Deutsche Bahn AG: Menschen bewegen – Welten verbinden
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong><br />
Potsdamer Platz 2<br />
10785 Berlin<br />
www.db.de<br />
www.bahn.de<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>: <strong>Menschen</strong> <strong>bewegen</strong> – <strong>Welten</strong> <strong>verbinden</strong><br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>:<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>bewegen</strong> –<br />
<strong>Welten</strong> <strong>verbinden</strong>
Auf einen Blick<br />
Umsatz in Mio. €<br />
2006<br />
2005<br />
� 2005 zu 2006: +19,9%<br />
ROCE in %<br />
2006<br />
2005<br />
� 2005 zu 2006: +2,5 Prozentpunkte<br />
5,0<br />
25.055<br />
7,5<br />
30.053<br />
EBIT in Mio. €<br />
2006<br />
2005<br />
� 2005 zu 2006: +1.125 Mio. €<br />
Bilanzsumme in Mio. €<br />
2006<br />
2005<br />
� 2005 zu 2006: +2,8%<br />
1.352<br />
2.477<br />
48.440<br />
47.101<br />
Wesentliche Kennzahlen Veränderung<br />
in Mio. € 2006 2005 absolut prozentual<br />
Umsatz 30.053 25.055 +4.998 +19,9<br />
Umsatz vergleichbar 26.879 24.959 +1.920 +7,7<br />
Ergebnis vor Ertragsteuern 1.555 490 +1.065 –<br />
Jahresergebnis 1.680 611 +1.069 +175<br />
EBITDA 5.427 4.153 +1.274 +30,7<br />
EBIT 2.477 1.352 +1.125 +83,2<br />
EBIT vor Sondereffekten 2.143 1.350 +793 +58,7<br />
Langfristige Vermögenswerte 43.360 42.907 +453 +1,1<br />
Kurzfristige Vermögenswerte 5.080 4.194 +886 +21,1<br />
Bilanzsumme 48.440 47.101 +1.339 +2,8<br />
Eigenkapital 9.214 7.675 +1.539 +20,1<br />
Finanzschulden 19.881 19.974 –93 –0,5<br />
Capital Employed 28.693 27.013 +1.680 +6,2<br />
Return on Capital Employed (ROCE) 7,5% 5,0% – –<br />
Brutto-Investitionen 6.584 6.379 +205 +3,2<br />
Netto-Investitionen 1) 2.836 2.360 +476 +20,2<br />
Mittelfluss aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit 3.678 2.652 +1.026 +38,7<br />
Mitarbeiter 2) per 31. 12. 229.200 216.389 +12.811 +5,9<br />
Leistungskennzahlen – Schiene Veränderung<br />
Personenverkehr<br />
2006 2005 absolut prozentual<br />
Reisende in Mio. 1.854 1.785 +69 +3,9<br />
Verkehrsleistung in Mio. Pkm 3) 74.788 72.554 +2.234 +3,1<br />
Betriebsleistung in Mio. Trkm 4) 702,7 711,4 –8,7 –1,2<br />
Güterverkehr<br />
Beförderte Güter in Mio. t 5) 307,6 274,6 +33,0 +12,0<br />
Verkehrsleistung in Mio. tkm 5, 6) 96.388 88.022 +8.366 +9,5<br />
Mittlere Transportweite in km 313,4 320,4 –7,0 –2,2<br />
Betriebsleistung in Mio. Trkm 203,5 193,7 +9,8 +5,0<br />
Anzahl <strong>Bahn</strong>höfe 7) 5.730 5.707 +23 +0,4<br />
Betriebsleistung auf dem Netz in Mio. Trkm 1.016 998 +18 +1,8<br />
davon konzernextern (128) (110) +18 +16,4<br />
Betriebslänge in km 34.122 34.211 –89 –0,3<br />
1) Brutto-Investitionen abzüglich Investitionszuschüssen von Dritten<br />
2) In Vollzeitpersonen; d.h. Teilzeitkräfte werden anteilig eingerechnet<br />
3) Personenkilometer: Produkt aus der Anzahl der beförderten Personen<br />
und der mittleren Reiseweite<br />
4) Trassenkilometer: zurückgelegte Kilometerstrecke der Züge<br />
5) Umstellung auf Bruttowerte im Berichtsjahr, Vorjahreszahl<br />
entsprechend angepasst<br />
6) Tonnenkilometer: Produkt aus der Transportmenge (in Tonnen)<br />
und der mittleren Transportweite<br />
7) Davon im Jahr 2006: 5.407 im Geschäftsfeld Personenbahnhöfe<br />
Mission Statement<br />
Gruppenfunktionen<br />
DB-Konzern<br />
Mobility Logistics<br />
Eisenbahn in Deutschland<br />
Networks<br />
Als Basis unseres Geschäfts optimieren wir Leistung und Produktivität im deutschen Schienenverkehr.<br />
Wir bauen unser Geschäftsportfolio aus, wo dies aus Sicht unserer Kunden sinnvoll ist oder wo unsere<br />
Kompetenzen und Ressourcen dies nahe legen.<br />
Wir entwickeln uns so zu einem international führenden Mobilitäts- und Logistikdienstleister. Wir<br />
schaffen Werte für unsere Kunden, Mitarbeiter und Eigentümer und sind ein dauerhaft attraktives<br />
Investment auf den internationalen Kapitalmärkten.<br />
Organisationsstruktur des DB-Konzerns (ab 2007)<br />
Aufsichtsrat<br />
Konzernvorstand<br />
Vorsitzender Finanzen und Controlling Wirtschaft und Politik Personal<br />
Systemverbund <strong>Bahn</strong> Personenverkehr Infrastruktur und Dienstleistungen<br />
Geschäftsfelder/Segmente<br />
Transport und<br />
Logistik<br />
Fernverkehr<br />
Netz Schenker<br />
– Landverkehr<br />
Regio Personenbahnhöfe<br />
– Luft-/Seefracht<br />
– Kontraktlogistik, SCM<br />
Servicefunktionen Stadtverkehr<br />
Energie<br />
Dienstleistungen<br />
Schienengüterverkehr<br />
– Railfreight<br />
– Intermodal<br />
Kennzahlen und Mission Statement
Intern<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
sie sind, wenn man so will, ein eingefahrenes Team – der Reporter Hans Borchert und der Fotograf<br />
Stefan Warter. So haben die beiden, die für große deutsche Magazine arbeiten, für den<br />
„Stern“ schon den Formel-1-Zirkus rund um die Welt begleitet. Auch für diese Jahresbroschüre<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> ging es für Borchert und Warter einmal um den Globus. Herausgekommen<br />
sind spannende und überraschende Reportagen über <strong>Menschen</strong> im DB-Konzern, der im Bereich<br />
Mobilität und Logistik weltweit führend und somit auch fast überall auf der Erde vertreten ist.<br />
In Indien etwa machten Borchert und Warter Bekanntschaft mit einer Auto-Rikscha der zum<br />
DB-Konzern gehörenden Spedition Schenker. In Südkorea waren sie bei der Eröff nung eines<br />
Schenker Logistikzentrums dabei. In Japan begleiteten sie Eisenbahner aus Deutschland auf<br />
ihrem jährlichen Treff en mit japanischen Kollegen. In China konnten sie sich beim Bau einer<br />
Hoch geschwindigkeitsstrecke davon überzeugen, dass das Know-how der DB als führender<br />
Betreiber und Manager hochkomplexer Verkehrsnetzwerke weltweit gefragt ist.<br />
Stefan Warter<br />
Fotograf<br />
Es ging weiter über Singapur, Australien, USA und Kanada<br />
zurück nach Europa und Deutschland. Denn auch wenn der<br />
DB-Konzern mittlerweile in der Welt von Mobilität und<br />
Logistik zu den Champions gehört, ist und bleibt die Eisenbahn<br />
in Deutschland Herkunft und Basis des Unternehmens.<br />
Nirgendwo auf der Welt wird ein dichter vertaktetes Personenverkehrsnetz<br />
auf der Schiene betrieben als in Deutschland<br />
– mit allem, was an Service-Leistungen und Datensystemen<br />
dazugehört, ein gigantisches Verkehrsnetzwerk. Keine Güterbahn<br />
in Europa ist größer und erfolgreicher als die DB-Tochter<br />
Railion Deutschland <strong>AG</strong>. Auch über diese Welt der Eisenbahn<br />
galt es in dieser Broschüre zu berichten.<br />
Von einem Reporterteam war das alles kaum zu schaff en. Weshalb sich Olaf Krohn gemeinsam<br />
mit den Fotografen Max Lautenschläger und Heiner Müller-Elsner der „Generation ICE“ widmeten<br />
und zudem die Welt der Automotive-Logistik entdeckten. Dort erlebte Andreas Molitor<br />
auch den Einsatz allerneuster IT-Werkzeuge im „Supply Chain Management“. Vom Berliner<br />
Hauptbahnhof angezogen fühlte sich die Fotografi n Katja Hoff mann. Sie war mit der Kamera<br />
unterwegs im größten und schönsten Kreuzungsbahnhof Europas, einer neuen Attraktion der<br />
Hauptstadt. Und unsere Historikerin Susanne Kill tauchte in die Eisenbahngeschichte ein.<br />
Damals, als noch völlig off en war, wie man das neue Verkehrsmittel fi nanzieren sollte. Der Rückblick<br />
zeigt: Erst mit Gründung privatwirtschaftlicher Aktiengesellschaften begann die Erfolgsgeschichte<br />
der Eisenbahn in Deutschland.<br />
Herzlichst Ihr Redaktionsteam<br />
Olaf<br />
Krohn<br />
Autor<br />
Hans Borchert<br />
Autor<br />
Max<br />
Lautenschläger<br />
Fotograf<br />
Heiner<br />
Müller-Elsner<br />
Fotograf<br />
Katja<br />
Hoff mann<br />
Fotografi n<br />
1
Inhalt<br />
Intern S. 1<br />
Hartmut Mehdorn Eisenbahn ist Kerngeschäft S. 4<br />
Den <strong>Bahn</strong>chef kennt man gut. Die <strong>Bahn</strong> kennen einige<br />
nicht mehr so gut. Sie ist noch die alte, aber zugleich auch<br />
die neue: Um in Deutschland eine feste Größe zu bleiben,<br />
hat sich die DB <strong>AG</strong> international aufgestellt. Mit Erfolg.<br />
Mobility Networks Logistics Global Player S. 10<br />
Dresden, Schanghai,<br />
Neu-Delhi, Brüssel,<br />
Perth, Hamburg, Toronto,<br />
Moskau – im Kosmos<br />
der DB <strong>AG</strong> geht die<br />
Sonne nicht mehr unter.<br />
Der Konzern bewegt<br />
<strong>Menschen</strong>, Güter und Daten. Betreibt und managt erfolgreich<br />
Verkehrsnetzwerke. Und das alles auch weltweit.<br />
Konzernentwicklung Meilensteine S. 38<br />
Kompakter Lebenslauf der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> seit<br />
dem Jahr 1999. Ein Konzern auf der Karriereleiter.<br />
Personenverkehr<br />
Generation ICE S. 42<br />
Mit Höchstgeschwindigkeit<br />
300 ein Tieffl ieger – der ICE.<br />
Und Beförderer einer mobilen<br />
Gesellschaft. Aus fern macht er<br />
eher nah, verbindet Büro- und<br />
Wohnstätte und schaff t Freiräume:<br />
Reisezeit ist aktive Zeit.<br />
Sie lässt sich nutzen für den Job, zum Schmökern, Lernen<br />
oder einfach nur zum Tagträumen …<br />
Verkehrsknoten Laufsteg <strong>Bahn</strong>hof S. 58<br />
Majestätisch, funktional und transparent. Der Hauptbahnhof<br />
in Berlin ist Europas modernster Kreuzungsbahnhof.<br />
Architektonisch eine Glanzleistung und schmucke<br />
Einkaufsmeile zugleich. Ein Blick darauf lohnt sich.<br />
Historie<br />
Aktie Eisenbahn S. 66<br />
Ohne Privatkapital wäre die<br />
Eisenbahn in Deutschland<br />
heute nicht das, was sie ist.<br />
Vernetzt Wer nicht am Ticket-Automaten kaufen<br />
will, weil er Informationen braucht, ist im<br />
Reisezentrum gut beraten. Die Servicekräfte der<br />
DB können sämtliche Daten online aktuell<br />
abrufen. Schneller und aktueller geht’s nicht.<br />
Automotive Kettenreaktion S. 72<br />
Es gibt eine Menge Autos,<br />
die fahren <strong>Bahn</strong>, bevor sie<br />
sich auf die Straße trauen.<br />
Weil man sie kaum sicherer<br />
und sinnvoller zur Endmontage<br />
transportieren<br />
kann. Finden zum Beispiel<br />
Porsche, BMW und Audi.<br />
Logistik Netzwerkzeuge S. 80<br />
„Pick by voice“ – eine digitale Stimme aus dem Headset<br />
steuert jeden Handgriff der Mitarbeiter im Lager. Damit<br />
für die „just in sequence“-Produktion jedes Montageteil<br />
zur richtigen Zeit exakt am richtigen Ort liegt.<br />
Transport Containerkult S. 84<br />
Einfach aber genial: Eine Blechkiste hat den kompletten<br />
Welthandel in 50 Jahren revolutioniert. Container sind<br />
als Standardbehälter aus der weltweiten Logistik nicht<br />
mehr wegzudenken. Da wird kräftig hoch gestapelt.<br />
IT-Systeme In der Matrix S. 94<br />
An einem Strang ziehen ja, an diesen<br />
Strängen besser nicht. Denn hieran<br />
hängt der zentrale Rechner der DB.<br />
Wohl eines der modernsten IT-Netzwerke,<br />
das die Welt gesehen hat.<br />
Mitarbeiter Außenposten S. 104<br />
Kleine Vorstellungsrunde: vier Kurzporträts aus dem<br />
Ausland – von Stockholm bis Neuseeland.<br />
Auslandsmärkte Wertarbeit S. 108<br />
Was hat die Eisenbahn in China mit der DB <strong>AG</strong> gemeinsam?<br />
Das Know-how unserer Mitarbeiter. Denn sie unterstützen<br />
dabei, dass China ein technisch hochmodernes<br />
Schienennetz mit zugehöriger Infrastruktur erhält.<br />
Transport & Logistik Drehkreuze S. 118<br />
Sie sind die Knotenpunkte im Netzwerk der Handelsströme:<br />
Cargo-Airports, Seehäfen, Frachtzentren und<br />
Rangierbahnhöfe. Hier wird gemischt und neu verteilt.<br />
Damit alle Güter schnell ans Ziel gelangen. Wie bestellt.<br />
Australien<br />
Tempomacher S. 130<br />
„Down under“ boomt –<br />
und als transpazifi sches<br />
Bindeglied zwischen den<br />
USA und Asien ist die<br />
DB-Tochter Schenker hier<br />
gut unterwegs.<br />
Impressum S. 144<br />
2 3
Hartmut Mehdorn<br />
Eisenbahn ist<br />
Kerngeschäft<br />
Wachstum bei allen Transportleistungen auf der Schiene,<br />
Spitzenposition im globalen Mobilitäts- und Logistikgeschäft,<br />
dazu Rekordzahlen bei Umsatz und Ertrag –<br />
die DB <strong>AG</strong> ist bestens aufgestellt und bereit für den<br />
Kapitalmarkt. DB-Chef Hartmut Mehdorn zieht Bilanz.<br />
s gibt Worte, die sind Auszeichnung<br />
und Bürde zugleich, und<br />
in Deutschland gehörte dazu<br />
immer schon die Bezeichnung „<strong>Bahn</strong>chef“.<br />
Ein plakativer, ein zudem praktischer<br />
Begriff , denn ob Lob oder<br />
Kritik, es wurde stets am <strong>Bahn</strong>chef<br />
festgemacht – seit dem Amtsantritt<br />
im Jahr 1999 an „<strong>Bahn</strong>chef Mehdorn“<br />
eben. „Ich heiße ja für die Öff entlichkeit<br />
gar nicht mehr Hartmut mit Vornamen“,<br />
amüsierte sich der Konzernlenker<br />
zuweilen.<br />
Mittlerweile schreiben wir das<br />
Jahr 2007, und die Welt des DB-Konzerns<br />
hat sich enorm gewandelt. Indes:<br />
Hartmut Mehdorn heißt nach<br />
wie vor <strong>Bahn</strong>chef Mehdorn. „Ich bin<br />
es ja schließlich auch immer noch,<br />
mit Stolz und gerne“, sagt er.<br />
Klar ist aber auch: Die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> ist nicht mehr dasselbe Unternehmen<br />
wie vor sieben Jahren. Ist<br />
nicht mehr fast ausschließlich Transporteur<br />
von <strong>Menschen</strong> und Gütern<br />
auf der Schiene, sondern denkt in<br />
Mobilitäts- und Logistikketten. Sie<br />
managt hochkomplexe und dicht<br />
vertaktete Verkehrsnetzwerke im<br />
nationalen und europäischen Personenverkehr<br />
ebenso wie auch rund<br />
4<br />
um den Globus im Bereich Transport<br />
und Logistik – und zwar zu Land, zu<br />
Wasser und in der Luft.<br />
Eine Weltkarte in Mehdorns Vorstandsbüro<br />
kündet augenfällig von<br />
neuen, fernen Ufern. Und sein Kalender<br />
diktiert dazu den kosmopolitischen<br />
Reiseplan: heute Berlin, morgen<br />
New York, danach Münster und<br />
Abu Dhabi, Bremen und Peking.<br />
Nichts indes, worüber groß zu reden<br />
wäre, fi ndet Mehdorn. Weil längst<br />
Normalität und nur von begrenztem<br />
Wert für Millionen von <strong>Bahn</strong>reisenden<br />
tagtäglich, denn die stehen, so<br />
sein Statement, klar im Zentrum aller<br />
Strategie.<br />
Im Dienste des Kunden<br />
„Der Kunde möchte eine möglichst<br />
günstige Fahrkarte und dazu eine<br />
pünktliche, eine bequeme Fahrt<br />
nicht nur von <strong>Bahn</strong>hof zu <strong>Bahn</strong>hof<br />
sondern von Haus zu Haus.“ Hartmut<br />
Mehdorn nennt das gern „<strong>Bahn</strong>fahren<br />
davor und <strong>Bahn</strong>fahren danach“<br />
und meint damit die ganze<br />
Reisekette. „Dass die DB mittlerweile<br />
ein sogenannter Global Player ist,<br />
dass wir noch viel mehr können,<br />
Weichenstellung Symbolisch gesagt:<br />
Die Tür zum Gang an den Kapitalmarkt ist<br />
geöff net. Vorstandschef Hartmut Mehdorn<br />
vor dem Besprechungszimmer seines Büros<br />
im Berliner <strong>Bahn</strong>-Tower.<br />
5
Der Ausbau des Konzerns zum internationalen Mobilitäts- und<br />
Logistikdienstleister schafft und sichert deutsche Arbeitsplätze.<br />
spielt für die <strong>Bahn</strong>kunden dabei keine<br />
Rolle. Wohl aber die Frage, wie sie<br />
von zu Hause zum <strong>Bahn</strong>hof kommen,<br />
wo sie ihren Wagen parken können,<br />
in welchem Hotel sie übernachten<br />
möchten und wie sie auf kürzestem<br />
und schnellstem Wege ihr nächstes<br />
Ziel erreichen.“<br />
Will sagen: Der Konzern hat viele<br />
Fähigkeiten, aber vordringlich ist<br />
aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden<br />
nicht das ausgemalte Bild umfassender<br />
Komplexität, sondern zuerst die<br />
gezielte, die kundenrelevante Vermittlung<br />
von Kompetenz. „Den Einzelnen<br />
wird dabei im Individualverkehr<br />
das über unser Online-Portal<br />
leicht abrufbare Angebot der kompletten<br />
Angebote interessieren –<br />
DB Carsharing, DB Rent und DB Call<br />
a Bike übrigens inklusive“, erläutert<br />
Mehdorn. „Ein Großkunde wie der<br />
Freistaat Bayern will dagegen die<br />
Organisation eines ganzen Nahverkehrssystems<br />
und fi ndet in uns dafür<br />
den richtigen Partner. Gleiches gilt<br />
für unser Wissen um Stadtverkehre,<br />
egal ob mit <strong>Bahn</strong>, S-<strong>Bahn</strong> oder Bus.<br />
Und wer Seefracht oder Luftfracht<br />
hat, dem zeigen wir unser weltweit<br />
gespanntes, engmaschiges Transport-<br />
und Logistiknetz. Auch auf der<br />
Straße und im Kontraktgeschäft.“<br />
Umkämpfte Wachstumsfelder<br />
Letztgenannte Klientel weiß übrigens<br />
längst um die Position der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> auf diesen weltweit<br />
größten, allerdings hart umkämpften<br />
Wachstumsfeldern. Hinter DHL und<br />
vor Nippon Express hat sich die<br />
DB Logistics mit ihren fünf Bereichen<br />
Rail Freight, Intermodal, Land<br />
Transport, Air/Ocean Freight sowie<br />
Contract Logistics/SCM im internationalen<br />
Ranking des Logistikmarktes<br />
auf Platz zwei etabliert. Diese<br />
Unternehmenssäule erwirtschaftet<br />
mittlerweile immerhin 57 Prozent<br />
des Konzernumsatzes. Die Tendenz<br />
ist weiter steigend.<br />
„Wir sind vorne mit dabei, die<br />
Trends des globalen Marktes zu nutzen“,<br />
konstatiert Mehdorn. „Und wir<br />
nützen damit auch dem Standort<br />
Deutschland, der Weltmarktführer<br />
im Bereich Transport und Logistik<br />
ist, einer Branche also, in der unser<br />
Land eindeutig Gewinner der Globalisierung<br />
ist. Dabei gibt es in dieser<br />
beispiellosen Expansions- und Konzentrationsphase<br />
auf diesem Gebiet<br />
für die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> nur eine Möglichkeit:<br />
Weiter an der Spitze mit-<br />
Spielerisch Zuweilen greifen Mehdorn oder<br />
auch Besucher zur kleinen Holzharke und<br />
ziehen Linien in den Sand des Zen-Gartens in<br />
seinem Vorzimmer.<br />
spielen oder gar nicht.“ Hohe Finanzkraft<br />
sei dazu nötig und unabdingbar<br />
deshalb der Zufl uss privaten Kapitals<br />
aus der noch für diese Legislaturperiode<br />
geplanten Teilprivatisierung<br />
des Konzerns.<br />
Das große, von der <strong>Bahn</strong>reform<br />
des Jahres 1994 formulierte und politisch<br />
vorgegebene Ziel ist nahezu erreicht,<br />
und wenn Hartmut Mehdorn<br />
das Geschehen noch einmal rückwärts<br />
abspult, dann vor dem Hintergrund<br />
eines erstklassigen „Track Records“<br />
im abgelaufenen Geschäftsjahr<br />
2006. Zahlen, Daten, Fakten – ein<br />
Vortrag mit Erlebnischarakter für<br />
den Zuhörer. Mehdorn schließlich ist<br />
ein energischer Berichterstatter:<br />
„Zuerst und vor allem: Die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Bahn</strong> macht nach einer Phase<br />
der Sanierung und Neuausrichtung<br />
nachhaltig Gewinn. Mehr Gewinn als<br />
viele Dax-Unternehmen. Bei einem<br />
Gesamtumsatz von nahezu 30 Milliarden<br />
Euro (20 Prozent über Vorjahr)<br />
werden es vor Steuern und Zinsen<br />
(EBIT) deutlich mehr als zwei Milliarden<br />
Euro sein. Dabei haben sich die<br />
Geschäftsfelder klar besser entwickelt<br />
als im Vorjahr und sie alle tragen<br />
zum positiven Ergebnis bei.<br />
Das Geschäft auf der Schiene<br />
brummt und erreichte bei Nah-,<br />
Stadt- und Fernverkehr den Spitzenwert<br />
von 75 Milliarden Personenkilometern<br />
(plus 3,1 Prozent). Beim<br />
Schienengüterverkehr ergibt sich<br />
mit 96 Milliarden Tonnenkilometern<br />
(plus 9,5 Prozent) sogar die höchste<br />
Transportsteigerung seit 25 Jahren<br />
und damit ein Leistungswert, wie es<br />
ihn in der Bundesrepublik noch nie<br />
gab. Erneut wächst die Schiene stärker<br />
als der Verkehrsmarkt insgesamt.<br />
Beim Personenverkehr im Modalsplit<br />
um rund vier Prozent, beim Gütertransport<br />
sogar um elf Prozent.<br />
Einen gewissen Sondereinfl uss hatte<br />
Deutschlands Sommermärchen –<br />
die WM. Das Fußball-Ereignis war<br />
ein Paradebeispiel für unsere Leistungsfähigkeit<br />
als integrierter Konzern.<br />
Wir fuhren an jedem Spieltag<br />
über 600.000 zusätzliche Kunden,<br />
verkauften 240.000 Weltmeister-<br />
<strong>Bahn</strong>Cards und daneben sorgten<br />
unsere Mitarbeiter von Schenker<br />
logistisch für reibungslose Prozesse<br />
des von Franz Beckenbauer geführten<br />
Organisations-Komitees.<br />
Seit 1994 wurde die Produktivität<br />
im <strong>Bahn</strong>geschäft verdreifacht. Wir<br />
haben seitdem unser Ergebnis jeweils<br />
um rund 400 Millionen Euro pro Jahr<br />
verbessert und betreiben dabei das<br />
dichteste und komplexeste Schienennetz<br />
der Welt. Für dessen Instandhaltung,<br />
Modernisierung und<br />
Am Puls der <strong>Bahn</strong> Mittels Bildschirmdarstellung informiert sich Hartmut Mehdorn über die aktuelle Zugpünktlichkeit und Betriebslage im<br />
Schienenverkehr. Aktenstudium und Terminabsprachen mit seiner Sekretärin Helga Alles gehören ebenfalls zu seinem Alltag.<br />
Ausbau haben wir 2006 eigene Mittel<br />
in Höhe von 1,1 Milliarden Euro<br />
aufgewendet – neben den öff entlichen<br />
Mitteln des für Infrastruktur<br />
zuständigen Bundes.<br />
Zur bereits geschilderten Logistik<br />
noch ein Zusatz: 34 Prozent unseres<br />
Konzernumsatzes erwirtschaften wir<br />
mittlerweile international, und dort<br />
haben wir ganz nebenbei auch die<br />
größten Zuwachsraten.<br />
Und ein Letztes: Das Rekordjahr<br />
ergab auch für den Personalbestand<br />
eine erfreuliche Konsequenz, denn<br />
unsere Mitarbeiterzahl liegt um etwa<br />
2.200 Vollzeitstellen über dem ursprünglichen<br />
Planansatz von insgesamt<br />
rund 226.900 DB-Beschäftigten.<br />
Unser Anspruch als weltweit<br />
führender Mobilitäts- und Logistikdienstleister<br />
schaff t und sichert eben<br />
auch Arbeitsplätze in Deutschland.<br />
Hier sind wir ohnehin fl ächendeckend<br />
verwurzelt – als einer der<br />
größten Investoren, Arbeitgeber und<br />
Ausbilder. Trotz Internationalität:<br />
Die Eisenbahn in Deutschland ist<br />
Herkunft und Basis, und das wird<br />
auch so bleiben.“<br />
Den neuen Konzern vor Augen bleibt<br />
die Frage: War diese schrittweise<br />
Entwicklung eine Folge vorausschauender<br />
Strategie oder das Ergebnis<br />
ständiger Anpassung an die wirt-<br />
schaftlichen Verhältnisse? „Sowohl<br />
als auch“, antwortet Hartmut<br />
Mehdorn freimütig, „denn natürlich<br />
prägen das Umfeld und der Markt.<br />
Aber als ich zur <strong>Bahn</strong> kam, da gab es<br />
eine ganze Reihe nüchterner Erkenntnisse<br />
und fester Absichten.“<br />
Klar war, dass Güterverkehr nicht<br />
funktionieren kann, wenn man darauf<br />
wartet, dass die Kundschaft ihre<br />
Ladung selbst zu den Zügen bringt.<br />
„Wir mussten also lernen, an die Fabrikationsstandorte<br />
zu gehen, die Produkte<br />
dort einzupacken, sie zum<br />
<strong>Bahn</strong>hof, ans Schiff oder zum Flugzeug<br />
zu schaff en, zu transportieren<br />
und beim Zielkunden in einem fest<br />
defi nierten Zeitfenster abzuliefern.“<br />
Komplette Reisekette<br />
Und ebenso klar war: Um im Personenverkehr<br />
neue Kunden zu gewinnen,<br />
bedurfte es – vergleichbar der<br />
Logistikkette – neben Pünktlichkeit<br />
sowie Sicherheit, Service und Sauberkeit<br />
eines Angebots für die gesamte<br />
Reisekette. „Unser Internetportal<br />
mit mittlerweile 110 Millionen Klicks<br />
täglich entwickelte sich dabei zu<br />
einem Schlüsselinstrument neben<br />
vielen anderen elektronischen Medien<br />
– vom automatisierten Ticketkauf<br />
bis hin zur Reisenden-Information<br />
im Zug oder auf dem <strong>Bahn</strong>steig. Aber<br />
darüber hinaus, dessen sind wir uns<br />
bewusst, gibt es noch viel Platz für<br />
Verbesserungen“, so Mehdorn.<br />
Kurz und knapp: Der Weg zum<br />
Ziel war von Beginn an klar. „Wir haben<br />
nicht endlos darüber geredet, wir<br />
haben gehandelt, uns neu ausgerichtet<br />
und die Strukturen angepasst“,<br />
sagt Mehdorn. „Wir sehen uns hier<br />
als Unternehmer. Und das Wort Unternehmer<br />
kommt eben von etwas<br />
unternehmen.“<br />
Es gab Beispiele, natürlich. Japans<br />
erfolgreich privatisierte Eisenbahnen<br />
verliehen dem Personenverkehr Impulse,<br />
Amerikas große Güterbahnen<br />
boten in Verbindung mit ihrem Netz<br />
aus Langläufern und Schnittstellen<br />
zu Feeder-Verkehren ebenfalls interessantes<br />
Anschauungsmaterial.<br />
„Man habe all das genau analysiert“,<br />
resümiert Mehdorn. Manches verworfen<br />
und anderes heiß diskutiert.<br />
Fazit: „Viel kapiert, nichts kopiert.“<br />
Parallel dazu entwickelte sich die<br />
Führungsorganisation des Unternehmens.<br />
Für Hartmut Mehdorn, dessen<br />
Credo „no surprises – keine Überraschungen“<br />
lautet, vielleicht die<br />
wichtigste Weichenstellung im Verlauf<br />
des Turnaround. Was er wollte,<br />
war ein „transparentes, klar zu führendes<br />
Haus“ mit „beherrschbaren<br />
Prozessen“, mit „Diskussionskultur<br />
bei schneller Lösungsfi ndung“.<br />
6 7
Alle Entscheidungen sollen auf administrativer<br />
Ebene geprägt sein<br />
„von Kosten- und Effi zienzdenken“<br />
sowie einem „Höchstmaß an gegenseitigem<br />
Vertrauen“.<br />
Viele Kulturen, ein Spirit<br />
Das ist für Mehdorn nicht nur so dahingesagt:<br />
„Ich glaube“, so der Konzernlenker,<br />
„dass wir den besten Vorstand<br />
haben, den die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />
je hatte. Jedenfalls ist das Selbstbewusstsein<br />
wieder da und egal auf<br />
welcher Ebene: Unsere Mitarbeiter<br />
wissen, wir sind ein erfolgreiches,<br />
profi tables Unternehmen.“<br />
Von neuem Geist befl ügelt heißt<br />
es jetzt: Aufbruch zur nächsten Etappe,<br />
dem IPO (Initial Public Off ering)<br />
genannten Börsengang. Spirit ist in<br />
diesem Zusammenhang übrigens die<br />
Hartmut Mehdorn liebere, weil moderne,<br />
vielleicht auch sportlichere<br />
Vokabel. Sie beschreibt für ihn, „dass<br />
wir im Konzern bei gemeinsamer<br />
Strategie alle Kulturen erlauben und<br />
keine Gleichmacherei betreiben“.<br />
Defi niert sind Ziele, aber wie sie erreicht<br />
werden, darüber entscheidet<br />
man vor Ort. „Einfach weil Geschäfte<br />
in Amerika eben anders funktionieren<br />
als in Japan oder China oder eben<br />
in Deutschland.“<br />
Bei Investoren, allen voran bei<br />
institutionellen Anlegern, zählen allerdings<br />
mehr die Taten als solche<br />
Worte. Grundlage einer Kaufentscheidung<br />
sind nur harte Fakten.<br />
Deshalb stellt sich die simple Frage:<br />
Warum sollte sich ein Investment in<br />
die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> lohnen? Konzernchef<br />
Mehdorn greift zur bewährten<br />
Fingermethode, der Daumen<br />
macht den Anfang:<br />
Fernsicht Aus Hartmut Mehdorns Büro geht der Blick weit hinaus über Berlin<br />
und streift dabei das Bundeskanzleramt und den neuen Hauptbahnhof.<br />
1. Wir sind solide fi nanziert und<br />
machen Gewinne.<br />
2. Unsere Geschäftsfelder sind<br />
klassische Wachstumsmärkte. Im<br />
Bereich Logistik wird ein jährlicher<br />
Zuwachs im zweistelligen Bereich für<br />
die nächsten zehn bis 15 Jahre prognostiziert.<br />
Marktentwicklung ist dabei<br />
nicht das Problem, sondern<br />
Marktteilnahme oder anders ausgedrückt:<br />
Wie groß ist das Stück Kuchen,<br />
das wir für uns reklamieren<br />
können.<br />
3. Trotz Wettbewerb, der uns auch<br />
befl ügelt, besteht im Kerngeschäft<br />
Eisenbahn ebenfalls genügend Potenzial,<br />
um zu wachsen. Sowohl beim<br />
Personen-, als auch beim Güterverkehr.<br />
Die europaweite Marktliberalisierung<br />
eröff net dabei weitere Expansionschancen.<br />
4. Eines unserer Hauptprodukte ist<br />
Wissen. Kaum ein anderer Konzern<br />
hat als Manager und Betreiber von<br />
Verkehrsnetzwerken vergleichbares<br />
Know-how und nur wenige Mitbewerber<br />
verfügen über so viele moderne<br />
elektronische IT-Anwendungen.<br />
Und: Keine andere <strong>Bahn</strong> auf der Welt<br />
ist für die Zukunft so gut aufgestellt<br />
wie wir und kann alle Verkehrsträger<br />
unter einem Unternehmensdach vernetzen.<br />
5. Im DB-Konzern ist die Arbeitsteilung<br />
weit vorangeschritten, und<br />
wir verfügen über eine schlanke, gut<br />
aufgestellte Organisation.<br />
Fünf von vielen Argumenten, die<br />
nach Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden<br />
überzeugen. „Wenn<br />
sich der Bund als unser Gesellschafter<br />
nach Einbringung des Privatisierungsgesetzes<br />
entschließen sollte,<br />
noch in dieser Legislaturperiode pri-<br />
vate Investoren an der DB <strong>AG</strong> zu beteiligen,<br />
dann wird es, so glauben wir,<br />
sehr schnell gehen. Der Kapitalmarkt<br />
bietet die Möglichkeit, mit neuem<br />
Geld die Geschäftsfelder auszubauen<br />
und auch neue Märkte zu erobern.“<br />
Personal ist ein Vertrauensthema. Nur die richtigen Fähigkeiten<br />
am richtigen Platz garantieren den Erfolg eines Unternehmens.<br />
Wohin genau die Reise gehen wird,<br />
zu der „unser Zug abfahrbereit auf<br />
dem Gleis steht“ – dazu nur so viel:<br />
„Wir müssen im Feld von Transport<br />
und Logistik noch dichter ran an die<br />
Häfen. Wir müssen im Personenverkehr<br />
in neues rollendes Material investieren.<br />
Planen – neben dem schon<br />
getätigten Einkauf von 300 Nahverkehrszügen<br />
für DB Regio im Wert<br />
von einer Milliarde Euro – den Ersatz<br />
unserer IC-Flotte durch neue ICE-<br />
Einheiten sowie die Bestellung von<br />
500 Loks und rund 1.000 Waggons<br />
vornehmlich für den Containertransport<br />
im Güterverkehr. Hinzu kommen<br />
neue EDV- und IT-Systeme,<br />
die uns noch besser erlauben, für<br />
unsere Kunden Logistik- und Reiseprozesse<br />
national, aber eben auch<br />
weltweit zu steuern. Man sieht, es<br />
gibt jede Menge Fantasie, aber auch<br />
faktisch naheliegende Aufgaben.<br />
Ausruhen jedenfalls gibt es nicht.“<br />
Aber vielleicht einmal zurücklehnen?<br />
Eine Atempause mit Seufzer<br />
„geschaff t“? Die Antwort darauf ist<br />
typisch für den Vorstandsvorsitzenden:<br />
„Nein“, sagt Hartmut Mehdorn,<br />
„ich glaube, den Moment gibt es nicht<br />
– weder für das Unternehmen, noch<br />
für mich. Wer das tut, hat keine Zukunft<br />
mehr.“<br />
8 9
Mobility Networks Logistics<br />
Global Player<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> bewegt im Personenverkehr Millionen von <strong>Menschen</strong> in Deutschland,<br />
aber auch über Grenzen hinweg. Verbindet bei Transport und Logistik ganze Kontinente.<br />
Schlägt Brücken zwischen Europa und Asien, Amerika und Australien. Hat sich zum<br />
international führenden Mobilitäts- und Logistikdienstleister entwickelt, der komplexe<br />
Verkehrsnetzwerke betreibt und managt. Bilder einer Reise rund um den Globus und durch<br />
den Kosmos des neuen DB-Konzerns.<br />
Große Oper Ein Lkw der DB-Tochter<br />
Schenker vor der Harbour Bridge und der<br />
faszinierenden Skyline von Australiens<br />
Metropole Sydney.<br />
10 11
Geballte Power Railion Güterlokomotiven<br />
stehen in Maschen bei<br />
Hamburg zum Einsatz bereit. Die<br />
ausfahrende Mehrsystemlok der Baureihe<br />
185 gehört zu den modernsten<br />
Zugmaschinen des europäischen<br />
Eisenbahnverkehrs.<br />
12 13
Schauplatz Kanada Warentürme hoch wie Skyscraper. Blick in ein<br />
Lebensmittel-Warehouse von Schenker in Toronto.<br />
Schauplatz Indien Schenker liefert Gasturbinen für das<br />
Siemens Kraftwerk Sugen.<br />
Full Speed Die Schauplätze wechseln, das Tempo bleibt: Egal ob es um automobile Ersatzteile bei Schenker in Moskau geht (li.),<br />
die Anlieferung eines BWM-Formel-1-Boliden durch Schenker-Seino in Tokio oder um Paketdienst.<br />
Zuverlässigkeit der Prozessketten, Flexibilität<br />
gepaart mit Pünktlichkeit und dazu exakte<br />
Kundeninformation – das sind die Eckpfeiler bei<br />
jedem Transport- und Logistikprojekt.<br />
Schauplatz Südkorea Build-up einer Luftfrachtpalette im neuen<br />
Schenker Logistikzentrum an Seouls Airport Incheon.<br />
Schauplatz Australien Maschinen für das große Finale der Red Bull<br />
Air Races beim Zwischenstopp im Schenker-Lager Perth.<br />
14 15
Magisches Mumbai Die Wahl der<br />
Transportmittel wird auf dem indischen<br />
Subkontinent vom Verkehrschaos<br />
auf den Straßen geprägt. Eine Auto-<br />
Rikscha ist schneller am Ziel als ein Lkw<br />
und die gefl ochtenen Bastkörbe trägt<br />
frau geschickt auf dem Kopf.<br />
16 17
Einfahrt Europa Ein ICE 3 der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Bahn</strong> erreicht Brüssel. Grenzüber-<br />
schreitende Personenverkehre in die<br />
Nachbarländer Belgien und Holland oder<br />
nach Österreich und in die Schweiz<br />
sind längst <strong>Bahn</strong>-Alltag. Ab Mitte 2007<br />
verkehren deutsche Züge auch von<br />
Frankfurt/Main und Stuttgart nach Paris.<br />
18 19
Auf Draht Ein Blick auf die Hardware<br />
hinter den Kulissen. Zur Bewältigung<br />
elektronisch gesteuerter Betriebsprozesse<br />
verfügt die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> über Datenverarbeitungszentren,<br />
die aufgrund ihrer<br />
Ausstattung und Kapazität zu den größten<br />
und leistungsfähigsten Einrichtungen ihrer<br />
Art in Deutschland gehören.<br />
Motor-Management Mechaniker bei Wartung und Reparatur einer Diesellokomotive am Betriebsstandort Maschen bei Hamburg.<br />
Am Drücker Zwei Mitarbeiter der Hauptschaltzentrale von DB Energie<br />
steuern die komplette Stromwirtschaft des <strong>Bahn</strong>betriebs.<br />
Unter Strom Umweltverträgliches Reisen mit Spitzentempo 300: Ein<br />
ICE 3 unterwegs auf der Neubaustrecke Nürnberg–Ingolstadt.<br />
Ausbesserungsfeuerwerk Wegen Schäden ausgesetzte Güterwaggons werden computergesteuert Spezialwerkstätten zugeleitet.<br />
Eigene Energieversorgung und Fahrzeugwartung,<br />
elektronische Systemsteuerung und Daten verarbeitung<br />
– die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> verfügt auf allen Gebieten über<br />
das neueste technologische Eisenbahn-Know-how.<br />
20 21
Überirdisch Kathedralen des Fortschritts<br />
nannte man die prächtigen <strong>Bahn</strong>hofsbauten<br />
der Gründerzeit. Dresden macht<br />
diesem Begriff wieder Ehre: Von Star-<br />
Architekt Sir Norman Foster erdacht<br />
spannt sich ein 30.000 Quadratmeter<br />
großes Membrandach aus reißfestem<br />
Tefl on-Glasfasermaterial über die<br />
restaurierten, eisernen Hallenbögen<br />
und die <strong>Bahn</strong>steige.<br />
22 23
Küchen-Kurier Als wäre es Neptuns<br />
Gourmet-Tempel off eriert der Fischmarkt<br />
von Seoul alles an Delikatessen, was die<br />
Weltmeere zu bieten haben. Die Lieferung<br />
von technischem Spezial-Equipment<br />
übernehmen die Schenker-Logistiker.<br />
24 25
Die Bandbreite an Berufen reicht mittlerweile weit über das<br />
klassische Eisenbahngeschäft hinaus.<br />
ür Thomas Mack ist die Reise zum Mond ein Kinderspiel.<br />
Einmal im Jahr kommt er immer dorthin,<br />
meist im Herbst. Dann meldet „Flightview“<br />
– ein spezielles Computerprogramm, das alle seine<br />
Flugreisen summiert – die Ankunft auf dem<br />
Erdtrabanten. Dem akustischen Laptop-Signal folgt eine<br />
detaillierte Information auf dem Display. Mack ist gerade<br />
auf Seouls neuem Flughafen Incheon eingetroff en, es ist<br />
der 27. Oktober 2006, er liest: „384.400 Kilometer zurückgelegt.<br />
Entspricht der mittleren Entfernung Mond–<br />
Erde. Nächster Planet Venus: noch 40 Millionen Kilometer.“<br />
Thomas Mack gehört zu den modernen Nomaden des<br />
„Global Village.“ Als Produkt Manager Air Freight der<br />
Schenker <strong>AG</strong> verantwortet er gemeinsam<br />
mit Thomas Lieb, dem<br />
Division-Board-Mitglied von DB Logistics,<br />
das gesamte Luftfrachtgeschäft<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>. Das<br />
bedeutet: Abschluss und Abwicklung<br />
von rund 1.000 Frachtfl ügen<br />
pro Jahr und ständiges Pendeln zwischen<br />
den Wirtschaftszentren Asiens,<br />
Europas und Amerikas.<br />
Was verlockend klingt, zwingt<br />
Mack zur Askese: Selbst auf Langstreckenfl<br />
ügen isst er nichts, trinkt<br />
nur Wasser und kaum angekommen<br />
im Irgendwo platziert er zwischen<br />
die Vielzahl anstehender Gespräche und Verhandlungen<br />
Zeitfenster für sein Fitnessprogramm. Joggen, draußen<br />
oder auf dem Laufband, gehört dazu. Gymnastik ebenso.<br />
Auch Schwimmen. „Man muss knallhart im eigenen<br />
Rhythmus bleiben, sonst brennt man bei dem ständigen<br />
Klima- und Zeitzonenwechsel regelrecht aus und rennt<br />
irgendwann gegen eine imaginäre Wand.“<br />
Extrem auch das kulturelle Wechselspiel: Gestern<br />
Korea, heute Sydney, morgen Irvine oder Moskau –<br />
Macks Aufenthalte bemessen sich nach Stunden, nie nach<br />
Tagen und was er sieht, ist ohnehin meist zum Verwechseln<br />
gleich: Flughäfen, Hotelzimmer, Logistikzentrum.<br />
Im Gegensatz dazu sind zumindest die Nächte im eigenen<br />
Bett das Privileg von Norbert Schonebeck. Der Teamleiter<br />
