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Deutsche Bahn AG: Menschen bewegen – Welten verbinden

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<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong><br />

Potsdamer Platz 2<br />

10785 Berlin<br />

www.db.de<br />

www.bahn.de<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>: <strong>Menschen</strong> <strong>bewegen</strong> – <strong>Welten</strong> <strong>verbinden</strong><br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>:<br />

<strong>Menschen</strong> <strong>bewegen</strong> –<br />

<strong>Welten</strong> <strong>verbinden</strong>


Auf einen Blick<br />

Umsatz in Mio. €<br />

2006<br />

2005<br />

� 2005 zu 2006: +19,9%<br />

ROCE in %<br />

2006<br />

2005<br />

� 2005 zu 2006: +2,5 Prozentpunkte<br />

5,0<br />

25.055<br />

7,5<br />

30.053<br />

EBIT in Mio. €<br />

2006<br />

2005<br />

� 2005 zu 2006: +1.125 Mio. €<br />

Bilanzsumme in Mio. €<br />

2006<br />

2005<br />

� 2005 zu 2006: +2,8%<br />

1.352<br />

2.477<br />

48.440<br />

47.101<br />

Wesentliche Kennzahlen Veränderung<br />

in Mio. € 2006 2005 absolut prozentual<br />

Umsatz 30.053 25.055 +4.998 +19,9<br />

Umsatz vergleichbar 26.879 24.959 +1.920 +7,7<br />

Ergebnis vor Ertragsteuern 1.555 490 +1.065 –<br />

Jahresergebnis 1.680 611 +1.069 +175<br />

EBITDA 5.427 4.153 +1.274 +30,7<br />

EBIT 2.477 1.352 +1.125 +83,2<br />

EBIT vor Sondereffekten 2.143 1.350 +793 +58,7<br />

Langfristige Vermögenswerte 43.360 42.907 +453 +1,1<br />

Kurzfristige Vermögenswerte 5.080 4.194 +886 +21,1<br />

Bilanzsumme 48.440 47.101 +1.339 +2,8<br />

Eigenkapital 9.214 7.675 +1.539 +20,1<br />

Finanzschulden 19.881 19.974 –93 –0,5<br />

Capital Employed 28.693 27.013 +1.680 +6,2<br />

Return on Capital Employed (ROCE) 7,5% 5,0% – –<br />

Brutto-Investitionen 6.584 6.379 +205 +3,2<br />

Netto-Investitionen 1) 2.836 2.360 +476 +20,2<br />

Mittelfluss aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit 3.678 2.652 +1.026 +38,7<br />

Mitarbeiter 2) per 31. 12. 229.200 216.389 +12.811 +5,9<br />

Leistungskennzahlen – Schiene Veränderung<br />

Personenverkehr<br />

2006 2005 absolut prozentual<br />

Reisende in Mio. 1.854 1.785 +69 +3,9<br />

Verkehrsleistung in Mio. Pkm 3) 74.788 72.554 +2.234 +3,1<br />

Betriebsleistung in Mio. Trkm 4) 702,7 711,4 –8,7 –1,2<br />

Güterverkehr<br />

Beförderte Güter in Mio. t 5) 307,6 274,6 +33,0 +12,0<br />

Verkehrsleistung in Mio. tkm 5, 6) 96.388 88.022 +8.366 +9,5<br />

Mittlere Transportweite in km 313,4 320,4 –7,0 –2,2<br />

Betriebsleistung in Mio. Trkm 203,5 193,7 +9,8 +5,0<br />

Anzahl <strong>Bahn</strong>höfe 7) 5.730 5.707 +23 +0,4<br />

Betriebsleistung auf dem Netz in Mio. Trkm 1.016 998 +18 +1,8<br />

davon konzernextern (128) (110) +18 +16,4<br />

Betriebslänge in km 34.122 34.211 –89 –0,3<br />

1) Brutto-Investitionen abzüglich Investitionszuschüssen von Dritten<br />

2) In Vollzeitpersonen; d.h. Teilzeitkräfte werden anteilig eingerechnet<br />

3) Personenkilometer: Produkt aus der Anzahl der beförderten Personen<br />

und der mittleren Reiseweite<br />

4) Trassenkilometer: zurückgelegte Kilometerstrecke der Züge<br />

5) Umstellung auf Bruttowerte im Berichtsjahr, Vorjahreszahl<br />

entsprechend angepasst<br />

6) Tonnenkilometer: Produkt aus der Transportmenge (in Tonnen)<br />

und der mittleren Transportweite<br />

7) Davon im Jahr 2006: 5.407 im Geschäftsfeld Personenbahnhöfe<br />

Mission Statement<br />

Gruppenfunktionen<br />

DB-Konzern<br />

Mobility Logistics<br />

Eisenbahn in Deutschland<br />

Networks<br />

Als Basis unseres Geschäfts optimieren wir Leistung und Produktivität im deutschen Schienenverkehr.<br />

Wir bauen unser Geschäftsportfolio aus, wo dies aus Sicht unserer Kunden sinnvoll ist oder wo unsere<br />

Kompetenzen und Ressourcen dies nahe legen.<br />

Wir entwickeln uns so zu einem international führenden Mobilitäts- und Logistikdienstleister. Wir<br />

schaffen Werte für unsere Kunden, Mitarbeiter und Eigentümer und sind ein dauerhaft attraktives<br />

Investment auf den internationalen Kapitalmärkten.<br />

Organisationsstruktur des DB-Konzerns (ab 2007)<br />

Aufsichtsrat<br />

Konzernvorstand<br />

Vorsitzender Finanzen und Controlling Wirtschaft und Politik Personal<br />

Systemverbund <strong>Bahn</strong> Personenverkehr Infrastruktur und Dienstleistungen<br />

Geschäftsfelder/Segmente<br />

Transport und<br />

Logistik<br />

Fernverkehr<br />

Netz Schenker<br />

– Landverkehr<br />

Regio Personenbahnhöfe<br />

– Luft-/Seefracht<br />

– Kontraktlogistik, SCM<br />

Servicefunktionen Stadtverkehr<br />

Energie<br />

Dienstleistungen<br />

Schienengüterverkehr<br />

– Railfreight<br />

– Intermodal<br />

Kennzahlen und Mission Statement


Intern<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

sie sind, wenn man so will, ein eingefahrenes Team – der Reporter Hans Borchert und der Fotograf<br />

Stefan Warter. So haben die beiden, die für große deutsche Magazine arbeiten, für den<br />

„Stern“ schon den Formel-1-Zirkus rund um die Welt begleitet. Auch für diese Jahresbroschüre<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> ging es für Borchert und Warter einmal um den Globus. Herausgekommen<br />

sind spannende und überraschende Reportagen über <strong>Menschen</strong> im DB-Konzern, der im Bereich<br />

Mobilität und Logistik weltweit führend und somit auch fast überall auf der Erde vertreten ist.<br />

In Indien etwa machten Borchert und Warter Bekanntschaft mit einer Auto-Rikscha der zum<br />

DB-Konzern gehörenden Spedition Schenker. In Südkorea waren sie bei der Eröff nung eines<br />

Schenker Logistikzentrums dabei. In Japan begleiteten sie Eisenbahner aus Deutschland auf<br />

ihrem jährlichen Treff en mit japanischen Kollegen. In China konnten sie sich beim Bau einer<br />

Hoch geschwindigkeitsstrecke davon überzeugen, dass das Know-how der DB als führender<br />

Betreiber und Manager hochkomplexer Verkehrsnetzwerke weltweit gefragt ist.<br />

Stefan Warter<br />

Fotograf<br />

Es ging weiter über Singapur, Australien, USA und Kanada<br />

zurück nach Europa und Deutschland. Denn auch wenn der<br />

DB-Konzern mittlerweile in der Welt von Mobilität und<br />

Logistik zu den Champions gehört, ist und bleibt die Eisenbahn<br />

in Deutschland Herkunft und Basis des Unternehmens.<br />

Nirgendwo auf der Welt wird ein dichter vertaktetes Personenverkehrsnetz<br />

auf der Schiene betrieben als in Deutschland<br />

– mit allem, was an Service-Leistungen und Datensystemen<br />

dazugehört, ein gigantisches Verkehrsnetzwerk. Keine Güterbahn<br />

in Europa ist größer und erfolgreicher als die DB-Tochter<br />

Railion Deutschland <strong>AG</strong>. Auch über diese Welt der Eisenbahn<br />

galt es in dieser Broschüre zu berichten.<br />

Von einem Reporterteam war das alles kaum zu schaff en. Weshalb sich Olaf Krohn gemeinsam<br />

mit den Fotografen Max Lautenschläger und Heiner Müller-Elsner der „Generation ICE“ widmeten<br />

und zudem die Welt der Automotive-Logistik entdeckten. Dort erlebte Andreas Molitor<br />

auch den Einsatz allerneuster IT-Werkzeuge im „Supply Chain Management“. Vom Berliner<br />

Hauptbahnhof angezogen fühlte sich die Fotografi n Katja Hoff mann. Sie war mit der Kamera<br />

unterwegs im größten und schönsten Kreuzungsbahnhof Europas, einer neuen Attraktion der<br />

Hauptstadt. Und unsere Historikerin Susanne Kill tauchte in die Eisenbahngeschichte ein.<br />

Damals, als noch völlig off en war, wie man das neue Verkehrsmittel fi nanzieren sollte. Der Rückblick<br />

zeigt: Erst mit Gründung privatwirtschaftlicher Aktiengesellschaften begann die Erfolgsgeschichte<br />

der Eisenbahn in Deutschland.<br />

Herzlichst Ihr Redaktionsteam<br />

Olaf<br />

Krohn<br />

Autor<br />

Hans Borchert<br />

Autor<br />

Max<br />

Lautenschläger<br />

Fotograf<br />

Heiner<br />

Müller-Elsner<br />

Fotograf<br />

Katja<br />

Hoff mann<br />

Fotografi n<br />

1


Inhalt<br />

Intern S. 1<br />

Hartmut Mehdorn Eisenbahn ist Kerngeschäft S. 4<br />

Den <strong>Bahn</strong>chef kennt man gut. Die <strong>Bahn</strong> kennen einige<br />

nicht mehr so gut. Sie ist noch die alte, aber zugleich auch<br />

die neue: Um in Deutschland eine feste Größe zu bleiben,<br />

hat sich die DB <strong>AG</strong> international aufgestellt. Mit Erfolg.<br />

Mobility Networks Logistics Global Player S. 10<br />

Dresden, Schanghai,<br />

Neu-Delhi, Brüssel,<br />

Perth, Hamburg, Toronto,<br />

Moskau – im Kosmos<br />

der DB <strong>AG</strong> geht die<br />

Sonne nicht mehr unter.<br />

Der Konzern bewegt<br />

<strong>Menschen</strong>, Güter und Daten. Betreibt und managt erfolgreich<br />

Verkehrsnetzwerke. Und das alles auch weltweit.<br />

Konzernentwicklung Meilensteine S. 38<br />

Kompakter Lebenslauf der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> seit<br />

dem Jahr 1999. Ein Konzern auf der Karriereleiter.<br />

Personenverkehr<br />

Generation ICE S. 42<br />

Mit Höchstgeschwindigkeit<br />

300 ein Tieffl ieger – der ICE.<br />

Und Beförderer einer mobilen<br />

Gesellschaft. Aus fern macht er<br />

eher nah, verbindet Büro- und<br />

Wohnstätte und schaff t Freiräume:<br />

Reisezeit ist aktive Zeit.<br />

Sie lässt sich nutzen für den Job, zum Schmökern, Lernen<br />

oder einfach nur zum Tagträumen …<br />

Verkehrsknoten Laufsteg <strong>Bahn</strong>hof S. 58<br />

Majestätisch, funktional und transparent. Der Hauptbahnhof<br />

in Berlin ist Europas modernster Kreuzungsbahnhof.<br />

Architektonisch eine Glanzleistung und schmucke<br />

Einkaufsmeile zugleich. Ein Blick darauf lohnt sich.<br />

Historie<br />

Aktie Eisenbahn S. 66<br />

Ohne Privatkapital wäre die<br />

Eisenbahn in Deutschland<br />

heute nicht das, was sie ist.<br />

Vernetzt Wer nicht am Ticket-Automaten kaufen<br />

will, weil er Informationen braucht, ist im<br />

Reisezentrum gut beraten. Die Servicekräfte der<br />

DB können sämtliche Daten online aktuell<br />

abrufen. Schneller und aktueller geht’s nicht.<br />

Automotive Kettenreaktion S. 72<br />

Es gibt eine Menge Autos,<br />

die fahren <strong>Bahn</strong>, bevor sie<br />

sich auf die Straße trauen.<br />

Weil man sie kaum sicherer<br />

und sinnvoller zur Endmontage<br />

transportieren<br />

kann. Finden zum Beispiel<br />

Porsche, BMW und Audi.<br />

Logistik Netzwerkzeuge S. 80<br />

„Pick by voice“ – eine digitale Stimme aus dem Headset<br />

steuert jeden Handgriff der Mitarbeiter im Lager. Damit<br />

für die „just in sequence“-Produktion jedes Montageteil<br />

zur richtigen Zeit exakt am richtigen Ort liegt.<br />

Transport Containerkult S. 84<br />

Einfach aber genial: Eine Blechkiste hat den kompletten<br />

Welthandel in 50 Jahren revolutioniert. Container sind<br />

als Standardbehälter aus der weltweiten Logistik nicht<br />

mehr wegzudenken. Da wird kräftig hoch gestapelt.<br />

IT-Systeme In der Matrix S. 94<br />

An einem Strang ziehen ja, an diesen<br />

Strängen besser nicht. Denn hieran<br />

hängt der zentrale Rechner der DB.<br />

Wohl eines der modernsten IT-Netzwerke,<br />

das die Welt gesehen hat.<br />

Mitarbeiter Außenposten S. 104<br />

Kleine Vorstellungsrunde: vier Kurzporträts aus dem<br />

Ausland – von Stockholm bis Neuseeland.<br />

Auslandsmärkte Wertarbeit S. 108<br />

Was hat die Eisenbahn in China mit der DB <strong>AG</strong> gemeinsam?<br />

Das Know-how unserer Mitarbeiter. Denn sie unterstützen<br />

dabei, dass China ein technisch hochmodernes<br />

Schienennetz mit zugehöriger Infrastruktur erhält.<br />

Transport & Logistik Drehkreuze S. 118<br />

Sie sind die Knotenpunkte im Netzwerk der Handelsströme:<br />

Cargo-Airports, Seehäfen, Frachtzentren und<br />

Rangierbahnhöfe. Hier wird gemischt und neu verteilt.<br />

Damit alle Güter schnell ans Ziel gelangen. Wie bestellt.<br />

Australien<br />

Tempomacher S. 130<br />

„Down under“ boomt –<br />

und als transpazifi sches<br />

Bindeglied zwischen den<br />

USA und Asien ist die<br />

DB-Tochter Schenker hier<br />

gut unterwegs.<br />

Impressum S. 144<br />

2 3


Hartmut Mehdorn<br />

Eisenbahn ist<br />

Kerngeschäft<br />

Wachstum bei allen Transportleistungen auf der Schiene,<br />

Spitzenposition im globalen Mobilitäts- und Logistikgeschäft,<br />

dazu Rekordzahlen bei Umsatz und Ertrag –<br />

die DB <strong>AG</strong> ist bestens aufgestellt und bereit für den<br />

Kapitalmarkt. DB-Chef Hartmut Mehdorn zieht Bilanz.<br />

s gibt Worte, die sind Auszeichnung<br />

und Bürde zugleich, und<br />

in Deutschland gehörte dazu<br />

immer schon die Bezeichnung „<strong>Bahn</strong>chef“.<br />

Ein plakativer, ein zudem praktischer<br />

Begriff , denn ob Lob oder<br />

Kritik, es wurde stets am <strong>Bahn</strong>chef<br />

festgemacht – seit dem Amtsantritt<br />

im Jahr 1999 an „<strong>Bahn</strong>chef Mehdorn“<br />

eben. „Ich heiße ja für die Öff entlichkeit<br />

gar nicht mehr Hartmut mit Vornamen“,<br />

amüsierte sich der Konzernlenker<br />

zuweilen.<br />

Mittlerweile schreiben wir das<br />

Jahr 2007, und die Welt des DB-Konzerns<br />

hat sich enorm gewandelt. Indes:<br />

Hartmut Mehdorn heißt nach<br />

wie vor <strong>Bahn</strong>chef Mehdorn. „Ich bin<br />

es ja schließlich auch immer noch,<br />

mit Stolz und gerne“, sagt er.<br />

Klar ist aber auch: Die <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> ist nicht mehr dasselbe Unternehmen<br />

wie vor sieben Jahren. Ist<br />

nicht mehr fast ausschließlich Transporteur<br />

von <strong>Menschen</strong> und Gütern<br />

auf der Schiene, sondern denkt in<br />

Mobilitäts- und Logistikketten. Sie<br />

managt hochkomplexe und dicht<br />

vertaktete Verkehrsnetzwerke im<br />

nationalen und europäischen Personenverkehr<br />

ebenso wie auch rund<br />

4<br />

um den Globus im Bereich Transport<br />

und Logistik – und zwar zu Land, zu<br />

Wasser und in der Luft.<br />

Eine Weltkarte in Mehdorns Vorstandsbüro<br />

kündet augenfällig von<br />

neuen, fernen Ufern. Und sein Kalender<br />

diktiert dazu den kosmopolitischen<br />

Reiseplan: heute Berlin, morgen<br />

New York, danach Münster und<br />

Abu Dhabi, Bremen und Peking.<br />

Nichts indes, worüber groß zu reden<br />

wäre, fi ndet Mehdorn. Weil längst<br />

Normalität und nur von begrenztem<br />

Wert für Millionen von <strong>Bahn</strong>reisenden<br />

tagtäglich, denn die stehen, so<br />

sein Statement, klar im Zentrum aller<br />

Strategie.<br />

Im Dienste des Kunden<br />

„Der Kunde möchte eine möglichst<br />

günstige Fahrkarte und dazu eine<br />

pünktliche, eine bequeme Fahrt<br />

nicht nur von <strong>Bahn</strong>hof zu <strong>Bahn</strong>hof<br />

sondern von Haus zu Haus.“ Hartmut<br />

Mehdorn nennt das gern „<strong>Bahn</strong>fahren<br />

davor und <strong>Bahn</strong>fahren danach“<br />

und meint damit die ganze<br />

Reisekette. „Dass die DB mittlerweile<br />

ein sogenannter Global Player ist,<br />

dass wir noch viel mehr können,<br />

Weichenstellung Symbolisch gesagt:<br />

Die Tür zum Gang an den Kapitalmarkt ist<br />

geöff net. Vorstandschef Hartmut Mehdorn<br />

vor dem Besprechungszimmer seines Büros<br />

im Berliner <strong>Bahn</strong>-Tower.<br />

5


Der Ausbau des Konzerns zum internationalen Mobilitäts- und<br />

Logistikdienstleister schafft und sichert deutsche Arbeitsplätze.<br />

spielt für die <strong>Bahn</strong>kunden dabei keine<br />

Rolle. Wohl aber die Frage, wie sie<br />

von zu Hause zum <strong>Bahn</strong>hof kommen,<br />

wo sie ihren Wagen parken können,<br />

in welchem Hotel sie übernachten<br />

möchten und wie sie auf kürzestem<br />

und schnellstem Wege ihr nächstes<br />

Ziel erreichen.“<br />

Will sagen: Der Konzern hat viele<br />

Fähigkeiten, aber vordringlich ist<br />

aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden<br />

nicht das ausgemalte Bild umfassender<br />

Komplexität, sondern zuerst die<br />

gezielte, die kundenrelevante Vermittlung<br />

von Kompetenz. „Den Einzelnen<br />

wird dabei im Individualverkehr<br />

das über unser Online-Portal<br />

leicht abrufbare Angebot der kompletten<br />

Angebote interessieren –<br />

DB Carsharing, DB Rent und DB Call<br />

a Bike übrigens inklusive“, erläutert<br />

Mehdorn. „Ein Großkunde wie der<br />

Freistaat Bayern will dagegen die<br />

Organisation eines ganzen Nahverkehrssystems<br />

und fi ndet in uns dafür<br />

den richtigen Partner. Gleiches gilt<br />

für unser Wissen um Stadtverkehre,<br />

egal ob mit <strong>Bahn</strong>, S-<strong>Bahn</strong> oder Bus.<br />

Und wer Seefracht oder Luftfracht<br />

hat, dem zeigen wir unser weltweit<br />

gespanntes, engmaschiges Transport-<br />

und Logistiknetz. Auch auf der<br />

Straße und im Kontraktgeschäft.“<br />

Umkämpfte Wachstumsfelder<br />

Letztgenannte Klientel weiß übrigens<br />

längst um die Position der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> auf diesen weltweit<br />

größten, allerdings hart umkämpften<br />

Wachstumsfeldern. Hinter DHL und<br />

vor Nippon Express hat sich die<br />

DB Logistics mit ihren fünf Bereichen<br />

Rail Freight, Intermodal, Land<br />

Transport, Air/Ocean Freight sowie<br />

Contract Logistics/SCM im internationalen<br />

Ranking des Logistikmarktes<br />

auf Platz zwei etabliert. Diese<br />

Unternehmenssäule erwirtschaftet<br />

mittlerweile immerhin 57 Prozent<br />

des Konzernumsatzes. Die Tendenz<br />

ist weiter steigend.<br />

„Wir sind vorne mit dabei, die<br />

Trends des globalen Marktes zu nutzen“,<br />

konstatiert Mehdorn. „Und wir<br />

nützen damit auch dem Standort<br />

Deutschland, der Weltmarktführer<br />

im Bereich Transport und Logistik<br />

ist, einer Branche also, in der unser<br />

Land eindeutig Gewinner der Globalisierung<br />

ist. Dabei gibt es in dieser<br />

beispiellosen Expansions- und Konzentrationsphase<br />

auf diesem Gebiet<br />

für die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> nur eine Möglichkeit:<br />

Weiter an der Spitze mit-<br />

Spielerisch Zuweilen greifen Mehdorn oder<br />

auch Besucher zur kleinen Holzharke und<br />

ziehen Linien in den Sand des Zen-Gartens in<br />

seinem Vorzimmer.<br />

spielen oder gar nicht.“ Hohe Finanzkraft<br />

sei dazu nötig und unabdingbar<br />

deshalb der Zufl uss privaten Kapitals<br />

aus der noch für diese Legislaturperiode<br />

geplanten Teilprivatisierung<br />

des Konzerns.<br />

Das große, von der <strong>Bahn</strong>reform<br />

des Jahres 1994 formulierte und politisch<br />

vorgegebene Ziel ist nahezu erreicht,<br />

und wenn Hartmut Mehdorn<br />

das Geschehen noch einmal rückwärts<br />

abspult, dann vor dem Hintergrund<br />

eines erstklassigen „Track Records“<br />

im abgelaufenen Geschäftsjahr<br />

2006. Zahlen, Daten, Fakten – ein<br />

Vortrag mit Erlebnischarakter für<br />

den Zuhörer. Mehdorn schließlich ist<br />

ein energischer Berichterstatter:<br />

„Zuerst und vor allem: Die <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Bahn</strong> macht nach einer Phase<br />

der Sanierung und Neuausrichtung<br />

nachhaltig Gewinn. Mehr Gewinn als<br />

viele Dax-Unternehmen. Bei einem<br />

Gesamtumsatz von nahezu 30 Milliarden<br />

Euro (20 Prozent über Vorjahr)<br />

werden es vor Steuern und Zinsen<br />

(EBIT) deutlich mehr als zwei Milliarden<br />

Euro sein. Dabei haben sich die<br />

Geschäftsfelder klar besser entwickelt<br />

als im Vorjahr und sie alle tragen<br />

zum positiven Ergebnis bei.<br />

Das Geschäft auf der Schiene<br />

brummt und erreichte bei Nah-,<br />

Stadt- und Fernverkehr den Spitzenwert<br />

von 75 Milliarden Personenkilometern<br />

(plus 3,1 Prozent). Beim<br />

Schienengüterverkehr ergibt sich<br />

mit 96 Milliarden Tonnenkilometern<br />

(plus 9,5 Prozent) sogar die höchste<br />

Transportsteigerung seit 25 Jahren<br />

und damit ein Leistungswert, wie es<br />

ihn in der Bundesrepublik noch nie<br />

gab. Erneut wächst die Schiene stärker<br />

als der Verkehrsmarkt insgesamt.<br />

Beim Personenverkehr im Modalsplit<br />

um rund vier Prozent, beim Gütertransport<br />

sogar um elf Prozent.<br />

Einen gewissen Sondereinfl uss hatte<br />

Deutschlands Sommermärchen –<br />

die WM. Das Fußball-Ereignis war<br />

ein Paradebeispiel für unsere Leistungsfähigkeit<br />

als integrierter Konzern.<br />

Wir fuhren an jedem Spieltag<br />

über 600.000 zusätzliche Kunden,<br />

verkauften 240.000 Weltmeister-<br />

<strong>Bahn</strong>Cards und daneben sorgten<br />

unsere Mitarbeiter von Schenker<br />

logistisch für reibungslose Prozesse<br />

des von Franz Beckenbauer geführten<br />

Organisations-Komitees.<br />

Seit 1994 wurde die Produktivität<br />

im <strong>Bahn</strong>geschäft verdreifacht. Wir<br />

haben seitdem unser Ergebnis jeweils<br />

um rund 400 Millionen Euro pro Jahr<br />

verbessert und betreiben dabei das<br />

dichteste und komplexeste Schienennetz<br />

der Welt. Für dessen Instandhaltung,<br />

Modernisierung und<br />

Am Puls der <strong>Bahn</strong> Mittels Bildschirmdarstellung informiert sich Hartmut Mehdorn über die aktuelle Zugpünktlichkeit und Betriebslage im<br />

Schienenverkehr. Aktenstudium und Terminabsprachen mit seiner Sekretärin Helga Alles gehören ebenfalls zu seinem Alltag.<br />

Ausbau haben wir 2006 eigene Mittel<br />

in Höhe von 1,1 Milliarden Euro<br />

aufgewendet – neben den öff entlichen<br />

Mitteln des für Infrastruktur<br />

zuständigen Bundes.<br />

Zur bereits geschilderten Logistik<br />

noch ein Zusatz: 34 Prozent unseres<br />

Konzernumsatzes erwirtschaften wir<br />

mittlerweile international, und dort<br />

haben wir ganz nebenbei auch die<br />

größten Zuwachsraten.<br />

Und ein Letztes: Das Rekordjahr<br />

ergab auch für den Personalbestand<br />

eine erfreuliche Konsequenz, denn<br />

unsere Mitarbeiterzahl liegt um etwa<br />

2.200 Vollzeitstellen über dem ursprünglichen<br />

Planansatz von insgesamt<br />

rund 226.900 DB-Beschäftigten.<br />

Unser Anspruch als weltweit<br />

führender Mobilitäts- und Logistikdienstleister<br />

schaff t und sichert eben<br />

auch Arbeitsplätze in Deutschland.<br />

Hier sind wir ohnehin fl ächendeckend<br />

verwurzelt – als einer der<br />

größten Investoren, Arbeitgeber und<br />

Ausbilder. Trotz Internationalität:<br />

Die Eisenbahn in Deutschland ist<br />

Herkunft und Basis, und das wird<br />

auch so bleiben.“<br />

Den neuen Konzern vor Augen bleibt<br />

die Frage: War diese schrittweise<br />

Entwicklung eine Folge vorausschauender<br />

Strategie oder das Ergebnis<br />

ständiger Anpassung an die wirt-<br />

schaftlichen Verhältnisse? „Sowohl<br />

als auch“, antwortet Hartmut<br />

Mehdorn freimütig, „denn natürlich<br />

prägen das Umfeld und der Markt.<br />

Aber als ich zur <strong>Bahn</strong> kam, da gab es<br />

eine ganze Reihe nüchterner Erkenntnisse<br />

und fester Absichten.“<br />

Klar war, dass Güterverkehr nicht<br />

funktionieren kann, wenn man darauf<br />

wartet, dass die Kundschaft ihre<br />

Ladung selbst zu den Zügen bringt.<br />

„Wir mussten also lernen, an die Fabrikationsstandorte<br />

zu gehen, die Produkte<br />

dort einzupacken, sie zum<br />

<strong>Bahn</strong>hof, ans Schiff oder zum Flugzeug<br />

zu schaff en, zu transportieren<br />

und beim Zielkunden in einem fest<br />

defi nierten Zeitfenster abzuliefern.“<br />

Komplette Reisekette<br />

Und ebenso klar war: Um im Personenverkehr<br />

neue Kunden zu gewinnen,<br />

bedurfte es – vergleichbar der<br />

Logistikkette – neben Pünktlichkeit<br />

sowie Sicherheit, Service und Sauberkeit<br />

eines Angebots für die gesamte<br />

Reisekette. „Unser Internetportal<br />

mit mittlerweile 110 Millionen Klicks<br />

täglich entwickelte sich dabei zu<br />

einem Schlüsselinstrument neben<br />

vielen anderen elektronischen Medien<br />

– vom automatisierten Ticketkauf<br />

bis hin zur Reisenden-Information<br />

im Zug oder auf dem <strong>Bahn</strong>steig. Aber<br />

darüber hinaus, dessen sind wir uns<br />

bewusst, gibt es noch viel Platz für<br />

Verbesserungen“, so Mehdorn.<br />

Kurz und knapp: Der Weg zum<br />

Ziel war von Beginn an klar. „Wir haben<br />

nicht endlos darüber geredet, wir<br />

haben gehandelt, uns neu ausgerichtet<br />

und die Strukturen angepasst“,<br />

sagt Mehdorn. „Wir sehen uns hier<br />

als Unternehmer. Und das Wort Unternehmer<br />

kommt eben von etwas<br />

unternehmen.“<br />

Es gab Beispiele, natürlich. Japans<br />

erfolgreich privatisierte Eisenbahnen<br />

verliehen dem Personenverkehr Impulse,<br />

Amerikas große Güterbahnen<br />

boten in Verbindung mit ihrem Netz<br />

aus Langläufern und Schnittstellen<br />

zu Feeder-Verkehren ebenfalls interessantes<br />

Anschauungsmaterial.<br />

„Man habe all das genau analysiert“,<br />

resümiert Mehdorn. Manches verworfen<br />

und anderes heiß diskutiert.<br />

Fazit: „Viel kapiert, nichts kopiert.“<br />

Parallel dazu entwickelte sich die<br />

Führungsorganisation des Unternehmens.<br />

Für Hartmut Mehdorn, dessen<br />

Credo „no surprises – keine Überraschungen“<br />

lautet, vielleicht die<br />

wichtigste Weichenstellung im Verlauf<br />

des Turnaround. Was er wollte,<br />

war ein „transparentes, klar zu führendes<br />

Haus“ mit „beherrschbaren<br />

Prozessen“, mit „Diskussionskultur<br />

bei schneller Lösungsfi ndung“.<br />

6 7


Alle Entscheidungen sollen auf administrativer<br />

Ebene geprägt sein<br />

„von Kosten- und Effi zienzdenken“<br />

sowie einem „Höchstmaß an gegenseitigem<br />

Vertrauen“.<br />

Viele Kulturen, ein Spirit<br />

Das ist für Mehdorn nicht nur so dahingesagt:<br />

„Ich glaube“, so der Konzernlenker,<br />

„dass wir den besten Vorstand<br />

haben, den die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />

je hatte. Jedenfalls ist das Selbstbewusstsein<br />

wieder da und egal auf<br />

welcher Ebene: Unsere Mitarbeiter<br />

wissen, wir sind ein erfolgreiches,<br />

profi tables Unternehmen.“<br />

Von neuem Geist befl ügelt heißt<br />

es jetzt: Aufbruch zur nächsten Etappe,<br />

dem IPO (Initial Public Off ering)<br />

genannten Börsengang. Spirit ist in<br />

diesem Zusammenhang übrigens die<br />

Hartmut Mehdorn liebere, weil moderne,<br />

vielleicht auch sportlichere<br />

Vokabel. Sie beschreibt für ihn, „dass<br />

wir im Konzern bei gemeinsamer<br />

Strategie alle Kulturen erlauben und<br />

keine Gleichmacherei betreiben“.<br />

Defi niert sind Ziele, aber wie sie erreicht<br />

werden, darüber entscheidet<br />

man vor Ort. „Einfach weil Geschäfte<br />

in Amerika eben anders funktionieren<br />

als in Japan oder China oder eben<br />

in Deutschland.“<br />

Bei Investoren, allen voran bei<br />

institutionellen Anlegern, zählen allerdings<br />

mehr die Taten als solche<br />

Worte. Grundlage einer Kaufentscheidung<br />

sind nur harte Fakten.<br />

Deshalb stellt sich die simple Frage:<br />

Warum sollte sich ein Investment in<br />

die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> lohnen? Konzernchef<br />

Mehdorn greift zur bewährten<br />

Fingermethode, der Daumen<br />

macht den Anfang:<br />

Fernsicht Aus Hartmut Mehdorns Büro geht der Blick weit hinaus über Berlin<br />

und streift dabei das Bundeskanzleramt und den neuen Hauptbahnhof.<br />

1. Wir sind solide fi nanziert und<br />

machen Gewinne.<br />

2. Unsere Geschäftsfelder sind<br />

klassische Wachstumsmärkte. Im<br />

Bereich Logistik wird ein jährlicher<br />

Zuwachs im zweistelligen Bereich für<br />

die nächsten zehn bis 15 Jahre prognostiziert.<br />

Marktentwicklung ist dabei<br />

nicht das Problem, sondern<br />

Marktteilnahme oder anders ausgedrückt:<br />

Wie groß ist das Stück Kuchen,<br />

das wir für uns reklamieren<br />

können.<br />

3. Trotz Wettbewerb, der uns auch<br />

befl ügelt, besteht im Kerngeschäft<br />

Eisenbahn ebenfalls genügend Potenzial,<br />

um zu wachsen. Sowohl beim<br />

Personen-, als auch beim Güterverkehr.<br />

Die europaweite Marktliberalisierung<br />

eröff net dabei weitere Expansionschancen.<br />

4. Eines unserer Hauptprodukte ist<br />

Wissen. Kaum ein anderer Konzern<br />

hat als Manager und Betreiber von<br />

Verkehrsnetzwerken vergleichbares<br />

Know-how und nur wenige Mitbewerber<br />

verfügen über so viele moderne<br />

elektronische IT-Anwendungen.<br />

Und: Keine andere <strong>Bahn</strong> auf der Welt<br />

ist für die Zukunft so gut aufgestellt<br />

wie wir und kann alle Verkehrsträger<br />

unter einem Unternehmensdach vernetzen.<br />

5. Im DB-Konzern ist die Arbeitsteilung<br />

weit vorangeschritten, und<br />

wir verfügen über eine schlanke, gut<br />

aufgestellte Organisation.<br />

Fünf von vielen Argumenten, die<br />

nach Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden<br />

überzeugen. „Wenn<br />

sich der Bund als unser Gesellschafter<br />

nach Einbringung des Privatisierungsgesetzes<br />

entschließen sollte,<br />

noch in dieser Legislaturperiode pri-<br />

vate Investoren an der DB <strong>AG</strong> zu beteiligen,<br />

dann wird es, so glauben wir,<br />

sehr schnell gehen. Der Kapitalmarkt<br />

bietet die Möglichkeit, mit neuem<br />

Geld die Geschäftsfelder auszubauen<br />

und auch neue Märkte zu erobern.“<br />

Personal ist ein Vertrauensthema. Nur die richtigen Fähigkeiten<br />

am richtigen Platz garantieren den Erfolg eines Unternehmens.<br />

Wohin genau die Reise gehen wird,<br />

zu der „unser Zug abfahrbereit auf<br />

dem Gleis steht“ – dazu nur so viel:<br />

„Wir müssen im Feld von Transport<br />

und Logistik noch dichter ran an die<br />

Häfen. Wir müssen im Personenverkehr<br />

in neues rollendes Material investieren.<br />

Planen – neben dem schon<br />

getätigten Einkauf von 300 Nahverkehrszügen<br />

für DB Regio im Wert<br />

von einer Milliarde Euro – den Ersatz<br />

unserer IC-Flotte durch neue ICE-<br />

Einheiten sowie die Bestellung von<br />

500 Loks und rund 1.000 Waggons<br />

vornehmlich für den Containertransport<br />

im Güterverkehr. Hinzu kommen<br />

neue EDV- und IT-Systeme,<br />

die uns noch besser erlauben, für<br />

unsere Kunden Logistik- und Reiseprozesse<br />

national, aber eben auch<br />

weltweit zu steuern. Man sieht, es<br />

gibt jede Menge Fantasie, aber auch<br />

faktisch naheliegende Aufgaben.<br />

Ausruhen jedenfalls gibt es nicht.“<br />

Aber vielleicht einmal zurücklehnen?<br />

Eine Atempause mit Seufzer<br />

„geschaff t“? Die Antwort darauf ist<br />

typisch für den Vorstandsvorsitzenden:<br />

„Nein“, sagt Hartmut Mehdorn,<br />

„ich glaube, den Moment gibt es nicht<br />

– weder für das Unternehmen, noch<br />

für mich. Wer das tut, hat keine Zukunft<br />

mehr.“<br />

8 9


Mobility Networks Logistics<br />

Global Player<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> bewegt im Personenverkehr Millionen von <strong>Menschen</strong> in Deutschland,<br />

aber auch über Grenzen hinweg. Verbindet bei Transport und Logistik ganze Kontinente.<br />

Schlägt Brücken zwischen Europa und Asien, Amerika und Australien. Hat sich zum<br />

international führenden Mobilitäts- und Logistikdienstleister entwickelt, der komplexe<br />

Verkehrsnetzwerke betreibt und managt. Bilder einer Reise rund um den Globus und durch<br />

den Kosmos des neuen DB-Konzerns.<br />

Große Oper Ein Lkw der DB-Tochter<br />

Schenker vor der Harbour Bridge und der<br />

faszinierenden Skyline von Australiens<br />

Metropole Sydney.<br />

10 11


Geballte Power Railion Güterlokomotiven<br />

stehen in Maschen bei<br />

Hamburg zum Einsatz bereit. Die<br />

ausfahrende Mehrsystemlok der Baureihe<br />

185 gehört zu den modernsten<br />

Zugmaschinen des europäischen<br />

Eisenbahnverkehrs.<br />

12 13


Schauplatz Kanada Warentürme hoch wie Skyscraper. Blick in ein<br />

Lebensmittel-Warehouse von Schenker in Toronto.<br />

Schauplatz Indien Schenker liefert Gasturbinen für das<br />

Siemens Kraftwerk Sugen.<br />

Full Speed Die Schauplätze wechseln, das Tempo bleibt: Egal ob es um automobile Ersatzteile bei Schenker in Moskau geht (li.),<br />

die Anlieferung eines BWM-Formel-1-Boliden durch Schenker-Seino in Tokio oder um Paketdienst.<br />

Zuverlässigkeit der Prozessketten, Flexibilität<br />

gepaart mit Pünktlichkeit und dazu exakte<br />

Kundeninformation – das sind die Eckpfeiler bei<br />

jedem Transport- und Logistikprojekt.<br />

Schauplatz Südkorea Build-up einer Luftfrachtpalette im neuen<br />

Schenker Logistikzentrum an Seouls Airport Incheon.<br />

Schauplatz Australien Maschinen für das große Finale der Red Bull<br />

Air Races beim Zwischenstopp im Schenker-Lager Perth.<br />

14 15


Magisches Mumbai Die Wahl der<br />

Transportmittel wird auf dem indischen<br />

Subkontinent vom Verkehrschaos<br />

auf den Straßen geprägt. Eine Auto-<br />

Rikscha ist schneller am Ziel als ein Lkw<br />

und die gefl ochtenen Bastkörbe trägt<br />

frau geschickt auf dem Kopf.<br />

16 17


Einfahrt Europa Ein ICE 3 der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Bahn</strong> erreicht Brüssel. Grenzüber-<br />

schreitende Personenverkehre in die<br />

Nachbarländer Belgien und Holland oder<br />

nach Österreich und in die Schweiz<br />

sind längst <strong>Bahn</strong>-Alltag. Ab Mitte 2007<br />

verkehren deutsche Züge auch von<br />

Frankfurt/Main und Stuttgart nach Paris.<br />

18 19


Auf Draht Ein Blick auf die Hardware<br />

hinter den Kulissen. Zur Bewältigung<br />

elektronisch gesteuerter Betriebsprozesse<br />

verfügt die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> über Datenverarbeitungszentren,<br />

die aufgrund ihrer<br />

Ausstattung und Kapazität zu den größten<br />

und leistungsfähigsten Einrichtungen ihrer<br />

Art in Deutschland gehören.<br />

Motor-Management Mechaniker bei Wartung und Reparatur einer Diesellokomotive am Betriebsstandort Maschen bei Hamburg.<br />

Am Drücker Zwei Mitarbeiter der Hauptschaltzentrale von DB Energie<br />

steuern die komplette Stromwirtschaft des <strong>Bahn</strong>betriebs.<br />

Unter Strom Umweltverträgliches Reisen mit Spitzentempo 300: Ein<br />

ICE 3 unterwegs auf der Neubaustrecke Nürnberg–Ingolstadt.<br />

Ausbesserungsfeuerwerk Wegen Schäden ausgesetzte Güterwaggons werden computergesteuert Spezialwerkstätten zugeleitet.<br />

Eigene Energieversorgung und Fahrzeugwartung,<br />

elektronische Systemsteuerung und Daten verarbeitung<br />

– die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> verfügt auf allen Gebieten über<br />

das neueste technologische Eisenbahn-Know-how.<br />

20 21


Überirdisch Kathedralen des Fortschritts<br />

nannte man die prächtigen <strong>Bahn</strong>hofsbauten<br />

der Gründerzeit. Dresden macht<br />

diesem Begriff wieder Ehre: Von Star-<br />

Architekt Sir Norman Foster erdacht<br />

spannt sich ein 30.000 Quadratmeter<br />

großes Membrandach aus reißfestem<br />

Tefl on-Glasfasermaterial über die<br />

restaurierten, eisernen Hallenbögen<br />

und die <strong>Bahn</strong>steige.<br />

22 23


Küchen-Kurier Als wäre es Neptuns<br />

Gourmet-Tempel off eriert der Fischmarkt<br />

von Seoul alles an Delikatessen, was die<br />

Weltmeere zu bieten haben. Die Lieferung<br />

von technischem Spezial-Equipment<br />

übernehmen die Schenker-Logistiker.<br />

24 25


Die Bandbreite an Berufen reicht mittlerweile weit über das<br />

klassische Eisenbahngeschäft hinaus.<br />

ür Thomas Mack ist die Reise zum Mond ein Kinderspiel.<br />

Einmal im Jahr kommt er immer dorthin,<br />

meist im Herbst. Dann meldet „Flightview“<br />

– ein spezielles Computerprogramm, das alle seine<br />

Flugreisen summiert – die Ankunft auf dem<br />

Erdtrabanten. Dem akustischen Laptop-Signal folgt eine<br />

detaillierte Information auf dem Display. Mack ist gerade<br />

auf Seouls neuem Flughafen Incheon eingetroff en, es ist<br />

der 27. Oktober 2006, er liest: „384.400 Kilometer zurückgelegt.<br />

Entspricht der mittleren Entfernung Mond–<br />

Erde. Nächster Planet Venus: noch 40 Millionen Kilometer.“<br />

Thomas Mack gehört zu den modernen Nomaden des<br />

„Global Village.“ Als Produkt Manager Air Freight der<br />

Schenker <strong>AG</strong> verantwortet er gemeinsam<br />

mit Thomas Lieb, dem<br />

Division-Board-Mitglied von DB Logistics,<br />

das gesamte Luftfrachtgeschäft<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>. Das<br />

bedeutet: Abschluss und Abwicklung<br />

von rund 1.000 Frachtfl ügen<br />

pro Jahr und ständiges Pendeln zwischen<br />

den Wirtschaftszentren Asiens,<br />

Europas und Amerikas.<br />

Was verlockend klingt, zwingt<br />

Mack zur Askese: Selbst auf Langstreckenfl<br />

ügen isst er nichts, trinkt<br />

nur Wasser und kaum angekommen<br />

im Irgendwo platziert er zwischen<br />

die Vielzahl anstehender Gespräche und Verhandlungen<br />

Zeitfenster für sein Fitnessprogramm. Joggen, draußen<br />

oder auf dem Laufband, gehört dazu. Gymnastik ebenso.<br />

Auch Schwimmen. „Man muss knallhart im eigenen<br />

Rhythmus bleiben, sonst brennt man bei dem ständigen<br />

Klima- und Zeitzonenwechsel regelrecht aus und rennt<br />

irgendwann gegen eine imaginäre Wand.“<br />

Extrem auch das kulturelle Wechselspiel: Gestern<br />

Korea, heute Sydney, morgen Irvine oder Moskau –<br />

Macks Aufenthalte bemessen sich nach Stunden, nie nach<br />

Tagen und was er sieht, ist ohnehin meist zum Verwechseln<br />

gleich: Flughäfen, Hotelzimmer, Logistikzentrum.<br />

Im Gegensatz dazu sind zumindest die Nächte im eigenen<br />

Bett das Privileg von Norbert Schonebeck. Der Teamleiter<br />

des Bereichs Automotive im Kunden Service-<br />

Zentrum (KSZ) der Railion Deutschland <strong>AG</strong> in Duisburg<br />

ist auch dauernd unterwegs. Allerdings nur virtuell.<br />

Gemeinsam mit seinen 41 Mitarbeitern steuert und überwacht<br />

er die Schienentransporte im fein gesponnenen<br />

Netzwerk der europäischen Automobilhersteller und<br />

ihrer Zulieferindustrie.<br />

Vielfl ieger Thomas Mack, Produkt Manager<br />

Air Freight der <strong>Bahn</strong>-Tochter Schenker <strong>AG</strong>.<br />

