Europa: Das unentdeckte Land - BdP Landesverband Schleswig ...
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Europa: Das unentdeckte Land - BdP Landesverband Schleswig ...
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<strong>Land</strong>esrundbrief 2’04<br />
Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (<strong>BdP</strong>)<br />
<strong>Land</strong>esverband <strong>Schleswig</strong>-Holstein/Hamburg e.V.<br />
<strong>Europa</strong>:<br />
<strong>Das</strong> <strong>unentdeckte</strong> <strong>Land</strong>
Der <strong>Land</strong>esrundbrief<br />
ist eine Schrift für leitende Mitglieder des <strong>BdP</strong>-<strong>Land</strong>esver-<br />
bandes <strong>Schleswig</strong>-Holstein/Hamburg. Sie erscheint unregel-<br />
mäßig, prinzipiell aber zweimal im Jahr.<br />
Die Beiträge spiegeln die Meinung der jeweiligen Autoren<br />
wieder. Bei Einsendung eines Belegexemplars ist der Nach-<br />
druck mit Quellenangabe ausdrücklich erwünscht.<br />
Herausgeber<br />
<strong>BdP</strong> <strong>Land</strong>esverband <strong>Schleswig</strong>-Holstein/Hamburg<br />
Am alten Markt 6<br />
22 926 Ahrensburg<br />
0 41 02 / 17 22<br />
àbuero@bdp-sh-hh.de<br />
Auflage<br />
300<br />
Der <strong>Land</strong>esverband online<br />
àbdp-sh-hh.de<br />
Chefredaktion<br />
Jonathan Stock, Ole Reißmann<br />
Redaktion<br />
Hannes Clausen, Hulle Hilbert, Miriam Sandabad,<br />
Nils Petersen, Pelle Klöckner, Ricarda Otte<br />
Anschrift<br />
c/o Ole Reißmann<br />
Buntentorsteinweg 7-9<br />
28 201 Meister-Bremen<br />
04 21 / 5 96 75 18<br />
àole@bdp-sh-hh.de<br />
Illustrationen<br />
Carlo Grabowski, àcarlograbowski.de<br />
Lektorat<br />
Hanjo Schlüter, àhanjo-schlueter.de<br />
Satz<br />
Ole Reißmann<br />
Vielen Dank an<br />
Grisu, Minda, Anna, Simone, Heinz, Matthis
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
Dieser LRB widmet sich dem Reizthema „<strong>Europa</strong>“. Es exis-<br />
tieren jede Menge gegensätzlicher Meinungen zu europäi-<br />
schen Gedanken – bei mir und, ich bin mir sicher, auch bei<br />
Euch. <strong>Europa</strong> kann sehr bürokratisch und lästig sein und<br />
andererseits ein wahres Abenteuer.<br />
Wir bekennen uns in unserer pädagogischen Konzeption<br />
dazu, „junge Europäer“ zu sein. Fühlen wir uns tatsächlich<br />
so? Was wissen oder kennen wir überhaupt von Euro-<br />
pa? Habt Ihr die EU-Osterweiterung eher überrascht zur<br />
Kenntnis genommen und beinahe vergessen, zur <strong>Europa</strong>-<br />
wahl zu gehen?<br />
Dieser LRB soll euch Denk- und Motivationsanreiz zu-<br />
gleich sein. <strong>Europa</strong> wächst. Ihr könnt es von zu Hause aus<br />
als Europäerinnen und Europäer mitgestalten. Geht also<br />
am 13. Juni 2004 zur <strong>Europa</strong>wahl und engagiert euch für<br />
Eure Zukunft und Euer (neues) Zuhause!<br />
Ich wünsche allen viel Freude beim Lesen und danke<br />
dem Redaktionskreis für seine Arbeit beim Zustandekom-<br />
men dieses <strong>Land</strong>esrundbriefes!<br />
LRB 2’04<br />
Hannes Clausen,<br />
<strong>Land</strong>esvorsitzender<br />
Es gibt schon wieder einen <strong>Land</strong>esrundbrief, man mag es<br />
kaum glauben. <strong>Das</strong> Layout renkt sich langsam ein, hier und<br />
da wurde noch etwas verändert. Die wichtigste Neuerung<br />
dürfte aber unsere Qualitätssicherung sein, allzu grobe<br />
Rechtschreibfehler sollten der Vergangenheit angehören.<br />
Wer dennoch etwas finden kann, bekommt eine kleine Über-<br />
raschung von der Redaktion. Die nächste Ausgabe erscheint<br />
dann zwischen Herbstferien und Weihnachten, wenn die<br />
großen Fahrten und Herbstkurse gelaufen sind – wir warten<br />
gespannt auf Eure Berichte und Fotos, Kleinanzeigen, viel-<br />
leicht ja auch Leserbriefe zu den Themen dieser Ausgabe.<br />
Viel Spaß beim Lesen,<br />
Ole Reißmann,<br />
für die Redaktion<br />
„<strong>Europa</strong>“<br />
Die Schauplätze 4<br />
So geht <strong>Europa</strong> 6<br />
Lo Scautismo Italiano 12<br />
Krisenherde in <strong>Europa</strong> 14<br />
Gleich nebenan 20<br />
Mythos Interrail 22<br />
Aina valmiina! 26<br />
Ist die EU ein Pfadfinder? 28<br />
Sponsored by EU 30<br />
Total global 33<br />
Darf die Türkei <strong>Europa</strong> sein? 36<br />
<strong>Europa</strong>knoten STN 38<br />
Stadt & <strong>Land</strong><br />
Hannes (lacht) 40<br />
So wird das gemacht 44<br />
Liebeslustundlachgedicht 49<br />
Gut, gesund, genußvoll 50<br />
The Moore you know 52<br />
Ein Mann, ein Projekt 54<br />
Gewählt 55<br />
Ein- und Ausblicke 56<br />
Ab in den Osten 57<br />
Stufenweise<br />
Öffne die Augen 43<br />
KfS in Polen 46<br />
Grundkurs 48<br />
Dies & <strong>Das</strong><br />
Impressum 2<br />
Inhaltsverzeichnis 3<br />
Vorwort 3<br />
Klnnzgn 58<br />
Termine 58<br />
LL-Memory, Teil 2 60<br />
3
Die Schauplätze<br />
In diesem <strong>Land</strong>esrundbrief<br />
Mythos Interrail<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
4<br />
Heidelberg, bei uns<br />
Lyon, Frankreich<br />
Biarritz, Frankreich<br />
Estella, Spanien<br />
Madrid, Spanien<br />
Lissabon, Portugal<br />
Gibraltar, Spanien<br />
Granada, Spanien<br />
Nizza, Frankreich<br />
Paris, Frankreich<br />
Freiburg, wieder bei uns<br />
Krisenherde in <strong>Europa</strong><br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
Baskenland, Spanien<br />
Bosnien, auf dem Balkan<br />
Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)<br />
Korsika, Frankreich<br />
Ungarn, Tschechien<br />
Außerdem<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
Straßburg (EU-Parlament)<br />
Brüssel (EU-Kommission)<br />
Tampere, Finnland (Anna)<br />
Ankara, Türkei (Beitrittskandidat)<br />
London-Stanstead (<strong>Europa</strong>knoten)<br />
Umbrien, Italien (Simone)<br />
Lublin, Polen (Agnieszka)<br />
<strong>Schleswig</strong> (<strong>Land</strong>esversammlung)<br />
Immenhausen (Bundesversammlung)<br />
6<br />
7<br />
5<br />
8<br />
1<br />
4<br />
3<br />
1<br />
5<br />
10<br />
LRB 2’04<br />
2<br />
2<br />
9
1<br />
11<br />
4<br />
1<br />
8<br />
8<br />
6<br />
LRB 2’04<br />
2<br />
5<br />
5<br />
3<br />
7<br />
3<br />
2<br />
4<br />
Aus dem <strong>Land</strong>esrundbrief-Archiv<br />
1<br />
Schottland. LRB 1’04, Seite 24, „Berge, Wind,<br />
Meer. Stamm Waldreiter unterwegs im äußersten<br />
Nord-Westen Schottlands“<br />
2<br />
Estland. LRB 1’04, Seite 28, „Supersommer<br />
in Estland. Die Kolibris haben Estland schätzen<br />
gelernt und empfehlen: Hin da!“<br />
<strong>Europa</strong>. LRB 1’03, Seite 8, „Schweiß, Chaos, Son-<br />
nenbrand. Helfende Hände international. Auf<br />
den ‚EuroSteps’ treffen sich Pfadfinderinnen aus<br />
ganz <strong>Europa</strong>.“<br />
3<br />
Zypern. LRB 1’03, Seite 10, „<strong>Das</strong> etwas andere<br />
Fahrtenziel. Stamm Kolibri besuchte Pfadfinder<br />
auf Zypern. Eine nicht alltägliche Begegnung.“<br />
4<br />
Lettland. LRB 1’03, Seite 34, „Ein Sommer in<br />
Lettland. Stamm Inka erobert den Osten. <strong>Das</strong><br />
Baltikum wird als Fahrtenland immer beliebter.“<br />
5<br />
Polen. LRB 2’00, Seite 31, „Dzien dobry, Polska!<br />
Mit dem Bunde auf großer Fahrt.“<br />
4<br />
3
6<br />
So geht <strong>Europa</strong><br />
<strong>Europa</strong> ist mehr als nur Erdteil oder Kulturraum.<br />
25 Staaten haben sich zusammengeschlossen zur Europäischen Union.<br />
LRB 2’04
Bereits heute sind achtzig Prozent aller deutschen Gesetze<br />
direkt oder indirekt von der Europäischen Union beeinflusst.<br />
Trotzdem liest und hört man viel zu wenig über diese Ge-<br />
setze, wie sie zu Stande kommen, wem sie nützen, wem sie<br />
möglicherweise schaden. <strong>Das</strong> politische <strong>Europa</strong>, die Gremien<br />
der Europäische Union, sind weit weg, wirken unnahbar und<br />
undurchsichtig. Im Internet können zwar alle Reden, Be-<br />
schlüsse und Gesetze nachgelesen werden, doch wer hat dazu<br />
schon Lust und Zeit?<br />
Seit dem 1. Mai bilden 25 Länder mit insgesamt 455 Mil-<br />
lionen Bürgerinnen und Bürgern die Europäische Union.<br />
Am 13. Juni haben 342 Millionen von ihnen das achtzehnte<br />
Lebensjahr vollendet und wählen das Europäische Parla-<br />
ment. 732 Sitze stehen in direkter Wahl zur Verfügung, wir<br />
Deutsche schicken 99 Parlamentarier für die nächsten fünf<br />
Jahre ins Europäische Parlament nach Straßburg. Aber was<br />
machen die da? Machen die <strong>Europa</strong>?<br />
Die Europäische Union hat drei zentrale Organe: den<br />
Ministerrat, das Parlament und die Kommission. Daneben<br />
und darüber stehen der Rat der Staats- und Regierungschefs<br />
sowie der Europäische Gerichtshof und die Zentralbank.<br />
Virtuelle Entdeckungsreise<br />
Jan-Phillip Schlüter, ein junger Journalist aus Berlin, hat die<br />
neuen EU-Länder mit dem Flugzeug in Rekordzeit abgeklappert.<br />
Zu lesen gibt es seine Eindrücke aus den Hauptstädten<br />
und kurze Portraits von Jugendlichen. Dazu jede Menge Fotos<br />
und Links auf Radiobeiträge. àdieneuen10.de<br />
Ministerrat der Europäischen Union<br />
Es gibt verschiedene Zusammensetzungen, in denen der<br />
Ministerrat der Europäischen Union tagt, je nach Thema<br />
schicken die Mitgliedsstaaten ihre Fachminister. So treffen<br />
sich zum Beispiel alle 25 Außenminister oder alle 25 Um-<br />
weltminister. Zusammen mit dem Europäischen Parlament<br />
entscheidet der Ministerrat über die Gesetze, die die Europä-<br />
ische Kommission vorschlägt. Bisher konnte das Parlament<br />
mit seinen gewählten Abgeordneten bei der Gesetzgebung<br />
zwar mitreden, der Ministerrat jedoch, in dem jedes <strong>Land</strong><br />
LRB 2’04<br />
seine nationalen Interessen vertritt, trifft die letzte Entschei-<br />
dung. Erst allmählich bekommt das Parlament mehr Einfluss<br />
auf die Gesetzgebung.<br />
Die Länder haben im Ministerrat eine feste Anzahl von<br />
Stimmen, je nach Einwohnerzahl zwischen 4 und 29. Bei<br />
einer Abstimmung müssen derzeit mindestens 232 Stimmen<br />
für ein Vorhaben zusammenkommen, die außerdem 62% der<br />
EU-Bevölkerung repräsentieren.<br />
Europäisches Parlament<br />
<strong>Das</strong> Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte<br />
Gremium der EU. Normalerweise setzt ein Parlament die Re-<br />
gierung ein – das Europäische Parlament in Straßburg darf<br />
das nicht. Von Anfang an waren die Rechte des Parlaments<br />
stark eingeschränkt. Mittlerweile jedoch spielen Entschei-<br />
dungen der EU in alle Lebensreiche der Bürger hinein, daher<br />
muss die gesetzgebende Gewalt demokratisch legitimiert,<br />
sprich: von den Bürgern gewählt sein. <strong>Das</strong> Europäische Par-<br />
lament erstreitet sich eine immer stärkere Rolle neben dem<br />
Rat und der Kommission. Es hat inzwischen Mitspracherecht<br />
bei Gesetzesentwürfen, in einigen Politikfeldern (z. B. Kul-<br />
tur, Bildung, Umwelt) ist es schon gleichberechtigt neben<br />
dem Ministerrat. Außerdem kontrolliert das Parlament den<br />
Haushalt und die Europäische Kommission und kann letz-<br />
tere durch ein Misstrauensvotum absetzen. Gesetze selbst<br />
vorschlagen kann das Parlament allerdings nicht.<br />
Europäische Kommission<br />
Die Europäische Kommission in Brüssel ist der Macher<br />
der Europäischen Union. Die Mitgliedsländer entscheiden<br />
einvernehmlich über die Kommissare, die unabhängig für<br />
fünf Jahre ihre Arbeit machen sollen. Zur Zeit stehen drei-<br />
ßig Kommissare im Dienst der Kommission, im November<br />
wird sich diese Zahl aber auf 25 verringern. Die hohe Zahl<br />
ist eine Übergangslösung im Zuge der EU-Osterweiterung,<br />
ursprünglich gab es nur zwanzig Kommissare. In Brüssel<br />
untersteht den Kommissaren ein Verwaltungsapparat mit<br />
20 000 Mitarbeitern. Die Kommissare betreuen bestimmte<br />
Fachbereiche und sind vergleichbar mit den Fachministern<br />
in den einzelnen Ländern. Neben neuen Ideen und Impulsen<br />
für <strong>Europa</strong> wacht die Kommission über die Einhaltung der<br />
zahlreichen Verträge, die die Union zusammenschweißen. Im<br />
Rahmen der Verträge kann die Kommission verbindliche An-<br />
7
ordnungen erlassen und Strafen verhängen. Die Kommission<br />
wacht außerdem über den freien Handel innerhalb <strong>Europa</strong>s.<br />
Europäische Gesetze können nur auf Vorschlag der Kommis-<br />
sion verabschiedet werden. Die Kommission wird kritisiert,<br />
weil sie sehr mächtig ist, dabei aber nicht direkt gewählt wird<br />
wie das Parlament.<br />
Neben diesen drei Organen werden oft auch noch der Eu-<br />
ropäische Gerichtshof (EuGH) und die Europäische Zen-<br />
tralbank (EZB) zu den wichtigsten Institutionen in <strong>Europa</strong><br />
gezählt. Daneben gibt es eine ganze Reihe Untergeordneter<br />
Behörden, Abteilungen und Referate, zum Beispiel die Anti-<br />
Betrugsbehörde OLAF. Und es gibt noch ein weiteres Gre-<br />
mium, das maßgeblich entscheidet, wo uns die Europäische<br />
Union hinführt:<br />
Europäischer Rat<br />
Regelmäßig treffen sich die Staats- und Regierungschefs und<br />
entscheiden über gemeinsame Vorhaben, über die Außenpo-<br />
litik, über die „großen Fragen“ der Union. Der Rat legt dem<br />
Parlament zwar regelmäßig Berichte vor, untersteht aber kei-<br />
ner parlamentarischen Kontrolle wie die Bundesregierung.<br />
In der Europäischen Union haben sich die 25 Staaten eben<br />
keiner zentralen Regierung anvertraut. Jeweils für ein halbes<br />
Jahr übernimmt ein <strong>Land</strong> den Vorsitz und stellt Schwer-<br />
punktthemen auf die Agenda, es gestaltet für ein halbes Jahr<br />
maßgeblich, über was die Regierungschefs sich einigen. Oder<br />
zerstreiten, je nachdem.<br />
Und warum das alles?<br />
Der Kontinent <strong>Europa</strong> hat eine lange und blutige Geschichte.<br />
Der Zusammenschluss der Staaten in der Europäischen Uni-<br />
on ist gewissermaßen ein Versprechen für den Frieden und<br />
die Besinnung auf gemeinsame Kulturwerte. Und es geht um<br />
Geld.<br />
Ein einzelnes <strong>Land</strong> kann sich schwer den wirtschaftlichen<br />
Auswirkungen der Globalisierung stellen. Bei weltweiten<br />
Abkommen wie der Welthandelsorganisation kann ein <strong>Land</strong><br />
allein seine Interessen nur schwer gegen Länder durchset-<br />
zen, die wirtschaftlich besser gestellt sind. Indem nun aber<br />
25 Länder kooperieren und eine gemeinsame Position vertre-<br />
ten, haben sie eine starke Verhandlungsposition. Eigentlich.<br />
Denn gemeinsame Absprachen gestalten sich mit 25 Ländern<br />
8<br />
<strong>Europa</strong> im Netz<br />
Fluter ist das Magazin für Jugendliche der Bundeszentrale für<br />
politische Bildung. <strong>Das</strong> hört sich erstmal nicht besonders spannend<br />
an, ist es aber: An Fluter arbeiten ehemalige Redakteure<br />
des eingestellen jetzt-Magazins der Süddeutschen Zeitung mit.<br />
Auf der Website gibt es viel zu entdecken und viel zu lesen, ein<br />
<strong>Europa</strong>-Dossier erzählt über alte und neue EU-Länder. Vor allem<br />
geht es natürlich um Jugendliche, wie sie leben, wie sie sich<br />
engagieren. àfluter.de<br />
Die offizielle <strong>Europa</strong>-Seite hat es in sich. Tätigkeitsbereiche,<br />
Institutionen, Dokumente, Dienste: Alles ist online und leicht<br />
zugänglich über ein übersichtliches Portal. Informationen zu<br />
einem bestimmten Thema finden sich hier bestimmt, nur der<br />
Einstieg ist nicht immer ganz einfach: Die riesige Anzahl von<br />
Links ist verwirrend. àeuropa.eu.int<br />
Auf der Seite europa-digital, einem Ableger der Seite politikdigital,<br />
schreiben junge Leute über <strong>Europa</strong>: Hier gibt es nicht<br />
nur aktuelle, ausführliche Berichte sondern auch Hintergrundwissen<br />
zu allen erdenklichen Themen. Die große Anzahl an Autoren,<br />
Büros in Köln und Brüssel, Büro-Partnerschaften mit Politikberateragenturen<br />
lassen die Macher selbstbewusst von der<br />
„führenden Adresse zum Thema <strong>Europa</strong> im deutschsprachigen<br />
Internet“ sprechen. Stimmt! àeuropa-digital.de<br />
Kritisch zu aktuellen Themen in Sachen Europäische Union<br />
äußert sich die Arbeitsgruppe <strong>Europa</strong> von Attac. Interessant<br />
sind die Newsletter (auch zum Download als PDF), auf mehr<br />
als dreißig Seiten wird ein Schwerpunktthema wie Sozialabbau,<br />
Verfassung oder Erweiterung beleuchtet. Texte gibt es zum<br />
Beispiel auch zum Demokratiedefizit oder der Rolle transnationaler<br />
Konzerne in <strong>Europa</strong>. àattac.de/eu-ag/<br />
<strong>Das</strong> Auswärtige Amt (Ihr wißt schon, das mit Joschka Fischer)<br />
informiert natürlich auch ausführlich über <strong>Europa</strong>: Aktuelle<br />
Themen, Termine, Hintergründe, die Haltung der Bundesregierung<br />
zu den Beitrittskandidaten, alles aus offizieller Hand.<br />
àauswaertiges-amt.de<br />
<strong>Das</strong> Europäische Parlament hat ein deutsches Informationsbüro<br />
mit einer schicken, übersichtlichen Seite voller Informationen<br />
über <strong>Europa</strong>. Die Institutionen werden erklärt, die<br />
Erweiterung, die neue Verfassung. Und es wird gezeigt, was die<br />
Europäische Union alles für Jugendliche zu bieten hat.<br />
àeuroparl.de<br />
Die Berliner Zeitung Tagesspiegel sellte auf seiner Website viele<br />
<strong>Europa</strong>-Artikel kostenlos zur Verfügung<br />
àtagesspiegel.de/tso/sonderthema7/<br />
LRB 2’04
äußerst schwierig, nicht in allen Punkten stimmen sie über-<br />
ein. Damit <strong>Europa</strong> schnell handeln kann, ohne dass vorher<br />
alle Staatschefs und Minister verhandeln müssen, braucht<br />
die Europäische Kommission mehr Handlungsspielraum.<br />
Die Diskussion über einen europäischen Außenminister im<br />
vergangenen Jahr war ein Versuch, die europäische Ebene<br />
zu stärken.<br />
Der Verlust nationalstaatlicher Souveränität aber ist ein<br />
sensibles Thema, die Verhandlungen über solche Verträge<br />
dauern lange, kein <strong>Land</strong> möchte vorschnell Kompetenzen<br />
abgeben: Es muss sichergestellt sein, dass die eigenen Inter-<br />
essen später trotzdem noch vertreten werden.<br />
Außerdem stellt sich das Problem der demokratischen<br />
Legitimierung: Was wählen dann die Bürger in den ein-<br />
zelnen Staaten überhaupt noch, haben sie genug Einfl uss<br />
auf <strong>Europa</strong>? Wenn sich Bürger eines Staats schon nicht in<br />
ihrem nationalen Parlament repräsentiert sehen, wie sollen<br />
sich dann 455 Millionen Menschen unter 732 Abgeordnete<br />
wiederfi nden?<br />
Schon heute gibt es Richtlinien, die den Einfl uss der EU<br />
auf die nationalstaatliche Ebene beschränken sollen. So kann<br />
die EU nur Gesetze erlassen, wenn die Art des Gesetzes eine<br />
europäische Regelung unerlässlich macht, zum Beispiel in<br />
Fragen des Wettbewerbs. Kritisiert wird an diesen Richtlini-<br />
en, dass sie wenig konkret sind. Vieles kann so hingebogen<br />
werden, dass es den Wettbewerb betrifft, dass eine EU-Re-<br />
gelung geboten scheint. Jedoch ist das Prinzip der Subsidia-<br />
rität festgeschrieben: Sobald es sinnvoll ist, eine Aufgabe auf<br />
nationaler oder regionaler Ebene zu regeln, muss das auch<br />
möglich sein. In der Praxis sieht das freilich meistens anders<br />
aus.<br />
Bisweilen passieren auch merkwürdige Dinge, die dann<br />
Schadenfreude und Kritiker auf den Plan rufen: Mecklen-<br />
burg-Vorpommern, höchste Erhebung 192 Meter, hat am 31.<br />
März dieses Jahres die Seilbahnrichtlinie der Europäischen<br />
Union in <strong>Land</strong>esrecht umgesetzt. Es gibt keine Seilbahn<br />
in Mecklenburg-Vorpommern. <strong>Das</strong> war der Europäischen<br />
Kommission egal: Sie hatte Deutschland auf Durchsetzung<br />
der Richtlinie verklagt.<br />
<strong>Europa</strong> einig Macht und Wille<br />
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben bei einer<br />
ganzen Reihe von Politikfeldern der Europäischen Union die<br />
D A S I S T E U R O P A<br />
Ein <strong>Land</strong> in hundert Wörter<br />
zu fassen kann nur schief<br />
gehen. Wie auch soll man<br />
eine oder mehrere Kulturen<br />
so einfach beschreiben? Die<br />
folgenden kleinen Texte über<br />
die 25 Mitgliedsstaaten der<br />
Europäischen Union sind also auch eher als Anreiz gedacht:<br />
Einerseits gibt es zu vielen Ländern schon längst klischee-<br />
hafte Vorstellungen, die es sich lohnt, zu überprüfen. An-<br />
dererseits warten die neuen EU-Mitglieder darauf, entdeckt<br />
zu werden. Die Texte sind zusammengestellt aus Lexika, aus<br />
Zeitungen und aus persönlichen Erfahrungen. Sie erheben<br />
keinesfalls den Anspruch, vollkommen korrekt zu sein, son-<br />
dern sind eher Stichwortsammlungen. Und wen das Interes-<br />
se packt, der fi ndet auch gleich nützliche Hinweise, wo es mit<br />
der virtuellen <strong>Europa</strong>reise weitergehen kann.<br />
Knapp zwei Millionen Men-<br />
schen leben in Slowenien,<br />
dem Ziel der Bundesfahrt<br />
2004. <strong>Land</strong>essprache ist Slo-<br />
wenisch. Slowenien hat etwa<br />
die Größe Hessens. Dafür hat<br />
das <strong>Land</strong> einiges zu bieten:<br />
S L O W E N I E N<br />
Ausläufer der Alpen im Norden, ein bewaldetes Mittelgebirge<br />
mit Hochmooren und Almwiesen, die Karstregion, die direkt<br />
aus einem Karl-May-Film kommt, dazwischen Flusstäler<br />
mit Seen und Obstanbau. Und 20 Kilometer Mittelmeer-<br />
küste sind auch noch drin. Die Slowenen haben eine über<br />
tausendjährige Geschichte und Kultur. Nach dem Zerfall Ju-<br />
goslawiens suchte Slowenien schnell die Unabhängigkeit und<br />
den Anschluss an die EU. Slowenien ist kleines wie (relativ)<br />
reiches <strong>Land</strong>, dessen durchschnittlicher Monatslohn bei 700<br />
Euro liegt, mehr als in Tschechien.<br />
LRB 2’04 9
Die Republik Lettland mit<br />
ihren 2,4 Millionen Einwoh-<br />
nern ist seit diesem Jahr<br />
Mitglied in der Europäischen<br />
Union. Lettland liegt im Zen-<br />
trum des Baltikums zwischen<br />
Estland und Litauen. Es ist<br />
L E T T L A N D<br />
auch durch die Handelsbeziehungen über die Hanse nordeu-<br />
ropäisch geprägt. In Lettland lebt eine starke russische Min-<br />
derheit, 32% der Bevölkerung sind russischer Abstammung,<br />
besitzen keine lettische Staatsbürgerschaft und dürfen so<br />
auch nicht Wählen. Lettland hat einen langen Küstenstrei-<br />
fen, der im Westen an die Ostsee grenzt und im Nordwesten<br />
um die Rigaer Bucht läuft. Die <strong>Land</strong>schaft ist hügelig, Wie-<br />
sen und Moore wechseln sich mit großen Wäldern (40% der<br />
<strong>Land</strong>esfläche) ab. Hirsche, Rehe, Füchse, Elche, Wölfe und<br />
Biber tummeln sich hier. <strong>Das</strong> Klima ist gemäßigt, im Winter<br />
gibt es jedoch starke Kälteeinbrüche. Lettland profitiert von<br />
seiner Lage, Hochseefischerei, überhaupt Schiffahrt sind ne-<br />
ben Textil- und Möbelindustrie wichtige Wirtschaftszweige.<br />
In der Hauptstadt Riga treffen sich jährlich tausende Sänger<br />
und Chöre und frönen der lettischen Volksmusik. <strong>Das</strong> Wahr-<br />
zeichen Rigas ist der alte Rigaer Dom aus dem 13. Jahrhun-<br />
dert. Von dort hat man einen Blick über die ganze Stadt. Da<br />
Lettland zu gut einem Drittel an die Ostsee angrenzt, gibt es<br />
unzählige Bade- und Angelmöglichkeiten, also ein schönes<br />
Ziel für den Sommer.<br />
10<br />
Jâ/nç Ja/nein<br />
Paldies Danke<br />
Labdien Guten Tag<br />
Sveiks Hallo<br />
Atâ Tschüß<br />
Piedodret Entschuldigung<br />
Mani sauc... Ich heiße...<br />
Kâ sauc đo ieln? Wie heißt diese Straße?<br />
Kur man jâpârsçţas? Wo muss ich umsteigen?<br />
Vai es drîkstu đeit pârnakđŋot? Darf ich hier übernachten?<br />
volle Zuständigkeit übertragen, zum Beispiel bei Agrar- oder<br />
Wettbewerbspolitik. Am Fortschritt in diesen beiden Berei-<br />
chen lässt sich ablesen, was die Europäische Union ursprüng-<br />
lich einmal war: Ein Wirtschaftsinteressenclub. So kann die<br />
EU zum Beispiel bestimmen, wie ein Apfel auszusehen hat,<br />
damit er auch als Apfel verkauft werden darf. Hiermit sollen<br />
sowohl Produzenten als auch Konsumenten geschützt wer-<br />
den. Der europäische Produzent muss keine Angst haben,<br />
dass jemand außerhalb <strong>Europa</strong>s billigere Äpfel nach <strong>Europa</strong><br />
bringt und dort verkauft. Und der Konsument kann sich<br />
sicher sein, dass ein Apfel bestimmte Qualitätsmerkmale<br />
aufweist, zum Beispiel eine gewisse Größe. Derartige Rege-<br />
lungen gab es auch vorher schon, in jedem <strong>Land</strong>, und überall<br />
etwas anders. Nicht gerade förderlich für einen gemeinsam<br />
Markt. Gern wird hier von „Normierungswut“ gesprochen,<br />
denn natürlich haben diese Vorschriften auch Schattensei-<br />
ten. Produzenten, die die Norm nicht erfüllen, haben keinen<br />
Zugang zum Markt. Und das trifft oft Entwicklungsländer,<br />
die auf Exporte angewiesen sind, schützt aber meist Übersee-<br />
gebiete von EU-Ländern. <strong>Das</strong> Beispiel zeigt, wie kompliziert<br />
