ohne über Krieg zu reden und zu forschen,<br />
kommen wir k<strong>eine</strong>n Schritt weiter. Als Bürger<br />
gehe ich davon aus, dass Demokratie nur durch<br />
ständige Rebellion, ständigen Widerstand überleben<br />
kann – sonst geht sie kaputt oder kehrt sich möglicherweise<br />
in ihr Gegenteil. Ich bin natürlich gegen<br />
diesen Krieg in Afghanistan, aber wir werden ihn nicht<br />
wegkriegen. Da sammeln sich Sedimente aus vergangenen<br />
Kriegen an, Konflikte von Kriegen vorher, die<br />
nicht durchgeführten Eroberungszüge. Die Engländer<br />
haben es ja schon versucht in Afghanistan, die Russen<br />
auch, die Amerikaner sind jetzt dran und wir sind<br />
dabei. Wenn <strong>man</strong> nicht die Methoden untersucht, die<br />
sich aus vergangenen Kriegen in diesem gegenwärtigen<br />
Krieg wiederfinden, wenn <strong>man</strong> nicht die Rhetorik<br />
der Legitimation dieses Kriegs als <strong>eine</strong>n gerechten<br />
aufdeckt und mit dem vergleicht, was in Kriegen davor<br />
geredet worden ist, dann kommen wir k<strong>eine</strong>n Schritt<br />
weiter. Wir müssen Kriegsforschung betreiben, wenn<br />
wir den Frieden wollen. Wir sind konfrontiert mit dem<br />
Thema der Lüge, der Desinformation. In modernen<br />
Zeiten können Kriege nur geführt werden, wenn<br />
Soldaten und <strong>Gesellschaft</strong>en davon überzeugt sind,<br />
dass dieser Krieg gerecht ist. Wir leben nicht mehr<br />
im Zeitalter der Söldner, die auf Münzen schielten,<br />
sondern Legitimation wird durch Desinformation und<br />
Lüge erreicht.<br />
Das zweite entscheidende Element ist die Gewalt.<br />
Und zwar nicht nur, um bestimmte Ziele zu erreichen,<br />
sondern Gewalt als Wert an sich. Wenn <strong>man</strong> die<br />
Berichte der Soldaten in Afghanistan liest, dann steht<br />
an erster Stelle Kameradschaft. Das ist hochbesetzt<br />
mit Heldentum, mit Einstehen, mit Treue für <strong>eine</strong><br />
Gemeinschaft. Das ist Wert an sich, Identifikation des<br />
Individuums über Gewalt.<br />
Drittens: Macht. Das sind abgelagert die imperialistischen<br />
Kriege, die kolonialen Kriege und neokolonialistischen<br />
Versuche und Unternehmungen. Wenn wir uns<br />
mit all‘ dem nicht konfrontieren, kommen wir k<strong>eine</strong>n<br />
Schritt weiter. Und dann wird sich das erfüllen, was<br />
Karl Kraus am Ende des Ersten Weltkrieges gesagt<br />
hat:<br />
„Man wird vergessen haben, was gestern war. Man<br />
wird nicht sehen, was <strong>heute</strong> ist. Man wird nicht fürchten,<br />
was morgen kommt. Wir werden vergessen haben,<br />
dass wir den Krieg verloren haben, wir werden vergessen<br />
haben, dass wir ihn begonnen haben. Wir werden<br />
vergessen, dass wir ihn geführt haben. Deshalb wird er<br />
weitergehen.“<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Hannes Heer sagt, dass das Thema Krieg nicht unter<br />
Wissenschaftlern bleiben darf. Es muss in die Bevölkerung.<br />
Nun sind Sie, Herr Strutynski, <strong>eine</strong> doppelte<br />
Bürgerperson – nicht nur Wissenschaftler, sondern<br />
auch Friedensaktivist. Was ist eigentlich aus der<br />
aktiven Bewegung geworden? Warum hat sie so viel<br />
an Kraft verloren? Warum passiert nicht mehr in der<br />
Bevölkerung?<br />
Peter Strutynski<br />
Das ist das Hauptproblem, vor dem wir seit geraumer<br />
Zeit stehen. Es gab ja durchaus in den letzten Jahren<br />
große Friedensdemonstrationen – wir müssen nicht<br />
30 Jahre zurückgehen. Ich erinnere an den 15. Februar<br />
2003 in Berlin, mit über <strong>eine</strong>r halben Million Menschen<br />
– sehr eindrucksvoll. Da hätte ich mir auch Lutz<br />
Görner gewünscht.
Warum ist dies nicht mehr beim Afghanistankrieg der<br />
Fall? Ich glaube, die Motive in der Bevölkerung, den<br />
Krieg abzulehnen, sind sehr unterschiedlich. Es sind<br />
nicht immer die besten Motive, die zu diesen großartigen<br />
Meinungsumfragen führen: 70% gegen den Krieg.<br />
Sondern es befinden sich sicher <strong>eine</strong> ganze Menge<br />
Stimmen darunter, die sagen: Lasst uns doch in<br />
Frieden, was geht uns Afghanistan an. Das ist doch so<br />
weit weg, wir haben unsere eigenen Probleme. Ich will<br />
das nicht negativ bewerten, aber ich will darauf hinweisen,<br />
dass wir die Analyse, auch die politische Analyse<br />
brauchen, dass <strong>man</strong> thematisiert, woher dieser<br />
Konflikt kommt und warum sich der Westen einmischt<br />
und sogar Waffen und Soldaten dorthin schickt. Das<br />
ist doch kein Aufbau – im Krieg kann kein Aufbau<br />
stattfinden. Entweder <strong>man</strong> führt Krieg oder <strong>man</strong> baut<br />
auf. Und wenn uns die Bundesregierung weißmacht,<br />
dass wir hier beides machen, dann ist das gelogen.<br />
Wir müssen die Ursachen des Konflikts und die Interessen<br />
der Herrschenden in die Öffentlichkeit bringen.<br />
Und diese Interessen sind nicht damit beschrieben:<br />
Wir wollen die Frauen dort befreien oder wir wollen<br />
die Demokratie einführen. Beides ist übrigens nicht<br />
passiert. Sie sind sicher besser mit Rohstoff- und<br />
Ressourcenfragen, geostrategischen Fragen, mit der<br />
allgem<strong>eine</strong>n Konkurrenz, mit dem Kampf um Öl und<br />
Pipelines usw. beschrieben. Diese Gründe müssen<br />
wir darlegen. Und wir können auch nur über diese<br />
Analyse sagen: Das einzige, was in diesem Konflikt zu<br />
tun ist, ist, den Krieg zu beenden und die Afghanen<br />
ihr Ding machen zu lassen. Und im Übrigen haben wir<br />
die Pflicht, die Zerstörungen, die wir dort angerichtet<br />
haben, wieder gutzumachen und finanzielle und soziale<br />
Hilfe zu geben, damit diese <strong>Gesellschaft</strong> aufgebaut<br />
werden kann. Aber k<strong>eine</strong> Waffen und Soldaten.<br />
Rüdiger Schmidt-Grépály<br />
Ich wollte auch noch einmal die Frage aufgreifen,<br />
warum die Demonstrationen <strong>heute</strong> nicht mehr da<br />
sind. Ich denke, dass die Demonstrationen damals<br />