des Bereichs Automotive im Kunden Service-<br />
Zentrum (KSZ) der Railion Deutschland <strong>AG</strong> in Duisburg<br />
ist auch dauernd unterwegs. Allerdings nur virtuell.<br />
Gemeinsam mit seinen 41 Mitarbeitern steuert und überwacht<br />
er die Schienentransporte im fein gesponnenen<br />
Netzwerk der europäischen Automobilhersteller und<br />
ihrer Zulieferindustrie.<br />
Vielfl ieger Thomas Mack, Produkt Manager<br />
Air Freight der <strong>Bahn</strong>-Tochter Schenker <strong>AG</strong>.<br />
Man wickelt dabei täglich rund 2.500 Aufträge ab. Fährt<br />
für Audi Fahrzeuge und Motoren aus Ungarn nach Ingolstadt,<br />
versorgt die Ford-Produktion in der Türkei, verbindet<br />
Opel-Werke in Spanien mit denen in Deutschland,<br />
transportiert fertiggestellte Karossen von VW und<br />
Porsche frisch vom Fließband direkt an die Verladekais<br />
der Nordseehäfen.<br />
Wie für Thomas Mack ist auch für Norbert Schonebeck<br />
die Welt längst kleiner als das kleinste Dorf. Der Mausklick<br />
genügt ihm und er ist überall am Ball. „In unserem Geschäft<br />
geht es selbst bei Langläufern, die quer über den<br />
Kontinent unterwegs sind, am Ende um Minuten“, sagt<br />
er. „Die Kunden erwarten Pünktlichkeit und jederzeit Informationen<br />
über den Transportverlauf.“ Um dies zu<br />
gewährleisten, bedient man sich stets<br />
modernster Kommunikationsmittel,<br />
darunter natürlich auch des Global<br />
Positioning System GPS.<br />
Die beiden Männer stehen beispielhaft<br />
für die neue <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />
<strong>AG</strong>, in deren Kosmos die Sonne<br />
längst nicht mehr untergeht, weil<br />
man auf allen Kontinenten tätig ist.<br />
Die Bandbreite an Jobs reicht mittlerweile<br />
weit über das klassische Eisen-<br />
bahngeschäft hinaus. Ob Lokführer,<br />
Fahrdienstleiter und Zugbegleiter,<br />
Disponenten oder Wagenmeister,<br />
<strong>Bahn</strong>hofsmanager, Rangierer oder<br />
Streckenarbeiter – sie alle gibt es noch und sie werden<br />
auch mehr denn je gebraucht.<br />
Hinzugekommen sind Abertausende von Frauen und<br />
Männern aus dem internationalen Transport- und Logistikgeschäft:<br />
Spezialisten für Supply Chain Management<br />
und das End to End Business. Für Zollabwicklung und<br />
Projektsteuerung. Für Luft- und Seefracht. Spezialisten<br />
auch für IT-Lösungen und die Bewirtschaftung von riesigen<br />
Warenlagern, genannt Logistikzentrum. Es gibt Dutzende<br />
davon in aller Herren Länder – von Peking bis Kanada<br />
– und sie alle stehen im Dienst namhafter Kundschaft.<br />
Darunter Konzerne wie Unilever und BMW, wie Sony<br />
Ericsson, Nike und Samsung.<br />
Die Entwicklung ist Folge dynamischer Wirtschaftsprozesse,<br />
die Frankreichs Ökonom Alain Minc mit dem<br />
unverrückbaren physikalischen Gesetz der Schwerkraft<br />
vergleicht. Man könne nicht dafür oder dagegen sein, sagt<br />
er, „man muss damit leben und ebenso verhält es sich mit<br />
unseren Volkswirtschaften und der Globalisierung“.<br />
Dabei sein oder Anschluss verpassen – stellt sich nur<br />
so die Frage? Ganz oder gar nicht? Und, wenn ja, wie<br />
Stars im Alltag Um die Doppelstockwagen des Regio-Verkehrs beneiden viele Europäer die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>.<br />
lautet darauf die richtige Antwort? Hartmut Mehdorn,<br />
Vorstandschef der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong>, ist sich sicher: „International<br />
an der Spitze mitspielen ist der einzig gangbare<br />
Weg, und diese Strategie haben wir in den vergangenen<br />
sechs Jahren erfolgreich umgesetzt. Die Eisenbahn in<br />
Deutschland blieb dabei unser Kerngeschäft, aber unser<br />
Hauptprodukt ist nicht mehr nur Beförderung, sondern<br />
Mobilität. In ganzen Prozessketten für <strong>Menschen</strong>, Güter<br />
und Daten weltweit. In dieser Kombination erzeugen wir<br />
Mehrwert für unser <strong>Bahn</strong>geschäft, sichern erfolgreich Bestand<br />
ebenso wie Konkurrenzfähigkeit unseres Unternehmens<br />
und damit die Arbeitsplätze nicht nur seiner Belegschaft,<br />
sondern einer Vielzahl von Beschäftigten am<br />
Wirtschaftsstandort Deutschland.“<br />
In Englisch, der Geschäftssprache auf dem internationalen<br />
Börsenparkett, stehen drei Worte für die Inhalte<br />
und Leistungen des modernen Dienstleistungskonzerns:<br />
„Mobility, Networks, Logistics“. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> als<br />
Global Player – das sind die dazugehörigen Zahlen:<br />
Im Geschäftsjahr 2006 ein Umsatz von 30,53 Milliarden<br />
Euro (nach 25,1 Milliarden Euro im Jahr 2005).<br />
Knapp 2,5 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern<br />
und Zinsen (nach 1,35 Milliarden im Jahr 2005).<br />
229.200 Mitarbeiter an 1.500 Standorten in<br />
130 Ländern weltweit.<br />
Europäischer Marktführer sowohl beim Land- als<br />
auch Schienengüterverkehr. Weltweit Nummer<br />
zwei bei Seefracht und Nummer drei bei Luftfracht.<br />
Profi tabilität des eingesetzten Kapitals = Return on<br />
Capital Employed (ROCE) 7,5 Prozent (nach 5 Prozent<br />
im Jahr 2005).<br />
Eine stolze Bilanz. Zusatz: Rekord. Damit ist die Voraussetzung<br />
zur Teilprivatisierung erreicht, die nach Formulierung<br />
und Verabschiedung eines Privatisierungsgesetzes<br />
durch den Bundestag vom Bund noch für diese<br />
Legislaturperiode avisiert wird. Was Hartmut Mehdorn<br />
beim jährlichen Konzerntreff für DB-Führungskräfte in<br />
folgende Worte kleidet: „Der Zug in Richtung Kapitalprivatisierung<br />
steht abfahrbereit auf dem Gleis.“<br />
Die Veranstaltung, zu der sich rund 1.200 Mitglieder<br />
des Top-Personals in Hannover zusammengefunden<br />
haben, vermittelt einen nachhaltigen Eindruck vom vollzogenen<br />
Wandel des einst „Behördenbahn“ genannten<br />
Konzerns hin zu einem international operierenden modernen<br />
Mobilitäts- und Logistikdienstleister. Ja, mehr<br />
noch. Der neue Anspruch ist, ein weltweit führender Manager<br />
von Verkehrsnetzwerken zu sein, die Gesamtsysteme<br />
zu beherrschen von Infrastruktur und Transport bis<br />
hin zur Dienstleistung hochkomplexer IT-Systeme.<br />
Seit 1991 etwa haben rund 550 Millionen Fahrgäste den<br />
ICE genutzt. Allein 2005 waren fast 67 Millionen <strong>Menschen</strong><br />
mit dem schnellsten Zug der <strong>Bahn</strong> unterwegs, das<br />
sind 25 Millionen mehr als noch fünf Jahre zuvor.<br />
Die 236 Hochgeschwindigkeitszüge verkehren heute<br />
wie selbstverständlich auch in den Niederlanden, in Belgien,<br />
in der Schweiz, in Österreich und – ab Fahrplanwechsel<br />
Ende dieses Jahres – zwischen Paris und Frankfurt<br />
am Main. Allein in Deutschland <strong>verbinden</strong> sie über<br />
100 Städte miteinander.<br />
Der ICE erbringt damit knapp zwei Drittel der gesamten<br />
Verkehrsleistung im DB-Fernverkehr bei gleichzeitig<br />
deutlicher Verkürzung der Fahrzeiten. So benötigen die<br />
26 27
Paketdienst Auslieferung von Handelsgütern in einem Schenker-<br />
Zwischenlager der indischen 19-Millionen-Metropole Mumbai.<br />
Wartezone Vor Mumbais neuem Containerhafen Nhava Sheba stauen<br />
sich die mit Blechkisten beladenen Lkw oft Kilometer lang.<br />
Stauraum Ein Großteil des Angebots der indischen Supermarktkette<br />
Hypercity fi ndet sich in den Regalen dieses Distributionszentrums.<br />
Züge heute von Berlin nach Hamburg zirka 90 Minuten<br />
und sind damit eine gute halbe Stunde schneller als im<br />
Jahr 2004. Zwischen Frankfurt und Köln beträgt die Fahrzeit<br />
rund 70 Minuten, eine Stunde weniger als noch 2002.<br />
Zwischen Nürnberg und München verkehrt der ICE außerdem<br />
seit Dezember im Halbstundentakt, die Reisezeit<br />
beträgt auf der Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke<br />
60 Minuten und wird ergänzt durch optimale Verknüpfung<br />
der Angebote im Regional- und Stadtverkehr. Motto:<br />
„<strong>Bahn</strong> und Bus aus einem Guss“. Ohnehin verfügt die<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> über den europaweit leistungsfähigsten<br />
Nahverkehr. Er wurde vor zehn Jahren regionalisiert<br />
und in dieser Zeit erhöhte sich das Angebot um 15 Prozent,<br />
die Nachfrage wuchs sogar um 30 Prozent.<br />
Alles Zahlen, die ohne eine leistungsfähige, moderne<br />
Infrastruktur und die Nutzung neuer, elektronischer<br />
Vertriebskanäle nicht denkbar wären. Über Internetbuchung<br />
und Online-Tickets erzielt der Personenverkehr<br />
schon heute zehn Prozent seiner Einnahmen und längst<br />
nutzen <strong>Bahn</strong>kunden auch die Möglichkeit des Handy-<br />
Tickets. Hierbei wird der gewünschte Fahrschein per<br />
MMS bis zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges auf das<br />
Mobiltelefon übertragen.<br />
So weit die Berichtslage „nationaler <strong>Bahn</strong>themen“ auf<br />
dem Konzerntreff . Danach wird international diskutiert:<br />
Es berichten Karl-Heinz Matthes und Steve Dearnley, die<br />
Schenker/BAX-Regionalleiter Asien/Pazifi k, en détail<br />
über das Marktgeschehen und die Chancen in ihren Wirtschaftsräumen.<br />
Schauplätze sind nun nicht Bayern oder<br />
Berlin-Brandenburg, sondern Indien und China, das aufstrebende<br />
Vietnam, auch Kambodscha, die Philippinen,<br />
die reife Industriemacht Japan selbstredend, das Drehkreuz<br />
Singapur oder etwa das Geschehen bei Luft- und<br />
Seefracht auf den weltweiten „Tradelanes“.<br />
Ein spannungsvolles Knistern liegt in der Luft, denn<br />
was an Zahlen und Fakten aufgefächert wird, sucht im alten<br />
Europa vor allem bei Wachstumsraten seinesgleichen.<br />
Sagt Karl-Heinz Matthes: „Wir haben in 13 Ländern mittlerweile<br />
215 Standorte mit Logistikzentren in der Größenordnung<br />
von insgesamt 700.000 Quadratmetern und<br />
rund 10.000 Mitarbeitern. Allein die Luftfracht in dem<br />
asiatischen Raum beträgt pro Jahr eine Million Tonnen<br />
und bei der Seefracht sind es knapp 960.000 TEU.“<br />
Gemeint ist damit die Lademenge in Normal-Containern.<br />
Der Blick über den Tellerrand kennzeichnet das neue<br />
Konzernbewusstsein. Findet jedenfalls DB-Personalvorstand<br />
Margret Suckale: „Wir werden uns in Zukunft sogar<br />
noch weit mehr international orientieren“, sagt sie,<br />
„schließlich arbeitet nahezu jeder fünfte Mitarbeiter<br />
unseres Unternehmens im Ausland, wobei wiederum<br />
jeweils vier Auslandsjobs einen Arbeitsplatz in Deutschland<br />
sichern oder schaff en.“<br />
Einen großen Beitrag zur Internationalisierung leis tete<br />
die Akquisition des US-Logistikers BAX Global. Eine<br />
reibungslose und zugleich zügige Verschmelzung der<br />
Im Land des Lächelns Shubhendu Das, der Geschäftsstellen-Leiter der Schenker Landesgesellschaft Mumbai, und seine bezaubernde Belegschaft.<br />
Geschäftsportfolios war dabei keineswegs selbstverständlich.<br />
Dass die Integration dennoch „schnell, sauber und<br />
ohne gegenseitige Irritationen gelang“, so Hartmut<br />
Mehdorn, ist auf dem Konzerntreff allemal einen Preis<br />
wert. Tusch und Applaus also für Thomas Lieb, den<br />
Schenker-Vorstand für Luft- und Seefracht, der vieles davon<br />
in Szene setzte und dafür die alljährliche Auszeichnung<br />
„DB Award 2006“ zusammen mit Joseph L. Carnes<br />
erhält. Sein Handeln beschreibt er übrigens auf Englisch<br />
und zwar so: „Think fi rst, then act. And remember: It’s<br />
always people, you are dealing with. “<br />
Langfristige Perspektive<br />
Schenker<br />
in Indien<br />
39 Standorte<br />
950 Mitarbeiter<br />
Lieb ist Schwabe und wenn er von<br />
<strong>Menschen</strong> spricht, von Mitarbeitern,<br />
dann auch im Sinne eines alten deutschen<br />
Satzes: „Der Ton macht die<br />
Musik.“ Kommandostimme jeden-<br />
falls ist seine Sache nicht. Eher hält er es mit dem ehemaligen<br />
Chrysler-Chef Lee Iacocca, der einmal sagte: „Die<br />
einzige Möglichkeit, Leute zu motivieren, ist die Kommunikation.“<br />
Kluge Worte und eine langfristige Perspektive zählen<br />
dabei zuweilen mehr als das schnelle Geld. Indien ist so<br />
ein Beispiel, das erwachende Indien. Dort verantwortet<br />
Shubhendu Das als VP Freight Management das Transport-<br />
und Logistikgeschäft von Schenker für den gesamten<br />
Westteil des Subkontinents. Allein dort wächst der<br />
Im- und Exportmarkt seit 2000 um jährlich 20 Prozent<br />
und entsprechend groß ist der Bedarf an geschultem Personal<br />
im Speditionsgewerbe.<br />
„Geschäfte zu bekommen ist momentan ziemlich einfach“,<br />
berichtet Shubhendu Das, „aber den Kunden den<br />
richtigen Service zu bieten, ist ziemlich schwierig. Man<br />
bekommt die guten Leute, die dafür notwendig sind, nicht<br />
einfach mit mehr Gehalt. Sie legen Wert auf eine dauerhafte<br />
Anstellung, eine intensive Aus- und Weiterbildung,<br />
wollen lernen, auch Erfahrungen in Europa oder Amerika<br />
sammeln und dazu wissen sie sehr genau um Profi l,<br />
Stärke und Arbeitsklima der hier tätigen ausländischen<br />
Unternehmen.“<br />
Die Schenker-Niederlassung in der 19-Millionen-Metropole<br />
Mumbai genießt einen exzellenten Ruf. Ist, wie<br />
der für alle Hafenangelegenheiten zuständige Lohit<br />
Savant sagt, „eine Top Company. Sehr professionell, aber<br />
auch sehr fair und menschlich.“ Man sei bei einem deutschen<br />
Unternehmen jedenfalls mehr als nur ein beliebig<br />
austauschbares Rädchen im Getriebe.<br />
Eine Fahrt mit Savant hinaus zu den Terminals von<br />
Nhava Sheva, Mumbais neuem Container-Port, off enbart<br />
eindrucksvoll die Probleme stürmischen Wachstums,<br />
Im aufstrebenden Indien wächst das Im- und Exportgeschäft um<br />
20 Prozent pro Jahr. Logistikexperten sind daher stark gefragt.<br />
28 29
Stop and go Verstopfte Straßen und permanenter Verkehrsstau gehören zu den<br />
alltäglichen Hindernissen im Transportgeschäft von Seoul.<br />
mit denen sich Indien konfrontiert sieht. Mögen auch die<br />
Ladekräne auf technisch neustem Stand sein, die Infrastruktur<br />
zum Abtransport aller ankommenden und abgehenden<br />
Güterladungen ist es jedenfalls nicht. Unzählige<br />
Slumsiedlungen säumen eine mit Schlaglöchern übersäte<br />
Piste, auf der sich Hunderte von altersschwachen Lkw-<br />
Zugmaschinen im Schritttempo vorwärtsquälen oder<br />
kilometerlang stauen. Für 35 Kilometer braucht man<br />
selbst mit dem Pkw zwei Stunden und allgegenwärtig ist<br />
im allgemeinen Verkehrschaos der Gedanke: Wann kollabiert<br />
wohl das System?<br />
Vergleichbares sah man jedenfalls noch nie zuvor, und<br />
es ist Shubhendu Das, der sagt: „Das Wissen um die Verhältnisse<br />
vor Ort ist für jeden Investor erste Priorität.“<br />
Aus der Ferne nur begehrlich auf sagenhafte Wirtschaftszahlen<br />
zu schauen, das sei ein großer Fehler, denn Indien<br />
lasse sich nicht mit europäischen Maßstäben messen.<br />
Noch nicht.<br />
Sein Rat ist deshalb hoch willkommen: mehrmals in<br />
der Woche begrüßt er Delegationen potenzieller Kundschaft,<br />
führt sie zu Warenlagern und seinen über die<br />
wuchernde, ständig im Stau steckende Stadt verteilten<br />
Zweigstellen. Der Begleittext dazu ist immer gleich und<br />
klingt, wie gerade beim Vortrag vor Volkswagen-Managern<br />
aus Wolfsburg, so: „Schenker Mumbai besteht seit<br />
zehn Jahren und ist die am schnellsten wachsende Niederlassung<br />
ganz Indiens. Beschäftigt sind derzeit 256 Mitarbeiter<br />
und sie betreuen neben dem Großkunden Siemens<br />
noch eine Vielzahl anderer Unternehmen, darunter<br />
IBM, den deutschen Badausstatter Hans Grohe, aber auch<br />
den Elektronikkonzern Lenovo, den indischen Fahrzeughersteller<br />
Tata-Motors, sowie die Supermarktkette<br />
Hypercity. Wir bieten Warehousing und Logistiklösungen<br />
im Supply Chain Management bis hin zur Lieferung<br />
ans Fließband und haben gerade das Jahr 2006 mit einem<br />
Umsatzzuwachs von 40 Prozent abgeschlossen.“<br />
Für Shubhendu Das, der seit sieben Jahren für Schenker<br />
arbeitet, ist Mumbai nach Kalkutta und Bangalore<br />
dritte Station. Markenzeichen des kleinen, ungeheuer<br />
agilen Mannes ist sein schwarzer Schnurrbart und seine<br />
immer tadellose Kleidung. Krawatte und feiner grauer<br />
Zwirn sind für ihn selbst bei schweißtreibender tropischer<br />
Schwüle Pfl icht und darin bildet er einen schönen<br />
Kontrast zu den meist farbenfroh leuchtenden Saris seiner<br />
Mitarbeiterinnen.<br />
An Urlaubstagen – „es sind nicht viele im Jahr“ – sieht<br />
man ihn indes als Wandersmann in dicken Bergschuhen.<br />
Shubhendu liebt die Schweizer Berge, ja überhaupt alles,<br />
was Schweizer Insignien trägt: von der Wenger Uhr bis<br />
hin zum Taschenmesser. Die Schiff sglocke in seinem Büro<br />
stammt allerdings aus Hamburg, und damit jeder weiß,<br />
welche Runde gerade für Indien im weltweiten Wettbewerb<br />
um Marktanteile eingeläutet wird, steht darunter<br />
der Satz: „From good to great.“<br />
Start im Delegationsbüro<br />
Schenker<br />
in Südkorea<br />
14 Standorte<br />
280 Mitarbeiter<br />
Stolze Büste Unternehmensgründer Gottfried<br />
Schenker im neuen Logistikzentrum.<br />
Gewiss noch ein langer Weg, an dessen<br />
Ende sich einige tausend Flugkilometer<br />
entfernt ein anderer Mann<br />
fast wähnen darf. Vorstellung gestattet:<br />
Es ist Martin Bongard, Chef der<br />
Schenker-Niederlassung Südkorea in Seoul. Ein Sauerländer<br />
zwar, geboren 1953, aber schon als Säugling genannt<br />
„der kleine Koreaner“. Eine Tante gab ihm den Namen.<br />
„Vermutlich wegen meines etwas schrägen Augenschnitts<br />
und der pechschwarzen Haare“, sagt Bongard<br />
und fügt lächelnd hinzu: „So etwas nennt man frühkindliche<br />
Prägung.“<br />
Was ihm ins Stammbuch geschrieben wurde, hat sich<br />
schließlich erfüllt. Nach drei Jahren in Japan übernahm<br />
der gelernte Reise- und Verkehrskaufmann 1986 die<br />
Schenker-Dependance in Südkorea und baute sukzessive<br />
Struktur und Geschäfte immer weiter auf und aus. Startete<br />
mit drei Mitarbeitern in einem sogenannten Delegationsbüro,<br />
gründete später mit einem einheimischen Agenten<br />
ein Joint Venture und überführte dieses im Jahr 2002<br />
in eine mittlerweile gesetzlich zugelassene hundert-<br />
Kniefall Geheiligt sei was Glück bringt – die traditionelle Gosa-Zeremonie bei Eröff nung des<br />
neuen Logistikzentrums am Airport Incheon.<br />
prozentige Tochtergesellschaft, die Schenker Korea Ltd.<br />
Mitarbeiterzahl nun 350 Leute, Umsatz 150 Millionen Euro<br />
und dazu das neueste und modernste Warehouse in<br />
Fernost. Erbaut in Sichtweite von Seouls neuem Super-<br />
Flughafen Incheon mit Adresse Freihandelszone Airport<br />
Logistic Park.<br />
Piloten sehen die Leuchtreklame auf dem Dach des<br />
dreistöckigen Gebäudes schon beim Anfl ug: Rot und blau<br />
leuchtet der Schriftzug „Schenker DB Logistics“ und „davon“,<br />
sagt Bongard, „habe ich viele<br />
Jahre lang geträumt“. Zeit für ein Fest<br />
und die feierliche Eröff nung. Angefangen<br />
von hohen Regierungsvertretern<br />
über den Chef des Incheon<br />
Airports bis hin zum eigenen Top-<br />
Management – was Rang und Namen<br />
hat ist erschienen zur traditonellen<br />
„Gosa-Zeremonie“.<br />
Die hält für Europäer eine unge-<br />
wöhnliche Prozedur bereit, die selbst<br />
Vielfl ieger Thomas Mack und Detlef<br />
Trefzger, Mitglied für Kontraktlogistik/SCM<br />
im Division Board von DB Logistics, kurz stutzen<br />
lässt: Müssen sie doch zuerst ihre Schuhe ausziehen,<br />
dann niederknien und sich drei Mal tief vor einem geräucherten,<br />
höchst lebendig aussehenden Schweinekopf verbeugen.<br />
Man trägt es interkulturell gelassen und mit<br />
Würde, ohnehin gibt es zumindest sprachlich eine Parallele.<br />
„Heißt ja auch bei uns ‚Schwein gehabt‘, oder?“ sagt<br />
Detlef Trefzger.<br />
Darum geht es: um eine glückliche Zukunft und viele<br />
neue Geschäfte. Dafür hat man bei DB Logistics rund zehn<br />
Millionen Euro investiert. Was zu besichtigen ist. Die offi -<br />
zielle Eröff nung läuft noch, da füllen sich schon die ersten<br />
Weltbürger Detlef Trefzger, Schenker-<br />
Vorstand von Kontraktlogistik/SCM.<br />
Zackig Ein uniformierter Wachmann vor dem<br />
Warehouse von Schenker.<br />
der insgesamt 5.000 Palettenstellplätze. Rund 9.000<br />
Quadratmeter Fläche stehen zur Verfügung, hinzukommen<br />
nochmals 1.500 Quadratmeter für Büros, Kantine<br />
und Gebäudeinfrastruktur. Der Güteranlieferung dienen<br />
zwölf Tore, außerdem verfügt man über automatische<br />
Rollbänder, die dem „build up“ und „break down“ von<br />
Aircargo-Paletten dienen.<br />
Es handelt sich dabei um „slaves“ genannte fl ache Aluminiumbleche,<br />
auf denen zu transportierende Ware gestapelt,<br />
in Plastikfolie verpackt und<br />
mit Seilen verzurrt und gesichert<br />
wird. Das Turmbauen ist eine Kunst<br />
für sich und entscheidet im Luftfrachtgeschäft<br />
über Gewinn und Verlust.<br />
Immer geht es dabei um ein<br />
möglichst günstiges Verhältnis zwischen<br />
großvolumiger leichter Ware<br />
und schweren kleinen Teilen.<br />
Abhängig vom jeweiligen Kunden-<br />
mix ist das ein mathematisches, von<br />
Computerprogrammen unterstütztes<br />
Puzzlespiel. Die Idealkombination<br />
von Maßanzügen auf der Stange (leicht, großes Volumen)<br />
und Kugellagern (klein und schwer) bleibt<br />
allerdings, wie Bongard sagt, „leider eine Seltenheit“.<br />
Pro Woche kommen in Seoul 92 Tonnen Luftfracht zusammen,<br />
was Thomas Mack „ganz gut“ fi ndet, aber „noch<br />
zu wenig“. Mack will immer mehr, und Incheon bietet als<br />
Gateway zu den regionalen Zentren im Hinterland Chinas<br />
dazu die Chancen. „Mit Abschluss des ‚Open Sky‘ Abkommens<br />
zwischen koreanischer und chinesischer Führung“,<br />
sagt er, „sind von Seoul aus über 100 neue Cargo-<br />
Flüge möglich und deshalb wollen wir Incheon als<br />
Drehscheibe für Nordost-Asien etablieren.“<br />
Seouls Flughafen Incheon wird im Cargo-Bereich das neue<br />
Drehkreuz zu den Produktionsstätten im chinesischen Hinterland.<br />
30 31
Vogelnest Matthew Clarke, Chef der Schenker Sportlogistik, vor „Birds Nest“, dem neuen Olympiastadion von Peking.<br />
Detlef Trefzger wiederum ist sehr am Aufbau ganzer<br />
Logistikketten gelegen, möglichst auch im Dienst koreanischer<br />
Großkonzerne wie Samsung oder Hyundai. Von<br />
wegen lange feiern also: Man redet mit Geschäftspartnern,<br />
sondiert Markt und Möglichkeiten, verhandelt konkrete<br />
Vorhaben, packt dann, nach nur ein paar Stunden,<br />
wieder die Koff er und weiter geht die Reise. Trefzger verlässt<br />
Seoul Richtung Tokio, Mack düst nach Peking.<br />
China ist Motivation pur<br />
Schenker<br />
in China<br />
70 Standorte<br />
3.500 Mitarbeiter<br />
Mögen sich die Geschäfte auch gleichen,<br />
immer sind es andere <strong>Menschen</strong>,<br />
die mit ihrem Wissen und<br />
Engagement dahinter stehen. Thomas<br />
Hauck ist so ein Mann. Es gab<br />
mal eine Zeit, da wirbelte er unermüdlich durch Südafrika<br />
und baute für Kunden wie Kodak und BMW komplette<br />
Logistikketten von Europa nach Afrika. Nun, nach kurzer<br />
Stippvisite in Schanghai, verantwortet er alle<br />
Aktivitäten der Schenker-Niederlassung in Chinas Hauptstadt.<br />
Palettenstellplätze und Regale des dortigen Logistikzentrums<br />
füllen sich gerade mit Produkten der<br />
Automobilindustrie. Er hat alle Hände voll zu tun, gibt<br />
dem Ganzen den Spitznamen „das China-leicht-gemacht-<br />
Programm“.<br />
Für den Kunden selbstredend. Beispiel Ersatzteilversorgung.<br />
Schenker bietet im Bereich Automotive einen kompletten<br />
Transport- und Lieferservice an. Auf insgesamt<br />
12.500 Warehouse- Quadratmetern werden bis zu 10.000<br />
verschiedene Teile zwischengelagert und auf Anforderung<br />
an nahezu hundert Standorte geliefert.<br />
Beispiel Luftfahrtindustrie. Im sogenannten Pick and<br />
Pack-Verfahren wird eine Fabrik zur Herstellung von<br />
Kabelbäumen für Maschinen von Boeing und Airbus täglich<br />
mit über 3.000 Einzelteilen versorgt. In decken hohen<br />
Regalen stapeln sich Elektrostecker und Kabeltrommeln<br />
aus amerikanischer Fertigung, die nach Bestelllisten einzeln<br />
zusammengefügt und abgepackt werden. Ein Job für<br />
zehn Mitarbeiter, Qualitätskontrolle inklusive.<br />
„In China gibt es dauernd Top-Themen“, sagt Hauck<br />
und weist auf seinen voll gepackten Schreibtisch. Darauf<br />
fi nden sich Angebote in Form ausgedruckter PowerPoint-<br />
Präsentationen etwa für General Electric im Volumen<br />
3.500 Luftfrachttonnen oder den Mobiltelefonhersteller<br />
Samsung, Volumen 30.000 Tonnen. Gewonnen wurde<br />
schon der Auftrag von Sony Ericsson. Volumen 5.000<br />
Tonnen. „Das macht pro Jahr 50 Vollcharter nach Europa“,<br />
rechnet Thomas Hauck und zieht zugleich eine persönliche<br />
Bilanz: „In China hast du keine Chance dich<br />
zurückzulehnen, und wer hier nur zehn Prozent Wachstum<br />
macht, der verliert den Job. Unsere Marschzahl war<br />
Für die Sportlogistiker von Schenker als offizieller Dienstleister<br />
des IOC haben die Olympischen Spiele in Peking schon begonnen.<br />
im vorigen Jahr 60 Prozent, das ist wahnsinnig motivierend,<br />
aber man muss auch unglaublich Gas geben.“<br />
Das Tempo wird sich allerdings noch beschleunigen,<br />
da ist sich Matthew Clarke ganz sicher und beschreibt die<br />
Dynamik Pekings aus seiner ganz persönlichen Sicht. „Ich<br />
wache morgens auf, aber ich weiß nie, wann ich schlafen<br />
gehen werde.“ Der Australier steht an der Spitze der<br />
Schenker Sportlogistik und er hat gerade einen Vertrag<br />
mit dem Organisationskomitee der Olympischen Spiele<br />
2008 (BOCOG) unterzeichnet. Danach ist seine Mannschaft<br />
von „Globalsportsevents“ offi zieller Dienstleister<br />
für Spedition und Zollabfertigung des Mega-Ereignisses<br />
und übernimmt die Versorgung von Sportstätten, Medienzentren<br />
und Einrichtungen des Olympischen Dorfes.<br />
„Wie schon in Sydney 2000, wie in Athen, Turin und wie<br />
auch bei dem deutschen Sommermärchen, der Fußball-<br />
WM 2006“, sagt Clarke und schwärmt: Vom nahezu<br />
schon fertiggestellten Stadion (91.000 Zuschauer), welches<br />
einem Vogelnest gleicht und deshalb den Namen<br />
„Birds Nest“ trägt. Aber auch vom „Ice Cube“ genannten<br />
Schwimmstadion, einem Großbauwerk mit fi ligraner Außenhaut,<br />
das, je nach Lichteinfall, in kühlem Gletscherblau<br />
schimmert. Fazit: „Einfach fantastisch. 2008 wird<br />
das die Stadt der Städte und schon jetzt ist Peking für mich<br />
‚the place to be‘.“<br />
Gegenseitiges Vertrauen<br />
Schenker<br />
in Japan<br />
23 Standorte<br />
400 Mitarbeiter<br />
In Tokio hört man das nicht gerne,<br />
denn nach dortigem Selbstverständnis<br />
gibt es nichts Größeres, Geschäftigeres,<br />
Bedeutenderes. Tokio ist<br />
Heimat der „Salary Men“. Gemeint<br />
ist damit das Heer der kleinen Büroangestellten, die morgens,<br />
mittags und abends immer zu gleichen Zeiten das<br />
Bild der Straßenzüge prägen und in ihren uniformen gedeckten<br />
Anzügen an Michael Endes graue Männer im<br />
Bestseller „Momo“ erinnern. Nur stehlen sie keine Zeit –<br />
sie haben keine Zeit, denn „das Geschäft dieser Stadt“,<br />
sagt Dirk Lukat, „ist das Geschäft“.<br />
Lukat ist General Manager Sales & Marketing von<br />
Schenker-Seino Co. Ltd. Japan, mit 460 Mitarbeitern an<br />
23 Standorten. Ein großgewachsener, distinguierter Mann<br />
mit geschliff enen Manieren. Was zweifellos hilft: „In<br />
Japan“, so seine Erklärung, „hat alles mit dem Ansehen<br />
der Person zu tun, und hier basiert jedes Geschäft auf gegenseitigem<br />
Vertrauen.“<br />
Das Speditionsgewerbe wurde ihm in die Wiege gelegt,<br />
denn schon sein Vater arbeitete für Schenker, war Leiter<br />
der Niederlassung Südafrika. Ihn selbst zog es nach Anfängen<br />
in Frankfurt/M. ebenso schnell ins Ausland. Indien,<br />
Vietnam und Singapur waren seine Stationen, bevor<br />
er nach Japan ging, wo man 2002 ein Joint Venture für Im-<br />
und Export mit dem renommierten Speditionsunternehmen<br />
Seino gründete. Die Partnerschaft erwies sich als<br />
Stäbchen Regionale Küche, aber auch europäische Gerichte im<br />
Angebot: die Kantine des Schenker Logistikzentrums in Peking.<br />
Stecker Für Kundschaft aus der Luftfahrtindustrie führt Schenker in<br />
China Kleinteile für die Herstellung von Kabelbäumen zusammen.<br />
Stapelweise Die Aktenberge zeugen von guten Geschäften: Japanische<br />
Bürokultur in der Schenker-Seino-Geschäftstelle von Tokio.<br />
32 33
Schlüssel zum bis dahin hermetisch gegen ausländische<br />
Konkurrenz abgeschirmten Inlandsmarktgeschehen und<br />
öff nete viele neue Türen.<br />
Während Schenker Ein- und Ausfuhr aller Waren via<br />
Luft- und Seefracht übernimmt, kümmert sich Seino um<br />
das Einsammeln oder Verteilen der Güter. Man betreibt<br />
landesweit neben 150 Frachtzentren eine riesige Flotte<br />
unterschiedlicher Lieferwagen und Laster samt dazugehöriger<br />
Fahrer. Die treten morgens bei ihren Gruppenleitern<br />
zum Appell an, unterziehen sich jeweils vor Arbeitsbeginn<br />
einem Alkoholtest, packen danach ihre Ladung<br />
selbst auf den Lkw und machen sich auf den Weg. Für Europäer<br />
ist das im Kontrast zur Modernität elektronisch<br />
ausgeklügelter Prozessabläufe ein staunenswertes Ritual,<br />
kennzeichnet aber die traditionelle Arbeitswelt, in der die<br />
Begriff e „Fleiß, Disziplin und Hierarchie“dominieren.<br />
Letzteres lässt sich in jedem Großraumbüro besichtigen,<br />
auch im Schenker-Offi ce. Dort sitzen die Im- oder Exportsachbearbeiter<br />
nahezu Arm an Arm aufgereiht an<br />
kleinen, mit Papieren überhäuften Schreibtischen. Die<br />
Enge gehört zur Normalität. Das Kopfende von jeweils<br />
zwei sich gegenüberliegenden Reihen bildet immer der<br />
quergestellte Tisch des Abteilungsleiters. Ihm ruft man<br />
nicht einfach etwas zu. Bewahre. Man steht auf, verbeugt<br />
sich höfl ich und trägt erst dann sein Anliegen vor.<br />
Für Peter Teichmann, den General Manager Logistics,<br />
war das mehr als gewöhnungsbedürftig, als er von Regensburg<br />
nach Tokio kam. „In Deutschland hatte ich ein<br />
schickes Büro samt Sekretärin und nun stand ich da und<br />
man zeigte mir so einen Schreibtisch. Ich war um sieben<br />
Uhr gelandet und mein erster Gedanke war: Wann geht<br />
der nächste Flug zurück?“ Das war vor sieben Jahren und<br />
ist heute eine Geschichte zum Schmunzeln. Teichmann<br />
blieb und will weiter bleiben, „auch wenn man sich hier<br />
die Hacken wundläuft und oft eine blutige Nase holt.“ Natürlich<br />
im übertragenen Sinne, denn Teichmann, der<br />
mehr als 20 Jahre als Schiff skapitän auf großer Fahrt war,<br />
ist kein Raufbold. „Aber rein geschäftlich muss man in Japan<br />
komplett umdenken. Die ganze Herangehensweise<br />
ist anders, und wer nach gewohnten Mustern verfährt,<br />
der fällt auf die Nase.“<br />
Logistikketten des „Supply Chain Managements“ sind<br />
sein Spezialgebiet und nach anfänglichen Schwierigkeiten<br />
ist man dabei höchst erfolgreich. Versorgt und steuert<br />
etwa den gesamten Produktionsprozess einer Fertigungsanlage<br />
der deutschen Kautex Textron. Das Unternehmen<br />
aus der Automobil-Zulieferindustrie ist Marktführer bei<br />
der Herstellung von Kunststoff tanks und plant neben<br />
dem Werk in Hiroshima, welches den Autobauer Mazda<br />
versorgt, noch eine weitere Fabrik – diesmal in China.<br />
Lukat könnte dagegen sein Hauptgeschäft wie folgt<br />
buchstabieren: LUXUS. Schenker schließlich importiert<br />
jede Menge Produkte europäischer Edelmarken wie Louis<br />
Vuitton oder Gucci und Chanel ins konsumfreudige<br />
Tokio. Mit vertakteter Versorgung glitzernder Boutiquen<br />
Formvollendet Japaner lieben europäische Edelmarken, und zu deren<br />
Lieferung gehört ein entsprechender Service.<br />
Vollgepackt Palettenstellplätze im Schenker-Warehouse Toronto.<br />
in den beliebten Shopping Malls der Stadt und umfangreicher,<br />
komplizierter Lieferdokumentation. Zugleich ist<br />
man aber auch Spezialist für anspruchsvolle Transporte<br />
der Halbleiterfabrikation, übernimmt im Projektgeschäft<br />
sogar die Verschiff ung ganzer Fabriken. Und ein weiteres<br />
großes Thema ist Fisch. Drei Mal pro Woche landen Cargo-Jets<br />
in Narita mit sorgsam gekühlter Ladung: Es sind<br />
fangfrische Lachse aus Norwegen.<br />
Ein Deal, wie es bei Schenker heißt, den nur Thomas<br />
Mack einfädeln konnte. Wer sonst käme schon auf die<br />
Idee, die größte Fischfangnation der Welt mit Fisch zu<br />
versorgen. Aber Mack war gestern da und Mack ist längst<br />
weiter – über Las Vegas, dann Richtung Kanada. Im US-<br />
Spielerparadies baut gerade Billy Lukas von BAX Global<br />
das Event- und Convention-Geschäft aus, kümmert sich<br />
auch um weltweite Transporte der Glücksspiel-Maschinenhersteller<br />
und in Toronto – in Toronto dominiert die<br />
Schenker-Niederlassung Kanada das Warehousing auf<br />
dem Lebensmittelsektor.<br />
Millionen von Kartons<br />
Schenker in<br />
Kanada und<br />
den USA<br />
265 Standorte<br />
9.200 Mitarbeiter<br />
Größter Kunde dort ist Unilever, und<br />
wer das jüngste, 28.000 Quadrat meter<br />
große Lagerhaus am Chrysler Drive<br />
nahe dem Airport besucht, der reibt<br />
sich die Augen. Wann sah man je solches:<br />
Riesig ist ein zu kleines Wort, es<br />
ist gigantisch. Deckenhohe Paletten-<br />
Abgefahren „Lagen-Picking“ nennt sich diese Warehousing-Variante, bei der Paletten mit einem Spezialgreifarm schichtweise abgetragen werden.<br />
regalreihen beherbergen den monatlichen Eingang von<br />
nahezu zwei Millionen Kartons. Bei den zur Weiterverteilung<br />
gesammelten Produkten – man liefert rund 1,8 Millionen<br />
Kartons in vier Wochen aus – handelt es sich um<br />
Essbares wie Instantsuppen und Mayonnaise, um Tomaten-Ragout<br />
und Olivenöl, um Tee und Erdnussbutter.<br />
Man stellt sich jetzt natürlich jede Menge Leute vor,<br />
die dieses Arbeitspensum mit einer Vielzahl von Gabelstaplern<br />
bewältigen – aber nichs davon. Rund um die Uhr<br />
beschäftigt man lediglich 65 Mitarbeiter im Dreischichtbetrieb,<br />
und mehr als 13 Gabelstapler gibt es dafür nicht.<br />
Die kleine Besetzung ist Folge ausgeklügelter Technik<br />
und Warehouse-Organisation. Die Schenker-Mitarbeiter<br />
in Kanada sind dafür ausgewiesene Spezialisten und<br />
haben ganz eigene, innovative Verfahren entwickelt. So<br />
unterscheidet man an Orders ganze Paletten, sogenannte<br />
Paletten-Lagen, oder Einzelkartons und jede einzelne<br />
Gattung hat ihren ganz speziellen Lagerplatz.<br />
Nahezu automatisiert ist dabei das „Lagen-Picking“.<br />
Ein schienengebundenes Fahrzeug hebt mit einem Greifarm<br />
mal 60, mal 120 Gläser Tomatenketchup schichtweise<br />
von einer ganzen Paketpalette ab. Dann wieder schiebt<br />
ein Gestellroboter Produkte in Regale, die Güter nicht nur<br />
in der Höhe, sondern auch in 15 Meter Tiefe aufnehmen.<br />
Und dazu gibt es einen sogenannten dreistöckigen Pick-<br />
Tower, der unkompliziertes, zügiges Zusammenstellen<br />
von Einzel-Orders erlaubt.<br />
Der Mitarbeiter greift dabei nur in bereitgestellte, geöff<br />
nete Kartons und legt die angeforderten Produkte auf<br />
ein Fließband. Dieses wiederum endet an einem Ausgabepunkt,<br />
wo sich weitere, ebenfalls über Rollbänder transportierte<br />
Produkte zur komplett abgearbeiteten Bestellerliste<br />
fügen. „Genial schnell und genial einfach“, sagt<br />
Warehouse-Manager Jamie Elliott und zeigt mit dem Finger<br />
nach oben: Dort hängt das Prunkstück der Anlage, das<br />
Scoreboard. Zu sehen ist darauf, welche Kundenorder gerade<br />
bearbeitet wird, wie viele Picks gemacht wurden und<br />
wie viele noch zu machen sind. Zusammengefasst werden<br />
alle Handgriff e mit dem Begriff Welle und gerade läuft<br />
Welle 2 des Tages, was bedeutet: Von den 4.576 Gesamtpicks<br />
fehlen noch 1.471.<br />
Natürlich könnte man jetzt ins Thema IT-Systeme einsteigen,<br />
schließlich wird jede Warenbewegung im Lagerhaus<br />
mit Scannertechnik überwacht und dokumentiert.<br />
Aber das glaubt man Schichtführer Lascelles Leonard<br />
doch gerne: „Die ist“, wie er lässig sagt, „state of the art.“<br />
Also das Beste vom Feinsten in der Datenverarbeitung.<br />
Stattdessen: Abfl ug und nach Hause. Wieder einmal<br />
auf den Spuren des Thomas Mack, der sein Jahr 2006 mit<br />
nicht weniger als 600.000 Kilometern beendete, und es<br />
damit vom Mond fast wieder zurück zur Erde geschaff t<br />
hat. In Frankfurt/Main wartet auf ihn übrigens ein ICE<br />
Richtung Düsseldorf. Auch so ein Mobilitätsprodukt im<br />
globalen Kosmos <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> mit Weltruf. Und<br />
wenn im Anschluss an den ICE noch jemand mit dem Regionalzug,<br />
der S-<strong>Bahn</strong> oder dem Bus die letzten Kilometer<br />
bis nach Hause zurücklegt, dann schließt sich der Kreis in<br />
eben diesem Kosmos <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>.<br />