Entscheidungen zu Stande kommen und wie viele verschie-<br />
dene Interessen in Europäische Gesetze reinspielen.<br />
Und es geht weiter!<br />
Trotz aller Differenzen wollen die Regierungschefs aber,<br />
dass <strong>Europa</strong> weiter zusammenwächst. Noch basiert die EU<br />
auf verschiedenen Verträgen und Abkommen. <strong>Das</strong> wird sich<br />
ändern, <strong>Europa</strong> soll eine eigene Verfassung bekommen.<br />
Wenn sich die Ministerpräsidenten <strong>Europa</strong>s treffen, gilt<br />
in vielen Fällen das Einstimmigkeitsprinzip: Sind nicht alle<br />
Länder für etwas, wird es auch nicht gemacht. So dauert die<br />
Umsetzung eines Beschlusses oft eine Ewigkeit. Hier soll die<br />
Reform mit der „doppelten Mehrheit“ ansetzen. Ein Beschluss<br />
wird gefasst, wenn eine Mehrheit der Länder, die gleichzeitig<br />
eine Mehrheit der EU-Bevölkerung repräsentiert, für etwas<br />
stimmt. So wollen die großen Länder (etwa Deutschland,<br />
Italien, Frankreich und Großbritannien) mit ihren vielen<br />
Millionen Einwohnern verhindern, dass viele kleine Länder<br />
die Großen überstimmen. Aber nicht nur die kleinen Länder<br />
sehen dieses Vorhaben kritisch, auch ein „mittelgroßes“ <strong>Land</strong><br />
wie Polen sorgt sich, dass in Zukunft <strong>Europa</strong> von den „alten“,<br />
bevölkerungsstarken Ländern dominiert wird.<br />
LRB 2’04
Zwischen einer lockeren Kooperationsform, die geschlos-<br />
sen auftritt, wenn es notwendig erscheint und einer Art Su-<br />
perstaat mit quasi unabhängigen Ministern will die EU einen<br />
Mittelweg beschreiten. Diese Art des Zusammenschlusses<br />
ist in seiner Form auf der Welt einzigartig und noch nie da<br />
gewesen.<br />
Unsere Generation wird es sein, die das, was die Regie-<br />
rungschefs jetzt beschließen, ausgestalten und weiterentwi-<br />
ckeln wird – und muss. Grund genug also, sich mit <strong>Europa</strong><br />
auseinanderzusetzen und am 13. Juni zur Wahl zu gehen.<br />
LRB 2’04<br />
Ole Reißmann, Stamm Waldreiter<br />
Estland ist seit diesem Jahr<br />
EU-Mitglied. 1,4 Millionen<br />
Menschen leben in Estland.<br />
Zum Vergleich: Niedersach-<br />
sen ist etwa gleich groß und<br />
beheimatet acht Millionen<br />
Menschen. Ähnlich wie in<br />
Lettland gibt es auch hier eine starke russische Minderheit<br />
(28%). Fichtenwälder im Süden, Klippen im Norden, an der<br />
Küste bäuerliche Idylle. An der Küste warten hunderte kleine<br />
Inseln darauf, entdeckt zu werden. Störche, schilfbedeckte<br />
Häuser und Windmühlen kann man hier in den alten Kuror-<br />
ten antreffen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion<br />
organisierte Estland sein Gemeinwesen nach skandinavi-<br />
schem Vorbild vollkommen neu. Verwaltung und Regierung<br />
sind total digital vernetzt. Nahrungs- und Elektroindustrie<br />
sind in Estland führend, wichtiger Handelspartner ist Finn-<br />
land. Auch hier werden, wie in den anderen baltischen Län-<br />
dern, Möbel hergestellt und die See befi scht.<br />
Seit 1986 sind die 10,3 Mil-<br />
lionen Einwohner Portugals<br />
auch EU-Bürger. Der Gast-<br />
geber der Fußball-<strong>Europa</strong>-<br />
meisterschaft ist wie Spanien<br />
ein beliebtes Urlaubsland.<br />
Portugal hat nicht nur schöne<br />
Strände, sondern auch viel Kultur zu bieten: In der Haupt-<br />
stadt Lissabon fand 1998 die Weltausstellung statt. Fado, die<br />
wehmütige Volksmusik Portugals, hat sich vom Kaschem-<br />
menlied zur international gefeierten Kunstform entwickelt.<br />
Aus dem Norden des <strong>Land</strong>es stammt der Vinho verde, der<br />
„grüne Wein“. Die Portugiesen waren schon immer große<br />
Seefahrer und brachten viele exotische Sachen mit auf die<br />
heimischen Märkte. Ähnlich wie Spanien ist auch Portugal<br />
katholisch geprägt. Traditionelle Volksfeste gehören zu den<br />
Highlights in Portugal.<br />
E S T L A N D<br />
P O R T U G A L<br />
11
Die Gruppenleiter der REPARTOs „Ippogrifo“ aus der Gruppe Foligno 1: Simone Mattioli (25, Bankangestellter), Chiara Bibi (23, Philosophie-Studentin), Simone<br />
Marchi (24, Elektrotechnik-Student), Luca Felicetti (21, Elektrotechnik-Student) und Emanuele (ein Kind aus der Gruppe).<br />
Lo Scautismo Italiano<br />
Viele Fahrtengebiete, hohe Berge und die katholische Kirche als Unterstützer:<br />
Simone Marchi erzählt über die Pfadfinderei in Italien.<br />
In Italien gibt es diverse Pfadfinder-Verbände, von denen<br />
allerdings nur zwei vom Weltbund anerkannt sind. Diese bei-<br />
den sind AGESCI (Bund katholischer Pfadfinderinnen und<br />
Pfadfinder) und CNGEI (Interkonfessioneller Bund).<br />
Der größere der beiden ist AGESCI, der als sehr starke<br />
Organisation auf der gesamten italienischen Halbinsel prä-<br />
sent ist, besonders in Großstädten wie Rom, Mailand und<br />
Florenz und den großen Regionen Veneto, Emilia-Romagna<br />
und Sizilien.<br />
In meiner Heimat Umbrien, wo weniger als eine Million<br />
Menschen leben, sind wir nicht ganz so stark vertreten und<br />
darum sehr abhängig von den örtlichen Kirchen und deren<br />
Bischöfen. Allerdings haben wir den Rückhalt der Familien:<br />
Sie sehen die Pfadfinderei als Garantie für eine gute Lebens-<br />
weise. <strong>Das</strong> liegt an der Religiosität und der Liebe zur katho-<br />
lischen Kirche unseres <strong>Land</strong>es. „Pfadfinder sein“ bedeutet<br />
daher: Mitglied im katholischen Verband AGESCI.<br />
Ich denke, es ist wirklich ein Geschenk, in unserer Gegend<br />
Pfadfinder zu sein: Wir haben hier viele Fahrtengebiete, in<br />
12<br />
denen man die Berge und Flüsse ohne große Städte und zu<br />
viele Menschen genießen kann. Dennoch gibt es bei uns<br />
zahlreiche Orte und Städte voller Spiritualität und geschicht-<br />
lichem Erbe. Umbrien ist wahrscheinlich die von Pfadfindern<br />
am häufigsten aufgesuchte Region Italiens.<br />
Gruppenleiter zu sein, bedeutet für mich, jederzeit die<br />
Möglichkeit zu haben, den uns umgebenden Reichtum zu er-<br />
forschen. Ich möchte auch an unsere Kinder weiterzugeben,<br />
wie wir in besserem Einklang mit der Natur leben können.<br />
<strong>Das</strong> ist eine wunderbare Weise, unseren Dienst an der Ge-<br />
sellschaft zu leisten.<br />
Unsere „Kleinen“ beginnen im Alter von acht Jahren in<br />
der Stufe Branco, dann kommen sie mit zwölf zu Reparto.<br />
Die Sechzehn- bis Zwanzigjährigen gehören zum Clan. An-<br />
schließend muss sich jeder entscheiden, ob er Gruppenleiter<br />
werden will oder nicht. Dazu ist es wichtig, dass er Vertrauen<br />
in Jesus Christus hat, denn alles verdanken wir ihm: das<br />
Spiel für die Kinder, das Abenteuer für die Jugendlichen, die<br />
Pfade und die Aufgaben.<br />
LRB 2’04
In Italien sind die Pfadfi nder im Allgemeinen sehr ge-<br />
schickt, was Lagerbauten auf Sommerlagern betrifft. Auch<br />
im Umgang mit technischen Dingen wie Karte und Kompass<br />
oder beim Pionieren ist die Ausbildung sehr umfangreich.<br />
Ich glaube, das ist auch der faszinierendste Aspekt für jedes<br />
Kind, das Pfadfi nder werden möchte.<br />
Jede Region Italiens hat Zugang zu hohen Bergen oder<br />
bietet die Möglichkeit in der Nähe des Meeres oder eines<br />
Sees zu übernachten. Und weil wir so viele verschiedene<br />
Plätze haben, gehen wir sehr selten im Ausland auf Fahrt.<br />
Leider eine Schattenseite dieses glücklichen Umstands. Die<br />
Brancos fahren im Sommer normalerweise für eine Woche<br />
irgendwo aufs <strong>Land</strong> und übernachten in einem großen Haus.<br />
Die Repartos fahren für zwei Wochen – meistens in die ab-<br />
geschiedene Bergwelt – und bauen sich ein eigenes Lager, in<br />
dem sie wie Pioniere leben.<br />
Der Clan unternimmt häufi g größere Touren in weiter<br />
entfernte Gegenden, wenn auch nur für eine Woche. Dort<br />
kombinieren sie gerne ausgefallene Wanderungen mit ein<br />
paar Tagen Sozialarbeit an jenem Ort.<br />
Ich bin sehr froh, Pfadfi nder zu sein, denn ich fühle mich<br />
in gewisser Weise reicher und wacher. Es ist eben nicht nur<br />
etwas für Kinder, es ist eine gute Art, Mensch zu sein. Ich<br />
weiß nicht viel über die Pfadfi nderei in Deutschland, aber<br />
vielleicht sind alle so wie meine Freunde unter den Kolibris<br />
in Lübeck. Mit einem großen Sinn für Gastfreundschaft und<br />
einem Turm als Stammesheim … Ersteres haben wir gemein,<br />
das Zweite nicht! Es war mir ein Vergnügen, Euch von uns zu<br />
berichten.<br />
Hier geht’s weiter<br />
LRB 2’04<br />
Simone Marchi, Italien<br />
Die Seite der Associazione Guide e Scout Cattolici Italiani sieht<br />
wunderhübsch aus (ist aber auf italienisch) àagesci.org<br />
Vom Bundes- zum <strong>Land</strong>esverband, hier geht es in Umbrien<br />
weiter unter àumbriascout.org<br />
Schließlich kommen wir auf der Stammeshomepage an (und<br />
immer noch alles auf italienisch) àagescifoligno.org<br />
Die Italienische Republik<br />
ist von Anfang an (1958)<br />
Mitglied der Europäischen<br />
Union. 58 Millionen Einwoh-<br />
ner sprechen: Italienisch.<br />
Deutsch, Französisch, Ladi-<br />
nisch und Slowenisch sind<br />
regionale Amtssprachen. Daneben gibt es eine ganze Reihe<br />
weiterer Sprachen, die unter Minderheitenschutz stehen,<br />
aber bisher nicht Amtssprache in ihrer Region sind. Der Nor-<br />
den des <strong>Land</strong>es ist stark industrialisiert und liegt gut im Eu-<br />
ropavergleich, der Süden hingegen ist eher strukturschwach<br />
und landwirtschaftlich geprägt. Italien ist bekannt für seine<br />
Modedesigner und Bekleidungsindustrie, für seine Kunst<br />
und Musik und für Speis und Trank. Italienische Gastarbeiter<br />
brachten Pizza und Pasta mit nach Deutschland. Als beliebtes<br />
Urlaubsziel lockt Italien Touristen sowohl mit seinen Strän-<br />
den (z. B. die Adriaküste) als auch mit Sehenswürdigkeiten:<br />
In allen Zeitaltern der Geschichte war Italien wichtiges Kul-<br />
turzentrum in <strong>Europa</strong>.<br />
In Irland, seit 1973 EU-<br />
Mitglied, leben 4 Millionen<br />
Menschen, die große Mer-<br />
heit von ihnen katholischen<br />
Glaubens. Viele Iren emig-<br />
rierten im 19. Jahrhundert<br />
in die USA, heute leben dort<br />
I T A L I E N<br />
I R L A N D<br />
12 Millionen Menschen irischer Abstammung. Aus Irland<br />
kommen Künstler wie die Rockband U2, Ronan Keating oder<br />
die Schriftsteller James Joyce, Flann O‘Brien und Samuel<br />
Beckett kommen aus Irland. In der grünen Hügellandschaft<br />
trifft man vor allem auf Schafe, Touristen und viele alte Cast-<br />
les. Irland ist außerdem bekannt für seine Pubs, dunkles Bier<br />
mit cremigem Schaum und rauschende Feste mit Folkmusik.<br />
Nationalsymbol ist das shamrock, das irische Kleeblatt. Am<br />
17. März wird der St.-Patricks-Day gefeiert. Der meistge-<br />
brauchte Satz über Irland unter Pfadfi ndern ist „Soll ja so<br />
schön sein, will ich unbedingt hin.“<br />
13
Krisenherde in <strong>Europa</strong><br />
„Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Auch in <strong>Europa</strong> gibt<br />
es immer noch blutige Konflikte. Frieden und Stabilität bleiben vorerst Utopie.<br />
„<strong>Das</strong> europäische Einigungswerk hat für 50 Jahre Stabilität,<br />
Frieden und Wohlstand gesorgt“, heißt es auf der Website der<br />
Europäischen Union. Sicher, die katastrophalen zwischen-<br />
staatlichen Kriege <strong>Europa</strong>s scheinen überwunden. Doch Frie-<br />
den und Stabilität – vom Wohlstand einmal ganz abgesehen –<br />
herrschen nur in Teilen <strong>Europa</strong>s, auch innerhalb der EU sind<br />
noch nicht alle Konflikte gelöst. Die Politiker <strong>Europa</strong>s treten<br />
so oft und gern mit dem Anspruch auf, die EU sei Vorbild und<br />
Symbol für Stabilität und Frieden in der Welt. Ein Beitritt zur<br />
Gemeinschaft scheint wie eine Garantiekarte für Frieden und<br />
Wohlstand zu sein. Denn genau das ist einer der wichtigs-<br />
ten Legitimationsgründe für die europäische Integration.<br />
Doch leider ist dem nicht ohne weiteres so. Nicht erst auf<br />
14<br />
den Balkan muss man schauen, um offene Konflikte in Eu-<br />
ropa zu finden. Im Baskenland, Nordirland oder auf Korsika<br />
– noch immer werden Streitigkeiten auf dem europäischen<br />
Kontinent blutig ausgetragen. Zumeist handelt es sich dabei<br />
um Konflikte zwischen Minderheit und Mehrheit in einem<br />
<strong>Land</strong> – um Gleichberechtigung, Selbstbestimmung oder dem<br />
Wunsch nach wirtschaftlichem Wohlstand.<br />
<strong>Das</strong>s die EU als Krisenmanagerin mehr als nur lern-<br />
bedürftig ist, haben die Kriege auf dem Balkan in den<br />
neunziger Jahren zur Genüge bewiesen. Zu sehr be-<br />
stimmen die Interessen einzelner Mitgliedsstaaten noch<br />
die Außenpolitik der Gemeinschaft. Wie aber steht es<br />
um die Fähigkeit, Konflikte innerhalb der EU zu lösen?<br />
LRB 2’04
Gerade Konfl ikte wie in Nordirland oder dem Baskenland<br />
stellen eine Möglichkeit für die Gemeinschaft dar, sich als<br />
Krisenmanagerin erfolgreich zu präsentieren. Es muss doch<br />
im ureigensten Interesse der EU liegen, Konfl ikte dieser Art<br />
friedlich zu lösen und Erfahrungen für den Umgang mit Kri-<br />
sen in der Welt zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund stellen<br />
vor allem die neuen Beitrittsländer eine Herausforderung<br />
dar. Mit ihren bis heute ungelösten Minderheitsproblemen,<br />
zum Beispiel der russischen Bevölkerung im Baltikum oder<br />
den Roma in Tschechien und Rumänien, bringen sie zusätzli-<br />
ches Konfl iktpotenzial in die Gemeinschaft.<br />
Es wird sich zeigen, ob die Europäische Union die In-<br />
strumente sowie die personellen und institutionellen Mög-<br />
lichkeiten besitzt, um mit diesen Konfl ikten umzugehen.<br />
Denn noch liegen die wesentlichen Kompetenzen im Bereich<br />
der Polizei und Justiz bei den Staaten selbst, sie also haben<br />
in erster Linie die Mittel und Möglichkeiten zu handeln.<br />
Doch steht auch der EU mit den Kompetenzen in der Wirt-<br />
schaftspolitik bereits ein wichtiges Mittel zur Verfügung.<br />
Denn wie Analysen zeigen, hängen Wohlstand, Frieden und<br />
Stabilität eng zusammen. Die EU hat dies in ihrem Anspruch<br />
schon erkannt, muss nun aber noch alles dafür tun, diesen<br />
Anspruch auch Wirklichkeit werden zu lassen.<br />
Kampf um Autonomie im Baskenland<br />
<strong>Das</strong> Baskenland ist eine von siebzehn Provinzen Spaniens.<br />
Seit 1980 gilt dort ein Autonomiestatut, welches den Basken<br />
große Freiheit gibt. An den Schulen im <strong>Land</strong> wird neben an-<br />
deren Sprachen auch das Baskische gelehrt. Die Basken ha-<br />
ben eine eigene Polizei und können eigene Steuern erheben.<br />
Keine andere Region in Spanien genießt so viel Unabhängig-<br />
keit. Einer Minderheit im Baskenland geht das allerdings<br />
nicht weit genug, sie verlangt die volle Unabhängigkeit von<br />
Spanien. Es gab einmal ein selbständiges baskisches Reich.<br />
Im 10. Jahrhundert bildeten die heutigen baskischen Regio-<br />
nen in Spanien und Frankreich gemeinsam mit der Provinz<br />
Navarra das Königreich Navarra. Den Nationalisten gilt<br />
diese Zeit als Vorbild. Einen eigenen Staat, den möchten sie<br />
gern wieder haben. Dazu gehören ihrer Meinung nach nicht<br />
nur die spanisch-baskischen Provinzen, Guipuzcoa, Vizkaya<br />
und Alava, sondern auch die auf französischem Territorium<br />
liegenden baskischen Provinzen Soule, Basse-Navarre und<br />
Labourd sowie die spanische Nachbarprovinz Navarra. Dafür<br />
kämpfen sie, dafür mordet ihr bewaffneter Arm ETA. Heute<br />
LRB 2’04<br />
N I E D E R L A N D E<br />
Holland, oder vielmehr das<br />
Königreich der Niederlande,<br />
hat 16,2 Millionen Einwohner<br />
und ist Gründungsmitglied<br />
der EU. Staatsoberhaupt ist<br />
Königin Beatrix. Fast die<br />
Hälfte des <strong>Land</strong>es liegt nicht<br />
einmal einen Meter über dem Meeresspiegel und muss durch<br />
Deiche geschützt werden. Die Niederlande haben eine hoch-<br />
technisierte <strong>Land</strong>wirtschaft, in der zwar nur vier Prozent der<br />
Erwerbstätigen arbeiten, damit aber maßgeblich zum Export<br />
beitragen: Fleisch, Tomaten, Tulpen. Bekannt ist Holland<br />
für seine liberale Politik hinsichtlich Drogen, Prostitution,<br />
Sterbehilfe. Der Hafen in Rotterdam ist der größte Contai-<br />
nerumschlagplatz der Welt. Weltberühmte Maler kamen aus<br />
den Niederlanden: Vermeer, Rembrandt, van Gogh.<br />
61 Millionen Bürger zählt<br />
Frankreich, das sind etwa<br />
13,5 % der EU-Bevölkerung.<br />
Frankreich ist Gründungs-<br />
mitglied der Europäischen<br />
Union. Stolz sind die Fran-<br />
zosen auf ihre Revolution,<br />
F R A N K R E I C H<br />
Liberté, Egalité, Fraternité, und den daraus hervorgegange-<br />
nen laizistischen Staat. Offi ziell gibt es nur eine Amtssprache,<br />
neben Französisch existieren aber eine ganze Reihe weiterer<br />
Sprachen (z. B. Bretonisch und Normannisch). Flächenmä-<br />
ßig ist es das größte <strong>Land</strong> der EU. Die Franzosen geben mehr<br />
Geld für besseres Essen aus als der Durchschnitts-Europäer.<br />
<strong>Das</strong> Klischee gibt einiges her: Kaffee aus riesigen, fl achen<br />
Tassen, Wein, Käse, Baguette und nicht zuletzt das Lebens-<br />
gefühl, das in dem – französischen – Film „Amelie“ trans-<br />
portiert wird. Wenig französische Schüler wählen Deutsch<br />
als zweite Fremdsprache, genau wie in Deutschland wird<br />
eher Spanisch gewählt. Obwohl die beiden Länder so dicht<br />
nebeneinander liegen, obwohl die beiden Staaten wichtigste<br />
Handelspartner sind, trotz 40 Jahre Elysée-Vertrag.<br />
15
möchte nur noch eine Minderheit im Baskenland die Un-<br />
abhängigkeit. Die Terroristen sind isoliert, verbreiten aber<br />
weiterhin Angst und Schrecken im <strong>Land</strong>. Bürgermeister mit<br />
einem Parteibuch der spanischen Volkspartei PP werden von<br />
der ETA bedroht, Unternehmer erpresst, auf Polizisten und<br />
Militärs werden Anschläge verübt. In den Augen der ETA ist<br />
das spanische Militär die Besatzungsmacht. Kein Wunder<br />
also, dass fälschlicherweise zunächst die ETA unter Verdacht<br />
geriet, als am 11. März dieses Jahres mehrere Bomben in<br />
Nahverkehrszügen der Hauptstadt Madrid 201 Menschen in<br />
den Tod rissen und über 1 000 Verletzte hinterließen.<br />
Bosnien-Herzegowina – ein Staat in ständiger Krise<br />
1990 löste sich der Vielvölkerstaat Jugoslawien gewaltsam<br />
auf. Nach schweren Kämpfen in Kroatien verlagerte die<br />
serbisch kontrollierte Armee das Kriegsgeschehen nach<br />
Bosnien. Im Zuge des „groß-serbischen“ Strebens und der<br />
Pläne, alle Serben zu „vereinigen“, entbrannte 1992 in dem<br />
gerade international anerkannten Staat Bosnien-Herzego-<br />
wina ein schrecklicher Krieg mit katastrophalen Folgen. Die<br />
physische Infrastruktur wurde nahezu vollständig zerstört,<br />
ebenso die einzigartige multi-ethnische Gesellschaft. Die<br />
Auswirkungen sind in Bosnien noch überall zu sehen. Der<br />
kriegerische Konflikt ist zwar beigelegt worden, aber die<br />
politische, wirtschaftliche und soziale Krise schwelt weiter.<br />
Die Wunden des Krieges heilen eben äußerst langsam. Nicht<br />
nur die politisch Verantwortlichen tun sich mit der Zusam-<br />
menarbeit und Versöhnung schwer, auch die jeweiligen<br />
Bevölkerungsgruppen misstrauen sich immer noch. Von den<br />
1,2 Millionen Flüchtlingen, die Bosnien verließen, sind bis<br />
heute ungefähr 850 000 zurückgekehrt. Doch die meisten<br />
von ihnen kamen nicht in ihr einstiges Heim zurück, sondern<br />
in ihre „ethnische“ Gegend. Wenn das Haus eines bosnischen<br />
Muslims sich jetzt im serbischen Gebiet befindet, kommt er,<br />
um es ein letztes Mal zu sehen und um es vielleicht verkaufen<br />
zu können. Die meisten Rückkehrer tun es ihm gleich, sofern<br />
der Heimatort nicht ihrer ethnischen Gegend zugefallen<br />
ist. Sich im „feindlichen“ Gebiet erneut niederzulassen, ist<br />
in Bosnien immer noch undenkbar. <strong>Das</strong> „bosnische“ Volk<br />
geht sich aus dem Weg, und die damit verbundenen so-<br />
zialen Spannungen und Ängste können folgerichtig nicht<br />
abgebaut werden. Die soziale Krise scheint unüberwindbar.<br />
Die EU hat aber doch etwas gelernt aus den Jugoslawien-<br />
Kriegen. Eine Abwendung von diesem Gebiet erschien ihr<br />
16<br />
unmöglich. Besonders wirtschaftliche Hilfe und Unterstüt-<br />
zung, sowie das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-<br />
men (SAA) verdeutlichen das europäische Interesse an der<br />
Balkanregion. Vor dem Krieg, auch noch während des Krie-<br />
ges sah dies anders aus. Die Europäer waren vom Ausmaß<br />
des Konflikts überrascht und überfordert. Eine gemeinsame<br />
politische Linie gab es nicht, vom militärischen Potenzial<br />
ganz zu schweigen. Stattdessen handeln die EU-Staaten un-<br />
abhängig voneinander, allen voran Deutschland. Die Union<br />
präsentierte sich in diesen Jahren als ein Club, der zwar<br />
ökonomisch stark war, der aber vor außenpolitischen Proble-<br />
men unbeweglich kapitulieren musste. Nach dem Ende des<br />
Bosnienkrieges, entschied die EU, zumindest beim Aufbau<br />
des <strong>Land</strong>es eine entscheidende Rolle zu spielen. Die von der<br />
EU übernommene Polizeimission soll zusammen mit den<br />
zwölftausend SFOR-Soldaten den Frieden, dem immer noch<br />
nicht alle trauen, sichern. <strong>Europa</strong> hat in Bosnien einiges wie-<br />
der gutzumachen. <strong>Das</strong> Versagen im Krieg muss durch eine<br />
konstante und konsequente Aufbauhilfe gemildert werden.<br />
<strong>Europa</strong> darf den Glauben an den Staat Bosnien-Herzegowina<br />
nicht aufgeben. Vor allem deswegen nicht, weil die eigene<br />
Bevölkerung Bosniens den Glauben an die eine, allen ge-<br />
meinsame Heimat noch nicht vollständig wiedererlangt hat.<br />
Die ständige Krise, in der sich Bosnien befindet, kann nur mit<br />
Hilfe <strong>Europa</strong>s endgültig gelöst werden.<br />
Die Minderheitenproblematik im Baltikum<br />
In Lettland und Estland leben derzeit über 750 000 Men-<br />
schen als Staatenlose, ohne Pass und ohne politisches Mit-<br />
spracherecht. Diese Staatenlosen der russischen Minderheit<br />
haben immerhin einen Bevölkerungsanteil von knapp 30<br />
Prozent in beiden Ländern. Und in Moskau und Brüssel<br />
streitet man sich regelmäßig mit den Regierungen in Tallinn<br />
und Riga um den Status dieser Menschen. Die Einzigen, die<br />
bei dem Streit fast nie zu Wort kommen, sind die ethnischen<br />
Russen selbst. Der Ursprung des Minderheitenkonflikts im<br />
Baltikum liegt mittlerweile sechzig Jahre zurück, als 1944 die<br />
vorher unabhängigen Staaten Lettland, Estland und Litauen<br />
der UdSSR angegliedert wurden. Die niedrige Geburtenrate<br />
dieser Jahre, eine Folge des Zweiten Weltkriegs, aber vor<br />
allem das Ziel Moskaus, einen einheitlichen Sowjetstaat<br />
zu schaffen, sollte die Bevölkerungsstruktur Estlands und<br />
Lettlands nachhaltig verändern. Um dieses Ziel zu errei-<br />
chen, wurden zu Zeiten Stalins Massendeportationen von<br />
LRB 2’04
Esten und Letten nach Sibirien veranlasst. Gleichzeitig er-<br />
mutigte man Russen, sich in diesen Gebieten anzusiedeln.<br />
<strong>Das</strong> führte dazu, dass Esten und Letten um das Überle-<br />
ben auf ihrem eigenen Territorium zu bangen begannen.<br />
Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 begann das politische<br />
Tauziehen um den Status der ethnischen Russen. Als unab-<br />
hängig gewordene Staaten vergaßen Estland und Lettland<br />
nicht die Jahre unter den Besatzern und die Angst davor, im<br />
eigenen <strong>Land</strong> zu einer Minderheit zu werden. Sicherlich war<br />
das die Motivation für die harten und diskriminierenden Ge-<br />
setze und Maßnahmen beider Staaten, die sich vor allem ge-<br />
gen die ethnischen Russen richteten. Nach der Unabhängig-<br />
keit wurde den meisten Russen die estnische beziehungswei-<br />
se lettische Staatsbürgerschaft zuerst verweigert. Beide Län-<br />
der erließen ein Restitutionsedikt, dem zufolge nur jene, die<br />
bereits in der Vorkriegszeit Bürger der Republiken gewesen<br />
waren, sowie deren Nachkommen automatisch Staatsbürger<br />
werden konnten. Andere Einwohner des <strong>Land</strong>es wurden ge-<br />
zwungen, Aufenthaltsgenehmigungen zu beantragen – was<br />
sich hauptsächlich gegen die russischen Einwanderer richte-<br />
te. Die Einbürgerungen waren kontingentiert, an Altersstaf-<br />
felungen gebunden und erfolgten nach harten Prüfungen in<br />
Sprache und Gesetzgebung. Die meisten der ethnischen Rus-<br />
sen, die zumeist ältere ehemalige sowjetische Industriear-<br />
beiter waren, konnten aber diese Prüfungen nicht bestehen.<br />
Die Folge: Viele Russen wanderten aus, allein 175 000 Men-<br />
schen aus Lettland. Die schlechte Situation der russischen<br />
Bevölkerung spitzte sich 1998 in Massenprotesten russischer<br />
Rentner zu. Es waren und sind vor allem die Organisation<br />