stattgefunden haben, weil Begriffe noch utopisch<br />
aufgeladen waren. Das sollte <strong>eine</strong> Aufgabe für Wissenschaft<br />
– aber nicht nur für Wissenschaft – sein,<br />
dass <strong>man</strong> Begriffe wieder utopisch auflädt und zeigt:<br />
Eine andere Welt ist möglich. Ich denke, dass sich die<br />
Menschen <strong>heute</strong> nicht mehr engagieren, weil <strong>man</strong><br />
immer wieder gesagt bekommt: Eine andere Welt als<br />
diese, in der wir <strong>heute</strong> leben, ist nicht möglich. Wir<br />
sollten zeigen, dass es sehr wohl Alternativen und die<br />
Möglichkeit gibt, diese <strong>Gesellschaft</strong> zu überschreiten,<br />
auch Begriffe und Kultur neu zu denken. Dann werden<br />
sich Menschen auch wieder engagieren. Aber sie<br />
müssen wissen wofür.<br />
Hannes Heer<br />
Ich habe in m<strong>eine</strong>m Leben <strong>eine</strong> Talkshow gesehen,<br />
das war vor etwa <strong>eine</strong>m halben Jahr – es ging um den<br />
Afghanistankrieg. Und da erlebte ich Herrn Niebel,<br />
der den Krieg als Entwicklungshilfe erklärt. Ich erlebte<br />
Kerstin Müller von den Grünen, die erklärte, dass es<br />
dort auch um die Einrichtung von Schulen für Mädchen<br />
geht. Ich erlebte Herrn Wolf, Münchner Wissenschaftler<br />
jüdischer Herkunft, der erklärte: Indem wir<br />
den Terrorismus in Afghanistan bekämpfen, retten wir<br />
die Existenz Israels. Und ich erlebte <strong>eine</strong>n Soldaten,<br />
der <strong>eine</strong> Dolchstoßlegende formulierte: Wir stehen allein<br />
am Hindukusch, die deutsche <strong>Gesellschaft</strong> unterstützt<br />
uns nicht, die Politik fällt uns in den Rücken, die<br />
Medien wollen von uns nichts wissen. Und bei jedem<br />
dieser Statements klatschte das Publikum. Und dann<br />
kamen Gysi und Willemsen, die einzigen vernünftigen<br />
Menschen, und da klatschte <strong>man</strong> auch. Das ist das<br />
Bild <strong>eine</strong>r total durcheinander geratenen <strong>Gesellschaft</strong>,<br />
ohne irgend<strong>eine</strong> moralische Richtung und ohne den<br />
Schimmer von Wissen.<br />
Den Begriff des gerechten Krieges darf <strong>man</strong> eigentlich<br />
nur denken, den darf <strong>man</strong> nicht formulieren – das ist<br />
ein Widerspruch in sich. Man kann das auch an den<br />
Dokumenten der NATO-Konzeption sehen. Im Jahr<br />
2000 hat es <strong>eine</strong> Konferenz gegeben, auf der die NATO<br />
neue globale Doktrin ausgearbeitet hat. In den entscheidenden<br />
Kapiteln heißt es: Es muss <strong>eine</strong>n gerechten<br />
Grund, gerechte Mittel und <strong>eine</strong> gerechte Absicht<br />
geben, um diesen Krieg zu führen. Und dann führt<br />
<strong>man</strong> danach die Kriege und soll sich nicht wundern,<br />
wenn die <strong>Gesellschaft</strong> völlig durcheinander ist. Dann<br />
soll <strong>man</strong> sich nicht wundern, wenn k<strong>eine</strong>r auf die<br />
Straße geht. Und <strong>man</strong> muss sagen, dass die Medien<br />
das Verwirrspiel mitmachen. Das war in der ARD-<br />
Talkshow der Fall. Und ich habe in k<strong>eine</strong>r deutschen<br />
Zeitung etwas Vernünftiges über den Hintergrund erfahren.<br />
Und wenn Buchmacher und Buchmacherinnen<br />
mit heimgekehrten Soldaten reden wollten, hat das<br />
Verteidigungsministerium den Soldaten das verboten.<br />
Alle öffentlich-rechtlichen und politischen Instanzen,<br />
mit Ausnahme der Linken und kl<strong>eine</strong>r Gruppen, sind<br />
dabei, dieses Verwirrspiel mitzumachen und den Krieg<br />
damit zu verlängern. Es wundert mich nicht, dass die<br />
Straßen mit Autos voll, aber leer von Friedensdemonstranten<br />
sind.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Ist unsere kommerzialisierte Welt nicht geradezu<br />
prädestiniert dafür, zwischen Werten wie Krieg und<br />
Frieden gar nicht mehr zu unterscheiden? Es gibt <strong>eine</strong>n<br />
Slogan von Calvin Klein, der für mich am Rand zur<br />
Volksverhetzung ist. Der heißt: Be Good, Be Bad, Just<br />
Be. Sei schlecht, sei gut, die Hauptsache ist, du bist.<br />
Ist das ein gesellschaftliches Motto, dass es nicht<br />
darauf ankommt, ob <strong>man</strong> gut sein möchte, Schwache<br />
respektiert, Gewalt ablehnt, sondern dass <strong>man</strong><br />
ebenso gut auch schlecht sein kann? Be Bad, Just Be.<br />
Die Hauptsache ist, du bist. Ist also die auf Konsum<br />
setzende <strong>Gesellschaft</strong> nicht genau die, die auch diese<br />
Beliebigkeit und letztlich das Nichterkennen der Gefahren<br />
und Schrecknisse des Krieges ermöglicht?<br />
Peter Strutynski<br />
Ja und nein. Natürlich spielt das <strong>eine</strong> Rolle. Ich<br />
wundere mich auch immer über die Beliebigkeit, die<br />
in der <strong>Gesellschaft</strong> herrscht, vor allem unter jüngeren<br />
Leuten. Man kann in Umfragen sehen, dass die<br />
Kriegsskepsis abnimmt mit dem jugendlichen Alter.<br />
Also je älter die Leute, desto weniger sind sie für<br />
den Krieg, auch für den Afghanistankrieg. Je jünger<br />
33
die Leute, desto mehr Verständnis können sie dafür<br />
aufbringen. Ich glaube auch, dass beispielsweise die<br />
Frage der Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung<br />
<strong>eine</strong>r Berufsarmee, die Gleichgültigkeit bei dem<br />
Rest der <strong>Gesellschaft</strong>, die nicht bei der Bundeswehr<br />
ist, noch verstärken würde. Deshalb müssen wir nach<br />
Anhaltspunkten suchen, wie wir diese Gleichgültigkeit<br />
aufheben können. M<strong>eine</strong>r Meinung nach lässt der Afghanistankrieg<br />
die Menschen deshalb so kalt, obwohl<br />
laut Umfragen die Mehrheit dagegen ist, weil kaum<br />
je<strong>man</strong>d davon betroffen ist. Die Soldaten sind dort,<br />
die verdienen auch ganz gut, und die paar toten Bundeswehrsoldaten<br />
in neun Jahren – ich m<strong>eine</strong> das jetzt<br />
nicht zynisch – hätte es auch bei Verkehrsunfällen<br />