34 35
Glamour und Gloria Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />
unterwegs auf dem berühmten Strip in Las<br />
Vegas. Nach dem Kauf des US-Logistikers<br />
BAX Global läuft die Integration im<br />
Schenker-Netzwerk auf Hochtouren.<br />
36 37
Konzernentwicklung<br />
Meilensteine<br />
Wie der Umbau der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> zu einem weltweit führenden Mobilitäts- und<br />
Logistikdienstleister bis hin zum Manager hochkomplexer Verkehrsnetzwerke gelang.<br />
Am 16. Dezember 1999 übernimmt<br />
Hartmut Mehdorn den Vorstandsvorsitz<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> auf<br />
Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Gerhard<br />
Schröder von Vorgänger Johannes Ludewig. Zuvor war er<br />
lange Jahre (1980–95) in führenden Positionen für die<br />
<strong>Deutsche</strong> Luftfahrt-Industrie (unter anderem Geschäftsführer<br />
Airbus-Industrie S.A., Vorstandsmitglied<br />
<strong>Deutsche</strong> Aerospace <strong>AG</strong>) tätig und arbeitete zuletzt als<br />
Vorsitzender des Vorstands für die Heidelberger Druckmaschinen<br />
<strong>AG</strong> (1995–99). Erste seiner Maßnahmen,<br />
teils noch vor Amtsantritt, ist eine ganz persönliche<br />
Annäherung an die DB-Verhältnisse vor Ort. Mehdorn<br />
besucht dabei zahlreiche Betriebsstandorte – von <strong>Bahn</strong>höfen<br />
über Werke bis zu Leitzentralen – und sucht dabei<br />
gezielt den Kontakt zu den Eisenbahnern an der Basis.<br />
Bestandsaufnahme und Standortbestimmung<br />
leiten das erste Jahr der Ära<br />
Mehdorn ein. Daraus entwickeln sich<br />
verschiedene Maßnahmen zu Sanierung und Neuausrichtung<br />
des Konzerns. Neue Unternehmenskultur und off ene<br />
Kommunikation sind weitere Ziele. Der Kunde rückt in den<br />
zentralen Blickpunkt und die DB <strong>AG</strong> positioniert sich in<br />
der Folge als Service-Unternehmen mit neu geordnetem<br />
<strong>Bahn</strong>hofsmanagement, richtet 3-S-Zentralen (Sicherheit,<br />
Sauberkeit, Service) ein oder baut sie aus. Eine erste Organisationsänderung<br />
strukturiert die Konzernführung neu,<br />
Unternehmensbereiche (UB) werden eingeführt. Als einer<br />
der ersten deutschen Konzerne überhaupt installiert die<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> daneben Ombudsstellen für Mitarbeiter. Sie<br />
dienen der Prävention, aber auch der Aufklärung von<br />
Bestechlichkeit und internen Korruptionstatbeständen.<br />
Augenfällig wird der Neubeginn mit dem Umzug der Konzernleitung<br />
in den fortan <strong>Bahn</strong>-Tower genannten Glasturm<br />
des Sony-Centers am Potsdamer Platz, und es beginnt die<br />
farbliche Vereinheitlichung des rollenden Materials: Was<br />
bisher auf Schienen kunterbunt daherkam, trägt sukzessive<br />
weiß mit roten Streifen bei IC und ICE im Fernverkehr, rot<br />
mit weißen Streifen im Regionalverkehr.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> startet einen<br />
umfassenden Sanierungs- und<br />
Investi tionsangriff – gegen das<br />
Betriebs er gebnis und unter Inkaufnahme höherer Schulden.<br />
Auch der Bund stellt zusätzlich Zuwendungen aus<br />
dem Verkauf der UMTS-Lizenzen bereit. Im Mittelpunkt<br />
der sogenannten Off ensive <strong>Bahn</strong> mit dem eingängigen<br />
Dreiklang „Sanieren – Leisten – Wachsen“ stehen zahlreiche<br />
zentral gesteuerte FOKUS-Projekte. Es geht dabei<br />
ummittelbar unterhalb des Holding-Vorstands und dem<br />
federführenden Ressort Konzernentwicklung um Kosteneffi<br />
zienz, einfachere Prozesse und um eine bessere<br />
Programmqualität. Um die Entwicklung von Spitzenprodukten,<br />
zufriedenere Kunden und Zukunftsinvestments.<br />
Aber auch um Ausbau von Marktpositionen bei<br />
Kern- und identifi zierten Wachstumsgeschäften. Nichts<br />
bleibt ausgespart, alles kommt auf den Prüfstand. Vom<br />
Einkauf und der Materialwirtschaft bis hin zu IT-Lösungen<br />
und Objekt-Vermietungsoptionen. Die Sanierung<br />
der Regio-Verkehre läuft an, die Kosten interner Serviceleistungen<br />
(KISS) werden ebenso gesenkt wie die Effi zienz<br />
der Werke gesteigert und mit dem Programm Mora C<br />
beginnt eine grundlegende Neuausrichtung des Güterverkehrs<br />
(Einzelwagen- und Kombiverkehre) sowie dessen<br />
Internationalisierung durch geschmiedete Allianzen.<br />
Zur bereits 1999 akquirierten niederländischen Güterbahn<br />
fügt sich nun auch die dänische in den Railion-Verbund.<br />
Investiert wird unter anderem massiv in eine breit<br />
angelegte <strong>Bahn</strong>hofsmodernisierung, in Infrastrukturmaßnahmen<br />
wie Streckenausbau oder Ertüchtigung,<br />
sowie Leit- und Sicherungstechnik, dabei besonders in<br />
elektronische Stellwerke (ESTW), aber auch in Fort- und<br />
Weiterbildung aller Mitarbeiter auf allen Konzernebenen.<br />
Nie zuvor übrigens in der Geschichte der <strong>Bahn</strong> wurde<br />
ein derart ambitioniertes konzernübergreifendes<br />
Programm aufgelegt, und es trägt trotz insgesamt roter<br />
Zahlen mit einer Ergebnisverbesserung von knapp 441<br />
Millionen Euro bereits zum Jahresende erste Früchte.<br />
Am 1. August fällt in Deutschland<br />
der Startschuss zur Fahrt in ein neues<br />
Eisenbahnzeitalter: Es beginnt<br />
der fahrplanmäßige Verkehr auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />
Frankfurt–Köln. Mit Tempo 300<br />
fährt der ICE nun konkurrenzlos auf der Überholspur.<br />
Außerdem prägt die Milliarden-Akquisition der Stinnes<br />
<strong>AG</strong> mit ihrem Logistikdienstleister Schenker das Jahr. Es<br />
ist ein weiterer Meilenstein, denn der Kauf eröff net der<br />
DB <strong>AG</strong> langfristig hervorragende Perspektiven auf dem<br />
internationalen Transport- und Logistikmarkt. Daneben<br />
stellen sich gravierende Erfolge bei allen 25 FOKUS-<br />
Projekten ein. Schlanker, schneller, besser – das sind die<br />
Schlagworte der zwölf Monate, in denen sich das Ergebnis<br />
deutlich verbessert und zugleich zehn Milliarden<br />
Euro in den Ausbau der Geschäftsfelder fl ießen. Einen<br />
Kraftakt besonderer Art fordert allerdings die Oder-<br />
Flut von den <strong>Bahn</strong>mitarbeitern. Vor allem im Osten<br />
Deutschlands fügt das Hochwasser der Infrastruktur<br />
schwere Wunden zu. Im reibungslos und eff ektiv funktionierenden<br />
Notfallmanagement zeigt sich aber die<br />
Belastbarkeit des Betriebs, seine Flexibilität und die<br />
hohe Professionalität des Konzerns.<br />
38 39
Ein Jubiläum steht zum Jahresende<br />
an: zehn Jahre <strong>Bahn</strong>reform. In<br />
Berlin wird durchweg eine positive<br />
Bilanz gezogen: Der Bundeshaushalt wurde über den<br />
gesamten Zeitraum hinweg um 108 Milliarden Euro<br />
entlastet, rund 44 Milliarden Euro mehr als seinerzeit<br />
prognostiziert. Man investierte dabei 79 Milliarden in<br />
Infrastruktur, Fahrzeuge sowie Sanierung und Moderni-<br />
Zwar sind 90 Minuten nicht die<br />
Welt, aber sie rücken die Welt zusammen.<br />
Für viele Reisende auf der<br />
Strecke Hamburg–Berlin bedeuten sie einen neuen Zeitsprung:<br />
Nur noch gut 90 Minuten nämlich beträgt die<br />
Fahrzeit mit Eröff nung des Streckenausbaus zwischen<br />
der deutschen Hauptstadt und der Hafenmetro pole.<br />
Auch so ein Meilenstein, der Brückenschlag über 286<br />
Kilometer, fertiggestellt in nur fünf Jahren und nun<br />
nonstop befahrbar mit Tempo 230. Aber das Jahr 2004<br />
hat noch mehr und vor allem dies zu bieten: Die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Bahn</strong> schaff t plan mäßig den Sprung in die Gewinnzone,<br />
ist profi tabel und hat erstmals aus eigener Kraft ein<br />
positives Ergebnis erwirtschaftet. Dabei schlagen unter<br />
anderem die Erfolge des Qualify-Programms mit 419 Millionen<br />
Euro ebenso zu Buche wie die weiter gestiegene<br />
sierung der Stationen und sichert dabei direkt wie auch<br />
indirekt als größter Investor Deutschlands 600.000<br />
Arbeitsplätze. Die Produktivität der DB-Mitarbeiter<br />
stieg zugleich um 163 Prozent. Dabei wurden die notwendigen<br />
Personalanpassungen durch eine aktive und sozialverträgliche<br />
Beschäftigungspolitik (Stichwort Konzernarbeitsmarkt)<br />
konfl iktfrei und ohne betriebsbedingte<br />
Kündigungen bewältigt. Zu den Unternehmensbereichen<br />
Personenverkehr, Transport und Logistik, Fahrweg<br />
und Personenbahnhöfe fügte sich in diesem Jahr mit DB<br />
Dienstleistungen die fünfte Geschäftsfeldsäule. Darin<br />
bündeln sich von der Energieversorgung über die Fahrzeuginstandhaltung<br />
bis hin zu IT-Systemen und Telematik<br />
alle für Betrieb und Prozesssteuerung notwendigen<br />
Teilbereiche. DB Carsharing und DB Call a Bike sorgen<br />
als weitere Bausteine in der Mobilitätskette für Furore.<br />
Pünktlichkeitsoff ensive und Preisreform stehen im Zentrum<br />
allen Handels in einem Jahr, welches der DB dank<br />
des Stinnes-Erwerbs einen Zuwachs des Umsatzes von<br />
51 Prozent auf 28,2 Milliarden Euro bringt. Die Bilanz<br />
aller FOKUS-Projekte, die ab dem Jahr 2004 in das neu<br />
auf gelegte Qualify-Programm zur Erreichung der<br />
Kapitalmarktfähigkeit übergehen, beläuft sich nach drei<br />
Jahren auf realisierte Einsparungen von nicht weniger<br />
als 1,32 Milliarden Euro.<br />
Zahl der Reisenden (1,69 Milliarden). Auch die Transportleistung<br />
im Güterverkehr erhöhte sich um 5,2 Prozent<br />
auf 83.982 Millionen Tonnenkilometer. International<br />
gehört die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> mittlerweile längst<br />
zu den Big Playern des Transport- und Logistikgeschäfts.<br />
Zielstrebig baut man bei Schenker das weltweite Netz<br />
aus und zählt 1.100 Standorte in 110 Ländern. Umfassende<br />
Logistiklösungen aus einer Hand, globales Supply<br />
Chain Management und Ausbau der Beschaff ungs- und<br />
Distributions logistik bei Luft- und Seefracht sowie<br />
Landtransporten, das sind die Schlagworte einer stürmischen<br />
Entwicklung. Am deutlichsten zeigt sie sich<br />
beim Containeraufkom men des Hamburger Hafens.<br />
Dort werden im Cargo-Zentrum der Railion Deutschland<br />
<strong>AG</strong> 1,5 Millionen Container umgeschlagen und erneut<br />
15 Prozent Wachstum erzielt.<br />
Mit den Gewerkschaften vereinbart<br />
man im Frühjahr ein Zukunftsprogramm<br />
für Wirtschaftlichkeit und<br />
Beschäftigung. Es sieht den Verzicht auf betriebsbedingte<br />
Kündigungen bis 2010 vor, bei gleichzeitigem Ausbau<br />
des konzernübergreifenden Arbeitsmarkts und reduzierten<br />
Arbeitskosten. Das abgeschlossene Bündnis gilt als<br />
beispielhaft in der deutschen Wirtschaft. Ein Paukenschlag<br />
krönt das Ende dieses Jahres: Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />
<strong>AG</strong> unterzeichnet einen Kaufvertrag, um nach Genehmigung<br />
der zuständigen Behörden für rund 1,1 Milliarden<br />
Dollar den US-Konzern BAX Global zu erwerben. Sie<br />
katapultiert sich damit endgültig in die Spitzengruppe<br />
der weltweit agierenden Transport- und Logistikunternehmen.<br />
Die Bilanz der Marktpositionierung lautet nun<br />
wie folgt: Europas Nummer 1 im Schienenpersonen- und<br />
Schienengüterverkehr ebenso wie im Landverkehr, bei<br />
Schienenfahrzeug-Instandhaltung, dem Öff entlichen<br />
Personennahverkehr und mit 34.211 Schienenkilometern<br />
auch bei der Betriebslänge. Weltweit Nummer 2 bei Luftfracht-<br />
und Nummer 3 bei Seefrachttransporten. Dazu<br />
Nummer 1 im Carsharing und bei der Fahrradvermietung.<br />
„Der Konzern“, bilanziert Hartmut Mehdorn, „ist<br />
zukunftsfest. Wir sind angetreten, ein international führender<br />
Mobilitäts- und Logistikdienstleister zu werden,<br />
um damit auch die Eisenbahn, unser Stammgeschäft, abzusichern,<br />
und insgesamt betrachtet eröff net sich uns im<br />
Bereich der globalen Verkehrsnetzwerke eine glänzende<br />
Perspektive.“ Nach einer zweiten Organisationsänderung<br />
steht die Konzernleitung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong><br />
nun auf den drei großen Säulen Mobility (Personenverkehr),<br />
Networks (Infrastruktur und Dienstleistungen)<br />
sowie Logistics (Transport und Logistik) und verbucht<br />
erneut ein verbessertes Ergebnis beim EBIT um 18,2 Prozent<br />
auf 1,35 Milliarden Euro. Verdienst übrigens aller<br />
Mitarbeiter und weil deren Aus- und Weiterbildung<br />
wesentlichen Anteil am Fortschritt hat, gleicht die feierliche<br />
Eröff nung der neu geschaff enen DB Akademie für<br />
Führungskräfte im Kaiserbahnhof zu Potsdam der<br />
Fertigstellung eines weiteren Bausteins auf dem Weg<br />
in die Zukunft.<br />
Ein Jahr mit der Überschrift Rekord<br />
und Zahlen, die zum Besten gehören,<br />
was die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>-<br />
Geschichte je gesehen hat: Der DB-Umsatz überschreitet<br />
die Marke von 30 Milliarden Euro, das EBIT (Gewinn<br />
vor Zinsaufwand und Steuern) beziff ert sich auf über<br />
zwei Milliarden Euro. Gestiegen sind sowohl die Transportleistung<br />
im Personen- als auch im Güterverkehr.<br />
Noch nie wurden auf deutschen Schienen mehr <strong>Menschen</strong><br />
befördert als 2006. Und das trotz Wettbewerb mit<br />
rund 330 privaten Eisenbahnunternehmen, die mittlerweile<br />
auf dem Netz der DB verkehren. Mehr noch ist zu<br />
bilanzieren: Fertigstellung und Einweihung des Hauptbahnhofs<br />
Berlin, größter und modernster Schienen-Verkehrsknotenpunkt<br />
Europas. Und – aber natürlich – die<br />
perfekte Begleitung des deutschen Fußball-Sommermärchens<br />
mit einhelligem Beifall für die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />
seitens des WM-Organisationskomitees, insbesondere<br />
aber auch Zigtausender Kunden aus dem In- und Ausland.<br />
Erreicht indes und vor allem: die Kapitalmarktfähigkeit<br />
des Unternehmens. Die Bundesregierung<br />
nimmt die Arbeiten am Privatisierungsgesetz auf und<br />
hat ihre Absicht, den neu geschmiedeten Mobilitäts- und<br />
Logistikkonzerns noch in dieser Legislaturperiode teilweise<br />
zu privatisieren, bekräftigt. „Die Weichen sind<br />
gestellt“, sagt Hartmut Mehdorn, „unser Zug steht dazu<br />
abfahr bereit auf dem Gleis.“<br />
40 41
Personenverkehr<br />
Generation ICE<br />
Nahezu jeder Bundesbürger kennt ihn und – wichtiger noch – Millionen nutzen ihn Tag<br />
für Tag: Der InterCityExpress schrieb in den vergangenen 15 Jahren eine der größten<br />
deutschen Erfolgsgeschichten. Zusammen mit den leistungsfähigen Regional-, Nah- und<br />
Stadtverkehren verfügt Deutschland damit über das am dichtesten vertaktete, zugleich<br />
komplexeste und am besten funktionierende Eisenbahnsystem Europas.<br />
Startformation Drei ICE-Züge warten im<br />
<strong>Bahn</strong>hof am Airport Frankfurt auf<br />
Reisende aus aller Welt. Im Taktverkehr<br />
<strong>verbinden</strong> sie die Großstädte der Republik.<br />
42 43
Leuchtspuren Zwei ICE begegnen sich<br />
in der Abenddämmerung bei Großhöbing<br />
im Altmühltal auf der Neubaustrecke<br />
zwischen Nürnberg und Ingolstadt.<br />
44 45
Kopfgesteuert Was hier nach einer<br />
Slapstick-Nummer aussieht, dient<br />
ausschließlich der Verkehrssicherheit.<br />
Alle ICE werden in genau festgelegten<br />
Wartungsintervallen von Technikern<br />
bis ins Innerste überprüft.<br />
46 47
ie Augen ganz klein, der Sonnenaufgang noch<br />
ein Weilchen entfernt, springt Thomas<br />
Schneider in den ICE. Drei Stunden Schlaf<br />
fehlen ihm in dieser Nacht noch, aber die hat<br />
er fest eingeplant: Er lässt sich in seinen reservierten<br />
Sitz fallen, klappt die Lehne zurück und schließt<br />
die Augen. Viertel nach sechs gleitet der ICE-Sprinter<br />
aus dem Frankfurter Hauptbahnhof, Richtung Berlin.<br />
Schneider schläft 500 Kilometer nonstop. Kurz vor zehn<br />
erreicht er ausgeruht die Hauptstadt.<br />
Thomas Schneider attestiert sich selbst alle Symptome<br />
der Spezies „moderner Nomade“: Immer auf dem Sprung,<br />
immer rastlos. „Aber ich bin kein Getriebener. Es macht<br />
mir einfach Spaß, in Bewegung zu sein, <strong>Menschen</strong> und<br />
Orte zu erleben.“ Der 45-Jährige ist Handlungsreisender<br />
in eigener Sache: Als Chef und Gründer einer kleinen Software-Firma<br />
lebt er in Friedberg bei Frankfurt/Main und<br />
in Berlin, arbeitet aber in ganz Deutschland. Unterwegs<br />
dient ihm der ICE als Schlafwagen, als Speisewagen und<br />
vor allem als rollendes Büro.<br />
Neben der schon sprichwörtlichen Generation Golf<br />
existiert inzwischen auch eine Generation ICE. Thomas<br />
Schneider konvertierte vor zehn Jahren von der einen zur<br />
anderen: „Früher war ich leidenschaftlicher Autofahrer,<br />
bis mein Geschäft expandierte und ich immer mehr Kunden<br />
in ganz Deutschland bekam.“ Es dauerte nicht lange<br />
bis zu der Erkenntnis, wie viel Energie bei seinen Geschäftsreisen<br />
auf der Straße verloren ging. „Vom Auto auf<br />
die Schiene umzusteigen, habe ich nicht aus dem Bauch<br />
heraus, sondern rational entschieden. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />
entpuppte sich für meine Bedürfnisse als das vernünftigste<br />
Verkehrsmittel.“<br />
Technologisches Spitzenprodukt<br />
Der Unternehmer weiß sich in guter Gesellschaft, schließlich<br />
hat der ICE die Mobilität in Deutschland verändert.<br />
„Dass die <strong>Menschen</strong> <strong>Bahn</strong> fahren zum Reisen wieder als<br />
innovativ und zeitgemäß empfi nden, geht in erster<br />
Linie auf das Konto des ICE“, sagt Frank Schübel, der als<br />
oberster Markenhüter über den prominenten Leistungsträger<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> wacht.<br />
Die drei Buchstaben ICE haben sich als eine der bekanntesten<br />
Marken ins Bewusstsein der <strong>Deutsche</strong>n eingebrannt.<br />
Fast jeder kennt sie, fast jeder mag sie. Den Kinderschuhen<br />
seit der Premiere 1991 längst entwachsen,<br />
bleibt die Ausstrahlung des ICE unverändert hoch: „Er<br />
hat sich als Volkstransportmittel an der Spitze der technologischen<br />
Entwicklung etabliert“, sagt Schübel. Für<br />
Autofahrer auf der A 3 zwischen Köln und Frankfurt ist<br />
Vielfahrer Software-Unternehmer Thomas Schneider<br />
wechselte schon vor Jahren vom Auto in den Zug.<br />
Viel los Gastronomieangebote auf neuestem Stand unter dem<br />
Dach von Frankfurts modernisiertem <strong>Bahn</strong>hof.<br />
der Schienenfl itzer ein bisweilen ärgerlicher Blickfang,<br />
wenn er mit Tempo 300 mal links und mal rechts vorbeirauscht.<br />
Auf dieser Strecke fl iegt der ICE im Rahmen des<br />
Projekts AIRail sogar auf Höhe null mit Lufthansa-Flugnummer<br />
als Zubringer.<br />
Die starke Marke stützt sich nicht zuletzt auf ihr unverwechselbares<br />
Design. Die Keilform in Weiß mit roter<br />
Bauchbinde hat sich schon nach 15 Jahren als moderner<br />
Klassiker etabliert, der, so Schübel, „mit dem Porsche 911<br />
und der Boeing 747 in einem Atemzug zu nennen ist“.<br />
Seine eleganten Konturen verdankt die ICE-Familie<br />
dem Designer Alexander Neumeister.<br />
Vom ICE 1 der ersten Generation Jahrgang 1991 bis zum<br />
300 Stundenkilometer schnellen ICE 3 entstanden alle<br />
Zugtypen auf dem Reißbrett des heute 64-jährigen Designers<br />
aus München: „Modischen Schnickschnack habe ich<br />
von Anfang an vermieden, denn ich wollte eine Form<br />
schaff en, die mindestens 30 Jahre Bestand hat.“ Für<br />
den ICE T (mit Neigetechnik) und den ICE 3 wurde<br />
Neumeister gleich zwei Mal in Folge mit dem Designpreis<br />
Deutschland ausgezeichnet.<br />
Der ICE hat nicht nur den Weg für die Renaissance des<br />
<strong>Bahn</strong>reisens bereitet, sondern auch eine andere Branche<br />
befl ügelt: In Deutschlands Kinderzimmern und Hobbykellern<br />
drehen über 300.000 ICE im Maßstab HO oder N<br />
Glanzstück Als fl aniere man durch Mailands Galleria Vittorio Emanuele II. – so präsentiert sich der komplett restaurierte <strong>Bahn</strong>hof in Dresden.<br />
ihre Runden. Seit es den Hochgeschwindigkeitszug der<br />
DB gibt, wollen Kinder (und wer weiß wie viele Väter?)<br />
plötzlich wieder mit der elektrischen Eisenbahn spielen.<br />
Modellbahnherstellern und Spielwarenhändlern bescherte<br />
die Erfi ndung des ICE einen Bestseller und im wahrsten<br />
Sinne des Wortes eine Zugnummer.<br />
Die Zugnummer, für die sich Thomas Schneider interessiert,<br />
lautet ICE 1507. Heute ist er schon beim Einsteigen<br />
am Berliner Hauptbahnhof hellwach. „Nach Leipzig<br />
fahre ich oft, dort sitzt einer meiner wichtigsten Kunden“,<br />
sagt der Software-Spezialist. Mit seinen Programmen erfasst<br />
die Stadtverwaltung Papierakten elektronisch. „Im<br />
Augenblick sind wir gerade bei der digitalen Archivierung<br />
von Altbelegen der Kfz-Zulassungsstelle“, sagt<br />
Schneider, packt sein Notebook aus und schließt es an die<br />
Steckdose unterm Sitz an. Die gerade mal 68 Minuten im<br />
Zug hat er fest zur Vorbereitung auf seinen Leipziger Termin<br />
eingeplant. ICE-Zeit ist Arbeitszeit – wenn man will.<br />
In einer kleinen Marktnische ist das Unternehmen<br />
Schneider Mikrocomputertechnik in Friedberg für seine<br />
Verhältnisse fast schon ein Global Player geworden. Für<br />
das deutsche Orient-Institut in Beirut und für die Universität<br />
Nottingham hat der gelernte Ingenieur Bibliothekskataloge<br />
digitalisiert. Auch viele deutsche Hochschulen<br />
arbeiten mit seiner schlüsselfertigen Software.<br />
Der ICE hat auch die deutschen<br />
Kinderzimmer erobert. Über<br />
300.000 Züge drehen im H0- und<br />
N-Maßstab der Modellbahnen<br />
unermüdlich ihre Runden.<br />
Für seine zahlreichen Geschäftsreisen von Berlin und<br />
Friedberg aus braucht Schneider keine Fahrkarte zu<br />
lösen. Als Inhaber einer Mobility <strong>Bahn</strong>Card 100 kann der<br />
IT-Experte jederzeit in jeden Zug einsteigen. „Die Jahresnetzkarte<br />
kostet mich 300 Euro im Monat“, sagt Unternehmer<br />
Schneider. Der ICE ist für ihn nicht nur die komfortabelste<br />
Art, mobil zu sein, sondern auch die mit<br />
Abstand preisgünstigste.<br />
„Manchmal frage ich mich, wozu ich überhaupt noch<br />
ein Auto besitze.“ An seinem Berliner Wohnort kommt<br />
Schneider ganz ohne eigenen Wagen aus. Und wenn er<br />
tatsächlich mal selbst Gas geben will, dann wird seine<br />
Jahresnetzkarte nach einer E-Mail oder einem kurzen<br />
Telefonanruf an 90 <strong>Bahn</strong>höfen zum Autoschlüssel für<br />
ein Fahrzeug von DB Carsharing.<br />
48 49
International Ein ICE gleich neben einem französischen Thalys in Brüssel. Ab Mitte 2007 gibt es auch direkte Verbindungen nach Paris.<br />
Weitere Fragen dazu beantworten DB-Service-Mitarbeiter gerne in Reisezentren oder direkt auf dem <strong>Bahn</strong>steig.<br />
Als diskretes Erkennungszeichen der Generation ICE gilt<br />
aber nicht nur die <strong>Bahn</strong>Card, sondern auch das DIN A4große<br />
OnlineTicket aus dem eigenen Rechner und neuerdings<br />
auch das Ticket auf dem Handy. Anspruchsvolle<br />
Vielfahrer kommen mit der <strong>Bahn</strong> nicht nur sicher und<br />
schnell an ihr Ziel, sondern auch überall und jederzeit<br />
an ihre Fahrkarte. Dank des Statuskundenprogramms<br />
„bahn.comfort“ erfreuen sie sich unterwegs besonderer<br />
Annehmlichkeiten.<br />
Man triff t die Generation ICE zum Beispiel morgens<br />
zwischen Hamburg und Berlin, wenn der Großraumwagen<br />
zum Großraumbüro wird. Oder am Freitagnachmittag,<br />
wenn Zehntausende Wochenendpendler sich auf den<br />
Weg nach Hause machen. Oder in den Schulferien, wenn<br />
Eltern den ICE entdecken und für ihre mitreisenden Kinder<br />
keinen einzigen Cent zuzahlen müssen.<br />
Tag für Tag machen 236 ICE-Zugeinheiten im Durchschnitt<br />
183.000 <strong>Menschen</strong> mobil – Tendenz steigend.<br />
1.100 Kilometer Schnellfahrstrecke für Geschwindigkeiten<br />
zwischen 230 und 300 Kilometer pro Stunde stehen<br />
den ICE-Zügen mittlerweile zur Verfügung. Der ICE lässt<br />
mit seinem engmaschigen Netz und dem Tempo, das er<br />
auf immer mehr Verbindungen vorlegt, ganz neue Lebensentwürfe<br />
zu: Vor fünf Jahren wäre niemand auf die Idee<br />
gekommen, in Hamburg zu wohnen und in Berlin zu arbeiten.<br />
Der ICE macht es heute möglich und hat auch<br />
Städte wie Köln und Frankfurt/Main oder München und<br />
Nürnberg auf Pendeldistanz aneinander rücken lassen.<br />
Doch seine Stärke entfaltet der ICE nicht allein auf einigen<br />
spektakulären Rennstrecken. Über ganz Deutschland<br />
hat der Hochgeschwindigkeitszug sein Netz ausgeworfen<br />
und verbindet über 100 Städte, zumeist im<br />
Stundentakt. In den großen Knotenpunkten wie Hannover,<br />
Mannheim, Köln, Dortmund oder Nürnberg sind<br />
Umsteiger schon wieder auf neuen Wegen, kaum dass sie<br />
angekommen sind. Und der Frankfurter Flughafen ist<br />
nicht nur eine Drehscheibe des Luftverkehrs, sondern<br />
auch des bundesweiten ICE-Netzes.<br />
Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts AIRail startet<br />
der ICE von Frankfurt/Main nach Köln und Stuttgart<br />
Ein ICE 3 verbraucht<br />
pro Fahrgast auf<br />
hundert Kilometer<br />
umgerechnet nur<br />
zwei Liter Benzin.<br />
auch mit Lufthansa-Flugnummer. Auf diesen und anderen<br />
Strecken bis 500 Kilometer macht das Zugpferd der<br />
<strong>Bahn</strong> die Stärken des Flugzeugs wett: Bei Reisen von City<br />
zu City ist der ICE mindestens genauso schnell und bietet<br />
seinen Fahrgästen außerdem, was Passagiere in der Luft<br />
schmerzlich vermissen: Bewegungsfreiheit, ein Ambiente<br />
zum Arbeiten oder Entspannen, Handy-Empfang und<br />
eine abwechslungsreiche Bordgastronomie.<br />
„Das Beste an Deutschland“<br />
Seitdem das Thema Klimawandel Schlagzeilen macht und<br />
verstärkt ins öff entliche Bewusstsein dringt, kann die<br />
<strong>Bahn</strong> noch mit einem weiteren Pfund wuchern. In einem<br />
zu 50 Prozent besetzten ICE 3 beträgt der Energieverbrauch<br />
pro Fahrgast umgerechnet nur zwei Liter Benzin<br />
auf 100 Kilometer. Wer bei der Wahl des Verkehrsmittels<br />
auch seine persönliche Klimabilanz und Reduzierung<br />
von Treibhausgasen im Auge hat, kommt am ICE nicht<br />
vorbei. Kein Wunder also, dass der Schienenfl itzer der<br />
<strong>Bahn</strong> im Buch „Das Beste an Deutschland“ als einer von<br />
250 Gründen gilt, Deutschland zu lieben.<br />
Gerhard Borsdorfs Liebe zum ICE kann man eher als<br />
platonisch bezeichnen. Er beschäftigt sich zwar seine ganze<br />
Schicht lang mit den weißen Hochgeschwindigkeitszügen,<br />
aber tatsächlich zu Gesicht bekommt er währenddessen<br />
keinen einzigen. Der Mann hat den Fahrplan im<br />
Blut und fünf Monitore vor Augen, auf denen Objekte<br />
und Zahlen wandern. Der Laie sieht nur Hieroglyphen,<br />
die er nicht deuten kann. Für Borsdorf ist das fl immernde<br />
Gewimmel unverkennbar die Betriebslage des DB-Fernverkehrs<br />
in Echtzeit.<br />
Der Disponent in der Zentralen Transportleitung in<br />
Frankfurt/Main überwacht an diesem Nachmittag jeden<br />
ICE, der in Norddeutschland unterwegs ist. Sein Telefon<br />
klingelt. „Oberleitungsschaden bei Hannover Wülfel“,<br />
ruft Borsdorf in den Raum. Zusammen mit den Kollegen<br />
berät er kurz, wie man am besten auf diese Betriebsstörung<br />
reagiert. Mehrere ICE Richtung Frankfurt/Main<br />
und München sind betroff en. Einen Zug, der direkt vor<br />
der Schadensstelle wartet, lässt Borsdorf umkehren, um<br />
ihn auf anderen Gleisen ans Ziel zu schicken. Die nächsten<br />
beiden Züge werden gleich ganz um die niedersächsische<br />
Landeshauptstadt herumgeleitet. „Zusätzlicher<br />
Halt in Celle!“ ordnet Borsdorf an.<br />
Heiner Bremer (65) TV-Journalist und Moderator der<br />
n-tv-Talkshows „Das Duell“ und „2+4“.<br />
„Klimaschutz<br />
und Zeitgewinn“<br />
Seit wir den Klimawandel am eigenen Leib zu spüren<br />
beginnen, steht auch das Thema Klimaschutz<br />
oben auf der politischen Agenda. Wir wissen alle,<br />
dass wir den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich<br />
reduzieren müssen, um die weitere globale Erwärmung<br />
zu bremsen. Darum brauchen wir einerseits<br />
politische Weichenstellungen, um mehr Güter von<br />
der Straße auf die Schiene zu verlagern.<br />
Andererseits können wir auch ganz privat Entscheidungen<br />
treff en, die zur Verminderung des<br />
Kohlendioxid-Ausstoßes beitragen: Wer vom Auto<br />
auf den Zug umsteigt, verbessert seine persönliche<br />
Klimabilanz ganz beträchtlich. Eine solche<br />
Entscheidung wird einem heute viel leichter<br />
gemacht als noch vor zehn oder 15 Jahren und<br />
ist auch nicht mehr mit Verzicht verbunden, im<br />
Gegenteil.<br />
Denn die <strong>Bahn</strong> hat mit ihrem ICE inzwischen ein<br />
bundesweites Angebot, das auch hohen Ansprüchen<br />
genügt. Die Züge sind komfortabel, schnell<br />
und – was ich mir sehr wünsche – eines Tages hoffentlich<br />
noch einen Tick pünktlicher. Ich jedenfalls<br />
steige schon mal gern in den ICE, weil ich damit<br />
zusammenhängende Zeit gewinne. Wenn ich in<br />
Berlin ankomme, habe ich die wichtigsten Tageszeitungen<br />
durchgelesen – quasi mein persönliches<br />
Aktenstudium zur Vorbereitung auf meine Sendungen.<br />
Mich überzeugt auch die Service-Bereitschaft<br />
des ICE-Personals. Immer mehr Zugbegleitern ist<br />
anzumerken, dass sie selbst Spaß an Freundlichkeit<br />
und guter Dienstleistung haben. Da kann man<br />
sich schon wohl fühlen.<br />
50 51
Jan-Martin Wiarda (30) Redakteur bei der<br />
Wochenzeitung „Die Zeit“.<br />
„Einmal zum Mond<br />
und zurück“<br />
Ich gebe zu, dass ich ein bisschen verrückt bin. Ein<br />
normaler Mensch nimmt doch nicht 300 Kilometer<br />
tägliche Anfahrt ins Büro in Kauf, macht 600 Kilometer<br />
am Tag, 3.000 die Woche, 140.000 im Jahr.<br />
Ja, ich bin so verrückt, ich arbeite in Hamburg und<br />
lebe in Berlin.<br />
Viele sagen: Das geht doch gar nicht. Ich sage:<br />
Doch, das geht. Wenn man ICE-Pendler ist. Seit ich<br />
Mitte 2004 meinen Job angetreten habe, habe ich<br />
im ICE die einfache Fahrt von der Erde zum Mond<br />
zurückgelegt. Inzwischen arbeite ich am Rückweg.<br />
Ich bin nicht der einzige Verrückte. Wenn ich<br />
morgens in Berlin einsteige, blicke ich in ein paar<br />
Dutzend bekannte Gesichter. Ich kenne nicht alle<br />
beim Namen, aber wir ICE-Pendler erkennen einander<br />
an der schwarzen <strong>Bahn</strong>Card 100. Ich kenne<br />
auch nur die Berliner, die in Hamburg arbeiten.<br />
Doch ich habe gehört, dass auch in Gegenrichtung<br />
gependelt wird.<br />
Warum man sich das antut? Weil es geht. Die<br />
Hochgeschwindigkeitsverbindungen von Berlin<br />
nach Hamburg oder von Köln nach Frankfurt verschmelzen<br />
Großstädte zu Großräumen, zu entfernten<br />
und gleichzeitig nahen Doppelstädten. Warum<br />
die Freundin zurücklassen? Warum nur der Arbeit<br />
wegen aus der geliebten Wohnung aus ziehen? Es<br />
geht ja anders. Und ich habe Spaß dabei, genieße<br />
die Ruhe, schalte ab. Täglich zweimal 90 Minuten<br />
Zeit zum Lesen, zum Arbeiten am Computer – und<br />
zum Philosophieren: Vielleicht sind wir ICE-Pendler<br />
gar nicht verrückt. Sondern unser Leben ist nur<br />
ein Vorgeschmack auf die Mobilität der Zukunft.<br />
Die Mitarbeiter der<br />
Transportleitung in<br />
Frankfurt/M. verstehen<br />
sich als Anwälte ihrer<br />
Reisekundschaft.<br />
Den fi ligranen ICE-Taktfahrplan für ganz Deutschland zu<br />
entwickeln und Jahr für Jahr zu optimieren, ist für sich ein<br />
eher mathematisches Kunststück. Ihn auf dem dichtesten<br />
Eisenbahnnetz der Welt tagtäglich so gut wie möglich<br />
in die Tat umzusetzen, ist ein logistischer Drahtseilakt,<br />
der Erfahrung und Kreativität erfordert. Wie ein geübter<br />
Schachspieler muss Borsdorf buchstäblich viele Züge vorausdenken.<br />
„Wir sind Anwalt unserer Kunden“, sagt der Chef der<br />
Zentralen Transportleitung Thomas Göwert. „Unsere primäre<br />
Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Reiseketten<br />
der Fahrgäste sichergestellt sind.“ Er und seine Disponenten<br />
kümmern sich darum, dass das ICE-Netzwerk rund<br />
läuft, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Im Idealfall<br />
würden sie hier Däumchen drehen, aber den Idealfall gibt<br />
es in einem derart komplexen System eben nicht. An<br />
neun Knotenpunkten hält die DB bemannte Ersatzzüge<br />
vor, die von den Frankfurter Disponenten innerhalb von<br />
einer Viertelstunde in den Fahrplan eingefädelt werden<br />
können.<br />
Sobald die Sonne in Deutschland untergeht und die<br />
meisten ICE die letzte Endstation des Tages erreicht haben,<br />
entfaltet er sein ganz eigenes Nachtleben. ICE-Werk<br />
Frankfurt-Griesheim, kurz vor halb zehn am Abend: Das<br />
Tor surrt nach oben und scheinbar müde vom Tag schiebt<br />
sich ein ICE 3 in die blitzblanke Halle. „Haut rein!“, ruft<br />
Ingenieur Wolfgang Schmidt seinen Technikern zum<br />
Abschluss der kurzen Dienstbesprechung zu.<br />
Zahlreiche Checklisten abarbeiten<br />
Die Zeit drängt. Genau acht Stunden haben die Schlosser,<br />
Mechatroniker, Entstörer, Klimatechniker und Elektroniker,<br />
um die erste Hälfte der Inspektionsstufe 1 zu<br />
erledigen: Laufwerkskontrolle, Bremsrevision, Klimaanlage,<br />
Türen, Stromabnehmer, Toiletten, Fahrgastinformationssystem.<br />
Eine lange Checkliste ist abzuarbeiten.<br />
Wenn die Sonne wieder aufgeht, muss der Zug pünktlich<br />
wieder auf die Strecke.<br />
ICE-Instandhaltung just in time: „Vor zwei Jahren haben<br />
wir für den ICE die modularisierte Instandhaltung<br />
entwickelt“, erklärt Schmidt. Früher fi el jeder ICE für die<br />
nach jeweils zirka 80.000 Kilometern fällige Inspektion<br />
mindestens einen Tag aus. „Jetzt machen wir das in zwei<br />
Nächten, ohne dass wir den Zug aus dem Verkehr ziehen<br />
Pit Stop Im DB-Werk Griesheim geht es Nacht für Nacht zu wie beim Formel-1-Zirkus des Bernie Ecclestone. Nacheinander treff en Züge der ICE-<br />
Flotte ein, es erfolgen Wartungs- und Revisionsarbeiten und frühmorgens gehen die Einheiten wieder auf die Strecke.<br />
„Mit dem Zug in die Freiheit“<br />
Natürlich haben wir bei Hertha BSC<br />
einen Mannschaftsbus. Aber für uns<br />
ist der ICE auf vielen Strecken eine<br />
schnelle und komfortable Alternative.<br />
Zu unseren Bundesliga-Auswärtsspielen<br />
fahren wir von Berlin aus mit dem<br />
ICE. Die Spieler genießen die Bewegungsfreiheit<br />
und dass sie unterwegs<br />
machen können, was sie wollen.<br />
Ich habe schon vor Jahren den Reiz<br />
des <strong>Bahn</strong>fahrens entdeckt und genieße<br />
den Komfort in der 1. Klasse. Ich<br />
sitze 20 bis 25 Mal pro Jahr im Zug,<br />
bin auch oft allein und gewissermaßen<br />
„in Zivil“ unterwegs, denn als<br />
Trainer muss ich unsere nächsten<br />
Gegner unter die Lupe nehmen.<br />
Die Zeit im Zug ist für mich ideal zum<br />
Arbeiten, etwa für Video-Analysen am<br />
Laptop. Ich halte da auch mal ein Nickerchen,<br />
und erkennt mich jemand,<br />
gebe ich gern ein Autogramm. Man<br />
kann sagen, dass ich zur Generation<br />
ICE gehöre, und das nicht nur, weil<br />
die <strong>Bahn</strong> Sponsor meines Vereins ist.<br />
Mit der <strong>Bahn</strong> verbinde ich auch persönlich<br />
eine wichtige Erinnerung.<br />
Nachdem ich mich 1983 in Belgrad vor<br />
einem Europacup-Spiel von meinem<br />
damaligen DDR-Fußballteam abgesetzt<br />
hatte, fuhr ich mit der <strong>Bahn</strong> in<br />
die Bundesrepublik. Mein Zug in die<br />
Freiheit war ein überheizter Schlafwagen<br />
von Ljubljana nach München.<br />
Falko Götz (45) Trainer des Fußball-<br />
Bundesligisten Hertha BSC Berlin.<br />
52 53
Futuristisch Architektonisches Ausrufezeichen Flughafen-<strong>Bahn</strong>hof Frankfurt. Ebenso modern geht es in der Zentralen Transportleitung der DB zu,<br />
wo digitale Weg-Zeit-Diagramme den Mitarbeitern und ihrem Chef Thomas Göwert (re.) die Überwachung des Fernverkehrs erleichtern.<br />
Gunilla Kaiser (32) Geowissenschaftlerin in<br />
der Kieler Christian-Albrechts-Universität.<br />
„Keine Staus und keinen Stress“<br />
Eigentlich gehöre ich aufgrund meines<br />
Jahrgangs der Generation Golf<br />
an, aber wenn es auch eine Generation<br />
ICE gibt, fühle ich mich zumindest<br />
als Grenzgängerin. Die individuelle<br />
Mobilität des eigenen Autos<br />
schätze ich zwar, aber auf längeren<br />
Strecken überwiegen die Vorteile des<br />
ICE doch bei weitem. So zu reisen<br />
geht einfach wesentlich schneller,<br />
und ich erspare mir Staus und den<br />
Stress langer Autobahnetappen.<br />
Im ICE komme ich nicht nur ausgeruhter<br />
an, sondern kann die Dienstreisen<br />
auch für Besprechungen mit<br />
meinen Kollegen nutzen oder mich<br />
auf auswärtige Termine vorbereiten.<br />
Mit meinem Laptop und der Steckdose<br />
am Platz mache ich den Zug zum<br />
rollenden Büro. Ich kann auch lesen,<br />
Musik hören oder aus dem Fenster<br />
schauen. Im ICE genieße ich die Freiheit,<br />
tun und lassen zu können, was<br />