für Sicherheit und Zusammenarbeit in <strong>Europa</strong> (OSZE), die<br />
Europäische Union (EU) und die NATO auf der einen und<br />
Russland auf der anderen Seite, die bereits seit Jahren auf<br />
Estland und Lettland Druck ausüben. Während aber die<br />
EU keine direkten Konsequenzen für die Mitgliedschaft<br />
ziehen wollte, machte die NATO klar, dass der Beitritt<br />
nicht garantiert sei. Während seines Baltikumbesuchs<br />
2002 erklärte NATO-Generalsekretär George Robertson<br />
Lettland und Estland unmissverständlich, dass eine Mit-<br />
gliedschaft auch davon abhänge, ob die Haltung gegen<br />
über der russischen Minderheit liberaler würde oder nicht.<br />
Russland protestiert regelmäßig gegen die Staatsbürger-<br />
schaftsregelungen, die Sprachpolitik sowie die Reduktion<br />
von Russischunterricht an öffentlichen Schulen. Gerade der<br />
russischsprachige Teil der Medien im Baltikum wird von<br />
LRB 2’04<br />
In Ungarn leben gut 10 Mil-<br />
lionen Menschen. Seit dem 1.<br />
Mai diesen Jahres ist Ungarn<br />
Mitglied der Europäischen<br />
Union. Hauptstadt ist Bu-<br />
dapest. <strong>Land</strong>essprache ist<br />
Ungarisch, dem fi nnischen<br />
verwand. Ungarn besteht überwiegend aus Tief land; nied-<br />
rige Hügel und Berge liegen im Norden und Westen. Der<br />
große Balaton (Plattensee) sowie die Donau und die Theiß<br />
„ersetzen“ das Meer. Im Süden Ungarns erstrecken sich<br />
viele Weinberge. <strong>Das</strong> Mecsekgebirge besteht zum Großteil<br />
aus Laubwald. <strong>Das</strong> Klima ist kontinental; es gibt also sehr<br />
warme Sommer und sehr kalte Winter. Über die Grenzen<br />
bekannt sind Paprika, Gulasch, Letscho und Palatschinken.<br />
Eine Besonderheit Ungarns sind die vielen Bäder (siehe Bild<br />
unten), die sich aus unterirdischen warmen Quellen speisen.<br />
Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das Barockschloss Fertöd<br />
aus dem 18. Jahrhundert.<br />
U N G A R N<br />
Igen/nem Ja/nein<br />
Köszönöm Danke<br />
Kérem Bitte<br />
Helló Hallo<br />
Szia Tschüss<br />
Jó reggelt kívánok Guten Morgen<br />
Boscánant Entschuldigung<br />
Segítség Hilfe!<br />
Ez nagyon fi nom <strong>Das</strong> ist sehr lecker<br />
Tetszel nekem Du gefällst mir.<br />
Van török fürdö a városban? Gibt es ein türkisches Bad in der Stadt?<br />
17
Seit 1981 ist die parlamenta-<br />
rische Demokratie Griechen-<br />
land mit seinen 11 Millionen<br />
Einwohnern Mitglied der<br />
Europäischen Union. Rund<br />
ein Viertel der Fläche entfällt<br />
auf die mehr als 3 000 In-<br />
seln, von denen 167 bewohnt sind. Große Bergketten ziehen<br />
sich bis direkt ins Meer. 14 Millionen Touristen besuchen<br />
Griechenland jährlich, davon mehr als 70 % aus <strong>Europa</strong>.<br />
<strong>Das</strong> antike Griechenland wird als die Wiege <strong>Europa</strong>s be-<br />
zeichnet, in Athen entstand ein Stadtstaat, in dem eine sehr<br />
frühe Form unserer heutigen Demokratie praktiziert wurde,<br />
wegweisende Philosophen lebten hier. Im Sommer 2004<br />
kehren die Olympischen Spiele in ihre Heimat zurück: Sie<br />
werden in Athen ausgetragen. Die griechische Küche bietet<br />
selbstredend mehr als Gyros und Bauernsalat, ähnlich den<br />
spanischen Tapas werden zahlreiche verschiedene Gerichte<br />
gleichzeitig gegessen.<br />
18<br />
G R I E C H E N L A N D<br />
In Österreich leben 8,1 Milli-<br />
onen EU-Bürger. Deutsch ist<br />
Amtssprache, regional aber<br />
auch Kroatisch, Ungarisch,<br />
Slowenisch. Ehemals war<br />
Österreich ein viel größeres<br />
<strong>Land</strong>, nach den Wirren des<br />
Ö S T E R R E I C H<br />
Zweiten Weltkriegs war eine Bedingung seitens der Sowje-<br />
tunion zur Souveränität die politische Neutralität. Nach dem<br />
Zerfall der Sowjetunion trat Österreich 1995 der Europäi-<br />
schen Union und der NATO bei. In Österreich läßt es sich<br />
vortreffl ich wandern, große <strong>Land</strong>esteile liegen in den Alpen.<br />
Bekannt ist Österreich natürlich für seine Kaffeehauskultur,<br />
für den Opernball, für Sissi. Jenseits dieser romantischen<br />
Klischees beeindrucken die radikalen Texte Thomas Bern-<br />
hards, der über die österreichische Gesellschaft grantelt.<br />
Russland beeinfl usst – Moskau nutzt so die Möglichkeit, sein<br />
strategisches Interesse an Estland und Lettland indirekt wei-<br />
terhin zu vertreten. Nach den klaren Signalen der internatio-<br />
nalen Organisationen haben Estland und Lettland die Einbür-<br />
gerungs- und Sprachregelungen jetzt schrittweise gelockert.<br />
Frankreichs innenpolitisches Sorgenkind Korsika<br />
Korsika gehört seit 1768 zu Frankreich. Schwierigkeiten mit<br />
dem Festland hat es seitdem oft gegeben, doch erst seit 1975<br />
spricht man vom „problème corse“: einem Gewirr von poli-<br />
tischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen, die einen<br />
grundsätzlichen Konfl ikt immer wieder aufs Neue entfachen.<br />
Bis heute hat es fast 10 000 Anschläge gegeben. Die 1999 er-<br />
klärte Waffenruhe existiert nur auf dem Papier. Ein Ende der<br />
Gewaltspirale, in der sich staatliche Polizeiaktionen und ter-<br />
roristische Attentate gegenseitig verstärken, ist nicht in Sicht.<br />
Die Europäische Union hat sich aus dem politischen Konfl ikt<br />
weitgehend rausgehalten, was wohl auch dem Wunsch der<br />
französischen Regierung entspricht.<br />
Die Forderung nach Selbstverwaltung beruft sich auf<br />
die Insellage, die besondere Probleme mit sich bringe<br />
und deshalb besondere Maßnahmen erfordere, über die<br />
am besten vor Ort entschieden werde. Dabei geht es vor<br />
allem um Sonderbefugnisse im Bereich Tourismus, Um-<br />
weltschutz, Transport, Bildung, Kultur und Sprache. Die<br />
Gegner eines korsischen Sonderstatus berufen sich auf<br />
die Gleichheit aller Bürger und den zentralistisch verwal-<br />
teten Staat; Föderalismus wie in Deutschland ist ihnen<br />
ein Tabu. In Paris fürchtet man vor allem ein Übergreifen<br />
der Unabhängigkeitsforderungen auf andere Regionen<br />
wie beispielsweise die Bretagne, was langfristig die Prinzi-<br />
pien des französischen Staates auf den Kopf stellen könnte.<br />
Über achtzig Prozent der Korsen halten nichts von der Unab-<br />
hängigkeit, darunter viele Rentner, Beamte und Politiker, die<br />
nicht auf ihr Einkommen vom französischen Staat verzichten<br />
wollen. Ohne die französischen Transferzahlungen wäre Kor-<br />
sika inzwischen kaum lebensfähig, und so verlieren die Ver-<br />
fechter der Unabhängigkeit bei der korsischen Bevölkerung<br />
zunehmend an Bedeutung. Bei den letzten Regionalwahlen<br />
erhielt nur eine nationalistische Partei über fünf Prozent der<br />
Stimmen. Doch der Kampf der militanten Separatisten geht<br />
weiter. Der Streit um gegensätzliche Prinzipien – Gleich-<br />
heit oder Vielfalt – macht eine grundsätzliche Lösung der<br />
Korsikafrage fast unmöglich. Dies ist vielleicht auch nicht<br />
LRB 2’04
notwendig, denn mit einer Lösung der konkreten Probleme<br />
auf der Insel wie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der<br />
sozialen Probleme und der wirtschaftlichen Defizite könnte<br />
der Konflikt beigelegt werden. Eine wirksame europäische<br />
Regionalpolitik und die Brüsseler Strukturfonds können<br />
dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Respekt vor der kul-<br />
turellen Identität und Anerkennung der korsischen Sprache<br />
würden die angeheizte Stimmung und die jahrzehntelange<br />
Gewalt auf Korsika eindämmen und eine friedliche Lösung<br />
der politischen Gegensätze möglich machen.<br />
Diskriminierung von Roma<br />
In Usti nad Labem, einer Kleinstadt in Tschechien, stand eine<br />
Mauer. Die Mauer, einige Meter hoch und mit Stacheldraht<br />
versehen, umrahmte ein ganzes Stadtviertel, genauer: ein<br />
Stadtviertel, in dem Angehörige der Roma-Minderheit in<br />
Tschechien wohnten. <strong>Das</strong> sei ein Lärmschutzwall, behaupte-<br />
te die Stadt, errichtet als Reaktion auf Proteste von Anwoh-<br />
nern. In den Augen der zahlreichen Kritiker war diese Mauer<br />
aber mehr, sie sahen sie als Ausdruck der Ausgrenzung<br />
und Diskriminierung von Roma, als Ghetto. Die Mauer von<br />
Usti nad Labem ist kein Einzelfall, nicht nur hier existieren<br />
Vorurteile, Ablehnung oder gar Hass gegen die ethnische<br />
Minderheit der Roma. Diese Mauer ist vielmehr Beispiel für<br />
die Diskriminierung und den Ausschluss, den Angehörige der<br />
Roma-Minderheit erfahren, nicht nur in Tschechien, auch in<br />
anderen osteuropäischen Ländern. Aber selten findet die Dis-<br />
kriminierung und die Ablehnung gegen die Roma so deutlich<br />
Ausdruck wie im Falle der Mauer von Usti nad Labem.<br />
Die Roma sind eine Minderheit, die überall fremd ist. Ein<br />
Volk ohne <strong>Land</strong>, aber mit eigener Kultur, das vor Tausenden<br />
von Jahren aus Indien kam und seitdem heimatlos durch die<br />
Welt irrt. Ein Volk, das sich überall von der mehrheitlichen<br />
Bevölkerung unterscheidet. Roma sind nicht nur eine sicht-<br />
bare Minderheit, eine Minderheit, die man an äußerlichen<br />
Merkmalen von der Mehrheit der Gesellschaft unterscheiden<br />
kann, Roma sind fast überall eine sozial benachteiligte Min-<br />
derheit. Ihre Andersartigkeit, Diskriminierung, Armut und<br />
mangelhafte Bildung treiben viele an den Rand der Gesell-<br />
schaft – egal, in welchem <strong>Land</strong> sie leben. Nirgendwo auf der<br />
Welt leben so viele wie in Rumänien. Und dennoch existieren<br />
hier überhaupt keine Gesetze zum Schutz der 2,5 Millionen<br />
Roma. Der Grundstein für die Benachteiligung wird meist<br />
schon im Kindesalter gelegt. Eine große Zahl der Roma-Kin-<br />
der in Rumänien hat aus formalen Gründen keinen Zugang<br />
zum staatlichen Bildungssystem. In Tschechien unterliegen<br />
zwar alle Kinder der allgemeinen Schulpflicht, Roma werden<br />
aber fünfzehnmal häufiger auf Sonderschulen geschickt als<br />
„normale“ tschechische Kinder. So ist es zwar grundsätzlich<br />
richtig, dass die Europäische Kommission Tschechien und<br />
Rumänien in den Fortschrittsberichten über die Beitritts-<br />
länder im Oktober 2002 aufgrund der Situation der Roma<br />
kritisiert hat. Denn es ist wichtig, die Diskriminierung anzu-<br />
prangern. Andererseits muss man sich fragen, ob diese Kritik<br />
moralisch berechtigt ist – denn auch in den „alten“ EU-Mit-<br />
gliedsstaaten werden Roma diskriminiert und benachteiligt,<br />
ohne dass die Kommission darauf hinweist. Die Situation<br />
der Roma ist ein europaweites Problem, deshalb wäre es<br />
Zeit für eine EU-weite Gesetzgebung für deren Rechte.<br />
Nur wenn Roma in die Gesellschaft integriert werden,<br />
ist es möglich, Vorurteile abzubauen und die Akzep-<br />
tanz der Minderheit in der Gesellschaft zu vergrö-<br />
ßern, die Mauern in den Köpfen einzureißen. Ob das<br />
jemals so sein wird, vermag heute niemand zu sagen.<br />
Zumindest die Mauer von Usti nad Labem existiert heute<br />
nicht mehr. Aber nicht, weil die Einwohner reuig die Ge-<br />
schmacklosigkeit dieses Bauwerks eingesehen haben, son-<br />
dern weil massive Proteste aus dem In- und Ausland und ein<br />
warmer Geldregen aus Prag sie schließlich überzeugt haben,<br />
die Mauer einzureißen. Trotzdem bleibt die Mauer in den<br />
Köpfen.<br />
Und das ist nicht alles<br />
Auch andere Krisenherde wie auf Zypern (dazu gab’s im<br />
LRB 1’03 einen ausführlichen Artikel), in Tschetschenien,<br />
Nordirland, Palästina, in der Türkei oder im Kosovo werden<br />
die Gemeinschaft der Europäer in diesem Jahrzehnt weiter<br />
fordern und strapazieren. Streitigkeiten zwischen den einzel-<br />
nen Staaten wie etwa um die Besitzansprüche Spaniens und<br />
Großbritanniens auf Gibraltar, der Bau von Atomkraftwer-<br />
ken in Tschechien, Slowenien und anderen aufstrebenden<br />
EU-Mitgliedern, zu wenig Kritik an Russland bei immer<br />
weiter abnehmender Demokratie unter der Regierung Putin,<br />
Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer … all das ist die Rea-<br />
lität der Europäischen Union.<br />
Nils Petersen, Stamm Kolibri<br />
LRB 2’04 19
Von links nach rechts: Eine Feuerwache, Meutenführer, die Pfadfinder ziehen bei einem offiziellem Anlass durch die Stadt und präsentieren sich.<br />
Gleich nebenan<br />
Agnieszka erzählt über die Pfadfinderei in Polen: Über Widerstand gegen Besatzungsmächte,<br />
Unterdrückung im Sozialismus und was davon heute übrig ist.<br />
Der polnische Pfadfinderverband ZHP ist Mitglied in den<br />
Weltverbänden WAGGGS (für die Mädels) und WOSM (für<br />
die Jungen). Angefangen hat alles 1910, als Polen zwischen<br />
Russland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich<br />
geteilt war. Damals ging es vor allem darum, etwas für Polen<br />
zu tun, die Unabhängigkeit zu erlangen. Eine Möglichkeit bot<br />
die Organisation Eleusi. Was eigentlich von den Besatzern<br />
verboten war, konnte hier stattfinden: Der Austausch über<br />
die Geschichte Polens.<br />
Eine wichtige Rolle für die polnische Pfadfinderbewegung<br />
spielte Andrzej Małkowski, der sich als erster ganz der Pfad-<br />
finderei verschrieb. 1912 gab es dann erste Pfadfindergrup-<br />
pen in Polen, zuerst in Lwów und später auch in anderen<br />
Städten. Pfadfinderei war illegal, die Arbeit nicht gerade<br />
einfach. Der ZHP wurde 1918 gegründet, als man erkannte,<br />
dass die Pfadfinderei nur durch einen starken Verband eine<br />
Chance hatte. <strong>Das</strong> politische Klima hatte sich gewandelt, Po-<br />
len war nun wieder unabhängig.<br />
1929 schrieb Andrzej Kamiński ein Buch, in dem er die<br />
Pfadfinderei lobte und Werbung für die Wölflinge machte:<br />
Er erkannte die Arbeit der Pfadfinder an und unterstützte<br />
sie. Im Zweiten Weltkrieg wurde der ZHP aufgelöst, viele<br />
Leiter wurden inhaftiert und ermordet. Weiter ging es im<br />
Untergrund, man nannte sich Szare Szeregi (graue Reihen)<br />
und ging gegen die Besatzer vor. Kinder und Jugendliche<br />
beteiligten sich an Kampfhandlungen, mit Waffen zogen<br />
20<br />
einige sogar in den Warschauer Aufstand. Nach dem Zwei-<br />
ten Weltkrieg änderte sich wiederum viel auf der politischen<br />
Ebene, der ZHP änderte sich durch die Politik und verlor die<br />
Mitgliedschaft in den Weltverbänden. Es stand schlecht um<br />
die Pfadfinderei, die nun völlig von den Vorstellungen der<br />
Kommunisten abhängig war.<br />
Ältere Gruppenleiter, die sich an die Zeit erinnern, erzäh-<br />
len, dass sie trotzdem versucht haben, wie gute Pfadfinder<br />
zu handeln und nicht auf die Funktionäre zu hören. <strong>Das</strong> war<br />
schwierig, das System erfand viele Regeln, zum Beispiel durf-<br />
te die traditionelle Uniform nicht getragen werden, bestimm-<br />
te Symbole waren verboten. 1956 wurde der ZHP wieder<br />
aktiver. 1980 kam es zu Streiks gegen das System in Polen,<br />
danach wurden viele Leiter wegen Kritik an der russischen<br />
Politik verhaftet. 1981 wurde eine neue Organisation, die<br />
NRH gegründet. In den 80er Jahren gab es dann Gruppen,<br />
die im Untergrund ihre Vorstellung von Pfadfinderei lebten,<br />
und alte Traditionen wieder aufgriffen. 1989 wurde der ZHR<br />
gegründet, man wollte nicht länger mit dem Sozialismus in<br />
Verbindung gebracht werden. Im selben Jahr wurde eine<br />
weitere Organisation, Zawisza, gegründet. 1996 wurde der<br />
ZHP schließlich Mitglied in den beiden Weltverbänden.<br />
Heute hat die Pfadfinderei in Polen einen anderen<br />
Schwerpunkt. Wir wollen unseren Mitgliedern helfen, sich zu<br />
Persönlichkeiten zu entwickeln, die hilfsbereit, interessiert<br />
an Freundschaft und am Leben sind. Der ZHP setzt sich ab<br />
LRB 2’04
gegen Alkohol und Zigaretten, also ist trinken und rauchen<br />
bei uns verboten, es soll nicht zur Gewohnheit werden. Wir<br />
arbeiten in kleinen Gruppen, die dann wiederum einen<br />
Stamm bilden. Es gibt vier Altersstufen: Die Wölfl inge (6-10<br />
Jahre), die Pfadfi nder (10-12 Jahre), ältere Pfadfi nder (13-<br />
15 Jahre) und Rover (ab 16 Jahren). Alle haben bestimmte<br />
Aufgaben zu erledigen, die Wölfl inge zum Beispiel werden<br />
tüchtige und freundliche Kinder, Pfadfi nder lernen viel über<br />
Polen, über die Umwelt, Erste-Hilfe, Orientierung mit Karte<br />
und Kompass, wie man sich im Wald verhält. Die älteren<br />
Pfadfi nder helfen dann den jüngeren dabei und engagieren<br />
sich in der Gesellschaft. Rover sind meistens für die anderen<br />
da und helfen.<br />
Neben dieser „normalen Arbeit“ veranstalten wir Fahrten,<br />
Feiern und Feste. Letztens haben Rover und Altpfadfi nder<br />
den „World Day of Child“ organisiert, Kinder konnten an<br />
verschiedenen Wettbewerben teilnehmen und Pfadfi nder-<br />
auszeichnungen bekommen. Außerdem konnte man an einer<br />
Rallye teilnehmen, nur mit einer Karte durch den Wald.<br />
Am 11. Oktober und am 3. Mai feiern wir unsere Unabhän-<br />
gigkeit, am 11. Oktober 1918 wurde Polen unabhängig, am 3.<br />
Mai 1792 gab es die erste polnische Verfassung. Diese Feiern<br />
sind für uns sehr wichtig, wir nehmen an den Feierlichkeiten<br />
in unseren Städten teil. Am 1. August, wenn sich der Aufstand<br />
im Warschauer Ghetto jährt, ist unser Uniformtag. Im Alltag<br />
spielt die polnische Vergangenheit mit all den Kriegen und<br />
Auseinandersetzungen, die Vergangenheit der Pfadfi nder als<br />
Kämpfer, keine besonders große Rolle – aber sie ist natürlich<br />
allgegenwärtig, diese Geschichte gehört zu uns.<br />
Der ZHP veranstaltet große Lager und nahm schon 1913<br />
in Birmingham am World Jamboree teil. Wir setzen diese<br />
Tradition fort, zuletzt war eine kleine Gruppe aus meiner<br />
Stadt in Holland.<br />
Die meisten Leute in meinem Alter hier halten nicht allzu<br />
viel von Pfadfi ndern, es gibt leider viele Vorurteile. Ich wurde<br />
schon auf der Straße beschimpft wegen meiner Pfadfi nder-<br />
uniform. Natürlich versuchen wir zu zeigen, dass wir über-<br />
haupt nicht so übel sind. Wir wollen einfach zeigen, dass man<br />
friedvoll und freundlich miteinander leben kann. Darum<br />
geht’s in unserer Arbeit.<br />
Agnieszka ist 19 Jahre alt, lebt in Lublin und macht die Meu-<br />
te Tygrysiaki, hilft bei der Sippe Rzeka mit und arbeitet auch<br />
in der Stammesführung.<br />
LRB 2’04<br />
Ein weiteres junges <strong>Land</strong><br />
und frisches EU-Mitglied<br />
ist Tschechien mit seinen<br />
10,3 Millionen Einwohnern.<br />
Tschechien besteht aus meh-<br />
reren Beckenlandschaften,<br />
die von Gebirgen einge-<br />
schlossen sind, zum Beispiel Erz- und Riesengebirge, beide<br />
sind Wander- und Skiparadiese. Berühmt ist die Hauptstadt<br />
Prag, die goldene Stadt der hundert Türme, deren Innen-<br />
stadt heute UNESCO-Weltkulturerbe ist. Hier lebte auch<br />
Albtraumautor Kafka. Andere Städtenamen wie Pilsen oder<br />
Budweis lassen erkennen, dass in Tschechien die Wiege der<br />
Braukunst steht.<br />
38,6 Millionen Menschen<br />
leben in Polen und sind seit<br />
Mai 2004 auch EU-Bürger.<br />
Polen ist landschaftlich<br />
ähnlich wie Deutschland: In<br />
Meeresnähe Flachland, dar-<br />
auf Mittelgebirge (Polnische<br />
T S C H E C H I E N<br />
P O L E N<br />
Platte) und schließlich Hochgebirge (Riesengebirge, Hohe<br />
Tatra). Polen ist ein sehr homogenes <strong>Land</strong>, das heißt, über<br />
98,7 % der Bevölkerung sind Polen. Über 90 % sind beken-<br />
nende Katholiken. Die polnische Kunst, Musik (z. B. Chopin)<br />
und Schriftstellerei beschäftigt sich mit der wechselvollen<br />
Geschichte Polens, das lange Zeit von seinen Nachbarn un-<br />
terjocht war. Im Süden gibt es Ski- und Wandergebiete,<br />
außerdem ist hier die Schwerindustrie ansässig. Seit dem<br />
Zerfall der Sowjetunion sind viele Betriebe dem radikalen<br />
Strukturwandel zum Opfer gefallen. Der industriell weniger<br />
erschlossene und weniger besiedelte Norden mit seinen klei-<br />
nen Dörfern lockt Pfadfi nder durch seine Naturlandschaft<br />
(z. B. die masurische Seenplatte). Touristen zieht es dagegen<br />
eher in die Städte, vor allem nach Krakau und Danzig.<br />
21
Mythos Interrail<br />
Ein einziger Fahrschein reicht: Quer durch <strong>Europa</strong> mit der Eisenbahn. Ein Tagebuch<br />
12. Januar 2000, Heidelberg. War mit Hanna, Simon und<br />
Lasse beim Eishockeyspielen. Krass, wie kalt das dieses Jahr<br />
ist. Ein Teil meiner Fensterscheibe friert immer wieder zu<br />
und ich habe nachts Eisklumpen statt Füße. In der Eisho-<br />
ckey-Halle war es besonders unangenehm. Wir waren da-<br />
nach noch was trinken und einer von den Jungs hat irgend-<br />
wann vorgeschlagen, einfach in den Süden zu fahren. Haha,<br />
guter Plan eigentlich, doch wie? Mit Rainbow waren wir über<br />
Silvester in Amsterdam, und die Leute waren echt unter aller<br />
Kanone, und mit unseren Eltern in das Haus in Südfrank-<br />
reich hatte natürlich auch keiner Bock. Wahrscheinlich kam<br />
Lasse auf die Idee mit dem Interrailen. Ich hatte das vorher<br />
zwar auch schon mal gehört, aber hätte man mich gefragt,<br />
was genau das eigentlich ist – ich glaube nicht, dass ich das<br />
hätte erklären können. Lasse hat ein Händchen für so was,<br />
vielleicht auch einfach, weil er zwei ältere Brüder hat, die ihm<br />
alles vorleben. Na ja, jedenfalls haben wir einen kühnen Plan<br />
gefasst: Frankreich, Spanien, Portugal. Und wenn wir gut<br />
sind, bis nach Marokko. Zu viert. Vier Wochen. Mit dem Zug.<br />
Ich kann kaum einschlafen vor Aufregung.<br />
22<br />
23. März 2000, Heidelberg. Endlich beginnt die Eissaison<br />
und ich kann nach der Schule ein bisschen Geld bei Janny’s<br />
verdienen. Unser Plan steht noch, neulich waren Hanna und<br />
Simon mal bei der Bahn und haben sich erkundigt, wie das<br />
mit dem Interrail funktioniert. Man bekommt ein Ticket für<br />
eine Zone und kann dann vier Wochen lang durch die Länder<br />
der jeweiligen Zone fahren, oder auch durch andere, wenn<br />
man dazubezahlt. Angeblich wissen die Schaffner Bescheid<br />
und akzeptieren das Ticket ohne Probleme. Wäre auch blöd,<br />
wenn nicht, schließlich spricht keiner von uns Spanisch.<br />
Fährt man über Nacht, spart man sich das Geld fürs Hostel<br />
oder den Campingplatz. Meine Eltern finden’s okay. Aber ein<br />
bisschen mulmig ist ihnen schon. Wie gut, dass die Jungs<br />
dabei sind. Und wenn sich einer von uns verliebt?<br />
20. Juli 2000, Heidelberg. Letzter Schultag, hab’ mir ges-<br />
tern von meinem Cousin ein Zweimannzelt und einen Schlaf-<br />
sack geborgt. Übermorgen geht’s los. Hanna ist voll traurig,<br />
dass sie Tim jetzt vier Wochen nicht sieht. Er fährt mit seinen<br />
Kumpels nach Barcelona, vielleicht treffen wir sie ja.<br />
LRB 2’04
23. Juli 2000, Lyon. Ich kann nicht schlafen. Wir sind mit-<br />
ten in der Nacht hier am Bahnhof angekommen und können<br />
erst morgens weiter nach Avignon. Lasse hat sein Wörter-<br />
buch vergessen und wir radebrechen also alle Französisch.<br />
Der Kontrolleur war voll nett, obwohl wir ziemlich dreist auf<br />
dem Gang lungerten und Weintrauben aßen. Mein Rucksack<br />
ist definitiv zu schwer und mir tun jetzt schon die Schultern<br />
weh. Simon liest. Seine Oma ist vor ein paar Tagen gestorben<br />
und wahrscheinlich wäre er gerne ’ne Woche später losgefah-<br />
ren. Aber wir hatten die Tickets schon gekauft. Mein Magen<br />
knurrt. Wir haben zwar in Deutschland noch Geld getauscht,<br />
aber nur große Scheine, und die Fressautomaten hier neh-<br />
men das nicht an. Es riecht voll nach Sonne und Sommer<br />
hier. Auch in der Nacht. Ich war vorhin kurz vorm Bahnhof<br />
und musste Frankreichluft schnuppern. <strong>Das</strong> Abenteuer hat<br />
begonnen.<br />
27. Juli 2000, Biarritz. Ich könnte kotzen, Lasse und Si-<br />
mon wollten unbedingt an den Atlantik fahren und den schö-<br />
nen Surferinnen nachglotzen. Jetzt sind wir hier, der Cam-<br />
pingplatz ist total krass voll von Jugendlichen und die ganze<br />
Nacht ist Party. Schlafen kannst du vergessen. Wäre ja ganz<br />
nett, aber Lasse und Simon sieht man überhaupt nicht mehr<br />
und Hanna hat Durchfall gekriegt und liegt den ganzen Tag<br />
am Strand und schläft. Ab und zu creme ich ihr den Rücken<br />
ein, der schon ganz krebsig ist. Den Rest der Zeit sitze ich auf<br />
LRB 2’04<br />
meinem Handtuch und schaue auf die Wellen. Heiße Typen<br />
hier, keine Frage, aber ich will endlich weiter. Wir wollten<br />
doch bis nach Marokko und das ist noch weit. Hoffentlich<br />
kann ich die Jungs überreden.<br />
3. August 2000, Estella. <strong>Das</strong> sind also die „San Fermines“,<br />
von denen mir Carlos in Biarritz erzählt hat. Die Stadt<br />
ist eine Woche lang im Ausnahmezustand, betrinkt sich<br />
hemmungslos und feiert ihre Stierkämpfer. Ich glaube, ich<br />
habe noch nie so viele feiernde Menschen auf einem Haufen<br />
gesehen und aus allen Generationen. Spanisch klingt toll,<br />
