Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen
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Das ist nicht nur aus historischer Perspektive interessant.<br />
Da steckt auch für <strong>eine</strong>n Wissenschaftler, der<br />
sich mit Krieg und Frieden befasst, ein sehr wichtiger<br />
Kern von historischer Wahrheit drin: Diejenigen, die<br />
die Werte schaffen und die arbeiten, haben kein Interesse<br />
daran, dass andere ausgebeutet werden, woraus<br />
sich wieder Konflikte und Kriege ergeben können,<br />
oder dass die Herrschenden ihre Söhne und Töchter<br />
in Kriege schicken. Das ist die Lehre, die wir aus der<br />
Geschichte ziehen können. Auch als Wissenschaftler<br />
sollten wir uns zuallererst daran erinnern.<br />
Hannes Heer<br />
32<br />
1941 in Wissen/Sieg geboren;<br />
Studium der Geschichte<br />
und Literatur<br />
in Bonn, Freiburg und<br />
Köln; Aufbaustudium<br />
der Volkswirtschaft in<br />
Bonn; Arbeit als Rundfunkautor;<br />
Lehraufträge<br />
und Forschungsprojekte<br />
an der Universität<br />
Bremen; 1980 – 1985<br />
Dramaturg und Regisseur<br />
am Deutschen<br />
Schauspielhaus Hamburg und an den Städtischen<br />
Bühnen Köln; 1985 – 1992 Dokumentarfilme für ARD<br />
und ZDF; 1993 – 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Hamburger Institut für Sozialforschung; Ausstellungsprojekte<br />
u.a.: 1995 „Vernichtungskrieg. Verbrechen<br />
der Wehrmacht 1941 bis 1944“; 2004/2005<br />
„Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese“;<br />
2006 „Verstummte Stimmen. Die Vertreibung<br />
der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“; Arbeit als<br />
freier Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher<br />
Ich will <strong>eine</strong> Erfahrung von <strong>heute</strong> Morgen preisgeben.<br />
Ich bin durch den Park gegangen, habe das wunderbare<br />
Schloss gesehen, bin dann zum Denkmal der Opfer<br />
des Faschismus gekommen – ohne die Absicht zu<br />
haben. Ich wusste gar nicht, dass es das hier gibt. Auf<br />
der Vorderseite steht ‚Ehre den Helden des Antifaschistischen<br />
Widerstandes‘. Aber ein wichtiger Buchstabe<br />
fehlte, der nicht mehr ersetzt worden ist. Ich bin auf<br />
die Rückseite gegangen und sah dort ‚Den Toten‘ mit<br />
<strong>eine</strong>m unvollständigen Artikel. Ich wusste nicht, ob da<br />
noch weitere Sätze folgen, welche Toten, wie viele, unter<br />
welchen Umständen tot, warum… Das alles fehlte.<br />
Wenn ich daran denke, wie viele Besucher sich diese<br />
schönen Sammlungen im Schloss anschauen und wer<br />
dort vor dem Denkmal steht und an Krieg und Faschismus<br />
denkt. Das ist der Zustand unserer <strong>Gesellschaft</strong>.<br />
So schön es ist, dem Geist von Gotha zu begegnen<br />
– wer vom Frieden redet und Frieden will, muss über<br />
Krieg reden. Ohne über Krieg zu reden und zu forschen,<br />
kommen wir k<strong>eine</strong>n Schritt weiter. Als Bürger<br />
gehe ich davon aus, dass Demokratie nur durch<br />
ständige Rebellion, ständigen Widerstand überleben<br />
kann – sonst geht sie kaputt oder kehrt sich möglicherweise<br />
in ihr Gegenteil. Ich bin natürlich gegen<br />
diesen Krieg in Afghanistan, aber wir werden ihn nicht<br />