geben können. Ich glaube, wir müssen in der Vermittlung<br />
dieses Krieges da ansetzen und die <strong>Gesellschaft</strong><br />
in ihrer Betroffenheit bekommen. Ein Ansatz ist für<br />
mich: Was <strong>heute</strong> für Kriege und Rüstung ausgegeben<br />
wird, was an wissenschaftlichem Knowhow, an schöpferischen<br />
Kräften in Zerstörungsapparaturen gesteckt<br />
wird, muss anderen Zwecken zugeführt werden. Es<br />
gibt Alternativen.<br />
Hannes Heer<br />
Es gibt <strong>eine</strong> parlamentarische Diktatur der Mehrheit.<br />
Diejenigen, die für uns damals Partner waren, Teile der<br />
Sozialdemokratie, sind verloren. Diese sogenannten<br />
Parlamentskriege sind von der SPD abgesegnet. Die<br />
Grünen sind offen auf die Seite dieser Kriegspartei<br />
übergegangen. Und die CDU und FDP sowieso. Es gibt<br />
wirklich <strong>eine</strong> Diktatur der Mehrheit, die sie als Konsens<br />
ausgibt. Und es gibt <strong>eine</strong> Diktatur der Medien.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Müssen wir das Diktatur nennen? Daran nehme ich<br />
Anstoß. Es ist <strong>eine</strong> Mehrheit in <strong>eine</strong>r Demokratie. Das<br />
ist etwas anderes als <strong>eine</strong> Einheitspartei. Die Unterscheidung<br />
finde ich ganz wichtig.<br />
Hannes Heer<br />
Okay. Ich messe Demokratie nicht daran, ob Hände<br />
gehoben worden sind und abgestimmt wurde. Sondern<br />
daran, ob um <strong>eine</strong>n Entschluss gestritten worden<br />
ist. Ich habe das in den fünfziger Jahren erlebt, als es<br />
um die Remilitarisierung gegangen ist. Das ist nicht<br />
einfach durch Händeheben passiert, sondern da hat<br />
es monatelange Debatten gegeben – auf <strong>eine</strong>m sehr<br />
hohen Niveau. Da hat <strong>man</strong> gespürt, dass Für und<br />
Wider gleichermaßen entflammt waren. Das waren<br />
authentische Debatten, da ging es ums Ganze. Solche<br />
Debatten habe ich um die Parlamentskriege, ob das<br />
nun Jugoslawien oder Afghanistan war, nicht erlebt.<br />
Und deshalb ist das für mich k<strong>eine</strong> lebendige Demokratie.<br />
Es hat etwas von Diktatur an sich.<br />
Es ist so schwierig, an die wirklichen Bilder der Kriege<br />
heranzukommen. Es gibt massenhaft verbreitete<br />
Bilder, die die Wahrnehmung verstopfen. Wenn ich<br />
daran denke, was Guido Knopp mit s<strong>eine</strong>n Filmen für<br />
<strong>eine</strong> verheerende Wirkung hat. Da wird die Faszination<br />
des Nationalsozialismus, des Bösen reproduziert.<br />
Da wird die Begeisterung für Waffen reproduziert. <strong>Wie</strong><br />
sollen Jugendliche da noch das Gefühl haben, wirk-<br />
34<br />
liche Bilder zu sehen und nach wirklichen Bildern zu<br />
verlangen. <strong>Wie</strong> soll dann Empathie passieren?<br />
Das sind Prozesse, die auf der institutionellen, parlamentarischen,<br />
staatlichen Ebene und individuell<br />
passieren und sich ineinander verschränken. Wohin<br />
dieser Prozess geht, weiß ich nicht. Jedenfalls läuft<br />
im Moment ein Krieg und die nächsten werden folgen<br />
und ich sehe nicht, wie wir da raus kommen.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Wir müssen sehen, wie wir da raus kommen. Das ist<br />
unsere Chance und letztlich auch unsere Aufgabe.<br />
Gibt es zum Schluss dieser Runde Ratschläge von<br />
Ihnen, die wir aufnehmen und vielleicht weiterreichen<br />
in die Politik, in unsere Arbeit?<br />
Peter Strutynski<br />
Ich wünschte mir von der Politik, dass sie die Expertise<br />
der Wissenschaft zur Kenntnis nimmt und auch mal<br />
danach handelt. Gerade in den Fragen von Kriegseinsätzen,<br />
Auslandseinsätzen, militärischen Interventionen<br />
gibt es auf der Seite der Friedensforschung, der<br />
Friedenswissenschaft so viel ausgezeichnete Expertise.<br />
Die wird von der Politik nicht wahrgenommen, sonst<br />
würde es solche Abstimmungsergebnisse nicht geben.<br />
Das Problem ist, dass 70 % oder mehr per<strong>man</strong>ent und<br />
seit Jahren <strong>eine</strong>n Krieg ablehnen, und dass 80 oder<br />
90 % der Bundestagsabgeordneten per<strong>man</strong>ent diesen<br />
Krieg wieder beschließen. So funktioniert dann möglicherweise<br />
die Demokratie.<br />
Wir haben jetzt erstmals in der Friedensbewegung<br />
<strong>eine</strong>n gemeinsamen Appell formuliert, mit dem wir<br />
nicht nur Unterschriften sammeln wollen, sondern<br />
mit dem wir streiten wollen. Mit dem wollen wir auf<br />
der Straße, in den Kirchen, in den Gewerkschaften, in<br />
den Universitäten und Schulen… diskutieren. Unsere<br />
Forderungen sind: Sofort den Krieg dort beenden, die<br />
Kampfhandlungen einstellen. Sofort mit dem Abzug<br />
der Bundeswehr aus Afghanistan beginnen. Und alle<br />
Mittel, die dort für den Krieg eingesetzt worden sind,<br />
für den sozialen und zivilen Aufbau zu verwenden.<br />
Hannes Heer<br />
Ich werde für drei Ziele arbeiten. Erstens: Die Intensivierung<br />
<strong>eine</strong>r kritischen Kriegsgeschichte. Das heißt,<br />
<strong>eine</strong>n Wohlfahrtsausschuss aller Wissenschaftler<br />
zu gründen, die sich in irgend<strong>eine</strong>r Weise mit dem<br />
Phänomen Gewalt, Desinformation, Lüge und Macht<br />
beschäftigen. Zweitens: Man muss versuchen, <strong>eine</strong><br />
kritische Wissenschaft mit politischem Engagement<br />
zu paaren. Aber nicht nur im Parlament, sondern auch<br />
durch <strong>eine</strong> außerparlamentarische Gegenöffentlichkeit.<br />
Drittens: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse<br />
mögen wichtig sein. Aber wenn sie nur im<br />
Parlament stattfinden, und nicht auf Straßen und Plätzen,<br />
dann führt uns das nicht weiter. Straßentheater,<br />
alle Formen der Kunst, die das nach außen bringen, visualisieren,<br />
nachempfindbar machen, die anrührende<br />
Bilder erzeugen – das ist die dritte Aufgabe. Das sind<br />
konkrete Fantasien für den Frieden. Und das ist <strong>eine</strong><br />
produktive Begegnung mit dem Geist von Gotha.
