PFARRVEREIN aktuell - Evangelischer Pfarrverein in Württemberg eV
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Hartmut Zweigle,<br />
Vorsitzender des<br />
Evangelischen<br />
<strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>s <strong>in</strong><br />
<strong>Württemberg</strong><br />
Nachdenkenswert<br />
»Die Weisheit e<strong>in</strong>es Schriftgelehrten erfordert Zeit und Muße«<br />
»Hätte sich Mart<strong>in</strong> Luther 1522 nicht auf der<br />
Wartburg verstecken müssen, fernab von allen<br />
Geschäften und Ablenkungen, wäre es ihm wohl<br />
schwerlich gelungen, das Neue Testament <strong>in</strong> nur<br />
elf Wochen komplett <strong>in</strong>s Deutsche zu übersetzen.<br />
In se<strong>in</strong>er kargen Studierstube wurde er kaum gestört.<br />
Nur der Teufel wollte ihn dort angeblich vom<br />
Arbeiten abhalten – was der große Reformator der<br />
Legende nach mit e<strong>in</strong>em gezielten Wurf se<strong>in</strong>es<br />
T<strong>in</strong>tenfasses abwehrte. Heute dagegen würde der<br />
Leibhaftige wohl versuchen, ihn mit E-Mails, e<strong>in</strong>em<br />
Internetanschluss und e<strong>in</strong>em Flachbildschirm zu verführen; wer weiß, wie die<br />
Sache dann ausg<strong>in</strong>ge.« So schreibt der Wissenschaftsredakteur Ulrich Schnabel<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em lesenswerten Buch »Muße«.<br />
Nun werden die wenigsten die Absicht haben, das Neue Testament neu zu<br />
übersetzen. Aber auch wir heute brauchen Orte und Oasen der Ruhe und der<br />
Stille, <strong>in</strong> denen wir uns ungestört auf das (theologische) Nachdenken, das<br />
Schreiben und das Hören auf Gottes Wort konzentrieren können. Zeiten, <strong>in</strong><br />
denen wir nicht gestört werden: von Gesprächen, von Telefonaten, von E-Mails<br />
und was es sonst noch an Ablenkungen gibt.<br />
Die Wirklichkeit ist für die meisten von uns freilich e<strong>in</strong>e andere: Wir, die wir<br />
sche<strong>in</strong>bar über unsere Zeit frei verfügen, stöhnen (teils lustvoll, teil leidend)<br />
darüber, dass wir ke<strong>in</strong>e Zeit haben und tragen uns Term<strong>in</strong> auf Term<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
unserem Kalender e<strong>in</strong>. In den Festzeiten hetzten wir bisweilen von Bes<strong>in</strong>nung<br />
zu Bes<strong>in</strong>nung, sodass man manchmal fast den E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen kann, der<br />
Heilige Geist wäre zum Eiligen Geist geworden. (S<strong>in</strong>nigerweise musste ich bei<br />
me<strong>in</strong>er ersten Sitzung als <strong>Pfarrvere<strong>in</strong></strong>svorsitzender im Losungsbüchle<strong>in</strong> die<br />
Liedstrophe von Z<strong>in</strong>zendorf lesen, die als Hymne der Ruhelosigkeit gelten kann:<br />
»Wir woll’n uns gerne wagen, <strong>in</strong> unsern Tagen / der Ruhe abzusagen, die’s Tun<br />
vergisst. Wir woll‘n nach Arbeit fragen, wo welche ist, nicht an dem Amt<br />
verzagen, uns fröhlich plagen / und unsre Ste<strong>in</strong>e tragen aufs Baugerüst.«)<br />
Es wäre sicher falsch, dies e<strong>in</strong>zig auf die mangelnde »Selbststeuerung« von uns<br />
Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrern zurückzuführen. In vielerlei H<strong>in</strong>sicht hat der Druck<br />
<strong>in</strong> unserem Beruf objektiv zugenommen. Viele Aufgaben, wie zum Beispiel<br />
Hausmeisterdienste, s<strong>in</strong>d durch Stellenkürzungen an anderer Stelle h<strong>in</strong>zugekommen,<br />
Kollegen, die über lange Zeit Vertretungen übernehmen müssen,<br />
berichten, wie sie bis weit <strong>in</strong> die Nacht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und das ganze Wochenende<br />
über arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. Und der Abbau von