Man wickelt dabei täglich rund 2.500 Aufträge ab. Fährt<br />

für Audi Fahrzeuge und Motoren aus Ungarn nach Ingolstadt,<br />

versorgt die Ford-Produktion in der Türkei, verbindet<br />

Opel-Werke in Spanien mit denen in Deutschland,<br />

transportiert fertiggestellte Karossen von VW und<br />

Porsche frisch vom Fließband direkt an die Verladekais<br />

der Nordseehäfen.<br />

Wie für Thomas Mack ist auch für Norbert Schonebeck<br />

die Welt längst kleiner als das kleinste Dorf. Der Mausklick<br />

genügt ihm und er ist überall am Ball. „In unserem Geschäft<br />

geht es selbst bei Langläufern, die quer über den<br />

Kontinent unterwegs sind, am Ende um Minuten“, sagt<br />

er. „Die Kunden erwarten Pünktlichkeit und jederzeit Informationen<br />

über den Transportverlauf.“ Um dies zu<br />

gewährleisten, bedient man sich stets<br />

modernster Kommunikationsmittel,<br />

darunter natürlich auch des Global<br />

Positioning System GPS.<br />

Die beiden Männer stehen beispielhaft<br />

für die neue <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />

<strong>AG</strong>, in deren Kosmos die Sonne<br />

längst nicht mehr untergeht, weil<br />

man auf allen Kontinenten tätig ist.<br />

Die Bandbreite an Jobs reicht mittlerweile<br />

weit über das klassische Eisen-<br />

bahngeschäft hinaus. Ob Lokführer,<br />

Fahrdienstleiter und Zugbegleiter,<br />

Disponenten oder Wagenmeister,<br />

<strong>Bahn</strong>hofsmanager, Rangierer oder<br />

Streckenarbeiter – sie alle gibt es noch und sie werden<br />

auch mehr denn je gebraucht.<br />

Hinzugekommen sind Abertausende von Frauen und<br />

Männern aus dem internationalen Transport- und Logistikgeschäft:<br />

Spezialisten für Supply Chain Management<br />

und das End to End Business. Für Zollabwicklung und<br />

Projektsteuerung. Für Luft- und Seefracht. Spezialisten<br />

auch für IT-Lösungen und die Bewirtschaftung von riesigen<br />

Warenlagern, genannt Logistikzentrum. Es gibt Dutzende<br />

davon in aller Herren Länder – von Peking bis Kanada<br />

– und sie alle stehen im Dienst namhafter Kundschaft.<br />

Darunter Konzerne wie Unilever und BMW, wie Sony<br />

Ericsson, Nike und Samsung.<br />

Die Entwicklung ist Folge dynamischer Wirtschaftsprozesse,<br />

die Frankreichs Ökonom Alain Minc mit dem<br />

unverrückbaren physikalischen Gesetz der Schwerkraft<br />

vergleicht. Man könne nicht dafür oder dagegen sein, sagt<br />

er, „man muss damit leben und ebenso verhält es sich mit<br />

unseren Volkswirtschaften und der Globalisierung“.<br />

Dabei sein oder Anschluss verpassen – stellt sich nur<br />

so die Frage? Ganz oder gar nicht? Und, wenn ja, wie<br />

Stars im Alltag Um die Doppelstockwagen des Regio-Verkehrs beneiden viele Europäer die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>.<br />

lautet darauf die richtige Antwort? Hartmut Mehdorn,<br />

Vorstandschef der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong>, ist sich sicher: „International<br />

an der Spitze mitspielen ist der einzig gangbare<br />

Weg, und diese Strategie haben wir in den vergangenen<br />

sechs Jahren erfolgreich umgesetzt. Die Eisenbahn in<br />

Deutschland blieb dabei unser Kerngeschäft, aber unser<br />

Hauptprodukt ist nicht mehr nur Beförderung, sondern<br />

Mobilität. In ganzen Prozessketten für <strong>Menschen</strong>, Güter<br />

und Daten weltweit. In dieser Kombination erzeugen wir<br />

Mehrwert für unser <strong>Bahn</strong>geschäft, sichern erfolgreich Bestand<br />

ebenso wie Konkurrenzfähigkeit unseres Unternehmens<br />

und damit die Arbeitsplätze nicht nur seiner Belegschaft,<br />

sondern einer Vielzahl von Beschäftigten am<br />

Wirtschaftsstandort Deutschland.“<br />

In Englisch, der Geschäftssprache auf dem internationalen<br />

Börsenparkett, stehen drei Worte für die Inhalte<br />

und Leistungen des modernen Dienstleistungskonzerns:<br />

„Mobility, Networks, Logistics“. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> als<br />

Global Player – das sind die dazugehörigen Zahlen:<br />

Im Geschäftsjahr 2006 ein Umsatz von 30,53 Milliarden<br />

Euro (nach 25,1 Milliarden Euro im Jahr 2005).<br />

Knapp 2,5 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern<br />

und Zinsen (nach 1,35 Milliarden im Jahr 2005).<br />

229.200 Mitarbeiter an 1.500 Standorten in<br />

130 Ländern weltweit.<br />

Europäischer Marktführer sowohl beim Land- als<br />

auch Schienengüterverkehr. Weltweit Nummer<br />

zwei bei Seefracht und Nummer drei bei Luftfracht.<br />

Profi tabilität des eingesetzten Kapitals = Return on<br />

Capital Employed (ROCE) 7,5 Prozent (nach 5 Prozent<br />

im Jahr 2005).<br />

Eine stolze Bilanz. Zusatz: Rekord. Damit ist die Voraussetzung<br />

zur Teilprivatisierung erreicht, die nach Formulierung<br />

und Verabschiedung eines Privatisierungsgesetzes<br />

durch den Bundestag vom Bund noch für diese<br />

Legislaturperiode avisiert wird. Was Hartmut Mehdorn<br />

beim jährlichen Konzerntreff für DB-Führungskräfte in<br />

folgende Worte kleidet: „Der Zug in Richtung Kapitalprivatisierung<br />

steht abfahrbereit auf dem Gleis.“<br />

Die Veranstaltung, zu der sich rund 1.200 Mitglieder<br />

des Top-Personals in Hannover zusammengefunden<br />

haben, vermittelt einen nachhaltigen Eindruck vom vollzogenen<br />

Wandel des einst „Behördenbahn“ genannten<br />

Konzerns hin zu einem international operierenden modernen<br />

Mobilitäts- und Logistikdienstleister. Ja, mehr<br />

noch. Der neue Anspruch ist, ein weltweit führender Manager<br />

von Verkehrsnetzwerken zu sein, die Gesamtsysteme<br />

zu beherrschen von Infrastruktur und Transport bis<br />

hin zur Dienstleistung hochkomplexer IT-Systeme.<br />

Seit 1991 etwa haben rund 550 Millionen Fahrgäste den<br />

ICE genutzt. Allein 2005 waren fast 67 Millionen <strong>Menschen</strong><br />

mit dem schnellsten Zug der <strong>Bahn</strong> unterwegs, das<br />

sind 25 Millionen mehr als noch fünf Jahre zuvor.<br />

Die 236 Hochgeschwindigkeitszüge verkehren heute<br />

wie selbstverständlich auch in den Niederlanden, in Belgien,<br />

in der Schweiz, in Österreich und – ab Fahrplanwechsel<br />

Ende dieses Jahres – zwischen Paris und Frankfurt<br />

am Main. Allein in Deutschland <strong>verbinden</strong> sie über<br />

100 Städte miteinander.<br />

Der ICE erbringt damit knapp zwei Drittel der gesamten<br />

Verkehrsleistung im DB-Fernverkehr bei gleichzeitig<br />

deutlicher Verkürzung der Fahrzeiten. So benötigen die<br />

26 27


Paketdienst Auslieferung von Handelsgütern in einem Schenker-<br />

Zwischenlager der indischen 19-Millionen-Metropole Mumbai.<br />

Wartezone Vor Mumbais neuem Containerhafen Nhava Sheba stauen<br />

sich die mit Blechkisten beladenen Lkw oft Kilometer lang.<br />

Stauraum Ein Großteil des Angebots der indischen Supermarktkette<br />

Hypercity fi ndet sich in den Regalen dieses Distributionszentrums.<br />

Züge heute von Berlin nach Hamburg zirka 90 Minuten<br />

und sind damit eine gute halbe Stunde schneller als im<br />

Jahr 2004. Zwischen Frankfurt und Köln beträgt die Fahrzeit<br />

rund 70 Minuten, eine Stunde weniger als noch 2002.<br />

Zwischen Nürnberg und München verkehrt der ICE außerdem<br />

seit Dezember im Halbstundentakt, die Reisezeit<br />

beträgt auf der Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke<br />

60 Minuten und wird ergänzt durch optimale Verknüpfung<br />

der Angebote im Regional- und Stadtverkehr. Motto:<br />

„<strong>Bahn</strong> und Bus aus einem Guss“. Ohnehin verfügt die<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> über den europaweit leistungsfähigsten<br />

Nahverkehr. Er wurde vor zehn Jahren regionalisiert<br />

und in dieser Zeit erhöhte sich das Angebot um 15 Prozent,<br />

die Nachfrage wuchs sogar um 30 Prozent.<br />

Alles Zahlen, die ohne eine leistungsfähige, moderne<br />

Infrastruktur und die Nutzung neuer, elektronischer<br />

Vertriebskanäle nicht denkbar wären. Über Internetbuchung<br />

und Online-Tickets erzielt der Personenverkehr<br />

schon heute zehn Prozent seiner Einnahmen und längst<br />

nutzen <strong>Bahn</strong>kunden auch die Möglichkeit des Handy-<br />

Tickets. Hierbei wird der gewünschte Fahrschein per<br />

MMS bis zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges auf das<br />

Mobiltelefon übertragen.<br />

So weit die Berichtslage „nationaler <strong>Bahn</strong>themen“ auf<br />

dem Konzerntreff . Danach wird international diskutiert:<br />

Es berichten Karl-Heinz Matthes und Steve Dearnley, die<br />

Schenker/BAX-Regionalleiter Asien/Pazifi k, en détail<br />

über das Marktgeschehen und die Chancen in ihren Wirtschaftsräumen.<br />

Schauplätze sind nun nicht Bayern oder<br />

Berlin-Brandenburg, sondern Indien und China, das aufstrebende<br />

Vietnam, auch Kambodscha, die Philippinen,<br />

die reife Industriemacht Japan selbstredend, das Drehkreuz<br />

Singapur oder etwa das Geschehen bei Luft- und<br />

Seefracht auf den weltweiten „Tradelanes“.<br />

Ein spannungsvolles Knistern liegt in der Luft, denn<br />

was an Zahlen und Fakten aufgefächert wird, sucht im alten<br />

Europa vor allem bei Wachstumsraten seinesgleichen.<br />

Sagt Karl-Heinz Matthes: „Wir haben in 13 Ländern mittlerweile<br />

215 Standorte mit Logistikzentren in der Größenordnung<br />

von insgesamt 700.000 Quadratmetern und<br />

rund 10.000 Mitarbeitern. Allein die Luftfracht in dem<br />

asiatischen Raum beträgt pro Jahr eine Million Tonnen<br />

und bei der Seefracht sind es knapp 960.000 TEU.“<br />

Gemeint ist damit die Lademenge in Normal-Containern.<br />

Der Blick über den Tellerrand kennzeichnet das neue<br />

Konzernbewusstsein. Findet jedenfalls DB-Personalvorstand<br />

Margret Suckale: „Wir werden uns in Zukunft sogar<br />

noch weit mehr international orientieren“, sagt sie,<br />

„schließlich arbeitet nahezu jeder fünfte Mitarbeiter<br />

unseres Unternehmens im Ausland, wobei wiederum<br />

jeweils vier Auslandsjobs einen Arbeitsplatz in Deutschland<br />

sichern oder schaff en.“<br />

Einen großen Beitrag zur Internationalisierung leis tete<br />

die Akquisition des US-Logistikers BAX Global. Eine<br />

reibungslose und zugleich zügige Verschmelzung der<br />

Im Land des Lächelns Shubhendu Das, der Geschäftsstellen-Leiter der Schenker Landesgesellschaft Mumbai, und seine bezaubernde Belegschaft.<br />

Geschäftsportfolios war dabei keineswegs selbstverständlich.<br />

Dass die Integration dennoch „schnell, sauber und<br />

ohne gegenseitige Irritationen gelang“, so Hartmut<br />

Mehdorn, ist auf dem Konzerntreff allemal einen Preis<br />

wert. Tusch und Applaus also für Thomas Lieb, den<br />

Schenker-Vorstand für Luft- und Seefracht, der vieles davon<br />

in Szene setzte und dafür die alljährliche Auszeichnung<br />

„DB Award 2006“ zusammen mit Joseph L. Carnes<br />

erhält. Sein Handeln beschreibt er übrigens auf Englisch<br />

und zwar so: „Think fi rst, then act. And remember: It’s<br />

always people, you are dealing with. “<br />

Langfristige Perspektive<br />

Schenker<br />

in Indien<br />

39 Standorte<br />

950 Mitarbeiter<br />

Lieb ist Schwabe und wenn er von<br />

<strong>Menschen</strong> spricht, von Mitarbeitern,<br />

dann auch im Sinne eines alten deutschen<br />

Satzes: „Der Ton macht die<br />

Musik.“ Kommandostimme jeden-<br />

falls ist seine Sache nicht. Eher hält er es mit dem ehemaligen<br />

Chrysler-Chef Lee Iacocca, der einmal sagte: „Die<br />

einzige Möglichkeit, Leute zu motivieren, ist die Kommunikation.“<br />

Kluge Worte und eine langfristige Perspektive zählen<br />

dabei zuweilen mehr als das schnelle Geld. Indien ist so<br />

ein Beispiel, das erwachende Indien. Dort verantwortet<br />

Shubhendu Das als VP Freight Management das Transport-<br />

und Logistikgeschäft von Schenker für den gesamten<br />

Westteil des Subkontinents. Allein dort wächst der<br />

Im- und Exportmarkt seit 2000 um jährlich 20 Prozent<br />

und entsprechend groß ist der Bedarf an geschultem Personal<br />

im Speditionsgewerbe.<br />

„Geschäfte zu bekommen ist momentan ziemlich einfach“,<br />

berichtet Shubhendu Das, „aber den Kunden den<br />

richtigen Service zu bieten, ist ziemlich schwierig. Man<br />

bekommt die guten Leute, die dafür notwendig sind, nicht<br />

einfach mit mehr Gehalt. Sie legen Wert auf eine dauerhafte<br />

Anstellung, eine intensive Aus- und Weiterbildung,<br />

wollen lernen, auch Erfahrungen in Europa oder Amerika<br />

sammeln und dazu wissen sie sehr genau um Profi l,<br />

Stärke und Arbeitsklima der hier tätigen ausländischen<br />

Unternehmen.“<br />

Die Schenker-Niederlassung in der 19-Millionen-Metropole<br />

Mumbai genießt einen exzellenten Ruf. Ist, wie<br />

der für alle Hafenangelegenheiten zuständige Lohit<br />

Savant sagt, „eine Top Company. Sehr professionell, aber<br />

auch sehr fair und menschlich.“ Man sei bei einem deutschen<br />

Unternehmen jedenfalls mehr als nur ein beliebig<br />

austauschbares Rädchen im Getriebe.<br />

Eine Fahrt mit Savant hinaus zu den Terminals von<br />

Nhava Sheva, Mumbais neuem Container-Port, off enbart<br />

eindrucksvoll die Probleme stürmischen Wachstums,<br />

Im aufstrebenden Indien wächst das Im- und Exportgeschäft um<br />

20 Prozent pro Jahr. Logistikexperten sind daher stark gefragt.<br />

28 29


Stop and go Verstopfte Straßen und permanenter Verkehrsstau gehören zu den<br />

alltäglichen Hindernissen im Transportgeschäft von Seoul.<br />

mit denen sich Indien konfrontiert sieht. Mögen auch die<br />

Ladekräne auf technisch neustem Stand sein, die Infrastruktur<br />

zum Abtransport aller ankommenden und abgehenden<br />

Güterladungen ist es jedenfalls nicht. Unzählige<br />

Slumsiedlungen säumen eine mit Schlaglöchern übersäte<br />

Piste, auf der sich Hunderte von altersschwachen Lkw-<br />

Zugmaschinen im Schritttempo vorwärtsquälen oder<br />

kilometerlang stauen. Für 35 Kilometer braucht man<br />

selbst mit dem Pkw zwei Stunden und allgegenwärtig ist<br />

im allgemeinen Verkehrschaos der Gedanke: Wann kollabiert<br />

wohl das System?<br />

Vergleichbares sah man jedenfalls noch nie zuvor, und<br />

es ist Shubhendu Das, der sagt: „Das Wissen um die Verhältnisse<br />

vor Ort ist für jeden Investor erste Priorität.“<br />

Aus der Ferne nur begehrlich auf sagenhafte Wirtschaftszahlen<br />

zu schauen, das sei ein großer Fehler, denn Indien<br />

lasse sich nicht mit europäischen Maßstäben messen.<br />

Noch nicht.<br />

Sein Rat ist deshalb hoch willkommen: mehrmals in<br />

der Woche begrüßt er Delegationen potenzieller Kundschaft,<br />

führt sie zu Warenlagern und seinen über die<br />

wuchernde, ständig im Stau steckende Stadt verteilten<br />

Zweigstellen. Der Begleittext dazu ist immer gleich und<br />

klingt, wie gerade beim Vortrag vor Volkswagen-Managern<br />

aus Wolfsburg, so: „Schenker Mumbai besteht seit<br />

zehn Jahren und ist die am schnellsten wachsende Niederlassung<br />

ganz Indiens. Beschäftigt sind derzeit 256 Mitarbeiter<br />

und sie betreuen neben dem Großkunden Siemens<br />

noch eine Vielzahl anderer Unternehmen, darunter<br />

IBM, den deutschen Badausstatter Hans Grohe, aber auch<br />

den Elektronikkonzern Lenovo, den indischen Fahrzeughersteller<br />

Tata-Motors, sowie die Supermarktkette<br />

Hypercity. Wir bieten Warehousing und Logistiklösungen<br />

im Supply Chain Management bis hin zur Lieferung<br />

ans Fließband und haben gerade das Jahr 2006 mit einem<br />

Umsatzzuwachs von 40 Prozent abgeschlossen.“<br />

Für Shubhendu Das, der seit sieben Jahren für Schenker<br />

arbeitet, ist Mumbai nach Kalkutta und Bangalore<br />

dritte Station. Markenzeichen des kleinen, ungeheuer<br />

agilen Mannes ist sein schwarzer Schnurrbart und seine<br />

immer tadellose Kleidung. Krawatte und feiner grauer<br />

Zwirn sind für ihn selbst bei schweißtreibender tropischer<br />

Schwüle Pfl icht und darin bildet er einen schönen<br />

Kontrast zu den meist farbenfroh leuchtenden Saris seiner<br />

Mitarbeiterinnen.<br />

An Urlaubstagen – „es sind nicht viele im Jahr“ – sieht<br />

man ihn indes als Wandersmann in dicken Bergschuhen.<br />

Shubhendu liebt die Schweizer Berge, ja überhaupt alles,<br />

was Schweizer Insignien trägt: von der Wenger Uhr bis<br />

hin zum Taschenmesser. Die Schiff sglocke in seinem Büro<br />

stammt allerdings aus Hamburg, und damit jeder weiß,<br />

welche Runde gerade für Indien im weltweiten Wettbewerb<br />

um Marktanteile eingeläutet wird, steht darunter<br />

der Satz: „From good to great.“<br />

Start im Delegationsbüro<br />

Schenker<br />

in Südkorea<br />

14 Standorte<br />

280 Mitarbeiter<br />

Stolze Büste Unternehmensgründer Gottfried<br />

Schenker im neuen Logistikzentrum.<br />

Gewiss noch ein langer Weg, an dessen<br />

Ende sich einige tausend Flugkilometer<br />

entfernt ein anderer Mann<br />

fast wähnen darf. Vorstellung gestattet:<br />

Es ist Martin Bongard, Chef der<br />

Schenker-Niederlassung Südkorea in Seoul. Ein Sauerländer<br />

zwar, geboren 1953, aber schon als Säugling genannt<br />

„der kleine Koreaner“. Eine Tante gab ihm den Namen.<br />

„Vermutlich wegen meines etwas schrägen Augenschnitts<br />

und der pechschwarzen Haare“, sagt Bongard<br />

und fügt lächelnd hinzu: „So etwas nennt man frühkindliche<br />

Prägung.“<br />

Was ihm ins Stammbuch geschrieben wurde, hat sich<br />

schließlich erfüllt. Nach drei Jahren in Japan übernahm<br />

der gelernte Reise- und Verkehrskaufmann 1986 die<br />

Schenker-Dependance in Südkorea und baute sukzessive<br />

Struktur und Geschäfte immer weiter auf und aus. Startete<br />

mit drei Mitarbeitern in einem sogenannten Delegationsbüro,<br />

gründete später mit einem einheimischen Agenten<br />

ein Joint Venture und überführte dieses im Jahr 2002<br />

in eine mittlerweile gesetzlich zugelassene hundert-<br />

Kniefall Geheiligt sei was Glück bringt – die traditionelle Gosa-Zeremonie bei Eröff nung des<br />

neuen Logistikzentrums am Airport Incheon.<br />

prozentige Tochtergesellschaft, die Schenker Korea Ltd.<br />

Mitarbeiterzahl nun 350 Leute, Umsatz 150 Millionen Euro<br />

und dazu das neueste und modernste Warehouse in<br />

Fernost. Erbaut in Sichtweite von Seouls neuem Super-<br />

Flughafen Incheon mit Adresse Freihandelszone Airport<br />

Logistic Park.<br />

Piloten sehen die Leuchtreklame auf dem Dach des<br />

dreistöckigen Gebäudes schon beim Anfl ug: Rot und blau<br />

leuchtet der Schriftzug „Schenker DB Logistics“ und „davon“,<br />

sagt Bongard, „habe ich viele<br />

Jahre lang geträumt“. Zeit für ein Fest<br />

und die feierliche Eröff nung. Angefangen<br />

von hohen Regierungsvertretern<br />

über den Chef des Incheon<br />

Airports bis hin zum eigenen Top-<br />

Management – was Rang und Namen<br />

hat ist erschienen zur traditonellen<br />

„Gosa-Zeremonie“.<br />

Die hält für Europäer eine unge-<br />

wöhnliche Prozedur bereit, die selbst<br />

Vielfl ieger Thomas Mack und Detlef<br />

Trefzger, Mitglied für Kontraktlogistik/SCM<br />

im Division Board von DB Logistics, kurz stutzen<br />

lässt: Müssen sie doch zuerst ihre Schuhe ausziehen,<br />

dann niederknien und sich drei Mal tief vor einem geräucherten,<br />

höchst lebendig aussehenden Schweinekopf verbeugen.<br />

Man trägt es interkulturell gelassen und mit<br />

Würde, ohnehin gibt es zumindest sprachlich eine Parallele.<br />

„Heißt ja auch bei uns ‚Schwein gehabt‘, oder?“ sagt<br />

Detlef Trefzger.<br />

Darum geht es: um eine glückliche Zukunft und viele<br />

neue Geschäfte. Dafür hat man bei DB Logistics rund zehn<br />

Millionen Euro investiert. Was zu besichtigen ist. Die offi -<br />

zielle Eröff nung läuft noch, da füllen sich schon die ersten<br />

Weltbürger Detlef Trefzger, Schenker-<br />

Vorstand von Kontraktlogistik/SCM.<br />

Zackig Ein uniformierter Wachmann vor dem<br />

Warehouse von Schenker.<br />

der insgesamt 5.000 Palettenstellplätze. Rund 9.000<br />

Quadratmeter Fläche stehen zur Verfügung, hinzukommen<br />

nochmals 1.500 Quadratmeter für Büros, Kantine<br />

und Gebäudeinfrastruktur. Der Güteranlieferung dienen<br />

zwölf Tore, außerdem verfügt man über automatische<br />

Rollbänder, die dem „build up“ und „break down“ von<br />

Aircargo-Paletten dienen.<br />

Es handelt sich dabei um „slaves“ genannte fl ache Aluminiumbleche,<br />

auf denen zu transportierende Ware gestapelt,<br />

in Plastikfolie verpackt und<br />

mit Seilen verzurrt und gesichert<br />

wird. Das Turmbauen ist eine Kunst<br />

für sich und entscheidet im Luftfrachtgeschäft<br />

über Gewinn und Verlust.<br />

Immer geht es dabei um ein<br />

möglichst günstiges Verhältnis zwischen<br />

großvolumiger leichter Ware<br />

und schweren kleinen Teilen.<br />

Abhängig vom jeweiligen Kunden-<br />

mix ist das ein mathematisches, von<br />

Computerprogrammen unterstütztes<br />

Puzzlespiel. Die Idealkombination<br />

von Maßanzügen auf der Stange (leicht, großes Volumen)<br />

und Kugellagern (klein und schwer) bleibt<br />

allerdings, wie Bongard sagt, „leider eine Seltenheit“.<br />

Pro Woche kommen in Seoul 92 Tonnen Luftfracht zusammen,<br />

was Thomas Mack „ganz gut“ fi ndet, aber „noch<br />

zu wenig“. Mack will immer mehr, und Incheon bietet als<br />

Gateway zu den regionalen Zentren im Hinterland Chinas<br />

dazu die Chancen. „Mit Abschluss des ‚Open Sky‘ Abkommens<br />

zwischen koreanischer und chinesischer Führung“,<br />

sagt er, „sind von Seoul aus über 100 neue Cargo-<br />

Flüge möglich und deshalb wollen wir Incheon als<br />

Drehscheibe für Nordost-Asien etablieren.“<br />

Seouls Flughafen Incheon wird im Cargo-Bereich das neue<br />

Drehkreuz zu den Produktionsstätten im chinesischen Hinterland.<br />

30 31


Vogelnest Matthew Clarke, Chef der Schenker Sportlogistik, vor „Birds Nest“, dem neuen Olympiastadion von Peking.<br />

Detlef Trefzger wiederum ist sehr am Aufbau ganzer<br />

Logistikketten gelegen, möglichst auch im Dienst koreanischer<br />

Großkonzerne wie Samsung oder Hyundai. Von<br />

wegen lange feiern also: Man redet mit Geschäftspartnern,<br />

sondiert Markt und Möglichkeiten, verhandelt konkrete<br />

Vorhaben, packt dann, nach nur ein paar Stunden,<br />

wieder die Koff er und weiter geht die Reise. Trefzger verlässt<br />

Seoul Richtung Tokio, Mack düst nach Peking.<br />

China ist Motivation pur<br />

Schenker<br />

in China<br />

70 Standorte<br />

3.500 Mitarbeiter<br />

Mögen sich die Geschäfte auch gleichen,<br />

immer sind es andere <strong>Menschen</strong>,<br />

die mit ihrem Wissen und<br />

Engagement dahinter stehen. Thomas<br />

Hauck ist so ein Mann. Es gab<br />

mal eine Zeit, da wirbelte er unermüdlich durch Südafrika<br />

und baute für Kunden wie Kodak und BMW komplette<br />

Logistikketten von Europa nach Afrika. Nun, nach kurzer<br />

Stippvisite in Schanghai, verantwortet er alle<br />

Aktivitäten der Schenker-Niederlassung in Chinas Hauptstadt.<br />

Palettenstellplätze und Regale des dortigen Logistikzentrums<br />

füllen sich gerade mit Produkten der<br />

Automobilindustrie. Er hat alle Hände voll zu tun, gibt<br />

dem Ganzen den Spitznamen „das China-leicht-gemacht-<br />

Programm“.<br />

Für den Kunden selbstredend. Beispiel Ersatzteilversorgung.<br />

Schenker bietet im Bereich Automotive einen kompletten<br />

Transport- und Lieferservice an. Auf insgesamt<br />

12.500 Warehouse- Quadratmetern werden bis zu 10.000<br />

verschiedene Teile zwischengelagert und auf Anforderung<br />

an nahezu hundert Standorte geliefert.<br />

Beispiel Luftfahrtindustrie. Im sogenannten Pick and<br />

Pack-Verfahren wird eine Fabrik zur Herstellung von<br />

Kabelbäumen für Maschinen von Boeing und Airbus täglich<br />

mit über 3.000 Einzelteilen versorgt. In decken hohen<br />

Regalen stapeln sich Elektrostecker und Kabeltrommeln<br />

aus amerikanischer Fertigung, die nach Bestelllisten einzeln<br />

zusammengefügt und abgepackt werden. Ein Job für<br />

zehn Mitarbeiter, Qualitätskontrolle inklusive.<br />

„In China gibt es dauernd Top-Themen“, sagt Hauck<br />

und weist auf seinen voll gepackten Schreibtisch. Darauf<br />

fi nden sich Angebote in Form ausgedruckter PowerPoint-<br />

Präsentationen etwa für General Electric im Volumen<br />

3.500 Luftfrachttonnen oder den Mobiltelefonhersteller<br />

Samsung, Volumen 30.000 Tonnen. Gewonnen wurde<br />

schon der Auftrag von Sony Ericsson. Volumen 5.000<br />

Tonnen. „Das macht pro Jahr 50 Vollcharter nach Europa“,<br />

rechnet Thomas Hauck und zieht zugleich eine persönliche<br />

Bilanz: „In China hast du keine Chance dich<br />

zurückzulehnen, und wer hier nur zehn Prozent Wachstum<br />

macht, der verliert den Job. Unsere Marschzahl war<br />

Für die Sportlogistiker von Schenker als offizieller Dienstleister<br />

des IOC haben die Olympischen Spiele in Peking schon begonnen.<br />

im vorigen Jahr 60 Prozent, das ist wahnsinnig motivierend,<br />

aber man muss auch unglaublich Gas geben.“<br />

Das Tempo wird sich allerdings noch beschleunigen,<br />

da ist sich Matthew Clarke ganz sicher und beschreibt die<br />

Dynamik Pekings aus seiner ganz persönlichen Sicht. „Ich<br />

wache morgens auf, aber ich weiß nie, wann ich schlafen<br />

gehen werde.“ Der Australier steht an der Spitze der<br />

Schenker Sportlogistik und er hat gerade einen Vertrag<br />

mit dem Organisationskomitee der Olympischen Spiele<br />

2008 (BOCOG) unterzeichnet. Danach ist seine Mannschaft<br />

von „Globalsportsevents“ offi zieller Dienstleister<br />

für Spedition und Zollabfertigung des Mega-Ereignisses<br />

und übernimmt die Versorgung von Sportstätten, Medienzentren<br />

und Einrichtungen des Olympischen Dorfes.<br />

„Wie schon in Sydney 2000, wie in Athen, Turin und wie<br />

auch bei dem deutschen Sommermärchen, der Fußball-<br />

WM 2006“, sagt Clarke und schwärmt: Vom nahezu<br />

schon fertiggestellten Stadion (91.000 Zuschauer), welches<br />

einem Vogelnest gleicht und deshalb den Namen<br />

„Birds Nest“ trägt. Aber auch vom „Ice Cube“ genannten<br />

Schwimmstadion, einem Großbauwerk mit fi ligraner Außenhaut,<br />

das, je nach Lichteinfall, in kühlem Gletscherblau<br />

schimmert. Fazit: „Einfach fantastisch. 2008 wird<br />

das die Stadt der Städte und schon jetzt ist Peking für mich<br />

‚the place to be‘.“<br />

Gegenseitiges Vertrauen<br />

Schenker<br />

in Japan<br />

23 Standorte<br />

400 Mitarbeiter<br />

In Tokio hört man das nicht gerne,<br />

denn nach dortigem Selbstverständnis<br />

gibt es nichts Größeres, Geschäftigeres,<br />

Bedeutenderes. Tokio ist<br />

Heimat der „Salary Men“. Gemeint<br />

ist damit das Heer der kleinen Büroangestellten, die morgens,<br />

mittags und abends immer zu gleichen Zeiten das<br />

Bild der Straßenzüge prägen und in ihren uniformen gedeckten<br />

Anzügen an Michael Endes graue Männer im<br />

Bestseller „Momo“ erinnern. Nur stehlen sie keine Zeit –<br />

sie haben keine Zeit, denn „das Geschäft dieser Stadt“,<br />

sagt Dirk Lukat, „ist das Geschäft“.<br />

Lukat ist General Manager Sales & Marketing von<br />

Schenker-Seino Co. Ltd. Japan, mit 460 Mitarbeitern an<br />

23 Standorten. Ein großgewachsener, distinguierter Mann<br />

mit geschliff enen Manieren. Was zweifellos hilft: „In<br />

Japan“, so seine Erklärung, „hat alles mit dem Ansehen<br />

der Person zu tun, und hier basiert jedes Geschäft auf gegenseitigem<br />

Vertrauen.“<br />

Das Speditionsgewerbe wurde ihm in die Wiege gelegt,<br />

denn schon sein Vater arbeitete für Schenker, war Leiter<br />

der Niederlassung Südafrika. Ihn selbst zog es nach Anfängen<br />

in Frankfurt/M. ebenso schnell ins Ausland. Indien,<br />

Vietnam und Singapur waren seine Stationen, bevor<br />

er nach Japan ging, wo man 2002 ein Joint Venture für Im-<br />

und Export mit dem renommierten Speditionsunternehmen<br />

Seino gründete. Die Partnerschaft erwies sich als<br />

Stäbchen Regionale Küche, aber auch europäische Gerichte im<br />

Angebot: die Kantine des Schenker Logistikzentrums in Peking.<br />

Stecker Für Kundschaft aus der Luftfahrtindustrie führt Schenker in<br />

China Kleinteile für die Herstellung von Kabelbäumen zusammen.<br />

Stapelweise Die Aktenberge zeugen von guten Geschäften: Japanische<br />

Bürokultur in der Schenker-Seino-Geschäftstelle von Tokio.<br />

32 33


Schlüssel zum bis dahin hermetisch gegen ausländische<br />

Konkurrenz abgeschirmten Inlandsmarktgeschehen und<br />

öff nete viele neue Türen.<br />

Während Schenker Ein- und Ausfuhr aller Waren via<br />

Luft- und Seefracht übernimmt, kümmert sich Seino um<br />

das Einsammeln oder Verteilen der Güter. Man betreibt<br />

landesweit neben 150 Frachtzentren eine riesige Flotte<br />

unterschiedlicher Lieferwagen und Laster samt dazugehöriger<br />

Fahrer. Die treten morgens bei ihren Gruppenleitern<br />

zum Appell an, unterziehen sich jeweils vor Arbeitsbeginn<br />

einem Alkoholtest, packen danach ihre Ladung<br />

selbst auf den Lkw und machen sich auf den Weg. Für Europäer<br />

ist das im Kontrast zur Modernität elektronisch<br />

ausgeklügelter Prozessabläufe ein staunenswertes Ritual,<br />

kennzeichnet aber die traditionelle Arbeitswelt, in der die<br />

Begriff e „Fleiß, Disziplin und Hierarchie“dominieren.<br />

Letzteres lässt sich in jedem Großraumbüro besichtigen,<br />

auch im Schenker-Offi ce. Dort sitzen die Im- oder Exportsachbearbeiter<br />

nahezu Arm an Arm aufgereiht an<br />

kleinen, mit Papieren überhäuften Schreibtischen. Die<br />

Enge gehört zur Normalität. Das Kopfende von jeweils<br />

zwei sich gegenüberliegenden Reihen bildet immer der<br />

quergestellte Tisch des Abteilungsleiters. Ihm ruft man<br />

nicht einfach etwas zu. Bewahre. Man steht auf, verbeugt<br />

sich höfl ich und trägt erst dann sein Anliegen vor.<br />

Für Peter Teichmann, den General Manager Logistics,<br />

war das mehr als gewöhnungsbedürftig, als er von Regensburg<br />

nach Tokio kam. „In Deutschland hatte ich ein<br />

schickes Büro samt Sekretärin und nun stand ich da und<br />

man zeigte mir so einen Schreibtisch. Ich war um sieben<br />

Uhr gelandet und mein erster Gedanke war: Wann geht<br />

der nächste Flug zurück?“ Das war vor sieben Jahren und<br />

ist heute eine Geschichte zum Schmunzeln. Teichmann<br />

blieb und will weiter bleiben, „auch wenn man sich hier<br />

die Hacken wundläuft und oft eine blutige Nase holt.“ Natürlich<br />

im übertragenen Sinne, denn Teichmann, der<br />

mehr als 20 Jahre als Schiff skapitän auf großer Fahrt war,<br />

ist kein Raufbold. „Aber rein geschäftlich muss man in Japan<br />

komplett umdenken. Die ganze Herangehensweise<br />

ist anders, und wer nach gewohnten Mustern verfährt,<br />

der fällt auf die Nase.“<br />

Logistikketten des „Supply Chain Managements“ sind<br />

sein Spezialgebiet und nach anfänglichen Schwierigkeiten<br />

ist man dabei höchst erfolgreich. Versorgt und steuert<br />

etwa den gesamten Produktionsprozess einer Fertigungsanlage<br />

der deutschen Kautex Textron. Das Unternehmen<br />

aus der Automobil-Zulieferindustrie ist Marktführer bei<br />

der Herstellung von Kunststoff tanks und plant neben<br />

dem Werk in Hiroshima, welches den Autobauer Mazda<br />

versorgt, noch eine weitere Fabrik – diesmal in China.<br />

Lukat könnte dagegen sein Hauptgeschäft wie folgt<br />

buchstabieren: LUXUS. Schenker schließlich importiert<br />

jede Menge Produkte europäischer Edelmarken wie Louis<br />

Vuitton oder Gucci und Chanel ins konsumfreudige<br />

Tokio. Mit vertakteter Versorgung glitzernder Boutiquen<br />

Formvollendet Japaner lieben europäische Edelmarken, und zu deren<br />

Lieferung gehört ein entsprechender Service.<br />

Vollgepackt Palettenstellplätze im Schenker-Warehouse Toronto.<br />

in den beliebten Shopping Malls der Stadt und umfangreicher,<br />

komplizierter Lieferdokumentation. Zugleich ist<br />

man aber auch Spezialist für anspruchsvolle Transporte<br />

der Halbleiterfabrikation, übernimmt im Projektgeschäft<br />

sogar die Verschiff ung ganzer Fabriken. Und ein weiteres<br />

großes Thema ist Fisch. Drei Mal pro Woche landen Cargo-Jets<br />

in Narita mit sorgsam gekühlter Ladung: Es sind<br />

fangfrische Lachse aus Norwegen.<br />

Ein Deal, wie es bei Schenker heißt, den nur Thomas<br />

Mack einfädeln konnte. Wer sonst käme schon auf die<br />

Idee, die größte Fischfangnation der Welt mit Fisch zu<br />

versorgen. Aber Mack war gestern da und Mack ist längst<br />

weiter – über Las Vegas, dann Richtung Kanada. Im US-<br />

Spielerparadies baut gerade Billy Lukas von BAX Global<br />

das Event- und Convention-Geschäft aus, kümmert sich<br />

auch um weltweite Transporte der Glücksspiel-Maschinenhersteller<br />

und in Toronto – in Toronto dominiert die<br />

Schenker-Niederlassung Kanada das Warehousing auf<br />

dem Lebensmittelsektor.<br />

Millionen von Kartons<br />

Schenker in<br />

Kanada und<br />

den USA<br />

265 Standorte<br />

9.200 Mitarbeiter<br />

Größter Kunde dort ist Unilever, und<br />

wer das jüngste, 28.000 Quadrat meter<br />

große Lagerhaus am Chrysler Drive<br />

nahe dem Airport besucht, der reibt<br />

sich die Augen. Wann sah man je solches:<br />

Riesig ist ein zu kleines Wort, es<br />

ist gigantisch. Deckenhohe Paletten-<br />

Abgefahren „Lagen-Picking“ nennt sich diese Warehousing-Variante, bei der Paletten mit einem Spezialgreifarm schichtweise abgetragen werden.<br />

regalreihen beherbergen den monatlichen Eingang von<br />

nahezu zwei Millionen Kartons. Bei den zur Weiterverteilung<br />

gesammelten Produkten – man liefert rund 1,8 Millionen<br />

Kartons in vier Wochen aus – handelt es sich um<br />

Essbares wie Instantsuppen und Mayonnaise, um Tomaten-Ragout<br />

und Olivenöl, um Tee und Erdnussbutter.<br />

Man stellt sich jetzt natürlich jede Menge Leute vor,<br />

die dieses Arbeitspensum mit einer Vielzahl von Gabelstaplern<br />

bewältigen – aber nichs davon. Rund um die Uhr<br />

beschäftigt man lediglich 65 Mitarbeiter im Dreischichtbetrieb,<br />

und mehr als 13 Gabelstapler gibt es dafür nicht.<br />

Die kleine Besetzung ist Folge ausgeklügelter Technik<br />

und Warehouse-Organisation. Die Schenker-Mitarbeiter<br />

in Kanada sind dafür ausgewiesene Spezialisten und<br />

haben ganz eigene, innovative Verfahren entwickelt. So<br />

unterscheidet man an Orders ganze Paletten, sogenannte<br />

Paletten-Lagen, oder Einzelkartons und jede einzelne<br />

Gattung hat ihren ganz speziellen Lagerplatz.<br />

Nahezu automatisiert ist dabei das „Lagen-Picking“.<br />

Ein schienengebundenes Fahrzeug hebt mit einem Greifarm<br />

mal 60, mal 120 Gläser Tomatenketchup schichtweise<br />

von einer ganzen Paketpalette ab. Dann wieder schiebt<br />

ein Gestellroboter Produkte in Regale, die Güter nicht nur<br />

in der Höhe, sondern auch in 15 Meter Tiefe aufnehmen.<br />

Und dazu gibt es einen sogenannten dreistöckigen Pick-<br />

Tower, der unkompliziertes, zügiges Zusammenstellen<br />

von Einzel-Orders erlaubt.<br />

Der Mitarbeiter greift dabei nur in bereitgestellte, geöff<br />

nete Kartons und legt die angeforderten Produkte auf<br />

ein Fließband. Dieses wiederum endet an einem Ausgabepunkt,<br />

wo sich weitere, ebenfalls über Rollbänder transportierte<br />

Produkte zur komplett abgearbeiteten Bestellerliste<br />

fügen. „Genial schnell und genial einfach“, sagt<br />

Warehouse-Manager Jamie Elliott und zeigt mit dem Finger<br />

nach oben: Dort hängt das Prunkstück der Anlage, das<br />

Scoreboard. Zu sehen ist darauf, welche Kundenorder gerade<br />

bearbeitet wird, wie viele Picks gemacht wurden und<br />

wie viele noch zu machen sind. Zusammengefasst werden<br />

alle Handgriff e mit dem Begriff Welle und gerade läuft<br />

Welle 2 des Tages, was bedeutet: Von den 4.576 Gesamtpicks<br />

fehlen noch 1.471.<br />

Natürlich könnte man jetzt ins Thema IT-Systeme einsteigen,<br />

schließlich wird jede Warenbewegung im Lagerhaus<br />

mit Scannertechnik überwacht und dokumentiert.<br />

Aber das glaubt man Schichtführer Lascelles Leonard<br />

doch gerne: „Die ist“, wie er lässig sagt, „state of the art.“<br />

Also das Beste vom Feinsten in der Datenverarbeitung.<br />

Stattdessen: Abfl ug und nach Hause. Wieder einmal<br />

auf den Spuren des Thomas Mack, der sein Jahr 2006 mit<br />

nicht weniger als 600.000 Kilometern beendete, und es<br />

damit vom Mond fast wieder zurück zur Erde geschaff t<br />

hat. In Frankfurt/Main wartet auf ihn übrigens ein ICE<br />

Richtung Düsseldorf. Auch so ein Mobilitätsprodukt im<br />

globalen Kosmos <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> mit Weltruf. Und<br />

wenn im Anschluss an den ICE noch jemand mit dem Regionalzug,<br />

der S-<strong>Bahn</strong> oder dem Bus die letzten Kilometer<br />

bis nach Hause zurücklegt, dann schließt sich der Kreis in<br />

eben diesem Kosmos <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>.<br />

34 35


Glamour und Gloria Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />

unterwegs auf dem berühmten Strip in Las<br />

Vegas. Nach dem Kauf des US-Logistikers<br />

BAX Global läuft die Integration im<br />

Schenker-Netzwerk auf Hochtouren.<br />

36 37


Konzernentwicklung<br />

Meilensteine<br />

Wie der Umbau der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> zu einem weltweit führenden Mobilitäts- und<br />

Logistikdienstleister bis hin zum Manager hochkomplexer Verkehrsnetzwerke gelang.<br />

Am 16. Dezember 1999 übernimmt<br />

Hartmut Mehdorn den Vorstandsvorsitz<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> auf<br />

Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Gerhard<br />

Schröder von Vorgänger Johannes Ludewig. Zuvor war er<br />

lange Jahre (1980–95) in führenden Positionen für die<br />

<strong>Deutsche</strong> Luftfahrt-Industrie (unter anderem Geschäftsführer<br />