mir gefällt. Bei meinem Wochenendtrip<br />
kürzlich nach München hatte ich<br />
endlich mal wieder die Gelegenheit,<br />
ein Buch im wahrsten Sinn des Wortes<br />
in einem Zug durchzulesen.<br />
Und als Wissenschaftlerin, die sich<br />
mit den Folgen des Klimawandels<br />
beschäftigt, weiß ich natürlich um<br />
die Risiken von Treibhausgasemissionen,<br />
und das ist für mich ein weiteres<br />
Argument für den ICE.<br />
Der ICE stärkt das<br />
Zukunftsgeschäft<br />
und ist für das gesamte<br />
Eisenbahnsystem der<br />
Technologieträger.<br />
müssen.“ Das ist wirtschaftlich gesehen ein großer Vorteil,<br />
denn Hochgeschwindigkeitszüge sind besonders teure<br />
und wertvolle Fahrzeuge, jeder Stillstand kostet Geld.<br />
In sieben ICE-Werken sind Nacht für Nacht Ingenieure,<br />
Techniker und Handwerker im Einsatz, um die Hochgeschwindigkeitsfl<br />
otte der <strong>Bahn</strong> für den nächsten Tag fi t<br />
zu machen: Hamburg zum Beispiel ist Heimathafen des<br />
ICE 1, Berlin wartet den ICE 2, München den ICE 3 und<br />
den ICE T, Frankfurt-Griesheim kümmert sich um die<br />
mehrsystemfähigen ICE 3 und ICE T, die über Grenzen<br />
hinweg ins Ausland fahren können. Dort laufen auch die<br />
Vorbereitungen für den Start der ICE-Linie Frankfurt/<br />
M.–Paris auf Hochtouren.<br />
Der ICE hat sich als europäisches Qualitätsprodukt<br />
„made in Germany“ etabliert. In die Schweiz, nach Österreich,<br />
Holland und Belgien fährt der ICE schon seit Jahren,<br />
2007 dehnt er seinen Aktionsradius nach Frankreich<br />
aus. Japan, Frankreich und Deutschland bilden das globale<br />
Spitzentrio im Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der<br />
Schiene. Der ICE sei Technologietreiber für das gesamte<br />
System <strong>Bahn</strong>, hat Konzernchef Hartmut Mehdorn kürzlich<br />
gesagt. Er stärke die Zukunft des Schienenverkehrs<br />
insgesamt.<br />
Und er hat der Generation ICE mit ihren fortgeschrittenen<br />
Mobilitätsbedürfnissen eine Heimat für unterwegs<br />
gegeben. Der umtriebige Unternehmer Schneider rührt<br />
in der Leipziger DB Lounge seinen grünen Tee um. Sein<br />
Geschäftstermin bei der Stadtverwaltung ist vorüber,<br />
jetzt wartet der IT-Unternehmer in behaglicher Atmosphäre<br />
auf den Zug zurück Richtung Frankfurt. „Theoretisch<br />
könnte ich die Strecke fl iegen, aber damit bin ich<br />
auch nicht schneller, außerdem wird man beim Fliegen<br />
alle halbe Stunde aufgescheucht.“<br />
Ein Rastloser sei er, bekennt der Vielfahrer Thomas<br />
Schneider, der sich nicht nur berufl ich, sondern auch aus<br />
Neugier gern durch die Welt treiben lässt. „Das Reisen<br />
hält auch geistig mobil.“ Er pfl egt einen bundesweiten<br />
Freundeskreis und verschlingt das riesige Angebot der<br />
Metropolen zwischen Köln, München und Hamburg gern<br />
auch mal spontan. „Bis zum nächsten Anschluss dauert<br />
es nie länger als eine Stunde.“ Der ICE gibt Thomas<br />
Schneider die Freiheit, wie er sie liebt. Er klappt seinen<br />
Sitz nach hinten, macht die Beine lang, lässt Deutschland<br />
mit Tempo 200 oder 300 an sich vorbeiziehen und stellt<br />
seine Augen „auf unendlich“.<br />
Peter Lesser (73) Unternehmensberater und Gründer<br />
des Vereins „Sportspaß“.<br />
„Der gewisse<br />
Verwöhn-Eff ekt“<br />
Wer wie ich nie ein Auto, geschweige denn einen<br />
Führerschein besessen hat, verlässt sich mehr als<br />
andere bei der Organisation seiner Mobilität auf<br />
die <strong>Bahn</strong> – berufl ich und privat. Insofern bin ich<br />
von erster Stunde an vom ICE begeistert gewesen.<br />
Mir kam es 1991 wie ein Wunder vor, dass ich<br />
plötzlich in ungefähr zwei Stunden von Hamburg<br />
nach Kassel reisen konnte. Heute geht es genauso<br />
schnell nach Berlin, die Geschwindigkeit fasziniert<br />
mich jedes Mal aufs Neue. Man vergisst ja leicht,<br />
wie es vorher war.<br />
Ich habe die Stimmung und Atmosphäre im ICE<br />
immer hervorragend nutzen können, um kreativ zu<br />
arbeiten, früher für Buchprojekte, bis heute auf<br />
dem Weg zu Seminaren und Vorträgen. Gäbe es<br />
diesen Zug nicht, bliebe auch meine dicke Wochenzeitung<br />
meistens ungelesen. Mir persönlich<br />
reicht der Komfort in der 2. Klasse vollauf. Wenn<br />
es dort allerdings sehr voll ist, gönne ich mir spontan<br />
ein Upgrade in die 1. Klasse.<br />
Mein Aufenthalt an Bord ist immer strukturiert:<br />
Erstens arbeiten, zweitens Zeitung lesen und drittens<br />
gern ein Besuch im Bistro, wo ich seit ewiger<br />
Zeit den Nürnberger Rostbratwürstchen die Treue<br />
halte. Seitdem in der Bordgastronomie nicht mehr<br />
geraucht werden darf, besuche ich sie noch lieber.<br />
Reisen im ICE haben für mich den gewissen Verwöhn-Eff<br />
ekt, das gilt natürlich auch, wenn ich mit<br />
meiner Frau zum Vergnügen reise: Sie weiß die<br />
Qualität des deutschen ICE-Systems so richtig zu<br />
schätzen, seit sie einmal mit italienischen Zügen<br />
bis hinunter nach Sizilien gefahren ist.<br />
54 55
Im Zauberwald Ein ICE unterwegs mit<br />
Tempo 300 auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />
bei Allersberg<br />
nahe Nürnberg.<br />
56 57
Strahlkraft Stadtstrand an der<br />
Spree und dazu das Glanzlicht<br />
eines lauen Sommerabends: Blick<br />
auf den neuen Hauptbahnhof aus<br />
Liegestuhl-Perspektive.<br />
Verkehrsknoten<br />
Laufsteg <strong>Bahn</strong>hof<br />
Die Welt war zu Gast und die Welt war begeistert: Rechtzeitig zur Fußball-WM<br />
öffnete Berlins neuer Hauptbahnhof seine Pforten und seitdem ist er Glanzlicht<br />
der Metropole, ihr modernster Touristenmagnet und zugleich Treffpunkt von<br />
Millionen Reisenden.<br />
58 59
Traumhaft Die rundum verglasten<br />
Aufzüge des Hauptbahnhofs werden<br />
ihrem Namen gerecht. Sie bieten echtes<br />
Panorama und die gewährten<br />
Ausblicke bezaubern auch Kinder.<br />
60 61
Eingeschwungen Über 320 Meter verläuft die Trasse in West-Ost-Richtung unter einem Glasdach.<br />
Als größter und modernster<br />
Kreuzungsbahnhof Europas<br />
ist dieses Bauwerk in jeder<br />
Hinsicht eine Visitenkarte des<br />
21. Jahrhunderts.<br />
Farbtupfer Cafés am Berliner Hauptbahnhof<br />
verbreiten schon vor der Abreise Urlaubsfl air.<br />
Graziös Wer mit der Mode Schritt hält, fl aniert<br />
in High Heels durch die 160 Meter lange Halle.<br />
ICE-Geschwisterpaar Täglich verkehren im Berliner Hauptbahnhof hunderttausende Reisende mit 225 Fern- und 325 Regionalzügen sowie 627 S-<strong>Bahn</strong>en.<br />
Verspiegelt Gleich einem Vexierbild erscheint dem Besucher auf der Rolltreppe nach oben die verglaste Eingangsfassade im Gegenlicht.<br />
Metropolis Berliner Lebensgefühl und ein Schuss europäisches Flair<br />
zum Cappuccino. Mindestens bis 22 Uhr am Abend.<br />
Essen und Trinken Das Einkaufs- und Gastronomieangebot umfasst<br />
80 Geschäfte auf 15.000 Quadratmetern Fläche.<br />
Sonnenbaden Man muss nicht verreisen, man kann auch einfach den<br />
Tag genießen – etwa auf den weitläufi gen <strong>Bahn</strong>hofsterrassen.<br />
62 63
Reisefi eber Einfahrt ICE und zugleich:<br />
Abschied von Berlin. Wer den<br />
Hauptbahnhof zum ersten Mal betreten<br />
hat, kann jetzt zu Hause davon erzählen.<br />
Eine letzte Zahl noch für den Heimweg:<br />
Mit der Eröff nung des Verkehrsknotens<br />
entstanden 900 neue Arbeitsplätze.<br />
64 65
Historie<br />
Aktie Eisenbahn<br />
In dieser Legislaturperiode ist die Teilprivatisierung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong><br />
vorgesehen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hatte privater Unternehmergeist<br />
das Rückgrat des Eisenbahnbaus in Europa gebildet.<br />
ls ob die Zeit keine Spuren hinterlassen<br />
hätte, so sieht Nürnberg<br />
1835 von der Ferne aus.<br />
Die mittelalterliche Burg prägt das<br />
Stadtbild, die dicken Stadtmauern<br />
stehen noch, sie markieren die Grenze<br />
zwischen Stadt und Land. Außerhalb<br />
der Stadtgrenze ist noch viel<br />
freie Fläche. Das ist die Voraussetzung<br />
dafür, dass die Funktion einer<br />
Festungsstadt bewahrt bleibt. Doch<br />
ausgerechnet hier, in der so altertümlich<br />
scheinenden Stadt wird dann am<br />
7. Dezember 1835 die erste Eisenbahn<br />
in Deutschland fahren. Unter dem<br />
Beifall des staunenden Publikums<br />
hat der Fortschritt Nürnberg erreicht<br />
und wird nach und nach Einzug in<br />
andere Städte und Regionen halten.<br />
Die Mauern haben ihre Bedeutung<br />
als Bewahrer des Alten verloren. Die<br />
ehemalige Reichsstadt, die über Jahrhunderte<br />
von Patrizierfamilien re-<br />
giert wurde, ist 1806 zu einer Stadt<br />
des Königreichs Bayern geworden.<br />
Das Bündnis der Wittelsbacher mit<br />
Napoleon hatte einen neuen Staat<br />
entstehen lassen, dessen Gesetze nun<br />
auch für die Bürger<br />
der fränkischen Metropole<br />
galten. Doch<br />
der Weg zu einer modernen,<br />
allen Neuerungenaufgeschlossen<br />
Stadt war für die<br />
Nürnberger nicht einfach.<br />
Die französisch<br />
inspirierten Reformen<br />
in Bayern mit der revolutionärenTren-<br />
nung von Justiz, Polizei<br />
und Verwaltung<br />
hatten für das Wirtschaftsleben<br />
der Stadt<br />
nur langsam ihre positive Wirkung<br />
entfalten können. Die Folgen der<br />
napoleonischen Kriege waren zu<br />
schwerwiegend. Binnen weniger<br />
Jahre halbierten sich die Geschäftsergebnisse<br />
der traditionsreichen<br />
Nürnberger Handelshäuser um die<br />
Hälfte und die<br />
Produkte des<br />
Nürnberger<br />
Gewerbes<br />
fan den auch<br />
kaum noch<br />
Abnehmer.<br />
Weitsichtig Mathias Stinnes<br />
setzte früh auf die Antriebskraft<br />
durch Dampfmaschinen.<br />
1 PS Kutschen<br />
und Fuhr werke<br />
mussten zuerst<br />
der Eisenbahn und<br />
dann dem Automobil<br />
weichen.<br />
Die Zeit für eine Wiederbelebung der<br />
städtischen Wirtschaft war längst gekommen.<br />
Dabei konnten die Nürnberger<br />
nicht auf Hilfe von außen warten.<br />
Wie überall in den deutschen<br />
Ländern nach<br />
1815 sind es vor allem<br />
die handel- und gewerbetreibenden<br />
Bürger,<br />
die interessiert über die<br />
Stadtmauern hinausschauen<br />
und sowohl<br />
die politischen als auch<br />
die wirtschaftlichen<br />
Neuigkeiten aus ganz<br />
Europa aufmerksam<br />
verfolgen. Noch ist es<br />
die Postkutsche, die<br />
Nachrichten von Neuerungen<br />
aller Art in die<br />
Städte bringt. Briefe, Zeitungen, aber<br />
auch die mündlichen Berichte von<br />
Kaufl euten, reisenden Handwerkern,<br />
Gelehrten und Abenteurern erreichen<br />
schnell ein wissbegieriges<br />
Publikum.<br />
Auch die Nachrichten von den<br />
ersten Versuchen, die Dampfmaschine<br />
auf Räder zu stellen und ihre Kraft<br />
für die Fortbewegung zu nutzen, verbreiten<br />
sich wie ein Lauff euer. Begierig<br />
werden sie von reformfreudigen<br />
Bürgern aufgegriff en. Besonders in<br />
Franken setzt man neben den politischen<br />
Forderungen nach einer Verfassung,<br />
wirtschaftlicher Liberalisierung<br />
und der Erneuerung des<br />
Bildungswesens auf eine Verbesserung<br />
der Verkehrswege, um am nur<br />
langsam wachsenden Wohlstand teilhaben<br />
zu können. Nürnberg soll wieder<br />
zu einem Zentrum des europäischen<br />
Handels werden.<br />
Ludwigsbahn Eine Aktiengesellschaft<br />
fi nanziert die Strecke Nürnberg–Fürth.<br />
Auf die Unterstützung des bayerischen<br />
Königshauses können die Bürger<br />
Nürnbergs hier durchaus setzen.<br />
Hatte doch der König, nachdem er<br />
den Aufbau einer Versuchseisenbahn<br />
im Nymphenburger Schlosspark<br />
1825 gestattete, auch den Nürnbergern<br />
bei einem Besuch nahe<br />
gelegt, eine Eisenbahnlinie zur<br />
benachbarten Stadt Fürth zu planen.<br />
Entlang der hochfrequentierten,<br />
1804 eröff neten Chaussee zwischen<br />
beiden Städten soll die Eisenbahn gebaut<br />
werden.<br />
Inzwischen war in England der<br />
Beweis erbracht worden, dass die<br />
Eisenbahn nicht nur funktionierte,<br />
sondern auch ein ausgesprochen rentables<br />
Geschäft war. Vor allem die<br />
Nachrichten über die sowohl für den<br />
Personen- als auch für den Güterverkehr<br />
ausgelegte, gut 50 Kilometer<br />
lange Strecke zwischen Liverpool<br />
und Manchester, ließ potenzielle Investoren<br />
aufhorchen. Das Transport-<br />
aufkommen stieg, die Kosten waren<br />
weit günstiger als die der Kanalschiffer<br />
oder Landspediteure, und die<br />
Renditen auf das in Form von Aktien<br />
aufgebrachte Kapital waren enorm.<br />
Wie überall in Europa inspiriert<br />
das englische Vorbild auch die Kaufleute<br />
in Nürnberg und Fürth. Auf<br />
den bayerischen Staat als Investor<br />
wartet man nicht mehr. Der favorisiert<br />
inzwischen auch den Kanalbau.<br />
Am 14. März 1833 ist es dann so weit:<br />
Die „Gesellschaft für die Errichtung<br />
einer Eisenbahn mit Dampff ahrt zwischen<br />
Nürnberg und Fürth“ wird gegründet.<br />
Das für den Bau und Betrieb<br />
als notwendig errechnete Kapital beträgt<br />
175.000 Gulden – das entspricht<br />
heute einer Summe von etwa fünf<br />
Millionen Euro. Es soll über die<br />
Zeichnung von Aktien aufgebracht<br />
werden. Mit dieser Form der Finanzierung<br />
betreten die Nürnberger und<br />
Fürther Neuland. Erfahrungen hat<br />
man damit noch nicht, denn für den<br />
Vom englischen<br />
Vorbild inspiriert<br />
ergreift ganz<br />
Europa das<br />
Eisenbahnfieber.<br />
Bau von Eisenbahnen wurden Summen<br />
benötigt, die die Vorstellungswelt<br />
auch erfolgreicher und wagemutiger<br />
Unternehmer in den deutschen<br />
Ländern überschreiten. Der übliche<br />
Kapitalbedarf frühindustrieller Betriebe<br />
nimmt sich dagegen bescheiden<br />
aus. Er kann mittels Selbstfi nanzierung,<br />
also mit eigenem Vermögen<br />
des Unternehmers, der Familie oder<br />
eines Teilhabers gedeckt werden.<br />
Auch ein erfolgreicher Kaufmann<br />
und Unternehmer wie Mathias Stinnes,<br />
der 1843 als Erster einen mit<br />
Dampfkraft angetriebenen Kahn auf<br />
66 67
dem Rhein einsetzt, kann so seine Investition<br />
tätigen. Für Eisenbahnen<br />
aber reichten Darlehen von Freunden<br />
und Familienangehörigen bei<br />
weitem nicht aus.<br />
Unternehmerisches Wagnis<br />
Die Aktiengesellschaft hatte im Fall<br />
des Eisenbahnbaus nicht nur den<br />
Vorteil, dass das Risiko auf mehrere<br />
Schultern verteilt wurde, sondern sie<br />
war auch „Gesellschaft“. Dies in einem<br />
durchaus bürgerlichen, jedoch<br />
aus der Zeit des Vormärz heraus zu<br />
verstehenden Sinn. Von den insgesamt<br />
207 zeichnenden Aktionären<br />
der Nürnberg-Fürther-Eisenbahngesellschaft<br />
stammte der überwiegende<br />
Teil aus dem fränkischen Raum. Es<br />
investierten vor allem die wohlhabenden<br />
Kaufl eute aus der Region. Allein<br />
der Nürnberger Marktvorsteher<br />
Georg Zacharias Plattner erwarb<br />
Aktien im Wert von 11.000 Gulden.<br />
Aber auch Kleinaktionäre, mehrheitlich<br />
Gewerbetreibende, beteiligten<br />
sich an dem Vorhaben, indem sie 100<br />
Gulden aufbrachten, um eine Aktie<br />
zu erwerben. Die Aussicht auf eine<br />
gute Rendite spielte bei der Entscheidung,<br />
Teilhaber einer Aktiengesellschaft<br />
zu werden, ebenso eine Rolle<br />
wie die prinzipielle Bereitschaft, sich<br />
für ein lokales Projekt zu engagieren.<br />
Das liberale Credo der Zeit, dass sich<br />
private Interessen und öff entlicher<br />
Nutzen gut miteinander <strong>verbinden</strong><br />
ließen, schien sich gerade in der<br />
Finanzierung des Eisenbahnbaus zu<br />
beweisen. Man erwartete keine großen<br />
Gewinne, aber zumindest angemessene.<br />
Das eingesetzte Geld sollte<br />
so viel bringen, wie es die Zeichnung<br />
einer Staatsanleihe gebracht hätte.<br />
Unternehmerisches Wagnis, kaufmännisches<br />
Kalkül und die Überzeugung,<br />
den Wohlstand einer Region<br />
auf Dauer zu sichern, veranlassen die<br />
Bürger nicht nur in Nürnberg sondern<br />
auch in Leipzig, Dresden,<br />
Berlin sowie in Düsseldorf, Elberfeld,<br />
Magdeburg, Köln, München, Augsburg<br />
und Frankfurt am Main zur<br />
Gründung von Eisenbahnaktien-<br />
Begehrte Papiere Es herrscht „Eisenbahnwuth“.<br />
Kurszettel der damals an der Berliner<br />
Börse gehandelten <strong>Bahn</strong>gesellschaften.<br />
gesellschaften aufzurufen. Auf ein<br />
nationales Eisenbahnsystem, wie es<br />
Friedrich List propagiert hatte –<br />
eventuell durch die Staaten des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bundes fi nanziert – warten die<br />
Kaufl eute und unternehmerisch gesinnten<br />
Bürger der Städte nicht. Abgesehen<br />
von den Schwierigkeiten,<br />
die konkurrierenden politischen und<br />
wirtschaftlichen Interessen der insgesamt<br />
33 Einzelstaaten und vier<br />
freien Städte unter einen Hut zu<br />
bringen, war den Initiatoren des Eisenbahnbaus<br />
auch bewusst, dass von<br />
den Finanzministern der deutschen<br />
Länder nicht die Summen aufgebracht<br />
werden konnten, wie sie für<br />
den Bau von Eisenbahnstrecken benötigt<br />
wurden.<br />
Konventionelle Modelle der Finanzierung<br />
von Infrastrukturleistungen<br />
über Staatsanleihen waren<br />
nicht mehr geeignet, die für den<br />
<strong>Bahn</strong>bau erforderlichen Kapitalmengen<br />
aufzubringen. Mit der Gründung<br />
von Eisenbahnaktiengesellschaften<br />
und der Zeichnung von frei handelbaren<br />
Aktien existierte aber eine<br />
Antwort auf die bisher unbekannten<br />
Bei 20 Prozent<br />
Rendite zeichneten<br />
neben Kaufleuten<br />
und Industriellen<br />
auch kleine Leute<br />
„Actien“.<br />
fi nanziellen Herausforderungen. Aktiengesellschaften<br />
waren geeignet,<br />
einen großen Kreis von Investoren<br />
zusammenzuführen. Darunter eben<br />
nicht nur Bankiers und Kaufl eute,<br />
sondern auch weniger wohlhabende<br />
Bürger. Über die Aktiengesellschaft<br />
konnten sich so die Bürger einer<br />
Stadt an einem Investitionsvorhaben<br />
beteiligen, das individuelles Geschäft<br />
mit der Aussicht auf ein allgemeines<br />
Wirtschaftswachstum miteinander<br />
verband.<br />
Das englische Vorbild und der unternehmerische<br />
Erfolg der sechs<br />
Kilometer langen Ludwigsbahn zwischen<br />
Nürnberg und Fürth – im<br />
ersten Jahr wurde eine Dividende<br />
von 20 Prozent ausgezahlt – lösten<br />
eine regelrechte Gründungswelle<br />
von Eisenbahnaktiengesellschaften<br />
aus. Und dort, wo die Gesellschaften<br />
genehmigt wurden, konnte man sich<br />
zunächst vor Interessenten kaum retten.<br />
In Frankfurt am Main, wo man<br />
traditionell das Geschäft mit Staatsanleihen<br />
betrieb und wo viel Erfahrung<br />
mit dem Handel von Wertpapieren<br />
existierte, sprach ein 1837<br />
erschienener Bericht von einer regelrechten<br />
„Eisenbahnwuth“, einer<br />
Krankheit, die off ensichtlich ansteckend<br />
war und die sofort nach Auslegung<br />
der Zeichnungslisten den Millionär<br />
ebenso erfasste wie den<br />
Proletarier. Vor allem Eisenbahngesellschaften,<br />
deren Strecken Gewinn<br />
versprachen, also zwischen den<br />
Zentren von Handel und Gewerbe,<br />
waren schnell überzeichnet.<br />
Allerdings durfte es bei der Realisierung<br />
von Eisenbahnstrecken nicht<br />
zu Schwierigkeiten wie Verzögerungen<br />
bei der Konzessionsvergabe, dem<br />
Bau oder der Inbetriebnahme kommen.<br />
Denn dann waren die Zeichner<br />
schnell nicht mehr dazu bereit, in das<br />
Unternehmen zu investieren. Etwa<br />
bei der Münchner-Augsburger-Eisen-<br />
bahngesellschaft und der Rheinischen<br />
Eisenbahn war dies der Fall.<br />
Erfolg und Misserfolg hingen also<br />
stark mit dem Geschick der jeweiligen<br />
Unternehmensführung, ihrem<br />
fi nanziellen Rückhalt bei kapitalkräftigen<br />
Bank- und Handelshäusern<br />
sowie der regionalen Herkunft der<br />
Aktionäre zusammen. Gerade die<br />
Anfangszeit des Eisenbahnbaus zeigte,<br />
dass es vor allem die Geldgeber<br />
der jeweiligen Region waren, die wesentlich<br />
zum Erfolg eines Unternehmens<br />
beitrugen. Auswärtige Zeichner<br />
neigten dagegen eher dazu, bei<br />
den ersten Schwierigkeiten sich zurückzuziehen.<br />
Entwicklung Kapitalmarkt<br />
Immer wieder traten Finanzierungsprobleme<br />
beim Eisenbahnbau auf.<br />
Das war dann auch mit ein Grund,<br />
weshalb zum Beispiel der bayerische<br />
Staat den Eisenbahnbau unter seine<br />
Regie nahm. Auch gab es kleinere<br />
Länder wie Braunschweig oder Baden,<br />
die sich aus grundsätzlichen<br />
staatspolitischen und fi skalischen<br />
Überlegungen für den Eisenbahnbau<br />
auf Staatskosten entschieden hatten.<br />
Ganz überwiegend aber bildeten die<br />
privaten Eisenbahn-Aktiengesellschaften<br />
das Rückgrat des Eisenbahnbaus<br />
und trugen darüber hinaus maßgeblich<br />
zum Siegeszug der Unternehmensform<br />
Aktiengesellschaft in<br />
Deutschland bei. So verdankte Berlin<br />
seinen Aufstieg zu einem wichtigen<br />
Börsenplatz ganz entscheidend den<br />
Eisenbahnaktien. Wurden 1841 an<br />
der Spree gerade mal die Papiere von<br />
drei Eisenbahngesellschaften gehandelt,<br />
waren sechs Jahre später bereits<br />
30 Eisenbahnaktiengesellschaften in<br />
51 Emissionen notiert. Tatsächlich<br />
hatte der Eisenbahnbau viel dazu beigetragen,<br />
dass sich in den deutschen<br />
Ländern überhaupt erst ein Kapitalmarkt<br />
entwickelte.<br />
Nach anfänglichem Zögern tat auch<br />
die preußische Regierung das Ihrige<br />
dazu, dass genügend Geld für den<br />
Bau der Eisenbahn aufgebracht werden<br />
konnte. Denn bei aller Euphorie<br />
und „Eisenbahnwuth“ der Anfangsjahre<br />
zeigte sich doch, dass in dem<br />
überwiegend ländlich geprägten<br />
Preußen nicht jede Strecke privat zu<br />
fi nanzieren war. Renditen wie sie im<br />
industrialisierten England erzielt<br />
wurden, ließen sich eben nur dort erreichen,<br />
wo auch mit dem entsprechenden<br />
Personen- und Güteraufkommen<br />
zu rechnen war. Um<br />
konservative Investoren überhaupt<br />
für den Eisenbahnbau zu interessieren,<br />
senkte die preußische Regierung<br />
die Renditen ihrer festverzinslichen<br />
Papiere. Sowohl die Verzinsung der<br />
Staatsschuldscheine wie auch der<br />
landwirtschaftlichen Pfandbriefe und<br />
Obligationen wurden auf 3,5 Prozent<br />
herabgestuft. Hinzu kam die 1842<br />
beschlossene Zinsgarantie auf einige<br />
Aktiengesellschaften von ebenfalls<br />
3,5 Prozent. Zusätzlich wurden die<br />
Eisenbahngesellschaften von der<br />
Grund- und Gewerbesteuer befreit.<br />
All diese staatlichen Maßnahmen<br />
pumpten frisches Geld in den Markt.<br />
Für Investoren minimierte sich das<br />
Risiko; zugleich partizipierten sie an<br />
den Gewinnchancen, die bei Erfolg<br />
der Unternehmung in Aussicht standen.<br />
Kein Wunder, dass 1843 die Eisenbahnaktien,<br />
für die staatliche<br />
Zinsgarantien vorlagen, sogar zu<br />
mündelsicheren Papieren erklärt<br />
Saxonia Die erste funktionstüchtige Lok<br />
wurde 1838 in Deutschland gebaut.<br />
Geschichtsträchtig Aus dem Gründungsjahr<br />
der deutschen Eisenbahn: Aktie der Nürnberg<br />
Fürther Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft.<br />
werden konnten. Das bedeutet, sie<br />
waren für die Anlage vormundschaftlich<br />
verwalteter Gelder – zum Beispiel<br />
von Witwen und Waisen – zugelassen,<br />
was ihrer Einstufung in die<br />
höchste Bonitätsklasse gleichkam.<br />
Damit aber war unwillkürlich eine<br />
neue Spekulationswelle losgetreten.<br />
Ludolf Camphausen, selbst Bankier<br />
und Finanzier von Eisenbahngesellschaften,<br />
schrieb: „Das Eisenbahnfi<br />
eber ist stärker als jemals, es grenzt<br />
an Wahnsinn.“ So wurde etwa das im<br />
Jahr 1844 ausgeschriebene Kapital<br />
der Köln-Krefelder Eisenbahn-Gesellschaft<br />
um das Zwanzigfache überzeichnet.<br />
Diese Entwicklung veranlasste<br />
die preußische Regierung<br />
erneut einzugreifen: Nun musste<br />
jede Eröff nung von Aktienzeichnungen<br />
vom Finanzminister ausdrücklich<br />
genehmigt werden. Ziel dieser<br />
neuen Regelung war es, den Kapitalmarkt<br />
wieder stärker zu steuern und<br />
auch die Kontrolle des Zentralstaats<br />
über den Eisenbahnbau zu stärken.<br />
Eine klare wirtschaftspolitische<br />
Linie war das allerdings nicht. Für<br />
potenzielle Investoren, auf deren<br />
68 69
langfristiges Engagement die<br />
privaten Eisenbahnunternehmer<br />
angewiesen waren,<br />
änderte sich die<br />
Geschäftsgrundlage innerhalb<br />
nur weniger Jahre.<br />
Entsprechend groß war die<br />
Verunsicherung.<br />
Überhaupt stellte sich für die preußische<br />
Regierung immer mehr die<br />
Frage, ob die Finanzierung des Eisenbahnbaus<br />
nicht gänzlich als staatliche<br />
Aufgabe defi niert werden sollte.<br />
Dabei handelte es sich nicht um eine<br />
theoretische Debatte, vielmehr zeigte<br />
sich, dass das preußische Modell<br />
des Eisenbahnbaus – Planungshoheit<br />
und Verfügungsgewalt beim Staat,<br />
Finanzierung durch wohlhabenden<br />
Bürger und die Bank- und Handelshäuser<br />
– nur dann funktionierte,<br />
wenn sich die Interessen zwischen<br />
Staat und Geldgebern beziehungsweise<br />
den regionalen Meinungs- und<br />
Entscheidungsträgern deckten. Bei<br />
rentablen Strecken war dies meistens<br />
gegeben, auch wenn die preußische<br />
Bürokratie die entscheidungsfreudigen<br />
und unternehmungslustigen<br />
Wirtschaftsbürger im Westen des<br />
Landes manchmal schier in die Verzweifl<br />
ung trieb. Im Fall von klassischen<br />
Infrastrukturmaßnahmen, wie<br />
dem Bau der sogenannten Ostbahn,<br />
die Berlin mit Königsberg <strong>verbinden</strong><br />
sollte, funktionierte das Modell nicht<br />
mehr. Für die als „vaterländisch“<br />
wichtig defi nierte <strong>Bahn</strong> fanden sich<br />
trotz Zinsgarantie nicht genügend<br />
Geldgeber.<br />
Verkehrsinfrastruktur<br />
Die mehr als 500 Kilometer lange<br />
Strecke führte durch die Provinz<br />
Preußen. Sie nahm zwar die größte<br />
Fläche ein, war jedoch mit gut zwei<br />
Millionen Einwohnern nur Heimat<br />
für ein Siebtel der Gesamtbevölkerung<br />
des Königreichs. Grundbesitz,<br />
Getreide, Holz und Vieh waren die<br />
wertvollsten Güter der Provinz, ein<br />
nennenswertes Gewerbe gab es nicht.<br />
Auch wenn es in der heftig geführten<br />
Debatte um den Bau der <strong>Bahn</strong> auf<br />
70<br />
Pionierzeiten Bauarbeiten an der Süd-Nord-Strecke im Jahr 1870 nördlich von Bamberg.<br />
Staatskosten hieß, es könne nicht<br />
Aufgabe des Staates sein, „den fehlerhaften<br />
geographischen Bau der preußischen<br />
Monarchie durch eine zweifellos<br />
unrentable, große Zuschüsse<br />
erfordernde <strong>Bahn</strong> zu korrigieren“, so<br />
war man einem größeren Engagement<br />
des Staates mehrheitlich nicht<br />
abgeneigt. Vor allem in Preußen, dessen<br />
geographische Lage staatliche<br />
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur<br />
nahe legte, gab es viele Fürsprecher<br />
einer gemeinwohlorientierten<br />
Staatseisenbahn. Dabei war es<br />
höchst strittig, worin das Gemeinwohl<br />
zu sehen sei. Denn welche Ziele<br />
und Aufgaben waren durch das Gemeinwohl<br />
begründet und vor allem:<br />
Wie sollten dann Aufwand und Ertrag<br />
verrechnet werden? Daher war<br />
es kein Wunder, dass das Bürgertum<br />
endlich Mitsprache und Kontrollrechte<br />
bei der Ausgabe von Steuergeldern<br />
verlangte.<br />
Die alte Forderung nach einer repräsentativen<br />
Verfassung wurde am<br />
Vorabend der Revolution von 1848<br />
auch über die Frage der Finanzierung<br />
des Eisenbahnbaus neu gestellt. Gerade<br />
die Auseinandersetzung im Vereinigten<br />
Landtag von 1847, bei dem<br />
es um die Finanzierung der Ostbahn<br />
ging, gilt heute mit als eine der Initialzündungen<br />
für die Revolution von<br />
1848. Die Mehrheit der ständischen<br />
Vertreter war nicht bereit, dem Antrag<br />
der Regierung auf eine Anleihe<br />
in Millionenhöhe stattzugeben, ohne<br />
dass das alte Verfassungsversprechen<br />
eingelöst wurde. Ein stilles Einvernehmen<br />
zwischen Regierung und<br />
Regierten war bei dem immer größer<br />
werdenden Gegensatz von Staat und<br />
Gesellschaft nicht mehr vorauszusetzen.<br />
David Hansemann, der Wortführer<br />
des liberalen rheinischen<br />
Nach Gründung<br />
des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Reiches werden<br />
Privatbahnen zu<br />
Staatsbahnen.<br />
Bürgertums, brachte es in seiner auch<br />
heute noch viel zitierten Rede auf<br />
den Punkt: „Bei Geldfragen hört die<br />
Gemüthlichkeit auf, da muß blos der<br />
Verstand uns leiten.“<br />
Fehlende Finanzmittel<br />
Nach der Revolution von 1848 geriet<br />
die Eisenbahnfrage wieder in den<br />
Hintergrund. Die Frage Privatbahn<br />
oder Staatsbahn, wie sie heute unter<br />
ganz anderen Vorzeichen gestellt<br />
wird, trat in den Hintergrund. Dass<br />
die Kleinstaaterei und die Ausrichtung<br />
der Privatbahnen auf profi table<br />
Strecken eine aus nationalstaatlicher<br />
Perspektive volkswirtschaftlich wenig<br />
sinnvolle Streckenführung zum<br />
Ergebnis hatte, war ärgerlich, aber<br />
nicht zu ändern. Auch die Tatsache,<br />
dass es sowohl private Aktiengesellschaften<br />
als auch Staatsbahnen gab,<br />
war nicht der geringste Anlass für<br />
ideologisch geführte Debatten um eine<br />
einzig richtige Wirtschaftsform<br />
des Eisenbahnbetriebes. Überhaupt<br />
zeigte man sich ausgesprochen pragmatisch.<br />
Der einzige in der nachrevolutionären<br />
preußischen Regierung<br />
verbliebene rheinische Liberale,<br />
August von der Heydt, sprach sich<br />
als Minister für Handel, Gewerbe<br />
und öff entliche Arbeiten für die Beibehaltung<br />
des sogenannten Mischsystems<br />
zwischen Staats- und Privatbahnen<br />
aus. Allerdings sollten<br />
zukünftig keine Konzessionen<br />
mehr an Privatbahnen vergeben<br />
und diese vielmehr Schritt<br />
für Schritt aufgekauft werden.<br />
Die rechtliche Grundlage<br />
hierfür war mit § 42 des<br />
preußischen Eisenbahngesetzes<br />
von 1838 ge geben. Der<br />
sah vor, dass Eisenbahnunternehmen<br />
nach 30 Jahren<br />
des Betriebes verstaatlicht<br />
werden konnten.<br />
In den folgenden Jahren<br />
fehlte es allerdings an den nötigen<br />
Finanzmitteln, um das Verstaatlichungsprogrammdurchzusetzen.<br />
Die Gelder fl ossen in die<br />
Ostbahn, die 1867 – nach mehr als<br />
15 Jahren Bauzeit – durchgängig zu<br />
befahren war. Erst nach Gründung<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Reiches und dank einer<br />
mittlerweile gut gefüllten Staatskasse<br />
konnten innerhalb weniger<br />
Jahre die meisten Privatbahnen aufgekauft<br />
werden. Von den 12.500 Kilometern<br />
Privatbahnstrecken waren<br />
1885 bereits 11.000 Kilometer verstaatlicht.<br />
Für den preußischen<br />
Finanzminister, dessen Vorgänger<br />
zu Beginn des Eisenbahnbaus 1835<br />
keine Möglichkeiten gesehen hatte,<br />
die enormen Summen für den Eisenbahnbau<br />
aufzubringen, war die<br />
Staatsbahn nun ein Anlass zur<br />
Freude. Denn das System Eisenbahn<br />
war konkurrenzlos und wies dementsprechend<br />
hohe Betriebsüberschüsse<br />
aus. Damit ließen<br />
sich auch unrentable, allein<br />
aus regionalpolitischen<br />
oder militärischen Gründen<br />
gebaute Strecken<br />
rechtfertigen und fi nanzieren.<br />
Für den Beginn<br />
des Eisenbahnzeit alters<br />
in Deutschland und die<br />
Verbreitung des Eisenbahnfi ebers<br />
Deutschland aber ist der Aufruf zur<br />
Gründung von Aktiengesellschaften<br />
von entscheidender Bedeutung gewesen.<br />
Die nur sechs Kilometer lange<br />
Ludwigsbahn in Nürnberg hielt die<br />
Erinnerung daran wach. Sie war inzwischen<br />
zu einer Inselbahn geworden,<br />
existierte jedoch weiter als Aktiengesellschaft,<br />
bis sie schließlich am<br />
31. Oktober 1922 für immer außer<br />
Betrieb gesetzt wurde.<br />
Stahlreifen Arbeiter<br />
transportieren einen<br />
Radreifen im Essener<br />
Bandagenwalzwerk.<br />
71
Automotive<br />
Kettenreaktion<br />
Viele Neuwagen fahren das erste Mal nicht auf der Straße, sondern in Güterzug-<br />
Spezialwaggons. Die DB <strong>AG</strong> bietet der Automobilindustrie umfassende Transport- und<br />
Logistiklösungen aus einer Hand: Supply Chain Management im Fachjargon. Bedeutet:<br />
Material- und Teileanlieferung über „Werk-zu-Werk-Verkehre“ bis hin zur Lieferung der<br />
fertigen Produkte an die Seehäfen, startklar zum Export.<br />
First Class Schauplatz Kornwestheim: Für<br />
den Export bestimmte Porsche-Wagen<br />
treten ihre erste Reise an die Nordsee mit<br />
der <strong>Deutsche</strong>n-<strong>Bahn</strong>-Tochter Railion an.<br />
Die Halle dient einzig dem Verladen der<br />
Sportwagen, produziert im Stammwerk<br />
Zuff enhausen. Gerade nimmt ein 911<br />
Turbo die Kurve zur Waggon-Einfahrt.<br />
72 73
Vorfahrt Im Schritttempo bis an die Zugspitze. Die Verladung der Sportwagen trägt deren<br />
Wert Rechnung: Vorsicht ist oberstes Gebot.<br />
Ausstieg Die Fahrzeuge stehen an ihrem Platz,<br />
sind gesichert – die Arbeit zum Start ist beendet.<br />
Exportgut Vom Seehafen Emden nach Übersee<br />
– rund 300.000 Fahrzeuge transportiert<br />
DB Logistics jährlich zum Kai des dortigen Auto-<br />
Verladeterminals. Hier werden sie auf spezielle<br />
Ro-Ro-Fährschiff e verladen.<br />
Für Porsche-Chef<br />
Wendelin<br />
Wiedeking ist die<br />
DB als europäischer<br />
Logistikpartner<br />
erste Wahl.<br />
Abfahrt Ein letzter Blick auf den Traum eines jeden Autoliebhabers, dann senkt sich das Dach des Güterwaggons ab<br />
und bietet sicheren Rundumschutz.<br />
74 75
Stelldichein In Reih und Glied, bereit zum<br />
Transport ans Fließband: Motoren für die<br />
BMW-Fertigung im Werk Leipzig.<br />
76<br />
„Just in time“ und „just in sequence“ sind die Schlagworte der<br />
Automobillogistik beim Wettlauf mit der Zeit.<br />
udi-Werk in Ingolstadt, Mittwoch früh. Kai<br />
Birnstein schaut auf die Uhr: Halb neun, und<br />
atmet auf. Der Nachtzug aus dem ungarischen<br />
Audi-Werk in Györ ist pünktlich angekommen,<br />
oder – im globalen Logistikjargon – just<br />
in time. Eine Rangierlok schiebt sechs Güterwagen in die<br />
Halle N 20. „Jetzt ist hier gleich Attacke“, kündigt Kai<br />
Birnstein an, Manager bei der Schenker Automotive<br />
RailNet GmbH. Eine mobile Rampe rollt in Stellung, ein<br />
Arbeiter entriegelt Stirn- und Seitenwände der Waggons.<br />
Zum Vorschein kommen fabrikneue Sportwagen vom<br />
Typ Audi TT, geparkt auf zwei Ebenen.<br />
Doch die schicken Bestseller bleiben nicht lange auf<br />
bayerischem Boden. Sie sind in Ungarn montiert und steigen<br />
nur um – vom Audi-Stammwerk in alle Welt. Dafür<br />
müssen sie ein paar hundert Meter selbst fahren. Aus einem<br />
Kleinbus springen Männer, schwingen sich hinter<br />
die Lenkräder der Neuwagen und fl itzen mit ihnen aus<br />
der Halle, um ein paar Kurven, da wartet schon ein anderer<br />
Güterzug nach Emden.<br />
Verlängertes Fließband<br />
Der schwarze Audi TT aus Györ, der gerade noch einmal<br />
kurz bayerischen Boden berührt, ist an seiner Rechtslenkung<br />
leicht als Exportfahrzeug in ein Land mit Linksverkehr<br />
zu erkennen. „Der Wagen geht auf den nächsten Güterzug<br />
zum Ausfuhrhafen“, erklärt Birnstein, via Emden<br />
per Frachter nach Großbritannien, Südafrika, Japan oder<br />
Australien. Hinter jedem Auto, das Audi baut, steht<br />
schon ein Käufer. Jeder neue Audi TT ist ein Einzelstück,<br />
in Farbe, Ausstattung und Motorleistung, gefertigt nach<br />
den Wünschen seines späteren Besitzers.<br />
Das Auto produziert Audi, die komplette Logistikkette<br />
dahinter knüpft DB Logistics – Europas Automobilindustrie<br />
hätte ohne die Eisenbahn ein echtes Problem.<br />
Jeden Tag halten 120 DB-Güterzüge den „Stoff wechsel“<br />
von DaimlerChrysler, Audi, BMW, VW, Porsche oder<br />
Ford aufrecht. Sie befördern Motoren und andere Fahrzeugkomponenten<br />
im Zwischenwerksverkehr durch halb<br />
Europa und liefern fertige Neuwagen in die Seehäfen oder<br />
zu den Händlern in Deutschland. Experten nennen die<br />
Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> Supply Chain Management.<br />
Sie ist damit praktisch das verlängerte Fließband der<br />
Automobilindustrie.<br />
Der hohe Wettbewerbsdruck zwingt die Hersteller,<br />
ihre Produktionsabläufe ständig zu optimieren. Motor,<br />
Getriebe, Karosserie ein und desselben Autos entstehen<br />
heute selten an einem Ort. Alle Komponenten schnell<br />
und preiswert zur Montage zusammenzutragen, haben<br />
Aufgehängt Ausgeklügelte Produktionssoftware steuert zuverlässig<br />
und zeitgenau die Bereitstellung zur Montage.<br />
Ausgepackt Spezielle Teileträger erleichtern das Zwischenlagern und<br />
garantieren bruchsicheren Transport.<br />
die Logistiker von Schenker zu hoher Meisterschaft entwickelt,<br />
auch über Grenzen hinweg. Wenn deutsche Hersteller<br />
neue Werke im Ausland bauen, fährt die Güterbahn<br />