Was bedeutet das für die Politik?<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Was muss die Politik aus den Überlegungen der vorhergehenden<br />
Podiumsrunden lernen und mitnehmen?<br />
Religion, Recht, Medien, Kunst, Wissenschaft und<br />
Frieden.<br />
Knut Korschewsky<br />
1960 in Seehausen/Altmark<br />
geboren; Studium<br />
an der Technischen<br />
Hochschule in Ilmenau,<br />
ab 1981 Schleifer und ab<br />
1985 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter des Betriebsdirektors<br />
im Feinmeßgerätewerk<br />
Suhl;<br />
1988 – 1989 Bezirksparteischule<br />
Schleusingen;<br />
1989 – 1990 Sekretär<br />
der FDJ Kreisleitung<br />
Suhl; 1990 – 1991 Mitarbeiter PDS Stadtvorstand<br />
Suhl; 1991 – 2006 Mitarbeiter und Geschäftsführer<br />
des PDS Landesvorstandes Thüringen; seit<br />
März 2006 Landesvorsitzender der Linkspartei.<br />
PDS Thüringen und der LINKEN. Thüringen; seit<br />
der Thüringer Landtagswahl am 30. August 2009<br />
Mitglied des Landtags als Sport- und Tourismuspolitischer<br />
Sprecher der Fraktion DIE LINKE<br />
Vor genau <strong>eine</strong>r Woche habe ich im Thüringer Landtag<br />
zu <strong>eine</strong>m Friedensantrag gesprochen, den unsere<br />
Fraktion eingebracht hat – der es den anderen Fraktionen<br />
noch nicht einmal wert war, in den Ausschüssen<br />
weiter darüber zu beraten. Das sagt eigentlich schon<br />
viel. In m<strong>eine</strong>r Rede habe ich gesagt, dass es zu diesem<br />
Zeitpunkt 350 kriegerische Auseinandersetzungen<br />
in der Welt gibt. Heute sind es vielleicht schon nicht<br />
mehr 350, sondern 360. Die kriegerischen Auseinandersetzungen<br />
in der Welt nehmen zu.<br />
Fantasien für den Frieden. Nachdem, was ich <strong>heute</strong><br />
in den Diskussionen erlebt und wahrgenommen habe,<br />
würde ich das Thema sogar weiterfassen: Fantasien<br />
gegen den Krieg mit Gewalt und Waffen. Fantasien<br />
gegen den Krieg in der <strong>Gesellschaft</strong>, gegen soziale<br />
Ausgrenzung. Und Fantasien gegen den Krieg in<br />
den Köpfen. Es reicht nicht aus, dass wir in solchen<br />
Runden darüber reden, welche Möglichkeiten es in<br />
der <strong>Gesellschaft</strong> gibt, etwas gegen den Krieg zu tun.<br />
Das muss eigentlich schon im Kindergarten und in der<br />
Familie anfangen.<br />
Und was kann Politik tun? Politik muss dafür sorgen,<br />
dass wir die Möglichkeit haben, uns und unsere<br />
Meinung in Streitgesprächen gegenseitig zu<br />
akzeptieren. Im Endeffekt sollten wir aber zu <strong>eine</strong>r<br />
Gemeinsamkeit kommen – für den Frieden und gegen<br />
den Krieg. Das ist für mich <strong>eine</strong> umfassende Frage,<br />
die sich eben nicht nur auf kriegerische Auseinandersetzungen<br />
mit Waffengewalt beschränkt, sondern<br />
die die gesamtgesellschaftliche Entwicklung auf den<br />
Prüfstand stellt. Und wenn <strong>man</strong> sich unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />
anschaut, dann begegnet uns der Krieg doch<br />
jeden Tag – im Spielzeug, mit Gewalt in den neuen<br />
Medien, im Internet, er begegnet uns aber auch in der<br />
Judikative, in der Gerichtsbarkeit. Auch dort wird mit<br />
Wortauseinandersetzungen damit gespielt. Es muss<br />
in <strong>eine</strong>r gemeinsamen Auseinandersetzung zu <strong>eine</strong>r<br />
neuen Kultur von Diskussion, Kultur der Entwicklung<br />
von Fantasien gegen den Krieg und Fantasien für den<br />
Frieden kommen.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Darf ich noch kurz auf den Antrag eingehen, den ihr<br />
im Thüringer Landtag gestellt habt. In dem Antrag ist<br />
ein Katalog an Forderungen enthalten, über den wir<br />
auch auf Bundesebene dringend nachdenken sollten.<br />
In dem Antrag geht es darum, dass die Bundeswehr<br />
nichts in Schulen zu suchen hat – diese Forderung<br />
können wir nur unterstützen. Nun sind die Schulen<br />
r<strong>eine</strong> Ländersache, trotzdem kann <strong>man</strong> darüber<br />
nachdenken, wie <strong>man</strong> das ins nationale Bewusstsein<br />
bringt.<br />
In dem Antrag steht auch, dass militärische Standorte,<br />
die aufgegeben werden, für zivile und <strong>friedliche</strong><br />
Zwecke genutzt und konvertiert werden müssen.<br />
In dem Antrag steht, dass <strong>man</strong> überlegen sollte, Friedenserziehung<br />
als Schulpflichtfach zu kreieren – auch<br />
Friedensinformation für Erwachsene.<br />
Außerdem wird das Verteidigungsministerium aufgefordert,<br />
k<strong>eine</strong> geographischen Namen von Städten,<br />
Orten, Schlössern usw. für militärische Gebäude, Einheiten,<br />
Kasernen, Flugzeuge oder Panzer zu nutzen.<br />
Das ist ein sehr umfassender Antrag zur Umstellung<br />
der <strong>Gesellschaft</strong> vom militärischen zum <strong>friedliche</strong>n<br />
Denken.<br />
Birgit Klaubert<br />
Wir sind hier an <strong>eine</strong>m Ort, an dem die Politik zeitweise<br />
gegen den Zeitgeist bürstete. Der Herzog, der dieses<br />
Schloss errichten ließ, wollte k<strong>eine</strong>n Krieg führen,<br />
sondern investierte stattdessen in Kultur und Bildung.<br />
Gadolla hat die Stadt kampflos übergeben und dafür mit<br />
dem Leben bezahlt. DIE LINKE bürstet auch gegen den<br />
Zeitgeist. Es ist <strong>heute</strong> mehrfach gesagt worden, dass<br />
DIE LINKE die einzige Partei im Deutschen Bundestag<br />
ist, die mit aller Konsequenz den Kriegseinsatz in Afghanistan<br />
ablehnt und als Friedenspartei Gesicht zeigt.<br />
Das kann es doch aber nicht sein, dass nur DIE LINKE<br />
im Deutschen Bundestag die Stimme erhebt. Welchen<br />
Auftrag kann die Politik für sich annehmen, um zu vervielfältigen,<br />
dass Krieg kein Mittel der Politik ist?<br />
35
Gregor Gysi<br />
36<br />
1948 in Berlin geboren;<br />
Jurastudium an der<br />
Humboldt-Universität<br />
Berlin; Richterassistent,<br />
dann Wechsel zum<br />
Kollegium der Rechtsanwälte<br />
als Assistent;<br />
1976 Promotion; seit<br />
1971 Rechtsanwalt in<br />
Berlin; Vorsitzender<br />
des Kollegiums der<br />
