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Wie schafft man heute eine friedliche Gesellschaft? - Luc Jochimsen

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wir diesen Moment von intimer Gläubigkeit, von Religiosität<br />

weiter zurückdrängen? Ist die <strong>Gesellschaft</strong> dem<br />

Frieden dann näher? Ich behaupte, dass das <strong>eine</strong> sehr<br />

gewagte Hypothese ist.<br />

Siegfried Kasparick<br />

Ich will das noch einmal von der anderen Seite her<br />

unterstreichen. Ich denke, der christliche Glaube hat<br />

immer kritisch und selbstkritisch zu sein, indem er<br />

zum Beispiel kulturkritisch und religionskritisch ist.<br />

Der Glaube selber ist ja auch religionskritisch, indem<br />

er guckt, wie weit das religiöse Geschäft ein Geschäft<br />

ist, wo sich die Leute nur noch mit sich selber<br />

beschäftigen, wo die Welt aus dem Blick gerät. Und<br />

da müssen wir schauen, was in dieser <strong>Gesellschaft</strong><br />

passiert, welche Kultur oktroyiert wird, was eigentlich<br />

die Götter sind, die jetzt das Sagen haben. Ob uns<br />

beispielsweise der Börsengott freundlich gesonnen ist<br />

oder nicht.<br />

Zu DDR-Zeiten haben wir beim konziliaren Prozess als<br />

Kirche klare Worte zur Verantwortung der Kirche für<br />

die Armen gefunden und haben uns selber als <strong>eine</strong><br />

reiche Kirche bezeichnet, die auf der falschen Seite<br />

steht. Diese Töne sind in der Kirche sehr leise geworden,<br />

weil natürlich die Frage besteht: Wo steht denn<br />

die Kirche eigentlich, mehr auf der Seite der Armen<br />

oder der Reichen?<br />

Ich will aber <strong>eine</strong> zweite Sache nicht vergessen: Ich<br />

halte den Satz von Margot Käß<strong>man</strong>n für falsch, auch<br />

theologisch. Es gibt k<strong>eine</strong> Situation auf der Welt, von<br />

der <strong>man</strong> sagen kann, sie ist einfach nicht gut. Denn<br />

wenn <strong>man</strong> von Gott ausgeht und an ihn glaubt, ist in<br />

jeder Situation Hoffnung und die Herausforderung,<br />

etwas gegen diese Situation zu machen.<br />

Walter Homolka<br />

Das stimmt schon. Nur das Interessante an Margot<br />

Käß<strong>man</strong>ns Predigt war, dass sie versucht hat, uns<br />

wachzurütteln, zu sagen, es müsste besser sein. Aber<br />

es ist eben nicht gut und das führt auf die Frage:<br />

Brauchen wir weniger Religion, damit der Friede<br />

kommt oder brauchen wir nicht eher mehr Religion,<br />

mehr Fantasie für den Frieden, auch aus Sicht der<br />

Religion? Ich glaube, wir müssen als Religion diese<br />

Fantasie stärker in die <strong>Gesellschaft</strong> einbringen. Wir<br />

dürfen nicht damit zufrieden sein, zu sagen: Ja, es<br />

gibt die Trennung von Staat und Kirche, so säkularisiert<br />

sich die <strong>Gesellschaft</strong> und dann ziehen wir uns<br />

zurück. Ich bin insofern für <strong>eine</strong> Politisierung, als ich<br />

hoffe, dass sich Menschen, die aus dem Judentum,<br />

aus dem Christentum, aus dem Islam geprägt sind, in<br />

die Politik einmischen und dann auch solche Boten,<br />

wie die von Margot Käß<strong>man</strong>n, aufnehmen und sagen:<br />

Es reicht mir nicht, wie wir handeln. Wir müssten<br />

eigentlich sehr viel mehr tun, damit hier auf Erden<br />

Friede wird.<br />

Winfried Weinrich<br />

Ich darf Herrn Fried<strong>man</strong> mal aufgreifen – er hat mir<br />

schon zugerufen, dass es <strong>eine</strong> Trennung zwischen<br />

Staat und Kirche nicht gibt.<br />

14<br />