Railion hin: für Audi nach Györ in Ungarn, für<br />
VW nach Bratislava in der Slowakei, für Opel nach<br />
Zaragoza in Spanien.<br />
Noch vor zehn Jahren hätten weder Audi noch ein anderer<br />
Hersteller es für möglich gehalten, zu welchen Leistungen<br />
Railion imstande ist. Ganzzüge zwischen den einzelnen<br />
Werken der Konzerne sind nicht nur umweltverträglicher<br />
als Lkw-Transporte, sondern heute auch so<br />
77
Für den Automobilzulieferer Visteon steuert die <strong>Bahn</strong>-Tochter<br />
Schenker die europaweite Beschaffungs- und Distributionslogistik.<br />
schnell und wirtschaftlich wie nie. „Gerade auf langen<br />
Strecken ist die Schiene unschlagbar“, sagt Railion-Chef<br />
Klaus Kremper.<br />
Kein Wunder, dass auch aus den Chefetagen der Automobilindustrie<br />
deutliche Signale kommen: „Wir setzen<br />
auf die Schiene, weil uns die Straße am Herzen liegt. Die<br />
<strong>Bahn</strong> als starker europäischer Logistikpartner ist dabei<br />
für uns die erste Wahl“, sagte Porsche-Lenker Wendelin<br />
Wiedeking, als er von DB-Chef Hartmut Mehdorn<br />
eine silbergraue Güterzuglok mit der Silhouette eines<br />
Porsche 911 übernahm.<br />
Der DB-Konzern bietet mit vier Spezialtöchtern einen<br />
Rundum-Service für die Automobilindustrie. In jedem<br />
zweiten Neuwagen steckt – unsichtbar, doch unverzichtbar<br />
– Logistik „made by <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>“. Um den hohen<br />
Ansprüchen der Automobilindustrie an ihre Logistik gerecht<br />
zu werden, muss die DB allerdings mehr <strong>bewegen</strong><br />
als fertige Neuwagen in langen Güterzügen.<br />
Flughafen Hahn im Hunsrück, Donnerstag nachmittag.<br />
Regen peitscht über das Rollfeld. Gerade wird eine<br />
riesige Frachtmaschine der Aerofl ot beladen, die abends<br />
nach Moskau rausgehen soll. Was Schenker im Auftrag<br />
von Porsche im Bauch der Maschine zu verstauen hat, ist<br />
zwar überschaubar, aber dafür nicht minder eilig: Ein neuer<br />
Cayenne-Motor und dazu ein eher handliches Päckchen,<br />
das einen rechten Frontscheinwerfer für einen<br />
Porsche Cayman enthält.<br />
Auf den Scheinwerfer wartet ein Porschefahrer ungeduldig<br />
5.000 Kilometer weiter östlich. Keine 36 Stunden<br />
Zugriff Weltweiter Service im Dienste des Kunden – dieses Porsche-<br />
Ersatzteil begibt sich auf den Weg nach Nowosibirsk.<br />
sind seit seinem Unfall auf schneeglatten Straßen bei<br />
Nowosibirsk vergangen. Eine Expressfracht mit doppelter<br />
Luftbrücke. Ein Fall für Schenker und sein weltweites<br />
Logistiknetzwerk. „Wir haben uns Porsche gegenüber<br />
verpfl ichtet, dass Ersatzteile spätestens 48 Stunden nach<br />
Abholung im Lager Ludwigsburg verzollt in unserem<br />
Moskauer Lager vorrätig sind“, sagt Richard Hartmann,<br />
Chef von Schenker Russija. „Schnelle Autos brauchen<br />
eine schnelle Logistik, und dafür sorgen wir.“<br />
Maßgeschneiderte Lösungen<br />
Ein Wettlauf gegen die Zeit, jedes Mal. Der Kurierfahrer<br />
aus Ludwigsburg ist auf dem Weg nach Hahn mit knapper<br />
Not den Staus rund um Mannheim entronnen, sodass<br />
der Scheinwerfer in Hahn die gebuchte Frachtmaschine<br />
noch rechtzeitig erreicht. In Moskau-Sheremetyevo gelandet,<br />
kümmern sich Schenker-Mitarbeiter um die schnellstmögliche<br />
Erledigung der Zollformalitäten, dann eiligst<br />
weiter per Pkw zum Inlandsfl ughafen Domodedovo und<br />
auf die nächst erreichbare Maschine nach Nowosibirsk.<br />
Genau drei Tage und vier Stunden nach dem Unfall triff t<br />
das sehnlichst erwartete Ersatzteil für den Porsche<br />
Cayman in der sibirischen Porsche-Werkstatt ein. Ende<br />
einer ausgeklügelten Kettenreaktion.<br />
Die Schenker-Experten entwickeln für alle logistischen<br />
Herausforderungen in der Automobillogistik maßgeschneiderte<br />
Lösungen. Diese umfassende Kompetenz<br />
veranlasste im Herbst 2006 auch den weltweit tätigen<br />
Zulieferer Visteon, die <strong>Bahn</strong>-Tochter mit der europaweiten<br />
Beschaff ungslogistik, Distribution und Lagerhaltung<br />
zu beauftragen. Von Köln aus steuert Schenker für<br />
Visteon die Teileverpackung, Kommissionierung und<br />
den Versand über die fi rmeneigenen Land-, Luft- und<br />
Seeverkehre. Mit dem neuen IT-gestützten Schenker-<br />
Konzept bringt der Autozulieferer Ersatzteile wesentlich<br />
schneller an seine Kunden als bisher.<br />
Was immer in den komplexen Produktionsabläufen<br />
der Automobilindustrie zur rechten Zeit am rechten Platz<br />
sein muss, Schenker schaff t es schnell, wirtschaftlich und<br />
zuverlässig herbei. Im neuen BMW-Werk in Leipzig liefert<br />
Schenker die „Zutaten“ für die 3er-Reihe sogar direkt<br />
bis ans Band: vom Außenspiegel über Türgriff e bis hin zu<br />
Handbüchern in verschiedenen Sprachen. Sequenzierung<br />
nennen Logistikexperten diese Bereitstellung von Teilen<br />
in der Produktionsreihenfolge.<br />
Györ in Ungarn, Audi-Werk, Freitag vormittag. Auch<br />
ein Gabelstapler kann zärtlich sein. Ganz sachte fi xiert er<br />
seine Ladung, gleitet an den Güterwagen und hebt die beiden<br />
Schätzchen ein paar Zentimeter hoch. Rollt wieder<br />
Werksverkehr Alltag in Wolfsburg: Zug um Zug verlassen Autotransporte das VW-Stammwerk und gehen auf die Strecke.<br />
zurück und setzt seine Fracht so vorsichtig auf dem<br />
Boden ab, als jonglierte er mit rohen Eiern. Was der<br />
Gabelstapler da entladen hat, könnten zwei überdimensionale<br />
Geschenke sein.<br />
Lajos Orosz hebt die weiße Verpackung vorsichtig<br />
hoch und kann sich gerade noch beherrschen, das schimmernde<br />
Blech darunter zu streicheln,<br />
das darf erst der Kunde. „Ein schönes<br />
Auto!“, schwärmt der 30-jährige Ungar.<br />
Genau genommen ist es aber<br />
noch gar kein Auto, sondern ein ungeborener<br />
Audi TT. Die funkelnagelneue<br />
Karosserie des Roadsters ist<br />
über Nacht mit dem Güterzug aus Ingolstadt<br />
angekommen.<br />
Im Audi-Stammwerk ist das schö-<br />
ne Kleid geschneidert worden, in<br />
Györ kurz hinter der österreichischen<br />
Grenze bauen ungarische Audi-Arbeiter<br />
den Sportwagen-Bestseller zusammen. Lajos Orosz ist<br />
dafür verantwortlich, dass ihnen die Arbeit nie ausgeht.<br />
„Wir haben Karosserien für genau eine Schicht auf Lager“,<br />
sagt der Logistikchef von Audi Hungaria. „Wenn<br />
der Nachschub stockt, stehen unsere Bänder still.“<br />
Der Alptraum für jede Autofabrik, den kennt auch Kai<br />
Birnstein. „Über jedem Transport schwebt der kategori-<br />
Balanceakt Wer Gabelstapler fährt, braucht<br />
Fingerspitzengefühl und stets guten Überblick.<br />
sche Imperativ ‚just in time!‘.“ Große Vorräte hält heute<br />
aus Kostengründen kein Autohersteller mehr im Lager<br />
vor, stattdessen müssen sich die Werke auf Transporte<br />
verlassen, die mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks<br />
ablaufen. Die Güterbahn Railion bildet dabei mit ihrem<br />
Zwischenwerksverkehr die Nabelschnur der Automobilindustrie.<br />
Bis zu 19 Ganzzüge fahren wöchentlich<br />
für Audi von Ingolstadt<br />
nach Györ und zurück. Der ungarische<br />
Standort ist der größte Motorenhersteller<br />
innerhalb des Volkswagenkonzerns.<br />
Darum setzt Schenker hier<br />
Spezialwagen ein, die sowohl Motoren<br />
transportieren können als auch<br />
fertige Neuwagen auf zwei Ladeebe-<br />
nen. Bis zu 200 fertige Audi TT liefert<br />
ein Zug über Nacht von Ungarn<br />
nach Bayern.<br />
Für die 630 Kilometer lange Strecke entlang der Donau<br />
darf er höchstens zwölf Stunden brauchen, dazu hat der<br />
Hersteller die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> verpfl ichtet. „Das ist für<br />
den Schienenverkehr über zwei Grenzen hinweg außerordentlich<br />
schnell“, erklärt Birnstein und betont: „Im<br />
Schienengüterverkehr ist die Automobillogistik unser<br />
absolutes Premium-Produkt.“<br />
78 79
Routenplaner Immer das richtige Teil zur richtigen Zeit am richtigen Platz – SAP R/3 Software weist via Gabelstapler-Display den Weg. Lagerwirtschaft Täglich treff en im Schenker-Produktionsversorgungszentrum 130 Lkw-Fuhren für den Bau von 700 VW-Transportern ein.<br />
Logistik<br />
Netzwerkzeuge<br />
Für Volkswagen Nutzfahrzeuge steuert die DB-Tochter Schenker den Materialfluss im<br />
Takt der Montage des T 5 Multivan. Hochflexible IT-Systeme assistieren, darunter auch die<br />
neueste Errungenschaft moderner Lagerbewirtschaftung – das System „Pick by voice“.<br />
elefoniert Herr Abels etwa während<br />
der Arbeitszeit mit seiner<br />
Frau? Er greift Außenspiegel<br />
aus den Regalen in gleichbleibendem<br />
Takt, immer nur einen, und legt ihn<br />
in ein Gestell am Ende des Gangs.<br />
Zwischendurch spricht er in sein<br />
Headset. Aber worum geht es? Das<br />
Abendessen kann es nicht sein; Rezepte<br />
bestehen nun mal nicht aus Ziffernkombinationen.<br />
Es sei denn, er<br />
hat mit seiner Frau einen Geheimcode<br />
vereinbart. „Dreiundfünfzigneunzehn“<br />
steht für Grünkohl mit<br />
Pinkel oder Sülze mit Bratkartoff eln.<br />
Die Stimme am „anderen Ende“ ist<br />
tatsächlich weiblich, aber Frau Abels<br />
gehört sie nicht. Die Lady ist auch<br />
nicht aus Fleisch und Blut, sondern<br />
in wesentlichen Bestandteilen aus<br />
Silicium. Sie steuert Abels’ Weg zwischen<br />
den Regalen des Produktionsversorgungszentrums<br />
von Schenker<br />
in Hannover-Stöcken. 400 Meter<br />
weiter, im benachbarten Nutzfahrzeugwerk<br />
von Volkswagen, fordert<br />
der Pulsschlag der Produktion von<br />
Thorsten Abels alle zweieinhalb Minuten<br />
Außenspiegel für den Transporter<br />
T5 an, der hier vom Band läuft.<br />
Aber nicht nur so, dass immer ein<br />
ausreichend großer Haufen vor den<br />
VW-Arbeitern am Montageband<br />
liegt, sondern „just in sequence“<br />
(JIS), also genau in der Reihenfolge<br />
der Produktion – so wie die Spiegel<br />
am Band in die Fahrzeuge eingebaut<br />
werden.<br />
Die digitale Stimme aus dem Headset<br />
hilft Abels dabei. Für jeden Außenspiegel<br />
schickt ihm die Fabrik per<br />
Datenleitung, verschlüsselt als Textdatei,<br />
eine detaillierte Anforderung<br />
an einen kleinen mobilen Computer.<br />
Den trägt er am Hosenbund. Außen-<br />
spiegel in schwarz oder rot, grau oder<br />
grün, beheizbar oder nicht, elektrisch<br />
oder manuell verstellbar. Der Computer,<br />
software-gesteuert über SAP-<br />
Logistikmodule, übersetzt den Text<br />
in Sprache. Seit seinem Eintreff en im<br />
Wareneingang hat SAP den Weg des<br />
jeweils benötigten Außenspiegels<br />
verfolgt. Das System weiß sofort, wo<br />
der Spiegel eingelagert wurde und<br />
sagt Abels exakt, an welchem Regalplatz<br />
er das betreff ende Teil herausnehmen<br />
muss. In diesem Fall lautet<br />
die Order eben „dreiundfünfzigneunzehn“.<br />
Fast noch wichtiger als die Fundstelle<br />
des Außenspiegels im Regal ist<br />
der korrekte Ablageort im JIS-Gestell<br />
für die Fabrik. Jedes Fach im Gestell<br />
steht stellvertretend für ein genau<br />
defi niertes Auto in der Produktion.<br />
Würde Abels einen Spiegel aus Versehen<br />
ins falsche Fach einsortieren,<br />
könnte das die Abläufe im Werk<br />
erheblich durcheinander bringen.<br />
Schließlich gibt es beim T5 fast 400<br />
verschiedene Außenspiegel-Varian-<br />
Voller Ideen Jürgen Buch, Leiter des PVZ:<br />
„Wer Visionen hat, muss sie auch umsetzen.“<br />
ten. Da ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass trotz eines Fehlers beim Einsortieren<br />
der richtige Außenspiegel ans<br />
Band geliefert wird, äußerst gering.<br />
Die digitale Lady lässt solche Fehler<br />
nicht zu. Sie weiß, welcher Spiegel<br />
in welches Fach im JIS-Gestell gehört.<br />
Und damit jeglicher Irrtum ausgeschlossen<br />
ist, muss Thorsten Abels<br />
die Nummer des Fachs jedes Mal<br />
mündlich ins Headset-Mikro bestätigen.<br />
Dadurch wird der Spiegel mit<br />
dem Fahrzeug am Band sozusagen<br />
„verheiratet“. SAP gibt das JIS-Gestell<br />
erst dann für die Produktion frei,<br />
wenn nachgewiesen ist, dass alle Teile<br />
in der richtigen Reihenfolge im<br />
Gestell abgelegt sind.<br />
Die Herausforderung für seine<br />
Mannschaft zu umreißen, fällt<br />
dem obersten Aufseher über das<br />
Schenker-Produktionsversorgungszentrum<br />
(PVZ) nicht schwer. „Was<br />
in 130 Lkw-Fuhren täglich hier ankommt,<br />
muss planmäßig und sekundengenau<br />
in 700 VW-Transportern<br />
verbaut werden – und zwar ohne dass<br />
es in der Fabrik zu Produktionsunterbrechungen<br />
kommt“, erklärt<br />
Jürgen Buch, der in jungen Jahren<br />
selbst noch Sackkarren geschoben<br />
hat und heute die Geschäfte bei<br />
Schenker in Hannover führt.<br />
80 81
Dort betreibt die DB-Tochter für<br />
Volkswagen seit vier Jahren das PVZ,<br />
eines der modernsten Logistikzentren<br />
Europas. Buchs Baby, könnte<br />
man sagen, ohne zu übertreiben.<br />
Eine unsichtbare Hand scheint Ordnung<br />
in das scheinbar chaotische<br />
Gewusel der unablässig hupenden<br />
Stapler und Elektrokarren zu bringen.<br />
Was die Lieferanten aus ganz<br />
Europa heranschaff en, 2.000 verschiedene<br />
Modulteile und ungezählte<br />
Einzelteile bis zur Sechskantschraube,<br />
müssen vom Laster ins<br />
Lager und vom Lager per Elektrowagen<br />
über eine 360 Meter lange<br />
Brücke in die Fabrik, exakt im Takt<br />
der Montage, zeitgenau, sequenzgenau:<br />
immer das richtige Teil zur richtigen<br />
Zeit am richtigen Platz. Und sei<br />
es so etwas scheinbar Banales wie die<br />
Bedienungsanleitung fürs Radio, die<br />
natürlich in Englisch im Handschuhfach<br />
liegen muss, wenn das Fahrzeug<br />
für den britischen Markt gebaut wird<br />
– und nicht in Schwedisch, Litauisch<br />
oder Kroatisch.<br />
Irrtum nahezu ausgeschlossen<br />
Schon kleinste Fehler bei der Belieferung<br />
der Montage können sich rächen.<br />
„Die VW-Mitarbeiter in der<br />
Produktion müssen sich darauf verlassen<br />
können, dass wir die Teile in<br />
der richtigen Reihenfolge in die Gestellwagen<br />
gelegt haben“, erklärt<br />
Jürgen Buch, während Thorsten<br />
Abels den nächsten Außenspiegel<br />
aus dem Regal nimmt, „die Mitarbeiter<br />
an den Montagelinien greifen automatisch<br />
immer in das nächste Fach.<br />
Wenn sie für ein Auto graue Türverkleidungen<br />
brauchen, und wir liefern<br />
schwarze, kann das Fahrzeug nicht<br />
termingerecht ausgeliefert werden.“<br />
Damit das nicht passiert, wird<br />
nichts dem Zufall und wenig dem<br />
<strong>Menschen</strong> überlassen. Über zentrale<br />
Rechner sind das PVZ und die benachbarte<br />
Fabrik miteinander vernetzt;<br />
intelligente und hochfl exible<br />
IT-Lösungen sichern den Materialfl<br />
uss im Takt der Montage. Sie steuern<br />
den Dialog zwischen Lieferanten,<br />
Schenker und Volkswagen, bilden<br />
das Rückgrat des 40-Millionen-Euro-<br />
Investments.<br />
Schon lange bevor die Lkw-Fahrer<br />
sich am kleinen Fenster des Wareneingangs<br />
anmelden, ist ihre Ladung<br />
per EDV registriert. „Unsere Mitarbeiter<br />
wissen genau, welche Trucks<br />
mit welcher Ladung zu uns unterwegs<br />
sind“, erklärt Kor Straat, IT-Leiter<br />
des PVZ. „Das haben die Lieferanten<br />
per Datenleitung angemeldet.“<br />
Er zeigt auf einen der Monitore im<br />
Wareneingang. Dort hat SAP für eine<br />
erwartete Lieferung schon einen<br />
Transportauftrag angelegt, eine digitale<br />
Registerkarte mit den wichtigsten<br />
Daten. „Das hier ist zum Beispiel<br />
eine Anlieferung von Stankiewicz<br />
aus Hamburg, einem unserer Modullieferanten“,<br />
sagt Straat. „Der Lkw ist<br />
noch unterwegs, das sehen Sie hier.<br />
Und wir wissen auch schon, dass die<br />
Fracht aus Bodenbelägen besteht.<br />
Hier stehen die Teilenummern.“<br />
Sobald ein Teil, beispielsweise ein<br />
„Außenspiegel rechts Standard“,<br />
vom Truck entladen und gescannt<br />
wurde, erstellt SAP dafür automatisch<br />
einen Transportauftrag. Von<br />
nun an lässt sich der Weg des Spiegels<br />
exakt nachverfolgen, durch die<br />
Hallen, Container und Gestelle, von<br />
Stapler zu Stapler, von Hand zu<br />
Hand. SAP weist dem Spiegel seinen<br />
Platz im Lager zu – und der erscheint<br />
auf dem Funkterminal des Staplerfahrers,<br />
sobald er mit seinem Handfunkscanner<br />
den Spiegel einscannt.<br />
59-06-1 – schon weiß der Staplerfahrer,<br />
wohin mit dem Spiegel. Wählt er<br />
versehentlich den falschen Behälter,<br />
sieht er sofort eine Fehlermeldung<br />
auf seinem kleinen Monitor. Das System<br />
korrigiert nahezu alle Irrtümer.<br />
Den weiteren Weg des Außenspiegels<br />
vom Lagerbehälter in die Fabrik<br />
bereitet seit neuestem Pick by voice,<br />
die digitale Lady. „Die Geschäftsstelle<br />
Hannover ist bei Schenker der erste<br />
Standort, der dieses System einsetzt“,<br />
sagt Jürgen Buch nicht ohne<br />
Stolz. Wieder ist er mit seinem PVZ<br />
einen Schritt voraus. Im September<br />
vergangenen Jahres liefen die ersten<br />
Digitale Lady Im sogenannten Pick-by-<br />
Voice-Verfahren werden alle Handgriff e des<br />
Mitarbeiters akustisch gesteuert.<br />
Barcode Ganz ohne Papier geht es nicht. Eine<br />
scannerlesbare Identifi zierung für alle Teile<br />
schaff t weitere Sicherheit im nahtlosen Ablauf.<br />
Tests an. Schnell lernten die Schenker-Mitarbeiter<br />
im Lager den Praxisvorteil<br />
der papier- und beleglosen<br />
Kommissionierung gegenüber dem<br />
bewährten Duett aus Barcode und<br />
Scanner zu schätzen. „Man hat die<br />
ganze Zeit beide Hände frei zum Grei-<br />
Angeschossen Lagerarbeiter sind keine Pistoleros, der Gebrauch sogenannter Scannerpistolen gehört allerdings zu ihrem Alltagsgeschäft.<br />
fen“, erklärt IT-Leiter Kor Straat,<br />
„beim Scanner ist eine Hand immer<br />
mit dem Gerät beschäftigt.“ Zudem<br />
sind Sprachanweisungen eindeutiger<br />
als eine Ziff ernkombination auf dem<br />
winzigen Scanner-Display. Jürgen<br />
Buch plant, seine Mannschaft im<br />
Lager nach und nach komplett mit<br />
Pick by voice auszustatten.<br />
Strategischer Vorteil<br />
Am meisten freuen sich vermutlich<br />
jene Schenker-Lageristen auf Pick by<br />
voice, die im hinteren Teil der Halle<br />
die Bodenbeläge für den T5 hin- und<br />
herwuchten. Zwei Meter achtzig lang<br />
sind die Gummimatten und fast<br />
20 Kilo schwer. Mit Headset statt<br />
Handfunkscanner fi ele die schweißtreibende<br />
Arbeit leichter; zumindest<br />
könnten die Männer immer mit beiden<br />
Händen zupacken.<br />
Schon heute ist Schenker hier<br />
nicht lediglich Logistikdienstleister,<br />
sondern übernimmt für Volkswagen<br />
die Vormontage der Beläge. Je nach<br />
Anordnung der Sitze im Auto – beim<br />
T5 existieren allein 16 Varianten –<br />
müssen an entsprechenden Stellen<br />
Löcher in die Bodenbeläge gestanzt<br />
werden. Die Lieferanforderung aus<br />
der Fabrik enthält zusätzlich zur<br />
Artikelnummer jeweils auch einen<br />
Code für die Stanzung. Der wird<br />
gescannt – und die Maschine stanzt<br />
die Löcher millimetergenau in den<br />
Bodenbelag.<br />
Wer in Zukunft weiter im Logistikgeschäft<br />
mit den großen Autoherstellern<br />
nennenswert mitmischen will,<br />
muss solche Prozesse zuverlässig beherrschen,<br />
weiß Jürgen Buch. Mit<br />
der SAP-Lösung im PVZ hat sich<br />
Schenker einen strategischen Vorteil<br />
verschaff t. Praktisch jederzeit können<br />
weitere Vormontagen in die modulare<br />
Systemlandschaft eingepasst<br />
werden; das System atmet nach<br />
Bedarf. „Die Autohersteller werden<br />
die Anforderungen an die Logistik<br />
weiter nach oben schrauben“, prognostiziert<br />
Jürgen Buch, „aber wenn<br />
ich sehe, was wir hier heute schon<br />
täglich bewerkstelligen, mache ich<br />
mir um die Zukunft keine Sorgen.<br />
Wir sind gerüstet.“<br />
In Hannover wird nichts dem Zufall überlassen, denn selbst<br />
der kleinste Fehler stoppt gleich die gesamte Produktion.<br />
82 83
Transport<br />
Containerkult<br />
Eine simple Blechkiste hat den kompletten Welthandel in einem halben Jahrhundert<br />
revolutioniert. Heute prägen Container alle Transportsysteme – die Schifffahrt<br />
ebenso wie den Schienengüterverkehr. Die Maße der Globalisierung sind: 20 Fuß lang,<br />
acht Fuß breit und acht Fuß hoch. Eben eine TEU – Twenty Foot Equivalent Unit.<br />
Steilwand Wie Gebirge stapeln<br />
sich Container an Bord immer<br />
größerer Mega-Carrier.<br />
Bei diesen Dimensionen<br />
wird der Mensch zum Zwerg.<br />
84 85
a ziehen sie hin. Die Elbe hinab, dem Meer entgegen,<br />
in immerwährender Prozession. Schiff skolosse<br />
aus Stahl, bepackt mit Abertausenden<br />
kunterbunter Kisten. Brückenhoch türmt<br />
sich Ladung im zufallsgenerierten Patchwork-<br />
Muster rechnergesteuerter Stau-Listen. Orange konkurriert<br />
mit grün, rot überstrahlt blau, rostbraun misst sich<br />
mit grau. Selbst an Nebeltagen sind das Bilder zum<br />
Kinderstaunen. Momentaufnahmen unserer Tage und<br />
müßig ist fast die Frage: Gab es je eine Zeit davor? Eine<br />
ohne Container?<br />
Im Büro von Hans Gerd Lawrenz, 59, hängt die Vergangenheit<br />
noch an der Wand. Ein Schwarz-Weiß-Abzug,<br />
groß fast wie eine Fototapete. Darauf Hamburgs Hafen zu<br />
Beginn des vorigen Jahrhunderts. Mit Großseglern,<br />
Frachtern, mit Schleppern und Barkassen unter Dampf,<br />
mit Kohlenschuten und einer Unmenge von Stauern und<br />
Packern an den Kaianlagen. Auch Lawrenz erinnert sich<br />
noch gut an eine Zeit ohne Container. Im Gedächnis<br />
geblieben ist ihm vor allem „der Geruch von Holz und<br />
Sägespänen“.<br />
Er sah gern den Zimmerleuten bei ihrer Arbeit zu. Wie<br />
sie Kisten für sperriges Stückgut zu zig Tausenden bauten,<br />
noch ohne jede Ahnung von ihrer Vergänglichkeit.<br />
Ein Mann von gestern ist der Leiter des DB Cargo-Zentrums<br />
Hamburger Hafen mit Dienstsitz Dispositionszentrale<br />
Waltershof deshalb nicht, nur einer mit<br />
Geschichtsbewusstsein. Zeitzeuge außerdem, denn „wie<br />
eines Tages die Blechkisten auftauchten“, daran erinnert<br />
sich Lawrenz noch ganz genau. Es war Ende der sechziger<br />
Jahre, und irgendwie begann alles ganz harmlos. „Die<br />
ersten Exemplare landeten vereinzelt an. Sie waren mehr<br />
Ladungsbeigabe, und wir dachten: Das setzt sich nie<br />
durch. Aber es hat nicht lange gedauert, da saßen wir<br />
selbst in einer provisorisch hergerichteten Blechkiste und<br />
steuerten von dort aus die ersten Containerverkehre.“<br />
Diener vieler Zwecke<br />
Die Kiste, in Amerika nur „The Box“ geheißen, ist Kult.<br />
Keine Frage. Da steht sie, ein wenig verbeult, in kleiner<br />
ISO-Standardausführung. Nicht schön, eher schlicht.<br />
Rechteckig, praktisch mit allem zu befüllen und nahezu<br />
überall einsetzbar. Zwar ohne Räder, ohne Motor, auch<br />
ohne Flügel, aber gerade deshalb unterschiedslos Diener<br />
zugleich vieler Zwecke. Stapelbar und zu verwenden auf<br />
See- und Binnenschiff en, auf Lastkraftwagen und natürlich<br />
für den Transport mit der Eisenbahn.<br />
Eine Twenty Foot Equivalent Unit oder besser und abgekürzt<br />
1 TEU. 20 Fuß lang, acht Fuß breit, acht Fuß<br />
86<br />
hoch. Das sind zwar glatte Zahlen, aber man lasse sich<br />
nicht täuschen. Im europäischen Metermaß liest sich das<br />
ganz anders, nämlich so: 6,058 Meter Länge bei 2,438 Meter<br />
Höhe und Breite.<br />
„Eigentlich kein Problem“, sagt Lawrenz, „wäre da<br />
nicht die Euro-Palette mit dem Standardmaß 1,20 x 80<br />
Zentimeter.“ Sie lässt sich bei tatsächlicher Innenabmessung<br />
von 2,33 Metern leider nur mit Platzverlust stauen.<br />
Eine Palette längs und eine quer. Ärgerlich, aber trotz erbitterten<br />
Ringens am internationalen Normen-Verhandlungstisch<br />
war mit den US-Boys darüber nicht mehr zu<br />
reden. TEU – das ist ein uramerikanisches Prinzip.<br />
„Man wird sehen“, prophezeit anno 1956 Malcolm<br />
Purcell McLean, der visionäre Wegbegleiter des Containers,<br />
„diese Kiste und ihr Einsatz zu Lande und zu Wasser<br />
wird die Welt verändern: ihre Häfen und Schiff e. Kräne,<br />
Züge, Lastwagen. Das Geschäft der Reeder und Transporteure,<br />
den Alltag und die Gewerbe der Arbeiter. Eben<br />
alles, einfach alles.“<br />
Stets hat die Menschheit ihre Pioniere gehabt: Dieser<br />
McLean war so einer. Ihm zur Seite stand allerdings Keith<br />
Tantlinger, ein hochbegabter Konstrukteur. Fürwahr ein<br />
ungleiches Paar die beiden. Auf der einen Seite Multimillionär<br />
und Transport-Tycoon McLean, damals schon Eigner<br />
einer der größten amerikanischen Speditionen mit<br />
über 600 Trucks. Und daneben Tüftler Tantlinger.<br />
Er, der Ingenieur, hat schon Anfang der 50er Jahre genau<br />
das, was McLean sucht: ein auf Lastwagen wie auf<br />
Schiff en leicht umschlagbares Gefäß für den Gütertransport.<br />
Denn nach seinen Plänen baut man seit 1949 die<br />
Vorläufermodelle heutiger Container: 30 Fuß lange, stapelbare<br />
Aluminiumkästen, die auf Lastwagen-Trailer und<br />
Lastkähne passen, benutzt zwischen Seattle und Alaska.<br />
Fernsicht Ein Disponent des DB Cargo-<br />
Zentrums Hafen Hamburg verfolgt mit<br />
einem Feldstecher das Geschehen auf den<br />
Gleisanlagen der Hafenbahn in Waltershof<br />
und den Verlade-Terminals.<br />
McLean hört von dem Einsatz und fortan ist der Ingenieur<br />
sein Mann. Gemeinsam inszenieren beide, was als<br />
Geburtsstunde des modernen Container-Linienverkehrs<br />
gilt – die Fahrt des umgebauten Tankschiff s Ideal-X entlang<br />
der US-Ostküste unter Flagge der von McLean<br />
erworbenen Pan-Atlantic Steamshiping Corporation.<br />
Man schreibt den 26. April 1956, als im Hafen von<br />
Newark (New Jersey) 58 von Tantlinger entwickelte<br />
33-Fuß-Boxen auf die betagte Ideal-X gehievt werden.<br />
Fünf Tage später erwarten 58 Lastwagen das Schiff im<br />
Hafen von Houston. Sie übernehmen die Ladung und machen<br />
sich an die Güterverteilung. Unspektakulär und<br />
dennoch – Startsignal für einen unwiderstehlichen<br />
Siegeszug. „Ich habe keine Schiff e, sondern seetüchtige<br />
„Der Container veränderte Schiffe und Häfen, das Geschäft der<br />
Reeder und Transporteure wie auch die Gewerbe der Arbeiter.“<br />
87
Spitzenposition Einfahrt und Fertigmachen zur Beladung. Jeder fünfte Container, der in Hamburg ankommt, wird mit dem Zug abgefahren.<br />
Handwerk Im Rangierdienst werden Waggons zu 700 Meter langen<br />
Zügen zusammengekuppelt.<br />
Sprechfunk Was passiert wo, wann und wie: Kommunikation ist das A<br />
und O des Betriebs.<br />
TEU beschreibt mehr als eine internationale Recheneinheit, die<br />
drei Buchstaben stehen für einen preisbrechenden Revolutionär.<br />
Lastwagen“, frohlockt McLean am Pier und überschlägt<br />
in Windeseile seine Transportkosten. Statt 5,83 Dollar<br />
per Tonne loser Seefracht wie bislang üblich, stehen diesmal<br />
nur 15,8 Cent pro Tonne zu Buche. Keine schlechte<br />
Bilanz für einen Mann, der, wie ihn Zeitgenossen beschreiben,<br />
„rastlos eine Idee nach der<br />
anderen produziert, um damit Geld<br />
und noch mehr Geld zu machen“.<br />
Was sich in der Folge entwickelt,<br />
sei im Zeitraff er erzählt und nimmt<br />
seinen Anfang ausgerechnet (oder<br />
vielleicht auch zwangsläufi g) mit<br />
Amerikas Krieg in Vietnam, dessen<br />
komplexe Transport- und Logistikherausforderungen<br />
dem Container<br />
erst zum internationalen Durch-<br />
bruch verhelfen. Wieder sieht die Geschichte<br />
McLean, diesmal mit Schiffen<br />
seiner Sea Land Services, an<br />
vorderster Front.<br />
Um die gigantischen Mengen an Materialnachschub<br />
bewältigen zu können, setzt die US-Army ab 1967 und<br />
erst nach anfänglichem Zögern auf seine mittlerweile<br />
35 Fuß großen Stahlbehälter. Was die GIs auch brauchen,<br />
es quillt alsbald aus McLeans vollgepackten Kisten, angelandet<br />
am eigens zum ersten Tiefsee-Containerhafen der<br />
Welt ausgebauten Stützpunkt Cam Ranh Bay.<br />
Fortan und über die kommenden Jahrzehnte hinweg<br />
handeln Reeder ebenso wie Werftindustrie, Hafenbetreiber<br />
und Spediteure aller Nationen nach der Maxime „viele<br />
Güter und Kisten in eine Kiste“ und mit technischem<br />
Einfallsreichtum entstehen dabei sogar immer neue Kisten.<br />
Zwar bleibt der 20-Fuß-Container als 1 TEU Recheneinheit<br />
bestehen, gebräuchlicher aber ist für Dry Cargo<br />
genanntes Stückgut längst die doppelt so große 40-Fuß-<br />
Kiste (2 TEU).<br />
Beider Aufbau folgt nach wie vor dem Urprinzip:<br />
tragende Stahlprofi lrahmen, Wände aus Aluminium oder<br />
Stahlblechen. Holzgefertigte stabile Bodenplatte auf<br />
Stahlträgern. Acht hochfeste, stahlgussgefertigte Eckbeschläge,<br />
dort Anschlagpunkte für Kran-Greifarme<br />
(spreader) und für die Twist Locks genannten Drehzapfen<br />
zur sicheren Verbindung des Containers nach oben<br />
und unten mit seinem Transportfahrzeug oder anderen<br />
Containern. So lassen sich ganze Burgen bauen.<br />
Unabhängig von der Grundstruktur gibt es noch Behältnisse<br />
mit Längenmaß 30 oder 45 Fuß, mit Höhenmaßen<br />
bis zu 9,6 Fuß (so genannte High Cubes) und dazu<br />
eine ganze Reihe von Spezialformen. Um nur die Wichtigsten<br />
zu nennen: Bulk-Container mit Einfüllluken für<br />
Zeitzeuge Hans Gerd Lawrenz, Leiter des<br />
Cargo-Zentrums Hafen Hamburg, erlebte den<br />
Beginn der Containerverkehre in den 60ern.<br />
Schüttgut. Man transportiert darin so gut wie alles: vom<br />
Düngemittel über Kieselgut bis Zucker. Plattform- und<br />
Flat-Container für Schwerlasten; Open- oder Hard-Top<br />
für sperrige Güter und Kranbeladung; Open-Side Container<br />
für Tiertransporte; Tank-Container für fast jede Art<br />
von Flüssigkeit; Kühl-Container<br />
transportieren Lebensmittel, Coil-<br />
Container Draht und Blechrollen. In<br />
Auto-Containern kreuzen bis zu vier<br />
Edelkarossen um die Welt. Andere<br />
höchst sensible Güter wie Röstkaff ee<br />
oder Klippfi sch fahren in ventilierten,<br />
in belüfteten oder gar in Isolier-<br />
Containern mit wärmedämmender<br />
Innenauskleidung aus Hartschaum.<br />
Die grob berechnete Lebensdauer<br />
solcher Kisten liegt bei zehn bis<br />
15 Jahren. Stückpreis je nach Ausführung:<br />
von 2.300 Euro für die schlichte<br />
20-Fuß-Variante über knapp 3.600<br />
Euro (40 Fuß) bis deutlich über 10.000 Euro etwa für Isoliereinheiten,<br />
die aus Edelstahl gefertigt sind.<br />
Die Zahl weltweit im Transportwesen eingesetzter<br />
Container wird mittlerweile auf rund 20 Millionen Stück<br />
geschätzt. Produziert werden sie vornehmlich nur noch<br />
im Fernen Osten, insbesondere in China und in Südkorea.<br />
Ihre Besitzer sind neben Reedereien vor allem große internationale<br />
Leasing-Gesellschaften. „The Box“ also ist<br />
mittlerweile selbst ein begehrtes Handelsgut mit ständig,<br />
je nach Stahlnotierungen und Wechselkursen schwankenden<br />
Preisen.<br />
Verfall der Frachtraten<br />
Aber zurück zu Hans Gerd Lawrenz und seinem Diktum:<br />
„Ohne Containerisierung und TEU keine Globalisierung.“<br />
Die drei Buchstaben beschreiben mehr als nur die<br />
international geläufi ge Rechen- und Währungseinheit<br />
des Transport- und Logistikgewerbes, sie beschreiben einen<br />
preisbrechenden Handelsrevolutionär.<br />
Die einst hohen Frachtraten, neben Einfuhrzöllen<br />
größtes Handelshemmnis beim Warenaustausch zwischen<br />
den Völkern, fi elen mit seinem Siegeszug von<br />
einem knapp 25-prozentigen Anteil am Produktendpreis<br />
nahezu ins Bodenlose. Heute spielen sie in der Preiskalkulation<br />
nur noch eine untergeordnete Rolle. Seitdem<br />
lässt sich alles überall und egal wo herstellen, denn es ist<br />
für wenig Geld rund um den Globus zu transportieren.<br />
Und nur so erklären sich die hinlänglich bekannten<br />
Stichworte unserer Wirtschaftswirklichkeit: angefangen<br />
88 89
Das größte Containerschiff der Welt, die Emma Maersk, ist<br />
27 Knoten schnell, knapp 400 Meter lang und trägt 11.000 TEU.<br />
vom Aufstieg der asiatischen Tigerstaaten bis hin zu<br />
China und Indien als neue Werkbänke der Welt.<br />
Dazu folgende Zahlen: Laut Statistik der United Nations<br />
Conference on Trade and Development (UNCTAD)<br />
belief sich der Frachtkostenanteil für anno 2004 weltweit<br />
verschiff te Importgüter im Gesamtwert<br />
von nahezu 9,2 Billionen Dollar<br />
lediglich auf rund 271 Milliarden Dollar.<br />
Das sind gerade mal 3,4 Prozent.<br />
Die Frachtraten in Dollar pro TEU<br />
blieben dabei annähernd gleich oder<br />
sanken sogar leicht. Sie betrugen im<br />
ersten Quartal 2006 auf der Trans<br />
Pacifi c Route zwischen Asien und<br />
den USA 1.836 Dollar (minus 2,2 Prozent)<br />
und auf der Asien–Europa-<br />
Linie 1.150 Dollar (minus 14,6 Prozent).<br />
Interessant und zugleich<br />
Indikator für die Ungleichgewichte<br />
im Güteraustausch der Nationen ist<br />
das Preis niveau jeweils in umgekehrter Richtung: Danach<br />
betrug die Frachtrate für 1 TEU von den USA nach Asien<br />
laut UNCTAD-Erhebung 700 Dollar und von Europa<br />
nach Asien 325 Dollar.<br />
Die Geschichte der Containerisierung wäre jedoch unvollständig<br />
ohne ihre Verlierer. Auch die gab es, denn<br />
„The Box“ schuf ihre eigenen Strukturen. Häfen wie<br />
Liverpool, die einst Weltgeltung hatten, gingen einfach<br />
unter und wurden abgelöst von ganz neuen, hochtechnisierten<br />
Giganten. Allen voran Hongkong und Singapur,<br />
dicht gefolgt von Schanghai, Shenzhen (China), Busan<br />
(Südkorea) oder Kaohsiung (Taiwan) und herausgefordert<br />
demnächst von solch exotischen Orten wie Dubai<br />
(Arabische Emirate), Tanjung Pelepas (Malaysia) oder<br />
Laem Chabang (Thailand).<br />
Milliardeninvestitionen<br />
Pionier Der amerikanische Unternehmer<br />
Malcolm McLean war mit seinem Frachter<br />
Ideal-X Erfi nder der Containerisierung.<br />
Auch das nach Hunderttausenden zählende Heer der<br />
Schauerleute schrumpfte dramatisch und mit ihm<br />
schwand trotz erbitterten Widerstands der Einfl uss ihrer<br />
einst allmächtigen Gewerkschaften. Selbst ehrwürdige<br />
Reedereien, seit Jahrzehnten im Geschäft, raff te es angesichts<br />
anstehender Milliardeninvestitionen in neue Schiffe<br />
und Container dahin.<br />
Die Entwicklung ging dabei von Containerschiff en der<br />
ersten Generation mit 750 TEU über Einheiten der dritten<br />
Generation (rund 3.000 TEU), die sogenannten Schiffe<br />
der Post-Panamax-Klasse – diese können wegen ihrer<br />
Größe den Panama-Kanal nicht mehr passieren – mit<br />
weit über 5.000 TEU bis hin zu den Mega-Carriern der<br />
Gegenwart. Ihr Flaggschiff ist das im Jahr 2006 fertiggestellte<br />
größte je gebaute Containerschiff der Welt: die<br />
Emma Maersk. Ein knapp 400 Meter langer, 27 Knoten<br />
schneller und 11.000 Standardcontainer (umgerechnet<br />
knapp 71 Kilometer Zuglänge) tragender<br />
Gigant der Meere.<br />
Schneller, größer, tragfähiger –<br />
das waren die Schlagworte eines<br />
unerbittlichen Verdrängungswettbewerbs.<br />
Spötter urteilten zu Boomzeiten<br />
des Schiff baus Ende des vorigen<br />
Jahrhunderts: „Im Hafen haben<br />
alle eckige Augen.“ Wer nicht mithalten<br />
konnte, schlüpfte damals unter<br />
das Dach fi nanzkräftigerer Kon-<br />
kurrenten, fusionierte oder wurde<br />
einfach aufgekauft. Herrscher der<br />
Containertonnage sind mittlerweile<br />
einige wenige milliardenschwere<br />
Konzerne: Maersk Line Group aus Dänemark, in der ausgerechnet<br />
McLeans alte Sea Land Corporation aufging.<br />
Oder die Schweizer Mediterranean Shipping Company<br />
(MSC). Evergreen (Taiwan), die CMA-CGM Group<br />
(Frankreich). China Shipping selbstredend oder Cosco.<br />
Es sind Namen, die mittlerweile fast jeder kennt, denn sie<br />
begegnen uns nicht nur auf Schiff srümpfen, sondern vor<br />
allem auf ihren bunt lackierten Containern.<br />
Kein Blechkisten-Triumphmarsch indes ohne die nahezu<br />
zeitgleiche Entwicklung von IT und Internet. Sogenanntes<br />
Electronic Data Interchange (EDI) erlaubte erst<br />
den Umgang mit solchen Massen von Transportgut. Von<br />
der Buchung bis zur Rücklieferung, von der Annahme<br />
der Ladung, ihrem Abstellen oder Stauen bis zu ihrer Auslieferung<br />
wird längst alles papierlos dokumentiert, zuweilen<br />
gar aus Sicherheitsgründen vollautomatisch geröntgt.<br />
Jedenfalls gescannt, gelistet, rechnergesteuert observiert.<br />
Computer und Container – das sind Brüder im Geiste.<br />
Erst ihr Zusammenschluss entfaltet einen Sog, der alles<br />
Hergebrachte verschlingt und nie zuvor, vielleicht den<br />
Beginn der Industrialisierung ausgenommen, hat die<br />
Welt einen solchen Systemwandel erlebt.<br />
Mit bekanntem Ausgang. Zerbrochen und verschüttet<br />
die alte, erstanden eine neue Wirklichkeit. Scheinbar<br />
wie aus dem Nichts, in 50 Jahren. Längst verstellen vor<br />
dem Elbtunnel ganze Gebirgszüge aus Blechkisten den<br />
Blick der Autofahrer auf die Stadt und das Hafenbecken,<br />