Airbus-Industrie S.A., Vorstandsmitglied<br />

<strong>Deutsche</strong> Aerospace <strong>AG</strong>) tätig und arbeitete zuletzt als<br />

Vorsitzender des Vorstands für die Heidelberger Druckmaschinen<br />

<strong>AG</strong> (1995–99). Erste seiner Maßnahmen,<br />

teils noch vor Amtsantritt, ist eine ganz persönliche<br />

Annäherung an die DB-Verhältnisse vor Ort. Mehdorn<br />

besucht dabei zahlreiche Betriebsstandorte – von <strong>Bahn</strong>höfen<br />

über Werke bis zu Leitzentralen – und sucht dabei<br />

gezielt den Kontakt zu den Eisenbahnern an der Basis.<br />

Bestandsaufnahme und Standortbestimmung<br />

leiten das erste Jahr der Ära<br />

Mehdorn ein. Daraus entwickeln sich<br />

verschiedene Maßnahmen zu Sanierung und Neuausrichtung<br />

des Konzerns. Neue Unternehmenskultur und off ene<br />

Kommunikation sind weitere Ziele. Der Kunde rückt in den<br />

zentralen Blickpunkt und die DB <strong>AG</strong> positioniert sich in<br />

der Folge als Service-Unternehmen mit neu geordnetem<br />

<strong>Bahn</strong>hofsmanagement, richtet 3-S-Zentralen (Sicherheit,<br />

Sauberkeit, Service) ein oder baut sie aus. Eine erste Organisationsänderung<br />

strukturiert die Konzernführung neu,<br />

Unternehmensbereiche (UB) werden eingeführt. Als einer<br />

der ersten deutschen Konzerne überhaupt installiert die<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> daneben Ombudsstellen für Mitarbeiter. Sie<br />

dienen der Prävention, aber auch der Aufklärung von<br />

Bestechlichkeit und internen Korruptionstatbeständen.<br />

Augenfällig wird der Neubeginn mit dem Umzug der Konzernleitung<br />

in den fortan <strong>Bahn</strong>-Tower genannten Glasturm<br />

des Sony-Centers am Potsdamer Platz, und es beginnt die<br />

farbliche Vereinheitlichung des rollenden Materials: Was<br />

bisher auf Schienen kunterbunt daherkam, trägt sukzessive<br />

weiß mit roten Streifen bei IC und ICE im Fernverkehr, rot<br />

mit weißen Streifen im Regionalverkehr.<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> startet einen<br />

umfassenden Sanierungs- und<br />

Investi tionsangriff – gegen das<br />

Betriebs er gebnis und unter Inkaufnahme höherer Schulden.<br />

Auch der Bund stellt zusätzlich Zuwendungen aus<br />

dem Verkauf der UMTS-Lizenzen bereit. Im Mittelpunkt<br />

der sogenannten Off ensive <strong>Bahn</strong> mit dem eingängigen<br />

Dreiklang „Sanieren – Leisten – Wachsen“ stehen zahlreiche<br />

zentral gesteuerte FOKUS-Projekte. Es geht dabei<br />

ummittelbar unterhalb des Holding-Vorstands und dem<br />

federführenden Ressort Konzernentwicklung um Kosteneffi<br />

zienz, einfachere Prozesse und um eine bessere<br />

Programmqualität. Um die Entwicklung von Spitzenprodukten,<br />

zufriedenere Kunden und Zukunftsinvestments.<br />

Aber auch um Ausbau von Marktpositionen bei<br />

Kern- und identifi zierten Wachstumsgeschäften. Nichts<br />

bleibt ausgespart, alles kommt auf den Prüfstand. Vom<br />

Einkauf und der Materialwirtschaft bis hin zu IT-Lösungen<br />

und Objekt-Vermietungsoptionen. Die Sanierung<br />

der Regio-Verkehre läuft an, die Kosten interner Serviceleistungen<br />

(KISS) werden ebenso gesenkt wie die Effi zienz<br />

der Werke gesteigert und mit dem Programm Mora C<br />

beginnt eine grundlegende Neuausrichtung des Güterverkehrs<br />

(Einzelwagen- und Kombiverkehre) sowie dessen<br />

Internationalisierung durch geschmiedete Allianzen.<br />

Zur bereits 1999 akquirierten niederländischen Güterbahn<br />

fügt sich nun auch die dänische in den Railion-Verbund.<br />

Investiert wird unter anderem massiv in eine breit<br />

angelegte <strong>Bahn</strong>hofsmodernisierung, in Infrastrukturmaßnahmen<br />

wie Streckenausbau oder Ertüchtigung,<br />

sowie Leit- und Sicherungstechnik, dabei besonders in<br />

elektronische Stellwerke (ESTW), aber auch in Fort- und<br />

Weiterbildung aller Mitarbeiter auf allen Konzernebenen.<br />

Nie zuvor übrigens in der Geschichte der <strong>Bahn</strong> wurde<br />

ein derart ambitioniertes konzernübergreifendes<br />

Programm aufgelegt, und es trägt trotz insgesamt roter<br />

Zahlen mit einer Ergebnisverbesserung von knapp 441<br />

Millionen Euro bereits zum Jahresende erste Früchte.<br />

Am 1. August fällt in Deutschland<br />

der Startschuss zur Fahrt in ein neues<br />

Eisenbahnzeitalter: Es beginnt<br />

der fahrplanmäßige Verkehr auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />

Frankfurt–Köln. Mit Tempo 300<br />

fährt der ICE nun konkurrenzlos auf der Überholspur.<br />

Außerdem prägt die Milliarden-Akquisition der Stinnes<br />

<strong>AG</strong> mit ihrem Logistikdienstleister Schenker das Jahr. Es<br />

ist ein weiterer Meilenstein, denn der Kauf eröff net der<br />

DB <strong>AG</strong> langfristig hervorragende Perspektiven auf dem<br />

internationalen Transport- und Logistikmarkt. Daneben<br />

stellen sich gravierende Erfolge bei allen 25 FOKUS-<br />

Projekten ein. Schlanker, schneller, besser – das sind die<br />

Schlagworte der zwölf Monate, in denen sich das Ergebnis<br />

deutlich verbessert und zugleich zehn Milliarden<br />

Euro in den Ausbau der Geschäftsfelder fl ießen. Einen<br />

Kraftakt besonderer Art fordert allerdings die Oder-<br />

Flut von den <strong>Bahn</strong>mitarbeitern. Vor allem im Osten<br />

Deutschlands fügt das Hochwasser der Infrastruktur<br />

schwere Wunden zu. Im reibungslos und eff ektiv funktionierenden<br />

Notfallmanagement zeigt sich aber die<br />

Belastbarkeit des Betriebs, seine Flexibilität und die<br />

hohe Professionalität des Konzerns.<br />

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Ein Jubiläum steht zum Jahresende<br />

an: zehn Jahre <strong>Bahn</strong>reform. In<br />

Berlin wird durchweg eine positive<br />

Bilanz gezogen: Der Bundeshaushalt wurde über den<br />

gesamten Zeitraum hinweg um 108 Milliarden Euro<br />

entlastet, rund 44 Milliarden Euro mehr als seinerzeit<br />

prognostiziert. Man investierte dabei 79 Milliarden in<br />

Infrastruktur, Fahrzeuge sowie Sanierung und Moderni-<br />

Zwar sind 90 Minuten nicht die<br />

Welt, aber sie rücken die Welt zusammen.<br />

Für viele Reisende auf der<br />

Strecke Hamburg–Berlin bedeuten sie einen neuen Zeitsprung:<br />

Nur noch gut 90 Minuten nämlich beträgt die<br />

Fahrzeit mit Eröff nung des Streckenausbaus zwischen<br />

der deutschen Hauptstadt und der Hafenmetro pole.<br />

Auch so ein Meilenstein, der Brückenschlag über 286<br />

Kilometer, fertiggestellt in nur fünf Jahren und nun<br />

nonstop befahrbar mit Tempo 230. Aber das Jahr 2004<br />

hat noch mehr und vor allem dies zu bieten: Die <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Bahn</strong> schaff t plan mäßig den Sprung in die Gewinnzone,<br />

ist profi tabel und hat erstmals aus eigener Kraft ein<br />

positives Ergebnis erwirtschaftet. Dabei schlagen unter<br />

anderem die Erfolge des Qualify-Programms mit 419 Millionen<br />

Euro ebenso zu Buche wie die weiter gestiegene<br />

sierung der Stationen und sichert dabei direkt wie auch<br />

indirekt als größter Investor Deutschlands 600.000<br />

Arbeitsplätze. Die Produktivität der DB-Mitarbeiter<br />

stieg zugleich um 163 Prozent. Dabei wurden die notwendigen<br />

Personalanpassungen durch eine aktive und sozialverträgliche<br />

Beschäftigungspolitik (Stichwort Konzernarbeitsmarkt)<br />

konfl iktfrei und ohne betriebsbedingte<br />

Kündigungen bewältigt. Zu den Unternehmensbereichen<br />

Personenverkehr, Transport und Logistik, Fahrweg<br />

und Personenbahnhöfe fügte sich in diesem Jahr mit DB<br />

Dienstleistungen die fünfte Geschäftsfeldsäule. Darin<br />

bündeln sich von der Energieversorgung über die Fahrzeuginstandhaltung<br />

bis hin zu IT-Systemen und Telematik<br />

alle für Betrieb und Prozesssteuerung notwendigen<br />

Teilbereiche. DB Carsharing und DB Call a Bike sorgen<br />

als weitere Bausteine in der Mobilitätskette für Furore.<br />

Pünktlichkeitsoff ensive und Preisreform stehen im Zentrum<br />

allen Handels in einem Jahr, welches der DB dank<br />

des Stinnes-Erwerbs einen Zuwachs des Umsatzes von<br />

51 Prozent auf 28,2 Milliarden Euro bringt. Die Bilanz<br />

aller FOKUS-Projekte, die ab dem Jahr 2004 in das neu<br />

auf gelegte Qualify-Programm zur Erreichung der<br />

Kapitalmarktfähigkeit übergehen, beläuft sich nach drei<br />

Jahren auf realisierte Einsparungen von nicht weniger<br />

als 1,32 Milliarden Euro.<br />

Zahl der Reisenden (1,69 Milliarden). Auch die Transportleistung<br />

im Güterverkehr erhöhte sich um 5,2 Prozent<br />

auf 83.982 Millionen Tonnenkilometer. International<br />

gehört die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> mittlerweile längst<br />

zu den Big Playern des Transport- und Logistikgeschäfts.<br />

Zielstrebig baut man bei Schenker das weltweite Netz<br />

aus und zählt 1.100 Standorte in 110 Ländern. Umfassende<br />

Logistiklösungen aus einer Hand, globales Supply<br />

Chain Management und Ausbau der Beschaff ungs- und<br />

Distributions logistik bei Luft- und Seefracht sowie<br />

Landtransporten, das sind die Schlagworte einer stürmischen<br />

Entwicklung. Am deutlichsten zeigt sie sich<br />

beim Containeraufkom men des Hamburger Hafens.<br />

Dort werden im Cargo-Zentrum der Railion Deutschland<br />

<strong>AG</strong> 1,5 Millionen Container umgeschlagen und erneut<br />

15 Prozent Wachstum erzielt.<br />

Mit den Gewerkschaften vereinbart<br />

man im Frühjahr ein Zukunftsprogramm<br />

für Wirtschaftlichkeit und<br />

Beschäftigung. Es sieht den Verzicht auf betriebsbedingte<br />

Kündigungen bis 2010 vor, bei gleichzeitigem Ausbau<br />

des konzernübergreifenden Arbeitsmarkts und reduzierten<br />

Arbeitskosten. Das abgeschlossene Bündnis gilt als<br />

beispielhaft in der deutschen Wirtschaft. Ein Paukenschlag<br />

krönt das Ende dieses Jahres: Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />

<strong>AG</strong> unterzeichnet einen Kaufvertrag, um nach Genehmigung<br />

der zuständigen Behörden für rund 1,1 Milliarden<br />

Dollar den US-Konzern BAX Global zu erwerben. Sie<br />

katapultiert sich damit endgültig in die Spitzengruppe<br />

der weltweit agierenden Transport- und Logistikunternehmen.<br />

Die Bilanz der Marktpositionierung lautet nun<br />

wie folgt: Europas Nummer 1 im Schienenpersonen- und<br />

Schienengüterverkehr ebenso wie im Landverkehr, bei<br />

Schienenfahrzeug-Instandhaltung, dem Öff entlichen<br />

Personennahverkehr und mit 34.211 Schienenkilometern<br />

auch bei der Betriebslänge. Weltweit Nummer 2 bei Luftfracht-<br />

und Nummer 3 bei Seefrachttransporten. Dazu<br />

Nummer 1 im Carsharing und bei der Fahrradvermietung.<br />

„Der Konzern“, bilanziert Hartmut Mehdorn, „ist<br />

zukunftsfest. Wir sind angetreten, ein international führender<br />

Mobilitäts- und Logistikdienstleister zu werden,<br />

um damit auch die Eisenbahn, unser Stammgeschäft, abzusichern,<br />

und insgesamt betrachtet eröff net sich uns im<br />

Bereich der globalen Verkehrsnetzwerke eine glänzende<br />

Perspektive.“ Nach einer zweiten Organisationsänderung<br />

steht die Konzernleitung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong><br />

nun auf den drei großen Säulen Mobility (Personenverkehr),<br />

Networks (Infrastruktur und Dienstleistungen)<br />

sowie Logistics (Transport und Logistik) und verbucht<br />

erneut ein verbessertes Ergebnis beim EBIT um 18,2 Prozent<br />

auf 1,35 Milliarden Euro. Verdienst übrigens aller<br />

Mitarbeiter und weil deren Aus- und Weiterbildung<br />

wesentlichen Anteil am Fortschritt hat, gleicht die feierliche<br />

Eröff nung der neu geschaff enen DB Akademie für<br />

Führungskräfte im Kaiserbahnhof zu Potsdam der<br />

Fertigstellung eines weiteren Bausteins auf dem Weg<br />

in die Zukunft.<br />

Ein Jahr mit der Überschrift Rekord<br />

und Zahlen, die zum Besten gehören,<br />

was die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>-<br />

Geschichte je gesehen hat: Der DB-Umsatz überschreitet<br />

die Marke von 30 Milliarden Euro, das EBIT (Gewinn<br />

vor Zinsaufwand und Steuern) beziff ert sich auf über<br />

zwei Milliarden Euro. Gestiegen sind sowohl die Transportleistung<br />

im Personen- als auch im Güterverkehr.<br />

Noch nie wurden auf deutschen Schienen mehr <strong>Menschen</strong><br />

befördert als 2006. Und das trotz Wettbewerb mit<br />

rund 330 privaten Eisenbahnunternehmen, die mittlerweile<br />

auf dem Netz der DB verkehren. Mehr noch ist zu<br />

bilanzieren: Fertigstellung und Einweihung des Hauptbahnhofs<br />

Berlin, größter und modernster Schienen-Verkehrsknotenpunkt<br />

Europas. Und – aber natürlich – die<br />

perfekte Begleitung des deutschen Fußball-Sommermärchens<br />

mit einhelligem Beifall für die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />

seitens des WM-Organisationskomitees, insbesondere<br />

aber auch Zigtausender Kunden aus dem In- und Ausland.<br />

Erreicht indes und vor allem: die Kapitalmarktfähigkeit<br />

des Unternehmens. Die Bundesregierung<br />

nimmt die Arbeiten am Privatisierungsgesetz auf und<br />

hat ihre Absicht, den neu geschmiedeten Mobilitäts- und<br />

Logistikkonzerns noch in dieser Legislaturperiode teilweise<br />

zu privatisieren, bekräftigt. „Die Weichen sind<br />

gestellt“, sagt Hartmut Mehdorn, „unser Zug steht dazu<br />

abfahr bereit auf dem Gleis.“<br />

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Personenverkehr<br />

Generation ICE<br />

Nahezu jeder Bundesbürger kennt ihn und – wichtiger noch – Millionen nutzen ihn Tag<br />

für Tag: Der InterCityExpress schrieb in den vergangenen 15 Jahren eine der größten<br />

deutschen Erfolgsgeschichten. Zusammen mit den leistungsfähigen Regional-, Nah- und<br />

Stadtverkehren verfügt Deutschland damit über das am dichtesten vertaktete, zugleich<br />

komplexeste und am besten funktionierende Eisenbahnsystem Europas.<br />

Startformation Drei ICE-Züge warten im<br />

<strong>Bahn</strong>hof am Airport Frankfurt auf<br />

Reisende aus aller Welt. Im Taktverkehr<br />

<strong>verbinden</strong> sie die Großstädte der Republik.<br />

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Leuchtspuren Zwei ICE begegnen sich<br />

in der Abenddämmerung bei Großhöbing<br />

im Altmühltal auf der Neubaustrecke<br />

zwischen Nürnberg und Ingolstadt.<br />

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Kopfgesteuert Was hier nach einer<br />

Slapstick-Nummer aussieht, dient<br />

ausschließlich der Verkehrssicherheit.<br />

Alle ICE werden in genau festgelegten<br />

Wartungsintervallen von Technikern<br />

bis ins Innerste überprüft.<br />

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ie Augen ganz klein, der Sonnenaufgang noch<br />

ein Weilchen entfernt, springt Thomas<br />

Schneider in den ICE. Drei Stunden Schlaf<br />

fehlen ihm in dieser Nacht noch, aber die hat<br />

er fest eingeplant: Er lässt sich in seinen reservierten<br />

Sitz fallen, klappt die Lehne zurück und schließt<br />

die Augen. Viertel nach sechs gleitet der ICE-Sprinter<br />

aus dem Frankfurter Hauptbahnhof, Richtung Berlin.<br />

Schneider schläft 500 Kilometer nonstop. Kurz vor zehn<br />

erreicht er ausgeruht die Hauptstadt.<br />

Thomas Schneider attestiert sich selbst alle Symptome<br />

der Spezies „moderner Nomade“: Immer auf dem Sprung,<br />

immer rastlos. „Aber ich bin kein Getriebener. Es macht<br />

mir einfach Spaß, in Bewegung zu sein, <strong>Menschen</strong> und<br />

Orte zu erleben.“ Der 45-Jährige ist Handlungsreisender<br />

in eigener Sache: Als Chef und Gründer einer kleinen Software-Firma<br />

lebt er in Friedberg bei Frankfurt/Main und<br />

in Berlin, arbeitet aber in ganz Deutschland. Unterwegs<br />

dient ihm der ICE als Schlafwagen, als Speisewagen und<br />

vor allem als rollendes Büro.<br />

Neben der schon sprichwörtlichen Generation Golf<br />

existiert inzwischen auch eine Generation ICE. Thomas<br />

Schneider konvertierte vor zehn Jahren von der einen zur<br />

anderen: „Früher war ich leidenschaftlicher Autofahrer,<br />

bis mein Geschäft expandierte und ich immer mehr Kunden<br />

in ganz Deutschland bekam.“ Es dauerte nicht lange<br />

bis zu der Erkenntnis, wie viel Energie bei seinen Geschäftsreisen<br />

auf der Straße verloren ging. „Vom Auto auf<br />

die Schiene umzusteigen, habe ich nicht aus dem Bauch<br />

heraus, sondern rational entschieden. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong><br />

entpuppte sich für meine Bedürfnisse als das vernünftigste<br />

Verkehrsmittel.“<br />

Technologisches Spitzenprodukt<br />

Der Unternehmer weiß sich in guter Gesellschaft, schließlich<br />

hat der ICE die Mobilität in Deutschland verändert.<br />

„Dass die <strong>Menschen</strong> <strong>Bahn</strong> fahren zum Reisen wieder als<br />

innovativ und zeitgemäß empfi nden, geht in erster<br />

Linie auf das Konto des ICE“, sagt Frank Schübel, der als<br />

oberster Markenhüter über den prominenten Leistungsträger<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> wacht.<br />

Die drei Buchstaben ICE haben sich als eine der bekanntesten<br />

Marken ins Bewusstsein der <strong>Deutsche</strong>n eingebrannt.<br />

Fast jeder kennt sie, fast jeder mag sie. Den Kinderschuhen<br />

seit der Premiere 1991 längst entwachsen,<br />

bleibt die Ausstrahlung des ICE unverändert hoch: „Er<br />

hat sich als Volkstransportmittel an der Spitze der technologischen<br />

Entwicklung etabliert“, sagt Schübel. Für<br />

Autofahrer auf der A 3 zwischen Köln und Frankfurt ist<br />

Vielfahrer Software-Unternehmer Thomas Schneider<br />

wechselte schon vor Jahren vom Auto in den Zug.<br />

Viel los Gastronomieangebote auf neuestem Stand unter dem<br />

Dach von Frankfurts modernisiertem <strong>Bahn</strong>hof.<br />

der Schienenfl itzer ein bisweilen ärgerlicher Blickfang,<br />

wenn er mit Tempo 300 mal links und mal rechts vorbeirauscht.<br />

Auf dieser Strecke fl iegt der ICE im Rahmen des<br />

Projekts AIRail sogar auf Höhe null mit Lufthansa-Flugnummer<br />

als Zubringer.<br />

Die starke Marke stützt sich nicht zuletzt auf ihr unverwechselbares<br />

Design. Die Keilform in Weiß mit roter<br />

Bauchbinde hat sich schon nach 15 Jahren als moderner<br />

Klassiker etabliert, der, so Schübel, „mit dem Porsche 911<br />

und der Boeing 747 in einem Atemzug zu nennen ist“.<br />

Seine eleganten Konturen verdankt die ICE-Familie<br />

dem Designer Alexander Neumeister.<br />

Vom ICE 1 der ersten Generation Jahrgang 1991 bis zum<br />

300 Stundenkilometer schnellen ICE 3 entstanden alle<br />

Zugtypen auf dem Reißbrett des heute 64-jährigen Designers<br />

aus München: „Modischen Schnickschnack habe ich<br />

von Anfang an vermieden, denn ich wollte eine Form<br />

schaff en, die mindestens 30 Jahre Bestand hat.“ Für<br />

den ICE T (mit Neigetechnik) und den ICE 3 wurde<br />

Neumeister gleich zwei Mal in Folge mit dem Designpreis<br />

Deutschland ausgezeichnet.<br />

Der ICE hat nicht nur den Weg für die Renaissance des<br />

<strong>Bahn</strong>reisens bereitet, sondern auch eine andere Branche<br />

befl ügelt: In Deutschlands Kinderzimmern und Hobbykellern<br />

drehen über 300.000 ICE im Maßstab HO oder N<br />

Glanzstück Als fl aniere man durch Mailands Galleria Vittorio Emanuele II. – so präsentiert sich der komplett restaurierte <strong>Bahn</strong>hof in Dresden.<br />

ihre Runden. Seit es den Hochgeschwindigkeitszug der<br />

DB gibt, wollen Kinder (und wer weiß wie viele Väter?)<br />

plötzlich wieder mit der elektrischen Eisenbahn spielen.<br />

Modellbahnherstellern und Spielwarenhändlern bescherte<br />

die Erfi ndung des ICE einen Bestseller und im wahrsten<br />

Sinne des Wortes eine Zugnummer.<br />

Die Zugnummer, für die sich Thomas Schneider interessiert,<br />

lautet ICE 1507. Heute ist er schon beim Einsteigen<br />

am Berliner Hauptbahnhof hellwach. „Nach Leipzig<br />

fahre ich oft, dort sitzt einer meiner wichtigsten Kunden“,<br />

sagt der Software-Spezialist. Mit seinen Programmen erfasst<br />

die Stadtverwaltung Papierakten elektronisch. „Im<br />

Augenblick sind wir gerade bei der digitalen Archivierung<br />

von Altbelegen der Kfz-Zulassungsstelle“, sagt<br />

Schneider, packt sein Notebook aus und schließt es an die<br />

Steckdose unterm Sitz an. Die gerade mal 68 Minuten im<br />

Zug hat er fest zur Vorbereitung auf seinen Leipziger Termin<br />

eingeplant. ICE-Zeit ist Arbeitszeit – wenn man will.<br />

In einer kleinen Marktnische ist das Unternehmen<br />

Schneider Mikrocomputertechnik in Friedberg für seine<br />

Verhältnisse fast schon ein Global Player geworden. Für<br />

das deutsche Orient-Institut in Beirut und für die Universität<br />

Nottingham hat der gelernte Ingenieur Bibliothekskataloge<br />

digitalisiert. Auch viele deutsche Hochschulen<br />

arbeiten mit seiner schlüsselfertigen Software.<br />

Der ICE hat auch die deutschen<br />

Kinderzimmer erobert. Über<br />

300.000 Züge drehen im H0- und<br />

N-Maßstab der Modellbahnen<br />

unermüdlich ihre Runden.<br />

Für seine zahlreichen Geschäftsreisen von Berlin und<br />

Friedberg aus braucht Schneider keine Fahrkarte zu<br />

lösen. Als Inhaber einer Mobility <strong>Bahn</strong>Card 100 kann der<br />

IT-Experte jederzeit in jeden Zug einsteigen. „Die Jahresnetzkarte<br />

kostet mich 300 Euro im Monat“, sagt Unternehmer<br />

Schneider. Der ICE ist für ihn nicht nur die komfortabelste<br />

Art, mobil zu sein, sondern auch die mit<br />

Abstand preisgünstigste.<br />

„Manchmal frage ich mich, wozu ich überhaupt noch<br />

ein Auto besitze.“ An seinem Berliner Wohnort kommt<br />

Schneider ganz ohne eigenen Wagen aus. Und wenn er<br />

tatsächlich mal selbst Gas geben will, dann wird seine<br />

Jahresnetzkarte nach einer E-Mail oder einem kurzen<br />

Telefonanruf an 90 <strong>Bahn</strong>höfen zum Autoschlüssel für<br />

ein Fahrzeug von DB Carsharing.<br />

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International Ein ICE gleich neben einem französischen Thalys in Brüssel. Ab Mitte 2007 gibt es auch direkte Verbindungen nach Paris.<br />

Weitere Fragen dazu beantworten DB-Service-Mitarbeiter gerne in Reisezentren oder direkt auf dem <strong>Bahn</strong>steig.<br />

Als diskretes Erkennungszeichen der Generation ICE gilt<br />

aber nicht nur die <strong>Bahn</strong>Card, sondern auch das DIN A4große<br />

OnlineTicket aus dem eigenen Rechner und neuerdings<br />

auch das Ticket auf dem Handy. Anspruchsvolle<br />

Vielfahrer kommen mit der <strong>Bahn</strong> nicht nur sicher und<br />

schnell an ihr Ziel, sondern auch überall und jederzeit<br />

an ihre Fahrkarte. Dank des Statuskundenprogramms<br />

„bahn.comfort“ erfreuen sie sich unterwegs besonderer<br />

Annehmlichkeiten.<br />

Man triff t die Generation ICE zum Beispiel morgens<br />

zwischen Hamburg und Berlin, wenn der Großraumwagen<br />

zum Großraumbüro wird. Oder am Freitagnachmittag,<br />

wenn Zehntausende Wochenendpendler sich auf den<br />

Weg nach Hause machen. Oder in den Schulferien, wenn<br />

Eltern den ICE entdecken und für ihre mitreisenden Kinder<br />

keinen einzigen Cent zuzahlen müssen.<br />

Tag für Tag machen 236 ICE-Zugeinheiten im Durchschnitt<br />

183.000 <strong>Menschen</strong> mobil – Tendenz steigend.<br />

1.100 Kilometer Schnellfahrstrecke für Geschwindigkeiten<br />

zwischen 230 und 300 Kilometer pro Stunde stehen<br />

den ICE-Zügen mittlerweile zur Verfügung. Der ICE lässt<br />

mit seinem engmaschigen Netz und dem Tempo, das er<br />

auf immer mehr Verbindungen vorlegt, ganz neue Lebensentwürfe<br />

zu: Vor fünf Jahren wäre niemand auf die Idee<br />

gekommen, in Hamburg zu wohnen und in Berlin zu arbeiten.<br />

Der ICE macht es heute möglich und hat auch<br />

Städte wie Köln und Frankfurt/Main oder München und<br />

Nürnberg auf Pendeldistanz aneinander rücken lassen.<br />

Doch seine Stärke entfaltet der ICE nicht allein auf einigen<br />

spektakulären Rennstrecken. Über ganz Deutschland<br />

hat der Hochgeschwindigkeitszug sein Netz ausgeworfen<br />

und verbindet über 100 Städte, zumeist im<br />

Stundentakt. In den großen Knotenpunkten wie Hannover,<br />

Mannheim, Köln, Dortmund oder Nürnberg sind<br />

Umsteiger schon wieder auf neuen Wegen, kaum dass sie<br />

angekommen sind. Und der Frankfurter Flughafen ist<br />

nicht nur eine Drehscheibe des Luftverkehrs, sondern<br />

auch des bundesweiten ICE-Netzes.<br />

Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts AIRail startet<br />

der ICE von Frankfurt/Main nach Köln und Stuttgart<br />

Ein ICE 3 verbraucht<br />

pro Fahrgast auf<br />

hundert Kilometer<br />

umgerechnet nur<br />

zwei Liter Benzin.<br />

auch mit Lufthansa-Flugnummer. Auf diesen und anderen<br />

Strecken bis 500 Kilometer macht das Zugpferd der<br />

<strong>Bahn</strong> die Stärken des Flugzeugs wett: Bei Reisen von City<br />

zu City ist der ICE mindestens genauso schnell und bietet<br />

seinen Fahrgästen außerdem, was Passagiere in der Luft<br />

schmerzlich vermissen: Bewegungsfreiheit, ein Ambiente<br />

zum Arbeiten oder Entspannen, Handy-Empfang und<br />

eine abwechslungsreiche Bordgastronomie.<br />

„Das Beste an Deutschland“<br />

Seitdem das Thema Klimawandel Schlagzeilen macht und<br />

verstärkt ins öff entliche Bewusstsein dringt, kann die<br />

<strong>Bahn</strong> noch mit einem weiteren Pfund wuchern. In einem<br />

zu 50 Prozent besetzten ICE 3 beträgt der Energieverbrauch<br />

pro Fahrgast umgerechnet nur zwei Liter Benzin<br />

auf 100 Kilometer. Wer bei der Wahl des Verkehrsmittels<br />

auch seine persönliche Klimabilanz und Reduzierung<br />

von Treibhausgasen im Auge hat, kommt am ICE nicht<br />

vorbei. Kein Wunder also, dass der Schienenfl itzer der<br />

<strong>Bahn</strong> im Buch „Das Beste an Deutschland“ als einer von<br />

250 Gründen gilt, Deutschland zu lieben.<br />

Gerhard Borsdorfs Liebe zum ICE kann man eher als<br />

platonisch bezeichnen. Er beschäftigt sich zwar seine ganze<br />

Schicht lang mit den weißen Hochgeschwindigkeitszügen,<br />

aber tatsächlich zu Gesicht bekommt er währenddessen<br />

keinen einzigen. Der Mann hat den Fahrplan im<br />

Blut und fünf Monitore vor Augen, auf denen Objekte<br />

und Zahlen wandern. Der Laie sieht nur Hieroglyphen,<br />

die er nicht deuten kann. Für Borsdorf ist das fl immernde<br />

Gewimmel unverkennbar die Betriebslage des DB-Fernverkehrs<br />

in Echtzeit.<br />

Der Disponent in der Zentralen Transportleitung in<br />

Frankfurt/Main überwacht an diesem Nachmittag jeden<br />

ICE, der in Norddeutschland unterwegs ist. Sein Telefon<br />

klingelt. „Oberleitungsschaden bei Hannover Wülfel“,<br />

ruft Borsdorf in den Raum. Zusammen mit den Kollegen<br />

berät er kurz, wie man am besten auf diese Betriebsstörung<br />

reagiert. Mehrere ICE Richtung Frankfurt/Main<br />

und München sind betroff en. Einen Zug, der direkt vor<br />

der Schadensstelle wartet, lässt Borsdorf umkehren, um<br />

ihn auf anderen Gleisen ans Ziel zu schicken. Die nächsten<br />

beiden Züge werden gleich ganz um die niedersächsische<br />

Landeshauptstadt herumgeleitet. „Zusätzlicher<br />

Halt in Celle!“ ordnet Borsdorf an.<br />

Heiner Bremer (65) TV-Journalist und Moderator der<br />

n-tv-Talkshows „Das Duell“ und „2+4“.<br />

„Klimaschutz<br />

und Zeitgewinn“<br />

Seit wir den Klimawandel am eigenen Leib zu spüren<br />

beginnen, steht auch das Thema Klimaschutz<br />

oben auf der politischen Agenda. Wir wissen alle,<br />

dass wir den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich<br />

reduzieren müssen, um die weitere globale Erwärmung<br />

zu bremsen. Darum brauchen wir einerseits<br />

politische Weichenstellungen, um mehr Güter von<br />

der Straße auf die Schiene zu verlagern.<br />

Andererseits können wir auch ganz privat Entscheidungen<br />

treff en, die zur Verminderung des<br />

Kohlendioxid-Ausstoßes beitragen: Wer vom Auto<br />

auf den Zug umsteigt, verbessert seine persönliche<br />

Klimabilanz ganz beträchtlich. Eine solche<br />

Entscheidung wird einem heute viel leichter<br />

gemacht als noch vor zehn oder 15 Jahren und<br />

ist auch nicht mehr mit Verzicht verbunden, im<br />

Gegenteil.<br />

Denn die <strong>Bahn</strong> hat mit ihrem ICE inzwischen ein<br />

bundesweites Angebot, das auch hohen Ansprüchen<br />

genügt. Die Züge sind komfortabel, schnell<br />

und – was ich mir sehr wünsche – eines Tages hoffentlich<br />

noch einen Tick pünktlicher. Ich jedenfalls<br />

steige schon mal gern in den ICE, weil ich damit<br />

zusammenhängende Zeit gewinne. Wenn ich in<br />

Berlin ankomme, habe ich die wichtigsten Tageszeitungen<br />

durchgelesen – quasi mein persönliches<br />

Aktenstudium zur Vorbereitung auf meine Sendungen.<br />

Mich überzeugt auch die Service-Bereitschaft<br />

des ICE-Personals. Immer mehr Zugbegleitern ist<br />

anzumerken, dass sie selbst Spaß an Freundlichkeit<br />

und guter Dienstleistung haben. Da kann man<br />

sich schon wohl fühlen.<br />

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Jan-Martin Wiarda (30) Redakteur bei der<br />

Wochenzeitung „Die Zeit“.<br />

„Einmal zum Mond<br />

und zurück“<br />

Ich gebe zu, dass ich ein bisschen verrückt bin. Ein<br />

normaler Mensch nimmt doch nicht 300 Kilometer<br />

tägliche Anfahrt ins Büro in Kauf, macht 600 Kilometer<br />

am Tag, 3.000 die Woche, 140.000 im Jahr.<br />

Ja, ich bin so verrückt, ich arbeite in Hamburg und<br />

lebe in Berlin.<br />

Viele sagen: Das geht doch gar nicht. Ich sage:<br />

Doch, das geht. Wenn man ICE-Pendler ist. Seit ich<br />

Mitte 2004 meinen Job angetreten habe, habe ich<br />

im ICE die einfache Fahrt von der Erde zum Mond<br />

zurückgelegt. Inzwischen arbeite ich am Rückweg.<br />

Ich bin nicht der einzige Verrückte. Wenn ich<br />

morgens in Berlin einsteige, blicke ich in ein paar<br />

Dutzend bekannte Gesichter. Ich kenne nicht alle<br />

beim Namen, aber wir ICE-Pendler erkennen einander<br />

an der schwarzen <strong>Bahn</strong>Card 100. Ich kenne<br />

auch nur die Berliner, die in Hamburg arbeiten.<br />

Doch ich habe gehört, dass auch in Gegenrichtung<br />

gependelt wird.<br />

Warum man sich das antut? Weil es geht. Die<br />

Hochgeschwindigkeitsverbindungen von Berlin<br />

nach Hamburg oder von Köln nach Frankfurt verschmelzen<br />

Großstädte zu Großräumen, zu entfernten<br />

und gleichzeitig nahen Doppelstädten. Warum<br />

die Freundin zurücklassen? Warum nur der Arbeit<br />

wegen aus der geliebten Wohnung aus ziehen? Es<br />

geht ja anders. Und ich habe Spaß dabei, genieße<br />

die Ruhe, schalte ab. Täglich zweimal 90 Minuten<br />

Zeit zum Lesen, zum Arbeiten am Computer – und<br />

zum Philosophieren: Vielleicht sind wir ICE-Pendler<br />

gar nicht verrückt. Sondern unser Leben ist nur<br />

ein Vorgeschmack auf die Mobilität der Zukunft.<br />

Die Mitarbeiter der<br />

Transportleitung in<br />

Frankfurt/M. verstehen<br />

sich als Anwälte ihrer<br />

Reisekundschaft.<br />

Den fi ligranen ICE-Taktfahrplan für ganz Deutschland zu<br />

entwickeln und Jahr für Jahr zu optimieren, ist für sich ein<br />

eher mathematisches Kunststück. Ihn auf dem dichtesten<br />

Eisenbahnnetz der Welt tagtäglich so gut wie möglich<br />

in die Tat umzusetzen, ist ein logistischer Drahtseilakt,<br />

der Erfahrung und Kreativität erfordert. Wie ein geübter<br />

Schachspieler muss Borsdorf buchstäblich viele Züge vorausdenken.<br />

„Wir sind Anwalt unserer Kunden“, sagt der Chef der<br />

Zentralen Transportleitung Thomas Göwert. „Unsere primäre<br />

Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Reiseketten<br />

der Fahrgäste sichergestellt sind.“ Er und seine Disponenten<br />

kümmern sich darum, dass das ICE-Netzwerk rund<br />

läuft, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Im Idealfall<br />

würden sie hier Däumchen drehen, aber den Idealfall gibt<br />

es in einem derart komplexen System eben nicht. An<br />

neun Knotenpunkten hält die DB bemannte Ersatzzüge<br />

vor, die von den Frankfurter Disponenten innerhalb von<br />

einer Viertelstunde in den Fahrplan eingefädelt werden<br />

können.<br />

Sobald die Sonne in Deutschland untergeht und die<br />

meisten ICE die letzte Endstation des Tages erreicht haben,<br />

entfaltet er sein ganz eigenes Nachtleben. ICE-Werk<br />

Frankfurt-Griesheim, kurz vor halb zehn am Abend: Das<br />

Tor surrt nach oben und scheinbar müde vom Tag schiebt<br />

sich ein ICE 3 in die blitzblanke Halle. „Haut rein!“, ruft<br />

Ingenieur Wolfgang Schmidt seinen Technikern zum<br />

Abschluss der kurzen Dienstbesprechung zu.<br />

Zahlreiche Checklisten abarbeiten<br />

Die Zeit drängt. Genau acht Stunden haben die Schlosser,<br />

Mechatroniker, Entstörer, Klimatechniker und Elektroniker,<br />

um die erste Hälfte der Inspektionsstufe 1 zu<br />

erledigen: Laufwerkskontrolle, Bremsrevision, Klimaanlage,<br />

Türen, Stromabnehmer, Toiletten, Fahrgastinformationssystem.<br />

Eine lange Checkliste ist abzuarbeiten.<br />

Wenn die Sonne wieder aufgeht, muss der Zug pünktlich<br />

wieder auf die Strecke.<br />

ICE-Instandhaltung just in time: „Vor zwei Jahren haben<br />

wir für den ICE die modularisierte Instandhaltung<br />

entwickelt“, erklärt Schmidt. Früher fi el jeder ICE für die<br />

nach jeweils zirka 80.000 Kilometern fällige Inspektion<br />

mindestens einen Tag aus. „Jetzt machen wir das in zwei<br />

Nächten, ohne dass wir den Zug aus dem Verkehr ziehen<br />

Pit Stop Im DB-Werk Griesheim geht es Nacht für Nacht zu wie beim Formel-1-Zirkus des Bernie Ecclestone. Nacheinander treff en Züge der ICE-<br />

Flotte ein, es erfolgen Wartungs- und Revisionsarbeiten und frühmorgens gehen die Einheiten wieder auf die Strecke.<br />

„Mit dem Zug in die Freiheit“<br />

Natürlich haben wir bei Hertha BSC<br />

einen Mannschaftsbus. Aber für uns<br />

ist der ICE auf vielen Strecken eine<br />

schnelle und komfortable Alternative.<br />

Zu unseren Bundesliga-Auswärtsspielen<br />

fahren wir von Berlin aus mit dem<br />

ICE. Die Spieler genießen die Bewegungsfreiheit<br />

und dass sie unterwegs<br />

machen können, was sie wollen.<br />

Ich habe schon vor Jahren den Reiz<br />

des <strong>Bahn</strong>fahrens entdeckt und genieße<br />

den Komfort in der 1. Klasse. Ich<br />

sitze 20 bis 25 Mal pro Jahr im Zug,<br />

bin auch oft allein und gewissermaßen<br />

„in Zivil“ unterwegs, denn als<br />

Trainer muss ich unsere nächsten<br />

Gegner unter die Lupe nehmen.<br />

Die Zeit im Zug ist für mich ideal zum<br />

Arbeiten, etwa für Video-Analysen am<br />

Laptop. Ich halte da auch mal ein Nickerchen,<br />

und erkennt mich jemand,<br />

gebe ich gern ein Autogramm. Man<br />

kann sagen, dass ich zur Generation<br />

ICE gehöre, und das nicht nur, weil<br />

die <strong>Bahn</strong> Sponsor meines Vereins ist.<br />

Mit der <strong>Bahn</strong> verbinde ich auch persönlich<br />

eine wichtige Erinnerung.<br />

Nachdem ich mich 1983 in Belgrad vor<br />

einem Europacup-Spiel von meinem<br />

damaligen DDR-Fußballteam abgesetzt<br />

hatte, fuhr ich mit der <strong>Bahn</strong> in<br />

die Bundesrepublik. Mein Zug in die<br />

Freiheit war ein überheizter Schlafwagen<br />

von Ljubljana nach München.<br />

Falko Götz (45) Trainer des Fußball-<br />

Bundesligisten Hertha BSC Berlin.<br />

52 53


Futuristisch Architektonisches Ausrufezeichen Flughafen-<strong>Bahn</strong>hof Frankfurt. Ebenso modern geht es in der Zentralen Transportleitung der DB zu,<br />

wo digitale Weg-Zeit-Diagramme den Mitarbeitern und ihrem Chef Thomas Göwert (re.) die Überwachung des Fernverkehrs erleichtern.<br />

