Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen
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zwei Mal von Tornados beschossen worden. Die Brücke<br />
ist zerstört worden und 16 Menschen waren tot.<br />
Bestialische Fotos gibt es darüber im Internet. Kein<br />
Mensch hat sich bei denen entschuldigt. Kein Mensch<br />
hat irgendetwas wiedergutgemacht. Kein Mensch<br />
hat die Verantwortung übernommen, auch nicht die<br />
NATO. Das ist ein entsetzlicher Kollateralschaden,<br />
nicht nur an diesen 16 Menschen in Ex-Jugoslawien,<br />
sondern auch an unserer Demokratie. Und den<br />
mussten wir auf die Bühne bringen, wenn es denn<br />
kein anderer tut. In einigen Nischen in den Medien ist<br />
es gemacht worden. Aber wir fanden, das gehört auf<br />
<strong>eine</strong> Bühne als moralische Anstalt, mit Aufklärungswillen<br />
und demokratischem Engagement. Es war sicher<br />
<strong>eine</strong>r unserer typischen Versuche, gesellschaftliche<br />
Relevanz mit Ästhetik und den Live-Möglichkeiten von<br />
Theater zu verbinden.<br />
Lutz Görner<br />
Was du geschildert hast ist bewundernswert und gut,<br />
aber das ist ein subjektives Müssen.<br />
Sewan Latchinian<br />
Na klar. Anderes Müssen kenne ich ja auch. Ich war in<br />
der DDR als Soldat der Nationalen Volksarmee 18 Monate<br />
als Sprengtaucher auf irgendwelchen Geländen<br />
und habe Sprengungen gelernt und geübt. Und das ist<br />
<strong>eine</strong> solche Idiotie – auch an der Natur. Es gab da Unfälle<br />
und Tote, nur schon beim Krieg spielen. Es ist ein<br />
solcher Wahnsinn, wie viele Fische bei <strong>eine</strong>r Wasserexplosion<br />
sterben, wie viele Bäume bei <strong>eine</strong>r Erddetonation<br />
umfallen. Wenn <strong>man</strong> sich das mit Empathie<br />
vergrößert vorstellt, in irgend<strong>eine</strong>m Land oder Volk,<br />
wo auch lauter Kinder leben – das ist die größtmögliche<br />
Katastrophe, die muss verhindert werden.<br />
Wir haben ja viel über den kl<strong>eine</strong>ren, über den inneren<br />
Frieden gesprochen. Ich bin froh, dass es wenigstens<br />
<strong>eine</strong> Partei in der Bundesrepublik Deutschland gibt,<br />
die dezidiert Nein sagt – auch wenn das <strong>man</strong>chmal etwas<br />
stur wirkt und ich mich <strong>man</strong>chmal frage: Aber wie<br />
soll es anders gehen? Aber es regt an, sich andere<br />
Gedanken zu machen. Und dafür bin ich dankbar.<br />
Birgit Klaubert<br />
Markus Heinzel<strong>man</strong>n, Sie waren ein Jahr Geschäftsführer<br />
des Hauses, da wurde am Kriegerdenkmal auf<br />
dem Friedensberg in Jena mit dem Jugendtheater das<br />
Stück „Picknick im Felde“ aufgeführt. Die Ostthüringer<br />
Zeitung schrieb damals: „Wenn ein Galgen Friedensberg<br />
genannt wird, kann <strong>man</strong> vielleicht kaum anders,<br />
als dort <strong>eine</strong> absurde Kriegsidylle aufführen und <strong>eine</strong>n<br />
sonnigen Sonntagnachmittag in ein kühles Oktoberdunkel<br />
verlegen. Aber <strong>man</strong> kann nicht übersehen, was<br />
groß auf dem Denkmalstein steht: Die Toten der Kriege<br />
mahnen zum Frieden. Und <strong>man</strong> weiß, es ist kein<br />
Spiel mehr, wenn die Sanitäter am Ende zu tragen<br />
haben, bis ihnen die Hände bluten.“<br />
Kann Theater Fantasien für den Frieden entwickeln?<br />
28<br />
Markus Heinzel<strong>man</strong>n<br />
1968 geboren; ab<br />
1999 freier Regisseur<br />
in Mainz, Bielefeld,<br />
Kassel, Lübeck, Berlin,<br />
Linz und Konstanz;<br />
2003/04 Dozent an<br />
der Schauspielschule<br />
Leipzig, Studio Weimar;<br />
seit Sommer 2004<br />
Künstlerischer Leiter<br />
und Geschäftsführer<br />
am Theaterhaus Jena;<br />
2006 inszenierte er<br />
als Gast in Bern „Sieh mich an und sprich“ von<br />
Savyon Liebrecht (dt. EA); außerdem hat er für<br />
die Stückemärkte der Berliner Theatertreffen 2005<br />
und 2006 szenische Lesungen inszeniert; für die<br />
Ruhrfestspiele Recklinghausen inszenierte er in<br />
Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus<br />
Hamburg „Bowling Alone“ von Oliver Bukowski;<br />
für das Schauspielhaus Hamburg inszenierte er<br />
2008 „Die Kümmerer“ und für das Bremer Theater<br />
2009 „Blühende Landschaften“<br />
Auf jeden Fall, wie <strong>man</strong> an dem Projekt gesehen hat.<br />
Dieses Kriegerdenkmal in Jena steht am Friedensberg,<br />
was früher ein Henkersplatz war. Auf kroteske Art und<br />
Weise, nämlich mit Jugendlichen, haben wie die Geschichte<br />
<strong>eine</strong>s jungen Soldaten erzählt, der im Krieg<br />
ist und eigentlich nicht so richtig etwas damit anfangen<br />
kann. Die Familie kommt vorbei, die k<strong>eine</strong> Angst<br />
um ihn hat, sondern stolz ist und ein Picknick mit<br />
ihm macht. Hier wird die Geschichte dieses jungen,<br />
überforderten Menschen erzählt und die Haltung der<br />
bürgerlichen <strong>Gesellschaft</strong> dazu thematisiert. Wenn<br />
das so zusammenkommt, ästhetisch und mit dem Ort<br />
der Geschichte, dann kann Theater sehr viel machen.<br />
Natürlich sind wir nicht so bedeutend wie die anderen<br />
Medien. Aber wir können versuchen, es vor Ort zu<br />
machen, für die Stadt und die Leute, die zu uns ins<br />
Theater kommen.<br />
Sewan Latchinian<br />
Und das sind in Senftenberg 60.000 im Jahr, in <strong>eine</strong>r<br />
Stadt mit 24.000 Einwohnern. Und das ist für mich<br />
immer wieder beglückend, weil ich weiß, diese 60.000<br />
wären alle nicht in ein Theater gegangen, wenn es<br />
dieses Theater nicht gäbe. Es werden Werte weitergegeben,<br />
die den Staat etwas kosten, was er sonst,<br />
wenn es k<strong>eine</strong> Theater gäbe, vielleicht auch noch in<br />
die Rüstung und in Kriege packen würde. Theater sind<br />
Orte der Demokratie. Orte, die Krieg erzählen und die<br />
zu <strong>eine</strong>r anderen Umgangsweise von Menschen, Staaten<br />
und Rassen untereinander anregen, die immer<br />
ein Gegenprogramm zu Barbarei und damit auch für<br />
Frieden sind.<br />
Birgit Klaubert<br />
Was muss eigentlich in unserer multimedialen <strong>Gesellschaft</strong><br />
seitens der Künste passieren, um aufzuklären?