und deren Gipfel und Grate zeugen vom weiter ungebrochenem<br />
Sturmlauf des globalen Wirtschafts- und<br />
Transportwachstums.<br />
Pausenlos Container-Terminals kennen keinen Stillstand, denn kaum irgendwo sonst ist Zeit mehr Geld wert als im Schiff sverkehr.<br />
Lawrenz liebt das Stakkato nicht, aber das sind die relevanten<br />
Hamburger Zahlen für den Hafen und ihren ersten<br />
Transportdienstleister, die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>:<br />
Platz 2 in Europa hinter Rotterdam. Weltweit Platz 8 für<br />
die Hansestadt unter den größten Containerhäfen.<br />
Rekordumschlag im Jahr 2005 mit 8.087.545 Einheiten.<br />
Jährliche Wachstumsrate von 15 Prozent. Umschlag in<br />
den vergangenen 15 Jahren nahezu vervierfacht – von<br />
knapp zwei Millionen Einheiten 1990 auf über acht Millionen<br />
im Jahr 2005.<br />
Weiterer Ausbau der Lösch-/Lade-Terminals Eurogate<br />
CTH, HHLA Burchardtkai CTB, HHLA Altenwerder<br />
CTA und Tollerort CTT samt Infrastruktur Hafenbahn<br />
mit Planziel 14,7 Millionen Einheiten im Jahr 2010 (Kapazität<br />
2006 = 8,8 Millionen Einheiten).<br />
An- und Abtransport jedes 5. Containers auf der Schiene,<br />
Tendenz steigend bei wachsendem Gesamtmarkt.<br />
DB-Transportanteil bei Containerläufen von über 200<br />
Kilometern sogar nahezu 70 Prozent.<br />
Schnittstelle Zwei Systeme, die sich in Sachen Container hervorragend<br />
ergänzen: Schiff fahrt und Schienenverkehr.<br />
90 91
Container-Tagesumschlag auf der Schiene (an 365 Tagen<br />
rund um die Uhr) bei 7.000 TEU-Einheiten in der Spitze.<br />
50 Neueinstellungen im Jahr 2006 auf insgesamt 520<br />
Mitarbeiter am Cargo-Zentrum Hafen Hamburg, Tendenz<br />
weiter steigend.<br />
Landbrücke nach China<br />
Manchmal staunt Lawrenz selbst über seinen Bilanzvortrag.<br />
Und darüber, wie schnell das ging. „Von Null auf<br />
Hundert in Nullkommanichts.“ Um die Masse an Containern,<br />
die immer größere Schiff seinheiten „abkippen“,<br />
überhaupt bewältigen zu können, werden mittlerweile<br />
die Gleisanlagen der Hafenbahn ausgebaut, recken sich<br />
immer neue Containerbrücken gen Himmel und werden<br />
ganze Hafenbecken zugeschüttet. „Früher“, erzählt<br />
Lawrenz, „hat man für viele kleine Schiff e viel Wasser<br />
und Kaifl äche gebraucht. Heute geht es um Tiefe und<br />
Containerstaufl äche.“<br />
Dort stapelt sich aus- und eingehende Ware ebenso wie<br />
Leergut, welches seiner neuen Befüllung harrt oder aber<br />
bereitsteht zu Wartung und Reparatur. Ein Betätigungsfeld<br />
übrigens für neue Unternehmen – auch so eine Containerkonsequenz,<br />
denn „solche Betriebe“, berichtet<br />
Lawrenz, „gab es früher natürlich nicht“.<br />
Auch auf Seiten der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> hat sich vieles<br />
verändert. Neue Waggons mussten für die Container-<br />
Ladung beschaff t werden, Zugläufe, Logistik- und Transportangebote<br />
änderten sich. Hafen und <strong>Bahn</strong><br />
funktionieren dabei wie zwei Herzkammern. „Wir pumpen<br />
alles in den Kreislauf“, sagt Lawrenz gerne. Im Hinterland<br />
entstanden Kombi-Terminals zur Be- und Entladung<br />
von Zügen und Lkw und längst ist ein Großteil der<br />
verladenen TEU-Einheiten unterwegs über Deutschlands<br />
Grenzen hinweg ins benachbarte Europa: nach Italien<br />
und nach Frankreich, nach Polen und Tschechien und<br />
weiter noch bis in die Türkei.<br />
Selbst die Idee der sogenannten Schienen-Landbrücke<br />
(praktiziert schon zwischen amerikanischer Ost- und<br />
Westküste) von den europäischen Nordseehäfen über<br />
Russland bis nach China nimmt neuerdings konkrete<br />
Gestalt an.<br />
Zudem unterzeichnete Hartmut Mehdorn gerade erst<br />
Ende 2006 für die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> und nach vorhergehenden<br />
Vereinbarungen mit den östlichen Partnerbahnen<br />
einen Vertrag zur Gründung eines Joint-Venture-Unternehmens<br />
in China. Geplant ist der Bau von 18 Kombi-<br />
Terminals im Reich der Mitte und deren Versorgung mit<br />
Containerzügen via Paneuropäischem Korridor II über<br />
Polen, Weißrussland und die Transsib-Trasse.<br />
Der Clou an der ganzen Sache ist: Die Züge sind schneller<br />
als jedes Schiff – und das bei einem jederzeit konkurrenzfähigen<br />
Preis. Woran man unschwer erkennen kann:<br />
Die Geschichte des Containerverkehrs ist noch lange<br />
nicht an ihrem Ende.<br />
Der Logistikplanet<br />
Ohne Verkehrsträger kein Güteraustausch. Ob Schifffahrt oder Flugverkehr,<br />
ob landgestützter Lkw- oder schienengebundener Transportverkehr – der<br />
Welthandel bedarf komplexer Systeme zur Bewältigung der Warenströme.<br />
Warenströme Als Tradelanes bezeichnet man die Welthandelsrouten zwischen den<br />
großen Wirtschaftszonen der Erde. Die schematische Darstellung beziff ert den<br />
Güteraustausch des Im- und Exports zwischen einzelnen Nationen oder Kontinenten.<br />
Den Zahlen liegen Auswertungen der WTO World Trade Organization zugrunde.<br />
Veröff entlicht in der Studie „World Trade Report 2006“.<br />
92 93
IT-Systeme<br />
In der Matrix<br />
Virtuelle <strong>Welten</strong> bestimmen unseren Alltag, und auch das Betreiben komplexer<br />
Verkehrs- und Mobilitätsnetzwerke ist nur noch unter Einsatz ausgefeilter<br />
elektronischer Systeme denkbar. Ob Datenverarbeitung oder Informationstechnologie –<br />
der DB-Konzern verfügt weltweit über die anspruchsvollsten und leistungsfähigsten<br />
Anwendungen und Angebote. Rechenzentren und Steuerungszentralen unterliegen<br />
dabei strikt gehandhabten Sicherheitsbestimmungen.<br />
Sicherheitsschleuse Rechen- und<br />
Datenverarbeitungszentren sind sensible,<br />
geschützte Bereiche. Zutritt hat nur ein<br />
kleiner, dazu eindeutig legitimierter<br />
Personenkreis.<br />
94 95
Im Cockpit Das Herzstück des DB-Daten-<br />
VerarbeitungsZentrums (DVZ) gleicht<br />
tatsächlich einer mit Elektronik<br />
vollgestopften Flugzeugkanzel. Sichtbar<br />
sind auf Großleinwand und Monitoren<br />
laufende EDV- und IT-Anwendungen.<br />
96<br />
Was die komplexen Service-<br />
Systeme im Hintergrund<br />
steuert, wissen die Nutzer<br />
nicht. Für sie zählt einzig,<br />
ob das Ergebnis stimmt.<br />
s gibt Orte, die sind geheimer noch als geheim,<br />
die sind TOP SECRET. Militär, Regierung,<br />
Energieversorger, Banken oder Versicherungen<br />
– sie alle haben gut gehütete Kommunikations-,<br />
Rechner- und Kommandozentralen. Und auch<br />
dieses schlicht-weiße Gebäude sieht aus wie ein mittelständischer<br />
Kleinbetrieb, ist aber in Wahrheit das elektronische<br />
Hirn der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>.<br />
DVZ steht ganz schlicht draußen auf einem kleinen<br />
Schild. DVZ heißt DatenVerarbeitungsZentrum. Und der<br />
Begriff erklärt dem Besucher halbwegs die getroff enen<br />
Sicherheitsvorkehrungen. Man sieht sie erst auf den zweiten<br />
Blick, aber sie sind da: Videokameras observieren das<br />
Geschehen rund um den Gebäudekomplex. Ein mannshoher<br />
Zaun sowie nächtliche Beleuchtung tun ihr Übriges.<br />
Auch patrouillieren dezent gekleidete Männer eines<br />
Wachdienstes.<br />
Wer diese Zentrale betreten will, in der Großrechner<br />
alle virtuellen Computernetzwerke und Anwendungen<br />
des DB-Konzerns steuern, der spaziert nicht einfach mit<br />
einem freundlichen „Grüß Gott“ hinein. So nicht. Der<br />
braucht einen triftigen Grund. Der hinterlegt am Empfang<br />
seinen Personalausweis, unterschreibt einen Besucherschein<br />
mit Erläuterung strikter Verhaltensregeln. Ja,<br />
der erhält für den Weg zu seinem Gesprächspartner sogar<br />
eine Eskorte.<br />
Und dann geht’s mitten hinein in die Matrix prozessorgesteuerter<br />
Plattform-Kraftentfaltung, welche die moderne<br />
Betriebsführung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> mit all ihren<br />
Anwendersystemen erst möglich macht: Personal- und<br />
Materialeinsatz, Fahrplanerstellung und Vertriebssystem.<br />
Instandhaltung, Reisenden-Information, Produktionssteuerung.<br />
Fahrkartenautomat und interne Kommunikation.<br />
Internetpräsenz, Einkauf und auch<br />
Controlling und Geldtransfer.<br />
All diese Dinge interessieren die Kunden wenig – so<br />
lange alles funktioniert. Für sie gibt es im Sprachgebrauch<br />
der <strong>Bahn</strong>er recht hübsche Abkürzungen. FRED und<br />
EDITH etwa heißen die elektronischen Instrumente zur<br />
Disposition von Fahrzeugen und Personal. KUSS nennt<br />
sich eine im Güterverkehr benutzte Hauptanwendung,<br />
EMS spielt den Erlösmanager und DaViT dient dem<br />
Trassenmanagement. Die eingenommenen Euro werden<br />
allerdings weniger prosaisch verbucht. Sie werden ganz<br />
profan über SAP R 3 ins System transferiert.<br />
97
Allgegenwärtig ist im<br />
Maschinenraum das<br />
Summen und Brummen<br />
der Rechner und ihrer<br />
Kühlaggregate.<br />
Aber wie wäre es mit eCargoService, dem Tracking System<br />
von Railion, das via Satellit und GPS Güterwaggons<br />
ortet und ganze Transportabläufe kontrolliert. Oder mit<br />
EBuLa, dem elektronischen Buchfahrplan mit der Anzeige<br />
aktueller Verkehrsbeschränkungen im Netz für Triebfahrzeugführer.<br />
Mit eMp zur rechnergesteuerten Ausschreibung<br />
und Vergabe von Bauleistungen, mit RUT-K<br />
zur Fahrplan-Feinkonstruktion. ESF wäre ebenso zu nennen,<br />
eine Anwendung zur Kostenreduktion bei der Traktionsenergie.<br />
Und nicht zuletzt SmS, der alles könnende<br />
Managementserver. Er schaff t uni- und bidirek tionale<br />
Datenkommunikation zwischen mobilen End geräten<br />
und ihren Backend-Systemen, etwa im Zugbildungs- und<br />
Rangiereinsatz.<br />
Natürlich viel zu viel der Fachkürzel, aber Computerwelten<br />
kennen kein Erbarmen, und deshalb geht es jetzt<br />
in den Keller des DatenVerarbeitungsZentrums. Wilhelm<br />
Müller*, seines Zeichens Diplom-Ingenieur der Informationsverarbeitung<br />
und Leiter Infrastruktur bei DB Systems,<br />
macht den Führer. Er besitzt alle notwendigen<br />
Schlüssel, um dorthin zu gelangen. Zu überwinden sind<br />
Schloss-Allee Beim Monopoly wäre diese Gasse die teuerste Adresse.<br />
Großrechner vom Format Mainframe kosten ein paar Millionen Euro.<br />
Sicherheitsschleusen. Und dabei geht es zu wie auf dem<br />
Raumschiff Enterprise: „Beam me up, Scotty“. Also: Tür<br />
auf. Rein. Tür zu. Kurz warten in glasgewölbter Hülle,<br />
dabei Videokameracheck. Andere Tür auf. Wieder raus …<br />
und drin.<br />
Schwarze Schleifl ackschränke<br />
Sah man je eine solche Armada unterschiedlicher Großrechner.<br />
„Kategorie Mainframe und natürlich jede Menge<br />
Unix-Middleware“, wie Müller erläutert. Hübsch sortiert<br />
alles in den langen Gangfl uchten des Maschinenraums 1.<br />
Von A nach H und von 1 bis 17. Lauter teure und vor allem<br />
leistungsstarke Produkte namhafter Hersteller auf mehr<br />
als 2.000 Quadratmetern. Übrigens erscheint gleich nebenan<br />
Maschinenraum 2 wie das Spiegelbild von Raum 1<br />
– alles in gleicher Formation. Zum Back-up, zu Abgleich<br />
und Archivierung, zur Sicherheit.<br />
Manche Exemplare erinnern an schwarze Schleifl ack-<br />
Schlafzimmerschränke. Der IBM @Server zSeries 990 ist<br />
so ein Typ. Seine Front ist makellos verblendet und nichts<br />
weist auf das komplexe, Millionen Euro teure Innenleben<br />
hin. Allein seine Rechnerleistung füllte zu Zeiten der<br />
einstigen Bundesbahn noch den gesamten Raum mit Gerätschaften.<br />
Jemand erzählt etwas von Multi Bookstruktur,<br />
superskalarem Mikroprozessor, von CMOS 9S-SQI<br />
Technologie, von Logical Channel SubSystems (LCSSs),<br />
von Z/OS Workload und MIPS. Letzteres beschreibt die<br />
Verarbeitungsleistung solcher Gigabyte-Giganten. „Muss<br />
man nicht unbedingt wissen, wird erläutert, ist aber wichtig<br />
für die Abrechnung mit unseren Kunden wie Railion<br />
Deutschland <strong>AG</strong> oder Personenverkehr. Sie zahlen für<br />
Million Processor Transactions Per Second, kurz MIPS<br />
und das summiert sich über das Jahr gesehen auf zweistellige<br />
Millionenbeträge.“<br />
Aber was sind schon abstrakte Zahlen. Weit mehr Sinneseindruck<br />
bewirkt das allgegenwärtige Blinken grün<br />
oder rot leuchtender Dioden, die vielen Steckverbindungen<br />
und die schiere Menge an Kabelsträngen. Sie verschwinden<br />
im Boden, bündeln sich dort zu armdicken<br />
Leitungen und suchen fortan ganz im Geheimen und<br />
Verborgenen das Weite.<br />
Und da ist dieses immerwährende Summen und<br />
Brummen der Rechner und ihrer Kühlaggregate. Zutritt<br />
zu diesem einen Maschinenraum haben übrigens nur 30<br />
der 120 Mitarbeiter überhaupt. Nie wird es in diesem<br />
besonderen Raum kälter als 20, nie wärmer als 25 Grad.<br />
„30 Minuten ohne Klimaanlage wären für die Systeme<br />
tödlich“, sagt Müller. Kompletter Stromausfall ist deshalb<br />
ausgeschlossen oder besser: doppelt abgesichert.<br />
„Im Fall des Falles setzt für eine halbe Stunde die übergangslose<br />
Batterieversorgung ein, danach übernehmen<br />
Dieselgeneratoren.“ Wozu man noch wissen sollte: Der<br />
Energieverbrauch bemisst sich im DVZ nach der Größenordnung<br />
einer mittleren Kleinstadt.<br />
Strippenzieher Daten-Autobahnen verlaufen unter dem Fußboden und beeindrucken nur Laien. IT-Elektroniker kennen sich dagegen aus.<br />
Und weiter. Nächste Sicherheitsschleuse, neuerliches<br />
„durchbeamen“ mit Tür auf, Tür zu und Einmarsch in die<br />
Überwachungs- und Steuerungszentrale, genannt „das<br />
Cockpit“. Die Pilotenkanzel eines Airbus A 380 ist dagegen<br />
eine kleine technische Spielerei. Beherrscht wird der<br />
Raum von einer 3 x 1,50 Meter großen Bildschirmwand.<br />
Die Vielzahl darauf projizierter Einzeldarstellungen, Grafi<br />
ken und Hieroglyphen erschließt sich nur Eingeweihten.<br />
Selbst Computerspezialisten fühlen sich stets aufs<br />
Neue von diesem Anblick „wie erschlagen“.<br />
Auf der Kommandoebene<br />
Ein paar allgemein erklärende Worte können jetzt nicht<br />
schaden. Also sagt Müller, der Herr über Bits und Bytes:<br />
„Wir befi nden uns hier auf der Kommandoebene, können<br />
alle Systeme beeinfl ussen und widmen uns dabei vornehmlich<br />
der Kontrolle, Überwachung und Behandlung<br />
von auftretenden Fehlern. Es sind dies Dinge, die unsere<br />
Kunden in ihrer Funktion als Anwender nicht tun<br />
können.“<br />
Ein Beispiel: An dem DB-internen Kommunikationsnetzwerk<br />
BKU hängen mehr als 70.000 Endgeräte, darunter<br />
PCs. Sollte es nur eingeschränkt arbeiten oder ganz<br />
aussteigen, so wäre für den Mitarbeiter Pause am Büro-<br />
PC; rien ne va plus – nichts ginge mehr. Im Cockpit liefe<br />
allerdings sofort eine Störfallmeldung auf, die eine Reihe<br />
von Systemchecks zur Fehlerbeseitigung zur Folge hätte.<br />
Sagt Müller: „Gleiches gilt für jede andere Art der rund<br />
380 rechnergestützten Anwendungen, die wir hier auf<br />
fünf Plattformen fahren. Etwa: Linux & OS 390, Windows,<br />
Solaris/Linus, AS400 und HP NonStop-Systeme.“<br />
Die Arbeit wird im Dreischichtbetrieb rund um die<br />
Uhr von jeweils neun Informatikern geleistet. Die Damen<br />
und Herren hocken, dreireihig angeordnet, gleich Rallyefahrern<br />
in ergonomisch geformten automobilen Recarositzen<br />
vor der Großbildwand. Jeder hat noch vier eigene<br />
Monitore auf seinem Arbeitstisch und beschäftigt sich<br />
unentwegt mit Sondierung, Diagnose sowie Informations-<br />
und Entstörungsmanagement. „Das mag wie Mäusekino<br />
aussehen“, erzählt Schichtleiterin Sabine Feilen* mit<br />
Blick auf die blinkenden Anzeigen, „aber unser Geschäft<br />
erfordert hohe Konzentration, Aufmerksamkeit und vor<br />
allem Flexibilität, denn die Dinge ändern sich von Minute<br />
zu Minute. Ein Störfall, und hier bimmeln alle Telefone<br />
zur gleichen Zeit.“<br />
Ihr immer prüfender Blick gilt dem großen Ganzen,<br />
dem sogenannten Cockpit-Viewer. Darauf sichtbar sind<br />
98 99
Die Energieversorgung<br />
eines Rechenzentrums<br />
bemisst sich nach<br />
Größenordung einer<br />
mittleren Kleinstadt.<br />
alle laufenden Anwendungen vom Personenverkehr über<br />
Transport und Logistik, der Holding mit ihrem umfangreichen<br />
Finanzbereich, Infrastruktur, Stationen, Dienstleistungen.<br />
Grünes Leuchten signalisiert einwandfreien<br />
Betrieb. Gelb warnt. Orange ist kritischer als Gelb und<br />
mahnt vor Stufe Rot. Rot ist ernst, Rot ist Störfall. Aber<br />
Rot ist nicht gleich Rot, denn es gibt noch Rot für ältere<br />
Anwendungen, „aber die laufen“, so die Schichtleiterin,<br />
„in unserem zweiten Cockpit“.<br />
Zweites Cockpit? „Klar, gibt es ebenfalls“, sagt Müller.<br />
Gleiche Ausstattung, gleiche Funktion. Nur ein anderer<br />
Standort, in einer anderen, weit entfernten Stadt. Der<br />
Name ist natürlich TOP SECRET. Damit zum letzten,<br />
dem allergeheimsten Geheimnis, dem Großrechenzentrum<br />
II. Dies wiederum befi ndet sich ganz in der Nähe des<br />
DVZ. Es ist aus Gründen der Datenübertragung keine<br />
sechs Kilometer entfernt, wurde anno 2003 aufgebaut<br />
und ist gedacht als Reserveeinheit für den Totalausfall<br />
aller kritischen Systeme. „Im Alltag“, so Müllers Erläuterung,<br />
„fi ndet dort die Sicherung aller DVZ-relevanten<br />
Daten auf Platten beziehungsweise Bändern statt. Aufschreiben<br />
und ablegen geschieht in Millisekunden und<br />
die Zeit, die dabei verloren geht, spürt keiner.“<br />
Release und Update<br />
Ein schönes Stichwort – die Zeit. Für Müller gab es einst<br />
eine andere, eine Robotron-Zeit. In der DDR aufgewachsen<br />
und zuerst zum Facharbeiter für Datenverarbeitung<br />
ausgebildet, beschäftigte er sich schon mit Systemprogrammierung<br />
zu Zeiten der Reichsbahn. Elektronische<br />
Platzbuchung etwa war damals eine selbst für westlichen<br />
Standard fortschrittliche Neuerung, „ein echter Verkaufsrenner<br />
im Ostblock“, erinnert er sich. Allerdings gab es<br />
keine PC. „Wir kannten damals zwar IBM-Computer und<br />
darauf laufende Betriebssysteme, aber nach der Wende<br />
haben wir dann doch über den günstigen Preis und die<br />
Leistungsfähigkeit von ganz normalen Heimcomputern<br />
gestaunt.“<br />
Im Rückblick hatte das Leben in der elektronischen<br />
Diaspora allerdings auch sein Gutes. Sagt Müller: „Es gab<br />
Aufgeladen Zum Sicherheitsstandard gehört die Notstromversorgung,<br />
welche zuerst von Batterien übernommen wird.<br />
zwar nur betriebliche Anwendungen, aber unsere technische<br />
Isolation zwang uns dazu, tiefer in die Systeme einzusteigen,<br />
selbst zu programmieren und eigene Erweiterungen<br />
zu kreieren. Das hilft noch heute, Neuerungen zu<br />
verstehen oder umzusetzen.“<br />
Gleichwohl handelt es sich bei ihm oder seiner Cockpit-Besatzung<br />
nicht um Alleswisser. Zu komplex ist inzwischen<br />
das ganze Thema, weshalb sich etwa Sabine<br />
Feilen nur auf das Wesentliche ihres Jobs konzentriert.<br />
Was bedeutet: Verfahrenssicherheit gewährleisten, ausreichende<br />
Rechner-Ressourcen zur Verfügung stellen, sogenannte<br />
Releases oder Updates einspielen, Systempfl ege<br />
betreiben. So wird etwa der Mainframe alle vier Wochen<br />
durchgestartet, was einer Reinigung gleichkommt – so<br />
wie Security Checks durchführen.<br />
Ohnehin wird das ganze System unentwegt „penetriert“,<br />
also auf Schwachstellen oder Lücken überprüft. Es<br />
gibt Viren, Spam, Trojaner und da draußen, heißt es, sind<br />
immer Leute, die unentwegt mit allen Mitteln versuchen,<br />
in geschützte und sensible Bereiche einzubrechen. „Ein<br />
großes Thema nicht nur für uns, sondern für alle Anwender“,<br />
sagt Müller. „Wir können schließlich nur Datenströme<br />
messen, was nichts über deren Inhalte besagt.“<br />
Vernetzung der Systeme<br />
Ein nur schwacher Trost für alle, denen der IT-Kosmos<br />
ein ewiges Rätsel bleiben wird. Stefan Mertens* gehört allerdings<br />
nicht dazu. Der diplomierte Informatiker von DB<br />
Systems ist ein exzellenter Wegweiser durch das Dickicht<br />
nahezu unüberschaubarer Anwendungsvarianten. Aus<br />
einleuchtendem Grund übrigens, denn im Geschäftsfeld<br />
DB Systems bündelt sich alles, was innerhalb des Unternehmens<br />
auch nur entfernt mit elektronischer Datenverarbeitung<br />
zu tun hat – vom Ticketautomaten bis hin zum<br />
gerade geschilderten Datenverarbeitungszentrum.<br />
„<strong>Bahn</strong> heute und vor 20 Jahren“, sagt Mertens, „dazwischen<br />
liegt eine regelrechte Revolution. Heute gehört die<br />
DB <strong>AG</strong> zu den zehn größten IT-nutzenden Unternehmen<br />
der Republik.“ Aufgrund dieser Fähigkeiten im Bereich<br />
Mobilität und Logistik ist sie weltweit führend im Managen<br />
hochkomplexer Verkehrsdienstnetze.<br />
Ungestillt bleibt indes der Hunger nach immer neuen<br />
Informations- und Kommunikationslösungen bei allen<br />
Geschäftsbereichen. Nach Vernetzung der Systeme, nach<br />
Vereinfachung der Verfahren und noch mehr Schnelligkeit<br />
im Dienst der mobilen Kundschaft. DB Systems hält<br />
dafür rund 2.100 eigene Mitarbeiter sowie externe Dienstleister<br />
bereit. „Unser Portfolio umfasst vom Hardware-<br />
Einkauf über die Architektur neuer Systeme bis hin zu<br />
deren Programmierung, Einrichtung und Pfl ege sowie<br />
Weiterentwicklung die ganze Angebotspalette. Dabei<br />
stellen wir uns natürlich dem Wettbewerb und nehmen<br />
ganz normal an Konzernausschreibungen teil.“<br />
100 101
Ein paar Arbeitsproben von Kollegen gefällig? Mertens*<br />
schaut schnell in seine Datenbank und zaubert unzählige<br />
Namen auf seinen Bildschirm. Das ist ganz so, als benutze<br />
er einen Quellcode. Et voilà – da wäre zum Beispiel Felix<br />
Schneider*, Leiter des Einkaufs von Informationssystemen.<br />
Ein Mann der Finanzen: IT spart nicht nur, IT kostet<br />
auch Geld. Schneider beziff ert die Ausgaben des gesamten<br />
DB-Konzerns für elektronische Medien auf rund 400<br />
Millionen Euro per annum. Darunter waren im Jahr 2006<br />
Investitionen in neue mobile Datenübertragungsgeräte<br />
von Zugbegleitern oder für Fahrkartenautomaten, ebenso<br />
Millionen für die Wartung bestehender Systeme, hohe<br />
Aufwendungen für neue Softwarelösungen und dazu jede<br />
Menge Ausgaben für geringfügige Wirtschaftsgüter.<br />
„Druckerpatronen beispielsweise und solche Sachen.“<br />
Auch der Einkauf von Großrechnern und Servern, wie<br />
sie im DVZ stehen, fällt in Schneiders Bereich. „Das ist<br />
eines der großen Themen der nächsten Jahre“, sagt er,<br />
„denn gerade ist die Ausschreibung zur Erneuerung des<br />
Datenspeicherparks abgeschlossen worden.“<br />
Sichtbar wird an dieser Stelle die<br />
Grundstruktur des IT-Aufbaus. Zuerst<br />
äußern Geschäftsbereiche oder<br />
Tochterunternehmen ihre Bedürfnisse,<br />
es erfolgt eine Kosten-Nutzen-<br />
Rechnung, und danach geht es an die<br />
konkrete Planung. Die Frage lautet<br />
immer: Wie lässt sich der Kundenwunsch<br />
technisch effi zient, anwenderfreundlich,<br />
preisgünstig und dazu<br />
netzwerkübergreifend am besten umsetzen?<br />
„Ihr Auftrag“, heißt es dann<br />
oft im Büro von Peter Reimann*, 32.<br />
Der noch junge Mann ist einer der Chefarchitekten im<br />
Bereich Software Development bei der DB Systems <strong>AG</strong>.<br />
Architekt – das wollte der Sohn eines Bauzeichenlehrers<br />
eigentlich immer werden. Ganz im herkömmlichen<br />
Sinne von Häusern planen und bauen. Dann aber kamen<br />
ihm die Computer dazwischen. Zu Schülerzeiten bastelte<br />
er die erste Hardware selbst zusammen. „Das war irgendwie<br />
ein fl ießender, kreativer Prozess.“ An dessen Anfang<br />
stand ein ZX 81 Computer mit Folientastatur. Den schloss<br />
Reimann an Fernseher und Kassettenrekorder an. Passende<br />
Software gab es nicht, also schrieb er sie selbst und<br />
lernte dabei ganz nebenbei die verschiedenen Programmiersprachen.<br />
Vom Häusle bauen ist also längst keine Rede mehr,<br />
doch gibt es Parallelen. „Auch meine Architektur kennt<br />
Baupläne, Materialien und verschiedenste Gewerke“,<br />
Kabelsalat Welcher Stecker zu welchem<br />
Anschluss passt, weiß einzig der Experte.<br />
sagt Reimann und skizziert mit schnellen Strichen ein<br />
komplettes Internet-Anwendungssystem. Mit einer oder<br />
mehreren Datenbanken, zum Verwalten von Inhalten.<br />
Mit Redaktions- und Publikationsservern. „Das hier“, so<br />
drückt er sich aus, „sind lauter Blechinstanzen. Sie bilden<br />
als Systempower das Rahmengerüst, vergleichbar mit<br />
Fundament und Mauerwerk.“<br />
Hinzu kommen Teile des zu verwendenden Betriebssystems,<br />
Programmiersprache, Server-Software, Schnittstellenstandards.<br />
Thema sind dazu Sicherheitsfeatures<br />
wie demilitarisierte Zonen und Firewalls. Für alles und<br />
jedes gibt es jetzt Fachkräfte: Software-Entwickler, Kommunikations-Designer<br />
für die Oberfl ächendarstellung,<br />
Tester, auch Spezialisten für den Betrieb des Systems.<br />
„Entscheidend ist am Ende aber immer der Kundenwunsch“,<br />
sagt Reimann. „Was will er mit der Anwendung<br />
machen, wer soll damit arbeiten und wie viele andere<br />
Interessenten wollen oder sollen sie nutzen.“<br />
Letzteres betriff t die Schnittstellenorganisation und<br />
deren Vereinheitlichung, mithin die anwendungsübergreifende<br />
Vernetzung aller Systeme. Reimanns Lieblingsthema,<br />
Stichwort: serviceorientierte<br />
Architektur (SOA). Erste Frage<br />
in diesem Zusammenhang: „Wie aktuell<br />
ist unsere IT-Welt bei der DB?“<br />
Zweite Frage: „Wo haben wir möglicherweise<br />
Probleme bei der Quernutzung<br />
von Systemen?“<br />
Ein Beispiel für die umfassende<br />
Aufgabe ist das Reisenden-Informationssystem<br />
des Personenverkehrs.<br />
Es speist sich aus unterschiedlichen<br />
Quellen, sammelt Infos über den Ist-<br />
Zustand des Zuglaufs aus der elektronischen<br />
Datenübermittlung von Zugmeldeanlagen, Stellwerken<br />
und Zugbegleitern, gleicht diese mit den<br />
hinterlegten Fahrplanparametern ab und berechnet daraus<br />
Umsteige-, Warte- oder neue Anschlusszeiten.<br />
Noch um ein Vielfaches komplexer sind Anforderungen<br />
des Güterverkehrs beim Railion-Verbund, also das<br />
Management von europaweit täglich rund 5.500 Güterzügen,<br />
von 3.150 Lokomotiven und knapp 240.000 Mitarbeitern<br />
bei einer jährlichen Gesamtverkehrsleistung von<br />
83,9 Milliarden Tonnenkilometern (tkm).<br />
KundenServiceSystem (KUSS) heißt dort die Plattform,<br />
hinter der sich ein automatisierter Workfl ow<br />
der Kundenschnittstellen, von CTI/ACD Telefonie,<br />
auto matisiertem Routing digitalisierter Faxe und Mails<br />
mit einem ToDo-Management verbirgt. Dazu gehören<br />
noch weitere 38 Anwendungen. Mit deren Unterstützung<br />
Allein die IT-Ausstattung des KundenServiceZentrums von DB<br />
Logistics, Bereich Railion, kostete annähernd 700 Millionen Euro.<br />
Kraftwerk Bei Stromausfall übernehmen nach 30 Minuten Dieselgeneratoren die Arbeit der Batterie-Notversorgung.<br />
steuern die 1.200 Mitarbeiter vom KundenServiceZentrum<br />
(KSZ) in Duisburg aus nicht nur den Verkauf beziehungsweise<br />
den Vertrieb, sondern auch die Produktion.<br />
Sie überwachen damit alle Verkehre und kommunizieren<br />
über ihre Rechner auch direkt mit den Kunden.<br />
Mitarbeiter als Herzstück aller IT<br />
„Unser Zentrum hat zusammen mit der kompletten IT-<br />
Ausstattung einen Gegenwert im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“,<br />
sagt Timo Bode*, Leiter der Abteilung<br />
DV-Systeme, Prozesse. „Aber zum Leben erwecken<br />
es erst unsere Mitarbeiter. Immer noch sind sie das Herz<br />
des Ganzen, sie halten den unbedingt notwendigen persönlichen<br />
Kontakt zu unseren Kunden.“ Und er fügt hinzu:<br />
„Die IT weiß zwar alles, aber wehe sie fällt aus und ist<br />
einfach mal nicht da. “<br />
Der Reisende kennt das womöglich aus eigener Erfahrung.<br />
Er steht an der Verkehrsstation Heide in Nordfriesland<br />
und möchte noch schnell eine elektronische Fahrkarte<br />
lösen, doch ausgerechnet dieser eine von genau<br />
10.000 DB-Ticketautomaten streikt. Warum jetzt, kurz<br />
vor Abfahrt– nichts rührt sich, scheinbar ist das Gerät<br />
ausgefallen. Der Reisende weiß natürlich nichts über die<br />
Beschaff enheit des Automaten und dessen aktuelles technisches<br />
Problem. Weiß nicht, dass es sich im Grunde um<br />
einen Computer handelt, der allerdings über eine ISDN-<br />
Leitung oder gar über ein lokales LAN-Netz eingebunden<br />
ist in das bahneigene Vertriebssystem. Dass er, wie es zu<br />
neudeutsch heißt, online geht und Zugriff erhält auf Hintergrundsysteme,<br />
die Auskunft geben über kontingentierte<br />
Ticketangebote oder neue Fahrplandaten. Dass der<br />
Fahrkartenautomat im Umkehrschluss via Kartenleser<br />
eingenommene Geldbeträge virtuell transferiert oder statistische<br />
Werte übermittelt.<br />
Und der Reisende weiß natürlich nicht, dass dessen<br />
Betriebsführungsmodul im Falle eines Defekts eigenständig<br />
eine Fehlermeldung absetzt. Es blinkt dann im Cockpit<br />
des DatenVerarbeitungsZentrums der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> ein rotes Lämpchen auf, und dort veranlasst<br />
man sofort, die Störung zu beseitigen. Womit sich der<br />
Kreis am Ende wieder schließt und sich die Frage erübrigt,<br />
von wo aus diese virtuelle DB-Welt gesteuert wird.<br />
Denn die ist einfach überall.<br />
*Namen von der Redaktion geändert<br />
102 103
Mitarbeiter Tino Steigleder<br />
DB Regio Sverige AB, Stockholm<br />
Außenposten<br />
Früher eine Seltenheit, heute im global aufgestellten Konzern<br />
Normalität: die internationale Karriere. Nahezu jeder fünfte<br />
DB-Mitarbeiter versieht mittlerweile seine Aufgaben im Ausland.<br />
Das Gros arbeitet dabei im Netzwerk von DB Logistics, aber auch der<br />
Personenverkehr ist längst über deutsche Grenzen hinweg unterwegs.<br />
Stellvertretend für rund 49.000 Mitarbeiter, die im Ausland ihren Job<br />
versehen, vier ganz persönliche Steckbriefe.<br />
In Gera geboren studierte Tino<br />
Steigleder in Jena Betriebswirtschaft,<br />
ehe er 1999 bei DB Regio<br />
seine Laufbahn begann. Seit 2002<br />
vertritt er die <strong>Bahn</strong>-Tochter als<br />
Geschäftsführer in Schweden. Leben<br />
im Norden, das klingt gemütlich,<br />
aber tatsächlich ist Zeit Tino<br />
Steigleders kostbarstes Gut. Sein<br />
Terminkalender ist prall gefüllt,<br />
denn Mitte des Jahres geht es um<br />
viel Prestige. Öff entlich ausgeschrieben<br />
wurden die Öresund-<br />
Verkehre zwischen Dänemark und<br />
Schweden, und Steigleder bemüht<br />
sich für die DB Regio <strong>AG</strong> gemeinsam<br />
mit seinen Frankfurter Kollegen<br />
um den Auftrag. Volumen:<br />
insgesamt bis zu 90 Millionen<br />
Euro pro Jahr, Entscheidung vermutlich<br />
Sommer 2007. In Geduld<br />
übt sich bis dahin seine schwedische<br />
Lebenspartnerin, und auch<br />
Golf, seine liebste Freizeitbeschäftigung,<br />
hat Pause.<br />
104 105
Cristina Cornejo<br />
Schenker Projekt-Management,<br />
Santiago de Chile<br />
Schon zu Schulzeiten zeichnete<br />
Cristina Cornejo persönlicher Stil<br />
und ein besonderes Organisationstalent<br />
aus, und fast zwangsläufi g<br />
fand die Ehefrau und Mutter eines<br />
Sohnes ihre berufl iche Bestimmung<br />
im internationalen Speditionsgewerbe.<br />
In 15 Jahren durchlief<br />
sie vom Kundenservice bis zur Abwicklung<br />
von Luft- und Seefracht<br />
fast alle Stationen der Schenker-<br />
Landesgesellschaft in Chile. Doch<br />
erst der Aufbau des heimischen<br />
Projektgeschäfts, dessen Leitung<br />
sie mit Beginn 2007 übernahm,<br />
wurde zu ihrer wahren berufl ichen<br />
Erfüllung. Im Mittelpunkt steht<br />
jetzt Transport und Logistik beim<br />
Aufbau ganzer Fabrikanlagen. In<br />
Deutschland würde man wohl sagen:<br />
Dafür hat Cristina ein Händchen.<br />
Ebenso übrigens wie für ihre<br />
zwei Hobbys: Das Kochen und die<br />
geschmackvolle Einrichtung ihres<br />
Eigenheims an der Küste bei<br />
Santo Domingo.<br />
Stephen Owles<br />
Schenker Logistics, Neuseeland,<br />
Auckland<br />
Neuseeland ist ein Inselstaat und<br />
dementsprechend liest sich die<br />
Liste persönlicher Vorlieben von<br />
Stephen Owles. Er segelt mit Begeisterung,<br />
geht gern fi schen und<br />
ist ein ausgezeichneter Schwimmer.<br />
Individuelle Fähigkeiten verbunden<br />
mit einer großen Portion<br />
Teamgeist zeichnen ihn allerdings<br />
vor allem berufl ich aus: Nach der<br />
Übernahme seines bisherigen Arbeitgebers<br />
BAX Global durch die<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> führt Owles<br />
jetzt als General Manager die<br />
Logistikgeschäfte der Schenker-<br />
Niederlassung in seiner Heimat<br />
und profi tiert dabei von einer<br />
mittlerweile zwanzigjährigen Berufserfahrung.<br />
Sein Hauptinteresse<br />
gilt jetzt dem Ausbau der transpazifi<br />
schen Verkehre und von<br />
Logistikketten.<br />
Natalja Wolodina<br />
Railion Russija Services, Moskau<br />
Um intermodale Güterverkehre,<br />
um Tarif- und Angebotsfragen im<br />
Bereich der GUS-Staaten kümmert<br />
sich Natalja Wolodina, Railion-Managerin<br />
in Russland. Ihr „Reich“<br />
erstreckt sich dabei vom Pazifi k<br />
über Mittelasien bis nach Westeuropa.<br />
Ein Großteil aller Güter wird<br />
hiert mittlerweile über die Schiene<br />
transportiert. Ihren Beruf hat die<br />
gebürtige Usbekin von der Pike<br />
auf gelernt: Als diplomierte Ingenieurin<br />
für den Eisenbahn-<br />
Betriebsdienst arbeitete sie schon<br />
früh auf internationaler Ebene.<br />
Seit 1998 lebt sie mit Mann und<br />
Töchtern in Moskau, und zwei<br />
Dinge zaubern ein Strahlen auf<br />
ihr Gesicht: ein erfolgreich abgeschlossenes<br />
Transportgeschäft<br />
und Enkel Artemijs Lachen.<br />
106 107
Gitterwerk Vor der Silhouette des Qinling-<br />
Gebirges verschweißt ein chinesischer Arbeiter<br />
das Stahlgefl echt zur Fertigung eines 32 Meter<br />
langen Elements für Betonbrückenträger.<br />
Auslandsmärkte<br />
Wertarbeit<br />
Moderne <strong>Bahn</strong>technik wird weltweit nachgefragt, und kaum ein anderes Unternehmen<br />
verfügt über mehr fachspezifisches Wissen als die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>. Konzernspezialisten<br />
sind global in viele Projekte eingebunden und leisten sowohl im Mittleren<br />
Osten als auch bei Chinas ehrgeizigem Aufbau schienengebundener Hochgeschwindigkeitsverkehre<br />
wertvolle Unterstützung.<br />
108 109
Tunnelblick Ob Tal, ob Berg – nichts hält<br />
Chinas Eisenbahningenieure beim Bau der<br />
Hochgeschwindigkeitstrecke zwischen<br />
Zhengzhou und Xi’an auf.<br />
110 111
Flaggenparade An der Wand der Plan des Großprojekts, vor den Landesfahnen sein Name auf Chinesisch – Dietrich Theurer in seinem Büro.<br />
Vortrieb Chinesische Arbeiter sichern beim Tunnelbau für die neue Hochgeschwindigkeitstrasse das Deckengewölbe mit Stahlträgern.<br />
Feste Fahrbahn für Hochgeschwindigkeitszüge und digitaler<br />
<strong>Bahn</strong>funk GSM-R sind die Produkte des Technologietransfers.<br />
m Hof des Kaisers von China wäre Dietrich<br />
Theurer bestimmt Geschichtenerzähler gewesen.<br />
Eine Begabung dazu hat er jedenfalls.<br />
Ist weit gereist, schwer belesen, ein Typ Viel-<br />
und manchmal – „leider, leider“ – auch Allesganzgenauwisser.<br />
Darüber verrät seine Visitenkarte allerdings<br />
nichts. Sie annonciert ihn trocken als Chief<br />
Consulting Engineer. Dazu eine kleine Anmerkung von<br />
Theurer: „Zitat von François de La Rochefoucauld“, sagt<br />
er und spricht: „Das Talent der <strong>Menschen</strong> hat viele Jahreszeiten<br />
– wie die Früchte.“<br />
Ein schlagfertiger Mann also, dieser Kosmopolit und<br />
Eisenbahner. Jawohl, Eisenbahner, denn für die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Bahn</strong> arbeitet Dietrich Theurer derzeit in China. Den Kaiser<br />
gibt es dort zwar längst nicht mehr, dafür blüht Xi’an,<br />
seine einstige Hauptstadt. Ein Ort, an den man sich sehnlichst<br />
hinwünscht, weil er wie geschaff<br />
en ist für Kunst-, Kultur- und<br />
zeitgeschichtlich interessierte <strong>Welten</strong>bummler.<br />
„In Xi’an“, sagt Theurer,<br />
„gibt es Sehenswürdigkeiten wie<br />
Sommersprossen auf einem irischen<br />
Kindergesicht.“<br />
Altes meist, aus Zeiten der Han-,<br />
der Qing-, Tang- und Ming-Dynastien.<br />
Die 13,6 Kilometer lange Stadt-<br />
mauer und ihre Tore etwa, mitten im<br />
Landesinneren, südwestlich von<br />
Peking. Oder der Glocken- und Trommelturm<br />
im Stadtzentrum. Die imposante<br />
Wildgans-Pagode und natürlich Qin Shihuangdi’s<br />
weltberühmte Terrakotta-Armee. Meint daneben aber<br />
auch Neues oder besser und mit Theurers Worten gesagt:<br />
„Werdendes“.<br />
Ein Projekt vor allen anderen ist auch „sein“ Projekt:<br />
der Bau einer Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitstrasse<br />
über 484,5 Kilometer von Zhengzhou nach X’ian. Die<br />