Gunilla Kaiser (32) Geowissenschaftlerin in<br />

der Kieler Christian-Albrechts-Universität.<br />

„Keine Staus und keinen Stress“<br />

Eigentlich gehöre ich aufgrund meines<br />

Jahrgangs der Generation Golf<br />

an, aber wenn es auch eine Generation<br />

ICE gibt, fühle ich mich zumindest<br />

als Grenzgängerin. Die individuelle<br />

Mobilität des eigenen Autos<br />

schätze ich zwar, aber auf längeren<br />

Strecken überwiegen die Vorteile des<br />

ICE doch bei weitem. So zu reisen<br />

geht einfach wesentlich schneller,<br />

und ich erspare mir Staus und den<br />

Stress langer Autobahnetappen.<br />

Im ICE komme ich nicht nur ausgeruhter<br />

an, sondern kann die Dienstreisen<br />

auch für Besprechungen mit<br />

meinen Kollegen nutzen oder mich<br />

auf auswärtige Termine vorbereiten.<br />

Mit meinem Laptop und der Steckdose<br />

am Platz mache ich den Zug zum<br />

rollenden Büro. Ich kann auch lesen,<br />

Musik hören oder aus dem Fenster<br />

schauen. Im ICE genieße ich die Freiheit,<br />

tun und lassen zu können, was<br />

mir gefällt. Bei meinem Wochenendtrip<br />

kürzlich nach München hatte ich<br />

endlich mal wieder die Gelegenheit,<br />

ein Buch im wahrsten Sinn des Wortes<br />

in einem Zug durchzulesen.<br />

Und als Wissenschaftlerin, die sich<br />

mit den Folgen des Klimawandels<br />

beschäftigt, weiß ich natürlich um<br />

die Risiken von Treibhausgasemissionen,<br />

und das ist für mich ein weiteres<br />

Argument für den ICE.<br />

Der ICE stärkt das<br />

Zukunftsgeschäft<br />

und ist für das gesamte<br />

Eisenbahnsystem der<br />

Technologieträger.<br />

müssen.“ Das ist wirtschaftlich gesehen ein großer Vorteil,<br />

denn Hochgeschwindigkeitszüge sind besonders teure<br />

und wertvolle Fahrzeuge, jeder Stillstand kostet Geld.<br />

In sieben ICE-Werken sind Nacht für Nacht Ingenieure,<br />

Techniker und Handwerker im Einsatz, um die Hochgeschwindigkeitsfl<br />

otte der <strong>Bahn</strong> für den nächsten Tag fi t<br />

zu machen: Hamburg zum Beispiel ist Heimathafen des<br />

ICE 1, Berlin wartet den ICE 2, München den ICE 3 und<br />

den ICE T, Frankfurt-Griesheim kümmert sich um die<br />

mehrsystemfähigen ICE 3 und ICE T, die über Grenzen<br />

hinweg ins Ausland fahren können. Dort laufen auch die<br />

Vorbereitungen für den Start der ICE-Linie Frankfurt/<br />

M.–Paris auf Hochtouren.<br />

Der ICE hat sich als europäisches Qualitätsprodukt<br />

„made in Germany“ etabliert. In die Schweiz, nach Österreich,<br />

Holland und Belgien fährt der ICE schon seit Jahren,<br />

2007 dehnt er seinen Aktionsradius nach Frankreich<br />

aus. Japan, Frankreich und Deutschland bilden das globale<br />

Spitzentrio im Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der<br />

Schiene. Der ICE sei Technologietreiber für das gesamte<br />

System <strong>Bahn</strong>, hat Konzernchef Hartmut Mehdorn kürzlich<br />

gesagt. Er stärke die Zukunft des Schienenverkehrs<br />

insgesamt.<br />

Und er hat der Generation ICE mit ihren fortgeschrittenen<br />

Mobilitätsbedürfnissen eine Heimat für unterwegs<br />

gegeben. Der umtriebige Unternehmer Schneider rührt<br />

in der Leipziger DB Lounge seinen grünen Tee um. Sein<br />

Geschäftstermin bei der Stadtverwaltung ist vorüber,<br />

jetzt wartet der IT-Unternehmer in behaglicher Atmosphäre<br />

auf den Zug zurück Richtung Frankfurt. „Theoretisch<br />

könnte ich die Strecke fl iegen, aber damit bin ich<br />

auch nicht schneller, außerdem wird man beim Fliegen<br />

alle halbe Stunde aufgescheucht.“<br />

Ein Rastloser sei er, bekennt der Vielfahrer Thomas<br />

Schneider, der sich nicht nur berufl ich, sondern auch aus<br />

Neugier gern durch die Welt treiben lässt. „Das Reisen<br />

hält auch geistig mobil.“ Er pfl egt einen bundesweiten<br />

Freundeskreis und verschlingt das riesige Angebot der<br />

Metropolen zwischen Köln, München und Hamburg gern<br />

auch mal spontan. „Bis zum nächsten Anschluss dauert<br />

es nie länger als eine Stunde.“ Der ICE gibt Thomas<br />

Schneider die Freiheit, wie er sie liebt. Er klappt seinen<br />

Sitz nach hinten, macht die Beine lang, lässt Deutschland<br />

mit Tempo 200 oder 300 an sich vorbeiziehen und stellt<br />

seine Augen „auf unendlich“.<br />

Peter Lesser (73) Unternehmensberater und Gründer<br />

des Vereins „Sportspaß“.<br />

„Der gewisse<br />

Verwöhn-Eff ekt“<br />

Wer wie ich nie ein Auto, geschweige denn einen<br />

Führerschein besessen hat, verlässt sich mehr als<br />

andere bei der Organisation seiner Mobilität auf<br />

die <strong>Bahn</strong> – berufl ich und privat. Insofern bin ich<br />

von erster Stunde an vom ICE begeistert gewesen.<br />

Mir kam es 1991 wie ein Wunder vor, dass ich<br />

plötzlich in ungefähr zwei Stunden von Hamburg<br />

nach Kassel reisen konnte. Heute geht es genauso<br />

schnell nach Berlin, die Geschwindigkeit fasziniert<br />

mich jedes Mal aufs Neue. Man vergisst ja leicht,<br />

wie es vorher war.<br />

Ich habe die Stimmung und Atmosphäre im ICE<br />

immer hervorragend nutzen können, um kreativ zu<br />

arbeiten, früher für Buchprojekte, bis heute auf<br />

dem Weg zu Seminaren und Vorträgen. Gäbe es<br />

diesen Zug nicht, bliebe auch meine dicke Wochenzeitung<br />

meistens ungelesen. Mir persönlich<br />

reicht der Komfort in der 2. Klasse vollauf. Wenn<br />

es dort allerdings sehr voll ist, gönne ich mir spontan<br />

ein Upgrade in die 1. Klasse.<br />

Mein Aufenthalt an Bord ist immer strukturiert:<br />

Erstens arbeiten, zweitens Zeitung lesen und drittens<br />

gern ein Besuch im Bistro, wo ich seit ewiger<br />

Zeit den Nürnberger Rostbratwürstchen die Treue<br />

halte. Seitdem in der Bordgastronomie nicht mehr<br />

geraucht werden darf, besuche ich sie noch lieber.<br />

Reisen im ICE haben für mich den gewissen Verwöhn-Eff<br />

ekt, das gilt natürlich auch, wenn ich mit<br />

meiner Frau zum Vergnügen reise: Sie weiß die<br />

Qualität des deutschen ICE-Systems so richtig zu<br />

schätzen, seit sie einmal mit italienischen Zügen<br />

bis hinunter nach Sizilien gefahren ist.<br />

54 55


Im Zauberwald Ein ICE unterwegs mit<br />

Tempo 300 auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />

bei Allersberg<br />

nahe Nürnberg.<br />

56 57


Strahlkraft Stadtstrand an der<br />

Spree und dazu das Glanzlicht<br />

eines lauen Sommerabends: Blick<br />

auf den neuen Hauptbahnhof aus<br />

Liegestuhl-Perspektive.<br />

Verkehrsknoten<br />

Laufsteg <strong>Bahn</strong>hof<br />

Die Welt war zu Gast und die Welt war begeistert: Rechtzeitig zur Fußball-WM<br />

öffnete Berlins neuer Hauptbahnhof seine Pforten und seitdem ist er Glanzlicht<br />

der Metropole, ihr modernster Touristenmagnet und zugleich Treffpunkt von<br />

Millionen Reisenden.<br />

58 59


Traumhaft Die rundum verglasten<br />

Aufzüge des Hauptbahnhofs werden<br />

ihrem Namen gerecht. Sie bieten echtes<br />

Panorama und die gewährten<br />

Ausblicke bezaubern auch Kinder.<br />

60 61


Eingeschwungen Über 320 Meter verläuft die Trasse in West-Ost-Richtung unter einem Glasdach.<br />

Als größter und modernster<br />

Kreuzungsbahnhof Europas<br />

ist dieses Bauwerk in jeder<br />

Hinsicht eine Visitenkarte des<br />

21. Jahrhunderts.<br />

Farbtupfer Cafés am Berliner Hauptbahnhof<br />

verbreiten schon vor der Abreise Urlaubsfl air.<br />

Graziös Wer mit der Mode Schritt hält, fl aniert<br />

in High Heels durch die 160 Meter lange Halle.<br />

ICE-Geschwisterpaar Täglich verkehren im Berliner Hauptbahnhof hunderttausende Reisende mit 225 Fern- und 325 Regionalzügen sowie 627 S-<strong>Bahn</strong>en.<br />

Verspiegelt Gleich einem Vexierbild erscheint dem Besucher auf der Rolltreppe nach oben die verglaste Eingangsfassade im Gegenlicht.<br />

Metropolis Berliner Lebensgefühl und ein Schuss europäisches Flair<br />

zum Cappuccino. Mindestens bis 22 Uhr am Abend.<br />

Essen und Trinken Das Einkaufs- und Gastronomieangebot umfasst<br />

80 Geschäfte auf 15.000 Quadratmetern Fläche.<br />

Sonnenbaden Man muss nicht verreisen, man kann auch einfach den<br />

Tag genießen – etwa auf den weitläufi gen <strong>Bahn</strong>hofsterrassen.<br />

62 63


Reisefi eber Einfahrt ICE und zugleich:<br />

Abschied von Berlin. Wer den<br />

Hauptbahnhof zum ersten Mal betreten<br />

hat, kann jetzt zu Hause davon erzählen.<br />

Eine letzte Zahl noch für den Heimweg:<br />

Mit der Eröff nung des Verkehrsknotens<br />

entstanden 900 neue Arbeitsplätze.<br />

64 65


Historie<br />

Aktie Eisenbahn<br />

In dieser Legislaturperiode ist die Teilprivatisierung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong><br />

vorgesehen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hatte privater Unternehmergeist<br />

das Rückgrat des Eisenbahnbaus in Europa gebildet.<br />

ls ob die Zeit keine Spuren hinterlassen<br />

hätte, so sieht Nürnberg<br />

1835 von der Ferne aus.<br />

Die mittelalterliche Burg prägt das<br />

Stadtbild, die dicken Stadtmauern<br />

stehen noch, sie markieren die Grenze<br />

zwischen Stadt und Land. Außerhalb<br />

der Stadtgrenze ist noch viel<br />

freie Fläche. Das ist die Voraussetzung<br />

dafür, dass die Funktion einer<br />

Festungsstadt bewahrt bleibt. Doch<br />

ausgerechnet hier, in der so altertümlich<br />

scheinenden Stadt wird dann am<br />

7. Dezember 1835 die erste Eisenbahn<br />

in Deutschland fahren. Unter dem<br />

Beifall des staunenden Publikums<br />

hat der Fortschritt Nürnberg erreicht<br />

und wird nach und nach Einzug in<br />

andere Städte und Regionen halten.<br />

Die Mauern haben ihre Bedeutung<br />

als Bewahrer des Alten verloren. Die<br />

ehemalige Reichsstadt, die über Jahrhunderte<br />

von Patrizierfamilien re-<br />

giert wurde, ist 1806 zu einer Stadt<br />

des Königreichs Bayern geworden.<br />

Das Bündnis der Wittelsbacher mit<br />

Napoleon hatte einen neuen Staat<br />

entstehen lassen, dessen Gesetze nun<br />

auch für die Bürger<br />

der fränkischen Metropole<br />

galten. Doch<br />

der Weg zu einer modernen,<br />

allen Neuerungenaufgeschlossen<br />

Stadt war für die<br />

Nürnberger nicht einfach.<br />

Die französisch<br />

inspirierten Reformen<br />

in Bayern mit der revolutionärenTren-<br />

nung von Justiz, Polizei<br />

und Verwaltung<br />

hatten für das Wirtschaftsleben<br />

der Stadt<br />

nur langsam ihre positive Wirkung<br />

entfalten können. Die Folgen der<br />

napoleonischen Kriege waren zu<br />

schwerwiegend. Binnen weniger<br />

Jahre halbierten sich die Geschäftsergebnisse<br />

der traditionsreichen<br />

Nürnberger Handelshäuser um die<br />

Hälfte und die<br />

Produkte des<br />

Nürnberger<br />

Gewerbes<br />

fan den auch<br />

kaum noch<br />

Abnehmer.<br />

Weitsichtig Mathias Stinnes<br />

setzte früh auf die Antriebskraft<br />

durch Dampfmaschinen.<br />

1 PS Kutschen<br />

und Fuhr werke<br />

mussten zuerst<br />

der Eisenbahn und<br />

dann dem Automobil<br />

weichen.<br />

Die Zeit für eine Wiederbelebung der<br />

städtischen Wirtschaft war längst gekommen.<br />

Dabei konnten die Nürnberger<br />

nicht auf Hilfe von außen warten.<br />

Wie überall in den deutschen<br />

Ländern nach<br />

1815 sind es vor allem<br />

die handel- und gewerbetreibenden<br />

Bürger,<br />

die interessiert über die<br />

Stadtmauern hinausschauen<br />

und sowohl<br />

die politischen als auch<br />

die wirtschaftlichen<br />

Neuigkeiten aus ganz<br />

Europa aufmerksam<br />

verfolgen. Noch ist es<br />

die Postkutsche, die<br />

Nachrichten von Neuerungen<br />

aller Art in die<br />

Städte bringt. Briefe, Zeitungen, aber<br />

auch die mündlichen Berichte von<br />

Kaufl euten, reisenden Handwerkern,<br />

Gelehrten und Abenteurern erreichen<br />

schnell ein wissbegieriges<br />

Publikum.<br />

Auch die Nachrichten von den<br />

ersten Versuchen, die Dampfmaschine<br />

auf Räder zu stellen und ihre Kraft<br />

für die Fortbewegung zu nutzen, verbreiten<br />

sich wie ein Lauff euer. Begierig<br />

werden sie von reformfreudigen<br />

Bürgern aufgegriff en. Besonders in<br />

Franken setzt man neben den politischen<br />

Forderungen nach einer Verfassung,<br />

wirtschaftlicher Liberalisierung<br />

und der Erneuerung des<br />

Bildungswesens auf eine Verbesserung<br />

der Verkehrswege, um am nur<br />

langsam wachsenden Wohlstand teilhaben<br />

zu können. Nürnberg soll wieder<br />

zu einem Zentrum des europäischen<br />

Handels werden.<br />

Ludwigsbahn Eine Aktiengesellschaft<br />

fi nanziert die Strecke Nürnberg–Fürth.<br />

Auf die Unterstützung des bayerischen<br />

Königshauses können die Bürger<br />

Nürnbergs hier durchaus setzen.<br />

Hatte doch der König, nachdem er<br />

den Aufbau einer Versuchseisenbahn<br />

im Nymphenburger Schlosspark<br />

1825 gestattete, auch den Nürnbergern<br />

bei einem Besuch nahe<br />

gelegt, eine Eisenbahnlinie zur<br />

benachbarten Stadt Fürth zu planen.<br />

Entlang der hochfrequentierten,<br />

1804 eröff neten Chaussee zwischen<br />

beiden Städten soll die Eisenbahn gebaut<br />

werden.<br />

Inzwischen war in England der<br />

Beweis erbracht worden, dass die<br />

Eisenbahn nicht nur funktionierte,<br />

sondern auch ein ausgesprochen rentables<br />

Geschäft war. Vor allem die<br />

Nachrichten über die sowohl für den<br />

Personen- als auch für den Güterverkehr<br />

ausgelegte, gut 50 Kilometer<br />

lange Strecke zwischen Liverpool<br />

und Manchester, ließ potenzielle Investoren<br />

aufhorchen. Das Transport-<br />

aufkommen stieg, die Kosten waren<br />

weit günstiger als die der Kanalschiffer<br />

oder Landspediteure, und die<br />

Renditen auf das in Form von Aktien<br />

aufgebrachte Kapital waren enorm.<br />

Wie überall in Europa inspiriert<br />

das englische Vorbild auch die Kaufleute<br />

in Nürnberg und Fürth. Auf<br />

den bayerischen Staat als Investor<br />

wartet man nicht mehr. Der favorisiert<br />

inzwischen auch den Kanalbau.<br />

Am 14. März 1833 ist es dann so weit:<br />

Die „Gesellschaft für die Errichtung<br />

einer Eisenbahn mit Dampff ahrt zwischen<br />

Nürnberg und Fürth“ wird gegründet.<br />

Das für den Bau und Betrieb<br />

als notwendig errechnete Kapital beträgt<br />

175.000 Gulden – das entspricht<br />

heute einer Summe von etwa fünf<br />

Millionen Euro. Es soll über die<br />

Zeichnung von Aktien aufgebracht<br />

werden. Mit dieser Form der Finanzierung<br />

betreten die Nürnberger und<br />

Fürther Neuland. Erfahrungen hat<br />

man damit noch nicht, denn für den<br />

Vom englischen<br />

Vorbild inspiriert<br />

ergreift ganz<br />

Europa das<br />

Eisenbahnfieber.<br />

Bau von Eisenbahnen wurden Summen<br />

benötigt, die die Vorstellungswelt<br />

auch erfolgreicher und wagemutiger<br />

Unternehmer in den deutschen<br />

Ländern überschreiten. Der übliche<br />

Kapitalbedarf frühindustrieller Betriebe<br />

nimmt sich dagegen bescheiden<br />

aus. Er kann mittels Selbstfi nanzierung,<br />

also mit eigenem Vermögen<br />

des Unternehmers, der Familie oder<br />

eines Teilhabers gedeckt werden.<br />

Auch ein erfolgreicher Kaufmann<br />

und Unternehmer wie Mathias Stinnes,<br />

der 1843 als Erster einen mit<br />

Dampfkraft angetriebenen Kahn auf<br />

66 67


dem Rhein einsetzt, kann so seine Investition<br />

tätigen. Für Eisenbahnen<br />

aber reichten Darlehen von Freunden<br />

und Familienangehörigen bei<br />

weitem nicht aus.<br />

Unternehmerisches Wagnis<br />

Die Aktiengesellschaft hatte im Fall<br />

des Eisenbahnbaus nicht nur den<br />

Vorteil, dass das Risiko auf mehrere<br />

Schultern verteilt wurde, sondern sie<br />

war auch „Gesellschaft“. Dies in einem<br />

durchaus bürgerlichen, jedoch<br />

aus der Zeit des Vormärz heraus zu<br />

verstehenden Sinn. Von den insgesamt<br />

207 zeichnenden Aktionären<br />

der Nürnberg-Fürther-Eisenbahngesellschaft<br />

stammte der überwiegende<br />

Teil aus dem fränkischen Raum. Es<br />

investierten vor allem die wohlhabenden<br />

Kaufl eute aus der Region. Allein<br />

der Nürnberger Marktvorsteher<br />

Georg Zacharias Plattner erwarb<br />

Aktien im Wert von 11.000 Gulden.<br />

Aber auch Kleinaktionäre, mehrheitlich<br />

Gewerbetreibende, beteiligten<br />

sich an dem Vorhaben, indem sie 100<br />

Gulden aufbrachten, um eine Aktie<br />

zu erwerben. Die Aussicht auf eine<br />

gute Rendite spielte bei der Entscheidung,<br />

Teilhaber einer Aktiengesellschaft<br />

zu werden, ebenso eine Rolle<br />

wie die prinzipielle Bereitschaft, sich<br />

für ein lokales Projekt zu engagieren.<br />

Das liberale Credo der Zeit, dass sich<br />

private Interessen und öff entlicher<br />

Nutzen gut miteinander <strong>verbinden</strong><br />

ließen, schien sich gerade in der<br />

Finanzierung des Eisenbahnbaus zu<br />

beweisen. Man erwartete keine großen<br />

Gewinne, aber zumindest angemessene.<br />

Das eingesetzte Geld sollte<br />

so viel bringen, wie es die Zeichnung<br />

einer Staatsanleihe gebracht hätte.<br />

Unternehmerisches Wagnis, kaufmännisches<br />

Kalkül und die Überzeugung,<br />

den Wohlstand einer Region<br />

auf Dauer zu sichern, veranlassen die<br />

Bürger nicht nur in Nürnberg sondern<br />

auch in Leipzig, Dresden,<br />

Berlin sowie in Düsseldorf, Elberfeld,<br />

Magdeburg, Köln, München, Augsburg<br />

und Frankfurt am Main zur<br />

Gründung von Eisenbahnaktien-<br />

Begehrte Papiere Es herrscht „Eisenbahnwuth“.<br />

Kurszettel der damals an der Berliner<br />

Börse gehandelten <strong>Bahn</strong>gesellschaften.<br />

gesellschaften aufzurufen. Auf ein<br />

nationales Eisenbahnsystem, wie es<br />

Friedrich List propagiert hatte –<br />

eventuell durch die Staaten des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bundes fi nanziert – warten die<br />

Kaufl eute und unternehmerisch gesinnten<br />

Bürger der Städte nicht. Abgesehen<br />

von den Schwierigkeiten,<br />

die konkurrierenden politischen und<br />

wirtschaftlichen Interessen der insgesamt<br />

33 Einzelstaaten und vier<br />

freien Städte unter einen Hut zu<br />

bringen, war den Initiatoren des Eisenbahnbaus<br />

auch bewusst, dass von<br />

den Finanzministern der deutschen<br />

Länder nicht die Summen aufgebracht<br />

werden konnten, wie sie für<br />

den Bau von Eisenbahnstrecken benötigt<br />

wurden.<br />

Konventionelle Modelle der Finanzierung<br />

von Infrastrukturleistungen<br />

über Staatsanleihen waren<br />

nicht mehr geeignet, die für den<br />

<strong>Bahn</strong>bau erforderlichen Kapitalmengen<br />

aufzubringen. Mit der Gründung<br />

von Eisenbahnaktiengesellschaften<br />

und der Zeichnung von frei handelbaren<br />

Aktien existierte aber eine<br />

Antwort auf die bisher unbekannten<br />

Bei 20 Prozent<br />

Rendite zeichneten<br />

neben Kaufleuten<br />

und Industriellen<br />

auch kleine Leute<br />

„Actien“.<br />

fi nanziellen Herausforderungen. Aktiengesellschaften<br />

waren geeignet,<br />

einen großen Kreis von Investoren<br />

zusammenzuführen. Darunter eben<br />

nicht nur Bankiers und Kaufl eute,<br />

sondern auch weniger wohlhabende<br />

Bürger. Über die Aktiengesellschaft<br />

konnten sich so die Bürger einer<br />

Stadt an einem Investitionsvorhaben<br />

beteiligen, das individuelles Geschäft<br />

mit der Aussicht auf ein allgemeines<br />

Wirtschaftswachstum miteinander<br />

verband.<br />

Das englische Vorbild und der unternehmerische<br />

Erfolg der sechs<br />

Kilometer langen Ludwigsbahn zwischen<br />

Nürnberg und Fürth – im<br />

ersten Jahr wurde eine Dividende<br />

von 20 Prozent ausgezahlt – lösten<br />

eine regelrechte Gründungswelle<br />

von Eisenbahnaktiengesellschaften<br />

aus. Und dort, wo die Gesellschaften<br />

genehmigt wurden, konnte man sich<br />

zunächst vor Interessenten kaum retten.<br />

In Frankfurt am Main, wo man<br />

traditionell das Geschäft mit Staatsanleihen<br />

betrieb und wo viel Erfahrung<br />

mit dem Handel von Wertpapieren<br />

existierte, sprach ein 1837<br />

erschienener Bericht von einer regelrechten<br />

„Eisenbahnwuth“, einer<br />

Krankheit, die off ensichtlich ansteckend<br />

war und die sofort nach Auslegung<br />

der Zeichnungslisten den Millionär<br />

ebenso erfasste wie den<br />

Proletarier. Vor allem Eisenbahngesellschaften,<br />

deren Strecken Gewinn<br />

versprachen, also zwischen den<br />

Zentren von Handel und Gewerbe,<br />

waren schnell überzeichnet.<br />

Allerdings durfte es bei der Realisierung<br />

von Eisenbahnstrecken nicht<br />

zu Schwierigkeiten wie Verzögerungen<br />

bei der Konzessionsvergabe, dem<br />

Bau oder der Inbetriebnahme kommen.<br />

Denn dann waren die Zeichner<br />

schnell nicht mehr dazu bereit, in das<br />

Unternehmen zu investieren. Etwa<br />

bei der Münchner-Augsburger-Eisen-<br />

bahngesellschaft und der Rheinischen<br />

Eisenbahn war dies der Fall.<br />

Erfolg und Misserfolg hingen also<br />

stark mit dem Geschick der jeweiligen<br />

Unternehmensführung, ihrem<br />

fi nanziellen Rückhalt bei kapitalkräftigen<br />

Bank- und Handelshäusern<br />

sowie der regionalen Herkunft der<br />

Aktionäre zusammen. Gerade die<br />

Anfangszeit des Eisenbahnbaus zeigte,<br />

dass es vor allem die Geldgeber<br />

der jeweiligen Region waren, die wesentlich<br />

zum Erfolg eines Unternehmens<br />

beitrugen. Auswärtige Zeichner<br />

neigten dagegen eher dazu, bei<br />

den ersten Schwierigkeiten sich zurückzuziehen.<br />

Entwicklung Kapitalmarkt<br />

Immer wieder traten Finanzierungsprobleme<br />

beim Eisenbahnbau auf.<br />

Das war dann auch mit ein Grund,<br />

weshalb zum Beispiel der bayerische<br />

Staat den Eisenbahnbau unter seine<br />

Regie nahm. Auch gab es kleinere<br />

Länder wie Braunschweig oder Baden,<br />

die sich aus grundsätzlichen<br />

staatspolitischen und fi skalischen<br />

Überlegungen für den Eisenbahnbau<br />

auf Staatskosten entschieden hatten.<br />

Ganz überwiegend aber bildeten die<br />

privaten Eisenbahn-Aktiengesellschaften<br />

das Rückgrat des Eisenbahnbaus<br />

und trugen darüber hinaus maßgeblich<br />

zum Siegeszug der Unternehmensform<br />

Aktiengesellschaft in<br />

Deutschland bei. So verdankte Berlin<br />

seinen Aufstieg zu einem wichtigen<br />

Börsenplatz ganz entscheidend den<br />

Eisenbahnaktien. Wurden 1841 an<br />

der Spree gerade mal die Papiere von<br />

drei Eisenbahngesellschaften gehandelt,<br />

waren sechs Jahre später bereits<br />

30 Eisenbahnaktiengesellschaften in<br />

51 Emissionen notiert. Tatsächlich<br />

hatte der Eisenbahnbau viel dazu beigetragen,<br />

dass sich in den deutschen<br />

Ländern überhaupt erst ein Kapitalmarkt<br />

entwickelte.<br />

Nach anfänglichem Zögern tat auch<br />

die preußische Regierung das Ihrige<br />

dazu, dass genügend Geld für den<br />

Bau der Eisenbahn aufgebracht werden<br />

konnte. Denn bei aller Euphorie<br />

und „Eisenbahnwuth“ der Anfangsjahre<br />

zeigte sich doch, dass in dem<br />

überwiegend ländlich geprägten<br />

Preußen nicht jede Strecke privat zu<br />

fi nanzieren war. Renditen wie sie im<br />

industrialisierten England erzielt<br />

wurden, ließen sich eben nur dort erreichen,<br />

wo auch mit dem entsprechenden<br />

Personen- und Güteraufkommen<br />

zu rechnen war. Um<br />

konservative Investoren überhaupt<br />

für den Eisenbahnbau zu interessieren,<br />

senkte die preußische Regierung<br />

die Renditen ihrer festverzinslichen<br />

Papiere. Sowohl die Verzinsung der<br />

Staatsschuldscheine wie auch der<br />

landwirtschaftlichen Pfandbriefe und<br />

Obligationen wurden auf 3,5 Prozent<br />

herabgestuft. Hinzu kam die 1842<br />

beschlossene Zinsgarantie auf einige<br />

Aktiengesellschaften von ebenfalls<br />

3,5 Prozent. Zusätzlich wurden die<br />

Eisenbahngesellschaften von der<br />

Grund- und Gewerbesteuer befreit.<br />

All diese staatlichen Maßnahmen<br />

pumpten frisches Geld in den Markt.<br />

Für Investoren minimierte sich das<br />

Risiko; zugleich partizipierten sie an<br />

den Gewinnchancen, die bei Erfolg<br />

der Unternehmung in Aussicht standen.<br />

Kein Wunder, dass 1843 die Eisenbahnaktien,<br />

für die staatliche<br />

Zinsgarantien vorlagen, sogar zu<br />

mündelsicheren Papieren erklärt<br />

Saxonia Die erste funktionstüchtige Lok<br />

wurde 1838 in Deutschland gebaut.<br />

Geschichtsträchtig Aus dem Gründungsjahr<br />

der deutschen Eisenbahn: Aktie der Nürnberg<br />

Fürther Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft.<br />

werden konnten. Das bedeutet, sie<br />

waren für die Anlage vormundschaftlich<br />

verwalteter Gelder – zum Beispiel<br />

von Witwen und Waisen – zugelassen,<br />

was ihrer Einstufung in die<br />

höchste Bonitätsklasse gleichkam.<br />

Damit aber war unwillkürlich eine<br />

neue Spekulationswelle losgetreten.<br />

Ludolf Camphausen, selbst Bankier<br />

und Finanzier von Eisenbahngesellschaften,<br />

schrieb: „Das Eisenbahnfi<br />

eber ist stärker als jemals, es grenzt<br />

an Wahnsinn.“ So wurde etwa das im<br />

Jahr 1844 ausgeschriebene Kapital<br />

der Köln-Krefelder Eisenbahn-Gesellschaft<br />

um das Zwanzigfache überzeichnet.<br />

Diese Entwicklung veranlasste<br />

die preußische Regierung<br />

erneut einzugreifen: Nun musste<br />

jede Eröff nung von Aktienzeichnungen<br />

vom Finanzminister ausdrücklich<br />

genehmigt werden. Ziel dieser<br />

neuen Regelung war es, den Kapitalmarkt<br />

wieder stärker zu steuern und<br />

auch die Kontrolle des Zentralstaats<br />

über den Eisenbahnbau zu stärken.<br />

Eine klare wirtschaftspolitische<br />

Linie war das allerdings nicht. Für<br />

potenzielle Investoren, auf deren<br />

68 69


langfristiges Engagement die<br />

privaten Eisenbahnunternehmer<br />

angewiesen waren,<br />

änderte sich die<br />

Geschäftsgrundlage innerhalb<br />

nur weniger Jahre.<br />

Entsprechend groß war die<br />

Verunsicherung.<br />

Überhaupt stellte sich für die preußische<br />

Regierung immer mehr die<br />

Frage, ob die Finanzierung des Eisenbahnbaus<br />

nicht gänzlich als staatliche<br />

Aufgabe defi niert werden sollte.<br />

Dabei handelte es sich nicht um eine<br />

theoretische Debatte, vielmehr zeigte<br />

sich, dass das preußische Modell<br />

des Eisenbahnbaus – Planungshoheit<br />

und Verfügungsgewalt beim Staat,<br />

Finanzierung durch wohlhabenden<br />

Bürger und die Bank- und Handelshäuser<br />

– nur dann funktionierte,<br />

wenn sich die Interessen zwischen<br />

Staat und Geldgebern beziehungsweise<br />

den regionalen Meinungs- und<br />

Entscheidungsträgern deckten. Bei<br />

rentablen Strecken war dies meistens<br />

gegeben, auch wenn die preußische<br />

Bürokratie die entscheidungsfreudigen<br />

und unternehmungslustigen<br />

Wirtschaftsbürger im Westen des<br />

Landes manchmal schier in die Verzweifl<br />

ung trieb. Im Fall von klassischen<br />

Infrastrukturmaßnahmen, wie<br />

dem Bau der sogenannten Ostbahn,<br />

die Berlin mit Königsberg <strong>verbinden</strong><br />

sollte, funktionierte das Modell nicht<br />

mehr. Für die als „vaterländisch“<br />

wichtig defi nierte <strong>Bahn</strong> fanden sich<br />

trotz Zinsgarantie nicht genügend<br />

Geldgeber.<br />

Verkehrsinfrastruktur<br />

Die mehr als 500 Kilometer lange<br />

Strecke führte durch die Provinz<br />

Preußen. Sie nahm zwar die größte<br />

Fläche ein, war jedoch mit gut zwei<br />

Millionen Einwohnern nur Heimat<br />

für ein Siebtel der Gesamtbevölkerung<br />

des Königreichs. Grundbesitz,<br />

Getreide, Holz und Vieh waren die<br />

wertvollsten Güter der Provinz, ein<br />

nennenswertes Gewerbe gab es nicht.<br />

Auch wenn es in der heftig geführten<br />

Debatte um den Bau der <strong>Bahn</strong> auf<br />

70<br />

Pionierzeiten Bauarbeiten an der Süd-Nord-Strecke im Jahr 1870 nördlich von Bamberg.<br />

Staatskosten hieß, es könne nicht<br />

Aufgabe des Staates sein, „den fehlerhaften<br />

geographischen Bau der preußischen<br />

Monarchie durch eine zweifellos<br />

unrentable, große Zuschüsse<br />

erfordernde <strong>Bahn</strong> zu korrigieren“, so<br />

war man einem größeren Engagement<br />

des Staates mehrheitlich nicht<br />

abgeneigt. Vor allem in Preußen, dessen<br />

geographische Lage staatliche<br />

Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur<br />

nahe legte, gab es viele Fürsprecher<br />

einer gemeinwohlorientierten<br />

Staatseisenbahn. Dabei war es<br />

höchst strittig, worin das Gemeinwohl<br />

zu sehen sei. Denn welche Ziele<br />

und Aufgaben waren durch das Gemeinwohl<br />

begründet und vor allem:<br />

Wie sollten dann Aufwand und Ertrag<br />

verrechnet werden? Daher war<br />

es kein Wunder, dass das Bürgertum<br />

endlich Mitsprache und Kontrollrechte<br />

bei der Ausgabe von Steuergeldern<br />

verlangte.<br />

Die alte Forderung nach einer repräsentativen<br />

Verfassung wurde am<br />

Vorabend der Revolution von 1848<br />

auch über die Frage der Finanzierung<br />

des Eisenbahnbaus neu gestellt. Gerade<br />

die Auseinandersetzung im Vereinigten<br />

Landtag von 1847, bei dem<br />

es um die Finanzierung der Ostbahn<br />

ging, gilt heute mit als eine der Initialzündungen<br />

für die Revolution von<br />

1848. Die Mehrheit der ständischen<br />

Vertreter war nicht bereit, dem Antrag<br />

der Regierung auf eine Anleihe<br />

in Millionenhöhe stattzugeben, ohne<br />

dass das alte Verfassungsversprechen<br />

eingelöst wurde. Ein stilles Einvernehmen<br />

zwischen Regierung und<br />

Regierten war bei dem immer größer<br />

werdenden Gegensatz von Staat und<br />

Gesellschaft nicht mehr vorauszusetzen.<br />

David Hansemann, der Wortführer<br />

des liberalen rheinischen<br />

Nach Gründung<br />

des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Reiches werden<br />

Privatbahnen zu<br />

Staatsbahnen.<br />

Bürgertums, brachte es in seiner auch<br />

heute noch viel zitierten Rede auf<br />

den Punkt: „Bei Geldfragen hört die<br />

Gemüthlichkeit auf, da muß blos der<br />

Verstand uns leiten.“<br />

Fehlende Finanzmittel<br />

Nach der Revolution von 1848 geriet<br />

die Eisenbahnfrage wieder in den<br />

Hintergrund. Die Frage Privatbahn<br />

oder Staatsbahn, wie sie heute unter<br />

ganz anderen Vorzeichen gestellt<br />

wird, trat in den Hintergrund. Dass<br />

die Kleinstaaterei und die Ausrichtung<br />

der Privatbahnen auf profi table<br />

Strecken eine aus nationalstaatlicher<br />

Perspektive volkswirtschaftlich wenig<br />

sinnvolle Streckenführung zum<br />

Ergebnis hatte, war ärgerlich, aber<br />

nicht zu ändern. Auch die Tatsache,<br />

dass es sowohl private Aktiengesellschaften<br />

als auch Staatsbahnen gab,<br />

war nicht der geringste Anlass für<br />

ideologisch geführte Debatten um eine<br />

einzig richtige Wirtschaftsform<br />

des Eisenbahnbetriebes. Überhaupt<br />

zeigte man sich ausgesprochen pragmatisch.<br />

Der einzige in der nachrevolutionären<br />

preußischen Regierung<br />

verbliebene rheinische Liberale,<br />

August von der Heydt, sprach sich<br />

als Minister für Handel, Gewerbe<br />

und öff entliche Arbeiten für die Beibehaltung<br />

des sogenannten Mischsystems<br />

zwischen Staats- und Privatbahnen<br />

aus. Allerdings sollten<br />

zukünftig keine Konzessionen<br />

mehr an Privatbahnen vergeben<br />

und diese vielmehr Schritt<br />

für Schritt aufgekauft werden.<br />

Die rechtliche Grundlage<br />

hierfür war mit § 42 des<br />

preußischen Eisenbahngesetzes<br />

von 1838 ge geben. Der<br />

sah vor, dass Eisenbahnunternehmen<br />

nach 30 Jahren<br />

des Betriebes verstaatlicht<br />

werden konnten.<br />

In den folgenden Jahren<br />

fehlte es allerdings an den nötigen<br />

Finanzmitteln, um das Verstaatlichungsprogrammdurchzusetzen.<br />

Die Gelder fl ossen in die<br />

Ostbahn, die 1867 – nach mehr als<br />

15 Jahren Bauzeit – durchgängig zu<br />

befahren war. Erst nach Gründung<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Reiches und dank einer<br />

mittlerweile gut gefüllten Staatskasse<br />

konnten innerhalb weniger<br />

Jahre die meisten Privatbahnen aufgekauft<br />

werden. Von den 12.500 Kilometern<br />

Privatbahnstrecken waren<br />

1885 bereits 11.000 Kilometer verstaatlicht.<br />

Für den preußischen<br />

Finanzminister, dessen Vorgänger<br />

zu Beginn des Eisenbahnbaus 1835<br />

keine Möglichkeiten gesehen hatte,<br />

die enormen Summen für den Eisenbahnbau<br />

aufzubringen, war die<br />

Staatsbahn nun ein Anlass zur<br />

Freude. Denn das System Eisenbahn<br />

war konkurrenzlos und wies dementsprechend<br />

hohe Betriebsüberschüsse<br />

aus. Damit ließen<br />

sich auch unrentable, allein<br />

aus regionalpolitischen<br />

oder militärischen Gründen<br />

gebaute Strecken<br />

rechtfertigen und fi nanzieren.<br />

Für den Beginn<br />

des Eisenbahnzeit alters<br />

in Deutschland und die<br />

Verbreitung des Eisenbahnfi ebers<br />

Deutschland aber ist der Aufruf zur<br />

Gründung von Aktiengesellschaften<br />

von entscheidender Bedeutung gewesen.<br />

Die nur sechs Kilometer lange<br />

Ludwigsbahn in Nürnberg hielt die<br />

Erinnerung daran wach. Sie war inzwischen<br />

zu einer Inselbahn geworden,<br />

existierte jedoch weiter als Aktiengesellschaft,<br />

bis sie schließlich am<br />

31. Oktober 1922 für immer außer<br />

Betrieb gesetzt wurde.<br />

Stahlreifen Arbeiter<br />

transportieren einen<br />

Radreifen im Essener<br />

Bandagenwalzwerk.<br />

71


Automotive<br />

Kettenreaktion<br />

Viele Neuwagen fahren das erste Mal nicht auf der Straße, sondern in Güterzug-<br />

Spezialwaggons. Die DB <strong>AG</strong> bietet der Automobilindustrie umfassende Transport- und<br />

Logistiklösungen aus einer Hand: Supply Chain Management im Fachjargon. Bedeutet:<br />

Material- und Teileanlieferung über „Werk-zu-Werk-Verkehre“ bis hin zur Lieferung der<br />

fertigen Produkte an die Seehäfen, startklar zum Export.<br />

First Class Schauplatz Kornwestheim: Für<br />

den Export bestimmte Porsche-Wagen<br />

treten ihre erste Reise an die Nordsee mit<br />

der <strong>Deutsche</strong>n-<strong>Bahn</strong>-Tochter Railion an.<br />

Die Halle dient einzig dem Verladen der<br />

Sportwagen, produziert im Stammwerk<br />

Zuff enhausen. Gerade nimmt ein 911<br />

Turbo die Kurve zur Waggon-Einfahrt.<br />

72 73


Vorfahrt Im Schritttempo bis an die Zugspitze. Die Verladung der Sportwagen trägt deren<br />

Wert Rechnung: Vorsicht ist oberstes Gebot.<br />

Ausstieg Die Fahrzeuge stehen an ihrem Platz,<br />

sind gesichert – die Arbeit zum Start ist beendet.<br />

Exportgut Vom Seehafen Emden nach Übersee<br />

– rund 300.000 Fahrzeuge transportiert<br />

DB Logistics jährlich zum Kai des dortigen Auto-<br />

Verladeterminals. Hier werden sie auf spezielle<br />

Ro-Ro-Fährschiff e verladen.<br />

Für Porsche-Chef<br />

Wendelin<br />

Wiedeking ist die<br />

DB als europäischer<br />

Logistikpartner<br />

erste Wahl.<br />

Abfahrt Ein letzter Blick auf den Traum eines jeden Autoliebhabers, dann senkt sich das Dach des Güterwaggons ab<br />

und bietet sicheren Rundumschutz.<br />

74 75


Stelldichein In Reih und Glied, bereit zum<br />

Transport ans Fließband: Motoren für die<br />

BMW-Fertigung im Werk Leipzig.<br />

76<br />

„Just in time“ und „just in sequence“ sind die Schlagworte der<br />

Automobillogistik beim Wettlauf mit der Zeit.<br />

udi-Werk in Ingolstadt, Mittwoch früh. Kai<br />

Birnstein schaut auf die Uhr: Halb neun, und<br />

atmet auf. Der Nachtzug aus dem ungarischen<br />

Audi-Werk in Györ ist pünktlich angekommen,<br />

oder – im globalen Logistikjargon – just<br />

in time. Eine Rangierlok schiebt sechs Güterwagen in die<br />

Halle N 20. „Jetzt ist hier gleich Attacke“, kündigt Kai<br />

Birnstein an, Manager bei der Schenker Automotive<br />

RailNet GmbH. Eine mobile Rampe rollt in Stellung, ein<br />

Arbeiter entriegelt Stirn- und Seitenwände der Waggons.<br />

Zum Vorschein kommen fabrikneue Sportwagen vom<br />

Typ Audi TT, geparkt auf zwei Ebenen.<br />

Doch die schicken Bestseller bleiben nicht lange auf<br />

bayerischem Boden. Sie sind in Ungarn montiert und steigen<br />

nur um – vom Audi-Stammwerk in alle Welt. Dafür<br />

müssen sie ein paar hundert Meter selbst fahren. Aus einem<br />

Kleinbus springen Männer, schwingen sich hinter<br />

die Lenkräder der Neuwagen und fl itzen mit ihnen aus<br />

der Halle, um ein paar Kurven, da wartet schon ein anderer<br />

Güterzug nach Emden.<br />

Verlängertes Fließband<br />

Der schwarze Audi TT aus Györ, der gerade noch einmal<br />

kurz bayerischen Boden berührt, ist an seiner Rechtslenkung<br />

leicht als Exportfahrzeug in ein Land mit Linksverkehr<br />

zu erkennen. „Der Wagen geht auf den nächsten Güterzug<br />

zum Ausfuhrhafen“, erklärt Birnstein, via Emden<br />

per Frachter nach Großbritannien, Südafrika, Japan oder<br />

Australien. Hinter jedem Auto, das Audi baut, steht<br />

schon ein Käufer. Jeder neue Audi TT ist ein Einzelstück,<br />

in Farbe, Ausstattung und Motorleistung, gefertigt nach<br />

den Wünschen seines späteren Besitzers.<br />

Das Auto produziert Audi, die komplette Logistikkette<br />

dahinter knüpft DB Logistics – Europas Automobilindustrie<br />

hätte ohne die Eisenbahn ein echtes Problem.<br />

Jeden Tag halten 120 DB-Güterzüge den „Stoff wechsel“<br />

von DaimlerChrysler, Audi, BMW, VW, Porsche oder<br />

Ford aufrecht. Sie befördern Motoren und andere Fahrzeugkomponenten<br />

im Zwischenwerksverkehr durch halb<br />

Europa und liefern fertige Neuwagen in die Seehäfen oder<br />

zu den Händlern in Deutschland. Experten nennen die<br />

Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> Supply Chain Management.<br />

Sie ist damit praktisch das verlängerte Fließband der<br />

Automobilindustrie.<br />

Der hohe Wettbewerbsdruck zwingt die Hersteller,<br />

ihre Produktionsabläufe ständig zu optimieren. Motor,<br />

Getriebe, Karosserie ein und desselben Autos entstehen<br />

heute selten an einem Ort. Alle Komponenten schnell<br />

und preiswert zur Montage zusammenzutragen, haben<br />

Aufgehängt Ausgeklügelte Produktionssoftware steuert zuverlässig<br />

und zeitgenau die Bereitstellung zur Montage.<br />

Ausgepackt Spezielle Teileträger erleichtern das Zwischenlagern und<br />

garantieren bruchsicheren Transport.<br />

die Logistiker von Schenker zu hoher Meisterschaft entwickelt,<br />

auch über Grenzen hinweg. Wenn deutsche Hersteller<br />

neue Werke im Ausland bauen, fährt die Güterbahn<br />

Railion hin: für Audi nach Györ in Ungarn, für<br />

VW nach Bratislava in der Slowakei, für Opel nach<br />

Zaragoza in Spanien.<br />

Noch vor zehn Jahren hätten weder Audi noch ein anderer<br />

Hersteller es für möglich gehalten, zu welchen Leistungen<br />

Railion imstande ist. Ganzzüge zwischen den einzelnen<br />

Werken der Konzerne sind nicht nur umweltverträglicher<br />

als Lkw-Transporte, sondern heute auch so<br />

77


Für den Automobilzulieferer Visteon steuert die <strong>Bahn</strong>-Tochter<br />

Schenker die europaweite Beschaffungs- und Distributionslogistik.<br />

schnell und wirtschaftlich wie nie. „Gerade auf langen<br />

Strecken ist die Schiene unschlagbar“, sagt Railion-Chef<br />

Klaus Kremper.<br />

Kein Wunder, dass auch aus den Chefetagen der Automobilindustrie<br />

deutliche Signale kommen: „Wir setzen<br />

auf die Schiene, weil uns die Straße am Herzen liegt. Die<br />

<strong>Bahn</strong> als starker europäischer Logistikpartner ist dabei<br />

für uns die erste Wahl“, sagte Porsche-Lenker Wendelin<br />

Wiedeking, als er von DB-Chef Hartmut Mehdorn<br />

eine silbergraue Güterzuglok mit der Silhouette eines<br />

Porsche 911 übernahm.<br />

Der DB-Konzern bietet mit vier Spezialtöchtern einen<br />

Rundum-Service für die Automobilindustrie. In jedem<br />

zweiten Neuwagen steckt – unsichtbar, doch unverzichtbar<br />

– Logistik „made by <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>“. Um den hohen<br />