hart, und alle haben eine tiefe Stimme, das macht es so<br />
schön rassig. Wir sind hier zu siebt, Penilla aus Schweden ist<br />
mit ihrem Freund Erik dabei und Sean aus Irland. Lustige<br />
Truppe. Wenn ich irgendwann im Schlafsack liege, habe ich<br />
einen total bunten Sprachenmix im Kopf und bin selig. Die<br />
Strecke bis Pamplona mussten wir trampen, weil alle Züge<br />
und Busse ausverkauft waren. <strong>Das</strong> ist das Seltsame hier in<br />
Spanien: Man darf nur Zug fahren, wenn man gleichzeitig ’ne<br />
Reservierung hat. <strong>Das</strong> heißt, unser Interrail-Ticket ist schön<br />
und gut, aber zum Schalter müssen wir trotzdem, und da das<br />
<strong>Land</strong> voller Interrailer ist, sind Plätze gerade sehr schwer<br />
zu bekommen. Wir müssten eigentlich unsere Route jetzt<br />
schon komplett planen und die Reservierungen besorgen.<br />
Heute habe ich dann endlich doch noch die ersten Postkarten<br />
eingesteckt. Es ist schön, unterwegs zu sein.<br />
23
7. August 2000, Madrid. Was für eine Hitze. Man kann<br />
keinen Schritt aus dem Bahnhof rausmachen, weil da kein<br />
Schatten mehr ist und man einfach mit dem Asphalt ver-<br />
schmelzen würde. Zum ersten Mal haben sie unser Ticket<br />
nicht akzeptiert, total ätzend. Wie willst du einem Schaffner,<br />
der noch nie etwas von Interrail gehört hat, erklären, dass<br />
dieser Wisch, der echt schon ranzig ist und einen dicken<br />
Rotweinfleck aus Estella hat, eine gültige Fahrkarte für vier<br />
Personen ist? <strong>Das</strong>s die Spanier kein Englisch sprechen, hät-<br />
te uns ja auch mal jemand erzählen können. Es ist einfach<br />
hoffnungslos, keiner konnte uns zur Hilfe eilen, niemand.<br />
Und die ganze Horde der anderen jungen Reisenden war auf<br />
einmal verschwunden. Er hat uns rausgeworfen, in irgend so<br />
einem Nest, was auf unserer Karte gerade noch so verzeich-<br />
net war: Medina del Campo. 14 Stunden saßen wir auf dem<br />
Bahnhofsvorplatz in der Sonne. Wenn ich die Finger spreize,<br />
dann sieht man schon das Weiße in den Zwischenräumen.<br />
Heute Nacht nach Portugal. Wenn wir zu viert sind, nerven<br />
wir uns ganz schön an. Hanna behauptet, sie hätte kein Geld<br />
mehr, und Lasse, dass er zu dick ist, deswegen haben uns die<br />
beiden jetzt eine Olivenöl-Tomaten-Diät verschrieben. Toll.<br />
11. August 2000, Lissabon. Meine Füße tun weh, aber die<br />
Stadt ist einfach ein Traum. Wir haben unser Lieblingscafé,<br />
in dem wir immer frühstücken. Die Leute reden so witzig<br />
hier. Lasse hat Blasen an den Füßen und hat sie sich aufge-<br />
24<br />
stochen. Vielleicht sollten wir ihm Sandalen schenken. Oder<br />
Badelatschen. Hanna hat mir heute Nacht erzählt, dass sie<br />
mit meinem Exfreund geknutscht hat. Ich hätte ihr am liebs-<br />
ten ins Gesicht gespuckt aber wir sind irgendwie zu erschöpft<br />
und zu denkfaul, um uns ordentlich zu streiten.<br />
15. August 2000, Gibraltar. Ich hätte es wissen müssen.<br />
Simon ist einfach der größte Verplaner der Welt. <strong>Das</strong>s er<br />
keine Karte lesen kann und Fahrpläne nur mit Mühe, ist ja<br />
fast noch niedlich. Und dass seine Brille ständig dreckig ist,<br />
stört mich auch nicht mehr so doll wie am Anfang. Aber wie<br />
zum Teufel kann dieser Vollidiot seinen Reisepass nicht mit-<br />
nehmen? Schlimmer noch, er besitzt gar keinen, hat er uns<br />
seelenruhig heute Morgen gestanden. Ich dachte, ich spinne,<br />
echt. Marokko ade. So ein Penner. Nach Madrid in die Bot-<br />
schaft müssten wir. <strong>Das</strong> Ticket nehm’ ich mal lieber an mich.<br />
Von Gibraltar aus kann man Afrika sehen. Na gut, erahnen.<br />
War wohl nix.<br />
17. August 2000, Granada. Alles vergessen. Granada hät-<br />
ten wir wahrscheinlich einfach übergangen, wenn wir nach<br />
Marokko gefahren wären. Ich bin echt für alles entschädigt,<br />
Granada ist Arabien für Anfänger. Teestuben, Wasserpfeifen,<br />
Orangenbäume, orientalisch wirkende Gebäude, leckerste<br />
Falafel, viele Marokkaner, die einem irgendeinen Scheiß an-<br />
drehen wollen. Und so billig alles. Hier bleiben wir.<br />
LRB 2’04
20. August 2000, Nizza. Für den chronisch finanziell klam-<br />
men Interrailer ist Nizza leider zu teuer. Es gibt kaum kleine<br />
Läden und Straßenverkäufer. Schnell wieder in den Zug, wei-<br />
ter in die Stadt der Liebe!<br />
21. August 2000, Paris. Seit drei Tagen sind wir nur noch<br />
im Zug. Tag und Nacht. Oder halt am Bahnhof. Es stinkt,<br />
die Züge sind immer voll, entweder kotzt jemand oder hat<br />
gekotzt oder wird kotzen, so riecht es zumindest. Die Fenster<br />
sind verrammelt und niemand schert sich um Raucher und<br />
Nichtraucher. Simon und Lasse sehen aus wie ein Häufchen<br />
Elend. Ganz grün im Gesicht. Keine Ahnung, wann wir das<br />
letzte Mal was Ordentliches gegessen haben. Melone. Melo-<br />
ne. Melone. Mal Baguette, aber das Geld reicht einfach für<br />
gar nichts mehr. Mein einer Rock rutscht jedes Mal bis in<br />
die Kniekehlen, wenn ich den Rucksack aufschnalle. Cooler<br />
Nebeneffekt eigentlich.<br />
22. August 2000, Freiburg. Es sind nur noch zwei Stun-<br />
den, dann sind wir zu Hause. Die Rückfahrt war der Horror.<br />
Ab Paris hat es geregnet. Und ich habe so einen Hunger,<br />
unglaublich. An meinen Beinen pellt sich alles und meine<br />
Klamotten werden nicht mehr sauber.<br />
1. Oktober 2000, Heidelberg. Heute kam eine Postkarte<br />
von Carlos aus Valencia. Er kommt nächsten Monat nach<br />
Deutschland. Interrail mit Paco, seinem besten Freund. Die<br />
werden frieren. Ich freu’ mich krass auf die beiden. Hoffent-<br />
lich bringt Carlos einen Schinken mit. Lecker Jamón. Gute<br />
Nacht.<br />
So geht Interrail<br />
„<strong>Das</strong> letzte große Abenteuer in <strong>Europa</strong>“ wird auf der Website<br />
versprochen: Mit dem Interrail-Ticket quer durch <strong>Europa</strong>.<br />
Schon seit 1972 soll so „<strong>Europa</strong>s Jugend zusammengeführt<br />
werden“. Dazu werden benachbarte Länder in Zonen eingeteilt.<br />
Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Kroatien bilden zum<br />
Beispiel eine solche Zone, insgesamt ist <strong>Europa</strong> in acht Zonen<br />
aufgeteilt. So lässt sich bei einem kurzem Trip Geld sparen.<br />
LRB 2’04<br />
Ricarda „Küken“ Otte<br />
bis 25 Jahre über 25 Jahre<br />
eine Zone, 16 Tage 210 € 299 €<br />
zwei Zonen, 22 Tage 289 € 409 €<br />
alle Zonen, 1 Monat 399 € 559 €<br />
Noch mehr Informationen findet Ihr im Internet unter<br />
à interrail.net. <strong>Das</strong> Ticket lässt sich an allen Fahrkartenschaltern<br />
und Reisebüros der Bahn kaufen, natürlich auch elektronisch<br />
auf à bahn.de.<br />
Seit 1986 ist Spanien Mit-<br />
glied der Europäischen Uni-<br />
on. 39,3 Millionen Menschen<br />
leben in der konstitutionellen<br />
Monarchie, das Staatso-<br />
berhaupt ist König Juan<br />
Carlos I. In Spanien wird<br />
Kastilisch (das „normale“ Spanisch), Galizisch, Katalanisch<br />
und Baskisch gespochen. Die Halbinsel wird vom Atlantik<br />
und vom Mittelmeer umschlossen, das Inland ist von Gebir-<br />
gen (Sierra Nevada, Kastilisches Scheidegebirge usw.) und<br />
Sí/no Ja/nein<br />
Holá Hallo<br />
Buenos días Guten Tag.<br />
Me llamo... Ich heiße...<br />
Muchísimas grácias Herzlichen Dank<br />
Me cobra, por favor? Kann ich bitte zahlen?<br />
¡No me jodas! Spinn nicht rum<br />
¿Estamos perdidos completamente, nos<br />
puede ayudar,por favor?<br />
¿Dónde está el pabellón de futból,<br />
por favor ?<br />
¿Para llegar al museo del Prado, por<br />
dónde hay que girar?<br />
S P A N I E N<br />
Tomo un filete de pollo<br />
con patatas fritas.<br />
Wir haben uns verlaufen, könnten Sie<br />
uns bitte helfen?<br />
Wo ist bitte das Fußballstadion?<br />
Um zum Museum Prado zu kommen, wo<br />
müssen wir entlang?<br />
Ich nehme ein Hühnerfilet<br />
mit Pommes.<br />
der Kastilischen Hochebene geprägt. In Spanien kann man<br />
prächtig Urlaub machen und essen: Wer einmal eine richtige<br />
Paella probiert hat, in der großen Pfanne über dem offenen<br />
Feuer zubereitet, wird sein Leben lang davon schwärmen.<br />
Umstrittener Nationalsport ist der Stierkampf, doch die<br />
berühmten Stierkämpfer, die Toreros, sind Superstars wie<br />
sonst nur die Fußballer. Sehenswürdigkeiten sind zum Bei-<br />
spiel die Alhambra in Granada (ein maurischer Palast) und<br />
der Prado in Madrid, das spanische Nationalmuseum.<br />
25
Stammesführerin Kukkis, Jemiina (ein Wölfling) und Meutenführerin Anna.<br />
Aina valmiina!<br />
Finnisch für „Allzeit bereit“. Auch im hohen Norden gibt es natürlich Pfadfinder.<br />
Der im Winter unerläßliche Ofen in der Jurte bleibt im Sommer gleich drin...<br />
Im <strong>Land</strong> der tausend Seen, zwei Millionen Saunas und einer<br />
halben Millionen Sommerhütten wohnen fünf Millionen<br />
Finnen. Von denen sind gut 75 000 Pfadfinder in einer unab-<br />
hängigen Organisation, „Suomen Partiolaiset ry – Finlands<br />
Scouter ry“. Der schwedische Name verrät vielleicht, dass<br />
es um die Pfadfinder Finnlands geht. Finnland ist ein zwei-<br />
sprachiges <strong>Land</strong>, 94 % der Bevölkerung sprechen Finnisch<br />
als Muttersprache, 6 % Schwedisch. <strong>Das</strong> <strong>Land</strong> ist ungefähr so<br />
groß wie Deutschland und in 18 Bezirke unterteilt.<br />
Ich bin Anna, 21 Jahre alt und komme aus dem Bezirk<br />
Häme. Mein Stamm heißt Pirkkalan Pirkot, gegründet im<br />
Jahre 1955 und benannt nach unserem Heimatort Pirkkala,<br />
der im südlichen Finnland in der Nähe der Stadt Tampere<br />
26<br />
liegt. Ich bin in meinem Stamm als Meutenführerin tätig. Ich<br />
habe mit meiner Freundin Kukkis (die auch im Bild zu sehen<br />
ist) die Meute Kärpät geleitet, der Name beudetet „die Her-<br />
meline“. Unsere Meute wurde im Herbst 2001 gegründet.<br />
In Finnland fangen die Wölflinge im Grundschulalter an,<br />
also etwa mit sieben Jahren oder mit der ersten Klasse. Nach<br />
drei Jahren, also mit neun oder zehn, tritt man zu den Jung-<br />
pfadfindern über. Im nächsten Herbst wird Kukkis mit einer<br />
neuen Meute weitermachen, ich möchte mich dann eine Jun-<br />
gengruppe mit Zwölf- und Dreizehnjährigen widmen.<br />
In meinem Heimatort Pirkkala gibt es zwei Stämme. Un-<br />
ser ist für die Mädchen, der andere, klar, für die Jungen. Die<br />
wöchentlichen Treffen finden getrennt statt, Lager und Aus-<br />
LRB 2’04
fl üge machen wir aber alle zusammen. Diesen Sommer ha-<br />
ben wir ein großes Ereignis, nämlich unseren Finnjamboree,<br />
Tarus, von 28. Juli bis zum 5. August. <strong>Das</strong> Finnjamboree ist<br />
unser Bundeslager, das alle acht Jahre veranstaltet wird. Zum<br />
Tarus kommen rund 11 000 fi nnische Pfadfi nder und etwa<br />
1 000 Pfadfi nder-Gäste, zum Beispiel aus Großbritannien,<br />
Schweden, Deutschland, Österreich aber auch aus Ländern,<br />
die weiter entfernt sind: aus den USA und aus Neuseeland.<br />
Unsere beiden Stämme bekommen Gäste aus Dänemark.<br />
<strong>Das</strong> ist es gerade, was ich an der Pfadfi nderei so toll fi nde:<br />
das man Pfadfi nder aus der ganzen Welt kennen lernt, Leute,<br />
mit denen man ähnliche Meinungen und Interessen teilt, die<br />
schnell zu Freunden werden können.<br />
Über die Pfadfi nder bin ich auch zur Expo 2000 nach<br />
Hannover gekommen. Ich habe dort als freiwillige Helferin<br />
im Pavillon der deutschen Jugendorganisationen, dem Big-<br />
Tipi, gearbeitet. Drei Wochen lang haben die Pfadfi nder<br />
sich vorgestellt und ein buntes Programm geboten. An dem<br />
Projekt haben auch viele Pfadfi nder aus der ganzen Welt teil-<br />
genommen, aus Island, Ruanda oder der Türkei: wunderbar<br />
multikulti.<br />
In unseren Stämmen gibt es nächstes Jahr auch eine inter-<br />
nationale Aktion, da feiern wir unseren 50. Geburtstag. Ne-<br />
ben einem Jubiläumslager und anderen Festivitäten planen<br />
wir auch, mit den Gruppenleitern nach Alaska zu fahren. Da<br />
kommt man nicht unbedingt einfach so hin, und alltäglich ist<br />
es auf keinen Fall.<br />
Und was machen die Pfadfi nder in Finnland? Wie ist<br />
Pfadfi nderei im hohen Norden? Wir sind viel im Wald un-<br />
terwegs, davon gibt’s ja genug hier bei uns. Die Jungpfad-<br />
fi nder machen neben Wanderungen auch Kanutouren. Dazu<br />
kommen dann natürlich die Sommer- und Winterlager. Und<br />
verschiedene Fahrten und Ausfl üge. Im Sommer schlafen wir<br />
natürlich in Zelten, genau wie auch im Winter. Manchmal<br />
gibt’s über Nacht einen Meter Neuschnee und Temperaturen<br />
unter -20 Grad Celsius. Zum Glück haben wir Kamine in den<br />
Jurten. Im Sommer wird daraus dann natürlich die Lager-<br />
Sauna, mit Ofen und Bänken im Zelt, schließlich sind wir hier<br />
in Finnland.<br />
LRB 2’04<br />
Anna S. Lindholm, Finnland<br />
Finnland mit seinen 5,2<br />
Millionen Einwohnern ist<br />
seit 1995 Mitglied der Eu-<br />
ropäischen Union. Neben<br />
Finnisch wird außerdem<br />
Schwedisch, Samisch und<br />
Russisch gesprochen. Außer-<br />
Auch das Königreich Schwe-<br />
den ist seit 1995 EU-Mitglied.<br />
In der parlamentarischen<br />
Monarchie leben 8,9 Millio-<br />
nen Menschen In Schweden<br />
kann man das Nordlicht se-<br />
hen, auf den Spuren von Mi-<br />
F I N N L A N D<br />
halb des <strong>Land</strong>es verstehen nur die Esten noch ein wenig fi n-<br />
nisch, mit anderen europäischen Sprachen ist das Finnische<br />
nicht verwandt. Viele Leute tragen ein Stückchen Finnland<br />
mit sich herum: Ein Nokia-Mobiltelefon. Finnland ist größ-<br />
tenteils bedeckt von Tannen-, Fichten- und Birkenwald. Im<br />
<strong>Land</strong> der tausend Seen (eigentlich 600 00) sind viele Frauen<br />
in Bereichen anzutreffen, in denen sie im übrigen <strong>Europa</strong> un-<br />
terrepräsentiert sind, zum Beispiel in der Politik (Finnland<br />
hat eine Präsidentin) oder aber bei der Polizei. Finnland lag<br />
beim PISA-Test an erster Stelle. Angeblich gibt es in Finn-<br />
land 2 Millionen Saunas.<br />
S C H W E D E N<br />
chel und Pippi Langstrumpf den Heimatort von Astrid Lind-<br />
gren besuchen, die Zentrale von IKEA ansehen oder gepfl egt<br />
Lachs essen gehen. Den hat man sich im Idealfall bei einer<br />
Kanutour gleich selber geangelt. Im (Nord-) Westen gibt<br />
es ein Hohgebirge, was die <strong>Land</strong>schaft von der in Finnland<br />
unterscheidet. Unzählige Seen und noch mehr Inseln gibt es<br />
zu entdecken. Berühmt sind die mit roter Farbe gestrichenen<br />
Holzhäuser, die tatsächlich überall zu sehen sind. Und stän-<br />
dig trifft man auf (meist deutsche) Pfadfi nder.<br />
27
Ist die EU ein Pfadfinder?<br />
„Ich will die Natur kennen lernen und helfen sie zu erhalten“ heißt es im Pfadfinderversprechen.<br />
Die Europäische Union sieht das nicht anders ...<br />
Dienstag, 9. März 2003. Ich sitze gemütlich beim Früh-<br />
stück und lese dabei entspannt die Zeitung, die mir frisch<br />
und ungeschminkt die nackte Wahrheit über die neuesten<br />
Entwicklungen in aller Welt auf den Tisch liefert. „Irak<br />
beschließt Verfassung“ steht da. Weltfrauentag ist auch.<br />
Wusste ich gar nicht. „Der Streit um den Naturschutz hält<br />
<strong>Schleswig</strong>-Holstein in Atem – Regierung will noch mehr Na-<br />
turschutz durchsetzen“. Wie, was? Die Regierung will noch<br />
mehr Naturschutz? <strong>Das</strong> ist doch gut. Was muss man denn<br />
da durchsetzen? Normalerweise sind es doch wir, die Bürger,<br />
die von der Politik mehr Engagement in Sachen Natur und<br />
Umwelt fordern. Was haben die Menschen in unserem <strong>Land</strong><br />
denn gegen Umweltschutz?<br />
Eine ganze Menge. Leider. Bauern, Hoteliers, Kommunal-<br />
politiker, Handelskammern … viele wehren sich dieser Tage<br />
gegen das so genannte NATURA-2000-Programm, das die<br />
28<br />
schleswig-holsteinische <strong>Land</strong>esregierung auf Geheiß der Eu-<br />
ropäischen Union durchführt. Wieder und wieder ermahnte<br />
Brüssel im Laufe der letzten Jahre das zuständige Umwelt-<br />
ministerium in Kiel, dass es im <strong>Land</strong> zu wenige ausgewie-<br />
sene Naturschutzgebiete gebe. Seither übertrumpfen sich<br />
Wirtschaftslobbyisten und Bauernverbände mit Parolen und<br />
Horrorszenarien. „Ökodiktatur, nein danke“ heißt es da zum<br />
Beispiel auf einem Schild in Tating im Nationalpark Watten-<br />
meer. <strong>Das</strong> Thema polarisiert die Menschen. Die Bauern be-<br />
fürchten, dass sie durch das so genannte Verschlechterungs-<br />
verbot in der wirtschaftlichen Entwicklung eingeschränkt<br />
würden. Auch Ausgleichsprämien nützten da wenig. „Uns<br />
wird wieder ein Konzept übergestülpt“, schimpft Theodor Ips<br />
(61) aus dem Wilhelminenkoog im Hamburger Abendblatt,<br />
„und der Mensch ist der Störfaktor.“ Auf der anderen Seite<br />
beziehen die Umweltaktivisten der allseits bekannten Grup-<br />
LRB 2’04
pen wie BUND, Greenpeace und NABU Stellung. Ironischer-<br />
weise stehen sie diesmal geschlossen hinter der EU und der<br />
entschiedenen <strong>Land</strong>esregierung.<br />
Da <strong>Schleswig</strong>-Holstein allerdings nicht einmal ein Prozent<br />
der Fläche der Europäischen Union ausmacht, stelle ich mir<br />
unweigerlich die Frage, ob dieses Tamtam auch in anderen<br />
Regionen stattfindet. Muss ja. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />
dass unsere Grabenkämpfe ein Unikum sind. Und wofür wird<br />
eigentlich gekämpft?<br />
Bevor ich überhaupt geboren wurde, hatten die Mitglieder<br />
der EU-Vorläufer EWG und EG 1979 mit der Vogelschutz-<br />
richtlinie die Absicht erklärt, dem Naturschutz in ihrer<br />
Gemeinschaft Beachtung zu schenken. Die „Special Areas<br />
of Conservation“ (SAC) der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie<br />
(FFH-Richtlinie) bilden zusammen mit den „Special Protec-<br />
ted Areas“ (SPA) der Vogelschutz-Richtlinie das europäische<br />
Schutzgebietssystem NATURA 2000. Im bürokratischen<br />
Brüssel beschreibt man dies folgendermaßen:<br />
„Die FFH-Richtlinie sieht vor, die biologische Vielfalt auf<br />
dem Gebiet der Europäischen Union durch ein nach einheit-<br />
lichen Kriterien ausgewiesenes Schutzgebietssystem dauer-<br />
haft zu schützen und zu erhalten. Damit wird der Erkennt-<br />
nis Rechnung getragen, dass der Erhalt der biologischen<br />
Vielfalt nicht alleine durch den Schutz einzelner Habitate<br />
sondern nur durch Einbeziehung eines Biotopverbundes,<br />
der den unterschiedlichen ökologischen Ansprüchen der<br />
zu schützenden Arten und Lebensraumtypen gerecht wird,<br />
erreicht werden kann.“<br />
Gerade im Zuge der EU-Osterweiterung soll in diesem Zu-<br />
sammenhang gewährleistet werden, dass gerettet wird, was<br />
noch zu retten ist. Viele Gebiete, zum Beispiel die masurische<br />
Seenplatte, die Hohe Tatra, das Donaudelta und die kurische<br />
Nehrung gehören zu den schönsten und ursprünglichsten<br />
Gebieten des europäischen Kontinents. Als Pfadfinder habe<br />
ich, wie viele unter uns, schon bald nach der Wende fest-<br />
gestellt, dass der „wilde“ Osten einige unschätzbar schöne<br />
Überraschungen birgt. <strong>Das</strong> beweisen auch die Bundesfahrten<br />
nach Polen und Slowenien sowie die zahllosen Stammes-<br />
und Sippenfahrten in unsere östlichen Nachbarstaaten. Und<br />
gerade dort, wo Armut oder Schwerindustrie der Umwelt zu<br />
schaffen machen – das beste Beispiel dafür ist die Donau<br />
als einer der längsten und wahrscheinlich auch dreckigsten<br />
Flüsse <strong>Europa</strong>s – dort muss die Europäische Union handeln,<br />
bevor es zu spät ist. Da nützt es nichts, ausschließlich Gelder<br />
LRB 2’04<br />
in gut gemeinte Schutzprojekte oder alternative <strong>Land</strong>wirt-<br />
schaft zu investieren. Der Ansatz der NATURA 2000 kommt<br />
da genau richtig. Bewahren wir gleich ganze Gebiete vor dem<br />
menschlichen Raubbau, Überdüngung und Wirtschaftsinte-<br />
ressen, bevor sie der ökonomischen Gier der aufstrebenden<br />
Volkswirtschaften Osteuropas zum Opfer fallen. <strong>Das</strong> Gleiche<br />
muss auch vor unserer eigenen Haustür gelten. Obwohl<br />
Deutschland in puncto Umweltschutz weltweit eine Vorrei-<br />
terstellung eingenommen hat, bleiben viele Aufgaben, um<br />
unser bisschen Naturidylle zu retten. Vielen ist nicht klar:<br />
Was einmal verschwindet, ist für immer weg. Ökosysteme<br />
wie das Wattenmeer oder die Hochalpen lassen sich nicht<br />
durch Menschenhand wiederherstellen, wenn es uns wirt-<br />
schaftlich mal wieder besser gehen sollte.<br />
So sitze ich nun an meinem Küchentisch und ärgere mich,<br />
dass sich wieder mal Menschen als Krone der Schöpfung<br />
aufspielen. Nicht nur ärgerlich macht mich so was. Auch<br />
traurig. <strong>Das</strong>s sich ein Umweltminister, der seinen Job richtig<br />
zu machen versucht und sich für die Umwelt einsetzt, dafür<br />
Nackenschläge von der Öffentlichkeit bekommt. Es liegt auch<br />
an uns Pfadfindern, den Umweltschutz in <strong>Europa</strong> mehr ins<br />
öffentliche Bewusstsein zu rücken. Mit gezielten Aktionen,<br />
die nicht zwangsläufig dem Klischee vom „Waldschrat“ ent-<br />
sprechen sollten, die aber mal wieder ganz ohne Zweifel un-<br />
sere Verbundenheit mit der Natur festigen und deren Schutz<br />
in den Mittelpunkt stellen. Mir scheint, dass viele das Thema<br />
Umwelt abgenutzt finden, obwohl sie es seit Jahren nicht in<br />
den Gruppenstunden oder als Spielidee auf Lagern verwen-<br />
det haben. Doch liegt das wohl kaum am Thema an sich,<br />
Mehr im Internet<br />
Die <strong>Land</strong>esregierung <strong>Schleswig</strong>-Holstein will Lebensräume<br />
erhalten und entwickeln: ànatura2000-sh.de<br />
<strong>Das</strong> Bundesamt für Naturschutz informiert über NATUR A<br />
2000: àwww.bfn.de/03/0303.htm<br />
<strong>Das</strong> „Umweltpolitische Manifest“ zur <strong>Europa</strong>wahl von W WF,<br />
NABU, BU ND, Greenpeace und anderen:<br />
à www.foeeurope.org/publications/G8_Manifesto_EP_election_DE.pdf<br />
Einen Ausflug nach Absurdistan bietet der Bericht der Jahreshauptversammlung<br />
der SPD Eiderstedt:<br />
àwww.spd-nordfriesland.de/eiderstedt/index.php?mod=article<br />
&op=show&nr=1670<br />
29
sondern eher an der Haltung, die sich in den letzten Jahren<br />
in der Gesellschaft breit gemacht hat. In Zeiten wirtschaft-<br />
licher Schwäche nimmt das Interesse für Umweltschutz ab,<br />
Arbeitsplätze werden häufig gegen Umweltinteressen aus-<br />
gespielt. <strong>Das</strong> beste regionale Beispiel dafür war die Zuschüt-<br />
tung des Mühlenberger Lochs in Hamburg-Finkenwerder.<br />
Dieses einzigartige Süßwasserwatt wurde für den Ausbau des<br />
Airbus-Werks „geopfert“. Beim Ausbau des Lübecker Flug-<br />
hafens in die Grönauer Heide hinein soll NATURA 2000 ein<br />
vergleichbares „Bauernopfer“ verhindern. Die Empörung auf<br />
Seiten der Politik und der Wirtschaft ist selbstverständlich<br />
riesengroß. Doch wann ist die Grenze erreicht? Wie lange<br />
können wir so weitermachen wie bisher? <strong>Das</strong> Traurige ist,<br />
dass jeder die Antwort „eigentlich“ kennt. Aber niemand sie<br />
hören will.<br />
Sponsored by EU<br />
Es gibt Geld. Die Europäische Kommission fördert Jugend-<br />
liche. Ob ein Jahr ehrenamtliche Arbeit im Ausland, ein<br />
spannendes Projekt in vier verschiedenen Ländern oder<br />
wissenschaftlicher Austausch: Für jeden ist etwas dabei. Die<br />
hier aufgeführten Beispiele sollen Mut machen; Mut, etwas<br />
zu erleben, etwas auszuprobieren, <strong>Europa</strong> kennen zu lernen.<br />
Für Fragen könnt Ihr gern Kontakt mit mir aufnehmen, mailt<br />
an àkueken@bdp-sh-hh.de.<br />
In der Schule: COMENIUS<br />
Dieses Projekt richtet sich an junge Europäer zwischen Ein-<br />
schulung und Abitur. Mitmachen können alle, die irgendwie<br />
in die Bildungsmaschinerie eingebunden sind, neben den<br />
Schülern also auch Lehrer, Assistenten oder Elternvereine.<br />
COMENIUS unterstützt Schulpartnerschaften zwischen ver-<br />
schiedenen europäischen Ländern mit dem Ziel, Sprachen<br />
und interkulturelles Verständnis zu fördern. Davon erhofft<br />
Als politisch denkende Pfadfinder und als aktive Ju-<br />
gendbewegung sollten wir uns zur Aufgabe machen, Um-<br />
weltschutz zu thematisieren. Lauter als bisher und ohne die<br />
Befürchtung, ein Klischee zu bedienen. Denn dafür haben wir<br />
gar keinen Anlass.<br />
Nils Petersen, Stamm Kolibri<br />
Damit <strong>Europa</strong>s Jugend sich begegnet, kennen lernt und den Kontinent bereist,<br />
wird viel getan: Die Europäische Union rockt einiges an Fördergeldern raus.<br />
30<br />
man sich gleichzeitig ein hohes Unterrichtsniveau. Eine<br />
ganze Schulklasse oder auch nur eine Arbeitsgemeinschaft<br />
kann Fördermittel beantragen, um zum Beispiel mit einer<br />
Klasse aus Irland und einer aus Frankreich an einem Projekt<br />
zu arbeiten. Die Gruppen müssen dabei nicht zwangsläufig<br />
aufeinander treffen, viele Projekte laufen über das Internet.<br />