Ich glaube, dass <strong>eine</strong> Kooperation zwischen Religion<br />

und der <strong>Gesellschaft</strong>, dem Staat sinnvoll ist. Beide<br />

haben den gleichen Menschen vor sich, beide dienen<br />

in Eigenständigkeit, mit eigenem Auftrag dem gleichen<br />

Menschen. Ich halte dieses Modell, das wir in<br />

Deutschland haben, für tragfähig und sinnvoll. Dieses<br />

Modell ermöglicht übrigens nicht nur den Kirchen,<br />

sondern auch jeder Religionsgemeinschaft soziale<br />

Einrichtungen zu betreiben – zum Beispiel die zentrale<br />

Wohlfahrtsstelle der Juden.<br />

Noch einmal zur Frage der Situation in Deutschland<br />

– dann übergebe ich gerne an Herrn Fried<strong>man</strong>. Ich<br />

halte es für wichtig, dass auch Religionen politische<br />

Angelegenheiten <strong>eine</strong>r Beurteilung unterziehen. Und<br />

zwar dann, wenn es die Grundrechte der menschlichen<br />

Person verlangen. Und das bedeutet, dass<br />

Religionen zu bioethischen Fragen, zu sozialethischen<br />

Fragen und auch zu friedensethischen Fragen Stellung<br />

nehmen. Ob wir das immer gut und richtig machen,<br />

das sei dahingestellt. Aber diesem Anspruch sollten<br />

wir uns stellen.<br />

Michel Fried<strong>man</strong><br />

Die erste Frage: Warum wird hier geheuchelt? Wenn<br />

behauptet wird, es gäbe <strong>eine</strong> Trennung zwischen<br />

Staat und Religion, so ist das sachlich falsch. Wir haben<br />

in Deutschland, anders als in allen europäischen<br />

traditionellen Ländern, nach wie vor <strong>eine</strong> enge Beziehung<br />

zwischen Staat und Religion, die sich formal<br />

beispielsweise durch das Recht des Staates darstellt,<br />

für die Religionsgemeinschaften Steuern einzuziehen.<br />

Und <strong>eine</strong> Gleichberechtigung findet übrigens nicht<br />

statt, weil die Muslime dieses Privileg nicht haben,<br />

anders als Juden und Christen. Das heißt, wir haben<br />

in Deutschland bereits <strong>eine</strong> Zwei-Klassen-<strong>Gesellschaft</strong><br />

der Religion. Dies zu rechtfertigen und zu erklären<br />

ist immer auch politisch und machtpolitisch, solange<br />

<strong>man</strong> vom christlichen Abendland und s<strong>eine</strong>r Kultur<br />

spricht. Wenn Sie so friedenspolitisch als Religion<br />

sind, stellt sich für mich die Frage der Gleichberechtigung<br />

dieser drei Weltreligionen. Wann kämpfen Sie<br />

dafür, dass die Muslime wie die Christen und Juden<br />

als monotheistische Weltreligion anerkannt werden in<br />

Deutschland – mit den Privilegien, die Sie sich in den<br />

Jahrhunderten erkämpft haben?<br />

Zweite Bemerkung: Wenn sich Religionen in Politik<br />

einmischen, habe ich aus <strong>eine</strong>r ganz demokratischen<br />

Sicht ein Problem. Jeder Bürger, der sich einmischt,<br />

spricht in der Ich-Form, in der Konkurrenz zum Ich.<br />

Gruppen und Parteien müssen sich legimitieren lassen<br />

in die Demokratie. Sobald sich Religionsvertreter<br />

einmischen, legitimeren sie sich aus Gott, Glauben<br />

und Vertrauen. Ehrlich gesagt, sollte <strong>eine</strong> Religion, die<br />

k<strong>eine</strong> Autoritätsdiskussionen führen will, was Gott ist<br />

und nicht, sehr vorsichtig sein, wenn sie mit der geliehenen<br />

Autorität dieses nicht angesprochenen Gottes<br />

der politischen Alltagswelt auf die Nerven geht.<br />

Ai<strong>man</strong> Mazyek<br />

Herr Fried<strong>man</strong> hat durchaus auf <strong>eine</strong>n wunden Punkt<br />

hingewiesen. Wir Muslime klopfen gerade an den

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