Ansprüchen der Automobilindustrie an ihre Logistik gerecht<br />

zu werden, muss die DB allerdings mehr <strong>bewegen</strong><br />

als fertige Neuwagen in langen Güterzügen.<br />

Flughafen Hahn im Hunsrück, Donnerstag nachmittag.<br />

Regen peitscht über das Rollfeld. Gerade wird eine<br />

riesige Frachtmaschine der Aerofl ot beladen, die abends<br />

nach Moskau rausgehen soll. Was Schenker im Auftrag<br />

von Porsche im Bauch der Maschine zu verstauen hat, ist<br />

zwar überschaubar, aber dafür nicht minder eilig: Ein neuer<br />

Cayenne-Motor und dazu ein eher handliches Päckchen,<br />

das einen rechten Frontscheinwerfer für einen<br />

Porsche Cayman enthält.<br />

Auf den Scheinwerfer wartet ein Porschefahrer ungeduldig<br />

5.000 Kilometer weiter östlich. Keine 36 Stunden<br />

Zugriff Weltweiter Service im Dienste des Kunden – dieses Porsche-<br />

Ersatzteil begibt sich auf den Weg nach Nowosibirsk.<br />

sind seit seinem Unfall auf schneeglatten Straßen bei<br />

Nowosibirsk vergangen. Eine Expressfracht mit doppelter<br />

Luftbrücke. Ein Fall für Schenker und sein weltweites<br />

Logistiknetzwerk. „Wir haben uns Porsche gegenüber<br />

verpfl ichtet, dass Ersatzteile spätestens 48 Stunden nach<br />

Abholung im Lager Ludwigsburg verzollt in unserem<br />

Moskauer Lager vorrätig sind“, sagt Richard Hartmann,<br />

Chef von Schenker Russija. „Schnelle Autos brauchen<br />

eine schnelle Logistik, und dafür sorgen wir.“<br />

Maßgeschneiderte Lösungen<br />

Ein Wettlauf gegen die Zeit, jedes Mal. Der Kurierfahrer<br />

aus Ludwigsburg ist auf dem Weg nach Hahn mit knapper<br />

Not den Staus rund um Mannheim entronnen, sodass<br />

der Scheinwerfer in Hahn die gebuchte Frachtmaschine<br />

noch rechtzeitig erreicht. In Moskau-Sheremetyevo gelandet,<br />

kümmern sich Schenker-Mitarbeiter um die schnellstmögliche<br />

Erledigung der Zollformalitäten, dann eiligst<br />

weiter per Pkw zum Inlandsfl ughafen Domodedovo und<br />

auf die nächst erreichbare Maschine nach Nowosibirsk.<br />

Genau drei Tage und vier Stunden nach dem Unfall triff t<br />

das sehnlichst erwartete Ersatzteil für den Porsche<br />

Cayman in der sibirischen Porsche-Werkstatt ein. Ende<br />

einer ausgeklügelten Kettenreaktion.<br />

Die Schenker-Experten entwickeln für alle logistischen<br />

Herausforderungen in der Automobillogistik maßgeschneiderte<br />

Lösungen. Diese umfassende Kompetenz<br />

veranlasste im Herbst 2006 auch den weltweit tätigen<br />

Zulieferer Visteon, die <strong>Bahn</strong>-Tochter mit der europaweiten<br />

Beschaff ungslogistik, Distribution und Lagerhaltung<br />

zu beauftragen. Von Köln aus steuert Schenker für<br />

Visteon die Teileverpackung, Kommissionierung und<br />

den Versand über die fi rmeneigenen Land-, Luft- und<br />

Seeverkehre. Mit dem neuen IT-gestützten Schenker-<br />

Konzept bringt der Autozulieferer Ersatzteile wesentlich<br />

schneller an seine Kunden als bisher.<br />

Was immer in den komplexen Produktionsabläufen<br />

der Automobilindustrie zur rechten Zeit am rechten Platz<br />

sein muss, Schenker schaff t es schnell, wirtschaftlich und<br />

zuverlässig herbei. Im neuen BMW-Werk in Leipzig liefert<br />

Schenker die „Zutaten“ für die 3er-Reihe sogar direkt<br />

bis ans Band: vom Außenspiegel über Türgriff e bis hin zu<br />

Handbüchern in verschiedenen Sprachen. Sequenzierung<br />

nennen Logistikexperten diese Bereitstellung von Teilen<br />

in der Produktionsreihenfolge.<br />

Györ in Ungarn, Audi-Werk, Freitag vormittag. Auch<br />

ein Gabelstapler kann zärtlich sein. Ganz sachte fi xiert er<br />

seine Ladung, gleitet an den Güterwagen und hebt die beiden<br />

Schätzchen ein paar Zentimeter hoch. Rollt wieder<br />

Werksverkehr Alltag in Wolfsburg: Zug um Zug verlassen Autotransporte das VW-Stammwerk und gehen auf die Strecke.<br />

zurück und setzt seine Fracht so vorsichtig auf dem<br />

Boden ab, als jonglierte er mit rohen Eiern. Was der<br />

Gabelstapler da entladen hat, könnten zwei überdimensionale<br />

Geschenke sein.<br />

Lajos Orosz hebt die weiße Verpackung vorsichtig<br />

hoch und kann sich gerade noch beherrschen, das schimmernde<br />

Blech darunter zu streicheln,<br />

das darf erst der Kunde. „Ein schönes<br />

Auto!“, schwärmt der 30-jährige Ungar.<br />

Genau genommen ist es aber<br />

noch gar kein Auto, sondern ein ungeborener<br />

Audi TT. Die funkelnagelneue<br />

Karosserie des Roadsters ist<br />

über Nacht mit dem Güterzug aus Ingolstadt<br />

angekommen.<br />

Im Audi-Stammwerk ist das schö-<br />

ne Kleid geschneidert worden, in<br />

Györ kurz hinter der österreichischen<br />

Grenze bauen ungarische Audi-Arbeiter<br />

den Sportwagen-Bestseller zusammen. Lajos Orosz ist<br />

dafür verantwortlich, dass ihnen die Arbeit nie ausgeht.<br />

„Wir haben Karosserien für genau eine Schicht auf Lager“,<br />

sagt der Logistikchef von Audi Hungaria. „Wenn<br />

der Nachschub stockt, stehen unsere Bänder still.“<br />

Der Alptraum für jede Autofabrik, den kennt auch Kai<br />

Birnstein. „Über jedem Transport schwebt der kategori-<br />

Balanceakt Wer Gabelstapler fährt, braucht<br />

Fingerspitzengefühl und stets guten Überblick.<br />

sche Imperativ ‚just in time!‘.“ Große Vorräte hält heute<br />

aus Kostengründen kein Autohersteller mehr im Lager<br />

vor, stattdessen müssen sich die Werke auf Transporte<br />

verlassen, die mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks<br />

ablaufen. Die Güterbahn Railion bildet dabei mit ihrem<br />

Zwischenwerksverkehr die Nabelschnur der Automobilindustrie.<br />

Bis zu 19 Ganzzüge fahren wöchentlich<br />

für Audi von Ingolstadt<br />

nach Györ und zurück. Der ungarische<br />

Standort ist der größte Motorenhersteller<br />

innerhalb des Volkswagenkonzerns.<br />

Darum setzt Schenker hier<br />

Spezialwagen ein, die sowohl Motoren<br />

transportieren können als auch<br />

fertige Neuwagen auf zwei Ladeebe-<br />

nen. Bis zu 200 fertige Audi TT liefert<br />

ein Zug über Nacht von Ungarn<br />

nach Bayern.<br />

Für die 630 Kilometer lange Strecke entlang der Donau<br />

darf er höchstens zwölf Stunden brauchen, dazu hat der<br />

Hersteller die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> verpfl ichtet. „Das ist für<br />

den Schienenverkehr über zwei Grenzen hinweg außerordentlich<br />

schnell“, erklärt Birnstein und betont: „Im<br />

Schienengüterverkehr ist die Automobillogistik unser<br />

absolutes Premium-Produkt.“<br />

78 79


Routenplaner Immer das richtige Teil zur richtigen Zeit am richtigen Platz – SAP R/3 Software weist via Gabelstapler-Display den Weg. Lagerwirtschaft Täglich treff en im Schenker-Produktionsversorgungszentrum 130 Lkw-Fuhren für den Bau von 700 VW-Transportern ein.<br />

Logistik<br />

Netzwerkzeuge<br />

Für Volkswagen Nutzfahrzeuge steuert die DB-Tochter Schenker den Materialfluss im<br />

Takt der Montage des T 5 Multivan. Hochflexible IT-Systeme assistieren, darunter auch die<br />

neueste Errungenschaft moderner Lagerbewirtschaftung – das System „Pick by voice“.<br />

elefoniert Herr Abels etwa während<br />

der Arbeitszeit mit seiner<br />

Frau? Er greift Außenspiegel<br />

aus den Regalen in gleichbleibendem<br />

Takt, immer nur einen, und legt ihn<br />

in ein Gestell am Ende des Gangs.<br />

Zwischendurch spricht er in sein<br />

Headset. Aber worum geht es? Das<br />

Abendessen kann es nicht sein; Rezepte<br />

bestehen nun mal nicht aus Ziffernkombinationen.<br />

Es sei denn, er<br />

hat mit seiner Frau einen Geheimcode<br />

vereinbart. „Dreiundfünfzigneunzehn“<br />

steht für Grünkohl mit<br />

Pinkel oder Sülze mit Bratkartoff eln.<br />

Die Stimme am „anderen Ende“ ist<br />

tatsächlich weiblich, aber Frau Abels<br />

gehört sie nicht. Die Lady ist auch<br />

nicht aus Fleisch und Blut, sondern<br />

in wesentlichen Bestandteilen aus<br />

Silicium. Sie steuert Abels’ Weg zwischen<br />

den Regalen des Produktionsversorgungszentrums<br />

von Schenker<br />

in Hannover-Stöcken. 400 Meter<br />

weiter, im benachbarten Nutzfahrzeugwerk<br />

von Volkswagen, fordert<br />

der Pulsschlag der Produktion von<br />

Thorsten Abels alle zweieinhalb Minuten<br />

Außenspiegel für den Transporter<br />

T5 an, der hier vom Band läuft.<br />

Aber nicht nur so, dass immer ein<br />

ausreichend großer Haufen vor den<br />

VW-Arbeitern am Montageband<br />

liegt, sondern „just in sequence“<br />

(JIS), also genau in der Reihenfolge<br />

der Produktion – so wie die Spiegel<br />

am Band in die Fahrzeuge eingebaut<br />

werden.<br />

Die digitale Stimme aus dem Headset<br />

hilft Abels dabei. Für jeden Außenspiegel<br />

schickt ihm die Fabrik per<br />

Datenleitung, verschlüsselt als Textdatei,<br />

eine detaillierte Anforderung<br />

an einen kleinen mobilen Computer.<br />

Den trägt er am Hosenbund. Außen-<br />

spiegel in schwarz oder rot, grau oder<br />

grün, beheizbar oder nicht, elektrisch<br />

oder manuell verstellbar. Der Computer,<br />

software-gesteuert über SAP-<br />

Logistikmodule, übersetzt den Text<br />

in Sprache. Seit seinem Eintreff en im<br />

Wareneingang hat SAP den Weg des<br />

jeweils benötigten Außenspiegels<br />

verfolgt. Das System weiß sofort, wo<br />

der Spiegel eingelagert wurde und<br />

sagt Abels exakt, an welchem Regalplatz<br />

er das betreff ende Teil herausnehmen<br />

muss. In diesem Fall lautet<br />

die Order eben „dreiundfünfzigneunzehn“.<br />

Fast noch wichtiger als die Fundstelle<br />

des Außenspiegels im Regal ist<br />

der korrekte Ablageort im JIS-Gestell<br />

für die Fabrik. Jedes Fach im Gestell<br />

steht stellvertretend für ein genau<br />

defi niertes Auto in der Produktion.<br />

Würde Abels einen Spiegel aus Versehen<br />

ins falsche Fach einsortieren,<br />

könnte das die Abläufe im Werk<br />

erheblich durcheinander bringen.<br />

Schließlich gibt es beim T5 fast 400<br />

verschiedene Außenspiegel-Varian-<br />

Voller Ideen Jürgen Buch, Leiter des PVZ:<br />

„Wer Visionen hat, muss sie auch umsetzen.“<br />

ten. Da ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass trotz eines Fehlers beim Einsortieren<br />

der richtige Außenspiegel ans<br />

Band geliefert wird, äußerst gering.<br />

Die digitale Lady lässt solche Fehler<br />

nicht zu. Sie weiß, welcher Spiegel<br />

in welches Fach im JIS-Gestell gehört.<br />

Und damit jeglicher Irrtum ausgeschlossen<br />

ist, muss Thorsten Abels<br />

die Nummer des Fachs jedes Mal<br />

mündlich ins Headset-Mikro bestätigen.<br />

Dadurch wird der Spiegel mit<br />

dem Fahrzeug am Band sozusagen<br />

„verheiratet“. SAP gibt das JIS-Gestell<br />

erst dann für die Produktion frei,<br />

wenn nachgewiesen ist, dass alle Teile<br />

in der richtigen Reihenfolge im<br />

Gestell abgelegt sind.<br />

Die Herausforderung für seine<br />

Mannschaft zu umreißen, fällt<br />

dem obersten Aufseher über das<br />

Schenker-Produktionsversorgungszentrum<br />

(PVZ) nicht schwer. „Was<br />

in 130 Lkw-Fuhren täglich hier ankommt,<br />

muss planmäßig und sekundengenau<br />

in 700 VW-Transportern<br />

verbaut werden – und zwar ohne dass<br />

es in der Fabrik zu Produktionsunterbrechungen<br />

kommt“, erklärt<br />

Jürgen Buch, der in jungen Jahren<br />

selbst noch Sackkarren geschoben<br />

hat und heute die Geschäfte bei<br />

Schenker in Hannover führt.<br />

80 81


Dort betreibt die DB-Tochter für<br />

Volkswagen seit vier Jahren das PVZ,<br />

eines der modernsten Logistikzentren<br />

Europas. Buchs Baby, könnte<br />

man sagen, ohne zu übertreiben.<br />

Eine unsichtbare Hand scheint Ordnung<br />

in das scheinbar chaotische<br />

Gewusel der unablässig hupenden<br />

Stapler und Elektrokarren zu bringen.<br />

Was die Lieferanten aus ganz<br />

Europa heranschaff en, 2.000 verschiedene<br />

Modulteile und ungezählte<br />

Einzelteile bis zur Sechskantschraube,<br />

müssen vom Laster ins<br />

Lager und vom Lager per Elektrowagen<br />

über eine 360 Meter lange<br />

Brücke in die Fabrik, exakt im Takt<br />

der Montage, zeitgenau, sequenzgenau:<br />

immer das richtige Teil zur richtigen<br />

Zeit am richtigen Platz. Und sei<br />

es so etwas scheinbar Banales wie die<br />

Bedienungsanleitung fürs Radio, die<br />

natürlich in Englisch im Handschuhfach<br />

liegen muss, wenn das Fahrzeug<br />

für den britischen Markt gebaut wird<br />

– und nicht in Schwedisch, Litauisch<br />

oder Kroatisch.<br />

Irrtum nahezu ausgeschlossen<br />

Schon kleinste Fehler bei der Belieferung<br />

der Montage können sich rächen.<br />

„Die VW-Mitarbeiter in der<br />

Produktion müssen sich darauf verlassen<br />

können, dass wir die Teile in<br />

der richtigen Reihenfolge in die Gestellwagen<br />

gelegt haben“, erklärt<br />

Jürgen Buch, während Thorsten<br />

Abels den nächsten Außenspiegel<br />

aus dem Regal nimmt, „die Mitarbeiter<br />

an den Montagelinien greifen automatisch<br />

immer in das nächste Fach.<br />

Wenn sie für ein Auto graue Türverkleidungen<br />

brauchen, und wir liefern<br />

schwarze, kann das Fahrzeug nicht<br />

termingerecht ausgeliefert werden.“<br />

Damit das nicht passiert, wird<br />

nichts dem Zufall und wenig dem<br />

<strong>Menschen</strong> überlassen. Über zentrale<br />

Rechner sind das PVZ und die benachbarte<br />

Fabrik miteinander vernetzt;<br />

intelligente und hochfl exible<br />

IT-Lösungen sichern den Materialfl<br />

uss im Takt der Montage. Sie steuern<br />

den Dialog zwischen Lieferanten,<br />

Schenker und Volkswagen, bilden<br />

das Rückgrat des 40-Millionen-Euro-<br />

Investments.<br />

Schon lange bevor die Lkw-Fahrer<br />

sich am kleinen Fenster des Wareneingangs<br />

anmelden, ist ihre Ladung<br />

per EDV registriert. „Unsere Mitarbeiter<br />

wissen genau, welche Trucks<br />

mit welcher Ladung zu uns unterwegs<br />

sind“, erklärt Kor Straat, IT-Leiter<br />

des PVZ. „Das haben die Lieferanten<br />

per Datenleitung angemeldet.“<br />

Er zeigt auf einen der Monitore im<br />

Wareneingang. Dort hat SAP für eine<br />

erwartete Lieferung schon einen<br />

Transportauftrag angelegt, eine digitale<br />

Registerkarte mit den wichtigsten<br />

Daten. „Das hier ist zum Beispiel<br />

eine Anlieferung von Stankiewicz<br />

aus Hamburg, einem unserer Modullieferanten“,<br />

sagt Straat. „Der Lkw ist<br />

noch unterwegs, das sehen Sie hier.<br />

Und wir wissen auch schon, dass die<br />

Fracht aus Bodenbelägen besteht.<br />

Hier stehen die Teilenummern.“<br />

Sobald ein Teil, beispielsweise ein<br />

„Außenspiegel rechts Standard“,<br />

vom Truck entladen und gescannt<br />

wurde, erstellt SAP dafür automatisch<br />

einen Transportauftrag. Von<br />

nun an lässt sich der Weg des Spiegels<br />

exakt nachverfolgen, durch die<br />

Hallen, Container und Gestelle, von<br />

Stapler zu Stapler, von Hand zu<br />

Hand. SAP weist dem Spiegel seinen<br />

Platz im Lager zu – und der erscheint<br />

auf dem Funkterminal des Staplerfahrers,<br />

sobald er mit seinem Handfunkscanner<br />

den Spiegel einscannt.<br />

59-06-1 – schon weiß der Staplerfahrer,<br />

wohin mit dem Spiegel. Wählt er<br />

versehentlich den falschen Behälter,<br />

sieht er sofort eine Fehlermeldung<br />

auf seinem kleinen Monitor. Das System<br />

korrigiert nahezu alle Irrtümer.<br />

Den weiteren Weg des Außenspiegels<br />

vom Lagerbehälter in die Fabrik<br />

bereitet seit neuestem Pick by voice,<br />

die digitale Lady. „Die Geschäftsstelle<br />

Hannover ist bei Schenker der erste<br />

Standort, der dieses System einsetzt“,<br />

sagt Jürgen Buch nicht ohne<br />

Stolz. Wieder ist er mit seinem PVZ<br />

einen Schritt voraus. Im September<br />

vergangenen Jahres liefen die ersten<br />

Digitale Lady Im sogenannten Pick-by-<br />

Voice-Verfahren werden alle Handgriff e des<br />

Mitarbeiters akustisch gesteuert.<br />

Barcode Ganz ohne Papier geht es nicht. Eine<br />

scannerlesbare Identifi zierung für alle Teile<br />

schaff t weitere Sicherheit im nahtlosen Ablauf.<br />

Tests an. Schnell lernten die Schenker-Mitarbeiter<br />

im Lager den Praxisvorteil<br />

der papier- und beleglosen<br />

Kommissionierung gegenüber dem<br />

bewährten Duett aus Barcode und<br />

Scanner zu schätzen. „Man hat die<br />

ganze Zeit beide Hände frei zum Grei-<br />

Angeschossen Lagerarbeiter sind keine Pistoleros, der Gebrauch sogenannter Scannerpistolen gehört allerdings zu ihrem Alltagsgeschäft.<br />

fen“, erklärt IT-Leiter Kor Straat,<br />

„beim Scanner ist eine Hand immer<br />

mit dem Gerät beschäftigt.“ Zudem<br />

sind Sprachanweisungen eindeutiger<br />

als eine Ziff ernkombination auf dem<br />

winzigen Scanner-Display. Jürgen<br />

Buch plant, seine Mannschaft im<br />

Lager nach und nach komplett mit<br />

Pick by voice auszustatten.<br />

Strategischer Vorteil<br />

Am meisten freuen sich vermutlich<br />

jene Schenker-Lageristen auf Pick by<br />

voice, die im hinteren Teil der Halle<br />

die Bodenbeläge für den T5 hin- und<br />

herwuchten. Zwei Meter achtzig lang<br />

sind die Gummimatten und fast<br />

20 Kilo schwer. Mit Headset statt<br />

Handfunkscanner fi ele die schweißtreibende<br />

Arbeit leichter; zumindest<br />

könnten die Männer immer mit beiden<br />

Händen zupacken.<br />

Schon heute ist Schenker hier<br />

nicht lediglich Logistikdienstleister,<br />

sondern übernimmt für Volkswagen<br />

die Vormontage der Beläge. Je nach<br />

Anordnung der Sitze im Auto – beim<br />

T5 existieren allein 16 Varianten –<br />

müssen an entsprechenden Stellen<br />

Löcher in die Bodenbeläge gestanzt<br />

werden. Die Lieferanforderung aus<br />

der Fabrik enthält zusätzlich zur<br />

Artikelnummer jeweils auch einen<br />

Code für die Stanzung. Der wird<br />

gescannt – und die Maschine stanzt<br />

die Löcher millimetergenau in den<br />

Bodenbelag.<br />

Wer in Zukunft weiter im Logistikgeschäft<br />

mit den großen Autoherstellern<br />

nennenswert mitmischen will,<br />

muss solche Prozesse zuverlässig beherrschen,<br />

weiß Jürgen Buch. Mit<br />

der SAP-Lösung im PVZ hat sich<br />

Schenker einen strategischen Vorteil<br />

verschaff t. Praktisch jederzeit können<br />

weitere Vormontagen in die modulare<br />

Systemlandschaft eingepasst<br />

werden; das System atmet nach<br />

Bedarf. „Die Autohersteller werden<br />

die Anforderungen an die Logistik<br />

weiter nach oben schrauben“, prognostiziert<br />

Jürgen Buch, „aber wenn<br />

ich sehe, was wir hier heute schon<br />

täglich bewerkstelligen, mache ich<br />

mir um die Zukunft keine Sorgen.<br />

Wir sind gerüstet.“<br />

In Hannover wird nichts dem Zufall überlassen, denn selbst<br />

der kleinste Fehler stoppt gleich die gesamte Produktion.<br />

82 83


Transport<br />

Containerkult<br />

Eine simple Blechkiste hat den kompletten Welthandel in einem halben Jahrhundert<br />

revolutioniert. Heute prägen Container alle Transportsysteme – die Schifffahrt<br />

ebenso wie den Schienengüterverkehr. Die Maße der Globalisierung sind: 20 Fuß lang,<br />

acht Fuß breit und acht Fuß hoch. Eben eine TEU – Twenty Foot Equivalent Unit.<br />

Steilwand Wie Gebirge stapeln<br />

sich Container an Bord immer<br />

größerer Mega-Carrier.<br />

Bei diesen Dimensionen<br />

wird der Mensch zum Zwerg.<br />

84 85


a ziehen sie hin. Die Elbe hinab, dem Meer entgegen,<br />

in immerwährender Prozession. Schiff skolosse<br />

aus Stahl, bepackt mit Abertausenden<br />

kunterbunter Kisten. Brückenhoch türmt<br />

sich Ladung im zufallsgenerierten Patchwork-<br />

Muster rechnergesteuerter Stau-Listen. Orange konkurriert<br />

mit grün, rot überstrahlt blau, rostbraun misst sich<br />

mit grau. Selbst an Nebeltagen sind das Bilder zum<br />

Kinderstaunen. Momentaufnahmen unserer Tage und<br />

müßig ist fast die Frage: Gab es je eine Zeit davor? Eine<br />

ohne Container?<br />

Im Büro von Hans Gerd Lawrenz, 59, hängt die Vergangenheit<br />

noch an der Wand. Ein Schwarz-Weiß-Abzug,<br />

groß fast wie eine Fototapete. Darauf Hamburgs Hafen zu<br />

Beginn des vorigen Jahrhunderts. Mit Großseglern,<br />

Frachtern, mit Schleppern und Barkassen unter Dampf,<br />

mit Kohlenschuten und einer Unmenge von Stauern und<br />

Packern an den Kaianlagen. Auch Lawrenz erinnert sich<br />

noch gut an eine Zeit ohne Container. Im Gedächnis<br />

geblieben ist ihm vor allem „der Geruch von Holz und<br />

Sägespänen“.<br />

Er sah gern den Zimmerleuten bei ihrer Arbeit zu. Wie<br />

sie Kisten für sperriges Stückgut zu zig Tausenden bauten,<br />

noch ohne jede Ahnung von ihrer Vergänglichkeit.<br />

Ein Mann von gestern ist der Leiter des DB Cargo-Zentrums<br />

Hamburger Hafen mit Dienstsitz Dispositionszentrale<br />

Waltershof deshalb nicht, nur einer mit<br />

Geschichtsbewusstsein. Zeitzeuge außerdem, denn „wie<br />

eines Tages die Blechkisten auftauchten“, daran erinnert<br />

sich Lawrenz noch ganz genau. Es war Ende der sechziger<br />

Jahre, und irgendwie begann alles ganz harmlos. „Die<br />

ersten Exemplare landeten vereinzelt an. Sie waren mehr<br />

Ladungsbeigabe, und wir dachten: Das setzt sich nie<br />

durch. Aber es hat nicht lange gedauert, da saßen wir<br />

selbst in einer provisorisch hergerichteten Blechkiste und<br />

steuerten von dort aus die ersten Containerverkehre.“<br />

Diener vieler Zwecke<br />

Die Kiste, in Amerika nur „The Box“ geheißen, ist Kult.<br />

Keine Frage. Da steht sie, ein wenig verbeult, in kleiner<br />

ISO-Standardausführung. Nicht schön, eher schlicht.<br />

Rechteckig, praktisch mit allem zu befüllen und nahezu<br />

überall einsetzbar. Zwar ohne Räder, ohne Motor, auch<br />

ohne Flügel, aber gerade deshalb unterschiedslos Diener<br />

zugleich vieler Zwecke. Stapelbar und zu verwenden auf<br />

See- und Binnenschiff en, auf Lastkraftwagen und natürlich<br />

für den Transport mit der Eisenbahn.<br />

Eine Twenty Foot Equivalent Unit oder besser und abgekürzt<br />

1 TEU. 20 Fuß lang, acht Fuß breit, acht Fuß<br />

86<br />

hoch. Das sind zwar glatte Zahlen, aber man lasse sich<br />

nicht täuschen. Im europäischen Metermaß liest sich das<br />

ganz anders, nämlich so: 6,058 Meter Länge bei 2,438 Meter<br />

Höhe und Breite.<br />

„Eigentlich kein Problem“, sagt Lawrenz, „wäre da<br />

nicht die Euro-Palette mit dem Standardmaß 1,20 x 80<br />

Zentimeter.“ Sie lässt sich bei tatsächlicher Innenabmessung<br />

von 2,33 Metern leider nur mit Platzverlust stauen.<br />

Eine Palette längs und eine quer. Ärgerlich, aber trotz erbitterten<br />

Ringens am internationalen Normen-Verhandlungstisch<br />

war mit den US-Boys darüber nicht mehr zu<br />

reden. TEU – das ist ein uramerikanisches Prinzip.<br />

„Man wird sehen“, prophezeit anno 1956 Malcolm<br />

Purcell McLean, der visionäre Wegbegleiter des Containers,<br />

„diese Kiste und ihr Einsatz zu Lande und zu Wasser<br />

wird die Welt verändern: ihre Häfen und Schiff e. Kräne,<br />

Züge, Lastwagen. Das Geschäft der Reeder und Transporteure,<br />

den Alltag und die Gewerbe der Arbeiter. Eben<br />

alles, einfach alles.“<br />

Stets hat die Menschheit ihre Pioniere gehabt: Dieser<br />

McLean war so einer. Ihm zur Seite stand allerdings Keith<br />

Tantlinger, ein hochbegabter Konstrukteur. Fürwahr ein<br />

ungleiches Paar die beiden. Auf der einen Seite Multimillionär<br />

und Transport-Tycoon McLean, damals schon Eigner<br />

einer der größten amerikanischen Speditionen mit<br />

über 600 Trucks. Und daneben Tüftler Tantlinger.<br />

Er, der Ingenieur, hat schon Anfang der 50er Jahre genau<br />

das, was McLean sucht: ein auf Lastwagen wie auf<br />

Schiff en leicht umschlagbares Gefäß für den Gütertransport.<br />

Denn nach seinen Plänen baut man seit 1949 die<br />

Vorläufermodelle heutiger Container: 30 Fuß lange, stapelbare<br />

Aluminiumkästen, die auf Lastwagen-Trailer und<br />

Lastkähne passen, benutzt zwischen Seattle und Alaska.<br />

Fernsicht Ein Disponent des DB Cargo-<br />

Zentrums Hafen Hamburg verfolgt mit<br />

einem Feldstecher das Geschehen auf den<br />

Gleisanlagen der Hafenbahn in Waltershof<br />

und den Verlade-Terminals.<br />

McLean hört von dem Einsatz und fortan ist der Ingenieur<br />

sein Mann. Gemeinsam inszenieren beide, was als<br />

Geburtsstunde des modernen Container-Linienverkehrs<br />

gilt – die Fahrt des umgebauten Tankschiff s Ideal-X entlang<br />

der US-Ostküste unter Flagge der von McLean<br />

erworbenen Pan-Atlantic Steamshiping Corporation.<br />

Man schreibt den 26. April 1956, als im Hafen von<br />

Newark (New Jersey) 58 von Tantlinger entwickelte<br />

33-Fuß-Boxen auf die betagte Ideal-X gehievt werden.<br />

Fünf Tage später erwarten 58 Lastwagen das Schiff im<br />

Hafen von Houston. Sie übernehmen die Ladung und machen<br />

sich an die Güterverteilung. Unspektakulär und<br />

dennoch – Startsignal für einen unwiderstehlichen<br />

Siegeszug. „Ich habe keine Schiff e, sondern seetüchtige<br />

„Der Container veränderte Schiffe und Häfen, das Geschäft der<br />

Reeder und Transporteure wie auch die Gewerbe der Arbeiter.“<br />

87


Spitzenposition Einfahrt und Fertigmachen zur Beladung. Jeder fünfte Container, der in Hamburg ankommt, wird mit dem Zug abgefahren.<br />

Handwerk Im Rangierdienst werden Waggons zu 700 Meter langen<br />

Zügen zusammengekuppelt.<br />

Sprechfunk Was passiert wo, wann und wie: Kommunikation ist das A<br />

und O des Betriebs.<br />

TEU beschreibt mehr als eine internationale Recheneinheit, die<br />

drei Buchstaben stehen für einen preisbrechenden Revolutionär.<br />

Lastwagen“, frohlockt McLean am Pier und überschlägt<br />

in Windeseile seine Transportkosten. Statt 5,83 Dollar<br />

per Tonne loser Seefracht wie bislang üblich, stehen diesmal<br />

nur 15,8 Cent pro Tonne zu Buche. Keine schlechte<br />

Bilanz für einen Mann, der, wie ihn Zeitgenossen beschreiben,<br />

„rastlos eine Idee nach der<br />

anderen produziert, um damit Geld<br />

und noch mehr Geld zu machen“.<br />

Was sich in der Folge entwickelt,<br />

sei im Zeitraff er erzählt und nimmt<br />

seinen Anfang ausgerechnet (oder<br />

vielleicht auch zwangsläufi g) mit<br />

Amerikas Krieg in Vietnam, dessen<br />

komplexe Transport- und Logistikherausforderungen<br />

dem Container<br />

erst zum internationalen Durch-<br />

bruch verhelfen. Wieder sieht die Geschichte<br />

McLean, diesmal mit Schiffen<br />

seiner Sea Land Services, an<br />

vorderster Front.<br />

Um die gigantischen Mengen an Materialnachschub<br />

bewältigen zu können, setzt die US-Army ab 1967 und<br />

erst nach anfänglichem Zögern auf seine mittlerweile<br />

35 Fuß großen Stahlbehälter. Was die GIs auch brauchen,<br />

es quillt alsbald aus McLeans vollgepackten Kisten, angelandet<br />

am eigens zum ersten Tiefsee-Containerhafen der<br />

Welt ausgebauten Stützpunkt Cam Ranh Bay.<br />

Fortan und über die kommenden Jahrzehnte hinweg<br />

handeln Reeder ebenso wie Werftindustrie, Hafenbetreiber<br />

und Spediteure aller Nationen nach der Maxime „viele<br />

Güter und Kisten in eine Kiste“ und mit technischem<br />

Einfallsreichtum entstehen dabei sogar immer neue Kisten.<br />

Zwar bleibt der 20-Fuß-Container als 1 TEU Recheneinheit<br />

bestehen, gebräuchlicher aber ist für Dry Cargo<br />

genanntes Stückgut längst die doppelt so große 40-Fuß-<br />

Kiste (2 TEU).<br />

Beider Aufbau folgt nach wie vor dem Urprinzip:<br />

tragende Stahlprofi lrahmen, Wände aus Aluminium oder<br />

Stahlblechen. Holzgefertigte stabile Bodenplatte auf<br />

Stahlträgern. Acht hochfeste, stahlgussgefertigte Eckbeschläge,<br />

dort Anschlagpunkte für Kran-Greifarme<br />

(spreader) und für die Twist Locks genannten Drehzapfen<br />

zur sicheren Verbindung des Containers nach oben<br />

und unten mit seinem Transportfahrzeug oder anderen<br />

Containern. So lassen sich ganze Burgen bauen.<br />

Unabhängig von der Grundstruktur gibt es noch Behältnisse<br />

mit Längenmaß 30 oder 45 Fuß, mit Höhenmaßen<br />

bis zu 9,6 Fuß (so genannte High Cubes) und dazu<br />

eine ganze Reihe von Spezialformen. Um nur die Wichtigsten<br />

zu nennen: Bulk-Container mit Einfüllluken für<br />

Zeitzeuge Hans Gerd Lawrenz, Leiter des<br />

Cargo-Zentrums Hafen Hamburg, erlebte den<br />

Beginn der Containerverkehre in den 60ern.<br />

Schüttgut. Man transportiert darin so gut wie alles: vom<br />

Düngemittel über Kieselgut bis Zucker. Plattform- und<br />

Flat-Container für Schwerlasten; Open- oder Hard-Top<br />

für sperrige Güter und Kranbeladung; Open-Side Container<br />

für Tiertransporte; Tank-Container für fast jede Art<br />

von Flüssigkeit; Kühl-Container<br />

transportieren Lebensmittel, Coil-<br />

Container Draht und Blechrollen. In<br />

Auto-Containern kreuzen bis zu vier<br />

Edelkarossen um die Welt. Andere<br />

höchst sensible Güter wie Röstkaff ee<br />

oder Klippfi sch fahren in ventilierten,<br />

in belüfteten oder gar in Isolier-<br />

Containern mit wärmedämmender<br />

Innenauskleidung aus Hartschaum.<br />

Die grob berechnete Lebensdauer<br />

solcher Kisten liegt bei zehn bis<br />

15 Jahren. Stückpreis je nach Ausführung:<br />

von 2.300 Euro für die schlichte<br />

20-Fuß-Variante über knapp 3.600<br />

Euro (40 Fuß) bis deutlich über 10.000 Euro etwa für Isoliereinheiten,<br />

die aus Edelstahl gefertigt sind.<br />

Die Zahl weltweit im Transportwesen eingesetzter<br />

Container wird mittlerweile auf rund 20 Millionen Stück<br />

geschätzt. Produziert werden sie vornehmlich nur noch<br />

im Fernen Osten, insbesondere in China und in Südkorea.<br />

Ihre Besitzer sind neben Reedereien vor allem große internationale<br />

Leasing-Gesellschaften. „The Box“ also ist<br />

mittlerweile selbst ein begehrtes Handelsgut mit ständig,<br />

je nach Stahlnotierungen und Wechselkursen schwankenden<br />

Preisen.<br />

Verfall der Frachtraten<br />

Aber zurück zu Hans Gerd Lawrenz und seinem Diktum:<br />

„Ohne Containerisierung und TEU keine Globalisierung.“<br />

Die drei Buchstaben beschreiben mehr als nur die<br />

international geläufi ge Rechen- und Währungseinheit<br />

des Transport- und Logistikgewerbes, sie beschreiben einen<br />

preisbrechenden Handelsrevolutionär.<br />

Die einst hohen Frachtraten, neben Einfuhrzöllen<br />

größtes Handelshemmnis beim Warenaustausch zwischen<br />

den Völkern, fi elen mit seinem Siegeszug von<br />

einem knapp 25-prozentigen Anteil am Produktendpreis<br />

nahezu ins Bodenlose. Heute spielen sie in der Preiskalkulation<br />

nur noch eine untergeordnete Rolle. Seitdem<br />

lässt sich alles überall und egal wo herstellen, denn es ist<br />

für wenig Geld rund um den Globus zu transportieren.<br />

Und nur so erklären sich die hinlänglich bekannten<br />

Stichworte unserer Wirtschaftswirklichkeit: angefangen<br />

88 89


Das größte Containerschiff der Welt, die Emma Maersk, ist<br />

27 Knoten schnell, knapp 400 Meter lang und trägt 11.000 TEU.<br />

vom Aufstieg der asiatischen Tigerstaaten bis hin zu<br />

China und Indien als neue Werkbänke der Welt.<br />

Dazu folgende Zahlen: Laut Statistik der United Nations<br />

Conference on Trade and Development (UNCTAD)<br />

belief sich der Frachtkostenanteil für anno 2004 weltweit<br />

verschiff te Importgüter im Gesamtwert<br />

von nahezu 9,2 Billionen Dollar<br />

lediglich auf rund 271 Milliarden Dollar.<br />

Das sind gerade mal 3,4 Prozent.<br />

Die Frachtraten in Dollar pro TEU<br />

blieben dabei annähernd gleich oder<br />

sanken sogar leicht. Sie betrugen im<br />

ersten Quartal 2006 auf der Trans<br />

Pacifi c Route zwischen Asien und<br />

den USA 1.836 Dollar (minus 2,2 Prozent)<br />

und auf der Asien–Europa-<br />

Linie 1.150 Dollar (minus 14,6 Prozent).<br />

Interessant und zugleich<br />

Indikator für die Ungleichgewichte<br />

im Güteraustausch der Nationen ist<br />

das Preis niveau jeweils in umgekehrter Richtung: Danach<br />

betrug die Frachtrate für 1 TEU von den USA nach Asien<br />

laut UNCTAD-Erhebung 700 Dollar und von Europa<br />

nach Asien 325 Dollar.<br />

Die Geschichte der Containerisierung wäre jedoch unvollständig<br />

ohne ihre Verlierer. Auch die gab es, denn<br />

„The Box“ schuf ihre eigenen Strukturen. Häfen wie<br />

Liverpool, die einst Weltgeltung hatten, gingen einfach<br />

unter und wurden abgelöst von ganz neuen, hochtechnisierten<br />

Giganten. Allen voran Hongkong und Singapur,<br />

dicht gefolgt von Schanghai, Shenzhen (China), Busan<br />

(Südkorea) oder Kaohsiung (Taiwan) und herausgefordert<br />

demnächst von solch exotischen Orten wie Dubai<br />

(Arabische Emirate), Tanjung Pelepas (Malaysia) oder<br />

Laem Chabang (Thailand).<br />

Milliardeninvestitionen<br />

Pionier Der amerikanische Unternehmer<br />

Malcolm McLean war mit seinem Frachter<br />

Ideal-X Erfi nder der Containerisierung.<br />

Auch das nach Hunderttausenden zählende Heer der<br />

Schauerleute schrumpfte dramatisch und mit ihm<br />

schwand trotz erbitterten Widerstands der Einfl uss ihrer<br />

einst allmächtigen Gewerkschaften. Selbst ehrwürdige<br />

Reedereien, seit Jahrzehnten im Geschäft, raff te es angesichts<br />

anstehender Milliardeninvestitionen in neue Schiffe<br />

und Container dahin.<br />

Die Entwicklung ging dabei von Containerschiff en der<br />

ersten Generation mit 750 TEU über Einheiten der dritten<br />

Generation (rund 3.000 TEU), die sogenannten Schiffe<br />

der Post-Panamax-Klasse – diese können wegen ihrer<br />

Größe den Panama-Kanal nicht mehr passieren – mit<br />

weit über 5.000 TEU bis hin zu den Mega-Carriern der<br />

Gegenwart. Ihr Flaggschiff ist das im Jahr 2006 fertiggestellte<br />

größte je gebaute Containerschiff der Welt: die<br />

Emma Maersk. Ein knapp 400 Meter langer, 27 Knoten<br />

schneller und 11.000 Standardcontainer (umgerechnet<br />

knapp 71 Kilometer Zuglänge) tragender<br />

Gigant der Meere.<br />

Schneller, größer, tragfähiger –<br />

das waren die Schlagworte eines<br />

unerbittlichen Verdrängungswettbewerbs.<br />

Spötter urteilten zu Boomzeiten<br />

des Schiff baus Ende des vorigen<br />

Jahrhunderts: „Im Hafen haben<br />

alle eckige Augen.“ Wer nicht mithalten<br />

konnte, schlüpfte damals unter<br />

das Dach fi nanzkräftigerer Kon-<br />

kurrenten, fusionierte oder wurde<br />

einfach aufgekauft. Herrscher der<br />

Containertonnage sind mittlerweile<br />

einige wenige milliardenschwere<br />

Konzerne: Maersk Line Group aus Dänemark, in der ausgerechnet<br />

McLeans alte Sea Land Corporation aufging.<br />

Oder die Schweizer Mediterranean Shipping Company<br />

(MSC). Evergreen (Taiwan), die CMA-CGM Group<br />

(Frankreich). China Shipping selbstredend oder Cosco.<br />

Es sind Namen, die mittlerweile fast jeder kennt, denn sie<br />

begegnen uns nicht nur auf Schiff srümpfen, sondern vor<br />

allem auf ihren bunt lackierten Containern.<br />

Kein Blechkisten-Triumphmarsch indes ohne die nahezu<br />

zeitgleiche Entwicklung von IT und Internet. Sogenanntes<br />

Electronic Data Interchange (EDI) erlaubte erst<br />

den Umgang mit solchen Massen von Transportgut. Von<br />

der Buchung bis zur Rücklieferung, von der Annahme<br />

der Ladung, ihrem Abstellen oder Stauen bis zu ihrer Auslieferung<br />

wird längst alles papierlos dokumentiert, zuweilen<br />

gar aus Sicherheitsgründen vollautomatisch geröntgt.<br />

Jedenfalls gescannt, gelistet, rechnergesteuert observiert.<br />

Computer und Container – das sind Brüder im Geiste.<br />

Erst ihr Zusammenschluss entfaltet einen Sog, der alles<br />

Hergebrachte verschlingt und nie zuvor, vielleicht den<br />

Beginn der Industrialisierung ausgenommen, hat die<br />

Welt einen solchen Systemwandel erlebt.<br />

Mit bekanntem Ausgang. Zerbrochen und verschüttet<br />

die alte, erstanden eine neue Wirklichkeit. Scheinbar<br />

wie aus dem Nichts, in 50 Jahren. Längst verstellen vor<br />

dem Elbtunnel ganze Gebirgszüge aus Blechkisten den<br />

Blick der Autofahrer auf die Stadt und das Hafenbecken,<br />

und deren Gipfel und Grate zeugen vom weiter ungebrochenem<br />

Sturmlauf des globalen Wirtschafts- und<br />

Transportwachstums.<br />

Pausenlos Container-Terminals kennen keinen Stillstand, denn kaum irgendwo sonst ist Zeit mehr Geld wert als im Schiff sverkehr.<br />

Lawrenz liebt das Stakkato nicht, aber das sind die relevanten<br />

Hamburger Zahlen für den Hafen und ihren ersten<br />

Transportdienstleister, die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong>:<br />