Um Gelder bewerben können sich also deutsche Schulklas-<br />
sen, aber auch einzelne AGs, um gemeinsam mit Klassen<br />
oder Arbeitsgemeinschaften aus anderen Ländern an einem<br />
möglichst Fächer übergreifendem Projekt zu arbeiten.<br />
Minuspunkte: Je nach Projekt und Projektleitern kann es<br />
passieren, dass die Klassen zu Projektbeginn vor vollendete<br />
Tatsachen gestellt werden, ohne am Entscheidungsprozess<br />
teilgenommen zu haben. Alles eine Frage der richtigen Kom-<br />
munikation.<br />
Pluspunkte: So geht Schule: <strong>Europa</strong> bleibt nicht länger<br />
<strong>Land</strong>karte. Schülerinnen und Schüler werden frühzeitig<br />
LRB 2’04
unter Anleitung an das vereinte <strong>Europa</strong> herangeführt. Sie<br />
werden konfrontiert mit anderen Sprachen und Lebensver-<br />
hältnissen und entdecken, dass bei allen Unterschieden die<br />
Gemeinsamkeiten meist überwiegen.<br />
Nach der Schule: JUGEND<br />
(EVS, Future Capital, Jugendbegegnung)<br />
<strong>Das</strong> Programm JUGEND der Europäischen Kommission ist<br />
eine wahre Goldgrube und richtet sich an Jugendliche im Al-<br />
ter zwischen 15 und 25 Jahren. Gefördert werden soll die Kre-<br />
ativität und die Eigeninitiative junger Europäer. JUGEND<br />
gliedert sich in fünf Aktionen, die inhaltlich unterschiedliche<br />
Schwerpunkte und Zielgruppen haben. Die drei bekanntes-<br />
ten Maßnahmen sind:<br />
Europäischer Freiwilligendienst<br />
Beim so genannten EFD (auf Deutsch, EVS auf Englisch,<br />
SVE auf Spanisch) verbringen die Teilnehmer zwischen<br />
drei Wochen und zwölf Monaten im europäischen Ausland<br />
und arbeiten an einem sozialen oder ökologischen Projekt<br />
mit. <strong>Das</strong> kann das Jugendrotkreuz sein, kleine Vereine für<br />
Kultur, Musik oder Sprache, Betreuung von Behinderten,<br />
Alten, jugendlichen Problemfällen. Die EU kommt auf für<br />
Unterkunft, Sprachkurs, Taschengeld, An- und Abreise sowie<br />
Seminare.<br />
Minuspunkte: Die Formalitäten dauern recht lange.<br />
Mehr als ein halbes Jahr vorher sollte der Entschluss gefasst<br />
sein. Als Erstes bewerbt Ihr Euch bei einer Organisation in<br />
Deutschland, die Freiwillige ins Ausland schickt. Diese Orga-<br />
nisation stellt einen Antrag an die EU und sucht nach einem<br />
geeigneten Projekt. Je nach Art des Projektes kann es sein,<br />
dass Ihr vorher Seminare in Deutschland besuchen müsst.<br />
Irgendwann kommt der große Tag, die EU antwortet – und<br />
falls der Topf noch nicht leer war, geht es ab ins Ausland.<br />
Wenn nicht, habt Ihr vielleicht Glück und die Organisation<br />
möchte Euch trotzdem haben und bezahlt… Wer selber aktiv<br />
wird und im Ausland nach geeigneten Projekten sucht, ver-<br />
bessert seine Chancen! Tipps und Tricks verrate ich Euch.<br />
Pluspunkte: <strong>Das</strong> ist europäisch! In ein anderes <strong>Land</strong><br />
ziehen, eine neue Sprache wie von selbst lernen und einen<br />
Haufen anderer Freiwillige aus ganz <strong>Europa</strong> kennen lernen.<br />
In der Freizeit wird das <strong>Land</strong> entdeckt und Fremde werden<br />
zu Freunden fürs Leben.<br />
LRB 2’04<br />
In der Slowakei leben 5,4<br />
Millionen Menschen. Die<br />
Slowakei ist eines der zehn<br />
neuen EU-Ländern. Die<br />
<strong>Land</strong>schaft ist gebirgig,<br />
Tief land (Niedere und Hohe<br />
Tatra sowie Slowakisches<br />
Erzgebirge), zur Donau Kon-<br />
tinentalklima, also warme Sommer und kalte Winter. Früher<br />
war die Slowakei die Waffenschmiede der Sowjetunion, nach<br />
dem Zerfall der Sowjetunion ging auch die industrielle Pro-<br />
duktion auf ein Drittel zurück, dafür gewann der Dienstleis-<br />
tungssektor. Heute produzieren große Automobilkonzerne in<br />
der Slowakei, rund um Bratislava sind Arbeitskräfte knapp,<br />
große Firmen verlegen ihren Osteuropasitz hierhin. Der Os-<br />
ten des <strong>Land</strong>es hingegen ist strukturschwach, hier liegt die<br />
Arbeitslosenquote bei über 30%. Die Slowaken werben gern<br />
mit den Skigebieten in der Hohen Tatra. Die Zipser Burg<br />
(Spišský hrad) bei Levoča ist eine der größten Burgen Euro-<br />
pas und gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO. Auch die<br />
alte Hauptstadt Bratislava, das frühere Preßburg, ist immer<br />
einen Besuch wert. Auf dem Bild: Die Möwie auf der Novy<br />
Most.<br />
S L O W A K E I<br />
Áno/nie Ja/nein<br />
Ďakujem Danke<br />
Dobrý deñ! Guten Tag!<br />
Do videnia! Auf Wiedersehen!<br />
Ahoj/čau Tschüß/ciao<br />
Pardón Entschuldigung<br />
Pohrýzol ma pes. Mich hat ein Hund gebissen.<br />
Prosím si zuámku na list do Nemecka?<br />
Eine Briefmarke für einen Brief nach<br />
Deutschland bitte!<br />
Koĭko to stojí? Wie viel kostet das?<br />
31
Future Capital<br />
Wer nach dem Freiwilligendienst ein eigenes Projekt orga-<br />
nisieren will, kann sich um Future Capital bewerben. Für<br />
so ein gemeinnütziges Projekt könnt Ihr insgesamt 5 000<br />
Euro beantragen. Voraussetzung ist, dass Ihr das Projekt<br />
selbst durchführt und dass es einen Bezug zum abgeleisteten<br />
Dienst hat. <strong>Das</strong> Projekt kann praktisch überall in <strong>Europa</strong> an-<br />
gesiedelt sein. Zum Beispiel tourten zwei Mädels durch Eu-<br />
ropas Hauptstädte und drehten einen Film über europäische<br />
Jugendliche auf Reisen. Ein Mädchen hat Märchen aus dem<br />
Amazonas-Urwald ins Schwedische übersetzt, ein Junge lief<br />
den Jakobsweg und dokumentierte die Pilgerfahrt auf einer<br />
Website – und ich habe ein Handbuch für zukünftige Freiwil-<br />
lige in Spanien erstellt.<br />
Minuspunkte: Oftmals bräuchte man doch Hilfe bei Ein-<br />
zelheiten und ist dann sehr auf sich allein gestellt, JUGEND<br />
hilft einem überhaupt nicht, ist nur Geldgeber, die Abrech-<br />
nung muss natürlich auf den Cent stimmen, das ist bei 5 000<br />
Euro nicht ohne.<br />
Pluspunkte: Für eine konkrete Idee können 5 000 Euro<br />
eine ganze Menge Geld sein, mit der sich einiges anstellen<br />
lässt. Anweisungen von Betreuern des JUGEND-Projekts<br />
gibt es so gut wie keine, der Fantasie sind keine Grenzen<br />
gesetzt.<br />
Jugendbegegnung<br />
Nicht für Einzelpersonen gedacht ist die Maßnahme Ju-<br />
gendbegegnung, die sich an Gruppen und Verbände richtet.<br />
Gefördert werden Begegnungen zwischen Jugendlichen aus<br />
zwei oder mehr europäischen Ländern. Da auch die Leiter<br />
aus unterschiedlichen Ländern kommen, ist die Maßnahme<br />
nicht vergleichbar mit der Internationalen Begegnung im<br />
<strong>BdP</strong>, wo es eine Gastgeber- und eine Gastgruppe gibt. Die<br />
Fördermittel gehen schnell in den fünfstelligen Bereich. Sol-<br />
che Begegnungen werden deshalb meistens von eher profes-<br />
sionellen „Trainern“ und Organisationen durchgeführt.<br />
Nach der Ausbildung:<br />
Europäisches Jahr für Jugendliche<br />
<strong>Das</strong> EJJ ist ein Berliner Programm, das so oder so ähnlich<br />
auch in anderen Städten und Gemeinden existiert. Jugendli-<br />
che bis zu einem Alter von 27 Jahren, die bereits eine abge-<br />
schlossene Berufsausbildung haben und arbeitslos gemeldet<br />
sind, können sich für dieses Programm bewerben. <strong>Das</strong> knapp<br />
32<br />
einjährige Projekt zwischen Ausbildung und Berufseinstieg<br />
hat drei Säulen: ein Berufspraktikum im europäischen Aus-<br />
land, ein Sprachkurs vor Ort und beruf liche Weiterbildung.<br />
Jeder Teilnehmer bekommt monatlich 615 Euro Unterstüt-<br />
zung zum Lebensunterhalt sowie die Hin- und Rückreise<br />
bezahlt.<br />
Während des Studiums: Erasmus<br />
Spätestens seit dem Film „L’auberge espagnole“ ist das<br />
Auslandsstudium à la Erasmus kein Geheimtipp mehr. <strong>Das</strong><br />
Erasmus-Programm ermöglicht Studenten, meist nach ihrer<br />
Zwischenprüfung, für ein oder zwei Semester ins europäische<br />
Ausland zu gehen. <strong>Das</strong> Erasmus-Stipendium deckt die anfal-<br />
lenden Studiengebühren an der ausländischen Hochschule<br />
und darüber hinaus noch etwa 100 Euro für den Lebensun-<br />
terhalt. <strong>Das</strong> ist zwar erschreckend wenig, aber dafür besteht<br />
eine Partnerschaft zwischen den beteiligten Universitäten<br />
und es wird selten Probleme mit Anerkennung von Studien-<br />
leistungen geben. Außerdem ist Erasmus mittlerweile so<br />
akzeptiert, dass es fast überall Gruppen gibt, die einem bei<br />
der Wohnungssuche und beim Anschluss ans anfangs frem-<br />
de Nachtleben helfen. <strong>Das</strong> Programm richtet sich aber nicht<br />
nur an Studenten, sondern fördert auch den Austausch von<br />
Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern. Auch bei<br />
diesem Programm muss man sich sehr rechtzeitig bewerben,<br />
zwei Semester im Voraus sind nötig. <strong>Das</strong>s ein Studienauf-<br />
enthalt nicht nur dazu dient, den Lebenslauf aufzupeppen,<br />
muss hier wohl nicht extra erwähnt werden. Die Liste der<br />
Pluspunkte scheint unendlich …<br />
Hier geht’s weiter<br />
Ricarda „Küken“ Otte<br />
Die Website der deutschen Agentur des EU-Aktionsprogramms<br />
JUGEND verlinkt auf eine ganze Reihe von speziellen Seiten,<br />
die genauestens über die Programme informieren. Nicht nur<br />
offizielle Stellen kommen zu Wort sondern vor vor allem<br />
Jugendliche, die schon an solchen Programmen teilgenommen<br />
haben. àwebforum-jugend.de<br />
Auf der offiziellen EU-Seite gibt es eine Übersicht über alle Finanzierungsprogramme<br />
für allgemeine und berufliche Bildung:<br />
àeuropa.eu.int/comm/education/programmes/programmes_<br />
de.html<br />
LRB 2’04
Total global<br />
Globalisierung, Neoliberalisierung, Zivilgesellschaft und Wertewandel in einem<br />
Artikel: Eine kurze Übersicht<br />
Ein Gespenst geht um: Die Globalisierung<br />
Globalisierung wird der fortschreitende Prozess einer sich<br />
zunehmend vernetzenden Welt genannt. Wenn in fußball-<br />
feldgroßen Schiffen Millionen Container mit allen erdenk-<br />
lichen Gegenständen durch die Welt schippern, wenn ein<br />
Auto nicht in einer Fabrik sondern in zehn Fabriken in zehn<br />
Ländern produziert wird, wenn wir E-Mails austauschen mit<br />
Freunden in der ganzen Welt, wenn man überall Schokolade<br />
kaufen kann, wenn im Supermarkt ganzjährig Zitrusfrüchte<br />
liegen. <strong>Das</strong> ist Globalisierung. Da ist was drin.<br />
Die ganze Welt kommuniziert miteinander, kauft sich<br />
gegenseitig Waren ab, kooperiert, gründet internationale<br />
Organisationen. Der technische Fortschritt macht’s mög-<br />
lich: Flugzeuge verbinden die großen Städte der Welt, über<br />
Datenleitungen rauschen Sprache, Bilder und Dateien. Bevor<br />
der Begriff Globalisierung sich in den Neunzigern etablierte,<br />
sprach man gerne und überall vom Informationszeitalter.<br />
Jederzeit kann eine Entscheidung getroffen werden, virtuell<br />
kann jeder – und hier geht es los mit den Problemen, denn<br />
nicht jeder hat eine Telefonleitung im Garten liegen – von<br />
überall an der Welt teilhaben.<br />
Dieses Phänomen erweckt also bei den einen Angst und<br />
bei anderen Zuversicht. Die eigentliche Frage ist aber, wie<br />
die Welt, wie Staaten, wie wir den Globalisierungsprozess<br />
gestalten.<br />
Neoliberalismus ist für alle da<br />
Rasante technologische Fortschritte in der Computer- und<br />
Informationstechnik haben die weltweiten Kommunikati-<br />
ons- und Kooperationsmöglichkeiten drastisch verändert<br />
und der Zusammenbruch des sozialistischen Systems in<br />
Osteuropa hat zu einem Wandel von einem politischen Sys-<br />
temwettbewerb zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu<br />
einem ökonomischen Standortwettbewerb nahezu aller Staa-<br />
ten miteinander geführt. Auch dahinter steckt eine Ideologie:<br />
der Neoliberalismus. Die Idee ist, dass die Staaten sich mög-<br />
lichst raushalten aus dem Kreislauf der Wirtschaft, sie nicht<br />
einschränken durch Zölle oder Importquoten. Ganz automa-<br />
tisch suchen sich die Investoren dann arme Länder, in denen<br />
es Rohstoffe und billige Arbeitskräfte gibt. In den reichen<br />
LRB 2’04<br />
Ländern konzentriert man sich auf Spezialgebiete, die armen<br />
Länder sollen durch die Investitionen einen wirtschaftlichen<br />
Aufschwung erfahren, Geld und Technologie sollen ins <strong>Land</strong><br />
kommen, es soll bergauf gehen. Dieser globale Wettbewerb<br />
erzeugt einen ungeheuren Druck auf Länder und Regionen.<br />
Ausgabefreudige Regierungen werden diszipliniert und be-<br />
schränken sich auf das Notwendigste: Es wird gekürzt. Bei<br />
allem, was nicht primär dem wirtschaftlichen Wettbewerb<br />
dient. Es ist weniger Geld in den Kassen, es geht den Sozial-<br />
leistungen an den Kragen, der Kinder- und Jugendhilfe.<br />
Viele Länder sind so arm, dass sie auf fremde Hilfe ange-<br />
wiesen sind. Die sollen sie bekommen können, die Industrie-<br />
nationen der Welt haben für diese Zwecke den internationa-<br />
len Währungsfond (IWF) eingerichtet. Er vergibt Kredite an<br />
diese Länder, die dafür bestimmte politische Auf lagen erfül-<br />
len müssen. Damit sie von der neoliberalen Globalisierung<br />
profitieren können, müssen sie ihre Märkte öffnen, öffentli-<br />
che Ausgaben zurückfahren, ihre Exporte erhöhen, westlich<br />
geprägte Sozial-, Rechts- und Staatssysteme fördern und<br />
einführen. So hat der IWF, dessen ehemaliger Chef Horst<br />
Köhler bei diesem Zeitgeist vielleicht nicht zufällig Bundes-<br />
präsident geworden ist, die Sozial- und Wirtschaftspolitik<br />
vieler Länder zentral gestaltet.<br />
<strong>Das</strong> Gegenteil zur Marktöffnung, die Abschottung des<br />
Markts, nennt sich Protektionismus. Genau das machen<br />
die Industrienationen sehr gerne: Die Europäische Union<br />
beschützt ihre Bauern vor den Bauern anderer Länder, die<br />
ihre Produkte billiger anbieten können. Sonst würden die<br />
europäischen Bauern abhängig vom Weltmarkt, sie müssten<br />
sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Und würden<br />
verlieren: Ihre Produkte sind zu teuer. Die armen Länder<br />
stehen vor dem Problem, dass sie keine andere Wahl haben.<br />
Haben sie Pech, können die eigenen Bauern im Wettbewerb<br />
nicht mithalten. Andere Bauern schicken ihre Waren in das<br />
<strong>Land</strong>, die Bauern werden arbeitslos, in den ganz armen Län-<br />
dern sind aber die meisten Menschen noch Bauern, oder<br />
vielmehr: dann arbeitslos. Natürlich gilt Ähnliches auch für<br />
einfache Fabrikarbeiter. Eine schier endlose Kette von Ver-<br />
knüpfungen: Auch das ist Globalisierung.<br />
33
3,5 Millionen Menschen le-<br />
ben Litauen. Und seit dem 1.<br />
Mai auch in der Europäischen<br />
Union. Die <strong>Land</strong>essprache ist<br />
Litauisch. <strong>Das</strong> ist wie Let-<br />
tisch eine baltische Sprache;<br />
Estnisch dagegen zählt zu<br />
den finnougrischen Sprachen, dem Finnischen ähnlich; kei-<br />
ne der Sprachen ist mit dem Slawischen – wie Russisch oder<br />
Polnisch – verwandt. Slawische und baltische Sprachen ge-<br />
hören wie auch Deutsch zu den indoeuropäischen Sprachen,<br />
die finnougrischen Sprachen bilden eine eigene Gruppe, zu<br />
der in <strong>Europa</strong> noch Ungarisch gehört. <strong>Das</strong> <strong>Land</strong>schaftsbild<br />
zeichnen Hohe Sanddünen (die Kurische Nehrung), seenrei-<br />
che Hügelketten im Norden, Sümpfe und Moore. <strong>Das</strong> Klima<br />
ist kontinental: warme Sommer, kalte Winter. Die größte<br />
Stadt ist Vilnius, die nördlichste Barockstadt jenseits der Al-<br />
pen (siehe Bild oben) und eine beliebte Filmkulisse. Litauen<br />
hat die höchste Selbstmordrate <strong>Europa</strong>s. Und die geringste<br />
Inflation, minus 1,1 Prozent – hier steigt der Geldwert. Unter<br />
anderem produziert IKEA hier Möbelfertigteile. Der Westen<br />
des <strong>Land</strong>es ist geprägt durch hanseatische Einflüsse, im Os-<br />
ten finden sich polnische Kulturelemente. Typische Speziali-<br />
tät sind Pilze und Maronen.<br />
34<br />
L I T A U E N<br />
taĩp/nè Ja/nein<br />
Ãčiű! Danke<br />
Labà dienà Guten Tag<br />
Lãbas Hallo<br />
Adé Tschüss<br />
Atsiprašaũ! Entschuldigung!<br />
Àš nóriu válgyti. Ich habe Hunger.<br />
Ačiű űţ kretímą! Danke für die Einladung.<br />
Kóks taĩ muziçjus<br />
Was ist denn das für<br />
ein Museum?<br />
Globalisierungskritik<br />
Gegen die Globalisierung zu sein, hieße, das Rad zurückdre-<br />
hen zu wollen. „Hört mal bitte alle auf, euch dauernd E-Mails<br />
zu schreiben“, zum Beispiel. Niemand hat das ernsthaft vor<br />
(religiöse Splittergruppen ausgenommen). Die Kritik richtet<br />
sich vielmehr gegen Ungerechtigkeiten, die im Zuge der Glo-<br />
balisierung passieren. Weltweit organisierte und vernetzte<br />
Gruppen wie Attac weisen darauf hin, dass der Neolibera-<br />
lismus den armen Ländern bisher nicht den erhofften Auf-<br />
schwung gebracht hat sondern ganz im Gegenteil, alles noch<br />
sehr viel schlimmer gemacht hat, als es ohnehin schon war.<br />
Die Weltbevölkerung wächst rapide an, immer mehr<br />
Menschen kämpfen um die Ressourcen der Erde. Dabei le-<br />
ben wenige Menschen im reichen Norden der Erde in Saus<br />
und Braus, während der Rest der Welt am Hungertuch nagt.<br />
Diese ungerechte Verteilung ist nur schwer zu verändern, der<br />
Norden möchte sich nicht von seinem Wohlstand trennen.<br />
Würden die Ansprüche der restlichen Welt verwirklicht,<br />
käme es unweigerlich zur ökologischen Katastrophe: Mutter<br />
Erde gibt soviel nicht her. Oder besser: Schon heute schädigt<br />
die Industrie nachhaltig die Umwelt, verpesten Millionen<br />
Autos die Luft, sterben Wälder, kippen Meere.<br />
Mit welchem Recht aber werden Großteile der Weltbevöl-<br />
kerung einfach von Wohlstand und Bildung ausgeschlossen?<br />
<strong>Das</strong> weitere Wachstum der Weltbevölkerung kann nur<br />
kontrolliert werden, wenn Bildungs- und Wohlstandswün-<br />
sche der armen Länder, einhergehend mit der Emanzipation<br />
der Frau, erfüllt werden. <strong>Das</strong> alles, ohne die Erde ökologisch<br />
vollends zu überlasten. Und während über dieses komplexe<br />
Problem nachgedacht wird, geht die Schere zwischen Arm<br />
und Reich weiter auf, wächst die Bevölkerung in armen Län-<br />
dern rasant.<br />
Mehr wissen<br />
Verschieden Texte über Globalisierung, internationale Handelsabkommen<br />
und Globalisierungskritiker finden sich in<br />
dem Taschenbuch „Unsere Welt ist keine Ware“ von Christine<br />
Buchholz, Anne Karrass, Oliver Nachtwey und Ingo Schmidt.<br />
Es ist im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen und kostet<br />
9,90 Euro.<br />
Viele Firmen verkaufen längst keine Produte mehr sondern<br />
nur noch ein „Image“. Wie große Konzerne sich die Globalisierung<br />
zu Nutze machen erklärt Naomi Klein in ihrem Buch<br />
„No Logo“. Erschienen als Paperback im Riemann-Verlag für<br />
18 Euro.<br />
LRB 2’04
Demokratie<br />
Der wachsende Einfluss der Wirtschaft stellt für den mo-<br />
dernen Sozialstaat und unsere Demokratie eine ernsthafte<br />
Herausforderung dar. Wie kann der einzelne Bürger noch<br />
Entscheidungen beeinflussen, noch mitwirken am Gemein-<br />
wohl? Die globalisierte Welt braucht Institutionen, Verbände<br />
und Organisationen, die dem Einzelnen helfen, Einfluss zu<br />
nehmen.<br />
Dem Sektor von Nicht-Regierungsorganisationen wird aus<br />
Expertensicht deshalb zunehmend sozial-anwaltschaftliche<br />
Bedeutung beigemessen, so auch den PfadfinderInnen-Orga-<br />
nisationen. Ansonsten droht Verdruss, der Einzelne kehrt der<br />
Politik den Rücken und sieht lieber fern, alles zu kompliziert,<br />
sowieso nix zu machen. In den Vereinigten Staaten zum Bei-<br />
spiel engagieren sich die Bürger in ihren „communities“, sie<br />
organisieren und verwalten viele Dinge ihres Umfelds (etwa<br />
Schulen) selbst, sie halten „townhall meetings“ und stimmen<br />
über Themen ab, die sie konkret betreffen. Die Partizipation<br />
von Bürgern, die sich vernetzen, die sich organisieren, die<br />
für ihre Interessen eintreten und das Zusammenleben mit-<br />
gestalten, all das fällt unter das Stichwort Zivilgesellschaft.<br />
Auch Pfadfinder sind Teil dieser engagierten, interessierten<br />
Öffentlichkeit.<br />
Gerade jetzt, wo Kommunen das Geld ausgeht und sich<br />
der Staat mehr und mehr aus sozialen Bereichen zurück<br />
zieht, gilt es, eine breite Öffentlichkeit nicht abzuschrecken<br />
sondern zu motivieren. <strong>Das</strong> ist ohne Frage schwierig. Einer-<br />
seits zieht sich der Staat zurück, andererseits fordert er mehr<br />
Eigenverantwortung und mehr Eigeninitiative.<br />
Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat die<br />
Ansprüche der globalisierten Wirtschaft an den Menschen so<br />
zusammen gefasst: „Bleib in Bewegung, geh keine Bindung<br />
ein und bring keine Opfer!“ Und Studien belegen, dass viele<br />
Menschen diesen Leitspruch längst übernommen haben. Der<br />
Wertewandel findet statt (im LRB 1’03 gab es einen Artikel<br />
über die Shell-Jugendstudie mit einem ganz ähnlichem<br />
Thema): Weg von einer solidarischen, dauerhaft-verbindli-<br />
chen Auffassung hin zu Individualisierung und egozentrisch<br />
orientierte Hyperflexilibität. Gleichzeitig braucht die Zivilge-<br />
sellschaft mehr denn je Menschen, die sich engagieren und<br />
Verantwortung übernehmen.<br />
Hannes Clausen, Stamm Reinholdsburg<br />
Ole Reißmann, Stamm Waldreiter<br />
In der parlamentarischen<br />
Monarchie (Staatsoberhaupt<br />
ist Königin Margrethe II.) le-<br />
ben 5,4 Millionen Menschen.<br />
Seit 1973 ist Dänemark in der<br />
EU. Dänemark gliedert sich<br />
in das Festland (die Halb-<br />
insel Jütland) und in 483<br />
Inseln (97 bewohnt) sind.<br />
Auch die Färöer zwischen<br />
Schottland und Island sowie<br />
Grönland gehören zu Däne-<br />
mark, sind aber weitgehend<br />
autonom und gehören nicht<br />
zur EU. Jütland liegt zwi-<br />
schen Ost- und Nordsee, die<br />
D Ä N E M A R K<br />
<strong>Land</strong>schaft ist flach und dünenreich. <strong>Das</strong> Klima ist mild, die<br />
Sommer warm und oft regnerisch. Dänemarks Wahrzeichen<br />
ist die kleine Meerjungfrau, die im Hafen von Kopenhagen<br />
die enge Verbindung zum Meer symbolisiert. Und auf er gan-<br />
zen Welt spielen Kinder mit Lego. Typisch Leckereien sind<br />
Pølser (Hot-Dogs), Rote Grütze und Salzlakritze.<br />
Ja/nej Ja/nein<br />
Tak Danke<br />
God morgen Guten Morgen<br />
Farvel Tschüss<br />
Hej Hallo<br />
Unskyld Entschuldigung<br />
Hvor kann jeg telefonere? Wo kann man telefonieren?<br />
Det smager godt! <strong>Das</strong> schmeckt gut.<br />
Kom indenfor Komm herein.<br />
LRB 2’04 35
Darf die Türkei <strong>Europa</strong> sein?<br />
Die Türkei möchte der EU beitreten. Italien unterstützt das Vorhaben, in Deutschland<br />
wird öffentlich diskutiert. Was spricht dagegen, was spricht dafür?<br />
Auf dem letzten Bundeslager im Jahr 2001 befanden sich<br />
unter den etwa fünfhundert ausländischen Gästen sage<br />
und schreibe 120 türkische Pfadfinder. Ein enorm großes<br />
Kontingent, das sich aus Stämmen aus Istanbul und Konya<br />
zusammensetzte und, aufgeteilt in fünf Gruppen, in<br />
den verschiedenen Unterlagern bei <strong>BdP</strong>lern einquartiert<br />
wurde. Die anderen Freunde aus dem Ausland gingen bei<br />
dieser Präsenz fast unter, Marokkaner, Mazedonier, Südafrikanerinnen<br />
und alle anderen standen in einem mächtig<br />
großen Schatten. Die Türken waren einfach überall. Und<br />
dennoch taten sie sich reichlich schwer mit der Integration.<br />
Bereits im Vorfeld war bis wenige Tage vor dem Lager<br />
keine verbindliche Zusage über Teilnahme oder Absage aus<br />
der Türkei zu hören. Statt zu den täglichen Unterlagerbesprechungen<br />
zu gehen, hatten sie ihren eigenen Lagerrat,<br />
bei dem sich die fünf Gruppenleiter und der Kontingentsleiter<br />
regelmäßig trafen und Deutsche keinen Zutritt hatten.<br />
Statt im eigens errichteten „Globokauf“ Umsatz zu machen,<br />
ließen sie sich jeden Tag mit Lebensmitteln aus dem<br />
hundert Kilometer entfernten Frankfurt versorgen. Statt<br />
die Möglichkeit des gemeinsamen Arbeitens zu nutzen,<br />
bestanden sie auf getrennten Küchen und nahmen somit<br />
auch die getrennte Einnahme der Mahlzeiten in Kauf. Die<br />
Sippen gingen im Alleingang auf Hajk, die Kommunikation<br />
brach nach wenigen Tagen aufgrund mangelhafter Englischkenntnisse<br />
ab. Daraufhin verzogen sich die türkischen<br />
Jungs zumeist in ihre ohnehin unschönen Plastikzelte oder<br />
tobten mit ihren Genossen aus anderen Unterlagern über<br />
die staubigen Wege zwischen Kirschbaum und Altenberg.<br />
Zum Frust der deutschen Sipplinge, die dem Problem der<br />
Versorgung mit Holz und Wasser allein gegenüberstanden.<br />
Die erzwungen wirkende, freundliche Verabschiedung<br />
nach zehn gemeinsamen Tagen auf engstem Raum konnte<br />
leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier doch ganz<br />