Strecke ist Abschnitt eines gewaltigen Langfristprogramms,<br />
mit welchem Chinas Regierung bis zum Jahr<br />
2020 sein <strong>Bahn</strong>netz erweitern will. Nach Auskunft des<br />
Eisenbahnministeriums in Peking sieht es Investitionen<br />
von nahezu 196 Milliarden Euro vor.<br />
Geplant ist neben Maßnahmen zur Streckenertüchtigung<br />
sowie Elektrifi zierung ein Ausbau des gesamten<br />
Netzes um 28.000 auf insgesamt 100.000 Schienenkilometer.<br />
Darunter fallen 12.000 Kilometer neu zu bauender<br />
High-Speed-Rail-Trassen (Passenger Dedicated Lines,<br />
PDL) für Züge mit Tempo 200 und schneller, die in acht<br />
Linien (vier vertikal, vier horizontal) Chinas Wirtschafts-<br />
und Ballungszentren <strong>verbinden</strong> sollen.<br />
Know-how-Träger Ingenieure der <strong>Bahn</strong>-<br />
Tochter DE-Consult sind auch in China sehr<br />
gefragte, weil erfahrene Spezialisten.<br />
Als vertikale Passagen gelten: 1.300 Kilometer Trasse<br />
Peking–Schanghai; 2.230 Kilometer Peking–Wuhan–<br />
Shenzhen; 1.860 Kilometer Trasse Peking–Ha’erbin und<br />
Dalian sowie 1.600 Kilometer Trasse Hangzhou–Ningbo–Shenzhen<br />
zur Erschließung von Chinas südöstlicher<br />
Küsten linie.<br />
Die horizontalen Passagen sind daneben: 1.900 Trassenkilometer<br />
Nanjing–Wuhan–Chongquing–Chengdu;<br />
770 Kilometer Qingdao–Taiyuan; 890 Kilometer Hangzhou–Changsha<br />
sowie die 1.400 Kilometer lange Trasse<br />
Xuzhou–Lanzhou mit Theurers Arbeitsfeld: dem Teilabschnitt<br />
Zhengzhou nach Xi’an entlang der Ufer von<br />
Chinas sagenumwobenem Gelben Fluss.<br />
Ein einzigartiges Kulturland sei das, sagt der <strong>Bahn</strong>ingenieur<br />
und springt durch Jahrtausende der Menschheitsgeschichte.<br />
Hopplahopp geht das: Von der Besiedelung<br />
des Gebiets vor mehr als 40.000<br />
Jahren über das Werden und Vergehen<br />
der Kaiserdynastien bis hin zum<br />
Handelsleben zu Zeiten der Seidenstraße<br />
(sie nahm ihren Anfang in<br />
Xi’an) und dem Geschehen heutiger<br />
Tage. Im Hier und Jetzt beschäftigen<br />
sich die chinesischen Eisenbahnbauer<br />
mit den Tücken des Dutzende von<br />
Meter dicken Lössbodens. Sein auf-<br />
gewehter gelblicher Feinstaub prägt<br />
die Landschaft rund um die Stadt<br />
(7,16 Millionen Einwohner). Er habe<br />
die nahen Lin Tong-li Berge in eineinhalb<br />
Jahren erst drei Mal gesehen, gesteht Theurer, „ganz<br />
zu Schweigen vom Gipfel des Heiligen Hua Shan. Der<br />
steckte, wann immer ich bei meinen Fahrten entlang der<br />
Baustellen vorbeikam, hoch in den Wolken.“<br />
12.000 neue Streckenkilometer<br />
Abenteuer China, erst recht in bautechnischer Hinsicht.<br />
Die Trassenkonstruktion in fester Fahrbahn nach Vorbild<br />
der ICE-Strecke Frankfurt/M.–Köln vergleicht Theurer<br />
gerne mit einem „Stück Uhrmacherarbeit. Dabei geht es<br />
immer und überall um Millimeter.“ Und was das Gesamtprojekt<br />
betriff t, ist er voller Bewunderung für seine<br />
Auftraggeber. „Deren planerischer Wille ist für mich fast<br />
gleichzusetzen mit der Realisation der Großen Mauer.“<br />
Die 484 Kilometer bedeuten: Bau zahlloser Brücken,<br />
Viadukte, Tunnels und <strong>Bahn</strong>höfe. Sie bedeuten den Einsatz<br />
Zehntausender Arbeiter, eine unendliche Flut von<br />
Konstruktionsplänen und -zeichnungen. Letzteres fällt<br />
in Theurers Arbeitsgebiet.<br />
112 113
Er und seine Mitarbeiter sind Angestellte der früheren<br />
DB-Tochter DE-Consult (<strong>Deutsche</strong> Eisenbahn-Consulting<br />
GmbH), jetzt DB International, die in einem Joint<br />
Venture mit den amerikanischen Partnern von Parsons<br />
Brinkerhoff sowie dem „3. Planungs- und Vermessungsbüro<br />
der chinesischen Eisenbahnen“ für Qualitätskontrolle<br />
im Verfahren General Supervision and Design<br />
Review sorgen. Heißt: Es geht um direkte Bauaufsicht<br />
und Prüfung aller technischen Unterlagen. Gleich Kladdenweise<br />
landen Entwürfe und Auslegungen auf den<br />
Bürotischen der auf Erd-, Tunnel- und Brückenbau spezialisierten<br />
Ingenieure und Physiker. Sie werden dort technisch<br />
überprüft, nochmals gerechnet, eventuell ergänzt,<br />
abgeändert, zuweilen auch in Frage gestellt sowie abgezeichnet<br />
und freigegeben.<br />
Unterschiedliche Kulturen<br />
Was kompliziert klingt, ist im Alltag noch viel komplizierter.<br />
Es beginnt mit der Textübersetzung, die zahlreiche<br />
Dolmetscher leisten. Zuweilen führt dies zu sprachlichen<br />
Missverständnissen bei Fachtermini und reicht<br />
gelegentlich bis zu unterschiedlicher Bauphilosophie.<br />
Theurer nennt das Zusammentreff en von West und<br />
Ost auf Konstrukteursebene den normalen „clash of<br />
cul tures“, wobei „uns immer eine Einigung gelingt, nur<br />
dauert das manchmal eben seine Zeit, und es ist mitunter<br />
ein zähes Ringen um das beste Ergebnis. Jedenfalls sind<br />
wir eine Art Rückversicherung für unsere Auftraggeber,<br />
denn wir tragen die Verantwortung.“<br />
Wer solches in der Fremde durchsteht, der braucht ein<br />
gerütteltes Maß Nervenkraft, Geduld gepaart mit Ausdauer<br />
und – dies vor allem – viel Lebensklugheit und<br />
Erfahrung. Theurers Vita bietet von allem etwas, inklusive<br />
der schwäbischen Kerntugend Beharrlichkeit.<br />
Geboren in Öringen nahe Schwäbisch-Hall, studierte<br />
er zuerst Architektur, übernahm später schnell Aufgaben<br />
der Bauüberwachung und des Vertragsmanagements.<br />
„Nur im Büro Striche ziehen, das war nicht meine Sache“,<br />
erinnert er sich. „Und daheim bleiben auch nicht.“ Raus<br />
wollte er, raus in die Welt. Wohin? Um das richtig zu erzählen,<br />
braucht es Globus und Spickzettel. Darauf steht:<br />
Saudi-Arabien, die Emirate, der Irak. Darauf steht jede<br />
Menge Europa. Von Dänemark bis zum Balkan. Darauf<br />
stehen Kenia und Taiwan und gleich mehrfach Volksrepublik<br />
China. Beijing sah er, als es für uns <strong>Deutsche</strong> noch<br />
Peking hieß, Schanghai schon, als der Stadtteil Pudong<br />
noch Reisfeld war. „Man wird geradezu verrückt, wenn<br />
man Augenzeuge dieser Entwicklung wird und zuschaut,<br />
in welch kurzer Zeit sich die Welt verändert.“<br />
Zur DE-Consult stieß Theurer 1983. Damals lebte er –<br />
trotz Krieges – mit Familie in Bagdad und übernahm zuerst<br />
einen Job im Vertragswesen. Aufgabe: Abwicklung<br />
internationaler Vereinbarungen, Planprüfung und Berichtswesen.<br />
„Eisenbahn war bis dahin eigentlich nicht<br />
mein Thema, aber wenig später war ich Projektleiter bei<br />
den Arbeiten an der <strong>Bahn</strong>strecke zwischen Kirkuk und<br />
Euphratregion vor Ort. Das waren 250 Kilometer Neubau<br />
und die Strecke kreuzte die alte Bagdad-<strong>Bahn</strong>.“<br />
Weltweiter Transfer technologischen und betrieblichen<br />
Eisenbahnwissens kombiniert mit dem Finanzierungs-Know-how<br />
einer Großbank gehörte schon immer<br />
zum Kerngeschäft der DE-Consult, die 1966 zu gleichen<br />
Teilen von <strong>Deutsche</strong>r Bank und damaliger Bundesbahn<br />
Der hohe Mobilitätsbedarf im Mittleren Osten macht die<br />
ölfördernden Staaten in Zukunft zu Eisenbahnländern.<br />
gegründet wurde. Das Servicepaket beinhaltete Gutachten,<br />
Verkehrsplanung, Realisierung von Verkehrsprojekten<br />
sowie Bauplanungs- und Steuerungsmaßnahmen.<br />
Mehr als 2.000 Projekte wickelte man seitdem in über<br />
100 Ländern ab, zuletzt als hundertprozentige Tochter<br />
der DB ProjektBau und ab sofort unter dem Dach der Anfang<br />
2007 neu geschaff enen DB International.<br />
Dort begreift man sich als Schnittstelle zwischen internem<br />
Leistungsportfolio und dem Bedarf weltweiter Kundschaft.<br />
Geschäftsanbahnung wäre auch ein richtiges<br />
Wort. „Wir haben“, sagt DB-Chef Hartmut Mehdorn,<br />
„wie wohl kaum ein anderer Konzern spezifi sches Wissen<br />
und Fähigkeiten in ganz vielen Bereichen, für die es auf<br />
dem internationalen Markt eine große Nachfrage gibt.<br />
Das beginnt bei klassischer Eisenbahntechnik, unserer<br />
Kernkompetenz, und geht bis hin zum Aufbau elektronischer<br />
IT-Netzwerke.“<br />
In diesem Sinne ist DB International ein wichtiger Baustein<br />
im strategischen Konzept des global agierenden<br />
Ausgebohrt Die größte Herausforderung beim Bau der neuen<br />
Schnellfahrstrecke entlang des Gelben Flusses ist der überall<br />
gegenwärtige Lössboden. Er wird entweder mit tonnenschweren<br />
Gewichten verdichtet oder mit Pfahlgründungen stabilisiert. Was<br />
die Bohrer aus der Erde holen, steht bereit zum Abtransport.<br />
Mobilitäts- und Logistikdienstleisters. Geschäftsführer<br />
Martin Bay unterstreicht dies: „Wo immer wir antreten,<br />
wissen unsere Kunden, dahinter steht das geballte Knowhow<br />
des ganzen DB-Konzerns, und was wir jetzt aufbauen,<br />
ist ein gutes internes Netzwerk. Jede gestellte Frage<br />
braucht eine konkrete Antwort, und insofern geht es auch<br />
darum, innerhalb der Organisation die richtigen Leute zu<br />
fi nden. Das Wissen ist da, es gilt – fl ott formuliert – den<br />
Schatz zu heben. Unsere Exportschlager sind dabei unter<br />
anderem die feste Fahrbahn oder etwa der digitale <strong>Bahn</strong>funk<br />
GSM-R, der gerade dabei ist, sich zum Weltstandard<br />
zu entwickeln.“<br />
Bay selbst war viele Jahre im Ausland tätig, vornehmlich<br />
im Mittleren Osten. Und eben dort, in Saudi-Arabien,<br />
in Abu Dhabi, Bahrain und Dubai, ergeben sich zahlreiche<br />
neue Chancen. „Die Ölländer“, schwärmt er, „werden Eisenbahnländer.<br />
Man hat hohen Mobilitätsbedarf, und wir<br />
blicken auf einen Markt von etwa 140 großen Projekten<br />
mit einem Finanzvolumen von 150 Milliarden Euro.“<br />
114 115
Besprechung Dietrich Theurer und seine Ingenieure beraten mit ihren chinesischen Auftraggebern das weitere Vorgehen bei einem Bauabschnitt.<br />
Natürlich passen nicht alle Vorhaben in das DB-Portfolio.<br />
Zudem gibt es internationale Konkurrenz und harten<br />
Wettbewerb. Mehr oder weniger konkretisiert haben sich<br />
schon mehrere Projekte. Dabei geht es um Auf- und Ausbau<br />
des Container-Umschlaghafens im Emirat Abu Dhabi<br />
sowie, an gleicher Stelle, um Bau und vor allem Betrieb<br />
einer Güterbahn. Weit umfangreicher noch wäre die in<br />
Saudi-Arabien geplante 1.400 Kilometer<br />
lange Landbrücke quer durch<br />
die Wüste von Ad-Dammam am Persischen<br />
Golf über Riad nach Jiddah<br />
am Roten Meer. Sagt Bay: „Gedacht<br />
ist an Gütertransport mit Tempo 120,<br />
aber ebenso an Personenverkehre.<br />
Die sollen allerdings weitaus schneller,<br />
nämlich mit Spitzentempo 200<br />
unterwegs sein.“<br />
Das international übliche Prozedere<br />
solcher Großprojekte kennt allerdings<br />
einige Qualifi zierungshürden<br />
und erfordert, wie Bay weiß,<br />
beträchtliche Vorarbeit. „Wir warten nicht, bis jemand eine<br />
Ausschreibung macht, sondern qualifi zieren heißt für<br />
uns aktive Beteiligung bei Konzeption und Entwicklung<br />
sowie Planungsunterstützung.“<br />
Nach diesem Muster entwickelte sich auch Dietrich<br />
Theurers Arbeit in China. Die DE-Consult war bereits im<br />
frühen Stadium mit den Plänen des Ministry of Railways<br />
(MOR) befasst und erstellte anno 2003 beratend eine<br />
„Vorläufi ge Technische Spezifi kation für die Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />
Peking–Schanghai“. Referenzen<br />
In Kladde Aufgabe der DE-Consult ist es,<br />
im „Design-Review“ sämtliche Konstruktionspläne<br />
zu überprüfen und zu begutachten.<br />
gab es darüber hinaus in Hülle und Fülle. Zum Beispiel<br />
die maßgebliche Beteiligung am Bau deutscher Schnellfahrtrassen<br />
oder die planerische Design-Mitgestaltung<br />
der 345 Kilometer langen High-Speed-Railway-Taipei–<br />
Kaohsiung auf Taiwan.<br />
Der Auftrag, abgewickelt in einer Arbeitsgemeinschaft,<br />
umfasste prüf- und abnahmetechnisch alle Bereiche des<br />
<strong>Bahn</strong>baus: vom Instandhaltungsmanagement<br />
über <strong>Bahn</strong>energieversorgung<br />
bis hin zum Gleisbau. Auch<br />
Theurer war ab 1988, als DE-Consult<br />
die Machbarkeit der Strecken nachwies,<br />
mehrfach vor Ort, und als mit<br />
Jahresbeginn 2007 der erste pfeilförmige<br />
Hochgeschwindigkeitszug in<br />
nur 90 Minuten die endgültig fertiggestellte<br />
Strecke befuhr und damit<br />
zugleich den Regelverkehr eröff nete,<br />
da ließ sich der Mann von DE-Consult<br />
das Ereignis selbst im fernen<br />
Xi’an nicht entgehen. „Zumindest<br />
vir tuell war ich dabei, online und via Internet.“<br />
Tags darauf ist wieder Alltag und Besprechung mit<br />
Ma Kayan, dem stellvertretenden Chef der chinesischen<br />
Projektgesellschaft. Ein noch junger, freundlicher, allerdings<br />
auch selbstbewusster, energischer Mann mit dem<br />
Sprachvermögen eines Diplomaten und glasklarer Zielvorgabe.<br />
„Unser Bauvorhaben ist gerade wegen des<br />
schwierigen Lössbodens eine große Herausforderung“,<br />
sagt Herr Ma. „Aber sicher ist: Es wird uns planmäßig bis<br />
2009 gelingen, eine im Weltmaßstab erstklassige Strecke<br />
Dort, wo Chinas neues Eisenbahnzeitalter Gestalt annimmt,<br />
verschmelzen Vergangenheit und Zukunft miteinander.<br />
für Hochgeschwindigkeitszüge zu etablieren. Wir haben<br />
die DE-Consult zur Mitarbeit eingeladen und sind sicher,<br />
sie wird dabei auch für zukünftige Aufgaben viele wertvolle<br />
Erfahrungen sammeln.“<br />
Was Theurer betriff t, so haben er und seine Mitarbeiter<br />
schon einige Komplimente erhalten, vor allem, wie<br />
Ma Kanyan es ausdrückt, für die Flexibilität in der Zusammenarbeit<br />
mit den chinesischen Partnern. Erfreut sei<br />
er, so Ma, „wie man es geschaff t hat, sich auf veränderte<br />
Gegebenheiten einzustellen und deutsche Erfahrung sowie<br />
chinesische Praxis zu aller Nutzen zu <strong>verbinden</strong>.“<br />
Moderation ist dafür ein wichtiges Stichwort. Eine<br />
Aufgabe, die Dietrich Theurer im wahrsten Sinne des<br />
Wortes tagtäglich umtreibt und auf Trab hält. Ob nun in<br />
Konferenzen, am Telefon, per Internet mit Hunderten<br />
von E-Mails oder bei seinen zahlreichen Fahrten zu einzelnen<br />
Bauabschnitten entlang der Strecke. Bewundernswert<br />
die Kondition trotz seiner 62 Jahre, aber, so sagt der<br />
vierfache Familienvater: „China, das ist für mich wie ein<br />
regelrechter Jungbrunnen.“<br />
Aufbruch also, dorthin wo das neue Eisenbahnzeitalter<br />
Gestalt annimmt. Zu Tunnel- und Brückenbauten, die<br />
knapp 150 Kilometer entfernt zu Füßen des berühmten<br />
Qinling-Gebirges mit seinem heiligen Huashan-Berg<br />
stattfi nden und normalerweise westlichen Augen verborgen<br />
bleiben. Was man sieht, ist in seinen Dimensionen gewaltig,<br />
schwingt sich über Täler und gräbt sich durch<br />
ockerfarbenen Löss. Bunte Fahnen wehen allerorten an<br />
den Baustellen, die über eine parallel verlaufende vierspurige<br />
Autobahn recht mühelos erreichbar sind.<br />
Herausforderung Lössboden<br />
Der Boden übrigens ist tückisch, denn seine feste Ton-<br />
Anmutung täuscht: Bei Regen kollabiert der Untergrund<br />
und fällt in sich zusammen. Eine besondere Herausforderung<br />
vor allem für Geophysiker wie Dieter Jung von DB<br />
International. Seine Aufmerksamkeit gilt unter anderem<br />
den Bodenverdichtungsarbeiten, welche gerade im Bereich<br />
eines Kreuzungsbahnhofs nahe der Stadt Lintong<br />
stattfi nden.<br />
Fleischer wiederum, DB International-Experte für<br />
Brückenbau, interessiert sich mehr für die Vorfertigung<br />
von 32 Meter langen und rund 900 Tonnen schweren<br />
Betonelementen, wie sie in der Nähe des berühmten<br />
Xiyue-Tempels in modernster Bauweise wie am Fließband<br />
produziert werden. Gerade dort, vor der Silhouette<br />
holzgeschnitzter Pagodendächer, verschmilzt auf eindrucksvolle<br />
Weise Jahrhunderte alte Geschichte mit<br />
moderner Gegenwart und hochtechnisierter Zukunft.<br />
Für Dietrich Theurer, den seine Frau Thurid (Thors Schöne)<br />
„einen Romantiker“ nennt, bieten solche Momente<br />
immer wieder Gelegenheit zu kleinen geistigen<br />
Gedankenfl ügen. Befeuert von einem einheimischen<br />
Ingenieur, taucht er ab in die Untiefen chinesischer Historie<br />
und landet diesmal bei General Sunzi. Der legte vor<br />
2.500 Jahren Schriften zur „Kunst des Krieges“ vor und<br />
prägte dabei eine Wahrheit, an die sich Theurer noch<br />
heutzutage in Ehe und Arbeitsalltag hält: „Wahrhaft<br />
siegt, wer nicht kämpft.“<br />
Eingeschalt In unmittelbarer Nachbarschaft des vor Urzeiten aus Holz<br />
gefertigten Xiyue-Tempels regieren heute Beton und Stahl.<br />
Wie am Fließband 900 Tonnen wiegt jedes einzelne Brückenelement.<br />
In diesem Betrieb entstehen rund 500 solcher Kolosse.<br />
116 117
Transport & Logistik<br />
Drehkreuze<br />
Im weltweit geknüpften Netzwerk der Handelsströme fungieren<br />
Cargo-Airports und Seehäfen, Frachtzentren und Rangierbahnhöfe<br />
als Knotenpunkte. Im Hub-System moderner Logistikketten übernehmen<br />
sie die Verteilfunktion aller Transportgüter auf dem Weg zum Kunden.<br />
Nightshow Ein Cargo-Jet vom<br />
Typ Boeing 727 auf Parkposition<br />
– bereit zum Entladen.<br />
Der Flugplatz von Toledo dient<br />
Schenker als US-Airfreight-<br />
Hub. Dort landen Nacht für<br />
Nacht im Minutenrhythmus<br />
Dutzende von Frachtmaschinen<br />
aus Amerika.<br />
118 119
Toledo ist<br />
Dreh- und<br />
Angelpunkt<br />
des Luftfrachtgeschäfts<br />
von<br />
DB Logistics<br />
in den USA.<br />
as kleine Toledo hat ein großes<br />
Auge, mit dem es die<br />
Welt sieht – es ist sein Flughafen.<br />
Zwar geht es dort tagsüber<br />
eher gemütlich zu, man<br />
ist schließlich nicht in Atlanta oder in<br />
Chicago, wo jährlich über 150 Millionen<br />
Passagiere abgefertigt werden; aber des<br />
Nachts, nachts wandelt sich die Kulisse<br />
vom Provinztheater zur großen Oper.<br />
Dann fallen Flieger im Minutentakt vom<br />
Himmel und auf dem Flugfeld geht es<br />
zu, als spiele man D-Day. Mindestens.<br />
Plötzlich ist alles ein Scheinwerfer-<br />
Gleißen, darin die Licht- und Schattenspiele<br />
eines Balletts aus Gabelstaplern,<br />
Zugmaschinen, Transport- und Hubwagen.<br />
Einem Hornissenschwarm gleich<br />
sausen sie gen Parkpositionen, den ausrollenden<br />
Flugzeugen entgegen. Es sind<br />
dies zu Frachtern umgebaute Boeing-<br />
727-Jets und Luftfahrt-Packesel vom Typ<br />
DC 8. Deren Ladeluken schwingen auf,<br />
recken sich zum Himmel und aus den<br />
schlanken Aluminiumleibern quellen<br />
unentwegt tonnenschwere, unförmige<br />
Frachtpaletten.<br />
„Nightshow“ nennt sich das kafkaeske<br />
Spektakel, das unvermittelt eine<br />
Stunde nach Mitternacht einsetzt und<br />
Alles unter Kontrolle In der Operationszentrale informiert die Darstellung des US-<br />
Luftraums über die Flugbewegungen aller angekündigten Maschinen.<br />
mit beginnendem Tageslicht ebenso abrupt<br />
endet. Mitten auf dem Rollfeld,<br />
gleichsam im windstillen Auge des um<br />
ihn herum tobenden Orkans, steht Todd<br />
Hines. Er orchestriert das Ganze und will<br />
man ihm glauben, so fühlt er sich gerade<br />
im Mittelpunkt des Universums. Zumindest<br />
sagt er: „Dieser Anblick ist für<br />
mich pures Adrenalin. Man spürt den<br />
Herzschlag der Welt, unseres Unternehmens<br />
Schenker, und es ist Nacht für<br />
Nacht ein ungeheures Glücksgefühl.“<br />
Dafür gibt es noch eine andere Metapher,<br />
sie gleicht rhythmischen Trommelschlägen:<br />
„BOOM … BOOM … BOOM“, sagt<br />
Hines selig. „Wenn die Flieger runterkommen,<br />
das macht immer nur BOOM<br />
… BOOM … BOOM.“<br />
Zentrifugale Beschleunigung<br />
Toledo ist ein sogenanntes Hub. Oder<br />
Verkehrskreuz. Jedenfalls eine Drehscheibe<br />
mit zentrifugaler Beschleunigungskraft,<br />
die alles was Kiste oder Karton,<br />
was Paket, Päckchen oder Dokument<br />
ist, anzieht, durcheinanderwirbelt, neu<br />
sortiert und wieder von sich katapultiert.<br />
Hinaus zu Bestimmungsorten die<br />
da heißen: Mexiko City, New York, New<br />
Orleans oder Los Angeles, Denver,<br />
Toronto.<br />
Es gibt mehr solcher Plätze, größere<br />
auch. Louisville oder Memphis wären an<br />
vorderster Stelle zu nennen. Sie sind die<br />
World Port und Super-Hub genannten<br />
Luftfracht-Knotenpunkte der US-Transportriesen<br />
UPS oder FedEx. Dort erscheinen<br />
nicht nur Dutzende Flugzeuge<br />
am Himmel, dort stoßen Cargo-Frachter<br />
zu Hunderten gen Erde hinab. Sie speien<br />
ihre Ladung auf Sortierbänder in einer<br />
Gesamtlänge von über 300 Kilometern.<br />
Stündlich lassen sich darauf 300.000<br />
Einzelstücke transporttechnisch verarbeiten,<br />
und der dabei produzierte elektronische<br />
Datenfl uss übertriff t allein in<br />
30 Minuten den gesamten IT-Durchsatz<br />
der New Yorker Börse an einem einzigen<br />
Handelstag.<br />
Hub ist ein englisches Wort. Es bedeutet:<br />
Radnabe. Gemeinsam mit der Vokabel<br />
Spoke (Speiche) entsteht mit „Hub<br />
and Spoke“ (Nabe/Speiche) ein Kernbegriff<br />
internationaler Transportlogistik,<br />
denn sie nutzt zur Verknüpfung ihrer<br />
weltweiten Handelswege (tradelanes)<br />
genau dieses Prinzip. Fahre oder fl iege<br />
von A nach B nicht direkt, sondern über<br />
Z. So ungefähr. Hubs also sind Dreh- und<br />
Angelpunkte großer Netzwerke und ihrer<br />
bedient sich heutzutage jedes Transportmittel:<br />
angefangen von Luft- und<br />
Seefahrt bis hin zu landgestützten Schienen-<br />
und Straßenverkehren.<br />
Im Kosmos von DB Logistics mit seinen<br />
drei Marken Schenker, gestärkt<br />
durch die Integration von BAX Global,<br />
Railion und Intermodal gibt es jede Art<br />
Knotenpunkt, und Toledo ist darunter<br />
der wichtigste inneramerikanische Luftfrachtbaustein.<br />
Man bedient von dort<br />
Kunden des gesamten US-Markts sowie<br />
aus Kanada und Mexiko, fungiert aber<br />
auch als Bindeglied zwischen Europa<br />
und Australien. Es gibt direkte Cargo-<br />
Flüge zwischen Toledo und Frankfurt-<br />
Hahn, sowie Toledo und Sydney.<br />
Kreisverkehr im Weltmaßstab<br />
Weitere Drehkreuze im globalen „Flight<br />
Operations“-Angebot von Schenker sind<br />
die Airports Frankfurt/Main (Europa-<br />
Hub Kelsterbach), Hongkong und Singapur<br />
(Südostasien), die Flughäfen Tokio-Narita<br />
und Schanghai-Pudong, sowie<br />
Seouls neuer hochmoderner Cargo-<br />
Tempel Incheon. Er funktioniert als<br />
Sammelstelle und Einfallstor zu den sich<br />
schnell entwickelnden urbanen Produktionsstandorten<br />
Zentral-Chinas.<br />
Von Incheon geht es zum Beispiel<br />
über Moskau zurück gen Europa, und es<br />
sind jährlich mehr als 800 Frachtfl üge,<br />
die Schenker auf dieser oder ähnlichen<br />
Routen abwickelt. Das System, gefl ogen<br />
im Vollcharter mit DC 10 F oder Boeing<br />
Nationalstolz Stars and<br />
Stripes und ganz viele Päckchen<br />
und Pakete: Was die Maschinen<br />
an Ladung mitbringen, wird im<br />
Frachtzentrum von Toledo auf<br />
Transportbändern nach neuen<br />
Bestimmungsorten sortiert.<br />
120 121
Lastesel Nur Minuten nach der<br />
Landung verlassen die ersten<br />
Frachtpaletten den Laderaum eines<br />
Cargo-Jets Typ DC 8.<br />
Verteilertanz Mit Gabelstaplern werden Transportgüter von den Eingangstoren des<br />
Verteilzentrums an Ausgangsstationen gefahren.<br />
Netzwerk Ein Mitarbeiter bereitet Schutzplane und<br />
Netz für den Bau einer Luftfrachtpalette vor.<br />
747 Cargo-Jets, ist effi zient und logistisch<br />
höchst anspruchsvoll. Kreisverkehr im<br />
Weltmaßstab, sozusagen. Siegel „Service<br />
all around the world“. Das Karussell<br />
dreht sich immer schneller.<br />
„Pioniertage“ seien das, urteilt Todd<br />
Hines, 39, in Toledo. Dabei ist der<br />
Director of Hub Operations schon seit<br />
1991 dabei. Ein jungenhafter Typ, US-<br />
Boy, wie College geschulte US-Boys so<br />
sind. Sympathisch und off en, dabei extrem<br />
engagiert. Gut organisiert, immer<br />
aufs Wesentliche konzentriert, Anhänger<br />
der Begriff e Leadership, Integrity,<br />
Teamwork, Contribute. Auch Mensch<br />
mit viel Familiensinn, sportlich dazu.<br />
Träger des schwarzen Judogürtels und<br />
natürlich immer auf dem Weg weiter<br />
nach Westen. Ein Mann mit Pioniergeist<br />
für Pioniertage also, „weil uns“, wie er<br />
sagt, „der Zusammenschluss von Schenker<br />
und BAX Global unter dem Dach<br />
von DB Logistics ganz neue Möglichkeiten<br />
zum weiteren globalen Netzwerkausbau<br />
eröff net.“<br />
Die Bedingungen seines Standorts jedenfalls<br />
sind ideal. Das beginnt schon<br />
mit der geografi schen Lage. Toledo<br />
(350.000 Einwohner) liegt mitten im<br />
Herzen der nordamerikanischen Automobil-<br />
und Schwerindustrie, nur knapp<br />
eine Autostunde entfernt von Detroit.<br />
Die Highways Interstate 80 und 90 verlaufen<br />
dort, es kreuzen die vielbefah-<br />
renen Railtracks der großen US-Eisenbahngesellschaften<br />
Conrail, Norfolk<br />
Southern, Union Pacifi c oder Burlington<br />
Northern Santa Fe.<br />
Eigentlicher Schatz aber ist der Airport<br />
selbst. „Auf unserem Flughafen<br />
sind wir einziger Kunde und Cargo-Operator.<br />
Das gibt uns jede Menge Freiheit.<br />
Hier können alle Flugzeugtypen, ob nun<br />
DC 8, Jumbo oder Boeing 727 starten und<br />
landen. Die Jets sind innerhalb von nur<br />
sechs Minuten nach ‚touch down‘ an ihrer<br />
Parkposition. Es gibt keine Nachtfl<br />
ugbeschränkung, keine engen Zeitfenster<br />
und deshalb auch keine langen<br />
Wartezeiten oder Verspätungen. Einfach<br />
perfekt.“<br />
Spannend wie ein Krimi<br />
Perfekt wie seine „Nightshow“. Es ist zu<br />
Teilen eine Inszenierung in Alfred-<br />
Hitchcock-Manier, denn Spannung verheißen<br />
die ersten Bilder. Klappe und<br />
action: Scheinwerfer irrlichtern zur Geisterstunde<br />
entlang der noch nachtschwarzen<br />
Rollbahn. Über 900 Mitarbeiter<br />
schaukeln gerade in einer Art von<br />
geheimnisvollem Autokorso gen Logistik-Terminal,<br />
stellen dort ihre Fahrzeuge<br />
ab und gehen in Position. Wieder<br />
Klappe und jetzt: Spot an, Flutlichtstrahlen<br />
und schlagartig ohrenbetäubendes<br />
Turbinenheulen am Himmel.<br />
Große Klappe Beladung im Minutentakt, dabei hat jede Frachtpalette – je nach<br />
Gewicht – ihren eigenen Platz im Laderaum eines Cargo-Jets.<br />
Link to Germany Todd Hines,<br />
der Leiter des Toledo-Hubs.<br />
Schubkraft Kurzes Kommando und los – in Teamwork<br />
und über Bodenrollen geht es in den Flugzeugrumpf.<br />
122 123
Schnittpunkt<br />
zwischen<br />
Hafen und<br />
Hinterland –<br />
das Railion<br />
Cargo-Zentrum<br />
Maschen.<br />
Letzte Instanz Auf dem Rangierbahnhof<br />
Maschen kontrolliert ein<br />
Wagenmeister die ladungs- und<br />
sicherheitstechnisch korrekte<br />
Abfertigung eines Güterzuges.<br />
Die Dramaturgie folgt exakt den<br />
Kommandos einer sogenannten Operationszentrale.<br />
Sie dient Todd Hines und<br />
seinen Mitarbeitern als Regiepult. Ein<br />
wandgroßes Wetterradar sowie die überdimensionale<br />
Bildschirmdarstellung des<br />
US-Luftraums (gerade sind 1.638 Maschinen<br />
unterwegs) mit seinen verschiedenen<br />
Zeitzonen illuminieren dort die<br />
Szenerie. Man sieht die Silhouetten der<br />
auf Toledo einschwenkenden Flotte gecharterter<br />
Jets. Sie werden von dieser<br />
Stelle aus elektronisch ab „take off “ überwacht,<br />
im Fall des Falles – etwa bei Nebel<br />
– umgeleitet und bekommen für die<br />
Entladung im sogenannten Ramp Layout<br />
ihre Parkpositionen zugewiesen.<br />
Man organisiert während der folgenden<br />
Standzeit sowohl Betankung als<br />
auch technische Checks und schickt sie<br />
dann wieder auf die Reise: mit neu gefülltem<br />
Rumpf, neuem Flugplan, neuer<br />
Ankunftszeit und neuem Zielort. Wer<br />
aus Atlanta kam, düst jetzt womöglich<br />
nach Denver, nach New Orleans statt<br />
Phoenix oder fl iegt seine Ladung auch<br />
einfach nur zurück.<br />
Automatischer Transportfl uss<br />
Draußen tobt derweil eine regelrechte<br />
Materialschlacht. Die Mitarbeiterriege,<br />
zum Großteil besetzt mit langjährigen<br />
Teilzeitkräften – rund 600 sind Studenten<br />
oder Farmer, die sich per Nachtschicht<br />
ein bisschen Geld dazu verdienen<br />
– agiert dabei im Stil einer Footballmannschaft.<br />
Es gibt für alles und jedes Spezialisten.<br />
Teams zum Ausladen der Jets (Vorgabe<br />
30 Minuten für eine DC 8 mit 18 Paletten<br />
im Main Deck und vier im unteren<br />
Rumpfsegment) und Teams für deren<br />
Beladung. Teams zum Auspacken der<br />
Frachtpaletten oder Container in den sogenannten<br />
„Break-down“-Zonen und<br />
ebensolche Teams für Aufbau und Beschickung<br />
neuer Paletten oder Container<br />
an den „Build-up“- Positionen. Dazu<br />
ein ganzes Heer von Gabelstaplerfahrern,<br />
die von Kästen über Kartons bis<br />
hin zu Fässern und Tonnen alles in der<br />
knapp 30.000 Quadratmeter großen Logistikhalle<br />
hin- und herfahren. Das<br />
gleicht insbesondere auf der „Main<br />
Street“ titulierten Hauptachse ganz dem<br />
Autoscooter-Getümmel eines Kirmes-<br />
Fahrgeschäfts, allerdings unter virtuoser<br />
Vermeidung jeglicher Kollision.<br />
Und dann sind da noch die Damen<br />
und Herren vom Team automatischer<br />
Transportfl uss. Sie bestücken 4,2 Kilometer<br />
langes, verwirrend-verknotetes in<br />
drei Stockwerken verlaufendes Sortierband<br />
mit Paketen und Päckchen, mit<br />
Kistchen und Kästchen, mit Säcken und<br />
Dokumententaschen. Dirigiert wird die<br />
gesamte Maschinerie aus einer technischen<br />
Leitzentrale, die zugleich jeden<br />
Arbeitsschritt aller Teams dokumentiert,<br />
protokolliert und als Operation<br />
Summary Report via Drucker auswirft.<br />
Todd Hines bringt es auf den Punkt:<br />
„Die Performance Reviews geben uns jeden<br />
Morgen Antwort auf die Frage: Wie<br />
gut waren wir?“<br />
Zu Buche stehen dann meistens ein<br />
Umschlag von knapp 800 Frachttonnen,<br />
der „Break-down“ einiger Hundert Paletten,<br />
sowie ein ebensolcher „Build-up“.<br />
Der Durchfl uss aller Einzelpositionen<br />
geht in die Tausende, und all das wird bewältigt<br />
in nur knapp drei Stunden. Länger<br />
steht keine Maschine. Mit Sonnenaufgang<br />
jedenfalls ist der ganze Spuk<br />
vorbei. Kein Chorgesang, kein Abspann,<br />
nur Schluss. Alles hastet wieder zu den<br />
Autos und macht sich auf den Weg nach<br />
Hause. Zur eigentlichen Arbeit, zum Studium<br />
oder – wie Todd Hines – zum Frühstück<br />
mit Frau Kimberley und den Töchtern<br />
Kennedy und Madison. Still ist es<br />
dann wieder in Toledo.<br />
Einige tausend Kilometer entfernt<br />
kennen die Tage keine solche Atempause.<br />
Deshalb Szenenwechsel und Zeitsprung:<br />
Das alte Europa ist nächste Etappe<br />
dieser kleinen Reise. Neuer Zielort ist<br />
das Cargo-Zentrum Maschen bei Hamburg.<br />
Auch so ein Drehkreuz; allerdings<br />
von Railion. Für Züge, nicht für Flieger.<br />
Ein Rangierbahnhof nur, aber was für einer:<br />
der größte Europas.<br />
Gleisbild Der Rangierbahnhof<br />
Maschen feiert in diesem Jahr<br />
30-jähriges Bestehen. Mit seinen<br />
272 Gleiskilometern und 750<br />
Weichen auf 280 Hektar Fläche<br />
ist er in Europa größter Güterverkehrsknotenpunkt.<br />
124 125
Wechselspiel Was chaotisch<br />
aussieht, folgt im Hub Friedewald<br />
von Schenker einem genauen<br />
Plan. Mittels Hubwagen wird<br />
eingegangene Ladung in<br />
Windeseile auf neue Ausgangspositionen<br />
verteilt.<br />
Sieben Kilometer lang, 700 Meter breit,<br />
knapp 280 Hektar Fläche. Bestückt mit<br />
272 Gleiskilometern, 750 Weichen, 100<br />
Hauptsignalen, 688 Rangiersignalen.<br />
Mit 29 Brücken, 54 Dienstgebäuden und<br />
insgesamt 479 Mitarbeitern. Deren Leistung<br />
misst man in Rangierbewegungen,<br />
und die Zahlen dazu lauten: Behandlung<br />
und Abfertigung von täglich 4.500 Wagen<br />
und 150 Zügen im Ausgang.<br />
„Eine Erfolgsstory“, sagt Leiter Horst<br />
Heydasch, „und eine Lovestory dazu,<br />
denn der <strong>Bahn</strong>hof ist unser Leben, wir<br />
sind alle stolz auf ihn. Er ist unser Star.“<br />
Stolz auf volle 30 Jahre, man feiert in diesem<br />
Jahr runden Geburtstag. Glück-<br />
wunsch dazu. Vor allem auch aus dem<br />
Hamburger Hafen, denn ohne Maschen<br />
würden sich dort die angelandeten Container<br />
längst in Zugspitzhöhe stapeln.<br />
„Drehscheibe ist schon richtig, aber<br />
ich sage immer zweite Herzkammer“,<br />
merkt Heydasch an. „Wir haben unter<br />
anderem die Aufgabe, den Schienenverkehr<br />
aus dem Hafen heraus ans Hinterland<br />
anzubinden und das Güteraufkommen<br />
ins Netz zu pumpen. Etwa zu den<br />
acht weiteren Rangieranlagen von Railion<br />
im weiteren Bundesgebiet.“<br />
Modellbahnbauer wissen genau, wie<br />
das geht: Güterwaggons aus dem Norden<br />
von Deutschland – aus den Häfen<br />
Hamburgs, Lübecks oder Kiels, aus<br />
Flensburg, aber auch aus ganz Skandinavien<br />
– kommen an. Sie werden über den<br />
sogenannten fünf Meter hohen Ablaufberg<br />
geschoben, dabei in Einzelwagen<br />
oder Gruppen zerlegt und formieren sich<br />
sodann auf Ausfahrgleisen zu Zügen gen<br />
Süden. Gesteuert wird das alles vollautomatisch,<br />
wie von Geisterhand und in<br />
Gegenrichtung geschieht gleiches: Aus<br />
Süden kommende Züge verteilen ihre<br />
Fracht auf Gleise gen Norden.<br />
„Wir sind ein schneller <strong>Bahn</strong>hof“,<br />
sagt Heydasch. „Innerhalb von acht<br />
Stunden ist ein Waggon bei uns weg. Er<br />
wird in dieser Zeit zwar dreimal umge-<br />
schlagen, aber wir sind deshalb keine<br />
Eisverkäufer, die mit Tüten handeln.<br />
Wir produzieren Logistikketten und sorgen<br />
dafür, das alles geschmeidig läuft.“<br />
Längst sind die Containerverkehre<br />
auch in Maschen der Renner. Sie stellen<br />
mit weiter steigender Tendenz nahezu<br />
die Hälfte des gesamten Wagenaufkommens,<br />
suchen sich allerdings daneben<br />
weitere Drehscheiben. Der DUSS-Terminal<br />
Hamburg-Billwerder ist ein solcher<br />
Ort. DUSS übrigens steht für <strong>Deutsche</strong><br />
Umschlaggesellschaft Schiene-Straße.<br />
Beteiligt sind daran die DB Netz <strong>AG</strong><br />
(75 Prozent), die Kombiverkehr GmbH<br />
sowie die Stinnes <strong>AG</strong>.<br />
Das Rennen der Portalkräne<br />
Neuerlicher Szenenwechsel also und ab<br />
in luftige Höhe. Hinauf zu Enver<br />
Ramadani, 58, den alle nur „Papa“ nennen<br />
und der gerade knapp 14 Meter über<br />
dem Boden seinen Portalkran mittels<br />
Joystick über ganze Blechgebirge hinweg<br />
steuert. Sein Job: Container verkranen.<br />
Oder Wechselbrücken. Oder<br />
ganze Sattelaufl ieger. Von herangefahrenen<br />
Lastwagen oder Zugmaschinen auf<br />
bereitgestellte Spezialwaggons. Oder<br />
umgekehrt.<br />
Gerade „schnappt“ er sich mit seiner<br />
Spreader genannten vierarmigen Greifbrücke<br />
ein solches Teil. Den Befehl dazu<br />
erhielt er elektronisch mittels Betriebs-<br />
Leitsystem Umschlagbahnhof (BLU).<br />
Es zeigt ihm auf seinem Cockpit-Display<br />
Aufnahme- und Zielstellplatz.<br />
Diesmal ist es ein 25 Tonnen schwerer<br />
Container mit Kennziff er TCVU 241629.<br />
Abzuholen im Raster 19 A und abzusetzen<br />
auf Gleis 73, Waggon 55085, Sektion<br />
D. Zielbahnhof ist DUSS-Terminal<br />
München.<br />
Das geht ruckzuck und wie im Schlaf.<br />
Aber an Letzteres ist natürlich nicht zu<br />
denken. „Bei diesem Job musst du hellwach<br />
sein“, sagt Ramadani. „Und du<br />
brauchst vor allem beim Abstellen viel<br />
Fingerspitzengefühl. Wer das nicht hat,<br />
der sollte es gleich lassen.“ Zuweilen<br />
fährt er beim „wegbaggern“ regelrechte<br />
Kranrennen, „weil immer mehr zu tun<br />
ist“. Rollt auch jetzt schon wieder<br />
zum nächsten Kunden. Diesmal parkt<br />
Friedewald<br />
ist die Spinne<br />
im Netz<br />
europaweiter<br />
Landverkehre.<br />
Nachtschicht Rund 2.000<br />
Frachttonnen werden täglich im<br />
Hub Friedewald umgeschlagen.<br />
Das Güteraufkommen speist sich<br />
aus über 70 internationalen<br />
Transportrouten.<br />
126 127
Container<br />
im schnellen<br />
Wechsel<br />
zwischen<br />
Schiene<br />
und Straße<br />
Checkpoint Einfahrt zum<br />
Kombi-Terminal Billwerder.<br />
Nach der Anmeldung wird<br />
Truckern eine Be- oder Entladeposition<br />
zugewiesen.<br />
128<br />
ein Lkw unter seiner schwebenden Kommandozentrale.<br />
„Sattelaufl ieger Firma<br />
Richter“, murmelt der gebürtige Jugoslawe,<br />
dreht dabei ein bisschen an den<br />
Knöpfen seines Krans und lässt den<br />
14 Tonnen schweren Trailer langsam<br />
zum Eisenbahnwaggon schweben. „Der<br />
geht nach München.“<br />
Ramadani schaff t rund 150 Ladeeinheiten<br />
in seiner Schicht. Die Elektronik<br />
nimmt ihm dabei keineswegs alle Arbeit<br />
ab. Wie ein Schachspieler muss er im<br />
Kopf immer „ein paar Züge vorausdenken“<br />
und seinen ganz eigenen Rhythmus<br />
im Aufspüren effi zientester Verlademuster<br />
fi nden.<br />
„Der kürzeste Weg zwischen Auf-<br />
und Abladen ist immer der Beste“, sagt<br />