Platz 2 in Europa hinter Rotterdam. Weltweit Platz 8 für<br />

die Hansestadt unter den größten Containerhäfen.<br />

Rekordumschlag im Jahr 2005 mit 8.087.545 Einheiten.<br />

Jährliche Wachstumsrate von 15 Prozent. Umschlag in<br />

den vergangenen 15 Jahren nahezu vervierfacht – von<br />

knapp zwei Millionen Einheiten 1990 auf über acht Millionen<br />

im Jahr 2005.<br />

Weiterer Ausbau der Lösch-/Lade-Terminals Eurogate<br />

CTH, HHLA Burchardtkai CTB, HHLA Altenwerder<br />

CTA und Tollerort CTT samt Infrastruktur Hafenbahn<br />

mit Planziel 14,7 Millionen Einheiten im Jahr 2010 (Kapazität<br />

2006 = 8,8 Millionen Einheiten).<br />

An- und Abtransport jedes 5. Containers auf der Schiene,<br />

Tendenz steigend bei wachsendem Gesamtmarkt.<br />

DB-Transportanteil bei Containerläufen von über 200<br />

Kilometern sogar nahezu 70 Prozent.<br />

Schnittstelle Zwei Systeme, die sich in Sachen Container hervorragend<br />

ergänzen: Schiff fahrt und Schienenverkehr.<br />

90 91


Container-Tagesumschlag auf der Schiene (an 365 Tagen<br />

rund um die Uhr) bei 7.000 TEU-Einheiten in der Spitze.<br />

50 Neueinstellungen im Jahr 2006 auf insgesamt 520<br />

Mitarbeiter am Cargo-Zentrum Hafen Hamburg, Tendenz<br />

weiter steigend.<br />

Landbrücke nach China<br />

Manchmal staunt Lawrenz selbst über seinen Bilanzvortrag.<br />

Und darüber, wie schnell das ging. „Von Null auf<br />

Hundert in Nullkommanichts.“ Um die Masse an Containern,<br />

die immer größere Schiff seinheiten „abkippen“,<br />

überhaupt bewältigen zu können, werden mittlerweile<br />

die Gleisanlagen der Hafenbahn ausgebaut, recken sich<br />

immer neue Containerbrücken gen Himmel und werden<br />

ganze Hafenbecken zugeschüttet. „Früher“, erzählt<br />

Lawrenz, „hat man für viele kleine Schiff e viel Wasser<br />

und Kaifl äche gebraucht. Heute geht es um Tiefe und<br />

Containerstaufl äche.“<br />

Dort stapelt sich aus- und eingehende Ware ebenso wie<br />

Leergut, welches seiner neuen Befüllung harrt oder aber<br />

bereitsteht zu Wartung und Reparatur. Ein Betätigungsfeld<br />

übrigens für neue Unternehmen – auch so eine Containerkonsequenz,<br />

denn „solche Betriebe“, berichtet<br />

Lawrenz, „gab es früher natürlich nicht“.<br />

Auch auf Seiten der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> hat sich vieles<br />

verändert. Neue Waggons mussten für die Container-<br />

Ladung beschaff t werden, Zugläufe, Logistik- und Transportangebote<br />

änderten sich. Hafen und <strong>Bahn</strong><br />

funktionieren dabei wie zwei Herzkammern. „Wir pumpen<br />

alles in den Kreislauf“, sagt Lawrenz gerne. Im Hinterland<br />

entstanden Kombi-Terminals zur Be- und Entladung<br />

von Zügen und Lkw und längst ist ein Großteil der<br />

verladenen TEU-Einheiten unterwegs über Deutschlands<br />

Grenzen hinweg ins benachbarte Europa: nach Italien<br />

und nach Frankreich, nach Polen und Tschechien und<br />

weiter noch bis in die Türkei.<br />

Selbst die Idee der sogenannten Schienen-Landbrücke<br />

(praktiziert schon zwischen amerikanischer Ost- und<br />

Westküste) von den europäischen Nordseehäfen über<br />

Russland bis nach China nimmt neuerdings konkrete<br />

Gestalt an.<br />

Zudem unterzeichnete Hartmut Mehdorn gerade erst<br />

Ende 2006 für die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> und nach vorhergehenden<br />

Vereinbarungen mit den östlichen Partnerbahnen<br />

einen Vertrag zur Gründung eines Joint-Venture-Unternehmens<br />

in China. Geplant ist der Bau von 18 Kombi-<br />

Terminals im Reich der Mitte und deren Versorgung mit<br />

Containerzügen via Paneuropäischem Korridor II über<br />

Polen, Weißrussland und die Transsib-Trasse.<br />

Der Clou an der ganzen Sache ist: Die Züge sind schneller<br />

als jedes Schiff – und das bei einem jederzeit konkurrenzfähigen<br />

Preis. Woran man unschwer erkennen kann:<br />

Die Geschichte des Containerverkehrs ist noch lange<br />

nicht an ihrem Ende.<br />

Der Logistikplanet<br />

Ohne Verkehrsträger kein Güteraustausch. Ob Schifffahrt oder Flugverkehr,<br />

ob landgestützter Lkw- oder schienengebundener Transportverkehr – der<br />

Welthandel bedarf komplexer Systeme zur Bewältigung der Warenströme.<br />

Warenströme Als Tradelanes bezeichnet man die Welthandelsrouten zwischen den<br />

großen Wirtschaftszonen der Erde. Die schematische Darstellung beziff ert den<br />

Güteraustausch des Im- und Exports zwischen einzelnen Nationen oder Kontinenten.<br />

Den Zahlen liegen Auswertungen der WTO World Trade Organization zugrunde.<br />

Veröff entlicht in der Studie „World Trade Report 2006“.<br />

92 93


IT-Systeme<br />

In der Matrix<br />

Virtuelle <strong>Welten</strong> bestimmen unseren Alltag, und auch das Betreiben komplexer<br />

Verkehrs- und Mobilitätsnetzwerke ist nur noch unter Einsatz ausgefeilter<br />

elektronischer Systeme denkbar. Ob Datenverarbeitung oder Informationstechnologie –<br />

der DB-Konzern verfügt weltweit über die anspruchsvollsten und leistungsfähigsten<br />

Anwendungen und Angebote. Rechenzentren und Steuerungszentralen unterliegen<br />

dabei strikt gehandhabten Sicherheitsbestimmungen.<br />

Sicherheitsschleuse Rechen- und<br />

Datenverarbeitungszentren sind sensible,<br />

geschützte Bereiche. Zutritt hat nur ein<br />

kleiner, dazu eindeutig legitimierter<br />

Personenkreis.<br />

94 95


Im Cockpit Das Herzstück des DB-Daten-<br />

VerarbeitungsZentrums (DVZ) gleicht<br />

tatsächlich einer mit Elektronik<br />

vollgestopften Flugzeugkanzel. Sichtbar<br />

sind auf Großleinwand und Monitoren<br />

laufende EDV- und IT-Anwendungen.<br />

96<br />

Was die komplexen Service-<br />

Systeme im Hintergrund<br />

steuert, wissen die Nutzer<br />

nicht. Für sie zählt einzig,<br />

ob das Ergebnis stimmt.<br />

s gibt Orte, die sind geheimer noch als geheim,<br />

die sind TOP SECRET. Militär, Regierung,<br />

Energieversorger, Banken oder Versicherungen<br />

– sie alle haben gut gehütete Kommunikations-,<br />

Rechner- und Kommandozentralen. Und auch<br />

dieses schlicht-weiße Gebäude sieht aus wie ein mittelständischer<br />

Kleinbetrieb, ist aber in Wahrheit das elektronische<br />

Hirn der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>.<br />

DVZ steht ganz schlicht draußen auf einem kleinen<br />

Schild. DVZ heißt DatenVerarbeitungsZentrum. Und der<br />

Begriff erklärt dem Besucher halbwegs die getroff enen<br />

Sicherheitsvorkehrungen. Man sieht sie erst auf den zweiten<br />

Blick, aber sie sind da: Videokameras observieren das<br />

Geschehen rund um den Gebäudekomplex. Ein mannshoher<br />

Zaun sowie nächtliche Beleuchtung tun ihr Übriges.<br />

Auch patrouillieren dezent gekleidete Männer eines<br />

Wachdienstes.<br />

Wer diese Zentrale betreten will, in der Großrechner<br />

alle virtuellen Computernetzwerke und Anwendungen<br />

des DB-Konzerns steuern, der spaziert nicht einfach mit<br />

einem freundlichen „Grüß Gott“ hinein. So nicht. Der<br />

braucht einen triftigen Grund. Der hinterlegt am Empfang<br />

seinen Personalausweis, unterschreibt einen Besucherschein<br />

mit Erläuterung strikter Verhaltensregeln. Ja,<br />

der erhält für den Weg zu seinem Gesprächspartner sogar<br />

eine Eskorte.<br />

Und dann geht’s mitten hinein in die Matrix prozessorgesteuerter<br />

Plattform-Kraftentfaltung, welche die moderne<br />

Betriebsführung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> mit all ihren<br />

Anwendersystemen erst möglich macht: Personal- und<br />

Materialeinsatz, Fahrplanerstellung und Vertriebssystem.<br />

Instandhaltung, Reisenden-Information, Produktionssteuerung.<br />

Fahrkartenautomat und interne Kommunikation.<br />

Internetpräsenz, Einkauf und auch<br />

Controlling und Geldtransfer.<br />

All diese Dinge interessieren die Kunden wenig – so<br />

lange alles funktioniert. Für sie gibt es im Sprachgebrauch<br />

der <strong>Bahn</strong>er recht hübsche Abkürzungen. FRED und<br />

EDITH etwa heißen die elektronischen Instrumente zur<br />

Disposition von Fahrzeugen und Personal. KUSS nennt<br />

sich eine im Güterverkehr benutzte Hauptanwendung,<br />

EMS spielt den Erlösmanager und DaViT dient dem<br />

Trassenmanagement. Die eingenommenen Euro werden<br />

allerdings weniger prosaisch verbucht. Sie werden ganz<br />

profan über SAP R 3 ins System transferiert.<br />

97


Allgegenwärtig ist im<br />

Maschinenraum das<br />

Summen und Brummen<br />

der Rechner und ihrer<br />

Kühlaggregate.<br />

Aber wie wäre es mit eCargoService, dem Tracking System<br />

von Railion, das via Satellit und GPS Güterwaggons<br />

ortet und ganze Transportabläufe kontrolliert. Oder mit<br />

EBuLa, dem elektronischen Buchfahrplan mit der Anzeige<br />

aktueller Verkehrsbeschränkungen im Netz für Triebfahrzeugführer.<br />

Mit eMp zur rechnergesteuerten Ausschreibung<br />

und Vergabe von Bauleistungen, mit RUT-K<br />

zur Fahrplan-Feinkonstruktion. ESF wäre ebenso zu nennen,<br />

eine Anwendung zur Kostenreduktion bei der Traktionsenergie.<br />

Und nicht zuletzt SmS, der alles könnende<br />

Managementserver. Er schaff t uni- und bidirek tionale<br />

Datenkommunikation zwischen mobilen End geräten<br />

und ihren Backend-Systemen, etwa im Zugbildungs- und<br />

Rangiereinsatz.<br />

Natürlich viel zu viel der Fachkürzel, aber Computerwelten<br />

kennen kein Erbarmen, und deshalb geht es jetzt<br />

in den Keller des DatenVerarbeitungsZentrums. Wilhelm<br />

Müller*, seines Zeichens Diplom-Ingenieur der Informationsverarbeitung<br />

und Leiter Infrastruktur bei DB Systems,<br />

macht den Führer. Er besitzt alle notwendigen<br />

Schlüssel, um dorthin zu gelangen. Zu überwinden sind<br />

Schloss-Allee Beim Monopoly wäre diese Gasse die teuerste Adresse.<br />

Großrechner vom Format Mainframe kosten ein paar Millionen Euro.<br />

Sicherheitsschleusen. Und dabei geht es zu wie auf dem<br />

Raumschiff Enterprise: „Beam me up, Scotty“. Also: Tür<br />

auf. Rein. Tür zu. Kurz warten in glasgewölbter Hülle,<br />

dabei Videokameracheck. Andere Tür auf. Wieder raus …<br />

und drin.<br />

Schwarze Schleifl ackschränke<br />

Sah man je eine solche Armada unterschiedlicher Großrechner.<br />

„Kategorie Mainframe und natürlich jede Menge<br />

Unix-Middleware“, wie Müller erläutert. Hübsch sortiert<br />

alles in den langen Gangfl uchten des Maschinenraums 1.<br />

Von A nach H und von 1 bis 17. Lauter teure und vor allem<br />

leistungsstarke Produkte namhafter Hersteller auf mehr<br />

als 2.000 Quadratmetern. Übrigens erscheint gleich nebenan<br />

Maschinenraum 2 wie das Spiegelbild von Raum 1<br />

– alles in gleicher Formation. Zum Back-up, zu Abgleich<br />

und Archivierung, zur Sicherheit.<br />

Manche Exemplare erinnern an schwarze Schleifl ack-<br />

Schlafzimmerschränke. Der IBM @Server zSeries 990 ist<br />

so ein Typ. Seine Front ist makellos verblendet und nichts<br />

weist auf das komplexe, Millionen Euro teure Innenleben<br />

hin. Allein seine Rechnerleistung füllte zu Zeiten der<br />

einstigen Bundesbahn noch den gesamten Raum mit Gerätschaften.<br />

Jemand erzählt etwas von Multi Bookstruktur,<br />

superskalarem Mikroprozessor, von CMOS 9S-SQI<br />

Technologie, von Logical Channel SubSystems (LCSSs),<br />

von Z/OS Workload und MIPS. Letzteres beschreibt die<br />

Verarbeitungsleistung solcher Gigabyte-Giganten. „Muss<br />

man nicht unbedingt wissen, wird erläutert, ist aber wichtig<br />

für die Abrechnung mit unseren Kunden wie Railion<br />

Deutschland <strong>AG</strong> oder Personenverkehr. Sie zahlen für<br />

Million Processor Transactions Per Second, kurz MIPS<br />

und das summiert sich über das Jahr gesehen auf zweistellige<br />

Millionenbeträge.“<br />

Aber was sind schon abstrakte Zahlen. Weit mehr Sinneseindruck<br />

bewirkt das allgegenwärtige Blinken grün<br />

oder rot leuchtender Dioden, die vielen Steckverbindungen<br />

und die schiere Menge an Kabelsträngen. Sie verschwinden<br />

im Boden, bündeln sich dort zu armdicken<br />

Leitungen und suchen fortan ganz im Geheimen und<br />

Verborgenen das Weite.<br />

Und da ist dieses immerwährende Summen und<br />

Brummen der Rechner und ihrer Kühlaggregate. Zutritt<br />

zu diesem einen Maschinenraum haben übrigens nur 30<br />

der 120 Mitarbeiter überhaupt. Nie wird es in diesem<br />

besonderen Raum kälter als 20, nie wärmer als 25 Grad.<br />

„30 Minuten ohne Klimaanlage wären für die Systeme<br />

tödlich“, sagt Müller. Kompletter Stromausfall ist deshalb<br />

ausgeschlossen oder besser: doppelt abgesichert.<br />

„Im Fall des Falles setzt für eine halbe Stunde die übergangslose<br />

Batterieversorgung ein, danach übernehmen<br />

Dieselgeneratoren.“ Wozu man noch wissen sollte: Der<br />

Energieverbrauch bemisst sich im DVZ nach der Größenordnung<br />

einer mittleren Kleinstadt.<br />

Strippenzieher Daten-Autobahnen verlaufen unter dem Fußboden und beeindrucken nur Laien. IT-Elektroniker kennen sich dagegen aus.<br />

Und weiter. Nächste Sicherheitsschleuse, neuerliches<br />

„durchbeamen“ mit Tür auf, Tür zu und Einmarsch in die<br />

Überwachungs- und Steuerungszentrale, genannt „das<br />

Cockpit“. Die Pilotenkanzel eines Airbus A 380 ist dagegen<br />

eine kleine technische Spielerei. Beherrscht wird der<br />

Raum von einer 3 x 1,50 Meter großen Bildschirmwand.<br />

Die Vielzahl darauf projizierter Einzeldarstellungen, Grafi<br />

ken und Hieroglyphen erschließt sich nur Eingeweihten.<br />

Selbst Computerspezialisten fühlen sich stets aufs<br />

Neue von diesem Anblick „wie erschlagen“.<br />

Auf der Kommandoebene<br />

Ein paar allgemein erklärende Worte können jetzt nicht<br />

schaden. Also sagt Müller, der Herr über Bits und Bytes:<br />

„Wir befi nden uns hier auf der Kommandoebene, können<br />

alle Systeme beeinfl ussen und widmen uns dabei vornehmlich<br />

der Kontrolle, Überwachung und Behandlung<br />

von auftretenden Fehlern. Es sind dies Dinge, die unsere<br />

Kunden in ihrer Funktion als Anwender nicht tun<br />

können.“<br />

Ein Beispiel: An dem DB-internen Kommunikationsnetzwerk<br />

BKU hängen mehr als 70.000 Endgeräte, darunter<br />

PCs. Sollte es nur eingeschränkt arbeiten oder ganz<br />

aussteigen, so wäre für den Mitarbeiter Pause am Büro-<br />

PC; rien ne va plus – nichts ginge mehr. Im Cockpit liefe<br />

allerdings sofort eine Störfallmeldung auf, die eine Reihe<br />

von Systemchecks zur Fehlerbeseitigung zur Folge hätte.<br />

Sagt Müller: „Gleiches gilt für jede andere Art der rund<br />

380 rechnergestützten Anwendungen, die wir hier auf<br />

fünf Plattformen fahren. Etwa: Linux & OS 390, Windows,<br />

Solaris/Linus, AS400 und HP NonStop-Systeme.“<br />

Die Arbeit wird im Dreischichtbetrieb rund um die<br />

Uhr von jeweils neun Informatikern geleistet. Die Damen<br />

und Herren hocken, dreireihig angeordnet, gleich Rallyefahrern<br />

in ergonomisch geformten automobilen Recarositzen<br />

vor der Großbildwand. Jeder hat noch vier eigene<br />

Monitore auf seinem Arbeitstisch und beschäftigt sich<br />

unentwegt mit Sondierung, Diagnose sowie Informations-<br />

und Entstörungsmanagement. „Das mag wie Mäusekino<br />

aussehen“, erzählt Schichtleiterin Sabine Feilen* mit<br />

Blick auf die blinkenden Anzeigen, „aber unser Geschäft<br />

erfordert hohe Konzentration, Aufmerksamkeit und vor<br />

allem Flexibilität, denn die Dinge ändern sich von Minute<br />

zu Minute. Ein Störfall, und hier bimmeln alle Telefone<br />

zur gleichen Zeit.“<br />

Ihr immer prüfender Blick gilt dem großen Ganzen,<br />

dem sogenannten Cockpit-Viewer. Darauf sichtbar sind<br />

98 99


Die Energieversorgung<br />

eines Rechenzentrums<br />

bemisst sich nach<br />

Größenordung einer<br />

mittleren Kleinstadt.<br />

alle laufenden Anwendungen vom Personenverkehr über<br />

Transport und Logistik, der Holding mit ihrem umfangreichen<br />

Finanzbereich, Infrastruktur, Stationen, Dienstleistungen.<br />

Grünes Leuchten signalisiert einwandfreien<br />

Betrieb. Gelb warnt. Orange ist kritischer als Gelb und<br />

mahnt vor Stufe Rot. Rot ist ernst, Rot ist Störfall. Aber<br />

Rot ist nicht gleich Rot, denn es gibt noch Rot für ältere<br />

Anwendungen, „aber die laufen“, so die Schichtleiterin,<br />

„in unserem zweiten Cockpit“.<br />

Zweites Cockpit? „Klar, gibt es ebenfalls“, sagt Müller.<br />

Gleiche Ausstattung, gleiche Funktion. Nur ein anderer<br />

Standort, in einer anderen, weit entfernten Stadt. Der<br />

Name ist natürlich TOP SECRET. Damit zum letzten,<br />

dem allergeheimsten Geheimnis, dem Großrechenzentrum<br />

II. Dies wiederum befi ndet sich ganz in der Nähe des<br />

DVZ. Es ist aus Gründen der Datenübertragung keine<br />

sechs Kilometer entfernt, wurde anno 2003 aufgebaut<br />

und ist gedacht als Reserveeinheit für den Totalausfall<br />

aller kritischen Systeme. „Im Alltag“, so Müllers Erläuterung,<br />

„fi ndet dort die Sicherung aller DVZ-relevanten<br />

Daten auf Platten beziehungsweise Bändern statt. Aufschreiben<br />

und ablegen geschieht in Millisekunden und<br />

die Zeit, die dabei verloren geht, spürt keiner.“<br />

Release und Update<br />

Ein schönes Stichwort – die Zeit. Für Müller gab es einst<br />

eine andere, eine Robotron-Zeit. In der DDR aufgewachsen<br />

und zuerst zum Facharbeiter für Datenverarbeitung<br />

ausgebildet, beschäftigte er sich schon mit Systemprogrammierung<br />

zu Zeiten der Reichsbahn. Elektronische<br />

Platzbuchung etwa war damals eine selbst für westlichen<br />

Standard fortschrittliche Neuerung, „ein echter Verkaufsrenner<br />

im Ostblock“, erinnert er sich. Allerdings gab es<br />

keine PC. „Wir kannten damals zwar IBM-Computer und<br />

darauf laufende Betriebssysteme, aber nach der Wende<br />

haben wir dann doch über den günstigen Preis und die<br />

Leistungsfähigkeit von ganz normalen Heimcomputern<br />

gestaunt.“<br />

Im Rückblick hatte das Leben in der elektronischen<br />

Diaspora allerdings auch sein Gutes. Sagt Müller: „Es gab<br />

Aufgeladen Zum Sicherheitsstandard gehört die Notstromversorgung,<br />

welche zuerst von Batterien übernommen wird.<br />

zwar nur betriebliche Anwendungen, aber unsere technische<br />

Isolation zwang uns dazu, tiefer in die Systeme einzusteigen,<br />

selbst zu programmieren und eigene Erweiterungen<br />

zu kreieren. Das hilft noch heute, Neuerungen zu<br />

verstehen oder umzusetzen.“<br />

Gleichwohl handelt es sich bei ihm oder seiner Cockpit-Besatzung<br />

nicht um Alleswisser. Zu komplex ist inzwischen<br />

das ganze Thema, weshalb sich etwa Sabine<br />

Feilen nur auf das Wesentliche ihres Jobs konzentriert.<br />

Was bedeutet: Verfahrenssicherheit gewährleisten, ausreichende<br />

Rechner-Ressourcen zur Verfügung stellen, sogenannte<br />

Releases oder Updates einspielen, Systempfl ege<br />

betreiben. So wird etwa der Mainframe alle vier Wochen<br />

durchgestartet, was einer Reinigung gleichkommt – so<br />

wie Security Checks durchführen.<br />

Ohnehin wird das ganze System unentwegt „penetriert“,<br />

also auf Schwachstellen oder Lücken überprüft. Es<br />

gibt Viren, Spam, Trojaner und da draußen, heißt es, sind<br />

immer Leute, die unentwegt mit allen Mitteln versuchen,<br />

in geschützte und sensible Bereiche einzubrechen. „Ein<br />

großes Thema nicht nur für uns, sondern für alle Anwender“,<br />

sagt Müller. „Wir können schließlich nur Datenströme<br />

messen, was nichts über deren Inhalte besagt.“<br />

Vernetzung der Systeme<br />

Ein nur schwacher Trost für alle, denen der IT-Kosmos<br />

ein ewiges Rätsel bleiben wird. Stefan Mertens* gehört allerdings<br />

nicht dazu. Der diplomierte Informatiker von DB<br />

Systems ist ein exzellenter Wegweiser durch das Dickicht<br />

nahezu unüberschaubarer Anwendungsvarianten. Aus<br />

einleuchtendem Grund übrigens, denn im Geschäftsfeld<br />

DB Systems bündelt sich alles, was innerhalb des Unternehmens<br />

auch nur entfernt mit elektronischer Datenverarbeitung<br />

zu tun hat – vom Ticketautomaten bis hin zum<br />

gerade geschilderten Datenverarbeitungszentrum.<br />

„<strong>Bahn</strong> heute und vor 20 Jahren“, sagt Mertens, „dazwischen<br />

liegt eine regelrechte Revolution. Heute gehört die<br />

DB <strong>AG</strong> zu den zehn größten IT-nutzenden Unternehmen<br />

der Republik.“ Aufgrund dieser Fähigkeiten im Bereich<br />

Mobilität und Logistik ist sie weltweit führend im Managen<br />

hochkomplexer Verkehrsdienstnetze.<br />

Ungestillt bleibt indes der Hunger nach immer neuen<br />

Informations- und Kommunikationslösungen bei allen<br />

Geschäftsbereichen. Nach Vernetzung der Systeme, nach<br />

Vereinfachung der Verfahren und noch mehr Schnelligkeit<br />

im Dienst der mobilen Kundschaft. DB Systems hält<br />

dafür rund 2.100 eigene Mitarbeiter sowie externe Dienstleister<br />

bereit. „Unser Portfolio umfasst vom Hardware-<br />

Einkauf über die Architektur neuer Systeme bis hin zu<br />

deren Programmierung, Einrichtung und Pfl ege sowie<br />

Weiterentwicklung die ganze Angebotspalette. Dabei<br />

stellen wir uns natürlich dem Wettbewerb und nehmen<br />

ganz normal an Konzernausschreibungen teil.“<br />

100 101


Ein paar Arbeitsproben von Kollegen gefällig? Mertens*<br />

schaut schnell in seine Datenbank und zaubert unzählige<br />

Namen auf seinen Bildschirm. Das ist ganz so, als benutze<br />

er einen Quellcode. Et voilà – da wäre zum Beispiel Felix<br />

Schneider*, Leiter des Einkaufs von Informationssystemen.<br />

Ein Mann der Finanzen: IT spart nicht nur, IT kostet<br />

auch Geld. Schneider beziff ert die Ausgaben des gesamten<br />

DB-Konzerns für elektronische Medien auf rund 400<br />

Millionen Euro per annum. Darunter waren im Jahr 2006<br />

Investitionen in neue mobile Datenübertragungsgeräte<br />

von Zugbegleitern oder für Fahrkartenautomaten, ebenso<br />

Millionen für die Wartung bestehender Systeme, hohe<br />

Aufwendungen für neue Softwarelösungen und dazu jede<br />

Menge Ausgaben für geringfügige Wirtschaftsgüter.<br />

„Druckerpatronen beispielsweise und solche Sachen.“<br />

Auch der Einkauf von Großrechnern und Servern, wie<br />

sie im DVZ stehen, fällt in Schneiders Bereich. „Das ist<br />

eines der großen Themen der nächsten Jahre“, sagt er,<br />

„denn gerade ist die Ausschreibung zur Erneuerung des<br />

Datenspeicherparks abgeschlossen worden.“<br />

Sichtbar wird an dieser Stelle die<br />

Grundstruktur des IT-Aufbaus. Zuerst<br />

äußern Geschäftsbereiche oder<br />

Tochterunternehmen ihre Bedürfnisse,<br />

es erfolgt eine Kosten-Nutzen-<br />

Rechnung, und danach geht es an die<br />

konkrete Planung. Die Frage lautet<br />

immer: Wie lässt sich der Kundenwunsch<br />

technisch effi zient, anwenderfreundlich,<br />

preisgünstig und dazu<br />

netzwerkübergreifend am besten umsetzen?<br />

„Ihr Auftrag“, heißt es dann<br />

oft im Büro von Peter Reimann*, 32.<br />

Der noch junge Mann ist einer der Chefarchitekten im<br />

Bereich Software Development bei der DB Systems <strong>AG</strong>.<br />

Architekt – das wollte der Sohn eines Bauzeichenlehrers<br />

eigentlich immer werden. Ganz im herkömmlichen<br />

Sinne von Häusern planen und bauen. Dann aber kamen<br />

ihm die Computer dazwischen. Zu Schülerzeiten bastelte<br />

er die erste Hardware selbst zusammen. „Das war irgendwie<br />

ein fl ießender, kreativer Prozess.“ An dessen Anfang<br />

stand ein ZX 81 Computer mit Folientastatur. Den schloss<br />

Reimann an Fernseher und Kassettenrekorder an. Passende<br />

Software gab es nicht, also schrieb er sie selbst und<br />

lernte dabei ganz nebenbei die verschiedenen Programmiersprachen.<br />

Vom Häusle bauen ist also längst keine Rede mehr,<br />

doch gibt es Parallelen. „Auch meine Architektur kennt<br />

Baupläne, Materialien und verschiedenste Gewerke“,<br />

Kabelsalat Welcher Stecker zu welchem<br />

Anschluss passt, weiß einzig der Experte.<br />

sagt Reimann und skizziert mit schnellen Strichen ein<br />

komplettes Internet-Anwendungssystem. Mit einer oder<br />

mehreren Datenbanken, zum Verwalten von Inhalten.<br />

Mit Redaktions- und Publikationsservern. „Das hier“, so<br />

drückt er sich aus, „sind lauter Blechinstanzen. Sie bilden<br />

als Systempower das Rahmengerüst, vergleichbar mit<br />

Fundament und Mauerwerk.“<br />

Hinzu kommen Teile des zu verwendenden Betriebssystems,<br />

Programmiersprache, Server-Software, Schnittstellenstandards.<br />

Thema sind dazu Sicherheitsfeatures<br />

wie demilitarisierte Zonen und Firewalls. Für alles und<br />

jedes gibt es jetzt Fachkräfte: Software-Entwickler, Kommunikations-Designer<br />

für die Oberfl ächendarstellung,<br />

Tester, auch Spezialisten für den Betrieb des Systems.<br />

„Entscheidend ist am Ende aber immer der Kundenwunsch“,<br />

sagt Reimann. „Was will er mit der Anwendung<br />

machen, wer soll damit arbeiten und wie viele andere<br />

Interessenten wollen oder sollen sie nutzen.“<br />

Letzteres betriff t die Schnittstellenorganisation und<br />

deren Vereinheitlichung, mithin die anwendungsübergreifende<br />

Vernetzung aller Systeme. Reimanns Lieblingsthema,<br />

Stichwort: serviceorientierte<br />

Architektur (SOA). Erste Frage<br />

in diesem Zusammenhang: „Wie aktuell<br />

ist unsere IT-Welt bei der DB?“<br />

Zweite Frage: „Wo haben wir möglicherweise<br />

Probleme bei der Quernutzung<br />

von Systemen?“<br />

Ein Beispiel für die umfassende<br />

Aufgabe ist das Reisenden-Informationssystem<br />

des Personenverkehrs.<br />

Es speist sich aus unterschiedlichen<br />

Quellen, sammelt Infos über den Ist-<br />

Zustand des Zuglaufs aus der elektronischen<br />

Datenübermittlung von Zugmeldeanlagen, Stellwerken<br />

und Zugbegleitern, gleicht diese mit den<br />

hinterlegten Fahrplanparametern ab und berechnet daraus<br />

Umsteige-, Warte- oder neue Anschlusszeiten.<br />

Noch um ein Vielfaches komplexer sind Anforderungen<br />

des Güterverkehrs beim Railion-Verbund, also das<br />

Management von europaweit täglich rund 5.500 Güterzügen,<br />

von 3.150 Lokomotiven und knapp 240.000 Mitarbeitern<br />

bei einer jährlichen Gesamtverkehrsleistung von<br />

83,9 Milliarden Tonnenkilometern (tkm).<br />

KundenServiceSystem (KUSS) heißt dort die Plattform,<br />

hinter der sich ein automatisierter Workfl ow<br />

der Kundenschnittstellen, von CTI/ACD Telefonie,<br />

auto matisiertem Routing digitalisierter Faxe und Mails<br />

mit einem ToDo-Management verbirgt. Dazu gehören<br />

noch weitere 38 Anwendungen. Mit deren Unterstützung<br />

Allein die IT-Ausstattung des KundenServiceZentrums von DB<br />

Logistics, Bereich Railion, kostete annähernd 700 Millionen Euro.<br />

Kraftwerk Bei Stromausfall übernehmen nach 30 Minuten Dieselgeneratoren die Arbeit der Batterie-Notversorgung.<br />

steuern die 1.200 Mitarbeiter vom KundenServiceZentrum<br />

(KSZ) in Duisburg aus nicht nur den Verkauf beziehungsweise<br />

den Vertrieb, sondern auch die Produktion.<br />

Sie überwachen damit alle Verkehre und kommunizieren<br />

über ihre Rechner auch direkt mit den Kunden.<br />

Mitarbeiter als Herzstück aller IT<br />

„Unser Zentrum hat zusammen mit der kompletten IT-<br />

Ausstattung einen Gegenwert im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“,<br />

sagt Timo Bode*, Leiter der Abteilung<br />

DV-Systeme, Prozesse. „Aber zum Leben erwecken<br />

es erst unsere Mitarbeiter. Immer noch sind sie das Herz<br />

des Ganzen, sie halten den unbedingt notwendigen persönlichen<br />

Kontakt zu unseren Kunden.“ Und er fügt hinzu:<br />

„Die IT weiß zwar alles, aber wehe sie fällt aus und ist<br />

einfach mal nicht da. “<br />

Der Reisende kennt das womöglich aus eigener Erfahrung.<br />

Er steht an der Verkehrsstation Heide in Nordfriesland<br />

und möchte noch schnell eine elektronische Fahrkarte<br />

lösen, doch ausgerechnet dieser eine von genau<br />

10.000 DB-Ticketautomaten streikt. Warum jetzt, kurz<br />

vor Abfahrt– nichts rührt sich, scheinbar ist das Gerät<br />

ausgefallen. Der Reisende weiß natürlich nichts über die<br />

Beschaff enheit des Automaten und dessen aktuelles technisches<br />

Problem. Weiß nicht, dass es sich im Grunde um<br />

einen Computer handelt, der allerdings über eine ISDN-<br />

Leitung oder gar über ein lokales LAN-Netz eingebunden<br />

ist in das bahneigene Vertriebssystem. Dass er, wie es zu<br />

neudeutsch heißt, online geht und Zugriff erhält auf Hintergrundsysteme,<br />

die Auskunft geben über kontingentierte<br />

Ticketangebote oder neue Fahrplandaten. Dass der<br />

Fahrkartenautomat im Umkehrschluss via Kartenleser<br />

eingenommene Geldbeträge virtuell transferiert oder statistische<br />

Werte übermittelt.<br />

Und der Reisende weiß natürlich nicht, dass dessen<br />

Betriebsführungsmodul im Falle eines Defekts eigenständig<br />

eine Fehlermeldung absetzt. Es blinkt dann im Cockpit<br />

des DatenVerarbeitungsZentrums der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> ein rotes Lämpchen auf, und dort veranlasst<br />

man sofort, die Störung zu beseitigen. Womit sich der<br />

Kreis am Ende wieder schließt und sich die Frage erübrigt,<br />

von wo aus diese virtuelle DB-Welt gesteuert wird.<br />

Denn die ist einfach überall.<br />

*Namen von der Redaktion geändert<br />

102 103


Mitarbeiter Tino Steigleder<br />

DB Regio Sverige AB, Stockholm<br />

Außenposten<br />

Früher eine Seltenheit, heute im global aufgestellten Konzern<br />

Normalität: die internationale Karriere. Nahezu jeder fünfte<br />

DB-Mitarbeiter versieht mittlerweile seine Aufgaben im Ausland.<br />

Das Gros arbeitet dabei im Netzwerk von DB Logistics, aber auch der<br />

Personenverkehr ist längst über deutsche Grenzen hinweg unterwegs.<br />

Stellvertretend für rund 49.000 Mitarbeiter, die im Ausland ihren Job<br />

versehen, vier ganz persönliche Steckbriefe.<br />

In Gera geboren studierte Tino<br />

Steigleder in Jena Betriebswirtschaft,<br />

ehe er 1999 bei DB Regio<br />

seine Laufbahn begann. Seit 2002<br />

vertritt er die <strong>Bahn</strong>-Tochter als<br />

Geschäftsführer in Schweden. Leben<br />

im Norden, das klingt gemütlich,<br />

aber tatsächlich ist Zeit Tino<br />

Steigleders kostbarstes Gut. Sein<br />

Terminkalender ist prall gefüllt,<br />

denn Mitte des Jahres geht es um<br />

viel Prestige. Öff entlich ausgeschrieben<br />

wurden die Öresund-<br />

Verkehre zwischen Dänemark und<br />

Schweden, und Steigleder bemüht<br />

sich für die DB Regio <strong>AG</strong> gemeinsam<br />

mit seinen Frankfurter Kollegen<br />

um den Auftrag. Volumen:<br />

insgesamt bis zu 90 Millionen<br />

Euro pro Jahr, Entscheidung vermutlich<br />

Sommer 2007. In Geduld<br />

übt sich bis dahin seine schwedische<br />

Lebenspartnerin, und auch<br />

Golf, seine liebste Freizeitbeschäftigung,<br />

hat Pause.<br />

104 105


Cristina Cornejo<br />

Schenker Projekt-Management,<br />

Santiago de Chile<br />

Schon zu Schulzeiten zeichnete<br />

Cristina Cornejo persönlicher Stil<br />

und ein besonderes Organisationstalent<br />

aus, und fast zwangsläufi g<br />

fand die Ehefrau und Mutter eines<br />

Sohnes ihre berufl iche Bestimmung<br />

im internationalen Speditionsgewerbe.<br />

In 15 Jahren durchlief<br />

sie vom Kundenservice bis zur Abwicklung<br />

von Luft- und Seefracht<br />

fast alle Stationen der Schenker-<br />

Landesgesellschaft in Chile. Doch<br />

erst der Aufbau des heimischen<br />

Projektgeschäfts, dessen Leitung<br />

sie mit Beginn 2007 übernahm,<br />

wurde zu ihrer wahren berufl ichen<br />

Erfüllung. Im Mittelpunkt steht<br />

jetzt Transport und Logistik beim<br />

Aufbau ganzer Fabrikanlagen. In<br />

Deutschland würde man wohl sagen:<br />

Dafür hat Cristina ein Händchen.<br />

Ebenso übrigens wie für ihre<br />

zwei Hobbys: Das Kochen und die<br />

geschmackvolle Einrichtung ihres<br />

Eigenheims an der Küste bei<br />

Santo Domingo.<br />

Stephen Owles<br />

Schenker Logistics, Neuseeland,<br />

Auckland<br />

Neuseeland ist ein Inselstaat und<br />

dementsprechend liest sich die<br />

Liste persönlicher Vorlieben von<br />

Stephen Owles. Er segelt mit Begeisterung,<br />

geht gern fi schen und<br />

ist ein ausgezeichneter Schwimmer.<br />

Individuelle Fähigkeiten verbunden<br />

mit einer großen Portion<br />

Teamgeist zeichnen ihn allerdings<br />

vor allem berufl ich aus: Nach der<br />

Übernahme seines bisherigen Arbeitgebers<br />

BAX Global durch die<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong> führt Owles<br />

jetzt als General Manager die<br />

Logistikgeschäfte der Schenker-<br />

Niederlassung in seiner Heimat<br />

und profi tiert dabei von einer<br />

mittlerweile zwanzigjährigen Berufserfahrung.<br />

Sein Hauptinteresse<br />

gilt jetzt dem Ausbau der transpazifi<br />

schen Verkehre und von<br />

Logistikketten.<br />

Natalja Wolodina<br />

Railion Russija Services, Moskau<br />

Um intermodale Güterverkehre,<br />

um Tarif- und Angebotsfragen im<br />

Bereich der GUS-Staaten kümmert<br />

sich Natalja Wolodina, Railion-Managerin<br />

in Russland. Ihr „Reich“<br />

erstreckt sich dabei vom Pazifi k<br />

über Mittelasien bis nach Westeuropa.<br />

Ein Großteil aller Güter wird<br />

hiert mittlerweile über die Schiene<br />

transportiert. Ihren Beruf hat die<br />

gebürtige Usbekin von der Pike<br />

auf gelernt: Als diplomierte Ingenieurin<br />

für den Eisenbahn-<br />

Betriebsdienst arbeitete sie schon<br />

früh auf internationaler Ebene.<br />

Seit 1998 lebt sie mit Mann und<br />

Töchtern in Moskau, und zwei<br />

Dinge zaubern ein Strahlen auf<br />

ihr Gesicht: ein erfolgreich abgeschlossenes<br />

Transportgeschäft<br />

und Enkel Artemijs Lachen.<br />

106 107


Gitterwerk Vor der Silhouette des Qinling-<br />

Gebirges verschweißt ein chinesischer Arbeiter<br />

das Stahlgefl echt zur Fertigung eines 32 Meter<br />

langen Elements für Betonbrückenträger.<br />

Auslandsmärkte<br />

Wertarbeit<br />

Moderne <strong>Bahn</strong>technik wird weltweit nachgefragt, und kaum ein anderes Unternehmen<br />

verfügt über mehr fachspezifisches Wissen als die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>. Konzernspezialisten<br />

sind global in viele Projekte eingebunden und leisten sowohl im Mittleren<br />

Osten als auch bei Chinas ehrgeizigem Aufbau schienengebundener Hochgeschwindigkeitsverkehre<br />

wertvolle Unterstützung.<br />

108 109


Tunnelblick Ob Tal, ob Berg – nichts hält<br />

Chinas Eisenbahningenieure beim Bau der<br />

Hochgeschwindigkeitstrecke zwischen<br />

Zhengzhou und Xi’an auf.<br />

110 111


Flaggenparade An der Wand der Plan des Großprojekts, vor den Landesfahnen sein Name auf Chinesisch – Dietrich Theurer in seinem Büro.<br />

Vortrieb Chinesische Arbeiter sichern beim Tunnelbau für die neue Hochgeschwindigkeitstrasse das Deckengewölbe mit Stahlträgern.<br />

Feste Fahrbahn für Hochgeschwindigkeitszüge und digitaler<br />

<strong>Bahn</strong>funk GSM-R sind die Produkte des Technologietransfers.<br />

m Hof des Kaisers von China wäre Dietrich<br />

Theurer bestimmt Geschichtenerzähler gewesen.<br />

Eine Begabung dazu hat er jedenfalls.<br />

Ist weit gereist, schwer belesen, ein Typ Viel-<br />

und manchmal – „leider, leider“ – auch Allesganzgenauwisser.<br />

Darüber verrät seine Visitenkarte allerdings<br />

nichts. Sie annonciert ihn trocken als Chief<br />

Consulting Engineer. Dazu eine kleine Anmerkung von<br />

Theurer: „Zitat von François de La Rochefoucauld“, sagt<br />

er und spricht: „Das Talent der <strong>Menschen</strong> hat viele Jahreszeiten<br />

– wie die Früchte.“<br />

Ein schlagfertiger Mann also, dieser Kosmopolit und<br />

Eisenbahner. Jawohl, Eisenbahner, denn für die <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Bahn</strong> arbeitet Dietrich Theurer derzeit in China. Den Kaiser<br />

gibt es dort zwar längst nicht mehr, dafür blüht Xi’an,<br />

seine einstige Hauptstadt. Ein Ort, an den man sich sehnlichst<br />

hinwünscht, weil er wie geschaff<br />

en ist für Kunst-, Kultur- und<br />

zeitgeschichtlich interessierte <strong>Welten</strong>bummler.<br />

„In Xi’an“, sagt Theurer,<br />

„gibt es Sehenswürdigkeiten wie<br />

Sommersprossen auf einem irischen<br />

Kindergesicht.“<br />

Altes meist, aus Zeiten der Han-,<br />

der Qing-, Tang- und Ming-Dynastien.<br />

Die 13,6 Kilometer lange Stadt-<br />

mauer und ihre Tore etwa, mitten im<br />

Landesinneren, südwestlich von<br />

Peking. Oder der Glocken- und Trommelturm<br />

im Stadtzentrum. Die imposante<br />

Wildgans-Pagode und natürlich Qin Shihuangdi’s<br />

weltberühmte Terrakotta-Armee. Meint daneben aber<br />

auch Neues oder besser und mit Theurers Worten gesagt:<br />

„Werdendes“.<br />

Ein Projekt vor allen anderen ist auch „sein“ Projekt:<br />

der Bau einer Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitstrasse<br />