offensichtlich vehemente Kulturunterschiede aufeinander<br />
geprallt waren. Unvorbereitet und ohne gemeinsame<br />
Sprache war diese Konstellation leider von vornherein zum<br />
Scheitern verurteilt. Kein Wunder also, dass seither jeglicher<br />
Kontakt zwischen deutschen und türkischen Pfadfindern<br />
zum Erliegen gekommen ist. Der Plan für erneute<br />
gegenseitige Besuche liegt erstmal auf Eis.<br />
36<br />
Auf dem letzten Bundeslager im Jahr 2001 befanden sich<br />
unter den etwa fünfhundert ausländischen Gästen sage<br />
und schreibe 120 türkische Pfadfinder. Ein enorm großes<br />
Kontingent, das sich aus Stämmen aus Istanbul und Konya<br />
zusammensetzte und, aufgeteilt in fünf Gruppen, in<br />
den verschiedenen Unterlagern bei <strong>BdP</strong>lern einquartiert<br />
wurde. Die anderen Freunde aus dem Ausland gingen bei<br />
dieser Präsenz fast unter, Marokkaner, Mazedonier, Südafrikanerinnen<br />
und alle anderen standen in einem mächtig<br />
großen Schatten. Überall auf dem Lagerplatz konnte<br />
man die fröhlichen Jungen mit ihren rot-weißen Halstüchern<br />
antreffen. Allein schon auf Grund der Kontingentgröße<br />
mussten sich die Türken sehr gut organisieren. Mindestens<br />
einmal am Tag trafen sich die fünf Gruppenleiter<br />
und der Kontingentsleiter zu internen Besprechungen, um<br />
ihre Bedürfnisse auf dem Lager abzustimmen. Wie viele<br />
andere deutsche Stämme auch hatten sie zum Beispiel beschlossen,<br />
das mangelhafte und überteuerte Angebot des<br />
„Globokaufs“ abzulehnen. Glücklicherweise konnte an dieser<br />
Stelle ein mit einem Teilnehmer verwandter Lebensmittelhändler<br />
aus dem benachbarten Frankfurt helfen. Er<br />
versorgte die 120 Pfadfinder mit ihnen bekannten Speisen<br />
und Getränken. Auch bei der Zubereitung ließen ihnen die<br />
Gastgeber freie Hand, um religiösen und geschmacklichen<br />
Unterschieden gerecht zu werden. Trotz ihrer sprachlichen<br />
Unsicherheiten trauten sich die türkischen Sippen<br />
sogar ohne Begleitung auf den ausgeschriebenen Hajk.<br />
Und mit ihren roten Zelten brachten sie etwas mediterrane<br />
Farbe in den ansonsten von tristem Schwarz geprägten<br />
Lagergrund. Lachend und umherstromernd waren<br />
sie bald auf allen Wegen und Plätzen anzutreffen, so dass<br />
man nie lange suchen musste, um die einzelnen Sipplinge<br />
an Lagerdienst oder Programmbeginn zu erinnern.<br />
Nach zehn wunderbaren Tagen fiel dementsprechend der<br />
Abschied schwer. Die ansonsten zurückhaltende Art der<br />
Gäste brach nun in Umarmungen und Abschiedstränen<br />
aus. Schade, dass beide Seiten seither die ausgezeichneten<br />
Beziehungen vernachlässigt haben. So unterhält der <strong>BdP</strong><br />
zwar weiterhin Kontakte zum türkischen Dachverband,<br />
die Stämme allerdings räumen Versäumnisse in der<br />
gegenseitigen Pflege der Freundschaft ein. <strong>Das</strong> nächste<br />
Bundeslager wird sie wieder zusammenführen.<br />
LRB 2’04
Hier geht’s weiter<br />
Es gibt viele Informationen im Netz zum Thema EU-Beitritt der<br />
Türkei. Die offizielle Stellungnahme der Bundesregierung gibt’s<br />
zum Nachlesen unter àbundesregierung.de<br />
Eine abschreckend plakative Diskussion findet statt auf der<br />
Seite: àfdp-bundesverband.de<br />
Und nach den politischen Standpunkten hier Links zu Sachinformationen<br />
und Analysen: àspiegel.de/politik/deutschland<br />
àdw-world.de/german àtagesschau.de<br />
Wie unterschiedlich doch Erfahrungen sein können. Und<br />
wie unterschiedlich auch Meinungen gemacht werden. Was<br />
hier im kleinen Rahmen des letzten Bundeslagers zeigt, wie<br />
Stimmungen über die türkische Teilnahme entstehen kön-<br />
nen, spiegelt im Ansatz die Diskussion wider, die seit Jahren<br />
über einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen<br />
Union geführt wird. Befürworter wie Gegner versuchen,<br />
durch unterschiedliche „Fakten“ Argumente gegeneinander<br />
auszuspielen. Im Kleinen wie im Großen liegt die Wahrheit<br />
aber meistens irgendwo dazwischen. Am 14. April 1987 hat<br />
die Republik Türkei ihren Beitritt zur EU beantragt. Sie hat<br />
zwar den Status eines Beitrittskandidaten, die Aufnahme of-<br />
fizieller Verhandlungen zwischen der Union und der Türkei<br />
scheiterte jedoch bisher an den fehlenden politischen und<br />
wirtschaftlichen Voraussetzungen. Nicht zuletzt wegen der<br />
600 000 türkisch-stämmigen Deutschen, die spätestens seit<br />
der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft durch die<br />
rot-grüne Koalition ein interessantes Wählerpotenzial sind,<br />
steht das Thema nunmehr auf der Tagesordnung der deut-<br />
schen Politik. Mehr als eine Milliarde Euro will die EU bis<br />
2006 bereitstellen, um die Türkei an die Union heranzufüh-<br />
ren. Sie erwartet dafür aber zugleich substanzielle Fortschrit-<br />
te in Politik und Wirtschaft – und einen Abzug der Türkei<br />
aus dem geteilten Zypern. Es geht ferner um die Bekämpfung<br />
der Folter, die Übernahme der Rechtsprechung des Europäi-<br />
schen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Achtung der<br />
Grundfreiheiten. Ende des Jahres entscheiden die jetzt 25<br />
Staaten der EU, ob die Union Beitrittsverhandlungen auf-<br />
nimmt oder nicht. Bis dahin werden die Politiker noch viele<br />
Schlammschlachten austragen. Bundeskanzler und Außen-<br />
minister werben für Verständnis und Offenheit gegenüber<br />
der reformfreudigen Türkei, die Opposition stellt sich mit<br />
ihrer momentanen Mehrheit bei Wählern und im Bundes-<br />
rat dagegen. In vielen Umfragen wird derzeit versucht, die<br />
Meinung der deutschen Bevölkerung zum Thema EU-Beitritt<br />
der Türkei einzufangen. Die Ergebnisse liegen zwischen 54 %<br />
dafür (TNS Infratest für den „SPIEGEL“) und 79 % dagegen<br />
(n-tv online) und zeigen, dass vermeintliche Fakten oftmals<br />
nur Instrumente sind. Macht Euch also selbst ein Bild und<br />
betrachtet die Argumente der verschiedenen Parteien skep-<br />
tisch. Ein so wichtiges Thema sollte niemand den Stammti-<br />
schen überlassen. Seid wach und mischt Euch ein.<br />
zuverlässiger Partner in der<br />
Nils Petersen, Stamm Kolibri<br />
Argumente pro und contra<br />
LRB 2’04 2‘04 37<br />
NATO<br />
Verbindungsland zwischen<br />
<strong>Europa</strong> und dem Nahen Osten<br />
Positive wirtschaftliche<br />
Wachstumsprognosen<br />
Wichtiger deutscher Handels-<br />
partner<br />
Lösung des Zypernkonflikts<br />
wird innerhalb der EU<br />
leichter<br />
Würdigung der Reformleis-<br />
tungen unter der Regierung<br />
Erdogan<br />
Direkter Zugang zu Öl aus<br />
dem Kaukasus<br />
neben Israel einzige stabile<br />
Demokratie des Nahen und<br />
Mittleren Ostens<br />
Befürchtete <strong>Land</strong>flucht und<br />
Massenemigration nach<br />
Deutschland<br />
Bevölkerungsreichstes <strong>Land</strong><br />
der EU hätte Kräftever-<br />
schiebung zur Folge<br />
Missachtung der Men-<br />
schenrechte und Zensur<br />
Kurdenverfolgung und<br />
Folter in Gefängnissen<br />
EU-Außengrenze zu Irak<br />
und Iran<br />
Militärdominanz und<br />
Putschgefahr<br />
Islamische Tradition entge-<br />
gen christlicher Werte im<br />
restlichen <strong>Europa</strong><br />
Kriminalität und Gefahr<br />
durch islamische Funda-<br />
mentalisten<br />
Sicherheitszuwachs durch<br />
Brücke zur islamischen Welt Armut<br />
Gebot der Fairness und Auf-<br />
hebung der Wartestellung<br />
Befürchtung einer innertürki-<br />
schen Krise bei Abweisung<br />
Deutsche und Türken leben<br />
bereits eng zusammen<br />
Beitritt zieht weitere Staa-<br />
ten nach sich (z. B. Ukraine,<br />
Moldawien)<br />
Aufnahmefähigkeit der EU<br />
ist erschöpft / Befürchtung<br />
der „Übersättigung“<br />
33% der Türken arbeiten<br />
in der <strong>Land</strong>wirtschaft und<br />
hätten Anspruch auf Sub-<br />
ventionen
Aarhus<br />
Aberdeen<br />
Alghero<br />
Ancona<br />
Bari<br />
Bergerac<br />
Berlin-Schönefeld<br />
Biarritz<br />
Birmingham<br />
Blackpool<br />
Bologna (Forli)<br />
Bournemouth<br />
Bradford<br />
Brindisi<br />
Bristol<br />
Carcassonne<br />
Cardiff<br />
Charleroi<br />
Cork<br />
Derry<br />
Dinard<br />
Disneyland<br />
Dublin<br />
Düsseldorf<br />
East Midlands<br />
Edinburgh<br />
Eindhoven<br />
Erfurt<br />
Esbjerg<br />
Faro<br />
Frankfurt-Hahn<br />
Friedrichshafen<br />
Gatwick<br />
Genoa<br />
Girona-Barcelona<br />
Gothenburg<br />
Graz<br />
Haugesund<br />
Jerez<br />
Karlsruhe Baden<br />
Kerry<br />
Klagenfurt<br />
Knock<br />
La Rochelle<br />
Leipzig-Altenburg<br />
Limoges<br />
Linz<br />
Liverpool<br />
Lübeck<br />
Luton<br />
Malaga<br />
Malmo<br />
Manchester<br />
Milan-Bergamo<br />
Montpellier<br />
Murcia<br />
Newcastle<br />
Newquay<br />
Nimes<br />
Palermo<br />
Paris-Beauvais<br />
Pau<br />
Perpignan<br />
Pescara<br />
Pisa<br />
Poitiers<br />
Prestwick<br />
Reus (Salou)<br />
Rodez<br />
Rome (Ciampino)<br />
Salzburg<br />
Shannon<br />
St. Etienne<br />
Stansted<br />
Stockholm<br />
Tampere<br />
Teesside<br />
Torp<br />
Tours Loire Valley<br />
Trieste<br />
Turin<br />
Valladolid<br />
Venice Treviso<br />
Verona Brescia<br />
<strong>Europa</strong>knoten STN<br />
Nächtliche Begnungen auf dem Flughafen Stansted: Rucksacktouristen<br />
aus der ganzen Welt. Und das eigene Gewissen.<br />
Nacht für Nacht stranden junge Europäer (und<br />
natürlich auch viele andere Menschen, aber da-<br />
rum geht’s hier nicht) auf dem Flughafen Lon-<br />
don-Stansted, dem Hub der Billigfluglinie Ry-<br />
anair. Stansted liegt wie eine Spinne im Netz.<br />
Statt viele Direktverbindungen anzubieten,<br />
fliegt Ryanair von Flughäfen in ganz <strong>Europa</strong><br />
vor allem nach Stansted. Von dort geht es dann<br />
weiter. Auch Germanwings, Air Berlin, Buzz,<br />
go oder easyJet nutzen Stansted. Die billigsten<br />
Flüge, oft nicht mehr als dreißig Euro inklusive<br />
aller Gebühren, gehen natürlich in den späten<br />
Abend- und den frühen Morgenstunden. Da-<br />
zwischen liegen eine Nacht, sechs, sieben, acht<br />
Stunden bis es morgens weiter geht.<br />
Ruhig liegt der Flughafen da, hinter der<br />
riesigen Glasfassade ein dunkles Nichts. Ei-<br />
gentlich ist der Ort vollkommen egal, es gibt<br />
wenig Anhaltspunkte für das <strong>Land</strong>, in dem der<br />
Flughafen liegt. Die Sprache so universal wie<br />
die Wegweiser und Hinweisschilder. Der Kaffee, die Zeitung,<br />
alles wird in Euro bezahlt. STN ist vollkommen autark, eine<br />
Raumstation, eine leuchtende Blase, mitten im Nirgendwo.<br />
Der Flughafen wurde entworfen von Norman Foster, ei-<br />
nem der Vorreiter in Sachen schlichter Eleganz mittels Glas<br />
und Stahl. Von ihm ist auch das Commerzbank-Hochhaus in<br />
Frankfurt am Main und die Kuppel auf dem Reichstagsge-<br />
bäude in Berlin. Die Technik tritt im STN-Gebäude in den<br />
Hintergrund, zuerst wurde an die Passagiere gedacht, an<br />
Kommunikationsstrukturen, wie es heißt. Alles befindet sich<br />
in einer riesigen Halle, von der aus die Passagiere über lange<br />
Gänge zu den Flugzeugen gelangen. Ständig werden neue<br />
Module angebaut, neue Gänge angelegt, alles kein Problem.<br />
Es ist vor allem sehr weitläufig, sehr sauber und sehr ruhig.<br />
Der Bustransfer in die Stadt dauert rund neunzig Minu-<br />
ten, ist aber billig. Die Bahn schafft’s bedeutend schneller,<br />
ist aber teurer. Der ultimativen Fahrkomfort im Taxi kostet<br />
schon ein kleines Vermögen. Man bleibt also auf der Raum-<br />
station. Wie hunderte andere auch. Eine genaue Zahl ist<br />
schwer abzuschätzen, zu groß das Gebäude. Es können mehr<br />
LRB 2’04
als tausend sein. Längst sind alle Sitze, alle Bänke belegt. Die<br />
Rucksacktouristen packen Decken aus, Schlafsäcke, Kopfkis-<br />
sen. Bücher, MP3-Player, ein Kartenspiel. Dahinten spielen<br />
welche Gitarre, da fl iegt ein kleiner Ball durch die Luft. Für<br />
ein paar Stunden sitzen sie hier alle fest. Nicht alle schlafen.<br />
Zwei Reisende haben einen Zettel über sich an die Wand<br />
gehängt: „We’ve got 9 hours to kill, please talk to us!“ Man<br />
lernt sich kennen, schlägt die Zeit tot. Beobachtet, wie das<br />
Reinigungspersonal den Boden wischt. Den sauberen Boden<br />
noch mal wischt. Irgendwann machen die kleinen Läden zu,<br />
die Kaffeebar, der Zeitungsstand. Zeit für Skrupel.<br />
„Schnall mal nach London für neue Klamotten – kann<br />
man was dagegen haben?“ fragen der Bund für Umwelt- und<br />
Naturschutz und zahlreiche andere Organisationen auf ei-<br />
nem Flugblatt, und liefern natürlich auch gleich die Antwort<br />
mit. Wer mal eben kurz nach Mallorca jettet, erzeugt soviel<br />
Kohlendioxid, wie ein Auto über ein ganzes Jahr rauspustet.<br />
Eindringlich warnen Umweltschutzverbände vor den schäd-<br />
lichen Auswirkungen des gigantischen CO 2-Ausstoßes. Und<br />
subventioniert wird auch noch, gewerblicher Flugverkehr ist<br />
von der Mineralölsteuer, der Ökosteuer und bei internationa-<br />
len Verbindungen auch von der Mehrwertsteuer ausgenom-<br />
men. Und da ein Flugzeug auch noch einigermaßen bequem<br />
und vor allem wahnsinnig schnell ist, können Alternativen da<br />
nicht mithalten.<br />
Die Summe, die hier nicht an Steuern gezahlt wird, lässt<br />
sich ausrechnen. <strong>Das</strong> Ergebnis ist seine sehr große Zahl. Frag-<br />
lich natürlich, ob entsprechend teurere Flugtickets genau so<br />
begehrt wären. Genau darauf zielen die Umweltverbände ab.<br />
Fliegen ist billiger als Bahn fahren. Mehr Menschen können<br />
es sich leisten, quer durch <strong>Europa</strong> zu jetten, von City zu City<br />
zu hoppen. Bis 2015 soll sich das Flugaufkommen verdop-<br />
peln, sagen die Umweltschützer, zwei Drittel des Mehrauf-<br />
kommens fällt auf die Billigfl ieger.<br />
Abwägen, Ausreden suchen, das übliche Spiel mit dem<br />
Gewissen. London ist nur Zwischenstopp. Ich will ja woan-<br />
ders hin. Ich will Freunde treffen, überall in <strong>Europa</strong>. Keine<br />
Zeit für die ausgedehnte Interrail-<strong>Europa</strong>entdeckungsreise.<br />
Ohne den Billigfl ieger geht das nicht. Die Versuchung ist<br />
groß. Sehr groß, ich bin gefl ogen, ich fl iege wieder. Aber nicht<br />
als Pfadfi nder.<br />
LRB 2’04<br />
Ole Reißmann, Stamm Waldreiter<br />
Auf dem Bild: Dachkonstruktion Flughafen Stansted (pixelquelle.de).<br />
V E R E I N I G T E S K Ö N I G R E I C H<br />
Großbritannien (England,<br />
Wales, Schottland) und Nor-<br />
dirland bilden das Vereinigte<br />
Königreich. Seit 1973 sind<br />
seine 59 Millionen Einwoh-<br />
ner auch EU-Bürger. Wali-<br />
sisch und Gälisch sind neben<br />
Englisch regionale Amtssprachen. <strong>Das</strong> Staatsoberhaupt der<br />
parlamentarischen Monarchie ist Königin Elisabeth II. Die<br />
Hauptstadt London mit seinen 7,2 Millionen Einwohnern<br />
ist eines der drei wichtigsten Kultur- Handels- und Finanz-<br />
zentren der Welt. <strong>Das</strong> Königreich hat eine zerklüftete Küste<br />
und besteht zu mehr als zwei Dritteln aus Mittelgebirgen<br />
und Hochland. Im 19. Jahrhundert war das Empire vorherr-<br />
schende Weltmacht. Bekannt ist England für seine vielen<br />
Regentage, jeder zweite Tag ist rein rechnerisch bedeckt.<br />
Außerdem bekannt sind Sherlock Holmes, der Fünf-Uhr-Tee<br />
und der britische Humor (auch vertreten durch Monthy Py-<br />
thon und Mr. Bean).<br />
<strong>Das</strong> Großherzogtum mit<br />
gleichnamiger Hauptstadt<br />
wird von 451 000 Menschen<br />
bevölkert. Luxemburg ist<br />
eines der sechs Gründungs-<br />
länder der Europäischen<br />
Union. Staatsoberhaupt ist<br />
natürlich der Großherzog, ansonsten wird alle fünf Jahre<br />
das Einkammernparlament gewählt. Gesprochen wird Hoch-<br />
deutsch, Französisch und Lëtzebuergesch (Moselfränkisch).<br />
In Luxemburg leben viele Portugiesen, insgesamt 37 % der<br />
Luxemburger stammt aus einem anderen <strong>Land</strong>. Viele Eu-<br />
ropäische Organisationen sind hier angesiedelt. Luxemburg<br />
exportiert Chemie- und Metallerzeugnisse. Auch der Dienst-<br />
leistungssektor ist weit entwickelt. Aufgrund wirtschaftlicher<br />
Stabilität ist Luxemburg ein großer Bankenstandort. Im Mo-<br />
seltal wird Wein angebaut.<br />
L U X E M B U R G<br />
39
Hannes (lacht)<br />
<strong>Land</strong>esleitung privat, Folge 16: Per Telefon<br />
zu Gast in Hannes Hängematte.<br />
Hannes Clausen ist seit der <strong>Land</strong>esversammlung des letzten<br />
Jahres <strong>Land</strong>esvorsitzender und hat zuvor so ziemlich alles<br />
gemacht, was bei den Pfadfi ndern zu holen ist. Aber was tut<br />
er eigentlich, wenn er sein Tuch mal nicht umhat? Gibt es<br />
ein Leben nach der Vorstandssitzung? Und warum kann er<br />
eigentlich so gut tanzen?<br />
Guten Abend, Hannes, wobei hab’ ich dich denn gerade gestört? (Anm. d.<br />
Red.: Hannes und Interviewerin Miri wohnen 300 Kilometer voneinander<br />
entfernt, der Klönschnack fand deshalb über Telefon statt.)<br />
Moin! Also, so richtig gestört hast du mich nicht, wir haben<br />
uns ja schließlich verabredet! Aber ich habe gerade die Lan-<br />
des-Homepage aktualisiert, bin ja auch Webmaster. Und<br />
E-Mails hab ich beantwortet, mein PC ist nämlich nach einer<br />
Explosion zum Glück wieder heil, und jetzt hab ich da einiges<br />
nachzuholen.<br />
Oha, aber du hast hoffentlich alles Wichtige retten können von deinen<br />
Dateien?<br />
Ja, da bin ich auch sehr froh drüber, ohne das Ding wäre<br />
ich ziemlich aufgeschmissen! Da hab’ ich alles drauf, bin ein<br />
Freund des digitalen Speichers …<br />
Dann nehme ich mal an, dass du in deinem Arbeitszimmer sitzt. Beschreib<br />
das doch mal für die werte LRB-Leserschaft!<br />
<strong>Das</strong> ist ja genau genommen mein Schlaf- und Arbeitszimmer,<br />
aber das ist ja das Gleiche (lacht). <strong>Das</strong> ist aber gar nicht mein<br />
Lieblingszimmer, ich möchte lieber mein Wohnzimmer be-<br />
schreiben.<br />
Dann beschreiben sie doch einfach mal, Herr Cheffe!<br />
LRB 2’04
Also, in meinem Wohnzimmer bin ich am liebsten, da lieg’ ich<br />
gern in der Hängematte, um Musik zu hören und zu lesen.<br />
Und um in die Glotze zu gucken?<br />
Nee, so viel Fernsehen schau’ ich gar nicht. Nur manchmal<br />
zum Essen, das ist sonst ja langweilig, so in einem Single-<br />
haushalt (lacht).<br />
<strong>Das</strong> stimmt wohl. Aber sag mal, bevor wir noch weiter über dein Privat-<br />
leben sprechen – einen Abstecher zu den Pfadfindern müssen wir schon<br />
machen. Jetzt alles aufzuzählen, was du schon gemacht hast, würde wohl<br />
noch bis morgen früh dauern, aber erzähl doch mal, was dir bisher am<br />
meisten Spaß gemacht hat!<br />
Oh, da muss ich überlegen. (Überlegt sehr lange.) <strong>Das</strong> ist<br />
schwer, kann ich gar nicht so sagen, mir hat eigentlich fast<br />
immer alles Spaß gemacht. Aber vielleicht solche Aktionen<br />
wie das <strong>Land</strong>espfingstlager 2002, SFT/KfG, das letzte Bun-<br />
deslager … Ob mir etwas Spaß macht oder nicht, hängt im-<br />
mer sehr von den Leuten ab, die mitmachen. Ich kann mich<br />
sogar bei Vorstandssitzungen totlachen, weil wir zurzeit so<br />
ein schönes Team sind, das ich sehr mag.<br />
Und hast du dir schon weitere Ziele gesetzt – was kommt in der Pfadfin-<br />
derkarriere nach dem Amt des <strong>Land</strong>esvorsitzenden?<br />
Ich glaube, dieser Posten reicht erstmal (lacht). Aber wie<br />
gesagt, das hängt eben immer alles sehr von den Leuten ab,<br />
mit denen ich zusammenarbeiten könnte. <strong>Das</strong> kann ich jetzt<br />
deswegen noch gar nicht so sagen.<br />
Und wie verdienst du dir deine Brötchen? <strong>Das</strong>s du inzwischen Diplom-Psy-<br />
chologe bist, wissen ja einige, aber was machst du eigentlich genau?<br />
Ich bin im Moment Doktorand und wissenschaftlicher Mit-<br />
arbeiter an der Uni-Klinik in Kiel. Da arbeite ich seit einem<br />
Jahr an einem Forschungsprojekt mit, und ich denke, dass<br />
ich nächstes Jahr meinen Doktor fertig habe … Außerdem<br />
gebe ich nebenbei noch Seminare, zum Beispiel beim Kreis-<br />
jugendring Rendsburg-Eckernförde oder an der Uni in Ham-<br />
burg.<br />
Mensch, das ist ja ’ne ganze Menge. Und das noch mit der vielen Pfadfin-<br />
derarbeit, wird das nicht irgendwann mal etwas zu viel?<br />
Nee, ich fühl’ mich wohl so. Ich bin jemand, der immer ne-<br />
benbei noch etwas Anderes machen muss, und das gefällt mir<br />
auch. Ich mag Herausforderungen und brauche auch oft ein<br />
volles Programm. Ich glaube, da habe ich diese typisch deut-<br />
sche Mentalität, möglichst fleißig zu sein (lacht). Aber ich hab<br />
inzwischen gelernt, Grenzen zu ziehen und sag’ auch oft mal<br />
„nein“ zu einem Angebot oder zu einer Aktion. Außerdem<br />
gleicht sich das alles aus: <strong>Das</strong> Grübeln und das Theoretische<br />
LRB 2’04<br />
im Beruf bringen mir Spaß, und die Seminare und Pfadfin-<br />
derarbeit sind dann die perfekte praktische Ergänzung.<br />
Dann sind wir ja beruhigt. Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen,<br />
Psychologie zu studieren, da sind doch hoffentlich nicht die Pfadfinder<br />
dran schuld, oder?<br />
(Lacht) Doch, sind sie! Ich war als Pfadfinder bei einem<br />
Lehrgang in Rendsburg und hatte da Kontakt zu Pädagogen<br />
und Psychologen. Danach war mein erster Wunsch sofort,<br />
Sozialpädagoge zu werden. Aber ich hab’ mich dann doch<br />
lieber für Psychologie entschieden, das ist mehr etwas zum<br />
Nachdenken als zum Anwenden.<br />
Okay, das ist ja alles schön und gut. Aber wir sind ja hier bei „LL privat“<br />
– wie findet man denn eine Freundin, wenn man ihr andauernd erklären<br />
muss, dass man mal wieder auf einen aufs Pfingstlager fährt oder sich die<br />
Nächte mit Vorstandssitzungen um die Ohren schlägt?<br />
Na ja, es ist natürlich schon von Vorteil, wenn die Freundin<br />
auch bei den Pfadfindern ist, denn die sind mir wichtig im<br />
Leben. Die Pfadfinderei hat mich schon geprägt, und das ist<br />
dann wohl schwierig nachzuvollziehen, weshalb ich so viel<br />
Zeit und Arbeit da hineinstecke, wenn man das nicht kennt.<br />
Und wie sieht es im Moment bei dir aus? Hast du jemanden gefunden, die<br />
das nachvollziehen kann?<br />
Ja, hab’ ich! Meine Freundin heißt Wibke und wohnt auch<br />
in Hamburg, aber ich hab sie ausnahmsweise nicht bei den<br />
Pfadfindern kennen gelernt – allerdings ist sie beim Jugend-<br />
bund Hamburg, also ist ihr die Pfadfinderschiene zum Glück<br />
nicht fremd (lacht). Kennen gelernt hab’ ich sie in der Uni,<br />
und wir haben uns unter dem Vorwand, dass wir uns über<br />
Jugendarbeit austauschen wollen, getroffen …<br />
Also doch wieder: das Ehrenamt als Anmachhilfe … <strong>Das</strong> macht allen<br />
LRB-Lesern Mut! Aber sag mal, wie kann man sich eigentlich ein Wo-<br />
41
chenende ohne Arbeit und Pfadfi nderei bei dir vorstellen? Gibt es so was<br />
überhaupt?<br />
Oh ja, das gibt’s! Letztes Wochenende zum Beispiel war ich<br />
mit Wibke am Strand in Travemünde, mit lecker Eis essen.<br />
Und ich grill’ auch manchmal mit meinen Nachbarn hier, das<br />
ist immer sehr nett. Und am Ersten Mai war ich in der Disco,<br />
tanzen.<br />
Oha, Hannes als Discotänzer? Schwingst du regelmäßig das Tanzbein?<br />
Jo! Am liebsten geh’ ich hier in Hamburg in die Minibar und<br />
ins Molotow.<br />
Wenn man sich in deinem Wohnzimmer umschaut und z. B. die Fotos aus<br />
Ecuador sieht, merkt man, dass du gerne reist. Welche Ziele reizen dich<br />
denn noch besonders?<br />
Mein letzter Urlaub ging nach Marokko, und ich könnte mir<br />
gut vorstellen, mal nach Chile zu fahren. Ich fi nde Südame-<br />
rika faszinierend, die Mentalität und die Kultur gefallen mir<br />
total, die Natur, das Kunsthandwerk, die Musik … (Hannes<br />
gerät ins Schwärmen.)<br />
<strong>Das</strong> hört sich ja richtig sehnsüchtig an – kannst du dir vorstellen, mal in<br />
Südamerika zu leben?<br />
Ich habe schon so eine Spinnerei, in den nächsten Jahren mal<br />
ins Ausland zu gehen, hier ist das Leben so hektisch. Schön<br />
wäre es, irgendwo zu sein, wo es warm ist, zum Beispiel in die<br />
USA oder nach Australien … Mein Bruder ist nach England<br />
gezogen, und das bewundere ich sehr, sich völlig auf eine<br />
andere Kultur einzulassen. Ich glaub’, ich würde aber wieder<br />
hierher zurückkommen.<br />
Also kein Alterswohnsitz in Südamerika?<br />
Nee, das wäre ja kompliziert mit der Rente!<br />
Dann bin ich ja froh, dass du uns erstmal noch erhalten bleibst! Vielen<br />
Dank für das Gespräch!<br />
42<br />
Miriam Sandabad, Stamm Kolibri<br />
Die Insel Zypern ist geteilt<br />
in den türkischen Norden<br />
und den griechischsprachi-<br />
gen Süden. Nur der südliche<br />
Teil ist seit Mai Mitglied der<br />
Europäischen Union. Bei ei-<br />
nem Volksentscheid stimmte<br />
die Mehrheit der griechischsprachigen Zyprioten gegen eine<br />
Wiedervereinigung Zyperns, während der türkische Norden<br />
dafür war. In der Präsidialrepublik leben 804 000 Menschen,<br />