Rechtsanwälte in Berlin<br />
und des Rates der<br />
Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte in<br />
der DDR von 1988 – 1989; Dezember 1989 – Januar<br />
1993 Vorsitzender der PDS; Mitglied der Volkskammer<br />
vom 18. März – 2. Oktober 1990, Vorsitzender<br />
der PDS-Fraktion; Oktober 1990 – Februar 2002<br />
Mitglied des Bundestages, 1990 – 1998 Vorsitzender<br />
der Gruppe der PDS; von 1998 – Oktober 2000<br />
Vorsitzender der PDS-Fraktion; Januar 2002 – zum<br />
Rücktritt am 31. Juli 2002 Berliner Bürgermeister<br />
und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in<br />
<strong>eine</strong>r SPD-PDS Koalition in Berlin; seit August 2002<br />
wieder als Rechtsanwalt tätig; am 18. September<br />
2005 und 27. September 2009 im Wahlkreis Berlin-<br />
Treptow-Köpenick direkt wieder in den Bundestag<br />
gewählt; seit 2005 Fraktionsvorsitzender<br />
Das kann die Politik offenkundig nicht. Es gibt ja<br />
viele Vertreterinnen und Vertreter der Politik, die für<br />
Krieg sind und versuchen, dafür edle Begründungen<br />
zu finden. Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Ich<br />
weiß gar nicht, ob das mit dem Zeitgeist stimmt. Es<br />
ist wahr, alle anderen Parteien im Bundestag rechtfertigen<br />
Kriege seit dem Jugoslawienkrieg. Es ist wahr,<br />
<strong>eine</strong> Vielzahl der Medien rechtfertigen Kriege. Aber<br />
<strong>eine</strong> große Mehrzahl der Bevölkerung lehnt sie ab.<br />
Das ist doch interessant. <strong>Wie</strong>so trägt die Bevölkerung<br />
zum Beispiel den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan<br />
zu etwa 70 % nicht mit? Und das, obwohl Union,<br />
SPD, FDP und Grüne sagen, dass das richtig ist und<br />
<strong>eine</strong> Vielzahl von Zeitungen und Fernsehstationen<br />
auch. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass<br />
in beiden deutschen Staaten, wenn auch auf sehr unterschiedliche<br />
Weise, mit dem NS-Regime gebrochen<br />
worden ist. Dadurch wollen die Leute k<strong>eine</strong> Kriege<br />
mehr und sie sind misstrauisch gegenüber allen noch<br />
so edlen Begründungen für Kriege. Und sie wollen<br />
zweifellos auch k<strong>eine</strong> Diktatur mehr. Das sitzt im<br />
Fühlen und Denken der Menschen so tief, dass es für<br />
alle etablierten Parteien und Medien schwer ist, das<br />
umzukrämpeln.<br />
Der nächte Punkt ist der Jugoslawienkrieg – da war<br />
das nicht einheitlich. Ich würde mal sagen Halbe-<br />
Halbe. Und danach kam heraus, dass viele Informationen<br />
zum Jugoslawienkrieg nicht stimmten. Also wie<br />
immer: Das erste was beim Krieg verschwindet, ist<br />
die Wahrheit. Ich weiß noch ganz genau, wie Scharping<br />
mit mir in der Fernsehsendung Sonntagabend<br />
saß und erzählte, dass da Lehrer erschossen werden<br />
und vieles mehr. Ich konnte das nicht widerlegen, ich<br />
hatte k<strong>eine</strong> Ahnung, ob das stimmte oder nicht. Das<br />
waren alles Erfindungen, die nicht er erfunden hatte,<br />
sondern die ihm zugetragen wurden. Und später<br />
haben die Fernsehzuschauerinnen und Zuschauer das<br />
mitbekommen und sind deshalb misstrauisch gegenüber<br />
Begründungen von Kriegen.<br />
Und was ist unsere Aufgabe? Unsere erste Aufgabe<br />
besteht darin, die Begründungen zu widerlegen. In<br />
m<strong>eine</strong>r letzten Rede zu Afghanistan bin ich Punkt für<br />
Punkt durchgegangen: Kann <strong>man</strong> damit Terrorismus<br />
bekämpfen? Ich habe versucht, dies zu widerlegen.<br />
Kann <strong>man</strong> damit zivilen Aufbau schützen? Ich habe<br />
versucht, das zu widerlegen. Ist das Ganze wirklich<br />
ein Schutz davor, dass Terroristen in den Besitz von<br />
Atomwaffen kommen? Das ist ja der größte Blödsinn,<br />
den ich je gehört habe. Ich nehme ihre Begründungen<br />
und versuche, sie Punkt für Punkt zu widerlegen. Und<br />
das hat Folgen: Ich bekomme dann viele Briefe, weil<br />
die Leute nicht ganz sicher sind, welche Begründungen<br />
nun stimmen und welche nicht.<br />
Ich komme zu <strong>eine</strong>m weiteren Punkt: Wenn wir den<br />
Kampf neu orientieren wollen, müssen wir ein paar<br />
grundsätzliche Fragen stellen. Es gibt fast auf der ganzen<br />
Erde private Rüstungsindustrie. Wenn es private<br />
Rüstungsindustrie gibt, dann sind die daran interessiert,<br />
ihre Rüstungsprodukte zu verkaufen. Je mehr sie<br />
davon verkaufen, desto mehr Profit machen sie. Und<br />
du verkaufst im Krieg mehr Waffen als im Frieden. So<br />
einfach ist es. Ergo: Wenn wir nicht wollen, dass am<br />
Krieg verdient wird, darf es k<strong>eine</strong> private Rüstungsindustrie<br />
geben, damit es k<strong>eine</strong>n privaten Gewinn mehr<br />
daran gibt. Wenn das alles staatliche Unternehmen<br />
wären, würde Krieg nur kosten. Wenn Krieg nur kostet,<br />
ist der Friedenskampf viel erfolgreicher.<br />
Letztlich zur Schule: Wir haben ja schon einmal <strong>eine</strong>n<br />
Kompromiss angeboten: Wenn die Bundeswehr in die<br />
Schulen geht und dort wirbt, soll immer <strong>eine</strong>r mitgehen,<br />
der das Gegenteil meint. Dann stehen immer<br />
zwei vorne, <strong>eine</strong>r wirbt für die Bundeswehr und <strong>eine</strong>r<br />
kommt aus <strong>eine</strong>r Initiative und begründet, weshalb er<br />
strikt dagegen ist. Das ist doch okay, <strong>man</strong> kann sich<br />
beide anhören.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Es geht jetzt auch darum, <strong>eine</strong>n Dialog mit Ihnen und<br />
Euch zu führen.<br />
Gast aus dem Publikum<br />
Ich bin Hellmut Kess, ehemaliger Hausarzt aus Braunschweig.<br />
Die Kultur des Friedens muss auf verschiedenen<br />
Ebenen ansetzen, damit sie wirklich fest wird.<br />
Man muss zum Beispiel <strong>eine</strong>n Ältestenrat auf der UN-<br />
Ebene, <strong>eine</strong>n Friedensrat auf der EU-Ebene, auf den<br />
verschiedenen regionalen Ebenen, auf der nationalen<br />
Ebene… einführen. Man muss die Leute dazu aufrufen,<br />
dass sie sich für das Ganze verantwortlich fühlen.