über 484,5 Kilometer von Zhengzhou nach X’ian. Die<br />

Strecke ist Abschnitt eines gewaltigen Langfristprogramms,<br />

mit welchem Chinas Regierung bis zum Jahr<br />

2020 sein <strong>Bahn</strong>netz erweitern will. Nach Auskunft des<br />

Eisenbahnministeriums in Peking sieht es Investitionen<br />

von nahezu 196 Milliarden Euro vor.<br />

Geplant ist neben Maßnahmen zur Streckenertüchtigung<br />

sowie Elektrifi zierung ein Ausbau des gesamten<br />

Netzes um 28.000 auf insgesamt 100.000 Schienenkilometer.<br />

Darunter fallen 12.000 Kilometer neu zu bauender<br />

High-Speed-Rail-Trassen (Passenger Dedicated Lines,<br />

PDL) für Züge mit Tempo 200 und schneller, die in acht<br />

Linien (vier vertikal, vier horizontal) Chinas Wirtschafts-<br />

und Ballungszentren <strong>verbinden</strong> sollen.<br />

Know-how-Träger Ingenieure der <strong>Bahn</strong>-<br />

Tochter DE-Consult sind auch in China sehr<br />

gefragte, weil erfahrene Spezialisten.<br />

Als vertikale Passagen gelten: 1.300 Kilometer Trasse<br />

Peking–Schanghai; 2.230 Kilometer Peking–Wuhan–<br />

Shenzhen; 1.860 Kilometer Trasse Peking–Ha’erbin und<br />

Dalian sowie 1.600 Kilometer Trasse Hangzhou–Ningbo–Shenzhen<br />

zur Erschließung von Chinas südöstlicher<br />

Küsten linie.<br />

Die horizontalen Passagen sind daneben: 1.900 Trassenkilometer<br />

Nanjing–Wuhan–Chongquing–Chengdu;<br />

770 Kilometer Qingdao–Taiyuan; 890 Kilometer Hangzhou–Changsha<br />

sowie die 1.400 Kilometer lange Trasse<br />

Xuzhou–Lanzhou mit Theurers Arbeitsfeld: dem Teilabschnitt<br />

Zhengzhou nach Xi’an entlang der Ufer von<br />

Chinas sagenumwobenem Gelben Fluss.<br />

Ein einzigartiges Kulturland sei das, sagt der <strong>Bahn</strong>ingenieur<br />

und springt durch Jahrtausende der Menschheitsgeschichte.<br />

Hopplahopp geht das: Von der Besiedelung<br />

des Gebiets vor mehr als 40.000<br />

Jahren über das Werden und Vergehen<br />

der Kaiserdynastien bis hin zum<br />

Handelsleben zu Zeiten der Seidenstraße<br />

(sie nahm ihren Anfang in<br />

Xi’an) und dem Geschehen heutiger<br />

Tage. Im Hier und Jetzt beschäftigen<br />

sich die chinesischen Eisenbahnbauer<br />

mit den Tücken des Dutzende von<br />

Meter dicken Lössbodens. Sein auf-<br />

gewehter gelblicher Feinstaub prägt<br />

die Landschaft rund um die Stadt<br />

(7,16 Millionen Einwohner). Er habe<br />

die nahen Lin Tong-li Berge in eineinhalb<br />

Jahren erst drei Mal gesehen, gesteht Theurer, „ganz<br />

zu Schweigen vom Gipfel des Heiligen Hua Shan. Der<br />

steckte, wann immer ich bei meinen Fahrten entlang der<br />

Baustellen vorbeikam, hoch in den Wolken.“<br />

12.000 neue Streckenkilometer<br />

Abenteuer China, erst recht in bautechnischer Hinsicht.<br />

Die Trassenkonstruktion in fester Fahrbahn nach Vorbild<br />

der ICE-Strecke Frankfurt/M.–Köln vergleicht Theurer<br />

gerne mit einem „Stück Uhrmacherarbeit. Dabei geht es<br />

immer und überall um Millimeter.“ Und was das Gesamtprojekt<br />

betriff t, ist er voller Bewunderung für seine<br />

Auftraggeber. „Deren planerischer Wille ist für mich fast<br />

gleichzusetzen mit der Realisation der Großen Mauer.“<br />

Die 484 Kilometer bedeuten: Bau zahlloser Brücken,<br />

Viadukte, Tunnels und <strong>Bahn</strong>höfe. Sie bedeuten den Einsatz<br />

Zehntausender Arbeiter, eine unendliche Flut von<br />

Konstruktionsplänen und -zeichnungen. Letzteres fällt<br />

in Theurers Arbeitsgebiet.<br />

112 113


Er und seine Mitarbeiter sind Angestellte der früheren<br />

DB-Tochter DE-Consult (<strong>Deutsche</strong> Eisenbahn-Consulting<br />

GmbH), jetzt DB International, die in einem Joint<br />

Venture mit den amerikanischen Partnern von Parsons<br />

Brinkerhoff sowie dem „3. Planungs- und Vermessungsbüro<br />

der chinesischen Eisenbahnen“ für Qualitätskontrolle<br />

im Verfahren General Supervision and Design<br />

Review sorgen. Heißt: Es geht um direkte Bauaufsicht<br />

und Prüfung aller technischen Unterlagen. Gleich Kladdenweise<br />

landen Entwürfe und Auslegungen auf den<br />

Bürotischen der auf Erd-, Tunnel- und Brückenbau spezialisierten<br />

Ingenieure und Physiker. Sie werden dort technisch<br />

überprüft, nochmals gerechnet, eventuell ergänzt,<br />

abgeändert, zuweilen auch in Frage gestellt sowie abgezeichnet<br />

und freigegeben.<br />

Unterschiedliche Kulturen<br />

Was kompliziert klingt, ist im Alltag noch viel komplizierter.<br />

Es beginnt mit der Textübersetzung, die zahlreiche<br />

Dolmetscher leisten. Zuweilen führt dies zu sprachlichen<br />

Missverständnissen bei Fachtermini und reicht<br />

gelegentlich bis zu unterschiedlicher Bauphilosophie.<br />

Theurer nennt das Zusammentreff en von West und<br />

Ost auf Konstrukteursebene den normalen „clash of<br />

cul tures“, wobei „uns immer eine Einigung gelingt, nur<br />

dauert das manchmal eben seine Zeit, und es ist mitunter<br />

ein zähes Ringen um das beste Ergebnis. Jedenfalls sind<br />

wir eine Art Rückversicherung für unsere Auftraggeber,<br />

denn wir tragen die Verantwortung.“<br />

Wer solches in der Fremde durchsteht, der braucht ein<br />

gerütteltes Maß Nervenkraft, Geduld gepaart mit Ausdauer<br />

und – dies vor allem – viel Lebensklugheit und<br />

Erfahrung. Theurers Vita bietet von allem etwas, inklusive<br />

der schwäbischen Kerntugend Beharrlichkeit.<br />

Geboren in Öringen nahe Schwäbisch-Hall, studierte<br />

er zuerst Architektur, übernahm später schnell Aufgaben<br />

der Bauüberwachung und des Vertragsmanagements.<br />

„Nur im Büro Striche ziehen, das war nicht meine Sache“,<br />

erinnert er sich. „Und daheim bleiben auch nicht.“ Raus<br />

wollte er, raus in die Welt. Wohin? Um das richtig zu erzählen,<br />

braucht es Globus und Spickzettel. Darauf steht:<br />

Saudi-Arabien, die Emirate, der Irak. Darauf steht jede<br />

Menge Europa. Von Dänemark bis zum Balkan. Darauf<br />

stehen Kenia und Taiwan und gleich mehrfach Volksrepublik<br />

China. Beijing sah er, als es für uns <strong>Deutsche</strong> noch<br />

Peking hieß, Schanghai schon, als der Stadtteil Pudong<br />

noch Reisfeld war. „Man wird geradezu verrückt, wenn<br />

man Augenzeuge dieser Entwicklung wird und zuschaut,<br />

in welch kurzer Zeit sich die Welt verändert.“<br />

Zur DE-Consult stieß Theurer 1983. Damals lebte er –<br />

trotz Krieges – mit Familie in Bagdad und übernahm zuerst<br />

einen Job im Vertragswesen. Aufgabe: Abwicklung<br />

internationaler Vereinbarungen, Planprüfung und Berichtswesen.<br />

„Eisenbahn war bis dahin eigentlich nicht<br />

mein Thema, aber wenig später war ich Projektleiter bei<br />

den Arbeiten an der <strong>Bahn</strong>strecke zwischen Kirkuk und<br />

Euphratregion vor Ort. Das waren 250 Kilometer Neubau<br />

und die Strecke kreuzte die alte Bagdad-<strong>Bahn</strong>.“<br />

Weltweiter Transfer technologischen und betrieblichen<br />

Eisenbahnwissens kombiniert mit dem Finanzierungs-Know-how<br />

einer Großbank gehörte schon immer<br />

zum Kerngeschäft der DE-Consult, die 1966 zu gleichen<br />

Teilen von <strong>Deutsche</strong>r Bank und damaliger Bundesbahn<br />

Der hohe Mobilitätsbedarf im Mittleren Osten macht die<br />

ölfördernden Staaten in Zukunft zu Eisenbahnländern.<br />

gegründet wurde. Das Servicepaket beinhaltete Gutachten,<br />

Verkehrsplanung, Realisierung von Verkehrsprojekten<br />

sowie Bauplanungs- und Steuerungsmaßnahmen.<br />

Mehr als 2.000 Projekte wickelte man seitdem in über<br />

100 Ländern ab, zuletzt als hundertprozentige Tochter<br />

der DB ProjektBau und ab sofort unter dem Dach der Anfang<br />

2007 neu geschaff enen DB International.<br />

Dort begreift man sich als Schnittstelle zwischen internem<br />

Leistungsportfolio und dem Bedarf weltweiter Kundschaft.<br />

Geschäftsanbahnung wäre auch ein richtiges<br />

Wort. „Wir haben“, sagt DB-Chef Hartmut Mehdorn,<br />

„wie wohl kaum ein anderer Konzern spezifi sches Wissen<br />

und Fähigkeiten in ganz vielen Bereichen, für die es auf<br />

dem internationalen Markt eine große Nachfrage gibt.<br />

Das beginnt bei klassischer Eisenbahntechnik, unserer<br />

Kernkompetenz, und geht bis hin zum Aufbau elektronischer<br />

IT-Netzwerke.“<br />

In diesem Sinne ist DB International ein wichtiger Baustein<br />

im strategischen Konzept des global agierenden<br />

Ausgebohrt Die größte Herausforderung beim Bau der neuen<br />

Schnellfahrstrecke entlang des Gelben Flusses ist der überall<br />

gegenwärtige Lössboden. Er wird entweder mit tonnenschweren<br />

Gewichten verdichtet oder mit Pfahlgründungen stabilisiert. Was<br />

die Bohrer aus der Erde holen, steht bereit zum Abtransport.<br />

Mobilitäts- und Logistikdienstleisters. Geschäftsführer<br />

Martin Bay unterstreicht dies: „Wo immer wir antreten,<br />

wissen unsere Kunden, dahinter steht das geballte Knowhow<br />

des ganzen DB-Konzerns, und was wir jetzt aufbauen,<br />

ist ein gutes internes Netzwerk. Jede gestellte Frage<br />

braucht eine konkrete Antwort, und insofern geht es auch<br />

darum, innerhalb der Organisation die richtigen Leute zu<br />

fi nden. Das Wissen ist da, es gilt – fl ott formuliert – den<br />

Schatz zu heben. Unsere Exportschlager sind dabei unter<br />

anderem die feste Fahrbahn oder etwa der digitale <strong>Bahn</strong>funk<br />

GSM-R, der gerade dabei ist, sich zum Weltstandard<br />

zu entwickeln.“<br />

Bay selbst war viele Jahre im Ausland tätig, vornehmlich<br />

im Mittleren Osten. Und eben dort, in Saudi-Arabien,<br />

in Abu Dhabi, Bahrain und Dubai, ergeben sich zahlreiche<br />

neue Chancen. „Die Ölländer“, schwärmt er, „werden Eisenbahnländer.<br />

Man hat hohen Mobilitätsbedarf, und wir<br />

blicken auf einen Markt von etwa 140 großen Projekten<br />

mit einem Finanzvolumen von 150 Milliarden Euro.“<br />

114 115


Besprechung Dietrich Theurer und seine Ingenieure beraten mit ihren chinesischen Auftraggebern das weitere Vorgehen bei einem Bauabschnitt.<br />

Natürlich passen nicht alle Vorhaben in das DB-Portfolio.<br />

Zudem gibt es internationale Konkurrenz und harten<br />

Wettbewerb. Mehr oder weniger konkretisiert haben sich<br />

schon mehrere Projekte. Dabei geht es um Auf- und Ausbau<br />

des Container-Umschlaghafens im Emirat Abu Dhabi<br />

sowie, an gleicher Stelle, um Bau und vor allem Betrieb<br />

einer Güterbahn. Weit umfangreicher noch wäre die in<br />

Saudi-Arabien geplante 1.400 Kilometer<br />

lange Landbrücke quer durch<br />

die Wüste von Ad-Dammam am Persischen<br />

Golf über Riad nach Jiddah<br />

am Roten Meer. Sagt Bay: „Gedacht<br />

ist an Gütertransport mit Tempo 120,<br />

aber ebenso an Personenverkehre.<br />

Die sollen allerdings weitaus schneller,<br />

nämlich mit Spitzentempo 200<br />

unterwegs sein.“<br />

Das international übliche Prozedere<br />

solcher Großprojekte kennt allerdings<br />

einige Qualifi zierungshürden<br />

und erfordert, wie Bay weiß,<br />

beträchtliche Vorarbeit. „Wir warten nicht, bis jemand eine<br />

Ausschreibung macht, sondern qualifi zieren heißt für<br />

uns aktive Beteiligung bei Konzeption und Entwicklung<br />

sowie Planungsunterstützung.“<br />

Nach diesem Muster entwickelte sich auch Dietrich<br />

Theurers Arbeit in China. Die DE-Consult war bereits im<br />

frühen Stadium mit den Plänen des Ministry of Railways<br />

(MOR) befasst und erstellte anno 2003 beratend eine<br />

„Vorläufi ge Technische Spezifi kation für die Hochgeschwindigkeitsstrecke<br />

Peking–Schanghai“. Referenzen<br />

In Kladde Aufgabe der DE-Consult ist es,<br />

im „Design-Review“ sämtliche Konstruktionspläne<br />

zu überprüfen und zu begutachten.<br />

gab es darüber hinaus in Hülle und Fülle. Zum Beispiel<br />

die maßgebliche Beteiligung am Bau deutscher Schnellfahrtrassen<br />

oder die planerische Design-Mitgestaltung<br />

der 345 Kilometer langen High-Speed-Railway-Taipei–<br />

Kaohsiung auf Taiwan.<br />

Der Auftrag, abgewickelt in einer Arbeitsgemeinschaft,<br />

umfasste prüf- und abnahmetechnisch alle Bereiche des<br />

<strong>Bahn</strong>baus: vom Instandhaltungsmanagement<br />

über <strong>Bahn</strong>energieversorgung<br />

bis hin zum Gleisbau. Auch<br />

Theurer war ab 1988, als DE-Consult<br />

die Machbarkeit der Strecken nachwies,<br />

mehrfach vor Ort, und als mit<br />

Jahresbeginn 2007 der erste pfeilförmige<br />

Hochgeschwindigkeitszug in<br />

nur 90 Minuten die endgültig fertiggestellte<br />

Strecke befuhr und damit<br />

zugleich den Regelverkehr eröff nete,<br />

da ließ sich der Mann von DE-Consult<br />

das Ereignis selbst im fernen<br />

Xi’an nicht entgehen. „Zumindest<br />

vir tuell war ich dabei, online und via Internet.“<br />

Tags darauf ist wieder Alltag und Besprechung mit<br />

Ma Kayan, dem stellvertretenden Chef der chinesischen<br />

Projektgesellschaft. Ein noch junger, freundlicher, allerdings<br />

auch selbstbewusster, energischer Mann mit dem<br />

Sprachvermögen eines Diplomaten und glasklarer Zielvorgabe.<br />

„Unser Bauvorhaben ist gerade wegen des<br />

schwierigen Lössbodens eine große Herausforderung“,<br />

sagt Herr Ma. „Aber sicher ist: Es wird uns planmäßig bis<br />

2009 gelingen, eine im Weltmaßstab erstklassige Strecke<br />

Dort, wo Chinas neues Eisenbahnzeitalter Gestalt annimmt,<br />

verschmelzen Vergangenheit und Zukunft miteinander.<br />

für Hochgeschwindigkeitszüge zu etablieren. Wir haben<br />

die DE-Consult zur Mitarbeit eingeladen und sind sicher,<br />

sie wird dabei auch für zukünftige Aufgaben viele wertvolle<br />

Erfahrungen sammeln.“<br />

Was Theurer betriff t, so haben er und seine Mitarbeiter<br />

schon einige Komplimente erhalten, vor allem, wie<br />

Ma Kanyan es ausdrückt, für die Flexibilität in der Zusammenarbeit<br />

mit den chinesischen Partnern. Erfreut sei<br />

er, so Ma, „wie man es geschaff t hat, sich auf veränderte<br />

Gegebenheiten einzustellen und deutsche Erfahrung sowie<br />

chinesische Praxis zu aller Nutzen zu <strong>verbinden</strong>.“<br />

Moderation ist dafür ein wichtiges Stichwort. Eine<br />

Aufgabe, die Dietrich Theurer im wahrsten Sinne des<br />

Wortes tagtäglich umtreibt und auf Trab hält. Ob nun in<br />

Konferenzen, am Telefon, per Internet mit Hunderten<br />

von E-Mails oder bei seinen zahlreichen Fahrten zu einzelnen<br />

Bauabschnitten entlang der Strecke. Bewundernswert<br />

die Kondition trotz seiner 62 Jahre, aber, so sagt der<br />

vierfache Familienvater: „China, das ist für mich wie ein<br />

regelrechter Jungbrunnen.“<br />

Aufbruch also, dorthin wo das neue Eisenbahnzeitalter<br />

Gestalt annimmt. Zu Tunnel- und Brückenbauten, die<br />

knapp 150 Kilometer entfernt zu Füßen des berühmten<br />

Qinling-Gebirges mit seinem heiligen Huashan-Berg<br />

stattfi nden und normalerweise westlichen Augen verborgen<br />

bleiben. Was man sieht, ist in seinen Dimensionen gewaltig,<br />

schwingt sich über Täler und gräbt sich durch<br />

ockerfarbenen Löss. Bunte Fahnen wehen allerorten an<br />

den Baustellen, die über eine parallel verlaufende vierspurige<br />

Autobahn recht mühelos erreichbar sind.<br />

Herausforderung Lössboden<br />

Der Boden übrigens ist tückisch, denn seine feste Ton-<br />

Anmutung täuscht: Bei Regen kollabiert der Untergrund<br />

und fällt in sich zusammen. Eine besondere Herausforderung<br />

vor allem für Geophysiker wie Dieter Jung von DB<br />

International. Seine Aufmerksamkeit gilt unter anderem<br />

den Bodenverdichtungsarbeiten, welche gerade im Bereich<br />

eines Kreuzungsbahnhofs nahe der Stadt Lintong<br />

stattfi nden.<br />

Fleischer wiederum, DB International-Experte für<br />

Brückenbau, interessiert sich mehr für die Vorfertigung<br />

von 32 Meter langen und rund 900 Tonnen schweren<br />

Betonelementen, wie sie in der Nähe des berühmten<br />

Xiyue-Tempels in modernster Bauweise wie am Fließband<br />

produziert werden. Gerade dort, vor der Silhouette<br />

holzgeschnitzter Pagodendächer, verschmilzt auf eindrucksvolle<br />

Weise Jahrhunderte alte Geschichte mit<br />

moderner Gegenwart und hochtechnisierter Zukunft.<br />

Für Dietrich Theurer, den seine Frau Thurid (Thors Schöne)<br />

„einen Romantiker“ nennt, bieten solche Momente<br />

immer wieder Gelegenheit zu kleinen geistigen<br />

Gedankenfl ügen. Befeuert von einem einheimischen<br />

Ingenieur, taucht er ab in die Untiefen chinesischer Historie<br />

und landet diesmal bei General Sunzi. Der legte vor<br />

2.500 Jahren Schriften zur „Kunst des Krieges“ vor und<br />

prägte dabei eine Wahrheit, an die sich Theurer noch<br />

heutzutage in Ehe und Arbeitsalltag hält: „Wahrhaft<br />

siegt, wer nicht kämpft.“<br />

Eingeschalt In unmittelbarer Nachbarschaft des vor Urzeiten aus Holz<br />

gefertigten Xiyue-Tempels regieren heute Beton und Stahl.<br />

Wie am Fließband 900 Tonnen wiegt jedes einzelne Brückenelement.<br />

In diesem Betrieb entstehen rund 500 solcher Kolosse.<br />

116 117


Transport & Logistik<br />

Drehkreuze<br />

Im weltweit geknüpften Netzwerk der Handelsströme fungieren<br />

Cargo-Airports und Seehäfen, Frachtzentren und Rangierbahnhöfe<br />

als Knotenpunkte. Im Hub-System moderner Logistikketten übernehmen<br />

sie die Verteilfunktion aller Transportgüter auf dem Weg zum Kunden.<br />

Nightshow Ein Cargo-Jet vom<br />

Typ Boeing 727 auf Parkposition<br />

– bereit zum Entladen.<br />

Der Flugplatz von Toledo dient<br />

Schenker als US-Airfreight-<br />

Hub. Dort landen Nacht für<br />

Nacht im Minutenrhythmus<br />

Dutzende von Frachtmaschinen<br />

aus Amerika.<br />

118 119


Toledo ist<br />

Dreh- und<br />

Angelpunkt<br />

des Luftfrachtgeschäfts<br />

von<br />

DB Logistics<br />

in den USA.<br />

as kleine Toledo hat ein großes<br />

Auge, mit dem es die<br />

Welt sieht – es ist sein Flughafen.<br />

Zwar geht es dort tagsüber<br />

eher gemütlich zu, man<br />

ist schließlich nicht in Atlanta oder in<br />

Chicago, wo jährlich über 150 Millionen<br />

Passagiere abgefertigt werden; aber des<br />

Nachts, nachts wandelt sich die Kulisse<br />

vom Provinztheater zur großen Oper.<br />

Dann fallen Flieger im Minutentakt vom<br />

Himmel und auf dem Flugfeld geht es<br />

zu, als spiele man D-Day. Mindestens.<br />

Plötzlich ist alles ein Scheinwerfer-<br />

Gleißen, darin die Licht- und Schattenspiele<br />

eines Balletts aus Gabelstaplern,<br />

Zugmaschinen, Transport- und Hubwagen.<br />

Einem Hornissenschwarm gleich<br />

sausen sie gen Parkpositionen, den ausrollenden<br />

Flugzeugen entgegen. Es sind<br />

dies zu Frachtern umgebaute Boeing-<br />

727-Jets und Luftfahrt-Packesel vom Typ<br />

DC 8. Deren Ladeluken schwingen auf,<br />

recken sich zum Himmel und aus den<br />

schlanken Aluminiumleibern quellen<br />

unentwegt tonnenschwere, unförmige<br />

Frachtpaletten.<br />

„Nightshow“ nennt sich das kafkaeske<br />

Spektakel, das unvermittelt eine<br />

Stunde nach Mitternacht einsetzt und<br />

Alles unter Kontrolle In der Operationszentrale informiert die Darstellung des US-<br />

Luftraums über die Flugbewegungen aller angekündigten Maschinen.<br />

mit beginnendem Tageslicht ebenso abrupt<br />

endet. Mitten auf dem Rollfeld,<br />

gleichsam im windstillen Auge des um<br />

ihn herum tobenden Orkans, steht Todd<br />

Hines. Er orchestriert das Ganze und will<br />

man ihm glauben, so fühlt er sich gerade<br />

im Mittelpunkt des Universums. Zumindest<br />

sagt er: „Dieser Anblick ist für<br />

mich pures Adrenalin. Man spürt den<br />

Herzschlag der Welt, unseres Unternehmens<br />

Schenker, und es ist Nacht für<br />

Nacht ein ungeheures Glücksgefühl.“<br />

Dafür gibt es noch eine andere Metapher,<br />

sie gleicht rhythmischen Trommelschlägen:<br />

„BOOM … BOOM … BOOM“, sagt<br />

Hines selig. „Wenn die Flieger runterkommen,<br />

das macht immer nur BOOM<br />

… BOOM … BOOM.“<br />

Zentrifugale Beschleunigung<br />

Toledo ist ein sogenanntes Hub. Oder<br />

Verkehrskreuz. Jedenfalls eine Drehscheibe<br />

mit zentrifugaler Beschleunigungskraft,<br />

die alles was Kiste oder Karton,<br />

was Paket, Päckchen oder Dokument<br />

ist, anzieht, durcheinanderwirbelt, neu<br />

sortiert und wieder von sich katapultiert.<br />

Hinaus zu Bestimmungsorten die<br />

da heißen: Mexiko City, New York, New<br />

Orleans oder Los Angeles, Denver,<br />

Toronto.<br />

Es gibt mehr solcher Plätze, größere<br />

auch. Louisville oder Memphis wären an<br />

vorderster Stelle zu nennen. Sie sind die<br />

World Port und Super-Hub genannten<br />

Luftfracht-Knotenpunkte der US-Transportriesen<br />

UPS oder FedEx. Dort erscheinen<br />

nicht nur Dutzende Flugzeuge<br />

am Himmel, dort stoßen Cargo-Frachter<br />

zu Hunderten gen Erde hinab. Sie speien<br />

ihre Ladung auf Sortierbänder in einer<br />

Gesamtlänge von über 300 Kilometern.<br />

Stündlich lassen sich darauf 300.000<br />

Einzelstücke transporttechnisch verarbeiten,<br />

und der dabei produzierte elektronische<br />

Datenfl uss übertriff t allein in<br />

30 Minuten den gesamten IT-Durchsatz<br />

der New Yorker Börse an einem einzigen<br />

Handelstag.<br />

Hub ist ein englisches Wort. Es bedeutet:<br />

Radnabe. Gemeinsam mit der Vokabel<br />

Spoke (Speiche) entsteht mit „Hub<br />

and Spoke“ (Nabe/Speiche) ein Kernbegriff<br />

internationaler Transportlogistik,<br />

denn sie nutzt zur Verknüpfung ihrer<br />

weltweiten Handelswege (tradelanes)<br />

genau dieses Prinzip. Fahre oder fl iege<br />

von A nach B nicht direkt, sondern über<br />

Z. So ungefähr. Hubs also sind Dreh- und<br />

Angelpunkte großer Netzwerke und ihrer<br />

bedient sich heutzutage jedes Transportmittel:<br />

angefangen von Luft- und<br />

Seefahrt bis hin zu landgestützten Schienen-<br />

und Straßenverkehren.<br />

Im Kosmos von DB Logistics mit seinen<br />

drei Marken Schenker, gestärkt<br />

durch die Integration von BAX Global,<br />

Railion und Intermodal gibt es jede Art<br />

Knotenpunkt, und Toledo ist darunter<br />

der wichtigste inneramerikanische Luftfrachtbaustein.<br />

Man bedient von dort<br />

Kunden des gesamten US-Markts sowie<br />

aus Kanada und Mexiko, fungiert aber<br />

auch als Bindeglied zwischen Europa<br />

und Australien. Es gibt direkte Cargo-<br />

Flüge zwischen Toledo und Frankfurt-<br />

Hahn, sowie Toledo und Sydney.<br />

Kreisverkehr im Weltmaßstab<br />

Weitere Drehkreuze im globalen „Flight<br />

Operations“-Angebot von Schenker sind<br />

die Airports Frankfurt/Main (Europa-<br />

Hub Kelsterbach), Hongkong und Singapur<br />

(Südostasien), die Flughäfen Tokio-Narita<br />

und Schanghai-Pudong, sowie<br />

Seouls neuer hochmoderner Cargo-<br />

Tempel Incheon. Er funktioniert als<br />

Sammelstelle und Einfallstor zu den sich<br />

schnell entwickelnden urbanen Produktionsstandorten<br />

Zentral-Chinas.<br />

Von Incheon geht es zum Beispiel<br />

über Moskau zurück gen Europa, und es<br />

sind jährlich mehr als 800 Frachtfl üge,<br />

die Schenker auf dieser oder ähnlichen<br />

Routen abwickelt. Das System, gefl ogen<br />

im Vollcharter mit DC 10 F oder Boeing<br />

Nationalstolz Stars and<br />

Stripes und ganz viele Päckchen<br />

und Pakete: Was die Maschinen<br />

an Ladung mitbringen, wird im<br />

Frachtzentrum von Toledo auf<br />

Transportbändern nach neuen<br />

Bestimmungsorten sortiert.<br />

120 121


Lastesel Nur Minuten nach der<br />

Landung verlassen die ersten<br />

Frachtpaletten den Laderaum eines<br />

Cargo-Jets Typ DC 8.<br />

Verteilertanz Mit Gabelstaplern werden Transportgüter von den Eingangstoren des<br />

Verteilzentrums an Ausgangsstationen gefahren.<br />

Netzwerk Ein Mitarbeiter bereitet Schutzplane und<br />

Netz für den Bau einer Luftfrachtpalette vor.<br />

747 Cargo-Jets, ist effi zient und logistisch<br />

höchst anspruchsvoll. Kreisverkehr im<br />

Weltmaßstab, sozusagen. Siegel „Service<br />

all around the world“. Das Karussell<br />

dreht sich immer schneller.<br />

„Pioniertage“ seien das, urteilt Todd<br />

Hines, 39, in Toledo. Dabei ist der<br />

Director of Hub Operations schon seit<br />

1991 dabei. Ein jungenhafter Typ, US-<br />

Boy, wie College geschulte US-Boys so<br />

sind. Sympathisch und off en, dabei extrem<br />

engagiert. Gut organisiert, immer<br />

aufs Wesentliche konzentriert, Anhänger<br />

der Begriff e Leadership, Integrity,<br />

Teamwork, Contribute. Auch Mensch<br />

mit viel Familiensinn, sportlich dazu.<br />

Träger des schwarzen Judogürtels und<br />

natürlich immer auf dem Weg weiter<br />

nach Westen. Ein Mann mit Pioniergeist<br />

für Pioniertage also, „weil uns“, wie er<br />

sagt, „der Zusammenschluss von Schenker<br />

und BAX Global unter dem Dach<br />

von DB Logistics ganz neue Möglichkeiten<br />

zum weiteren globalen Netzwerkausbau<br />

eröff net.“<br />

Die Bedingungen seines Standorts jedenfalls<br />

sind ideal. Das beginnt schon<br />

mit der geografi schen Lage. Toledo<br />

(350.000 Einwohner) liegt mitten im<br />

Herzen der nordamerikanischen Automobil-<br />

und Schwerindustrie, nur knapp<br />

eine Autostunde entfernt von Detroit.<br />

Die Highways Interstate 80 und 90 verlaufen<br />

dort, es kreuzen die vielbefah-<br />

renen Railtracks der großen US-Eisenbahngesellschaften<br />

Conrail, Norfolk<br />

Southern, Union Pacifi c oder Burlington<br />

Northern Santa Fe.<br />

Eigentlicher Schatz aber ist der Airport<br />

selbst. „Auf unserem Flughafen<br />

sind wir einziger Kunde und Cargo-Operator.<br />

Das gibt uns jede Menge Freiheit.<br />

Hier können alle Flugzeugtypen, ob nun<br />

DC 8, Jumbo oder Boeing 727 starten und<br />

landen. Die Jets sind innerhalb von nur<br />

sechs Minuten nach ‚touch down‘ an ihrer<br />

Parkposition. Es gibt keine Nachtfl<br />

ugbeschränkung, keine engen Zeitfenster<br />

und deshalb auch keine langen<br />

Wartezeiten oder Verspätungen. Einfach<br />

perfekt.“<br />

Spannend wie ein Krimi<br />

Perfekt wie seine „Nightshow“. Es ist zu<br />

Teilen eine Inszenierung in Alfred-<br />

Hitchcock-Manier, denn Spannung verheißen<br />

die ersten Bilder. Klappe und<br />

action: Scheinwerfer irrlichtern zur Geisterstunde<br />

entlang der noch nachtschwarzen<br />

Rollbahn. Über 900 Mitarbeiter<br />

schaukeln gerade in einer Art von<br />

geheimnisvollem Autokorso gen Logistik-Terminal,<br />

stellen dort ihre Fahrzeuge<br />

ab und gehen in Position. Wieder<br />

Klappe und jetzt: Spot an, Flutlichtstrahlen<br />

und schlagartig ohrenbetäubendes<br />

Turbinenheulen am Himmel.<br />

Große Klappe Beladung im Minutentakt, dabei hat jede Frachtpalette – je nach<br />

Gewicht – ihren eigenen Platz im Laderaum eines Cargo-Jets.<br />

Link to Germany Todd Hines,<br />

der Leiter des Toledo-Hubs.<br />

Schubkraft Kurzes Kommando und los – in Teamwork<br />

und über Bodenrollen geht es in den Flugzeugrumpf.<br />

122 123


Schnittpunkt<br />

zwischen<br />

Hafen und<br />

Hinterland –<br />

das Railion<br />

Cargo-Zentrum<br />

Maschen.<br />

Letzte Instanz Auf dem Rangierbahnhof<br />

Maschen kontrolliert ein<br />

Wagenmeister die ladungs- und<br />

sicherheitstechnisch korrekte<br />

Abfertigung eines Güterzuges.<br />

Die Dramaturgie folgt exakt den<br />

Kommandos einer sogenannten Operationszentrale.<br />

Sie dient Todd Hines und<br />

seinen Mitarbeitern als Regiepult. Ein<br />

wandgroßes Wetterradar sowie die überdimensionale<br />

Bildschirmdarstellung des<br />

US-Luftraums (gerade sind 1.638 Maschinen<br />

unterwegs) mit seinen verschiedenen<br />

Zeitzonen illuminieren dort die<br />

Szenerie. Man sieht die Silhouetten der<br />

auf Toledo einschwenkenden Flotte gecharterter<br />

Jets. Sie werden von dieser<br />

Stelle aus elektronisch ab „take off “ überwacht,<br />

im Fall des Falles – etwa bei Nebel<br />

– umgeleitet und bekommen für die<br />

Entladung im sogenannten Ramp Layout<br />

ihre Parkpositionen zugewiesen.<br />

Man organisiert während der folgenden<br />

Standzeit sowohl Betankung als<br />

auch technische Checks und schickt sie<br />

dann wieder auf die Reise: mit neu gefülltem<br />

Rumpf, neuem Flugplan, neuer<br />

Ankunftszeit und neuem Zielort. Wer<br />

aus Atlanta kam, düst jetzt womöglich<br />

nach Denver, nach New Orleans statt<br />

Phoenix oder fl iegt seine Ladung auch<br />

einfach nur zurück.<br />

Automatischer Transportfl uss<br />

Draußen tobt derweil eine regelrechte<br />

Materialschlacht. Die Mitarbeiterriege,<br />

zum Großteil besetzt mit langjährigen<br />

Teilzeitkräften – rund 600 sind Studenten<br />

oder Farmer, die sich per Nachtschicht<br />

ein bisschen Geld dazu verdienen<br />

– agiert dabei im Stil einer Footballmannschaft.<br />

Es gibt für alles und jedes Spezialisten.<br />

Teams zum Ausladen der Jets (Vorgabe<br />

30 Minuten für eine DC 8 mit 18 Paletten<br />

im Main Deck und vier im unteren<br />

Rumpfsegment) und Teams für deren<br />

Beladung. Teams zum Auspacken der<br />

Frachtpaletten oder Container in den sogenannten<br />

„Break-down“-Zonen und<br />

ebensolche Teams für Aufbau und Beschickung<br />

neuer Paletten oder Container<br />

an den „Build-up“- Positionen. Dazu<br />

ein ganzes Heer von Gabelstaplerfahrern,<br />

die von Kästen über Kartons bis<br />

hin zu Fässern und Tonnen alles in der<br />

knapp 30.000 Quadratmeter großen Logistikhalle<br />

hin- und herfahren. Das<br />

gleicht insbesondere auf der „Main<br />

Street“ titulierten Hauptachse ganz dem<br />

Autoscooter-Getümmel eines Kirmes-<br />

Fahrgeschäfts, allerdings unter virtuoser<br />

Vermeidung jeglicher Kollision.<br />

Und dann sind da noch die Damen<br />

und Herren vom Team automatischer<br />

Transportfl uss. Sie bestücken 4,2 Kilometer<br />

langes, verwirrend-verknotetes in<br />

drei Stockwerken verlaufendes Sortierband<br />

mit Paketen und Päckchen, mit<br />

Kistchen und Kästchen, mit Säcken und<br />

Dokumententaschen. Dirigiert wird die<br />

gesamte Maschinerie aus einer technischen<br />

Leitzentrale, die zugleich jeden<br />

Arbeitsschritt aller Teams dokumentiert,<br />

protokolliert und als Operation<br />

Summary Report via Drucker auswirft.<br />

Todd Hines bringt es auf den Punkt:<br />

„Die Performance Reviews geben uns jeden<br />

Morgen Antwort auf die Frage: Wie<br />

gut waren wir?“<br />

Zu Buche stehen dann meistens ein<br />

Umschlag von knapp 800 Frachttonnen,<br />

der „Break-down“ einiger Hundert Paletten,<br />

sowie ein ebensolcher „Build-up“.<br />

Der Durchfl uss aller Einzelpositionen<br />

geht in die Tausende, und all das wird bewältigt<br />

in nur knapp drei Stunden. Länger<br />

steht keine Maschine. Mit Sonnenaufgang<br />

jedenfalls ist der ganze Spuk<br />

vorbei. Kein Chorgesang, kein Abspann,<br />

nur Schluss. Alles hastet wieder zu den<br />

Autos und macht sich auf den Weg nach<br />

Hause. Zur eigentlichen Arbeit, zum Studium<br />

oder – wie Todd Hines – zum Frühstück<br />

mit Frau Kimberley und den Töchtern<br />

Kennedy und Madison. Still ist es<br />

dann wieder in Toledo.<br />

Einige tausend Kilometer entfernt<br />

kennen die Tage keine solche Atempause.<br />

Deshalb Szenenwechsel und Zeitsprung:<br />

Das alte Europa ist nächste Etappe<br />

dieser kleinen Reise. Neuer Zielort ist<br />

das Cargo-Zentrum Maschen bei Hamburg.<br />

Auch so ein Drehkreuz; allerdings<br />

von Railion. Für Züge, nicht für Flieger.<br />

Ein Rangierbahnhof nur, aber was für einer:<br />

der größte Europas.<br />

Gleisbild Der Rangierbahnhof<br />

Maschen feiert in diesem Jahr<br />

30-jähriges Bestehen. Mit seinen<br />

272 Gleiskilometern und 750<br />

Weichen auf 280 Hektar Fläche<br />

ist er in Europa größter Güterverkehrsknotenpunkt.<br />

124 125


Wechselspiel Was chaotisch<br />

aussieht, folgt im Hub Friedewald<br />

von Schenker einem genauen<br />

Plan. Mittels Hubwagen wird<br />

eingegangene Ladung in<br />

Windeseile auf neue Ausgangspositionen<br />

verteilt.<br />

Sieben Kilometer lang, 700 Meter breit,<br />

knapp 280 Hektar Fläche. Bestückt mit<br />

272 Gleiskilometern, 750 Weichen, 100<br />

Hauptsignalen, 688 Rangiersignalen.<br />

Mit 29 Brücken, 54 Dienstgebäuden und<br />

insgesamt 479 Mitarbeitern. Deren Leistung<br />

misst man in Rangierbewegungen,<br />

und die Zahlen dazu lauten: Behandlung<br />

und Abfertigung von täglich 4.500 Wagen<br />

und 150 Zügen im Ausgang.<br />

„Eine Erfolgsstory“, sagt Leiter Horst<br />

Heydasch, „und eine Lovestory dazu,<br />

denn der <strong>Bahn</strong>hof ist unser Leben, wir<br />

sind alle stolz auf ihn. Er ist unser Star.“<br />

Stolz auf volle 30 Jahre, man feiert in diesem<br />

Jahr runden Geburtstag. Glück-<br />

wunsch dazu. Vor allem auch aus dem<br />

Hamburger Hafen, denn ohne Maschen<br />

würden sich dort die angelandeten Container<br />

längst in Zugspitzhöhe stapeln.<br />

„Drehscheibe ist schon richtig, aber<br />

ich sage immer zweite Herzkammer“,<br />

merkt Heydasch an. „Wir haben unter<br />

anderem die Aufgabe, den Schienenverkehr<br />

aus dem Hafen heraus ans Hinterland<br />

anzubinden und das Güteraufkommen<br />

ins Netz zu pumpen. Etwa zu den<br />

acht weiteren Rangieranlagen von Railion<br />

im weiteren Bundesgebiet.“<br />

Modellbahnbauer wissen genau, wie<br />

das geht: Güterwaggons aus dem Norden<br />

von Deutschland – aus den Häfen<br />

Hamburgs, Lübecks oder Kiels, aus<br />

Flensburg, aber auch aus ganz Skandinavien<br />

– kommen an. Sie werden über den<br />

sogenannten fünf Meter hohen Ablaufberg<br />

geschoben, dabei in Einzelwagen<br />

oder Gruppen zerlegt und formieren sich<br />

sodann auf Ausfahrgleisen zu Zügen gen<br />

Süden. Gesteuert wird das alles vollautomatisch,<br />

wie von Geisterhand und in<br />

Gegenrichtung geschieht gleiches: Aus<br />

Süden kommende Züge verteilen ihre<br />

Fracht auf Gleise gen Norden.<br />

„Wir sind ein schneller <strong>Bahn</strong>hof“,<br />

sagt Heydasch. „Innerhalb von acht<br />

Stunden ist ein Waggon bei uns weg. Er<br />

wird in dieser Zeit zwar dreimal umge-<br />

schlagen, aber wir sind deshalb keine<br />

Eisverkäufer, die mit Tüten handeln.<br />

Wir produzieren Logistikketten und sorgen<br />

dafür, das alles geschmeidig läuft.“<br />

Längst sind die Containerverkehre<br />

auch in Maschen der Renner. Sie stellen<br />

mit weiter steigender Tendenz nahezu<br />

die Hälfte des gesamten Wagenaufkommens,<br />

suchen sich allerdings daneben<br />

weitere Drehscheiben. Der DUSS-Terminal<br />

Hamburg-Billwerder ist ein solcher<br />

Ort. DUSS übrigens steht für <strong>Deutsche</strong><br />

Umschlaggesellschaft Schiene-Straße.<br />

Beteiligt sind daran die DB Netz <strong>AG</strong><br />

(75 Prozent), die Kombiverkehr GmbH<br />

sowie die Stinnes <strong>AG</strong>.<br />

Das Rennen der Portalkräne<br />

Neuerlicher Szenenwechsel also und ab<br />

in luftige Höhe. Hinauf zu Enver<br />

Ramadani, 58, den alle nur „Papa“ nennen<br />

und der gerade knapp 14 Meter über<br />

dem Boden seinen Portalkran mittels<br />

Joystick über ganze Blechgebirge hinweg<br />

steuert. Sein Job: Container verkranen.<br />

Oder Wechselbrücken. Oder<br />

ganze Sattelaufl ieger. Von herangefahrenen<br />

Lastwagen oder Zugmaschinen auf<br />

bereitgestellte Spezialwaggons. Oder<br />

umgekehrt.<br />

Gerade „schnappt“ er sich mit seiner<br />

Spreader genannten vierarmigen Greifbrücke<br />

ein solches Teil. Den Befehl dazu<br />

erhielt er elektronisch mittels Betriebs-<br />

Leitsystem Umschlagbahnhof (BLU).<br />

Es zeigt ihm auf seinem Cockpit-Display<br />

Aufnahme- und Zielstellplatz.<br />

Diesmal ist es ein 25 Tonnen schwerer<br />

Container mit Kennziff er TCVU 241629.<br />

Abzuholen im Raster 19 A und abzusetzen<br />

auf Gleis 73, Waggon 55085, Sektion<br />

D. Zielbahnhof ist DUSS-Terminal<br />

München.<br />

Das geht ruckzuck und wie im Schlaf.<br />

Aber an Letzteres ist natürlich nicht zu<br />

denken. „Bei diesem Job musst du hellwach<br />

sein“, sagt Ramadani. „Und du<br />

brauchst vor allem beim Abstellen viel<br />

Fingerspitzengefühl. Wer das nicht hat,<br />

der sollte es gleich lassen.“ Zuweilen<br />

fährt er beim „wegbaggern“ regelrechte<br />

Kranrennen, „weil immer mehr zu tun<br />

ist“. Rollt auch jetzt schon wieder<br />

zum nächsten Kunden. Diesmal parkt<br />

Friedewald<br />

ist die Spinne<br />

im Netz<br />

europaweiter<br />

Landverkehre.<br />

Nachtschicht Rund 2.000<br />

Frachttonnen werden täglich im<br />

Hub Friedewald umgeschlagen.<br />

Das Güteraufkommen speist sich<br />

aus über 70 internationalen<br />

Transportrouten.<br />

126 127


Container<br />

im schnellen<br />

Wechsel<br />

zwischen<br />

Schiene<br />

und Straße<br />

Checkpoint Einfahrt zum<br />

Kombi-Terminal Billwerder.<br />

Nach der Anmeldung wird<br />

Truckern eine Be- oder Entladeposition<br />

zugewiesen.<br />

128<br />

ein Lkw unter seiner schwebenden Kommandozentrale.<br />

„Sattelaufl ieger Firma<br />

Richter“, murmelt der gebürtige Jugoslawe,<br />

dreht dabei ein bisschen an den<br />

Knöpfen seines Krans und lässt den<br />

14 Tonnen schweren Trailer langsam<br />

zum Eisenbahnwaggon schweben. „Der<br />

geht nach München.“<br />

Ramadani schaff t rund 150 Ladeeinheiten<br />

in seiner Schicht. Die Elektronik<br />

nimmt ihm dabei keineswegs alle Arbeit<br />

ab. Wie ein Schachspieler muss er im<br />

Kopf immer „ein paar Züge vorausdenken“<br />

und seinen ganz eigenen Rhythmus<br />

im Aufspüren effi zientester Verlademuster<br />

fi nden.<br />

„Der kürzeste Weg zwischen Auf-<br />

und Abladen ist immer der Beste“, sagt<br />

im Büro sein Chef Manfred Schuster. Er<br />

leitet diese Schnittstelle zwischen Schiene<br />

und Straße und er hat ein paar Zahlen<br />

parat: 46 Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb.<br />

Terminal-Gesamtfl äche 350.000<br />

Quadratmeter. Darauf acht Zugbildungs-<br />

und Krangleise (4 à 720 Meter und 4 à<br />

620 Meter), fünf Portalkräne mit Spurbreite<br />

46,50 Meter, sowie 41 Tonnen<br />

Tragfähigkeit, ausgelegt die ganze Anlage<br />

einst auf rund 25.000 Ladeeinheiten<br />

(LE) pro Jahr. „Aber da sind wir längst“,<br />

sagt Schuster. „Bei uns sind fast alle<br />

Ladezeitfenster gefüllt und in drei Jahren,<br />

so meine Schätzung, sind wir bei<br />

300.000 Einheiten.“<br />

Derzeit laufen täglich zwischen 2:00<br />

und 7:30 Uhr bis zu 24 Züge ein. Oder gehen<br />

von 16:00 bis 21:30 Uhr wieder ab.<br />

Man verbindet dabei im sogenannten<br />

Nachtsprung Norddeutschland mit 28<br />

weiteren Terminals an anderen Wirtschafts-standorten<br />

der Republik, fährt<br />

Gateway-Verkehre gen Kiel, Rostock<br />

und Lübeck, bedient auch Terminals in<br />

Italien und in der Schweiz.<br />

Nur der Hafen bleibt außen vor. „Unsere<br />

Funktion ist eigentlich die Versorgung<br />

des Großraums Hamburg. Große<br />

Handelsketten und Warenhäuser beliefern<br />

über uns ihre Filialen, die Post fährt<br />

ihre 160 km/h schnellen Pic-Züge von<br />

hier, und auch die Papierindustrie ist<br />

einer unserer großen Kunden.“ Hinzu<br />

kommen Gefahrgut-Einheiten und auch<br />

jede Menge Transportgüter anderer, DBfremder<br />

Eisenbahnen. „Wettbewerb ist<br />

heutzutage völlig normal für uns“, sagt<br />

Schuster zum Abschied. Und fügt hinzu:<br />

„Hauptsache Schiene.“<br />

DB Logistics bedient allerdings auch<br />

die Kundschaft auf der Straße, ja DB Logistics<br />

ist mit der ihr zugeordneten DB-<br />

Tochter Schenker sogar Europas größter<br />

Landtransporteur. Mit 700 Geschäftstellen<br />

in über dreißig Ländern und mit rund<br />

7.500 fahrplanmäßig vertakteten Verkehren.<br />

Von Barcelona in Spanien bis<br />

Tallinn in Estland. Ein solches System<br />

braucht natürlich seine Drehscheiben,<br />

seine Knotenpunkte, seine Hubs und damit<br />

letzter Szenenwechsel – ab in die<br />

Provinz, Ziel Friedewald.<br />

Hub Friedewald liegt zentral<br />

Eine klitzekleine Gemeinde mit einem<br />

großen Auge auf die Welt. Ideal als Drehscheibe,<br />

so wie Toledo. Besser übrigens<br />

lässt sich die Mitte Deutschlands nicht<br />

treff en: Friedewald liegt mit seinen Geokoordinaten<br />

Länge 10’/02’ Ost und Breite<br />

50’/02’ Nord praktisch im Herzen der<br />

Republik. Das macht den Ort, neben seiner<br />

direkten Autobahnanbindung, für<br />

Spediteure so wertvoll. Was man nicht<br />

unbedingt wissen muss, schließlich<br />

kennt auch niemand das unsichtbare,<br />

feinmaschige Transportnetz, dessen viele<br />

Fäden aus Nord und Süd, aus Ost und<br />

West allesamt dort, am Hub Friedewald<br />

zusammenlaufen.<br />

Es sind dies 47 nationale und 37 internationale<br />

Lastkraftwagenverkehre (Relationen)<br />

mit täglich 120 An- und Abfahrten<br />

in deutsche und europäische<br />

Metropolen. Die Systematik gleicht dem<br />

Luftfrachtgeschäft. Sie besteht in später<br />

abendlicher Ankunft der Lkw, dem Ausladen<br />

ihrer Güter, dem Sortieren und<br />

Umverteilen, sowie der neuerlichen Beladung<br />

von sogenannten Wechselbrücken<br />

an 110 Toren.<br />

All das geschieht auf 5.900 Quadratmetern,<br />

es sieht chaotisch aus, ist aber<br />

mathematisch berechnet, summiert sich<br />

in der Spitze auf 2.000 Frachttonnen per<br />

Nacht und geschieht in nur vier Stunden.<br />

Letzte Lkw-Abfahrt ist gegen 0:30<br />

Uhr. Danach schließen sich die Ladetore<br />

und es wird wieder still in Friedewald.<br />

Ganz so wie in Toledo.<br />

Abgehoben Portalkräne leisten in<br />

Billwerder Schwerstarbeit. Sie hieven<br />

Container oder Aufl ieger vom Lkw<br />

auf Güterwaggons.<br />

129


Australien<br />

Tempomacher<br />

Seit Sydney 2000, dem Jahr der Olympischen Sommerspiele, erlebt der fünfte Kontinent<br />

ein regelrechtes Wirtschaftswunder. Hohe Wachstumsraten kennzeichnen den Boom<br />