davon 80 % Griechenzyprioten und 20 % Türkischzyprioten.<br />
Frühling und Herbst sind kurz, der Sommer dafür umso län-<br />
ger. Im Winter lässt sich auf Zypern Ski fahren, im Sommer<br />
kann gewandert werden.<br />
Malta teilt sich auf in drei<br />
Inseln im Mittelmeer: Gozo,<br />
Comino und Malta. In Malta<br />
leben so viele Menschen wie<br />
in Kiel und Lübeck zusammen<br />
minus Pinneberg, also rund<br />
400 000. Gesprochen wird<br />
Z Y P E R N<br />
M A L T A<br />
Maltesisch, eine dem arabischen ähnliche Sprache. Aufgrund<br />
der britischen Besatzung und vielen Emigranten aus Sizilien<br />
und Italien sprechen die meisten Malteser auch Englisch und<br />
Italienisch. Der größte Arbeitgeber ist die zweitgrößte Werft<br />
<strong>Europa</strong>s, daneben lebt Malta von europäischen Firmen, die<br />
hier aufgrund von Steuervorteilen produzieren (Playmobil,<br />
Rodenstock) und traditionell von Fischerei, <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
und Tourismus: Einerseits eine reizvolle <strong>Land</strong>schaft, ande-<br />
rerseits aber alte Bauten, die dem UNESCO-Weltkulturerbe<br />
angehören und Maltas aufregende Geschichte dokumentie-<br />
ren: Römer, Araber, die Kreuzritter vom Jonhanniter-Orden,<br />
Franzosen und Briten, sie alle hielten die Inseln einmal be-<br />
setzt, bis sie schließlich 1964 unabhängig wurden.<br />
LRB 2’04
Öffne die Augen<br />
Kinderkram oder Fremdenfeind? Drei kurze Besuche auf deutschen Schulhöfen.<br />
LRB 2’04<br />
Ein Jungenklo an einer Hauptschule in Wedel.<br />
Zweite große Pause. Benni und Tim rauchen heimlich<br />
die Zweite-große-Pause-Zigarette.<br />
T I M . Mann, Mathe hat eben echt wieder genervt. Wenn der<br />
Poller die Arbeit wirklich so krass macht, dann kack ich ab!<br />
B E N N I . Alter, heul nicht so rum, dann schreiben wir eben<br />
vom Karsten ab, der peilt das doch eh nicht, und der Poller<br />
erst recht nicht.<br />
T I M . Hast ja recht. Ey, haste gemerkt, wie Karsten heute<br />
wieder rumgeschleimt hat? „<strong>Das</strong> heißt aber Pythagoras, nicht<br />
Pytoguras“ … Wenn ich den schon sehe, das Weichei – tota-<br />
ler Arschkriecher! Der wartet auch immer nach Bio auf die<br />
Schultze und zeigt ihr seine Hausaufgaben oder so’n Scheiß.<br />
B E N N I . Ich hab den letztens mit seiner Mutter beim<br />
Einkaufen gesehen. So sieht der auch aus, wie ’n richtiges<br />
Muttersöhnchen!<br />
T I M . Und mit Cihan und Timur hängt der auch manchmal<br />
rum und schleimt sich an die ran, von wegen Hausaufgaben<br />
erklären und so …<br />
B E N N I . Na, die haben das ja aber auch nötig, verstehen<br />
doch eh nichts, immer nur Döner, Döner …<br />
T I M . Da ist mir sogar der Schleimer Karsten noch lieber<br />
als die beiden Türken. Die tun so, als ob sie was Besonderes<br />
wären mit ihrem Stotterdeutsch.<br />
B E N N I . Mein Vater sagt immer, die nehmen einem die<br />
Arbeit weg und schnorren sich nur durch – kann ich mir bei<br />
denen auch gut vorstellen …<br />
Szenenwechsel.<br />
Ein Klassenzimmer in einer Gesamtschule in Essen.<br />
Die Lehrerin stellt eine neue Schülerin vor.<br />
F R A U D O R P . So, das hier ist Kalina, sie ist gerade aus<br />
Stettin hierher gekommen und kann deshalb noch nicht so<br />
gut Deutsch. Helft ihr doch ein bisschen, vielleicht kann sie<br />
euch dafür ja ein bisschen Polnisch beibringen.<br />
K I R A . (leise) <strong>Das</strong> ist ’ne Polin? Die hab’ ich mir immer ganz<br />
anders vorgestellt. So blass und mit Straßenköterhaaren …<br />
L O U I S E . Na ja, vielleicht hat sie ja Verwandte in Schweden<br />
oder so. Die blonden Haare finden Philipp und die anderen<br />
bestimmt wieder toll …<br />
K I R A . Na super, erst sollen wir ihr Deutsch beibringen, weil<br />
sie zu blöd ist, um es selbst zu lernen, und dann schnappt sie<br />
uns auch noch die Jungs weg, oder wie? Warum ist die über-<br />
haupt hergekommen? Soll sie doch in Polen bleiben. Gibt’s<br />
da keine Schulen, oder wie?<br />
L O U I S E . Jetzt, wo Polen auch zu <strong>Europa</strong> gehört, kommen<br />
die doch alle hierher, haben meine Eltern letztens noch ge-<br />
sagt bei den Nachrichten. Kein Wunder, ich würde da drüben<br />
auch nicht bleiben wollen! Da gibt es doch echt nix.<br />
K I R A . Nee, da wird man nur beklaut! Hoffentlich zockt uns<br />
die Tusse hier nichts weg, sonst werd’ ich echt wild.<br />
Szenenwechsel.<br />
Ein Schulhof in einer Realschule in Freiburg.<br />
In der Geschichtsstunde sollen Referate verteilt werden.<br />
H E R R M E Y E R . Dann wäre ja nur noch das Thema „Wi-<br />
derstand“ übrig. Wer möchte das denn übernehmen? Nele<br />
und Giulia vielleicht?<br />
N E L E . (leise) Nee, das kann der sich abschminken, mit der<br />
mach’ ich das nicht zusammen! Dann kommt sie wieder an<br />
und will mich zu sich nach Hause einladen, schöne Scheiße,<br />
mit ihrem Knoblauchgestank.<br />
H E R R M E Y E R . Was hast du gesagt, Nele? Lauter, ich<br />
kann dich nicht verstehen, du musst schon die Hand vom<br />
Mund nehmen.<br />
N E L E . Ich hab’ gesagt, dass ich kein Referat mit der da zu-<br />
sammen machen will.<br />
H E R R M E Y E R . Aber weshalb denn? Ihr müsst ja keine<br />
beste Freundinnen sein, so ein Referat ist doch nichts Gro-<br />
ßes.<br />
N E L E . Mit der will ich auch gar nicht befreundet sein, dann<br />
dauert das ja ewig, bis man mal was schafft, so viel, wie die<br />
redet. Außerdem, wieso soll ich ausgerechnet mit ihr was zu<br />
„Widerstand“ machen, die Italiener haben doch auch ganz<br />
schön mitgemischt mit ihrem Mussolini. Da kann sie ja mal<br />
von erzählen, weiß sie doch bestimmt ganz gut!<br />
Miriam Sandabad, LB Wölflinge,<br />
43
<strong>Das</strong> Abendprogramm: Orcé (im schlecht sitzenden Anzug) gibt Nachhilfeunterricht<br />
in Sachen Gutes Benehmen.<br />
So wird das gemacht<br />
„Unüberwundbar – Menschen mit Behinderungen“ hieß das Thema der 52. <strong>Land</strong>esversammlung,<br />
das in großen Lettern über der Bühne prangte.<br />
Gegenrede und Geschäftsordnungsantragantrag, Sitzungs-<br />
unterbrechung, geheime Wahl, persönliche Stellungnahme,<br />
die Liste ließe sich fortsetzen: Wo so viele engagierte Ehren-<br />
amtliche aufeinander treffen, mit viel Elan, mit vielen Ideen,<br />
da fliegen mitunter die Fetzen, nicht einmal Jugendverbände<br />
bleiben davon verschont. Meinungsverschiedenheiten blei-<br />
ben nicht aus, es wird vordergründig diskutiert, im Hinter-<br />
grund werden die Mehrheiten organisiert.<br />
Die <strong>Land</strong>esversammlung im malerischen <strong>Schleswig</strong> (3.–4.<br />
April) hingegen hat wieder einmal gezeigt, wie die jungen und<br />
schönen Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus dem <strong>Land</strong>esver-<br />
band <strong>Schleswig</strong>-Holstein/Hamburg so eine Vereinssitzung<br />
gestalten. Keine Skandale, keine endlosen Diskussionen um<br />
sinnentleerte Worthülsen. Stattdessen Sorgfalt und Ernst, wo<br />
sie geboten waren, und ansonsten heiter bis freundlich.<br />
Bis auf die findige Frage, ob eine Enthaltung auch wirk-<br />
lich eine Enthaltung sei – oder vielleicht doch eine Ja- oder<br />
Nein-Stimme. Es folgten zahlreiche Wortmeldungen von<br />
ausgefuchsten Enthaltungsexperten, was natürlich darauf<br />
44<br />
Der <strong>Land</strong>esvorsitzende Hannes Clausen (rechts) begrüßt die neuen Mitglieder<br />
der <strong>Land</strong>esleitung: Silvie Zett, Tine Maaß und Hulle Hilbert.<br />
zurückzuführen war, dass Versammlungsleiter Matthias Pie-<br />
per dem eifrigsten Redner ein Wochenende in der „Pension<br />
Pieper“ in Aussicht gestellt hatte. Herzlichen Glückwunsch<br />
an Axel Neumann, der die Ehre hat, sich in dem feudalen<br />
Anwesen zu vergnügen.<br />
Matthis (LB Wölflinge), Küken (LB Pfadfinder) und Male<br />
(LB Ranger/Rover) sind nach mehrjähriger Tätigkeit von<br />
ihren Posten zurückgetreten, arbeiten aber weiter in den<br />
Stufenteams mit. Die Versammlung dankte ihnen für ihr<br />
Engagement mit endlosen Ovationen. Tine Maaß (Stamm<br />
Geisterburg) kümmert sich nun mit Jonathan um die Pfad-<br />
finderstufe, Silvie Zett (auch Stamm Geisterburg) packt zu-<br />
sammen mit Miri bei den Wölflingen an.<br />
Als neue Stammesführer wurden bejubelt: Sandra Ritter<br />
(Stamm Janus), Holger Behrens (Stamm Waldreiter), Timo<br />
Barfknecht (Kolibri), Lea Heldt (Stamm Domzoo), Timo Zett<br />
(Stamm Geisterburg), Thomas Schönherr (Stamm Betei-<br />
geuze), Axel Neumann (Stamm Möwe) und Julius Wenzel<br />
(Stamm Sachsenwald). Mit diesen Personalien zementierte<br />
LRB 2’04
Willkommens-Geschenke für die neuen Stammesführungen. <strong>Land</strong>esschatzmeister Martin ist geschafft: Die Kasse stimmt, die Zuschüsse<br />
werden knapper, dem Haushalt fehlt das Geld.<br />
der <strong>Land</strong>esverband endgültig seinen Ruf, der jüngste im<br />
ganzen Bund zu sein. Einige aufstrebende Persönlichkeiten<br />
haben wir bereits im letzten LRB vorgestellt, einige kommen<br />
in diesem Heft zu Wort.<br />
Neben der formvollendeten Vereinsmeierei galt es, das<br />
<strong>Land</strong>estreffen zu feiern und zu nutzen. In Arbeitsgruppen<br />
zur <strong>Land</strong>esaktion „Unüberwundbar“ wurden die Sinne aus-<br />
getestet. Abends dann lockten Jean-Luc und Orcé zu einem<br />
französischen Abend im großen Stil. Essmanieren, Tanzstil,<br />
vollendete Liebesbriefe und die Auswahl der richtigen Gar-<br />
derobe standen auf dem Prüfstand. Zu später Stunde gab<br />
es dann sowohl die große, derbe Singerunde als auch den<br />
besinnlichen Jurtenabend mit Kulturprogramm.<br />
Zahlreiche Aktionen auf <strong>Land</strong>es- und Bundesebene wur-<br />
den vorgestellt, eine Idee spannender und interessanter<br />
als die andere. Die Delegierten stöhnten beim Blick in den<br />
prallen Terminkalender: So viel zu erleben, so wenig Zeit.<br />
Besonders das Kooperationsprojekt „Entdecke die Macht“<br />
im September, ein Beitrag zur politischen Bildung, sei hier<br />
genannt. Oder die <strong>Land</strong>essippenaktion „Meilz & Moor“. Am<br />
Rande der Versammlung wurde das Erscheinen des zweiten<br />
Wulfs mit (Kinder-) Sekt begossen.<br />
Der neue Film von Roger Moore über den Plan des plan-<br />
losen Dr. Erichsen, der in gewohnt fachmännischer Manier<br />
über Glasbodenboote, Whale-Watching, Wasserskianlagen<br />
LRB 2’04<br />
und anderweitige großräumige Planungsvorhaben vor Ort im<br />
Wackener Moor dozierte („<strong>Das</strong> muss alles weg“), rief wech-<br />
selseitig große Heiterkeit und Irritation über die Zurech-<br />
nungsfähigkeit des wagemutigen Zollstockhalters hervor.<br />
Da dieser Bericht sich streng am Schulaufsatz orientiert,<br />
kommen wir chronologisch korrekt nun langsam zum Ende<br />
der <strong>Land</strong>esversammlung und schließen mit einem Fazit, das<br />
es in sich hat. Alles in allem eine angenehme, vielseitige, hu-<br />
morvolle und impulsgebende Veranstaltung, die beim nächs-<br />
ten Mal ähnlich entspannt und locker abläuft. Oder wie Dr.<br />
Erichsen sagen würde: „’ne feine Sache“"<br />
Lucky Leder und sein dummer Hund<br />
(der Redaktion bekannt)<br />
Versammlungsleitung: Ben und Pieper behalten den Überblick.<br />
45
Kalt war’s auch<br />
Für den Draußenschlafenkurs KfS machten sich Team und<br />
Teilnehmer auf Richtung Zakopane, auch nach Polen.<br />
LRB 2’04
Endlich geht es los! Abfahrt an einem Freitagabend im März<br />
vom Hamburger Hauptbahnhof. Mit 25 Teilnehmern. Die<br />
meisten von uns kannten sich noch nicht, aber schon auf<br />
dem Berliner Ostbahnhof teilten uns die Teamer in Kurs-<br />
sippen ein. Die Fahrt mit dem polnischen Zug war schon<br />
ein Abenteuer für sich: Es gab kein Wasser, und durch die<br />
engen Gänge passten wir mit unseren sperrigen Rucksäcken<br />
kaum durch. Am Samstagmorgen, noch im Zug, startete das<br />
Programm, und nach mehr als zwanzig Stunden kamen wir<br />
endlich in Zakopane an.<br />
Nachdem wir am Sonntag und Montag einige Kurseinhei-<br />
ten zum Thema Fahrt, Recht und Finanzen und Erster Hilfe<br />
absolviert hatten, gingen wir Dienstagmittag auf Fahrt. Die<br />
Teamer hatten ein Gebiet ausgesucht, in dem wir ständig<br />
durch tiefen, matschigen Schnee stapfen mussten. So waren<br />
wir ziemlich alle, am Ende suchten nur noch Peter und Hen-<br />
drik nach einem Schlafplatz. Währenddessen packten Dörty,<br />
Aycke und ich uns in den Schnee und aßen und spielten. Aber<br />
die Jungs hatten einen prima Schlafplatz gefunden und wir<br />
konnten am Mittwoch ausgeruht weiterziehen – mit dem<br />
Bus. Abends kamen wir zusammen mit der Sippe „Eistee mit<br />
Schuss“ in dem für uns reservierten Hostel in einem Natio-<br />
LRB 2’04<br />
nalpark mit grandiosem Ausblick an. Füße eiskalt, abgefro-<br />
rene Finger, aber Stimmung okay. Am dritten Tag war die<br />
Fahrt zu Ende und wir – die Bergbratzen – kamen mittags als<br />
Erste wieder am Lagerplatz an. Abends stellten alle Sippen<br />
ihre dicke Fahrt mit lustigen Darbietungen vor. Während<br />
unserer Abwesenheit war der Schnee geschmolzen, so dass<br />
unsere Kohten unter Wasser standen. Unser toller Sippenpa-<br />
te Mobby hat alles für uns trockengelegt, aber leider hatten<br />
wir nur noch eine Nacht im Zelt. Der nächste Tag war schon<br />
der letzte. Wir bauten ab, packten unsere Sachen zusammen<br />
und stiegen gegen Mittag in den Zug nach Hause. Die erste<br />
Etappe legten wir zusammen mit den Polen zurück, denn ihre<br />
Woche war ja auch um. Mitten in der Nacht trennten sie sich<br />
von uns.<br />
Am Samstag kamen wir alle müde und kaputt in Hamburg<br />
an, wo wir uns nach einem gemeinsamen Abschlusskreis<br />
trennten und alle in ihre Richtungen weiterfuhren. Ich fand<br />
diese Woche anstrengend, aber spitze, weil ich viel über<br />
Fahrten gelernt habe und ganz viel liebe und nette Leute ken-<br />
nen gelernt habe, die ich hoffentlich bald mal wiedersehe.<br />
Alina Lewanczik (Risa)<br />
47
Belgien, 10,3 Millionen Ein-<br />
wohner, ist Gründungsmit-<br />
glied der Europäischen Uni-<br />
on. <strong>Das</strong> Staatsoberhaupt der<br />
konstitutionellen Monarchie<br />
ist König Albert II. Neben<br />
Flämisch (Niederländisch)<br />
wird Französisch und Deutsch gesprochen. Der Fluss Maas<br />
teilt Belgien in zwei Hälften: Im Norden liegt das Flachland,<br />
im Süden erstrecken sich die Ardennen. <strong>Das</strong> Klima ist gemä-<br />
ßigt, ähnlich wie in Deutschland. Der Nordwesten grenzt an<br />
die Nordsee, im Nordosten steigt das <strong>Land</strong> allmählich an. Der<br />
Botrange im Osten, nahe der Grenze zu Deutschland, ist die<br />
höchste Erhebung Belgiens mit 694 Metern. <strong>Das</strong> Wahrzei-<br />
chen Belgiens, das Atomium (siehe Bild unten), ist in Brüssel<br />
für die Expo 1958 erbaut worden und steht dort immer noch.<br />
Brüssel ist außerdem das „Herz <strong>Europa</strong>s“: Hier haben die<br />
Europäische Kommission und die NATO ihren Sitz. Belgien<br />
ist aber auch für seine Waffeln, feine Schokolade, Fritten, die<br />
Schlümpfe, Tim und Struppi und sein Bier berühmt – und<br />
nicht zu vergessen die beliebte Statue „Männeken Pis“.<br />
48<br />
B E L G I E N<br />
ja/nee Ja/nein<br />
Pardon/excuseerd Entschuldigung<br />
Bedankt Danke<br />
Dag Guten Tag/Hallo<br />
Gezondheid! Gesundheit!<br />
Goede reis! Gute Reise!<br />
Wij hebben ’n plezanten dag gehad. Wir haben einen schönen Tag gehabt.<br />
Is er een vegetarisch gerecht? Gibt es ein vegetarisches Gericht?<br />
Het was heel lecker <strong>Das</strong> war echt lecker!<br />
Kunt gij dat als cadeau inpakken?<br />
Könnten Sie mir das als Geschenk<br />
einpacken?<br />
Grundkurs<br />
Eine kleine Impression vom diesjährigen<br />
Grundkurs Nord.<br />
Wie schon in den letzten Jahren fand der Grundkurs Nord<br />
auch dieses Mal wieder in Barmstedt statt. Also kehrten ei-<br />
nige Geisterburger der Schule den Rücken, schulterten ihre<br />
Affen und machten sich auf den Weg zur Jugendbildungs-<br />
stätte. Mit dabei waren Thorge, Frauke, Katie, Maiken,<br />
Timo, Tanja, Mel, Benni und Simon. Insgesamt brachte der<br />
Kurs den meisten von uns lehrreiche und schöne Tage, ob-<br />
wohl Mel, Benni und Simon leider schon zwei Tage früher<br />
fahren mussten. Um Euch einen Einblick in einen Kurstag<br />
zu geben, verfasste Timo die folgenden Zeilen.<br />
Ich sitze jetzt zum zweiten Mal auf diesem Kurs in der<br />
abendlichen Singerunde. Die ersten fl üchtigen Bekannt-<br />
schaften werden besser, will sagen: Man kennt die wich-<br />
tigsten Namen und spricht sie auch richtig aus. Neben mir<br />
sitzt zum Beispiel Nicklas aus meiner Runde, der gestern<br />
auch mit am längsten wach war.<br />
Die Kurseinheiten für die einzelnen Stufen haben erst<br />
heute Abend angefangen. War zwar alles noch etwas<br />
zurückhaltend, aber ganz nett. Der Vormittag war dem<br />
Wochenprojekt gewidmet, heute Mittag haben wir erst<br />
ein bisschen rumgekuschelt, danach war ich dann in der<br />
Aktivzeit im Schlamm Rugby spielen. Meine Runde nimmt<br />
am Schokoladen-Projekt teil und auch über die Pädagogi-<br />
sche Konzeption wurden wir schon informiert.<br />
Es sind alle noch ein bisschen fremd, obwohl man, wie<br />
gesagt, hier und da schon Fortschritte macht …<br />
“… a weak arm or a strong for to draw …”<br />
Simon legt die Trommel weg, aber der Gesang klingt<br />
echt knackig. Gute Nacht oder schönen Abend noch.<br />
LRB 2’04
Liebeslustundlachgedichte<br />
Wieder stellen wir ein aktuelles Buch eines Pfadfinders vor. Jan Kaiser schreibt<br />
lustige und charmante Lyrik. Die LRB-Buchsprechung.<br />
„Meine liebe Ingeborg, / ich vermiss dich sehr / Wenn man<br />
doch auf Bohrinseln / nicht so einsam wär! / Ich trag hier<br />
einen gelben Helm / und polier die Pumpen. / Die Kollegen<br />
lachen oft, / die könn’ mich mal, die Lumpen.“<br />
Herzschmerz live von der Bohrinsel – wen berührt so<br />
etwas nicht? Egal ob Liebesleiden oder ein Gespräch am<br />
Kaffeetisch: Wenn man will, reimt sich alles, und Jan Kaiser<br />
schafft es mit feinem Humor, daraus<br />
charmante Geschichten zu machen.<br />
Für jede passende oder gern auch<br />
unpassende Situation im Leben hat<br />
er etwas bereit; sei es zum politischen<br />
Weltgeschehen wie in „Augenbrauen<br />
oder Reim über die ökonomische Not-<br />
wendigkeit der Stabilität einer euro-<br />
päischen Einheitswährung, gedichtet<br />
zu Regierungszeiten von Herrn Dr.<br />
Helmut Kohl (CDU)“ oder zu den in-<br />
timen Gedanken eines Bademeisters:<br />
„Selbsterkenntnis am Beckenrand:<br />
(…) Ich gleiche den Göttern, auf kurz<br />
oder lang / (Gnädiges Fräulein, es<br />
herrscht Kappenzwang!) / wird man<br />
mir steinerne Denkmäler bauen. / (Die Herren hier rechts<br />
und dort drüben die Frauen!)“<br />
Zentral natürlich auch in „Wie Schwech und Pefel“ das<br />
große Thema aller Dichter seit Menschengedenken: die<br />
Liebe. Ihr widmet Jan Kaiser gleich die Hälfte seines Ge-<br />
dichtbands, und dies begründet er im Vorwort selbst auch<br />
ganz ehrlich und überzeugend: „Und ist es nicht tatsächlich<br />
immer die Liebe, das alte Haus, die den Dichtern die Feder<br />
führt? Diese ursprünglichste und stärkste aller Kräfte,<br />
mächtiger als ein übellauniger Vulkan und inbrünstiger als<br />
eine kalbende Nilpferdkuh? Ich denke schon.“<br />
Beispiele und Anekdoten aus der Tierwelt findet man bei<br />
Jan Kaiser ebenfalls zahlreich, also werden Schwöpse erfun-<br />
den und Hühner in die Suppe gesteckt, und der Wissenschaft<br />
und altklugen Literaten setzt er schnodderige Nonsensreime<br />
LRB 2’04<br />
entgegen, die doch irgendwie immer ein bisschen Wahrheit<br />
tragen.<br />
Da mag es einige geben, die sagen, diese Reimerei sei<br />
albern und überflüssig, wahre Gedichte müssten Dramatik<br />
und Tiefgang haben – der Originalität Jan Kaisers tut das<br />
keinen Abbruch. Liebesschwärmerei und Herzschmerz wer-<br />
den ironisch durch den Kakao gezogen, die Pointen gehen<br />
zwar manchmal unter die Gürtellinie,<br />
aber fast immer findet der Leser eine<br />
Situation, die ihm bekannt vorkommt.<br />
Und merkt: Mit einem feinen Reim<br />
sieht das alles gar nicht mehr so wild<br />
aus – oder dann erst recht.<br />
Angst vor Interpretationsdiskus-<br />
sionen braucht Ihr jedenfalls nicht<br />
haben: Auf die im Deutschunterricht<br />
sehr beliebte Methode „Gedichtana-<br />
lyse“ legt Kaiser keinen gesteigerten<br />
Wert, während seiner Schulzeit be-<br />
hauptete er stets, die Dichter dachten<br />
sich nichts bei ihrem Werk oder haben<br />
„sich vollaufen lassen wie ein Eimer<br />
und im Suff diese paar sinnlosen Zei-<br />
len auf einen Streifen Klopapier gekliert“.<br />
Lyrik also mal anders lesen, Gedichte und Lebensweis-<br />
heiten zum Lachen anstatt bedeutungsschwere „Ahas“ und<br />
Stirngerunzel. Poesie zum Anfassen, denn Jan Kaiser ist<br />
auch den Pfadfindern nicht fremd: Als „alter Hase“ vom<br />
Stamm Kolibri las er beispielsweise auf dem Hamburger<br />
Singewettstreit dieses Jahres vor einem überfüllten Audi-<br />
max aus seinem Buch – die Lacher waren auf seiner Seite.<br />
Miriam Sandabad, LB Wölflinge,<br />
Stamm Kolibri<br />
„Wie Schwech und Pefel“ von Jan Kaiser (der nette Mensch<br />
auf dem Foto), mit Illustrationen von Rudi Hurzlmeier,<br />
Knaur Verlag, 160 Seiten, 10 Euro.<br />
49
Roland Fiedler erklärt den Delegierten der 31. Bundesversammlung in Immenhausen das Konzept des Lagerladens. <strong>Schleswig</strong>-Holstein/Hamburg sitzt rechts in der<br />
ersten Reihe. Am Tisch in der Mitte Christian Rave (Versammlungsleitung), darüber: Axel, Sandra, Lea, Silvie, Hannes, Mobby, Orke und Ole.<br />
Gut, gesund, genussvoll<br />
Die Bundesversammlung unterstützt das Konzept des Lagerladens. In Wolfsburg<br />
wird 2005 ökologisch, vollwertig und preisbewusst gegessen.<br />
<strong>Das</strong> Bundeslager in Wolfsburg rückt immer näher, die Pla-<br />
nungen nehmen Gestalt an, der Sanitätsdienst diskutiert<br />
die Praxisgebühr, der Programmarbeitskreis will T-Shirts<br />
für alle, Luftbilder des Lagerplatzes werden verteilt. Auf der<br />
zweiten, der „richtigen“ Bundesversammlung 2004, wurden<br />
die Delegierten über den Stand der Planungen informiert,<br />
die Unterlagerleitungen bekamen konkrete Fakten mit nach<br />
Hause. Und es galt, über einen Antrag zu entscheiden.<br />
„Antrag. Die Regelung des Lagerladens und der Verpfle-<br />
gung (soll Bestandteil des Bundeslagerbeitrags werden), ein<br />
Beschluss der 29. Bundesversammlung, wird aufgehoben.<br />
Jedem Stamm muss die Möglichkeit zum selbstständigen<br />
Einkaufen gegeben werden. Wir begrüßen die Idee eines La-<br />
gerladens, sprechen uns aber eindeutig gegen einen Pflicht-<br />
50<br />
beitrag aus. <strong>Land</strong>esverband Rheinland-Pfalz/Saar.“<br />
Dunkle Erinnerungen werden wach. Der nicht immer<br />
unkomplizierte Globokauf mit seinem nicht immer optima-<br />
len Sortiment. Die schwierige Zusammenarbeit mit einem<br />
professionellen Großhändler. Außerdem die Masse von un-<br />
abhängigen Köchen, die mit Transporten und Kleinwagen<br />
die Parkplätze der umliegenden Supermärkte blockierten.<br />
Die verunsicherte Bevölkerung, die mittags schon kein Brot<br />
mehr kaufen konnte. Der ökologische und ökonomische<br />
Wahnsinn.<br />
„Viele Menschen essen sich dick, dumpf, krank, werden<br />
derart zu verheerenden Vorbildern für ihre eigenen Kinder<br />
– und sie haben nicht einmal Spaß dabei. Sie haben ver-<br />
gessen, wie sie sich ‚natürlich‘ oder sonst wie vernünftig<br />
LRB 2’04
ernähren soll, wie man sich einigermaßen ausgewogen, gut,<br />
lustvoll verköstigt.“<br />
Vor Diskussion und Abstimmung über den Antrag berich-<br />
teten die Bundeslager-Planer von ihren Anstrengungen. Für<br />
den Lagerladen konnte Roland Fiedler gewonnen werden.<br />
Im normalen Leben eröffnet er als Mitinhaber einer Reform-<br />
hauskette im Raum Frankfurt jedes Jahr zwei Läden. Er er-<br />
innert an das Bundeslager Friedeburg 1993, damals sei noch<br />
alles gut gewesen. „Zu dem Standard will ich zurück. Essen<br />
ist wichtig, und richtig essen will gelernt sein.“ Roland erklärt<br />
auch gleich, was er sich darunter vorstellt: Fachbereiche will<br />
er Spezialisten überlassen, der Bäcker backt das Brot, der<br />
Metzger macht die Wurst. Zum Sortiment soll es passende<br />
Rezeptvorschläge geben, damit die die feilgebotenen Lebens-<br />
mittel zu einem schmack- wie nahrhaften Essen werden. Der<br />
Lagerladen teilt sich in vier Bereiche: Discountbereich, Qua-<br />
litätsbereich, Genussbereich und einen Kiosk.<br />
„Nur noch in einem Drittel aller deutschen Haushalte<br />
wird täglich gekocht, je jünger die Leute, je kleiner die Haus-<br />
halte, desto seltener. Und die Aussage ‚Es wird gekocht‘, ist<br />
irreführend. Die Rede ist nur noch von einem Zeitaufwand<br />
von kaum einer halben Stunde für die Zubereitung aller<br />
Speisen eines Tages. Kochen wird von der großen Masse<br />