Gregor Gysi<br />
Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Jugoslawienkrieg<br />
völlig anders begründet wurde als der<br />
Afghanistankrieg und dazwischen der Irakkrieg. Das<br />
Interessante sind die Widersprüche, die sich dabei<br />
ergeben. Bei Jugoslawien ging es ja darum, dass der<br />
serbische Staat dabei war, die Kosovoalbaner zu<br />
ermorden. Und <strong>man</strong> musste eingreifen, um sie zu<br />
retten. Damals ist mit Serbien vereinbart worden,<br />
dass der Kosovo Bestandteil bleibt. Jetzt hat <strong>man</strong><br />
das geändert. Damals konnten wir immer sagen,<br />
dass es kein UN-Mandat gibt, der Sicherheitsrat war<br />
nicht bereit, diesen Krieg zu beschließen. Damit ist<br />
es ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Es kamen<br />
Meldungen von massenhaften Vergewaltigungen.<br />
Später haben die Ärzte aus allen Lagern gesagt, dass<br />
sie k<strong>eine</strong> vergewaltigten Frauen angetroffen haben.<br />
Das war aber erst einmal ein Argument, wo die Seele<br />
der ganzen Bevölkerung mitgeht und sagt: Dagegen<br />
muss doch etwas unternommen werden. Was ich<br />
auch verstehe. Aber dann bist du auch als Oppositionspolitiker<br />
ziemlich machtlos, denn du kannst nicht<br />
nur sagen: Glaube ich nicht, glaube ich nicht, glaube<br />
ich nicht. <strong>Wie</strong> sollten wir damals an Informationen<br />
aus dem Kosovo kommen?<br />
Rechtlich ist durch SPD und Grüne eingeführt worden,<br />
dass <strong>man</strong> Kriege auch völkerrechtswidrig führen kann.<br />
Unser damaliger Bundespräsident Herzog sagte, es<br />
sei Notstand. Eine schöne juristische Idee. Das Problem<br />
ist nur, der Notstand ist im Strafgesetzbuch geregelt,<br />
wie auch die Notwehr. Und im Völkerrecht gibt<br />
es auch Regelungen, nämlich den Sicherheitsrat. Und<br />
es steht nirgends, wenn der das nicht macht, kann<br />
es <strong>eine</strong> Notstandssituation geben. Es ist einfach <strong>eine</strong><br />
Erfindung. Wenn du aber das Völkerrecht zerstörst,<br />
gilt es für k<strong>eine</strong>n Staat mehr.<br />
Ich sage ja nicht, dass das Völkerrecht ideal ist. Aber<br />
zwischen gar k<strong>eine</strong>m Völkerrecht und dem Völkerrecht<br />
muss DIE LINKE die Völkerrechtspartei sein und<br />
darf <strong>eine</strong>n Fehler nicht machen, dass wir das Völkerrecht<br />
nehmen, das uns gefällt und das, was uns nicht<br />
gefällt, schicken wir über den Jordan. Das machen die<br />
anderen ja auch und genau das geht nicht.<br />
Nach Jugoslawien kam der Irakkrieg, der ja nicht<br />
geführt wurde, weil es <strong>eine</strong>n Diktator gab. Denn wenn<br />
das die Begründung wäre, dass <strong>man</strong> <strong>eine</strong>n Krieg führt,<br />
um <strong>eine</strong>n Diktator abzusetzen, dann hätten wir aber<br />
noch viele Kriege vor uns. Nein, die Begründung war,<br />
dass er Massenvernichtungswaffen besäße. M<strong>eine</strong> Logik<br />
ist <strong>eine</strong> andere: An dem Tag, als die einmarschierten,<br />
wusste ich, dass er k<strong>eine</strong> hat. Denn wenn er Massenvernichtungswaffen<br />
gehabt hätte, hätte er k<strong>eine</strong>n<br />
Grund mehr gehabt, die nicht einzusetzen. Und dann<br />
haben sie sich hinterher entschuldigt – der Grund<br />
war halt falsch. Es wurde <strong>eine</strong> erlogene Begründung<br />
gegeben, und zwar im Zusammenspiel von Geheimdiensten,<br />
Kriegsministerium, Außenministerium und<br />
dem Präsidenten selbst und auch den Journalistinnen<br />
und Journalisten, die das verbreitet haben.<br />
Dann kam die Begründung für den Afghanistankrieg.<br />
Ich darf daran erinnern: Die ursprüngliche Begründung<br />
war, dass dort die Terroristen ausgebildet werden<br />
und das müsse <strong>man</strong> verhindern. Dort wird kein<br />
Terrorist mehr ausgebildet, sondern inzwischen in<br />
Pakistan und anderen Ländern. Wenn die erste Logik<br />
stimmt, dann müssten die Truppen jetzt nach Pakistan<br />
und in andere Länder ziehen. Deshalb wechselt<br />
die Begründung. Dann hieß es plötzlich: Wir müssen<br />
dort sein, um den zivilen Aufbau zu ermöglichen.<br />
Jetzt geht es um Atomwaffen – nur deshalb, weil<br />
sie merken, dass die erste Begründung nicht mehr<br />
überzeugend ist.<br />
Ich habe das alles nur erklärt, weil es nicht reicht<br />
zu sagen: Wir sind für den Frieden. Das sagen alle<br />
anderen auch. Sie sind ja gezwungen. Deshalb<br />
müssen wir deren Begründungen widerlegen und<br />
klarmachen, um welche Interessen es wirklich geht.<br />
Und wir müssen verdeutlichen, dass Befreiung von<br />
außen die absolute Ausnahme in der Geschichte<br />
der Menschheit ist. Einmal gab es das in Bezug auf<br />
Deutschland, aber nur nach dem gewalttätigsten<br />
Aggressionskrieg in der Geschichte. Aber du kannst<br />
nicht sagen: Ich finde die Zustände in Saudi-Arabien<br />
falsch, wir marschieren jetzt ein und ordnen die. Das<br />
kriegen wir nicht hin, selbst wenn wir die edelsten<br />
Motive haben. Man kann militärisch und von außen<br />
und mittels Krieg niemals auf vernünftige Art und<br />
Weise <strong>eine</strong> kulturelle, <strong>eine</strong> ökonomische oder soziale<br />
Struktur verändern.<br />
Knut Korschewsky<br />
Genau weil es so ist, und weil es k<strong>eine</strong> gerechten<br />
Kriege gibt, müssen wir als Politiker auch im Kl<strong>eine</strong>n<br />
etwas dagegen tun. Erstens: Schon im Kindergarten<br />
muss angefangen werden, darüber zu reden. Da<br />
gehört für mich ein Verbot der Produktion und des<br />
Vertriebs von Kriegsspielzeug dazu. Zweitens: Wir<br />
brauchen <strong>eine</strong> schnelle Umgestaltung der Militäranlagen<br />
für zivile Zwecke. Drittens: Die Bundeswehr hat in<br />
der Schule definitiv nichts zu suchen, egal ob da noch<br />
je<strong>man</strong>d dabei ist. Viertens: Es muss endlich aufhören,<br />
dass diese unsäglichen Glorifizierungsveranstaltungen<br />
von Fahnenweihen oder ähnlichen Dingen auf öffentlichen<br />
Plätzen in Städten und Gemeinden stattfinden.<br />
Fünftens: Es muss ein generelles Verbot von Rüstungsexporten<br />
geben – egal, ob damit Geld verdient<br />
wird oder nicht. Rüstung gehört nicht exportiert,<br />
Rüstung gehört eigentlich gar nicht produziert.<br />
Gast aus dem Publikum<br />