„down under“. Bei Transport & Logistik spielt die DB-Tochter Schenker Australia Pty Ltd.<br />

in Sachen Im- und Export nach Europa ebenso eine führende Rolle wie als transpazifisches<br />

Bindeglied zwischen den USA und Asien.<br />

Auf der Überholspur Express-Service<br />

selbstverständlich: Ein Caddy der<br />

Schenker-Geschäftsstelle Perth liefert<br />

Maschinenersatzteile. Und zwar direkt zur<br />

einst weltgrößten Goldmine im<br />

620 Kilometer entfernten Kalgoorlie.<br />

Dabei kommt es zum Rendezvous mit<br />

einem der berühmten Road Trains.<br />

130 131


Frontlader Gewohntes Bild auf<br />

dem Flugfeld des Sydney Airports:<br />

Täglich landen und starten Charter-<br />

Jets mit Schenker-Fracht. Die 747<br />

der holländischen Martinair fl iegt<br />

regelmäßig zwischen Europa<br />

und Australien.<br />

132 133


Spezialauftrag Logistik aus einer Hand<br />

bietet Schenker bei der weltweiten<br />

Ausrichtung der Red Bull Air Races. Aus<br />

den USA kommend werden die kleinen<br />

Rennmaschinen in Perth für den<br />

Transport zum Saison-Abschlussrennen<br />

auf einer Lkw-Ladefl äche verzurrt.<br />

134 135


Australien profitiert in<br />

hohem Maße von seinen<br />

reichhaltigen Bodenschätzen<br />

und vom Aufstieg Chinas.<br />

inmal – das ist eine Weile her und war lange vor<br />

Internet und Globalisierung – da war Australien<br />

nicht mehr als eine ferne Versuchung. Die Welt<br />

dort auf den Kopf gestellt, deshalb auch Down<br />

Under genannt. Der fünfte Kontinent ein allzeit<br />

lockendes, sonnenverbranntes Paradies.<br />

Umsäumt von traumhaften Stränden und wellenumspülten<br />

Riff s. Bevölkert von Beuteltieren, höchst giftigen<br />

Reptilien, von Aborigines, den Ur-Einwohnern und „den<br />

Nachfahren bitterarmer Siedler und abgeurteilter Gesetzesbrecher“,<br />

wie Dr. Oberstudienrat seinen Sextanern am<br />

deutschen Niederrhein zu berichten wusste.<br />

Dorthin, „in diese einstmals britische Sträfl ingskolonie“<br />

zu reisen, „das kostet Unsummen und dauert Tage“,<br />

so der Doktor zu seinen Eleven. Wiewohl es auch anders<br />

gehe: Man bohre einfach ein Loch quer durch den Erdkern<br />

und sei schon da. „In Perth vermutlich, dem entlegensten<br />

Stückchen besiedelter Scholle, das sich denken<br />

lässt. Aber Kinder, wer will das schon?“<br />

Frank Vogel wollte. Allem Lehrerrat Ende der siebziger<br />

Jahre zum Trotz. Nicht sofort natürlich. Zuerst lernte<br />

er Speditionskaufmann. Tat Dienst an der deutschniederländischen<br />

Grenze, Grenzstelle Emmerich. Lernte<br />

alles über Zollabwicklung, sauste mit einem Speedboot<br />

über den Rhein und träumte seinen Traum. „Einmal dort<br />

leben, wo immer die Sonne scheint.“<br />

Perth ist „hip“ und „cool“<br />

Perth stand damals nur am Rand auf seiner Landkarte.<br />

Perth war selbst von Sydney aus betrachtet das Ende der<br />

Welt. Näher an Jakarta als an der schillernden Ostküste.<br />

Aber eben dort schlägt der Unternehmungslustige jetzt<br />

Wurzeln. Als Geschäftstellenleiter Western Territories<br />

der Schenker Australia Pty Ltd. Mit Frau Jolanda, einer<br />

Südsee-Schönheit aus Neuseeland und dem gemeinsamen<br />

Töchterchen Olivia, mit hübschem Eigenheim in den<br />

Perth Hills und einem Blick über die Stadt, den Amerikaner<br />

„forever“ nennen.<br />

Ein Glücksvogel also, dieser Frank Vogel, der jeden<br />

Satz mit einem „Look“ beginnt, was „Achtung“ bedeuten<br />

mag oder „aufgepasst“. Und „Look“ sagt er auch jetzt in<br />

seinem Büro. „Look, das ist Boomtown Perth. Hier<br />

brummt die Wirtschaft und wächst mit zweistelligen Zuwachsraten.<br />

Hier gibt es Jobs und Arbeit, klettern die<br />

Just in time Mit Blick auf die Uhr besprechen Perth-Geschäftsstellenchef<br />

Frank Vogel (re.) und Lagerleiter Jason Crawford<br />

den Transport der Maschinen für das Red Bull Air Race vom<br />

Schenker- Logistikzentrum zum Flugfeld. Erst dort werden die<br />

in speziel len Kisten verpackten Flügel und Leitwerke montiert.<br />

Immobilienpreise schneller und höher als in Sydney und<br />

hier kann sich noch jeder seinen Traum erfüllen, ob nun<br />

vom Alleinsein im Outback oder vom pulsierenden Leben<br />

in einer der schönsten Städte der Welt.“<br />

Perth ist „hip“, ist „cool“, Perth ist extrem angesagt<br />

und wohl deshalb ist Perth neben Abu Dhabi oder Barcelona<br />

auch einer von zwölf Schauplätzen des Red Bull Air<br />

Race. Die Flugzeuge für den Saisonabschluss des akrobatischen<br />

Luftzirkus à la Formel 1, veranstaltet vom Österreicher<br />

Dietrich Mateschitz, stehen gerade in Vogels 2.500<br />

Quadratmeter großen Warehouse. Es sind elf bunt lackierte,<br />

700 Kilo schwere Wettkampfmaschinen, die mit<br />

einem Boeing 747 Cargo-Jet pünktlich eingefl ogen wurden,<br />

mit abmontierten Tragfl ächen zwar, dafür mit sorgsam<br />

verpackten Propellern.<br />

Alles Zubehör wie Flügel und Heckleitwerke sowie die<br />

komplette Ausrüstung für Fliegerlager, Pressezelt und<br />

sämtliche anderen technischen Installationen – insgesamt<br />

weit über 100 Tonnen – lagert in Kästen und Kisten<br />

daneben und wartet auf seinen Abtransport Richtung<br />

Sportfl ieger-Rollfeld und Showground nahe River Swan.<br />

Eine generalstabsmäßig geplante Operation, auftragsmäßig<br />

in Szene gesetzt von den Logistikern der Schenker-<br />

Abteilung GlobalSportsEvents und durchgeführt vor Ort<br />

von Vogel und seinen Mitarbeitern. „Klappt super“, sagt<br />

Frank und meint die reibungslose Zusammenarbeit aller<br />

Kollegen im weltweiten Schenker-Netzwerk.<br />

Für Jason Crawford, seinen Lagerleiter, sind die Flugzeuge<br />

trotz spannender eigener Vergangenheit „ein aufregender<br />

Anblick und natürlich interessante Abwechslung<br />

zum Alltagsgeschäft“. Freunde nennen ihn „Crocodile“,<br />

denn er arbeitete früher, nach Jahren als Krabbenfi scher,<br />

auf einer Krokodilfarm nahe Darwin. Den Job quittierte er<br />

allerdings aus Liebe zur Kreatur: Er sollte die Tiere nicht<br />

nur füttern, sondern auch für Krokotaschen häuten.<br />

Ein muskulöser, sonnengebräunter Mann Marke „top<br />

guy“, wie Vogel sagt, und das Warum, es klingt natürlich<br />

so: „Look, Jason ist waschechter Aussi. Immer locker und<br />

hilfsbereit, immer für einen guten Spruch gut, aber trotzdem<br />

total zielstrebig. So, wie eigentlich alle hier. Wenn<br />

bei uns die Post abgeht, dann haut Jason rein für zwei.“<br />

Dazu gibt es in Perth, der entlegensten Millionenmetropole<br />

der Welt (1,4 Millionen Einwohner) übrigens<br />

häufi ger Anlass, als man gemeinhin denken mag. Grund<br />

dafür sind West-Australiens große Vorkommen an Bodenschätzen.<br />

Ob Öl oder Gas, Nickel und Bauxit, Calcit<br />

und Gips, ob Diamanten oder Gold – wonach die hungrigen<br />

Rohstoff märkte dieser Welt auch immer verlangen,<br />

all das gibt es in großen Mengen. Eine regelrechte Nachfrage-Ekstase<br />

löste allerdings erst das industrielle Wachstum<br />

Chinas aus. „Seitdem“, sagt Andy Smeda, „erleben<br />

wir einen Aufschwung wie zu Pionierzeiten.“<br />

Erwacht aus dem Dornröschenschlaf<br />

Smeda steht dabei mitten im Zentrum des Sturms. Er verantwortet<br />

seit zehn Jahren das Schenker-Projektgeschäft<br />

in Australien. Was bedeutet: globale Transport- und Logistiklösungen<br />

zum Aufbau ganzer Raffi nerien und Kraftwerke,<br />

von Minen- und Hafenkomplexen, aber auch zur<br />

Versorgung großer Off shore Gas- und Ölförderanlagen.<br />

Ein heikles, hochkomplexes Unterfangen, wie Smeda<br />

weiß, der seine Schenker-Laufbahn als Luftfracht-Manager<br />

des britischen Großfl ughafens Heathrow begann und<br />

sich 1996 für Perth bewarb, „einfach um mich an etwas<br />

Neuem auszuprobieren und auch, um meiner Familie ein<br />

sicheres, friedvolles Zuhause zu geben. Mit ganz anderer<br />

Lebensqualität als etwa in der schadstoff belasteten Luft<br />

des von <strong>Menschen</strong> und Autos überquellenden London.“<br />

Die Lieferung von Bauteilen für eine Erzmine im Volumen<br />

von 40.000 Frachttonnen war sein erster abzuwickelnder<br />

Auftrag, „aber damals lag hier eigentlich noch<br />

136 137


Break-down Luftfracht-Paletten werden nach ihrer Ankunft im Logistikzentrum<br />

der Hauptgeschäftsstelle von Schenker in Sydney sofort aufgelöst.<br />

alles im Dornröschenschlaf.“ Davon keine Spur mehr.<br />

Smeda und Kollegen arbeiten gleich an mehreren Großprojekten<br />

im Gesamtumfang von über 100.000 Tonnen.<br />

Die Endfertigung einer schwimmenden Gasverfl üssigungsanlage<br />

gehört ebenso dazu wie der Bau einer Erzmi-<br />

ne mit 250 Gleiskilometern Güterbahn oder die Fertigstellung<br />

einer Naturgas-Pipeline von Burnbury ins<br />

nordwestliche Dampier.<br />

Und nichts davon ist einfach, denn<br />

West-Australien ist abgesehen vom<br />

Großraum Perth raues Land. Ohne<br />

viel Infrastruktur, nahezu menschenleer,<br />

kaum vorstellbar in seinen Dimensionen.<br />

2,5 Millionen Quadratkilometer<br />

Fläche entsprechen etwa<br />

der siebenfachen Größe Deutschlands;<br />

die Küstenlinie allein ist mit<br />

12.000 Kilometern länger als die von<br />

ganz Indien. Schwerguttransporte<br />

gestalten sich entsprechend schwierig.<br />

Darüber könnte Andy Smeda<br />

Stunden reden: Von aufkommenden Wirbelstürmen, die<br />

Konvois zum tagelangen Biwak vor urplötzlich reißenden<br />

Wasserfl uten in sonst ausgetrockneten Flussläufen zwingen.<br />

Von den Strapazen tagelanger Fahrten im Schritttempo<br />

auf Sandpisten durch unwegsames Gelände.<br />

Die 620 Kilometer von Perth nach Kalgoorlie, zur einstmals<br />

ergiebigsten Goldmine der Welt, gleichen dagegen<br />

fast einem Kinderspiel. Wäre da nicht der ständige Blick<br />

auf die Uhr und das streng kontrollierte australische Tempolimit<br />

von 110 Kilometern pro Stunde selbst auf Outback-Pisten.<br />

Schnell muss es nämlich gehen, wenn ein<br />

Anruf aus Kalgoorlie kommt und bei Schenker Ersatzteile<br />

Büroblick Der moderne Niederlassungssitz von<br />

Schenker Australia Pty Ltd. wird im asiatischpazifi<br />

schen Raum „Taj Mahal“ genannt.<br />

Build-up Der Aufbau einer Luftfrachtpalette wird nach Gewicht<br />

und Volumen im Voraus genau berechnet.<br />

für die gigantischen Minenbagger und Muldenkipper ordert.<br />

Möglichst schneller als schnell, denn Zeit ist Gold<br />

und damit Geld. Zuweilen fährt Frank Vogel im fi rmeneigenen<br />

Caddy selbst. Er mag die Stadt in „Nowhere-Land“.<br />

Für ihn ist es „die kürzeste Zeitreise der Welt, denn dort<br />

sieht es noch aus wie zu legendären Goldgräberzeiten,<br />

abenteuerliche Gestalten in derben Saloons inklusive.“<br />

Wie zivilisiert, ja wie geschmackvoll<br />

geht es da doch andernorts zu.<br />

Adelaide wäre so ein Beispiel. Adelaide<br />

am Saint-Vincent-Golf, genannt<br />

„Capital of Festivals“ oder „City of<br />

Churches“. Eine Stadt, gelegen inmitten<br />

zauberhafter Parkanlagen.<br />

Gepfl egt, wohlhabend, ein Hort<br />

gediegener Kennerschaft von Kunst<br />

und Kultur. In gleichem Atemzug<br />

seien die Rebsorten Shiraz oder<br />

Cabernet Sauvignon genannt. Australiens<br />

längst weltweit gerühmte<br />

Weingüter liegen schließlich vor der<br />

Haustür: im Barossa, im Clare, im Eden Valley oder dem<br />

trendigen McLaren Vale.<br />

Dorthin zu fahren kann man sich auch sparen, denn die<br />

besten Tropfen fi nden sich im stets auf 18 Grad temperierten<br />

„Pick-and-Pack“-Weinlager der Schenker-Niederlassung<br />

Adelaide. Hausherr dort ist Adrian McQuillan:<br />

Product Manager New World Wine Transportation und<br />

Erfi nder des „Tür-zu-Tür“-Lieferservice für Weinsendungen<br />

aus Australien rund um den Globus. Der Mann gleicht<br />

einem Gischt sprühenden Wellenbrecher, ist energiegeladen,<br />

einfallsreich und zupackend, dazu humorvoll und<br />

überdies kein Kostverächter, was „einen guten Tropfen<br />

Schenker Adelaide liefert die besten Tropfen Australiens im<br />

„Tür-zu-Tür“-Lieferservice direkt vom Winzer an den Kunden.<br />

Kostbarkeiten Vom Feinsten bis zum Edelsten – im<br />

Weinlager von Adelaide fi nden sich wahre Schätze.<br />

betriff t“. „Dieses Geschäft ist für mich nicht nur Arbeit,<br />

sondern auch Leidenschaft.“<br />

Seine Devise lautet: „Kein Geschäft zu haben macht erfi<br />

nderisch.“ So zumindest entstand vor zehn Jahren die<br />

Idee zum Wein-Business. Adrian McQuillan besuchte<br />

Winzer im Barossa Valley und hörte, wie Touristen aus<br />

den USA oder Europa nach Verkostung immer nur eine<br />

Frage stellten: „Können Sie mir nicht<br />

ein paar Kisten zuschicken?“<br />

Die Antwort darauf machte der<br />

Schenker-Mann zu seiner Aufgabe,<br />

und mittlerweile werden 2.000 Kunden<br />

direkt in Australien beliefert und<br />

gehen wöchentlich per Luftfracht<br />

rund 600 Sendungen – sorgsam und<br />

einzeln von Hand verpackt – mit Ziel<br />

USA oder Großbritannien (Schenker<br />

ist dorthin größter Exporteur) nach<br />

Übersee.<br />

An Nachschub herrscht nie Mangel:<br />

Wein im Wert von knapp 1,8 Millionen<br />

Euro lagert auf knapp 2.000 Quadratmetern.<br />

Darunter viele Flaschen zum Preis von 200 Euro und<br />

mehr. Vom Feinsten bis zum Edelsten – alles eben, was<br />

die Weinkeller renommierter Betriebe zu bieten haben:<br />

„Kalleske Greenock Shiraz“ etwa, Jahrgang 2005, gleich<br />

neben „d’Arenburgs Cabernet Sauvignon“, Jahrgang<br />

1998, und dem „Shiraz“, Jahrgang 2004, von „Rolf<br />

Binder“. Auch „Duck’s Muck Shiraz“ vom angesagten<br />

„Wild Duck Creek Estate“ fi ndet sich und natürlich ein<br />

kleines Flaschensortiment der australischen Legende<br />

schlechthin: ein „Penfold’s Grange, BIN 95“.<br />

Dass Adrian McQuillan längst ausgewiesener Weinkenner<br />

ist, versteht sich von selbst. Als Juror nimmt er an<br />

namhaften Verkostungen teil. „Riechen, fühlen, schmecken“,<br />

sagt er, „das lehrt Demut vor dem Transportgut.<br />

Unsere Kunden jedenfalls sind sehr zufrieden, denn wir<br />

garantieren sachgemäßen Umgang mit ihren Produkten,<br />

Übergabe Ein „Penfolds Grange“ verdient besonderen Service, weshalb Schenker<br />

Produkt Manager Adrian McQuillan die Lieferung auch persönlich entgegennimmt.<br />

Erste Adresse Der Straßenname ist in<br />

Adelaide Programm und dazu einmalig.<br />

Verdienst von Leiterin Gloria Harris.<br />

Sendungsverfolgung bis zum Empfänger und – ebenso<br />

wichtig – eine exzellente, bruchsichere Verpackung.“<br />

Ein sensibles Geschäft. Allerdings nicht das einzige in<br />

Adelaide, „nicht einmal das größte“, wie Geschäftsstellenleiterin<br />

Gloria Harris sagt. Diese Frau ist tatsächlich in<br />

eigenem Saft gekocht, und wer die Seele Australiens genau<br />

kennen lernen möchte, der muss Gloria Harris treffen.<br />

„Darling“, ruft sie gerade ihrer<br />

Sekretärin zu, „wenn du das nicht sofort<br />

erledigst, dann verkauf ich deine<br />

Seele!“ Hart, aber herzlich – genau<br />

so. Und das inzwischen seit über 30<br />

Schenker-Jahren.<br />

Dicke Bretter bohren ist ihr Lieblingsjob.<br />

Gloria Harris etablierte die<br />

Niederlassung, sie akquirierte Großkunden<br />

wie die Santos Ltd., Australi-<br />

ens führende Öl- und Gas-Explorations<br />

Company, oder den deutschen<br />

Kran- und Baufahrzeughersteller<br />

Liebherr. Ist umtriebig, immer auf<br />

dem Quivive. War schon Australiens „Geschäftsfrau des<br />

Jahres“ und kümmert sich, so notwendig, trotzdem noch<br />

um jeden einzelnen einlaufenden Container. Keine Frage:<br />

Die Frau weiß, was sie wert ist und sagt dennoch: „Wir<br />

sind nur ein kleines Büro.“ Sagt es mit listig-lustig<br />

funkelnden Augen. „Aber mit einem großen Angebot für<br />

unsere Kunden.“<br />

Schnelle BAX-Integration<br />

Weitere Frage zwecklos: Sie telefoniert schon wieder –<br />

mit China. Dennoch ein Tipp zum Abschied: „Was es<br />

sonst noch über Schenker in Australien zu sagen gibt, das<br />

erzählt man gewiss gerne im Taj Mahal, Bourke Road,<br />

Sydney. Viel Glück und Goodbye.“<br />

„Taj Mahal“, so nennt sich im asiatisch-pazifi schen<br />

Wirtschaftsraum die Schenker-Zentrale in Sydney. Einst<br />

138 139


Schenker ist bei Luft-<br />

und Seefracht in Richtung<br />

USA und Europa absolut<br />

die Nummer eins.<br />

Im Käfi g Mit Plastik-Schutzbrille und Gummihandschuhen spielt<br />

Offi cer Skinner Leigh den Spürhund seiner Behörde.<br />

Quarantäne-Inspektion Eine australische Besonderheit. Aus Angst vor<br />

Tierseuchen untersucht man routinemäßig eintreff ende Ware.<br />

repräsentativ und auf Zuwachs gebaut, platzt das moderne<br />

Bürogebäude mit seinem 4.000 Quadratmeter großen<br />

Im- und Export Logistikzentrum fast schon wieder aus<br />

allen Nähten. Zuletzt wurden Wände abgebrochen und<br />

mehr Raum geschaff en, denn es zogen kürzlich zum wachsenden<br />

Stammpersonal noch zahlreiche Kollegen von<br />

BAX Global ein.<br />

Der Zusammenschluss beider Organisationen – der<br />

US-Logistikkonzern wurde von der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong><br />

2006 für 1,1 Milliarden Dollar übernommen – verlief<br />

„down under“ reibungslos und ohne gegenseitige Animositäten.<br />

Australisch eben. „Die Integration ging schnell<br />

über die Bühne“, erzählt Oliver Bohm, Geschäftstellenleiter<br />

Sydney und New South Wales, „wir sind längst ein Management-Team<br />

und haben jetzt einen Supermix.“<br />

Neue Infrastrukturprojekte<br />

Im Luftfrachtgeschäft nahezu gleich stark, bilden die jeweiligen<br />

Geschäftsfeld-Schwerpunkte Logistik (BAX)<br />

und Seefracht (Schenker) nun eine ideale Mischung. Der<br />

Kundenstamm jedenfalls geht quer durch alle Märkte<br />

und liest sich in Auszügen wie folgt: Dell, Samsung, Nokia,<br />

Nortel, Beiersdorf. „Was Consumer Goods angeht“,<br />

erläutert Bohm, den sein Pioniergeist aus Travemünde an<br />

der Ostsee nach Sydney verschlug, „ist Australien fast<br />

reines Importland, dabei kommt mittlerweile schon jeder<br />

zweite Container aus China. Die Dynamik auf diesem Sektor<br />

ist enorm, aber kaum weniger wichtig ist das Exportgeschäft.<br />

In Richtung USA und Europa sind wir bei Luft-<br />

und Seefracht die Nummer eins.“<br />

„Jetcargo economy“ oder „business“, „Jetcargo fi rst“<br />

oder „special“ – so heißen die maßgeschneiderten Produkte.<br />

Sie bieten globalen Gütertransit selbst in nur<br />

24 Stunden, wobei alle wichtigen Wirtschaftszentren wie<br />

Melbourne, Brisbane oder Adelaide mehrmals in der<br />

Woche bedient werden, Sydney sogar täglich.<br />

Hinzu kommt das „Sahnehäubchen Projektgeschäft“.<br />

Dort kündigt sich neben dem Rohstoff boom in den Western<br />

Territories auch fl ächendeckend weiteres Wachstum<br />

an. Die australische Regierung will in den kommenden<br />

Jahren massiv in Infrastrukturprojekte investieren. Gedacht<br />

ist an einen Ausbau schienengebundener Nah-,<br />

Fern- und Güterverkehrssysteme, selbst eine Landbrücke<br />

von Darwin gen Süden ist im Gespräch. Was insgesamt<br />

bedeutet: enormes Transportaufkommen an Schienen,<br />

Waggons und Lokomotiven, an Maschinenmaterial<br />

zum Bau von Brücken, Viadukten und Tunnels.<br />

Rosige Aussichten für Oliver Bohm und seine 520 Mitarbeiter<br />

im Großraum Sydney und Bundesstaat New<br />

South Wales. Aber kein Ruhekissen. „In Europa denkt<br />

man zwar immer, wir seien entweder am Beach oder beim<br />

Barbecue, dabei wird hier genauso hart gearbeitet wie<br />

in New York. Und zwar an sieben Tagen der Woche<br />

bei Dreischichtbetrieb in unseren sechs insgesamt 65.000<br />

Zugnummer Vor Abfahrt schließt der Fahrer eines Schenker-Lkw die Ladeplane. Danach geht es in Australiens Hauptstadt Canberra.<br />

Quadrameter großen Logistikzentrum.“ Man kann sich<br />

selbst davon überzeugen, denn morgens, kurz nach sieben<br />

Uhr, verlassen jede Menge Jogger und andere Sportfreunde<br />

die traumhaften Stadtstrände und stürzen sich<br />

frisch geduscht in die Rushhour. Auf zur Arbeit, auch<br />

wenn’s schwer fällt im gleißenden Sonnenlicht.<br />

Anderes stellt die Welt dann doch wieder auf den<br />

Kopf oder sah man je einen deutschen Chef mit Baby auf<br />

dem Arm zum Board Meeting schreiten? Auftritt Ron<br />

Koehler, Managing Director Schenker Australia/New<br />

Zealand oder anders: „Anführer der Schenker United<br />

Nations“. Sagt er und zählt auf: „Wir haben alleine in Sydney<br />

40 Nationalitäten unter einem Dach. Christen und<br />

Moslems. Europäer und Asiaten und jeder akzeptiert jeden.<br />

Das zum Beispiel ist Australien.“<br />

Es sei dazu bemerkt: das neue, das moderne, das entwickelte<br />

Australien. Weltoff en war man „down under“ zwar<br />

immer schon, aber zu Zeiten, als Ron Koehler 1961 in Melbourne<br />

geboren wurde, da fühlte man sich noch fern aller<br />

<strong>Welten</strong>. Von wirtschaftlicher Dynamik jedenfalls war wenig<br />

zu spüren. Sie setzte erst mit Erfi ndung des Internets,<br />

beginnender Globalisierung und – dies vor allem – den<br />

Olympischen Spielen anno 2000 ein. „Mit deren Vergabe<br />

an Sydney 1993 änderte sich alles“, erinnert sich Ron<br />

Koehler. „Seitdem haben wir nahezu 14 Jahre lang ununterbrochen<br />

Hochkonjunktur.“<br />

Offi zieller Logistikpartner des IOC<br />

Die Spiele waren auch ein Schlüssel zu Ron Koehlers persönlichem<br />

Erfolg. Seine Wiege stand zwar nahe Yarra<br />

River und Flinders Park, dem Austragungsort der „Australian<br />

Tennis Open“, aufgewachsen aber im Dunstkreis<br />

von Maultaschensuppe und Käsespätzle. Ein Schwabe,<br />

140 141


Truck Stop Nach stundenlanger Fahrt durchs kaum besiedelte<br />

Hinterland ist so ziemlich jede Abwechslung willkommen.<br />

wie man Schwaben zu kennen glaubt: strebsam, akribisch<br />

und detailversessen, geschäftstüchtig, enorm fl eißig. So<br />

weit das Einerseits der Tugenden. Und nun das Andererseits:<br />

gar nicht bodenständig, extrem fl exibel, wagemutig<br />

gar, mehr Quer- denn Geradeausdenker. Alles in einem<br />

Wort: ungewöhnlich.<br />

Koehlers „Hobby-Horse“<br />

Stuttgart jedenfalls kann für einen wie Koehler nur Anfang<br />

sein, nicht Ende. Zwar beginnt er 1978 dort seine<br />

Schenker-Laufbahn als Speditionskaufmann, doch 1985<br />

ist er schon weg. Richtung alte Heimat, Australien. Beginnt<br />

im Exportgeschäft, kümmert sich danach um den<br />

Aufbau des Bereichs Messe/Event und startet mit Festlegung<br />

des Internationalen Olympischen Komitees auf<br />

„Sydney 2000“ durch. „Ich weiß noch, wie ich bei der Ankündigung<br />

bloß dachte: Das machen wir, da müssen wir<br />

als Schenker ganz vorne mit dabei sein“, erinnert sich Ron<br />

Koehler.<br />

Was so kam: Schenker Australia wurde offi zieller Partner<br />

des Sydney Organisationskomitees, wickelte im Rahmen<br />

der Spiele einen Großteil der Transport- und Logistikleistungen<br />

ab und legte damit den Grundstein zu<br />

mittlerweile langjähriger Schenker-Partnerschaft mit den<br />

„Wir haben alleine in Sydney 40 Nationalitäten unter einem Dach.<br />

Europäer und Asiaten, jeder akzeptiert jeden.“<br />

142<br />

großen Sportorganisationen dieser Welt wie IOC und<br />

FIFA. Ob Sommer- oder Winterspiele, ob Fußball-EM<br />

oder WM – die Spezialisten des neu entstandenen Geschäftsbereichs<br />

„Schenker GlobalSportsEvents“ sind immer<br />

mit von der Partie.<br />

Koehler freut das, denn „Sport ist immer noch so etwas<br />

wie mein ‚Hobby-Horse‘ “. Seine Aufgaben sind indes<br />

längst andere und umfassen die Geschäfte des gesamten<br />

Kontinents, nebst „allen Aktivitäten unserer Schwestern<br />

und Brüdern in Neuseeland“. Schenker Australia, das<br />

sind heute 1.100 Mitarbeiter, 18 Büros von Auckland bis<br />

Christchurch, von Brisbane bis Perth. Das sind 30 Logistikzentren<br />

mit einer Gesamtfl äche von 140.000 Quadratmetern<br />

und jährliche Wachstumsraten bei Umsatz und<br />

Ertrag im zweistelligen Bereich.<br />

Pfi ffi ge Marketing-Aktionen<br />

Endgültig vorbei die Zeiten des „silent achievers – des<br />

stillen Herausforderers“. Eine Rolle, die man bei Schenker<br />

in der Vergangenheit gerne spielte. „Jetzt zählt Off ensivgeist“,<br />

sagt Koehler, der weiß: „Nummer zwei im<br />

Markt ist wie Nummer zehn: Da hat man verloren.“ Worte,<br />

denen Taten folgen: In Werbung und Marketing etwa,<br />

wo sich Christiane Pieper – auch so eine Abenteurerin,<br />

die Hamburg gegen Sydney tauschte – erfolgreich um pfi ffi<br />

g-professionelle Auftritte und Aktionen sorgt. Oder im<br />

Sales und Business Development Department, wo Ulf<br />

Barnard gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und IT-<br />

Spezialisten Marktangebote entwickelt.<br />

Man bastelt an neuen Supply-Chain-Lösungen oder<br />

Verbesserungen für die internationale Kundschaft, will<br />

nach europäischem Vorbild australienweite Landverkehre<br />

organisieren, „ein regelrechtes Road-Network, denn da<br />

liegen 36 Millionen Euro auf der Straße“, möchte in Zukunft<br />

auch die eigene Position bei den Trans-Tasman-<br />

Verkehren zwischen Australien und Neuseeland verstärken.<br />

„Ich kann die Welt nicht in Bewegung setzen“, sagt<br />

Ron Koehler, „aber meine Leute können es.“<br />

Für die geht er zuweilen auch Klinken putzen, getreu<br />

der Maxime: „Wer überleben will, muss außerhalb der<br />

Box arbeiten.“ Will sagen: sich zeigen, den Mitarbeitern,<br />

den Kunden, auch den Chefs im fernen Europa. Dorthin<br />

fl iegt er regelmäßig. Zur Schenker-Zentrale nach Essen.<br />

Rennt treppauf, treppab und ruft in jede off ene Tür: „Hey,<br />

uns gibt es auch noch, denkt nicht nur an China.“<br />

Woran man sieht: 16.000 Kilometer bleiben selbst in<br />

Zeiten der Globalisierung 16.000 Kilometer. Weshalb<br />

Australien doch irgendwie bleibt, was es immer war –<br />

eine ziemlich ferne Versuchung.<br />

Sandfl ug Dienstfahrten auf den „dirt<br />

roads“ des Outback haben zuweilen Rallye-<br />

Charakter. Allerdings ist die Polizei selbst<br />

dort beim Tempo-Limit unerbittlich.<br />

143


Impressum Herausgeber: <strong>Deutsche</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>AG</strong>, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin, Burkhard Tewinkel, Leiter Unternehmenskommunikation<br />

(V.i.S.d.P.); Projektleitung/Redaktion: Alexandra Weiß, Dieter Hünerkoch; Konzeption:<br />

Redaktionsbüro Borchert, business-feature.de; Texte: Hans Borchert, Olaf Krohn, Susanne Kill, Andreas Molitor;<br />

Fotos: Stefan Warter, Heiner Müller-Elsner, außer: S. 27, 38 o., 39 o., 40 o. Dorothea Schmid, S. 5–9, 38 u., 51–52,<br />

53 u., 54 u., 55 Max Lautenschläger, S. 39–41 DB <strong>AG</strong>, S. 58–65 Katja Hoff mann, S. 66–71 DB Museum Nürnberg,<br />

S. 89 privat, S. 90 Maersk Line, S. 104 Jorgen Hildebrandt, S. 106 Victor Rojas, S. 107 Alex Shea, Grafi k S. 92/93<br />

Kircher Burkhardt/Infografi k; Gestaltung und Produktion: Kircher Burkhardt Editorial & Corporate Communication<br />

GmbH, Berlin (002404); Druckvorstufe: highlevel GmbH, digitale mediaproduktion, Berlin; Druck, Verarbeitung:<br />

ColorDruck Leimen GmbH. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.<br />

Alle Informationen: Stand März 2007.<br />

144


10-Jahres-Übersicht<br />

10-Jahres-Übersicht<br />

in Mio. € 2006 2005 2004 2003 1) 2002 1) 2001 1) 2000 1) 1999 1) 1998 1) 1997 1)<br />

Gewinn- und Verlustrechnung<br />

Umsatz 30.053 25.055 23.962 28.228 18.685 15.722 15.465 15.630 15.348 15.577<br />

Gesamtleistung 31.943 26.728 25.890 30.438 20.900 17.535 17.267 17.521 17.104 17.422<br />

Sonstige betriebliche Erträge 2.859 2.366 2.860 3.138 2.830 2.406 3.653 2.511 2.596 2.141<br />

Materialaufwand –16.449 –12.650 –12.054 –15.776 –9.546 –7.108 –6.625 –6.688 –6.595 –6.716<br />

Personalaufwand –9.782 –9.211 –9.556 –10.337 –8.387 –7.487 –8.475 –8.285 –8.389 –8.663<br />

Abschreibungen<br />

Sonstige betriebliche<br />

–2.950 –2.801 –2.722 –2.694 –2.434 –2.162 –2.052 –1.965 –1.737 –1.620<br />

Aufwendungen –3.144 –3.080 –3.274 –4.316 –3.358 –3.282 –3.436 –2.790 –2.546 –2.204<br />

Operatives Ergebnis (EBIT) 2.477 1.352 1.144 – – – – – – –<br />

Beteiligungsergebnis<br />

Ergebnis an at Equity<br />

– – – 51 46 2 –44 –55 –143 –151<br />

bilanzierten Unternehmen 18 76 49 – – – – – – –<br />

Übriges Finanzergebnis 1 7 –55 – – – – – – –<br />

Zinsergebnis –941 –945 –984 –637 –489 –313 –251 –158 –89 –26<br />

Ergebnis vor Steuern 1.555 490 154 –133 –438 –409 37 91 201 183<br />

Jahresergebnis 1.680 611 180 –245 –468 –406 85 87 170 200<br />

Wertmanagement/<br />

Betriebliche Ergebnisgrößen<br />

Return on Capital Employed<br />

(ROCE) 2) 7,5% 5,0% 3,8% 1,5% 0,1% 0,4% 1,6% 0,3% 1,1% 1,4%<br />

EBIT 3) vor Sondereffekten 2.143 1.350 1.011 465 37 109 450 71 260 300<br />

Capital Employed 4) 28.693 27.013 26.490 30.964 30.428 28.649 27.443 24.911 22.656 20.878<br />

EBITDA 5) vor<br />

Altlastenerstattungen – – – – 2.021 1.433 1.264 427 35 –445<br />

Altlastenerstattungen – – – – 443 838 1.228 1.609 1.962 2.365<br />

EBITDA 5) 5.427 4.153 3.866 3.092 2.464 2.271 2.492 2.036 1.997 1.920<br />

Cashflow/Investitionen<br />

Mittelfluss aus gewöhnlicher<br />

Geschäftstätigkeit 3.678 2.652 2.736 – – – – – – –<br />

Brutto-Investitionen 6.584 6.379 7.238 9.121 9.994 7.110 6.892 8.372 7.660 7.136<br />

Netto-Investitionen 6) 2.836 2.360 3.251 4.013 5.355 3.307 3.250 3.229 3.040 6.223<br />

Vermögens-/Kapitalstruktur<br />

Langfristige Vermögenswerte 43.360 42.907 43.200 – – – – – – –<br />

davon Sachanlagevermögen<br />

und Immaterielle<br />

Vermögenswerte (41.081) (40.430) (40.861) (40.093) (38.869) (35.055) (34.071) (32.815) (31.155) (29.866)<br />

davon Aktive<br />

latente Steuern (1.800) (1.556) (1.301) – – – – – – –<br />

Kurzfristige Vermögenswerte 5.080 4.194 4.416 – – – – – – –<br />

davon flüssige Mittel (295) (305) (765) (265) (271) (363) (394) (280) (351) (447)<br />

Eigenkapital 9.214 7.675 7.067 5.076 5.708 8.436 8.788 8.701 8.528 8.422<br />

Langfristiges Fremdkapital 26.319 27.963 29.440 30.464 27.779 24.421 21.331 21.149 20.592 18.278<br />

davon Pensionsverpflichtungen<br />

und sonstige<br />

Rückstellungen<br />

davon Passive<br />

(5.507) (5.575) (5.768) – – – – – – –<br />

latente Steuern (72) (46) (17) – – – – – – –<br />

Kurzfristiges Fremdkapital 12.907 11.463 11.109 12.107 12.524 9.090 9.329 7.325 5.803 7.145<br />

Bilanzsumme 48.440 47.101 47.616 47.647 46.023 41.962 39.467 37.198 34.961 33.892<br />

Netto-Finanzschulden<br />

Anteil Sachanlagevermögen und<br />

Immaterielle Vermögenswerte<br />

19.586 19.669 19.511 – – – – – – –<br />

an Bilanzsumme 84,8% 85,8% 85,8% 84,1% 84,5% 83,5% 86,3% 88,2% 89,1% 88,1%<br />

Eigenkapitalquote 7) 19,0% 16,3% 14,8% 10,7% 12,4% 20,1% 22,3% 23,5% 24,5% 25,0%<br />

Leistungsdaten im<br />

Schienenverkehr<br />

Verkehrsaufkommen im<br />

2006 2005 2004 2003 1) 2002 1) 2001 1) 2000 1) 1999 1) 1998 1) 1997 1)<br />

Personenverkehr in Mio. P 1.854 1.785 1.695 1.682 1.657 1.702 1.713 1.680 1.668 1.641<br />

Fernverkehr 120 119 115 117 128 136 145 147 149 152<br />

Regional- und Stadtverkehr 1.734 1.667 1.580 1.564 1.529 1.566 1.568 1.534 1.520 1.489<br />

Verkehrsleistung im<br />

Personenverkehr in Mio. Pkm 74.788 72.554 70.260 69.534 69.848 74.459 74.388 72.846 71.853 71.630<br />

Fernverkehr 34.458 33.641 32.330 31.619 33.173 35.342 36.226 34.897 34.562 35.155<br />

Regional- und Stadtverkehr 40.331 38.913 37.930 37.915 36.675 39.117 38.162 37.949 37.291 36.475<br />

Verkehrsaufkommen im<br />

Güterverkehr8) in Mio. t9) 307,6 274,6 295,3 294,5 289,4 301,3<br />

310,8 289,7 288,7 295,5<br />

Verkehrsleistung im<br />

Güterverkehr 8) in Mio. tkm 9) 96.388 88.022 89.494 85.151 82.756 84.716 85.008 75.785 73.273 72.614<br />

Verkehrsleistung insgesamt<br />

in Mio. Ptkm<br />

Betriebsleistung auf dem Netz<br />

171.177 160.576 159.755 154.686 152.603 159.175 159.397 148.631 145.126 144.244<br />

in Mio. Trkm 1.016 998 1.001 988 967 977 984 977 947 –<br />

Mitarbeiter 10)<br />

Im Jahresdurchschnitt 228.990 220.343 229.830 249.251 224.758 219.146 230.615 244.851 259.072 277.471<br />

Zum Jahresende 229.200 216.389 225.632 242.759 250.690 214.371 222.656 241.638 252.468 268.273<br />

1) HGB<br />

2) Rendite auf das betriebliche Vermögen, definiert als EBIT/Capital Employed<br />

3) Ergebnis vor Steuern und Zinsen, bereinigt um Sondereffekte<br />

4) Betriebliches Vermögen, umfasst das Sachanlagevermögen sowie das betriebliche Netto-Umlaufvermögen.<br />

Unter IFRS und HGB unterschiedliche Definition, unter anderem andere Behandlung der Zinslosen Darlehen.<br />

5) Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (unter HGB bereinigt um Sondereffekte)<br />

6) Brutto-Investitionen abzüglich Baukostenzuschüssen von Dritten<br />

7) Bis 2003 Berechnung bezogen auf Eigenkapital inklusive Sonderposten<br />

8) Bis 1997 inklusive Stückgut; ab 2000 inklusive Railion Nederland N.V., ab 2001 inklusive Railion Danmark A/S,<br />

ab 2006 inklusive RBH Logistics GmbH<br />

9) Umstellung auf Bruttowerte im Jahr 2006, Zahlen bis 1999 wurden entsprechend angepasst<br />

10) In Vollzeitpersonen, das heißt Teilzeitkräfte werden anteilig umgerechnet

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