wegkriegen. Da sammeln sich Sedimente aus vergangenen<br />
Kriegen an, Konflikte von Kriegen vorher, die<br />
nicht durchgeführten Eroberungszüge. Die Engländer<br />
haben es ja schon versucht in Afghanistan, die Russen<br />
auch, die Amerikaner sind jetzt dran und wir sind<br />
dabei. Wenn <strong>man</strong> nicht die Methoden untersucht, die<br />
sich aus vergangenen Kriegen in diesem gegenwärtigen<br />
Krieg wiederfinden, wenn <strong>man</strong> nicht die Rhetorik<br />
der Legitimation dieses Kriegs als <strong>eine</strong>n gerechten<br />
aufdeckt und mit dem vergleicht, was in Kriegen davor<br />
geredet worden ist, dann kommen wir k<strong>eine</strong>n Schritt<br />
weiter. Wir müssen Kriegsforschung betreiben, wenn<br />
wir den Frieden wollen. Wir sind konfrontiert mit dem<br />
Thema der Lüge, der Desinformation. In modernen<br />
Zeiten können Kriege nur geführt werden, wenn<br />
Soldaten und <strong>Gesellschaft</strong>en davon überzeugt sind,<br />
dass dieser Krieg gerecht ist. Wir leben nicht mehr<br />
im Zeitalter der Söldner, die auf Münzen schielten,<br />
sondern Legitimation wird durch Desinformation und<br />
Lüge erreicht.<br />
Das zweite entscheidende Element ist die Gewalt.<br />
Und zwar nicht nur, um bestimmte Ziele zu erreichen,<br />
sondern Gewalt als Wert an sich. Wenn <strong>man</strong> die<br />
Berichte der Soldaten in Afghanistan liest, dann steht<br />
an erster Stelle Kameradschaft. Das ist hochbesetzt<br />
mit Heldentum, mit Einstehen, mit Treue für <strong>eine</strong><br />
Gemeinschaft. Das ist Wert an sich, Identifikation des<br />
Individuums über Gewalt.<br />
Drittens: Macht. Das sind abgelagert die imperialistischen<br />
Kriege, die kolonialen Kriege und neokolonialistischen<br />
Versuche und Unternehmungen. Wenn wir uns<br />
mit all‘ dem nicht konfrontieren, kommen wir k<strong>eine</strong>n<br />
Schritt weiter. Und dann wird sich das erfüllen, was<br />
Karl Kraus am Ende des Ersten Weltkrieges gesagt<br />
hat:<br />
„Man wird vergessen haben, was gestern war. Man<br />
wird nicht sehen, was <strong>heute</strong> ist. Man wird nicht fürchten,<br />
was morgen kommt. Wir werden vergessen haben,<br />
dass wir den Krieg verloren haben, wir werden vergessen<br />
haben, dass wir ihn begonnen haben. Wir werden<br />
vergessen, dass wir ihn geführt haben. Deshalb wird er<br />
weitergehen.“<br />
<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />
Hannes Heer sagt, dass das Thema Krieg nicht unter<br />
Wissenschaftlern bleiben darf. Es muss in die Bevölkerung.<br />
Nun sind Sie, Herr Strutynski, <strong>eine</strong> doppelte<br />
Bürgerperson – nicht nur Wissenschaftler, sondern<br />
auch Friedensaktivist. Was ist eigentlich aus der<br />
aktiven Bewegung geworden? Warum hat sie so viel<br />
an Kraft verloren? Warum passiert nicht mehr in der<br />
Bevölkerung?<br />
Peter Strutynski<br />
Das ist das Hauptproblem, vor dem wir seit geraumer<br />
Zeit stehen. Es gab ja durchaus in den letzten Jahren<br />
große Friedensdemonstrationen – wir müssen nicht<br />
30 Jahre zurückgehen. Ich erinnere an den 15. Februar<br />
2003 in Berlin, mit über <strong>eine</strong>r halben Million Menschen<br />
– sehr eindrucksvoll. Da hätte ich mir auch Lutz<br />
Görner gewünscht.