Ich habe k<strong>eine</strong> Fantasie für den Frieden, aber <strong>eine</strong><br />
Forderung auf völkerrechtlicher Basis. Vor 65 Jahren<br />
wurde der Krieg beendet und seitdem warte ich auf<br />
<strong>eine</strong>n Friedensvertrag. Denn nur wenn ein Friedensvertrag<br />
vorliegt, kann ein Staat entstehen, der sich<br />
<strong>eine</strong> Verfassung gibt und diese Verfassung von der<br />
ganzen Bevölkerung bestätigen lässt. Solange dies<br />
nicht der Fall ist, gibt es k<strong>eine</strong>n Staat Bundesrepublik<br />
Deutschland, sondern ein Land, ein Unternehmen.<br />
Und ein Unternehmen Bundesrepublik Deutschland<br />
wird von Unternehmensleitern geführt und nicht von<br />
37
Politikern. Es wird Zeit, dass Wissenschaftler und<br />
Juristen mal so darüber nachdenken, dass <strong>man</strong> dem<br />
nicht mehr ausweichen kann.<br />
Gregor Gysi<br />
Natürlich gibt es in <strong>eine</strong>m völkerrechtlichen Sinne die<br />
Bundesrepublik Deutschland, auch als souveränen<br />
Staat und als Mitglied der Organisation der Vereinten<br />
Nationen. Richtig ist, dass wir k<strong>eine</strong>n Friedensvertrag<br />
haben und auch nicht mehr bekommen, weil zum<br />
Schluss ja fast alle in den Krieg mit Deutschland<br />
eingetreten sind, auch lateinamerikanische Länder.<br />
Das heißt, wir müssten mit etwa 80 Staaten <strong>eine</strong>n<br />
Friedensvertrag schließen. Es hätte dazu <strong>eine</strong> einzige<br />
Gelegenheit gegeben, nämlich bei der Herstellung<br />
der deutschen Einheit. Es war ja ganz klar, dass die<br />
Bundesregierung fürchtete, Entschädigungen zahlen<br />
zu müssen, was ja auch Gegenstand <strong>eine</strong>s Friedensvertrages<br />
ist.<br />
Peter Strutynski<br />
Ich habe den Programmentwurf der LINKEN gelesen,<br />
den außenpolitischen Teil. Jetzt haben Sie sehr<br />
eloquent dafür plädiert, die Rüstungsindustrie zu<br />
verstaatlichen. Ich finde das sehr gut, bin sofort dafür,<br />
die Argumentation hat mir auch eingeleuchtet. Aber<br />
davon steht kein Wort in dem Entwurf. Ich hoffe, das<br />
wird korrigiert.<br />
Gregor Gysi<br />
Die Medien haben ja lange gesagt, dass wir nicht<br />
einmal in der Lage wären, ein Parteiprogramm im<br />
Entwurf vorzulegen. Was nicht stimmte, weil die<br />
Mitglieder beider Parteien in der Urabstimmung<br />
programmatische Grundsätze beschlossen haben, die<br />
wir blöderweise Eckpunkte genannt haben. Und Eckpunkte<br />
klingt natürlich nicht nach <strong>eine</strong>m Programm.<br />
Aber es war ja eigentlich <strong>eine</strong>s. Dann hatten wir <strong>eine</strong><br />
Programmkommission, die sehr unterschiedlich zusammengesetzt<br />
war und es bestand die Gefahr, dass<br />
wir zwei oder drei Entwürfe bekommen. Das wäre<br />
verheerend gewesen. Aber sie haben sich für <strong>eine</strong>n<br />
Entwurf entschieden. Und jetzt haben wir Zeit, bis<br />
Ende 2011 darüber zu diskutieren.<br />
Die Eigentumsfrage ist natürlich die spannendste.<br />
Ich versuche immer <strong>eine</strong> Logik aufzubauen, andere<br />
machen Prinzipien. Das Prinzip Staatseigentum an<br />
sich ist gut. Weiß ich gar nicht. Ein staatlicher Bäcker?<br />
Da habe ich m<strong>eine</strong> Zweifel. Ich mache etwas anderes.<br />
Ich sage: Was passiert im Falle A und was passiert im<br />
Falle B? Und auch im Falle B gibt es ein paar Nachtei-<br />
38<br />
le, aber die im Falle A sind viel schwerwiegender. Und<br />
damit entscheide ich mich für B. Und deshalb begründe<br />
ich Rüstungsindustrie. Ich möchte, dass privater<br />
Gewinn an Krieg ausgeschlossen wird. Denn solange<br />
es privaten Gewinn an Krieg gibt, fallen denen immer<br />
Gründe ein, weshalb es Krieg geben sollte.<br />
Bei uns Linken ist mir wichtig, dass wir mit Beispielen<br />
operieren und Logik entwickeln, dass wir Dinge<br />
nicht allein nach ideologischen Prinzipien erklären.<br />
Wir müssen die Leute mitnehmen wo sie sind, nicht<br />
wo wir sie uns hin träumen. Ich bin in der Kriegs- und<br />
Friedensfrage ein bisschen stolz, denn es hat auch ein<br />
wenig mit uns zu tun, dass <strong>eine</strong> Mehrheit der Bevölkerung<br />
der Mehrheit des Bundestages nicht folgt.<br />
Ich sage immer, dass <strong>man</strong> Schritte tun muss. Und im<br />
Augenblick wären wir schon <strong>eine</strong>n deutlichen Schritt<br />
weiter, wenn es ein Exportverbot für Rüstung gäbe.<br />
Wir wären noch <strong>eine</strong>n Schritt weiter, wenn die Rüstung<br />
staatlich wäre. Und wenn wir <strong>eine</strong>s Tages soweit<br />
sind, das wir k<strong>eine</strong> Rüstungsindustrie mehr haben und<br />
brauchen, dann sind wir viel weiter.<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Das waren Fantasien für den Frieden, durchaus als<br />
Handlungsanweisungen für den politischen Raum.<br />
Und wir können vielleicht noch <strong>eine</strong> Botschaft von<br />
<strong>heute</strong> Morgen mitnehmen: Auch in der Diskussion um<br />
Frieden kann es so etwas wie Frieden und lebendige<br />
Streitkultur geben – im Streit miteinander herausfinden,<br />
was sind die Begründungen, was ist der richtige<br />
Weg, wo wollen wir hin. In diesem Sinne: Kultur neu<br />
denken, Frieden – Macht – Freiheit. Ich danke für das<br />
Interesse, ich danke für die entwickelten Fantasien,<br />
ich danke allen, die zu diesem Tag beigetragen haben<br />
und ich danke Ihnen und Euch für das andauernde<br />
Interesse. Ich glaube, dass wir nach Hause gehen<br />
können und in der Frage der Friedlichkeit ein kl<strong>eine</strong>s<br />
Stück weiter gekommen sind. Jetzt geht es darum,<br />
dies in die <strong>Gesellschaft</strong> zu tragen.<br />
Für mich bleibt Mahatma Gandhi das Vorbild, der in<br />
<strong>eine</strong>m riesigen Land, das von <strong>eine</strong>r großen Militärmacht<br />
besetzt war, gesagt hat: Wenn wir mit allen<br />
Menschen, die wir treffen, darüber reden, dass wir ein<br />
Recht haben auf Selbstbestimmung und auf Freiheit,<br />
dann wird sich das <strong>eine</strong>s Tages durchsetzen.<br />
Das ist für mich ein Vorbild und ich hoffe, dass über<br />
die Diskussion, die Auseinandersetzung und das vertiefende<br />
Denken über Frieden, wir dem Frieden auch<br />
in diesem Land näher kommen können.