im Büro sein Chef Manfred Schuster. Er<br />
leitet diese Schnittstelle zwischen Schiene<br />
und Straße und er hat ein paar Zahlen<br />
parat: 46 Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb.<br />
Terminal-Gesamtfl äche 350.000<br />
Quadratmeter. Darauf acht Zugbildungs-<br />
und Krangleise (4 à 720 Meter und 4 à<br />
620 Meter), fünf Portalkräne mit Spurbreite<br />
46,50 Meter, sowie 41 Tonnen<br />
Tragfähigkeit, ausgelegt die ganze Anlage<br />
einst auf rund 25.000 Ladeeinheiten<br />
(LE) pro Jahr. „Aber da sind wir längst“,<br />
sagt Schuster. „Bei uns sind fast alle<br />
Ladezeitfenster gefüllt und in drei Jahren,<br />
so meine Schätzung, sind wir bei<br />
300.000 Einheiten.“<br />
Derzeit laufen täglich zwischen 2:00<br />
und 7:30 Uhr bis zu 24 Züge ein. Oder gehen<br />
von 16:00 bis 21:30 Uhr wieder ab.<br />
Man verbindet dabei im sogenannten<br />
Nachtsprung Norddeutschland mit 28<br />
weiteren Terminals an anderen Wirtschafts-standorten<br />
der Republik, fährt<br />
Gateway-Verkehre gen Kiel, Rostock<br />
und Lübeck, bedient auch Terminals in<br />
Italien und in der Schweiz.<br />
Nur der Hafen bleibt außen vor. „Unsere<br />
Funktion ist eigentlich die Versorgung<br />
des Großraums Hamburg. Große<br />
Handelsketten und Warenhäuser beliefern<br />
über uns ihre Filialen, die Post fährt<br />
ihre 160 km/h schnellen Pic-Züge von<br />
hier, und auch die Papierindustrie ist<br />
einer unserer großen Kunden.“ Hinzu<br />
kommen Gefahrgut-Einheiten und auch<br />
jede Menge Transportgüter anderer, DBfremder<br />
Eisenbahnen. „Wettbewerb ist<br />
heutzutage völlig normal für uns“, sagt<br />
Schuster zum Abschied. Und fügt hinzu:<br />
„Hauptsache Schiene.“<br />
DB Logistics bedient allerdings auch<br />
die Kundschaft auf der Straße, ja DB Logistics<br />
ist mit der ihr zugeordneten DB-<br />
Tochter Schenker sogar Europas größter<br />
Landtransporteur. Mit 700 Geschäftstellen<br />
in über dreißig Ländern und mit rund<br />
7.500 fahrplanmäßig vertakteten Verkehren.<br />
Von Barcelona in Spanien bis<br />
Tallinn in Estland. Ein solches System<br />
braucht natürlich seine Drehscheiben,<br />
seine Knotenpunkte, seine Hubs und damit<br />
letzter Szenenwechsel – ab in die<br />
Provinz, Ziel Friedewald.<br />
Hub Friedewald liegt zentral<br />
Eine klitzekleine Gemeinde mit einem<br />
großen Auge auf die Welt. Ideal als Drehscheibe,<br />
so wie Toledo. Besser übrigens<br />
lässt sich die Mitte Deutschlands nicht<br />
treff en: Friedewald liegt mit seinen Geokoordinaten<br />
Länge 10’/02’ Ost und Breite<br />
50’/02’ Nord praktisch im Herzen der<br />
Republik. Das macht den Ort, neben seiner<br />
direkten Autobahnanbindung, für<br />
Spediteure so wertvoll. Was man nicht<br />
unbedingt wissen muss, schließlich<br />
kennt auch niemand das unsichtbare,<br />
feinmaschige Transportnetz, dessen viele<br />
Fäden aus Nord und Süd, aus Ost und<br />
West allesamt dort, am Hub Friedewald<br />
zusammenlaufen.<br />
Es sind dies 47 nationale und 37 internationale<br />
Lastkraftwagenverkehre (Relationen)<br />
mit täglich 120 An- und Abfahrten<br />
in deutsche und europäische<br />
Metropolen. Die Systematik gleicht dem<br />
Luftfrachtgeschäft. Sie besteht in später<br />
abendlicher Ankunft der Lkw, dem Ausladen<br />
ihrer Güter, dem Sortieren und<br />
Umverteilen, sowie der neuerlichen Beladung<br />
von sogenannten Wechselbrücken<br />
an 110 Toren.<br />
All das geschieht auf 5.900 Quadratmetern,<br />
es sieht chaotisch aus, ist aber<br />
mathematisch berechnet, summiert sich<br />
in der Spitze auf 2.000 Frachttonnen per<br />
Nacht und geschieht in nur vier Stunden.<br />
Letzte Lkw-Abfahrt ist gegen 0:30<br />
Uhr. Danach schließen sich die Ladetore<br />
und es wird wieder still in Friedewald.<br />
Ganz so wie in Toledo.<br />
Abgehoben Portalkräne leisten in<br />
Billwerder Schwerstarbeit. Sie hieven<br />
Container oder Aufl ieger vom Lkw<br />
auf Güterwaggons.<br />
129
Australien<br />
Tempomacher<br />
Seit Sydney 2000, dem Jahr der Olympischen Sommerspiele, erlebt der fünfte Kontinent<br />
ein regelrechtes Wirtschaftswunder. Hohe Wachstumsraten kennzeichnen den Boom<br />
„down under“. Bei Transport & Logistik spielt die DB-Tochter Schenker Australia Pty Ltd.<br />
in Sachen Im- und Export nach Europa ebenso eine führende Rolle wie als transpazifisches<br />
Bindeglied zwischen den USA und Asien.<br />
Auf der Überholspur Express-Service<br />
selbstverständlich: Ein Caddy der<br />
Schenker-Geschäftsstelle Perth liefert<br />
Maschinenersatzteile. Und zwar direkt zur<br />
einst weltgrößten Goldmine im<br />
620 Kilometer entfernten Kalgoorlie.<br />
Dabei kommt es zum Rendezvous mit<br />
einem der berühmten Road Trains.<br />
130 131
Frontlader Gewohntes Bild auf<br />
dem Flugfeld des Sydney Airports:<br />
Täglich landen und starten Charter-<br />
Jets mit Schenker-Fracht. Die 747<br />
der holländischen Martinair fl iegt<br />
regelmäßig zwischen Europa<br />
und Australien.<br />
132 133
Spezialauftrag Logistik aus einer Hand<br />
bietet Schenker bei der weltweiten<br />
Ausrichtung der Red Bull Air Races. Aus<br />
den USA kommend werden die kleinen<br />
Rennmaschinen in Perth für den<br />
Transport zum Saison-Abschlussrennen<br />
auf einer Lkw-Ladefl äche verzurrt.<br />
134 135
Australien profitiert in<br />
hohem Maße von seinen<br />
reichhaltigen Bodenschätzen<br />
und vom Aufstieg Chinas.<br />
inmal – das ist eine Weile her und war lange vor<br />
Internet und Globalisierung – da war Australien<br />
nicht mehr als eine ferne Versuchung. Die Welt<br />
dort auf den Kopf gestellt, deshalb auch Down<br />
Under genannt. Der fünfte Kontinent ein allzeit<br />
lockendes, sonnenverbranntes Paradies.<br />
Umsäumt von traumhaften Stränden und wellenumspülten<br />
Riff s. Bevölkert von Beuteltieren, höchst giftigen<br />
Reptilien, von Aborigines, den Ur-Einwohnern und „den<br />
Nachfahren bitterarmer Siedler und abgeurteilter Gesetzesbrecher“,<br />
wie Dr. Oberstudienrat seinen Sextanern am<br />
deutschen Niederrhein zu berichten wusste.<br />
Dorthin, „in diese einstmals britische Sträfl ingskolonie“<br />
zu reisen, „das kostet Unsummen und dauert Tage“,<br />
so der Doktor zu seinen Eleven. Wiewohl es auch anders<br />
gehe: Man bohre einfach ein Loch quer durch den Erdkern<br />
und sei schon da. „In Perth vermutlich, dem entlegensten<br />
Stückchen besiedelter Scholle, das sich denken<br />
lässt. Aber Kinder, wer will das schon?“<br />
Frank Vogel wollte. Allem Lehrerrat Ende der siebziger<br />
Jahre zum Trotz. Nicht sofort natürlich. Zuerst lernte<br />
er Speditionskaufmann. Tat Dienst an der deutschniederländischen<br />
Grenze, Grenzstelle Emmerich. Lernte<br />
alles über Zollabwicklung, sauste mit einem Speedboot<br />
über den Rhein und träumte seinen Traum. „Einmal dort<br />
leben, wo immer die Sonne scheint.“<br />
Perth ist „hip“ und „cool“<br />
Perth stand damals nur am Rand auf seiner Landkarte.<br />
Perth war selbst von Sydney aus betrachtet das Ende der<br />
Welt. Näher an Jakarta als an der schillernden Ostküste.<br />
Aber eben dort schlägt der Unternehmungslustige jetzt<br />
Wurzeln. Als Geschäftstellenleiter Western Territories<br />
der Schenker Australia Pty Ltd. Mit Frau Jolanda, einer<br />
Südsee-Schönheit aus Neuseeland und dem gemeinsamen<br />
Töchterchen Olivia, mit hübschem Eigenheim in den<br />
Perth Hills und einem Blick über die Stadt, den Amerikaner<br />
„forever“ nennen.<br />
Ein Glücksvogel also, dieser Frank Vogel, der jeden<br />
Satz mit einem „Look“ beginnt, was „Achtung“ bedeuten<br />
mag oder „aufgepasst“. Und „Look“ sagt er auch jetzt in<br />
seinem Büro. „Look, das ist Boomtown Perth. Hier<br />
brummt die Wirtschaft und wächst mit zweistelligen Zuwachsraten.<br />
Hier gibt es Jobs und Arbeit, klettern die<br />
Just in time Mit Blick auf die Uhr besprechen Perth-Geschäftsstellenchef<br />
Frank Vogel (re.) und Lagerleiter Jason Crawford<br />
den Transport der Maschinen für das Red Bull Air Race vom<br />
Schenker- Logistikzentrum zum Flugfeld. Erst dort werden die<br />
in speziel len Kisten verpackten Flügel und Leitwerke montiert.<br />
Immobilienpreise schneller und höher als in Sydney und<br />
hier kann sich noch jeder seinen Traum erfüllen, ob nun<br />
vom Alleinsein im Outback oder vom pulsierenden Leben<br />
in einer der schönsten Städte der Welt.“<br />
Perth ist „hip“, ist „cool“, Perth ist extrem angesagt<br />
und wohl deshalb ist Perth neben Abu Dhabi oder Barcelona<br />
auch einer von zwölf Schauplätzen des Red Bull Air<br />
Race. Die Flugzeuge für den Saisonabschluss des akrobatischen<br />
Luftzirkus à la Formel 1, veranstaltet vom Österreicher<br />
Dietrich Mateschitz, stehen gerade in Vogels 2.500<br />
Quadratmeter großen Warehouse. Es sind elf bunt lackierte,<br />
700 Kilo schwere Wettkampfmaschinen, die mit<br />
einem Boeing 747 Cargo-Jet pünktlich eingefl ogen wurden,<br />
mit abmontierten Tragfl ächen zwar, dafür mit sorgsam<br />
verpackten Propellern.<br />
Alles Zubehör wie Flügel und Heckleitwerke sowie die<br />
komplette Ausrüstung für Fliegerlager, Pressezelt und<br />
sämtliche anderen technischen Installationen – insgesamt<br />
weit über 100 Tonnen – lagert in Kästen und Kisten<br />
daneben und wartet auf seinen Abtransport Richtung<br />
Sportfl ieger-Rollfeld und Showground nahe River Swan.<br />
Eine generalstabsmäßig geplante Operation, auftragsmäßig<br />
in Szene gesetzt von den Logistikern der Schenker-<br />
Abteilung GlobalSportsEvents und durchgeführt vor Ort<br />
von Vogel und seinen Mitarbeitern. „Klappt super“, sagt<br />
Frank und meint die reibungslose Zusammenarbeit aller<br />
Kollegen im weltweiten Schenker-Netzwerk.<br />
Für Jason Crawford, seinen Lagerleiter, sind die Flugzeuge<br />
trotz spannender eigener Vergangenheit „ein aufregender<br />
Anblick und natürlich interessante Abwechslung<br />
zum Alltagsgeschäft“. Freunde nennen ihn „Crocodile“,<br />
denn er arbeitete früher, nach Jahren als Krabbenfi scher,<br />
auf einer Krokodilfarm nahe Darwin. Den Job quittierte er<br />
allerdings aus Liebe zur Kreatur: Er sollte die Tiere nicht<br />
nur füttern, sondern auch für Krokotaschen häuten.<br />
Ein muskulöser, sonnengebräunter Mann Marke „top<br />
guy“, wie Vogel sagt, und das Warum, es klingt natürlich<br />
so: „Look, Jason ist waschechter Aussi. Immer locker und<br />
hilfsbereit, immer für einen guten Spruch gut, aber trotzdem<br />
total zielstrebig. So, wie eigentlich alle hier. Wenn<br />
bei uns die Post abgeht, dann haut Jason rein für zwei.“<br />
Dazu gibt es in Perth, der entlegensten Millionenmetropole<br />
der Welt (1,4 Millionen Einwohner) übrigens<br />
häufi ger Anlass, als man gemeinhin denken mag. Grund<br />
dafür sind West-Australiens große Vorkommen an Bodenschätzen.<br />
Ob Öl oder Gas, Nickel und Bauxit, Calcit<br />
und Gips, ob Diamanten oder Gold – wonach die hungrigen<br />
Rohstoff märkte dieser Welt auch immer verlangen,<br />
all das gibt es in großen Mengen. Eine regelrechte Nachfrage-Ekstase<br />
löste allerdings erst das industrielle Wachstum<br />
Chinas aus. „Seitdem“, sagt Andy Smeda, „erleben<br />
wir einen Aufschwung wie zu Pionierzeiten.“<br />
Erwacht aus dem Dornröschenschlaf<br />
Smeda steht dabei mitten im Zentrum des Sturms. Er verantwortet<br />
seit zehn Jahren das Schenker-Projektgeschäft<br />
in Australien. Was bedeutet: globale Transport- und Logistiklösungen<br />
zum Aufbau ganzer Raffi nerien und Kraftwerke,<br />
von Minen- und Hafenkomplexen, aber auch zur<br />
Versorgung großer Off shore Gas- und Ölförderanlagen.<br />
Ein heikles, hochkomplexes Unterfangen, wie Smeda<br />
weiß, der seine Schenker-Laufbahn als Luftfracht-Manager<br />
des britischen Großfl ughafens Heathrow begann und<br />
sich 1996 für Perth bewarb, „einfach um mich an etwas<br />
Neuem auszuprobieren und auch, um meiner Familie ein<br />
sicheres, friedvolles Zuhause zu geben. Mit ganz anderer<br />
Lebensqualität als etwa in der schadstoff belasteten Luft<br />
des von <strong>Menschen</strong> und Autos überquellenden London.“<br />
Die Lieferung von Bauteilen für eine Erzmine im Volumen<br />
von 40.000 Frachttonnen war sein erster abzuwickelnder<br />
Auftrag, „aber damals lag hier eigentlich noch<br />
136 137
Break-down Luftfracht-Paletten werden nach ihrer Ankunft im Logistikzentrum<br />
der Hauptgeschäftsstelle von Schenker in Sydney sofort aufgelöst.<br />
alles im Dornröschenschlaf.“ Davon keine Spur mehr.<br />
Smeda und Kollegen arbeiten gleich an mehreren Großprojekten<br />
im Gesamtumfang von über 100.000 Tonnen.<br />
Die Endfertigung einer schwimmenden Gasverfl üssigungsanlage<br />
gehört ebenso dazu wie der Bau einer Erzmi-<br />
ne mit 250 Gleiskilometern Güterbahn oder die Fertigstellung<br />
einer Naturgas-Pipeline von Burnbury ins<br />
nordwestliche Dampier.<br />
Und nichts davon ist einfach, denn<br />
West-Australien ist abgesehen vom<br />
Großraum Perth raues Land. Ohne<br />
viel Infrastruktur, nahezu menschenleer,<br />
kaum vorstellbar in seinen Dimensionen.<br />
2,5 Millionen Quadratkilometer<br />
Fläche entsprechen etwa<br />
der siebenfachen Größe Deutschlands;<br />
die Küstenlinie allein ist mit<br />
12.000 Kilometern länger als die von<br />
ganz Indien. Schwerguttransporte<br />
gestalten sich entsprechend schwierig.<br />
Darüber könnte Andy Smeda<br />
Stunden reden: Von aufkommenden Wirbelstürmen, die<br />
Konvois zum tagelangen Biwak vor urplötzlich reißenden<br />
Wasserfl uten in sonst ausgetrockneten Flussläufen zwingen.<br />
Von den Strapazen tagelanger Fahrten im Schritttempo<br />
auf Sandpisten durch unwegsames Gelände.<br />
Die 620 Kilometer von Perth nach Kalgoorlie, zur einstmals<br />
ergiebigsten Goldmine der Welt, gleichen dagegen<br />
fast einem Kinderspiel. Wäre da nicht der ständige Blick<br />
auf die Uhr und das streng kontrollierte australische Tempolimit<br />
von 110 Kilometern pro Stunde selbst auf Outback-Pisten.<br />
Schnell muss es nämlich gehen, wenn ein<br />
Anruf aus Kalgoorlie kommt und bei Schenker Ersatzteile<br />
Büroblick Der moderne Niederlassungssitz von<br />
Schenker Australia Pty Ltd. wird im asiatischpazifi<br />
schen Raum „Taj Mahal“ genannt.<br />
Build-up Der Aufbau einer Luftfrachtpalette wird nach Gewicht<br />
und Volumen im Voraus genau berechnet.<br />
für die gigantischen Minenbagger und Muldenkipper ordert.<br />
Möglichst schneller als schnell, denn Zeit ist Gold<br />
und damit Geld. Zuweilen fährt Frank Vogel im fi rmeneigenen<br />
Caddy selbst. Er mag die Stadt in „Nowhere-Land“.<br />
Für ihn ist es „die kürzeste Zeitreise der Welt, denn dort<br />
sieht es noch aus wie zu legendären Goldgräberzeiten,<br />
abenteuerliche Gestalten in derben Saloons inklusive.“<br />
Wie zivilisiert, ja wie geschmackvoll<br />
geht es da doch andernorts zu.<br />
Adelaide wäre so ein Beispiel. Adelaide<br />
am Saint-Vincent-Golf, genannt<br />
„Capital of Festivals“ oder „City of<br />
Churches“. Eine Stadt, gelegen inmitten<br />
zauberhafter Parkanlagen.<br />
Gepfl egt, wohlhabend, ein Hort<br />
gediegener Kennerschaft von Kunst<br />
und Kultur. In gleichem Atemzug<br />
seien die Rebsorten Shiraz oder<br />
Cabernet Sauvignon genannt. Australiens<br />
längst weltweit gerühmte<br />
Weingüter liegen schließlich vor der<br />
Haustür: im Barossa, im Clare, im Eden Valley oder dem<br />
trendigen McLaren Vale.<br />
Dorthin zu fahren kann man sich auch sparen, denn die<br />
besten Tropfen fi nden sich im stets auf 18 Grad temperierten<br />
„Pick-and-Pack“-Weinlager der Schenker-Niederlassung<br />
Adelaide. Hausherr dort ist Adrian McQuillan:<br />
Product Manager New World Wine Transportation und<br />
Erfi nder des „Tür-zu-Tür“-Lieferservice für Weinsendungen<br />
aus Australien rund um den Globus. Der Mann gleicht<br />
einem Gischt sprühenden Wellenbrecher, ist energiegeladen,<br />
einfallsreich und zupackend, dazu humorvoll und<br />
überdies kein Kostverächter, was „einen guten Tropfen<br />
Schenker Adelaide liefert die besten Tropfen Australiens im<br />
„Tür-zu-Tür“-Lieferservice direkt vom Winzer an den Kunden.<br />
Kostbarkeiten Vom Feinsten bis zum Edelsten – im<br />
Weinlager von Adelaide fi nden sich wahre Schätze.<br />
betriff t“. „Dieses Geschäft ist für mich nicht nur Arbeit,<br />
sondern auch Leidenschaft.“<br />
Seine Devise lautet: „Kein Geschäft zu haben macht erfi<br />
nderisch.“ So zumindest entstand vor zehn Jahren die<br />
Idee zum Wein-Business. Adrian McQuillan besuchte<br />
Winzer im Barossa Valley und hörte, wie Touristen aus<br />
den USA oder Europa nach Verkostung immer nur eine<br />
Frage stellten: „Können Sie mir nicht<br />
ein paar Kisten zuschicken?“<br />
Die Antwort darauf machte der<br />
Schenker-Mann zu seiner Aufgabe,<br />
und mittlerweile werden 2.000 Kunden<br />
direkt in Australien beliefert und<br />
gehen wöchentlich per Luftfracht<br />
rund 600 Sendungen – sorgsam und<br />
einzeln von Hand verpackt – mit Ziel<br />
USA oder Großbritannien (Schenker<br />
ist dorthin größter Exporteur) nach<br />
Übersee.<br />
An Nachschub herrscht nie Mangel:<br />
Wein im Wert von knapp 1,8 Millionen<br />
Euro lagert auf knapp 2.000 Quadratmetern.<br />
Darunter viele Flaschen zum Preis von 200 Euro und<br />
mehr. Vom Feinsten bis zum Edelsten – alles eben, was<br />
die Weinkeller renommierter Betriebe zu bieten haben:<br />
„Kalleske Greenock Shiraz“ etwa, Jahrgang 2005, gleich<br />
neben „d’Arenburgs Cabernet Sauvignon“, Jahrgang<br />
1998, und dem „Shiraz“, Jahrgang 2004, von „Rolf<br />
Binder“. Auch „Duck’s Muck Shiraz“ vom angesagten<br />
„Wild Duck Creek Estate“ fi ndet sich und natürlich ein<br />
kleines Flaschensortiment der australischen Legende<br />
schlechthin: ein „Penfold’s Grange, BIN 95“.<br />
Dass Adrian McQuillan längst ausgewiesener Weinkenner<br />
ist, versteht sich von selbst. Als Juror nimmt er an<br />
namhaften Verkostungen teil. „Riechen, fühlen, schmecken“,<br />
sagt er, „das lehrt Demut vor dem Transportgut.<br />
Unsere Kunden jedenfalls sind sehr zufrieden, denn wir<br />
garantieren sachgemäßen Umgang mit ihren Produkten,<br />
Übergabe Ein „Penfolds Grange“ verdient besonderen Service, weshalb Schenker<br />
Produkt Manager Adrian McQuillan die Lieferung auch persönlich entgegennimmt.<br />
Erste Adresse Der Straßenname ist in<br />
Adelaide Programm und dazu einmalig.<br />
Verdienst von Leiterin Gloria Harris.<br />
Sendungsverfolgung bis zum Empfänger und – ebenso<br />
wichtig – eine exzellente, bruchsichere Verpackung.“<br />
Ein sensibles Geschäft. Allerdings nicht das einzige in<br />
Adelaide, „nicht einmal das größte“, wie Geschäftsstellenleiterin<br />
Gloria Harris sagt. Diese Frau ist tatsächlich in<br />
eigenem Saft gekocht, und wer die Seele Australiens genau<br />
kennen lernen möchte, der muss Gloria Harris treffen.<br />
„Darling“, ruft sie gerade ihrer<br />
Sekretärin zu, „wenn du das nicht sofort<br />
erledigst, dann verkauf ich deine<br />
Seele!“ Hart, aber herzlich – genau<br />
so. Und das inzwischen seit über 30<br />
Schenker-Jahren.<br />
Dicke Bretter bohren ist ihr Lieblingsjob.<br />
Gloria Harris etablierte die<br />
Niederlassung, sie akquirierte Großkunden<br />
wie die Santos Ltd., Australi-<br />
ens führende Öl- und Gas-Explorations<br />
Company, oder den deutschen<br />
Kran- und Baufahrzeughersteller<br />
Liebherr. Ist umtriebig, immer auf<br />
dem Quivive. War schon Australiens „Geschäftsfrau des<br />
Jahres“ und kümmert sich, so notwendig, trotzdem noch<br />
um jeden einzelnen einlaufenden Container. Keine Frage:<br />
Die Frau weiß, was sie wert ist und sagt dennoch: „Wir<br />
sind nur ein kleines Büro.“ Sagt es mit listig-lustig<br />
funkelnden Augen. „Aber mit einem großen Angebot für<br />
unsere Kunden.“<br />
Schnelle BAX-Integration<br />
Weitere Frage zwecklos: Sie telefoniert schon wieder –<br />
mit China. Dennoch ein Tipp zum Abschied: „Was es<br />
sonst noch über Schenker in Australien zu sagen gibt, das<br />
erzählt man gewiss gerne im Taj Mahal, Bourke Road,<br />
Sydney. Viel Glück und Goodbye.“<br />
„Taj Mahal“, so nennt sich im asiatisch-pazifi schen<br />
Wirtschaftsraum die Schenker-Zentrale in Sydney. Einst<br />
138 139
Schenker ist bei Luft-<br />
und Seefracht in Richtung<br />
USA und Europa absolut<br />
die Nummer eins.<br />
Im Käfi g Mit Plastik-Schutzbrille und Gummihandschuhen spielt<br />
Offi cer Skinner Leigh den Spürhund seiner Behörde.<br />
Quarantäne-Inspektion Eine australische Besonderheit. Aus Angst vor<br />
Tierseuchen untersucht man routinemäßig eintreff ende Ware.<br />
repräsentativ und auf Zuwachs gebaut, platzt das moderne<br />
Bürogebäude mit seinem 4.000 Quadratmeter großen<br />
Im- und Export Logistikzentrum fast schon wieder aus<br />
allen Nähten. Zuletzt wurden Wände abgebrochen und<br />
mehr Raum geschaff en, denn es zogen kürzlich zum wachsenden<br />
Stammpersonal noch zahlreiche Kollegen von<br />
BAX Global ein.<br />
Der Zusammenschluss beider Organisationen – der<br />
US-Logistikkonzern wurde von der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong><br />
2006 für 1,1 Milliarden Dollar übernommen – verlief<br />
„down under“ reibungslos und ohne gegenseitige Animositäten.<br />
Australisch eben. „Die Integration ging schnell<br />
über die Bühne“, erzählt Oliver Bohm, Geschäftstellenleiter<br />
Sydney und New South Wales, „wir sind längst ein Management-Team<br />
und haben jetzt einen Supermix.“<br />
Neue Infrastrukturprojekte<br />
Im Luftfrachtgeschäft nahezu gleich stark, bilden die jeweiligen<br />
Geschäftsfeld-Schwerpunkte Logistik (BAX)<br />
und Seefracht (Schenker) nun eine ideale Mischung. Der<br />
Kundenstamm jedenfalls geht quer durch alle Märkte<br />
und liest sich in Auszügen wie folgt: Dell, Samsung, Nokia,<br />
Nortel, Beiersdorf. „Was Consumer Goods angeht“,<br />
erläutert Bohm, den sein Pioniergeist aus Travemünde an<br />
der Ostsee nach Sydney verschlug, „ist Australien fast<br />
reines Importland, dabei kommt mittlerweile schon jeder<br />
zweite Container aus China. Die Dynamik auf diesem Sektor<br />
ist enorm, aber kaum weniger wichtig ist das Exportgeschäft.<br />
In Richtung USA und Europa sind wir bei Luft-<br />
und Seefracht die Nummer eins.“<br />
„Jetcargo economy“ oder „business“, „Jetcargo fi rst“<br />
oder „special“ – so heißen die maßgeschneiderten Produkte.<br />
Sie bieten globalen Gütertransit selbst in nur<br />
24 Stunden, wobei alle wichtigen Wirtschaftszentren wie<br />
Melbourne, Brisbane oder Adelaide mehrmals in der<br />
Woche bedient werden, Sydney sogar täglich.<br />
Hinzu kommt das „Sahnehäubchen Projektgeschäft“.<br />
Dort kündigt sich neben dem Rohstoff boom in den Western<br />
Territories auch fl ächendeckend weiteres Wachstum<br />
an. Die australische Regierung will in den kommenden<br />
Jahren massiv in Infrastrukturprojekte investieren. Gedacht<br />
ist an einen Ausbau schienengebundener Nah-,<br />
Fern- und Güterverkehrssysteme, selbst eine Landbrücke<br />
von Darwin gen Süden ist im Gespräch. Was insgesamt<br />
bedeutet: enormes Transportaufkommen an Schienen,<br />
Waggons und Lokomotiven, an Maschinenmaterial<br />
zum Bau von Brücken, Viadukten und Tunnels.<br />
Rosige Aussichten für Oliver Bohm und seine 520 Mitarbeiter<br />
im Großraum Sydney und Bundesstaat New<br />
South Wales. Aber kein Ruhekissen. „In Europa denkt<br />
man zwar immer, wir seien entweder am Beach oder beim<br />
Barbecue, dabei wird hier genauso hart gearbeitet wie<br />
in New York. Und zwar an sieben Tagen der Woche<br />
bei Dreischichtbetrieb in unseren sechs insgesamt 65.000<br />
Zugnummer Vor Abfahrt schließt der Fahrer eines Schenker-Lkw die Ladeplane. Danach geht es in Australiens Hauptstadt Canberra.<br />
Quadrameter großen Logistikzentrum.“ Man kann sich<br />
selbst davon überzeugen, denn morgens, kurz nach sieben<br />
Uhr, verlassen jede Menge Jogger und andere Sportfreunde<br />
die traumhaften Stadtstrände und stürzen sich<br />
frisch geduscht in die Rushhour. Auf zur Arbeit, auch<br />
wenn’s schwer fällt im gleißenden Sonnenlicht.<br />
Anderes stellt die Welt dann doch wieder auf den<br />
Kopf oder sah man je einen deutschen Chef mit Baby auf<br />
dem Arm zum Board Meeting schreiten? Auftritt Ron<br />
Koehler, Managing Director Schenker Australia/New<br />
Zealand oder anders: „Anführer der Schenker United<br />
Nations“. Sagt er und zählt auf: „Wir haben alleine in Sydney<br />
40 Nationalitäten unter einem Dach. Christen und<br />
Moslems. Europäer und Asiaten und jeder akzeptiert jeden.<br />
Das zum Beispiel ist Australien.“<br />
Es sei dazu bemerkt: das neue, das moderne, das entwickelte<br />
Australien. Weltoff en war man „down under“ zwar<br />
immer schon, aber zu Zeiten, als Ron Koehler 1961 in Melbourne<br />
geboren wurde, da fühlte man sich noch fern aller<br />
<strong>Welten</strong>. Von wirtschaftlicher Dynamik jedenfalls war wenig<br />
zu spüren. Sie setzte erst mit Erfi ndung des Internets,<br />
beginnender Globalisierung und – dies vor allem – den<br />
Olympischen Spielen anno 2000 ein. „Mit deren Vergabe<br />
an Sydney 1993 änderte sich alles“, erinnert sich Ron<br />
Koehler. „Seitdem haben wir nahezu 14 Jahre lang ununterbrochen<br />
Hochkonjunktur.“<br />
Offi zieller Logistikpartner des IOC<br />
Die Spiele waren auch ein Schlüssel zu Ron Koehlers persönlichem<br />
Erfolg. Seine Wiege stand zwar nahe Yarra<br />
River und Flinders Park, dem Austragungsort der „Australian<br />
Tennis Open“, aufgewachsen aber im Dunstkreis<br />
von Maultaschensuppe und Käsespätzle. Ein Schwabe,<br />
140 141
Truck Stop Nach stundenlanger Fahrt durchs kaum besiedelte<br />
Hinterland ist so ziemlich jede Abwechslung willkommen.<br />
wie man Schwaben zu kennen glaubt: strebsam, akribisch<br />
und detailversessen, geschäftstüchtig, enorm fl eißig. So<br />
weit das Einerseits der Tugenden. Und nun das Andererseits:<br />
gar nicht bodenständig, extrem fl exibel, wagemutig<br />
gar, mehr Quer- denn Geradeausdenker. Alles in einem<br />
Wort: ungewöhnlich.<br />
Koehlers „Hobby-Horse“<br />
Stuttgart jedenfalls kann für einen wie Koehler nur Anfang<br />
sein, nicht Ende. Zwar beginnt er 1978 dort seine<br />
Schenker-Laufbahn als Speditionskaufmann, doch 1985<br />
ist er schon weg. Richtung alte Heimat, Australien. Beginnt<br />
im Exportgeschäft, kümmert sich danach um den<br />
Aufbau des Bereichs Messe/Event und startet mit Festlegung<br />
des Internationalen Olympischen Komitees auf<br />
„Sydney 2000“ durch. „Ich weiß noch, wie ich bei der Ankündigung<br />
bloß dachte: Das machen wir, da müssen wir<br />
als Schenker ganz vorne mit dabei sein“, erinnert sich Ron<br />
Koehler.<br />
Was so kam: Schenker Australia wurde offi zieller Partner<br />
des Sydney Organisationskomitees, wickelte im Rahmen<br />
der Spiele einen Großteil der Transport- und Logistikleistungen<br />
ab und legte damit den Grundstein zu<br />
mittlerweile langjähriger Schenker-Partnerschaft mit den<br />
„Wir haben alleine in Sydney 40 Nationalitäten unter einem Dach.<br />
Europäer und Asiaten, jeder akzeptiert jeden.“<br />
142<br />
großen Sportorganisationen dieser Welt wie IOC und<br />
FIFA. Ob Sommer- oder Winterspiele, ob Fußball-EM<br />
oder WM – die Spezialisten des neu entstandenen Geschäftsbereichs<br />
„Schenker GlobalSportsEvents“ sind immer<br />
mit von der Partie.<br />
Koehler freut das, denn „Sport ist immer noch so etwas<br />
wie mein ‚Hobby-Horse‘ “. Seine Aufgaben sind indes<br />
längst andere und umfassen die Geschäfte des gesamten<br />
Kontinents, nebst „allen Aktivitäten unserer Schwestern<br />
und Brüdern in Neuseeland“. Schenker Australia, das<br />
sind heute 1.100 Mitarbeiter, 18 Büros von Auckland bis<br />
Christchurch, von Brisbane bis Perth. Das sind 30 Logistikzentren<br />
mit einer Gesamtfl äche von 140.000 Quadratmetern<br />
und jährliche Wachstumsraten bei Umsatz und<br />
Ertrag im zweistelligen Bereich.<br />
Pfi ffi ge Marketing-Aktionen<br />
Endgültig vorbei die Zeiten des „silent achievers – des<br />
stillen Herausforderers“. Eine Rolle, die man bei Schenker<br />
in der Vergangenheit gerne spielte. „Jetzt zählt Off ensivgeist“,<br />
sagt Koehler, der weiß: „Nummer zwei im<br />
Markt ist wie Nummer zehn: Da hat man verloren.“ Worte,<br />
denen Taten folgen: In Werbung und Marketing etwa,<br />
wo sich Christiane Pieper – auch so eine Abenteurerin,<br />
die Hamburg gegen Sydney tauschte – erfolgreich um pfi ffi<br />
g-professionelle Auftritte und Aktionen sorgt. Oder im<br />
Sales und Business Development Department, wo Ulf<br />
Barnard gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und IT-<br />
Spezialisten Marktangebote entwickelt.<br />
Man bastelt an neuen Supply-Chain-Lösungen oder<br />
Verbesserungen für die internationale Kundschaft, will<br />
nach europäischem Vorbild australienweite Landverkehre<br />
organisieren, „ein regelrechtes Road-Network, denn da<br />
liegen 36 Millionen Euro auf der Straße“, möchte in Zukunft<br />
auch die eigene Position bei den Trans-Tasman-<br />
Verkehren zwischen Australien und Neuseeland verstärken.<br />
„Ich kann die Welt nicht in Bewegung setzen“, sagt<br />
Ron Koehler, „aber meine Leute können es.“<br />
Für die geht er zuweilen auch Klinken putzen, getreu<br />
der Maxime: „Wer überleben will, muss außerhalb der<br />
Box arbeiten.“ Will sagen: sich zeigen, den Mitarbeitern,<br />
den Kunden, auch den Chefs im fernen Europa. Dorthin<br />
fl iegt er regelmäßig. Zur Schenker-Zentrale nach Essen.<br />
Rennt treppauf, treppab und ruft in jede off ene Tür: „Hey,<br />
uns gibt es auch noch, denkt nicht nur an China.“<br />
Woran man sieht: 16.000 Kilometer bleiben selbst in<br />
Zeiten der Globalisierung 16.000 Kilometer. Weshalb<br />
Australien doch irgendwie bleibt, was es immer war –<br />
eine ziemlich ferne Versuchung.<br />
Sandfl ug Dienstfahrten auf den „dirt<br />
roads“ des Outback haben zuweilen Rallye-<br />
Charakter. Allerdings ist die Polizei selbst<br />
dort beim Tempo-Limit unerbittlich.<br />
143
Impressum Herausgeber: <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin, Burkhard Tewinkel, Leiter Unternehmenskommunikation<br />
(V.i.S.d.P.); Projektleitung/Redaktion: Alexandra Weiß, Dieter Hünerkoch; Konzeption:<br />
Redaktionsbüro Borchert, business-feature.de; Texte: Hans Borchert, Olaf Krohn, Susanne Kill, Andreas Molitor;<br />
Fotos: Stefan Warter, Heiner Müller-Elsner, außer: S. 27, 38 o., 39 o., 40 o. Dorothea Schmid, S. 5–9, 38 u., 51–52,<br />
53 u., 54 u., 55 Max Lautenschläger, S. 39–41 DB <strong>AG</strong>, S. 58–65 Katja Hoff mann, S. 66–71 DB Museum Nürnberg,<br />
S. 89 privat, S. 90 Maersk Line, S. 104 Jorgen Hildebrandt, S. 106 Victor Rojas, S. 107 Alex Shea, Grafi k S. 92/93<br />
Kircher Burkhardt/Infografi k; Gestaltung und Produktion: Kircher Burkhardt Editorial & Corporate Communication<br />
GmbH, Berlin (002404); Druckvorstufe: highlevel GmbH, digitale mediaproduktion, Berlin; Druck, Verarbeitung:<br />
ColorDruck Leimen GmbH. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.<br />
Alle Informationen: Stand März 2007.<br />
144
10-Jahres-Übersicht<br />
10-Jahres-Übersicht<br />
in Mio. € 2006 2005 2004 2003 1) 2002 1) 2001 1) 2000 1) 1999 1) 1998 1) 1997 1)<br />
Gewinn- und Verlustrechnung<br />
Umsatz 30.053 25.055 23.962 28.228 18.685 15.722 15.465 15.630 15.348 15.577<br />
Gesamtleistung 31.943 26.728 25.890 30.438 20.900 17.535 17.267 17.521 17.104 17.422<br />
Sonstige betriebliche Erträge 2.859 2.366 2.860 3.138 2.830 2.406 3.653 2.511 2.596 2.141<br />
Materialaufwand –16.449 –12.650 –12.054 –15.776 –9.546 –7.108 –6.625 –6.688 –6.595 –6.716<br />
Personalaufwand –9.782 –9.211 –9.556 –10.337 –8.387 –7.487 –8.475 –8.285 –8.389 –8.663<br />
Abschreibungen<br />
Sonstige betriebliche<br />
–2.950 –2.801 –2.722 –2.694 –2.434 –2.162 –2.052 –1.965 –1.737 –1.620<br />
Aufwendungen –3.144 –3.080 –3.274 –4.316 –3.358 –3.282 –3.436 –2.790 –2.546 –2.204<br />
Operatives Ergebnis (EBIT) 2.477 1.352 1.144 – – – – – – –<br />
Beteiligungsergebnis<br />
Ergebnis an at Equity<br />
– – – 51 46 2 –44 –55 –143 –151<br />
bilanzierten Unternehmen 18 76 49 – – – – – – –<br />
Übriges Finanzergebnis 1 7 –55 – – – – – – –<br />
Zinsergebnis –941 –945 –984 –637 –489 –313 –251 –158 –89 –26<br />
Ergebnis vor Steuern 1.555 490 154 –133 –438 –409 37 91 201 183<br />
Jahresergebnis 1.680 611 180 –245 –468 –406 85 87 170 200<br />
Wertmanagement/<br />
Betriebliche Ergebnisgrößen<br />
Return on Capital Employed<br />
(ROCE) 2) 7,5% 5,0% 3,8% 1,5% 0,1% 0,4% 1,6% 0,3% 1,1% 1,4%<br />
EBIT 3) vor Sondereffekten 2.143 1.350 1.011 465 37 109 450 71 260 300<br />
Capital Employed 4) 28.693 27.013 26.490 30.964 30.428 28.649 27.443 24.911 22.656 20.878<br />
EBITDA 5) vor<br />
Altlastenerstattungen – – – – 2.021 1.433 1.264 427 35 –445<br />
Altlastenerstattungen – – – – 443 838 1.228 1.609 1.962 2.365<br />
EBITDA 5) 5.427 4.153 3.866 3.092 2.464 2.271 2.492 2.036 1.997 1.920<br />
Cashflow/Investitionen<br />
Mittelfluss aus gewöhnlicher<br />
Geschäftstätigkeit 3.678 2.652 2.736 – – – – – – –<br />
Brutto-Investitionen 6.584 6.379 7.238 9.121 9.994 7.110 6.892 8.372 7.660 7.136<br />
Netto-Investitionen 6) 2.836 2.360 3.251 4.013 5.355 3.307 3.250 3.229 3.040 6.223<br />
Vermögens-/Kapitalstruktur<br />
Langfristige Vermögenswerte 43.360 42.907 43.200 – – – – – – –<br />
davon Sachanlagevermögen<br />
und Immaterielle<br />
Vermögenswerte (41.081) (40.430) (40.861) (40.093) (38.869) (35.055) (34.071) (32.815) (31.155) (29.866)<br />
davon Aktive<br />
latente Steuern (1.800) (1.556) (1.301) – – – – – – –<br />
Kurzfristige Vermögenswerte 5.080 4.194 4.416 – – – – – – –<br />
davon flüssige Mittel (295) (305) (765) (265) (271) (363) (394) (280) (351) (447)<br />
Eigenkapital 9.214 7.675 7.067 5.076 5.708 8.436 8.788 8.701 8.528 8.422<br />
Langfristiges Fremdkapital 26.319 27.963 29.440 30.464 27.779 24.421 21.331 21.149 20.592 18.278<br />
davon Pensionsverpflichtungen<br />
und sonstige<br />
Rückstellungen<br />
davon Passive<br />
(5.507) (5.575) (5.768) – – – – – – –<br />
latente Steuern (72) (46) (17) – – – – – – –<br />
Kurzfristiges Fremdkapital 12.907 11.463 11.109 12.107 12.524 9.090 9.329 7.325 5.803 7.145<br />
Bilanzsumme 48.440 47.101 47.616 47.647 46.023 41.962 39.467 37.198 34.961 33.892<br />
Netto-Finanzschulden<br />
Anteil Sachanlagevermögen und<br />
Immaterielle Vermögenswerte<br />
19.586 19.669 19.511 – – – – – – –<br />
an Bilanzsumme 84,8% 85,8% 85,8% 84,1% 84,5% 83,5% 86,3% 88,2% 89,1% 88,1%<br />
Eigenkapitalquote 7) 19,0% 16,3% 14,8% 10,7% 12,4% 20,1% 22,3% 23,5% 24,5% 25,0%<br />
Leistungsdaten im<br />
Schienenverkehr<br />
Verkehrsaufkommen im<br />
2006 2005 2004 2003 1) 2002 1) 2001 1) 2000 1) 1999 1) 1998 1) 1997 1)<br />
Personenverkehr in Mio. P 1.854 1.785 1.695 1.682 1.657 1.702 1.713 1.680 1.668 1.641<br />
Fernverkehr 120 119 115 117 128 136 145 147 149 152<br />
Regional- und Stadtverkehr 1.734 1.667 1.580 1.564 1.529 1.566 1.568 1.534 1.520 1.489<br />
Verkehrsleistung im<br />
Personenverkehr in Mio. Pkm 74.788 72.554 70.260 69.534 69.848 74.459 74.388 72.846 71.853 71.630<br />
Fernverkehr 34.458 33.641 32.330 31.619 33.173 35.342 36.226 34.897 34.562 35.155<br />
Regional- und Stadtverkehr 40.331 38.913 37.930 37.915 36.675 39.117 38.162 37.949 37.291 36.475<br />
Verkehrsaufkommen im<br />
Güterverkehr8) in Mio. t9) 307,6 274,6 295,3 294,5 289,4 301,3<br />
310,8 289,7 288,7 295,5<br />
Verkehrsleistung im<br />
Güterverkehr 8) in Mio. tkm 9) 96.388 88.022 89.494 85.151 82.756 84.716 85.008 75.785 73.273 72.614<br />
Verkehrsleistung insgesamt<br />
in Mio. Ptkm<br />
Betriebsleistung auf dem Netz<br />
171.177 160.576 159.755 154.686 152.603 159.175 159.397 148.631 145.126 144.244<br />
in Mio. Trkm 1.016 998 1.001 988 967 977 984 977 947 –<br />
Mitarbeiter 10)<br />
Im Jahresdurchschnitt 228.990 220.343 229.830 249.251 224.758 219.146 230.615 244.851 259.072 277.471<br />
Zum Jahresende 229.200 216.389 225.632 242.759 250.690 214.371 222.656 241.638 252.468 268.273<br />
1) HGB<br />
2) Rendite auf das betriebliche Vermögen, definiert als EBIT/Capital Employed<br />
3) Ergebnis vor Steuern und Zinsen, bereinigt um Sondereffekte<br />
4) Betriebliches Vermögen, umfasst das Sachanlagevermögen sowie das betriebliche Netto-Umlaufvermögen.<br />
Unter IFRS und HGB unterschiedliche Definition, unter anderem andere Behandlung der Zinslosen Darlehen.<br />
5) Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (unter HGB bereinigt um Sondereffekte)<br />
6) Brutto-Investitionen abzüglich Baukostenzuschüssen von Dritten<br />
7) Bis 2003 Berechnung bezogen auf Eigenkapital inklusive Sonderposten<br />
8) Bis 1997 inklusive Stückgut; ab 2000 inklusive Railion Nederland N.V., ab 2001 inklusive Railion Danmark A/S,<br />
ab 2006 inklusive RBH Logistics GmbH<br />
9) Umstellung auf Bruttowerte im Jahr 2006, Zahlen bis 1999 wurden entsprechend angepasst<br />
10) In Vollzeitpersonen, das heißt Teilzeitkräfte werden anteilig umgerechnet