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Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen

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die Leute, desto mehr Verständnis können sie dafür<br />

aufbringen. Ich glaube auch, dass beispielsweise die<br />

Frage der Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung<br />

<strong>eine</strong>r Berufsarmee, die Gleichgültigkeit bei dem<br />

Rest der <strong>Gesellschaft</strong>, die nicht bei der Bundeswehr<br />

ist, noch verstärken würde. Deshalb müssen wir nach<br />

Anhaltspunkten suchen, wie wir diese Gleichgültigkeit<br />

aufheben können. M<strong>eine</strong>r Meinung nach lässt der Afghanistankrieg<br />

die Menschen deshalb so kalt, obwohl<br />

laut Umfragen die Mehrheit dagegen ist, weil kaum<br />

je<strong>man</strong>d davon betroffen ist. Die Soldaten sind dort,<br />

die verdienen auch ganz gut, und die paar toten Bundeswehrsoldaten<br />

in neun Jahren – ich m<strong>eine</strong> das jetzt<br />

nicht zynisch – hätte es auch bei Verkehrsunfällen<br />

geben können. Ich glaube, wir müssen in der Vermittlung<br />

dieses Krieges da ansetzen und die <strong>Gesellschaft</strong><br />

in ihrer Betroffenheit bekommen. Ein Ansatz ist für<br />

mich: Was <strong>heute</strong> für Kriege und Rüstung ausgegeben<br />

wird, was an wissenschaftlichem Knowhow, an schöpferischen<br />

Kräften in Zerstörungsapparaturen gesteckt<br />

wird, muss anderen Zwecken zugeführt werden. Es<br />

gibt Alternativen.<br />

Hannes Heer<br />

Es gibt <strong>eine</strong> parlamentarische Diktatur der Mehrheit.<br />

Diejenigen, die für uns damals Partner waren, Teile der<br />

Sozialdemokratie, sind verloren. Diese sogenannten<br />

Parlamentskriege sind von der SPD abgesegnet. Die<br />

Grünen sind offen auf die Seite dieser Kriegspartei<br />

übergegangen. Und die CDU und FDP sowieso. Es gibt<br />

wirklich <strong>eine</strong> Diktatur der Mehrheit, die sie als Konsens<br />

ausgibt. Und es gibt <strong>eine</strong> Diktatur der Medien.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Müssen wir das Diktatur nennen? Daran nehme ich<br />

Anstoß. Es ist <strong>eine</strong> Mehrheit in <strong>eine</strong>r Demokratie. Das<br />

ist etwas anderes als <strong>eine</strong> Einheitspartei. Die Unterscheidung<br />

finde ich ganz wichtig.<br />

Hannes Heer<br />

Okay. Ich messe Demokratie nicht daran, ob Hände<br />

gehoben worden sind und abgestimmt wurde. Sondern<br />

daran, ob um <strong>eine</strong>n Entschluss gestritten worden<br />

ist. Ich habe das in den fünfziger Jahren erlebt, als es<br />

um die Remilitarisierung gegangen ist. Das ist nicht<br />

einfach durch Händeheben passiert, sondern da hat<br />

es monatelange Debatten gegeben – auf <strong>eine</strong>m sehr<br />

hohen Niveau. Da hat <strong>man</strong> gespürt, dass Für und<br />

Wider gleichermaßen entflammt waren. Das waren<br />

authentische Debatten, da ging es ums Ganze. Solche<br />

Debatten habe ich um die Parlamentskriege, ob das<br />

nun Jugoslawien oder Afghanistan war, nicht erlebt.<br />

Und deshalb ist das für mich k<strong>eine</strong> lebendige Demokratie.<br />

Es hat etwas von Diktatur an sich.<br />

Es ist so schwierig, an die wirklichen Bilder der Kriege<br />

heranzukommen. Es gibt massenhaft verbreitete<br />

Bilder, die die Wahrnehmung verstopfen. Wenn ich<br />

daran denke, was Guido Knopp mit s<strong>eine</strong>n Filmen für<br />

<strong>eine</strong> verheerende Wirkung hat. Da wird die Faszination<br />

des Nationalsozialismus, des Bösen reproduziert.<br />

Da wird die Begeisterung für Waffen reproduziert. <strong>Wie</strong><br />

sollen Jugendliche da noch das Gefühl haben, wirk-<br />

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liche Bilder zu sehen und nach wirklichen Bildern zu<br />