Der Geist von Gotha: Bertha von Suttner<br />
Folgt <strong>man</strong> den Spuren der berühmten Pazifistin und<br />
Friedensnobelpreisträgerin gelangt <strong>man</strong> ebenfalls<br />
nach Gotha …<br />
Bertha Sophia Felicita von Suttner, geborene Gräfin<br />
Kinsky von Chimic und Tettau, wurde in Prag als<br />
Tochter <strong>eine</strong>s hochrangigen österreichischen Offiziers<br />
geboren. Sie studierte in Brünn Sprach- und Musikwissenschaft.<br />
1876 heiratete sie gegen den Willen ihrer<br />
Familie den österreichischen Schriftsteller Arthur<br />
Freiherr von Suttner. In der Folgezeit veränderte sich<br />
ihre Weltanschauung, die bisher durch ihre aristokratische<br />
Erziehung geprägt war, immer mehr. Während<br />
<strong>eine</strong>s 9-jährigen Aufenthaltes in der georgischen<br />
Hauptstadt Tiflis war sie als Musik- und Sprachlehrerin<br />
sowie als Schriftstellerin tätig. Nach ihrer Rückkehr<br />
aus dem Kaukasus organisierte sie sich in der<br />
bürgerlich-pazifistischen Bewegung. 1889 entstand<br />
ihr Ro<strong>man</strong> “Die Waffen nieder!”. Er wurde zu <strong>eine</strong>m<br />
Welterfolg und zum Signal für die sich rasch organisierende<br />
Weltfriedensbewegung, in der Bertha von<br />
Suttner fortan <strong>eine</strong>n führenden Platz einnahm. 1892<br />
gründete sie mit anderen Pazifisten in Deutschland<br />
<strong>eine</strong> Friedensgesellschaft, wobei <strong>eine</strong> der aktivsten<br />
Ortsgruppen am 14. April 1896 in Gotha entstand.<br />
Sie wurde 1893 Präsidentin der <strong>Wie</strong>ner Friedensgesellschaft<br />
und Vizepräsidentin des internationalen<br />
Friedensbüros in Bern. Der von Alfred Nobel gestiftete<br />
Friedenspreis, den sie 1905 als erste Frau erhielt, geht<br />
in s<strong>eine</strong>r Entstehung auf ihren Einfluss zurück. Unter<br />
dem Motto “Krieg dem Krieg” fand am 23. und 24.<br />
Februar 1902 die Generalversammlung der deutschen<br />
Friedensgesellschaft in Gotha statt. Der Vorsitzende<br />
der Ortsgruppe Gotha, der Gymnasialdirektor Dr.<br />
Adolf Schmidt, wurde von der Generalversammlung<br />
in den Vorstand der Deutschen Friedensgesellschaft<br />
gewählt. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />
starb sie am 1. Juni 1914 in <strong>Wie</strong>n.<br />
Bereits 1907 verfügte sie testamentarisch, dass ihr<br />
Leichnam nach ihrem Ableben nach Gotha – wo es<br />
das erste Krematorium in Deutschland und sogar in<br />
Europa gab – zur Feuerbestattung überführt wird und<br />
die Ascheurne in Gotha zu verbleiben hat. Seitdem<br />
hat Bertha von Suttners Urne <strong>eine</strong>n Ehrenplatz im<br />
Kolumbarium des Gothaer Hauptfriedhofes.<br />
39
Der Veranstaltungsort:<br />
Schloss Friedenstein – Das barocke Schloss<br />
Im Jahr 1640 wurde Gotha Residenz des neu gegründeten<br />
Herzogtums Sachsen-Gotha (ab 1672 Sachsen-<br />
Gotha-Altenburg). Von 1643 bis 1656 erbaute Herzog<br />
Ernst I. (1601-1675) - auch der Fromme genannt - das<br />
heutige Schloss Friedenstein als ursprünglich vierflügelige<br />
Anlage. Ernst I. war der Begründer der bis ins<br />
19. Jahrhundert reichenden Sammlungstradition der<br />
Gothaer Linie der Ernestiner. Er und s<strong>eine</strong> Nachfahren<br />
erwarben umfangreiche Sammlungen.<br />
Ausgewählte Daten zur Baugeschichte<br />
• 1642 Bezeichnung „Friedenstein“ für Schlossbau<br />
geprägt<br />
• Februar 1643 Beginn der Bauarbeiten an der Nord-<br />
Ost-Ecke<br />
• 26. Oktober 1643 offizielle, feierliche Grundsteinlegung<br />
• Mitte 1644 Zimmererarbeiten, Aufsetzen des<br />
Daches auf den Hauptflügel<br />
• 1645 Ausbau der inneren Gewölbe, Vollendung des<br />
Daches und des inneren Zimmerwerkes, Bautischlerarbeiten<br />
• 1646 Bezug des Hauptflügels durch die herzogliche<br />
Familie und <strong>eine</strong>s Teils des Hofstaates<br />
• 1646 – 47 Bauarbeiten an den nördlichen Teilen der<br />
beiden Seitenflügel<br />
• 1648 Westflügel wird vollendet, Westturm und Reithaus<br />
im Bau<br />
Medienecho<br />
PHOENIX<br />
Veranstaltungsreihe „Kultur neu denken“ der LINKEN<br />
mit <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong>, 25.06.2010, 16.05 Uhr<br />
MDR Fernsehen<br />
Thüringen Journal (Regionalmagazin), 25.06.2010, 19 Uhr<br />
Unsere Neue Zeitung<br />
Der Geist von Gotha – Fantasien für den Frieden LINKE<br />
Veranstaltungsreihe „Kultur neu denken“ wird auf<br />
Schloss Friedenstein fortgesetzt, 1. Juni-Ausgabe 2010<br />
Thüringische Landeszeitung<br />
Fantasien für den Frieden<br />
Kulturforum mit <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong>, 26.06.2010<br />
Thüringer Allgem<strong>eine</strong><br />
Ein bisschen Frieden<br />
40<br />
• 1649 – 50 Ostflügel vollendet<br />
• 1650 Ostturm vollendet<br />
• 1654 – 56 Ausbau des hohen Saales im Ostturm<br />
(1678 durch Brand vernichtet)<br />
• 1655 – 87 Bau der Fortifikationsanlage mit vier Bastionen<br />
in altniederländischer Befestigungs<strong>man</strong>ier<br />
• 1680/81 - 86 Umbau des Hauptgeschosses im<br />
Nordflügel<br />
• 1681 - 83 Einbau des Theaters im Westturm<br />
• 1687 Einbau der Fürstengruft<br />
• 1747 Beginn der Anlage des Orangeriegartens<br />
• 1747 - 51 Neuausstattung der Gemächer der Herzogin<br />
• 1771 - 1811 Abbruch der Befestigungsanlagen<br />
• 1793 Abriss des Südflügels<br />
• 1797 Umgestaltung der Gemächer im Westflügel<br />
• 1864 - 79 Errichtung des Museums an der Parkallee<br />
(<strong>heute</strong> Museum der Natur)<br />
• 2004 Übertragung von Schloss Friedenstein mit<br />
Park an die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten,<br />
Beginn umfassender Sanierungsarbeiten<br />
<strong>Wie</strong> <strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong> zwischen Friedenstein und Bellevue<br />
um Sympathie wirbt, 26.06.2010<br />
Hu<strong>man</strong>istischer Pressedienst<br />
FRIEDEN, MACHT, FREIHEIT – Kultur neu denken,<br />
27.06.1010<br />
Thüringische Landeszeitung<br />
Brauchen neue Formen für den Friedenskampf<br />
Politikerrunde in Schlosskirche – Hochkarätiges<br />
Podium, 30.06.2010<br />
Unsere Neue Zeitung<br />
Vielfältige „Fantasien für den Frieden“ entwickelt (Seite 1)<br />
Kultur-neu-denken-Marathon fand im Gothaer Schloss<br />
Friedenstein eindrucksvolle Fortsetzung mit der<br />
Veranstaltung FRIEDEN, MACHT, FREIHEIT<br />
„Fantasien für den Frieden“ –<br />
Konflikte ohne Gewalt lösen, 3. Juni-Ausgabe 2010
www.linksfraktion.de