verlangen. <strong>Wie</strong> soll dann Empathie passieren?<br />

Das sind Prozesse, die auf der institutionellen, parlamentarischen,<br />

staatlichen Ebene und individuell<br />

passieren und sich ineinander verschränken. Wohin<br />

dieser Prozess geht, weiß ich nicht. Jedenfalls läuft<br />

im Moment ein Krieg und die nächsten werden folgen<br />

und ich sehe nicht, wie wir da raus kommen.<br />

<strong>Luc</strong> <strong>Jochimsen</strong><br />

Wir müssen sehen, wie wir da raus kommen. Das ist<br />

unsere Chance und letztlich auch unsere Aufgabe.<br />

Gibt es zum Schluss dieser Runde Ratschläge von<br />

Ihnen, die wir aufnehmen und vielleicht weiterreichen<br />

in die Politik, in unsere Arbeit?<br />

Peter Strutynski<br />

Ich wünschte mir von der Politik, dass sie die Expertise<br />

der Wissenschaft zur Kenntnis nimmt und auch mal<br />

danach handelt. Gerade in den Fragen von Kriegseinsätzen,<br />

Auslandseinsätzen, militärischen Interventionen<br />

gibt es auf der Seite der Friedensforschung, der<br />

Friedenswissenschaft so viel ausgezeichnete Expertise.<br />

Die wird von der Politik nicht wahrgenommen, sonst<br />

würde es solche Abstimmungsergebnisse nicht geben.<br />

Das Problem ist, dass 70 % oder mehr per<strong>man</strong>ent und<br />

seit Jahren <strong>eine</strong>n Krieg ablehnen, und dass 80 oder<br />

90 % der Bundestagsabgeordneten per<strong>man</strong>ent diesen<br />

Krieg wieder beschließen. So funktioniert dann möglicherweise<br />

die Demokratie.<br />

Wir haben jetzt erstmals in der Friedensbewegung<br />

<strong>eine</strong>n gemeinsamen Appell formuliert, mit dem wir<br />

nicht nur Unterschriften sammeln wollen, sondern<br />

mit dem wir streiten wollen. Mit dem wollen wir auf<br />

der Straße, in den Kirchen, in den Gewerkschaften, in<br />

den Universitäten und Schulen… diskutieren. Unsere<br />

Forderungen sind: Sofort den Krieg dort beenden, die<br />

Kampfhandlungen einstellen. Sofort mit dem Abzug<br />

der Bundeswehr aus Afghanistan beginnen. Und alle<br />

Mittel, die dort für den Krieg eingesetzt worden sind,<br />

für den sozialen und zivilen Aufbau zu verwenden.<br />

Hannes Heer<br />

Ich werde für drei Ziele arbeiten. Erstens: Die Intensivierung<br />

<strong>eine</strong>r kritischen Kriegsgeschichte. Das heißt,<br />

<strong>eine</strong>n Wohlfahrtsausschuss aller Wissenschaftler<br />

zu gründen, die sich in irgend<strong>eine</strong>r Weise mit dem<br />

Phänomen Gewalt, Desinformation, Lüge und Macht<br />

beschäftigen. Zweitens: Man muss versuchen, <strong>eine</strong><br />

kritische Wissenschaft mit politischem Engagement<br />

zu paaren. Aber nicht nur im Parlament, sondern auch<br />

durch <strong>eine</strong> außerparlamentarische Gegenöffentlichkeit.<br />

Drittens: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse<br />

mögen wichtig sein. Aber wenn sie nur im<br />

Parlament stattfinden, und nicht auf Straßen und Plätzen,<br />

dann führt uns das nicht weiter. Straßentheater,<br />

alle Formen der Kunst, die das nach außen bringen, visualisieren,<br />

nachempfindbar machen, die anrührende<br />

Bilder erzeugen – das ist die dritte Aufgabe. Das sind<br />

konkrete Fantasien für den Frieden. Und das ist <strong>eine</strong><br />

produktive Begegnung mit dem Geist von Gotha.

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