der Deutschen nicht länger verstanden als der relativ lang-<br />
wierige Prozess des Auswählens, Beschaffens, Zubereitens,<br />
Verzehrens. Wer heute Kochen sagt, meint immer öfter:<br />
Tüten aufschneiden, Büchsen öffnen, Portionsschalen in<br />
Mikrowellen schieben, und nicht von ungefähr sind im Su-<br />
permarkt die Tiefkühlpackungen immer häufiger mit der<br />
Botschaft bedruckt: ‚in 3 Minuten fertig‘, ‚nur 1 Minute Gar-<br />
zeit‘, ‚fix und fertig in 2 Minuten‘.“<br />
Im Discountbereich soll es preiswerte Grundnahrungs-<br />
mittel wie Mehl und Nudeln geben, zu ähnlichen Preisen wie<br />
im Supermarkt, möglichst aber aus ökologischer Produktion.<br />
Gemüse und Kartoffeln müssen nicht unbedingt Hunderte<br />
von Kilometern aus Bayern herangekarrt werden. <strong>Das</strong> wird<br />
möglich, weil Roland im Vorfeld mit netten freundlichen<br />
Großhändlern und kleinen Anbietern vor Ort verhandeln<br />
will. Die möchten natürlich auch Geld verdienen, aber es sei<br />
möglich, mit den richtigen Leuten zusammenzuarbeiten und<br />
die richtigen Sachen zu bekommen: „Bio-Hirsewürste sind<br />
nirgendwo so billig wie in Wolfsburg“, lacht Roland. Dafür<br />
aber, klar, braucht er einen festen Betrag, mit dem er in die<br />
Verhandlungen gehen kann. Im Qualitätsbereich sollen dann<br />
LRB 2’04<br />
fair gehandelte, ökologische und vollwertige Lebensmittel be-<br />
reitstehen, also Produkte, die über den Minimalstandard der<br />
EG-Öko-Verordnung hinausgehen. Weil auch ein ökologisch<br />
einwandfreies Produkt mit tausend Siegeln und Gütezeichen<br />
nicht unbedingt einer vollwertigen Ernährung zuträglich ist,<br />
wird der Qualitätsbereich höhere Anforderungen an sein<br />
Sortiment stellen. „Sich was zu gönnen“, ist schließlich im<br />
Genussbereich möglich. Hier soll es die feinen (und etwas<br />
teureren) Sachen geben, wie gut gereiften Rohmilchkäse oder<br />
einen edlen Tropfen Wein. Der Kiosk bietet dann natürlich<br />
ein Sortiment aus Snacks an, aber eher nicht die üblichen<br />
Zuckerbomben mit Gensoja. Genuss- und Kioskbereich<br />
sollen etwas Gewinn rausschlagen und den Discount- und<br />
Qualitätsbereich subventionieren. Den Rabatt, den Roland<br />
bei den Großhändlern erhandelt, wird er an die Kunden,<br />
sprich: die Stämme, weitergeben. Insgesamt soll der Laden<br />
kostenneutral arbeiten.<br />
Der Antrag des LV Rheinland-Pfalz/Saar wird schließlich<br />
abgelehnt, pro Person und Tag werden 2,50 Euro des Lager-<br />
beitrags fest fürs Essen verplant. Der Bund unterstützt einen<br />
fairen Kompromiss zwischen Qualität, Preisbewusstsein und<br />
Umweltverantwortung. Für gutes, gesundes und genussvol-<br />
les Essen.<br />
„In steigendem Maße konsumiert<br />
die Mehrheit der Deutschen das<br />
Falsche, zumeist in viel zu großer<br />
Menge, so gut wie immer in mangelhafter<br />
Zusammensetzung, oft in<br />
katastrophaler Qualität.“<br />
Ole Reißmann,<br />
Stamm Waldreiter<br />
Zitate aus: „Tellergericht. Die Deutschen<br />
und das Essen.“ von Ullrich Fichtner,<br />
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, München<br />
2004. 240 Seiten, 17,90 Euro.<br />
51
The Moore you know<br />
<strong>Das</strong> <strong>Land</strong>espfingstlager 2004 in Wacken: „Dr. Erichsens Plan“ klingt verlockend.<br />
Mit viel Geld werden Siedler in einer Moorkolonie gelockt.<br />
Was braucht man für ein geniales Pfingstlager? Eine tolle<br />
Spielidee – und Dr. Erichsen. Und so fing alles an: Es war<br />
sonniger Freitag in einer wunderschönen stillgelegten Kies-<br />
grube in Wacken. Wacken, einem Ort mit Festivalcharakter.<br />
In eben jeder Exkiesgrube stehen die portablen Plastikluxus-<br />
toiletten schon aufgereiht, in den Waschzelten sprudelt das<br />
kühle Nass durch die ausgesägten Rohrbecken. Noch markie-<br />
ren nur Bänder die künftigen Unterlager, erst vereinzelt ste-<br />
hen Jurten auf dem Platz. Eine Hand voll R/Rs wuselt über<br />
den Platz, weitere Jurten werden hochgezogen, Kochzelte,<br />
erste Kohten. Dort, im Unterlager Hohn, hat der Bau des<br />
Lagertores bereits begonnen. Die zukünftige Moorkolonie<br />
nimmt langsam Formen an, die Pinte ist errichtet, das Zir-<br />
kuszelt steht, ebenso das Pressezentrum. Langsam trudeln<br />
weitere R/Rs auf dem Lagerplatz ein und helfen, die Kolonie<br />
für die Siedler-Sippen vorzubereiten. Als die Sonne den west-<br />
lichen Waldsaum erreicht, schlendern die R/Rs in Richtung<br />
Pinte. Dort ist ein Grill aufgebaut, leckere Speisen belohnen<br />
die Kolonisten, immer mehr Leckereien werden aufgefahren.<br />
Jetzt noch schnell vor Einbruch der Dunkelheit in den Wald,<br />
Holz holen und dann mit vielen alten Bekannten den „Hello<br />
Again“-Abend feiern. Noch ein wenig Gesang und dann ab in<br />
den Schlafsack. Samstag sollte ein langer Tag werden.<br />
Nach einem gemütlichen Frühstück im Stamm kommen<br />
langsam auch schon die ersten Siedler-Sippen in der Moorko-<br />
lonie an und schlagen ihre Koten auf. Die anfangs noch gro-<br />
ßen, freien Flächen werden immer kleiner, die Moorkolonie<br />
52<br />
wächst. Und wird eröffnet, 15 Uhr, Ehrengast: der dänische<br />
König. Anlässlich des hohen Besuches wurden vorher noch<br />
mal ausgiebig das Applaudieren, die dänische Nationalhym-<br />
ne „Smørebrø, Smørebrø røm tøm tøm tøm“ und eine „La<br />
ola“ eingeübt. Dann kam er, auf einem Luxussofa liegend, ge-<br />
tragen von acht Untergebenen. Etwas peinlich: Kein Dolmet-<br />
scher steht zur Verfügung. Publikumsliebling Orke erkennt<br />
die Gunst der Stunde und springt auf die Bühne neben Dr.<br />
Erichsen. Dr. Erichsen, der immer noch ganz aufgeregt ist,<br />
stellt nun sein Besiedlungskonzept und den Wirtschaftsplan<br />
für die Moorkolonie vor. Nach den wichtigsten Erläuterun-<br />
gen werden schon die ersten 180 Torftaler ausgeteilt, aus der<br />
Moorkolonie soll ein Wirtschaftsparadies werden, gesponsert<br />
vom dänischen König. Sechs schwierige Aufgaben galt es zu<br />
lösen, um bei der „Agentur für Lohn und Brot“ eine Arbeits-<br />
kennziffer zu bekommen, ohne die die Arbeitserlaubnis wert-<br />
los wäre. Mit der Arbeitszulassung vermittelt die „Agentur<br />
für Lohn und Brot“ weiter. Es gibt die verrücktesten Sachen,<br />
von Tellerwäschern bis hin zu Massagen ist alles zu bekom-<br />
men, sogar verheiraten lassen kann man sich hier, um Geld<br />
zu bekommen. Die Wirtschaft wächst und wächst, allerdings<br />
kommt es durch die vom Koloniepersonal immer wieder zu-<br />
sätzlich eingebrachten Torftaler zur Inflation.<br />
Später dann der Dorfabend in den Teilkolonien. In Fried-<br />
richsholm zum Beispiel wird der zentrale Lagerbau errichtet,<br />
ein wunderschöner Aussichtsturm, der am folgenden Tag<br />
noch weiter ausgebaut werden sollte. Beim R/R-Programm<br />
LRB 2’04
„Klönen und Frönen“ wird von Fahrten, großen Reisen und<br />
anderen tollen Erlebnissen erzählt. Zusätzlich gibt es um 12<br />
Uhr ein großes Spektakel für Mobby, der nun Geburtstag<br />
hat, und ohne den es das Pfila so sicher nicht gegeben hätte.<br />
Danach starten zum Teil sehr ausgiebige Singerunden in den<br />
Stämmen, was man noch am nächsten Morgen bei einigen<br />
gut erkennen kann. Nach dem Frühstück und der Morgen-<br />
runde im Unterlager versammeln sich alle Kolonisten wieder<br />
um 9 Uhr in der Arena, um sich dort auf das Dorfturnier<br />
vorzubereiten. Wieder mit dabei: der dänische König. Die-<br />
ser war schon am Vortag durch die einzelnen Dörfer Hohn,<br />
Friedrichsholm, Christiansholm und Meggerdorf gestreift,<br />
um das schönste Dorf zu finden. Die Entscheidung für Hohn<br />
(<strong>Das</strong> Eingangstor! Der zentrale Marktplatz!) fällt knapp aus.<br />
Die besten Kolonisten müssen nun antreten, um ihrem Dorf<br />
Ruhm und Ehre zu bringen, das beste Dorf soll durch Prüfun-<br />
gen in verschiedenen Disziplinen ermittelt werden. Sportli-<br />
che (Völkerball) und künstlerische (Flaggen gestalten) Fähig-<br />
keiten werden geprüft, dann auch noch Pionierskunst (Sänfte<br />
bauen). Letztendlich gewinnt Hohn den Wettbewerb.<br />
Schnell essen, weiter geht es mit der guten Ausbildung, die<br />
ein Kolonist braucht. Pionieren, aber auch Gedichte schrei-<br />
ben, alles müssen die Kolonisten selbst machen. Und natür-<br />
lich gibt es ein ordentliches Lehrlingsgeld, noch mehr Moos<br />
für die mutigen Moorbewohner. An diesem Abend: Dorffest.<br />
Die <strong>Land</strong>esaktion „Unüberwundbar“ wird präsentiert, später<br />
gibt es eine große Abendrunde mit allen Kolonisten. Danach<br />
geht es weiter in den gemütlichen Singerunden und mit<br />
einem ausgezeichnetem R/R-Programm in der Pinte. <strong>Das</strong><br />
Thema heute lautete: „Die Nacht des Sports.“ Ausgeschrie-<br />
ben werden ein „glowing in the dark“ - Fußballturnier, Arm-<br />
drücken und Twisterwettbewerbe.<br />
LRB 2’04<br />
<strong>Das</strong> „glowing in the dark“-Turnier sieht folgendermaßen<br />
aus: Zuerst werden die Mannschaften mittels phosphorisie-<br />
render Farbe (ungiftig, klar) im Gesicht gekennzeichnet, jede<br />
Mannschaft hat ihr eigens Symbol im Gesicht. Anschließend<br />
halten alle Spieler ihre Gesichter vor die Scheinwerfer ei-<br />
nes speziell dafür hergeholten VW-Transporters. Während<br />
dessen wird auch der Ball mit Farbe aus Knicklichtern zum<br />
leuchten gebracht, außerdem werden das Spielfeld und die<br />
Tore mit Knicklichtern abgesteckt. Nun gilt es, den Sieger der<br />
fünf angetretenen Mannschaften zu ermitteln. Vollkommen<br />
unparteiisch Unparteiischer ist Orke, der Held der Massen.<br />
Im Spiel selbst ist von den Symbolen auf den Gesichtern erst<br />
unter einem Meter Entfernung etwas zu erkennen, enorme<br />
Spannung auf dem Spielfeld. Ständig muss der Ball neu be-<br />
sprüht werden, die Leuchtfarbe haftet an den Schuhen der<br />
Spieler. Sieger des Turniers werden das Geisterburger Profi-<br />
team, zweitplaziert das Goldene-Reiter-Team „Aufbau Ost“.<br />
Fröhlich wird in der Pinte weiter gesportlert, gesungen<br />
und gefeiert. Als dann die Sonne wieder aufgeht und die<br />
ersten Gesichter schon aus den Zelten gucken, verkriechen<br />
sich die letzten Nachtgestalten erst in ihren Schlafsäcken um<br />
wenigstens noch eine Stunde schlafen zu bekommen. Nach<br />
Morgenrunde und Frühstück auf dem großen Platz zwischen<br />
Kolonie und Pinte schrumpft die Kolonie auch schon, die<br />
Siedler verlassen das Moor wieder. Dr. Erichsens Plan mag<br />
vielleicht genial gewesen sein, funktioniert hat er nur für ein<br />
Wochenende.<br />
Robert Kästner,<br />
Aufbaugruppe Goldene Reiter<br />
53
Ein Mann, ein Projekt<br />
Dr. Erichsen: Ein Mann seiner Zeit. Wir dokumentieren mit einem Pressespiegel<br />
der „Moor-News“ Aufstieg und Fall eines verkannten Genies.<br />
[…] „Da muss man natürlich zupacken“, sagt Dr. Erichsen<br />
mit einem süffi santen Lächeln auf den Lippen. Mit beiden<br />
Beinen steht der sympathische ältere Herr in seiner Wathose<br />
im Herzen des Steinburgischen Moors und lässt sich genuss-<br />
voll zu Visionen und ausschweifenden Tiraden verleiten. Er<br />
hat all das geschaffen. Den Plan, das Anwerben von Koryphä-<br />
en in den beteiligten Branchen, die Überzeugungsarbeit. All<br />
das soll nun Wirklichkeit werden. […] Moor-News 05/04<br />
[…] obwohl die Entscheidung aufgrund der sprachlichen<br />
Differenzen und der auf dänischer Seite vorhandenen Res-<br />
sentiments gegen einen deutschen Bebauungsplan im Vor-<br />
wege nicht zu seinen Gunsten auszufallen schien, konnte Dr.<br />
Erichsen mit seiner eloquenten Art während der zwanzigmi-<br />
nütigen Vorstellung Punkte gut machen. […] Moor-News<br />
05/04<br />
[…] „Mit Dr. Erichsen als Experten der Kosmosophie und In-<br />
genieurswissenschaften hat sich ein autodidaktischer Stern<br />
am noch so jungen Himmel der Moorkolonisation aufgetan.“<br />
So stockte den geladenen Gästen in <strong>Schleswig</strong> schlichtweg<br />
der Atem als Erichsen in halsbrecherischer Manier auf der<br />
Leinwand agierte. Ohne seinen Körper zu sichern oder sich<br />
überhaupt der Gefahr bewusst zu sein, wagte er sich in einen<br />
unerforschten Moortümpel, in dem man vor lauter Torf-<br />
schwärze den Grund nicht sehen konnte. Ausschließlich mit<br />
54<br />
einem Zollstock bewaffnet demonstrierte er fachmännische<br />
Gelassenheit und absolvierte die ihm selbst auferlegte Mut-<br />
probe spielend. […] Moor-News 05/04<br />
[…] „The point of no return“, erklärt uns der kleine hekti-<br />
sche Mann mit der viel zu großen Brille hinter vorgehaltener<br />
Hand. In der anderen hält er einen ausgefahrenen Zollstock,<br />
als wolle er im nächsten Moment das vermessen, was ihm<br />
über den Weg läuft. Immer auf der Hut zu sein und darum<br />
auch sein wichtigstes Arbeitswerkzeug niemals aus der<br />
Hand zu legen gehört zu seinen grundlegenden Prinzipien.<br />
„Manchmal beschwert sich meine Frau, weil der Stock doch<br />
in gewissen Situationen etwas störend wirken kann“, fügt er<br />
leise hinzu und kichert sich eins. <strong>Das</strong>s es Frau Erichsen den-<br />
noch gut mit ihm meint, zeigt die breite Unterstützung, die<br />
der idealistische Ingenieur auch in psychologischer Hinsicht<br />
aus Familie und Freundeskreis erhält. „Natürlich leiden bei<br />
so einem Großprojekt immer die Familie und der Freun-<br />
deskreis unter Entzugserscheinungen. Aber andererseits<br />
freuen sich auch alle für mich und meine Karriere. Von Neid<br />
kann da keine Rede sein.“ Dr. Erichsen wirkt in diesen Tage<br />
nachdenklich. […] Höf lich, aber dennoch reserviert, schüttelt<br />
unser Interviewpartner ein paar Hände, auch die der umste-<br />
henden Bauarbeiter, die von der Situation ein wenig über-<br />
rumpelt scheinen, und macht sich in seinem unverkennbaren<br />
watschelnden Gang auf zu seinem Baucontainer an der Süd-<br />
LRB 2’04
seite des Baugrundes. Sein Pressesprecher scheint ebenso<br />
etwas überrascht von diesem abrupten Ende des Rundgangs,<br />
rettet aber die Situation indem er die anwesende Pressemeu-<br />
te zu einer Tasse Kaffee in die eigens für diesen Anlass errich-<br />
tete PR-Jurte bittet. Bei einem Gespräch unter vier Augen<br />
erklärt er mir: „Sie müssen Dr. Erichsen verstehen. In einer<br />
halben Stunde wird sein Büro-Container abgeholt um Platz<br />
zu schaffen für die so genannte Pinte. Dann wird seine letzte<br />
Rückzugsmöglichkeit fort sein und er fühlt sich dadurch ver-<br />
wundbar. Immerhin ist es sein Kopf, der rollt, wenn die ganze<br />
Mission scheitert. Da kann schon ein Regenschauer von we-<br />
nigen Stunden ausreichen und in dieser Grube, in der wir uns<br />
befinden, schwimmen uns alle Felle weg. Ist doch klar, dass<br />
ihm jetzt die Muffe geht. <strong>Das</strong> habe ich übrigens nicht gesagt.“<br />
[…] Moor-News 06/04<br />
Interview mit Filmproduzent Roger Moore […] Wir hatten<br />
für den Dreh genau vier Stunden Zeit, wobei es durch die<br />
Anreise unseres Protagonisten mit der Bahn aus Berlin bis<br />
zum Schluss spannend war, ob wir den Zeitplan würden ein-<br />
halten können. Die Gags und die Texte sind uns dann spon-<br />
tan gekommen. Wobei ich ganz großes Lob an Dr. Erichsen<br />
aussprechen möchte, der sich vor der Kamera sehr natürlich<br />
verhalten hat. Was entscheidend für die Glaubwürdigkeit<br />
des Films ist. Ich denke, dass die Zuschauer vor allem durch<br />
seine Präsenz in eine Art Bann geraten.<br />
Ist es nicht unfair, dass die Zuschauer über ihn lachen?<br />
<strong>Das</strong>s er sich vor der Kamera blamiert?<br />
<strong>Das</strong> sehe ich nicht so. Erstens ist seine Art, sich zu geben,<br />
nicht lächerlich, sondern ehrlich. Und zweitens stellt ihn die<br />
Kamera nicht bloß. Gegen diesen Vorwurf möchte ich mich<br />
deutlich verwehren. Die viel zitierte Szene zum Beispiel, in<br />
der das Wasser in seine Hose läuft, ist auf Dr. Erichsens<br />
eigenen Wunsch hin in den Film integriert worden. Er will<br />
damit verdeutlichen, dass er kein Übermensch ist. <strong>Das</strong>s die<br />
Moorkolonisation als solche auch mit Gefahren und Rück-<br />
schlägen verbunden ist. […] Moor-News 06/04<br />
LRB 2’04<br />
Nils Petersen, Stamm Kolibri,<br />
für die „Moor-News“<br />
Hat gut Lachen: Der neue Hausherr in Eutin, Axel.<br />
Gewählt<br />
Axel ist „der Neue“ von Stamm Möwe<br />
„An der Intelligenz scheitert es bei dir nicht, Axel“, hat mal<br />
ein Lehrer zu mir gesagt. Na ja, zumindest bin ich 17 Jahre<br />
alt und versuche nächstes Jahr, meine Reifeprüfung abzu-<br />
legen. Die brauch’ ich, da ich mich für ein duales Studium<br />
zum Wirtschaftsinformatiker bewerben möchte.<br />
Wenn ich meine sonstige Zeit nicht gerade mit Freun-<br />
den, Feiern oder anderen sinnlosen Veranstaltungen ver-<br />
bringe, bin ich bei den Pfadis, natürlich bei den guten alten<br />
Möwen aus meiner kleinen Hauptstadt Eutin.<br />
Dieser komische Verein hat mich jetzt schon seit zehn<br />
Jahren in seinen Bann gezogen. In dieser Zeit habe ich na-<br />
türliche viele Fahrten und Lager erlebt und bla und blub.<br />
Wirklich spektakulär ist höchstens, dass ich dieses Jahr als<br />
einer von drei <strong>BdP</strong>lern (und einer von zwei Möwen) auf das<br />
World Moot nach Taiwan fahre.<br />
Wenn ich dann irgendwann einmal wiederkomme, hoffe<br />
ich, noch viel Zeit und Spaß mit Euch zu haben. Gut Pfad<br />
und seid allzeit bereit,<br />
Lord Axel-Ole of Eutin<br />
55
Die müssen verrückt sein: Die „Agentur für Lohn & Brot“ auf dem <strong>Land</strong>espfingstlager schmeißt mit lukrativen Jobangeboten nur so um sich.<br />
Ein- und Ausblicke<br />
Der Panoramakurs für Quereinsteiger auf dem <strong>Land</strong>espfingstlager<br />
„Wie, ich muss die Karte jetzt einnorden? Da oben ist doch<br />
Norden! Und außerdem hab ich das mit der Marschzahl<br />
auch noch nicht kapiert.“ Vor solchen Fragen standen wir<br />
auf der Fahrt zum <strong>Land</strong>espfingstlager am Samstagvormittag<br />
bei einer kleinen Verschnauf- und Einheitspause. Die Füße<br />
waren wund gelaufen und der Rücken meldete sich ab und<br />
zu mal. „Also irgendwie ist mein Rucksack noch nicht richtig<br />
eingestellt. Wo muss man denn hier ziehen?“ Es war ja alles<br />
irgendwie neu. Zumindest für die Hälfte von uns sechs „er-<br />
wachsenen“ Teilnehmern dieses Quereinsteigerkurses.<br />
Drei von uns sind schon Pfadfinder, aber entweder erst<br />
seit kurzem oder aus einem anderen Bund kommend, und<br />
drei weitere wollen es werden. Da bietet sich ein Kurs für<br />
Quereinsteiger, die Pfadfinderei nicht seit ihrer Kindheit<br />
erleben, an. Im Modul 1 „Pfadfinderei erleben“ behandelten<br />
wir die Themen „Lager, Fahrt und Hajk“, „Stufen des <strong>BdP</strong>“,<br />
Aufgaben, Inhalte und Zusammensetzung des Stammesrats<br />
und „Gruppenstunde in Theorie und Praxis“. Im Modul 2<br />
„Pfadfindertechniken“ erfuhren wir Neues über Karte und<br />
Kompass, Knoten, Spiele, Zelte und ihre Konstruktionen als<br />
auch Musisches und Kreatives. Eingebettet in die Einheiten<br />
waren ein Wolfslauf, ein Schweigemarsch und diverse Spiele<br />
sowie spannende Methoden der Reflexion.<br />
<strong>Das</strong> erste Pfadfinderfeeling erlebten wir auf unserer<br />
Wanderung am Freitag vom Bahnhof Itzehoe zum Heim<br />
von Stamm Janus zur ersten Übernachtung in einer Kothe.<br />
Die zweite Wanderung am Samstag führte uns zum <strong>Land</strong>es-<br />
56<br />
pfingstlager nach Wacken. Für unsere Einheiten bauten wir<br />
uns eine eigene Kursjurte auf und für gemeinsame Lagerkur-<br />
se sowie Morgen- und Abendrunden kamen wir in unseren<br />
Stämmen unter. Wir drei Noch-Nicht-Pfadfinder fanden<br />
Unterschlupf bei Stamm Geisterburg.<br />
Mich haben die Tage sehr bewegt. Der Kurs kam zum<br />
richtigen Zeitpunkt und verstärkte mein Interesse an der<br />
Pfadfinderei. Es war ein gut organisierter und durchgeführ-<br />
ter Kurs mit netten Teilnehmern als auch Teamern. Es hat<br />
viel Spaß gemacht, Themen gemeinsam zu erarbeiten und<br />
sie zu diskutieren. Ich habe viel über das Brauchtum und<br />
die Umgangsformen der Pfadfinder gelernt und kann sie nun<br />
besser nachvollziehen. Ich fand es toll, diesen Kurs parallel<br />
zum <strong>Land</strong>espfingstlager stattfinden zu lassen, denn so konn-<br />
te man gerade Gelerntes sofort beobachten und anwenden<br />
– Pfadfinderei also erleben.<br />
Hilke Feldema, Stamm Lunen, Lüneburg<br />
LRB 2’04
Ab in den Osten<br />
<strong>Das</strong> Fahrtenarchiv will Mut machen, neue Fahrtenländer zu entdecken. Und mit<br />
ein paar guten Tipps kann sich das jeder zutrauen!<br />
„Wo fahrt ihr denn dieses Jahr hin?“<br />
„Ach, wir haben da so einen Platz in Schweden …“<br />
„Mmh … klingt spannend …“<br />
Die Idee zum Fahrtenarchiv entstand genau aus diesem<br />
Grund: Viele Stämme machen jedes Jahr tolle Fahrten, ha-<br />
ben aber nur relativ wenig Gebiete zur Auswahl. Entweder<br />
ist das Fahrtenland persönlich bekannt oder eine vertrauen-<br />
erweckende Quelle hat Mut gemacht. Eine Entscheidung für<br />
ein gänzlich unbekanntes <strong>Land</strong> ist fast schon Zufall.<br />
Bisher tauschen sich nur wenige Stämme über ihre jährli-<br />
chen Sommer-, Herbst- und Winterfahrten und neue Ideen<br />
aus. Meistens heißt es “same procedure as every year”. Falls<br />
man doch einmal etwas Außergewöhnliches plant, kann es<br />
sein, dass man eine Sommerfahrt nach Lappland unter-<br />
nimmt – ohne zu wissen, dass ein Stamm am anderen Ende<br />
des <strong>Land</strong>es genau das gleiche Ziel hat und bereits intensive<br />
Vorarbeit leistet, eine Pfadfindergruppe vor Ort kennen ge-<br />
lernt und nützliche Kontakte geknüpft hat.<br />
Natürlich gehört der Reiz des Planens, das Grübeln über<br />
Karten und Büchern, aber auch das Unwägbare und Sponta-<br />
ne zu jeder Fahrt dazu – sie machen die Fahrt erst zur Fahrt.<br />
Eine vorgegebene Pauschalreise, durchorganisiert mit allen<br />
Finessen und per Klick aus dem Internet zu laden, die möchte<br />
keiner haben.<br />
Andererseits – nachher ist man immer schlauer. Auf<br />
manche Fehler hätte man gut verzichten können. Wenn man<br />
vorher gewusst hätte, dass diese Fahrtenstrecke die schönste<br />
ist, hätte man ja gleich dorthin fahren können und nicht erst<br />
am letzten Tag. Und dass die andere Busgesellschaft für die<br />
Anreise viel günstiger ist, hat man auch erst vor Ort erfahren.<br />
Und dass ein Ehemaliger aus dem gleichen Bund vor Ort ei-<br />
nen alternativen Bauernhof betreibt, den man bestimmt hät-<br />
te besuchen können, hat man leider erst ein Jahr später auf<br />
dem Pfingstlager gehört. Nächstes Mal wird man alles besser<br />
machen und nicht gegen die gleichen Heringe treten, man<br />
kennt sich ja aus. Aber nächstes Mal will man vielleicht wo-<br />
LRB 2’04<br />
andershin fahren? Ins gänzlich Unbekannte aufzubrechen,<br />
hat gewiss seinen eigenen Reiz. <strong>Das</strong> Bekannte und Bewährte<br />
aufzusuchen, ist bestimmt am sichersten. Gerade mit vielen<br />
jungen Gruppenleitern und wenig Großfahrterfahrung ist das<br />
große, krasse Abenteuer eher etwas für die Sippenfahrt im<br />
Herbst als für die Stammesfahrt im Sommer.<br />
Der goldene Mittelweg: Sich neue Ziele zu setzen, dabei<br />
aber bereits eine ungefähre Vorstellung zu haben über fes-<br />
te Anlaufstellen, Geheimtipps zum Nachmachen, wichtige<br />
Warnungen und Anregungen zu bekommen. Der Mittelweg<br />
ist der schwerste. Die meisten Informationen sucht man sich<br />
mühselig zusammen, Reiseführer taugen dazu nur in den we-<br />
nigsten Fällen. Aber andere Stämme oder Sippen, die schon<br />
einmal im Fahrtenland unterwegs waren, könnten bestimmt<br />
brauchbare Tipps geben.<br />
Eine Plattform für diese Art der – Achtung: Modewort<br />
– Vernetzung, will das Fahrtenarchiv sein. Es soll nicht<br />
die Planung abnehmen, sondern erleichtern. Es soll nicht<br />
abstumpfen, sondern anregen – zum Träumen, zum Nach-<br />
machen, zum Ausprobieren, zum Entdecken. Für ein Projekt<br />
dieser Größenordnung sind natürlich alle gefragt: Fahrten-<br />
experten und Laien, die in den letzten Jahren eine Fahrt<br />
gemacht haben.<br />
<strong>Das</strong> Fahrtenarchiv soll sich sowohl mit den Fahrtenge-<br />
bieten vor der Haustür als auch mit den fernen Traumzielen<br />
beschäftigen. Bis jetzt stehen Berichte über Lappland, das<br />
Elbsandsteingebirge, Estland und Schottland zur Verfügung.<br />
In Vorbereitung sind: Masuren, die Holsteinische Schweiz,<br />
Irland, Andalusien, Portugal, Zypern, die Bretagne, Ostwest-<br />
falen, der Teutoburger Wald und Nordfriesland.<br />
Jeder, der an dem Projekt mitgestalten will, kann sich bei<br />
mir melden (àjonathan@bdp-sh-hh.de) oder mal einen Blick<br />
auf die Website des <strong>Land</strong>esverbands werfen: Da befindet sich<br />
das provisorische Fahrtenarchiv. Und jeder, der eine Fahrt<br />
plant, sollte natürlich auch vorbeischauen.<br />
Jonathan Stock, LB Pfadfinder<br />
57
Klnnzgn<br />
Suche ständig T3-Bullys;<br />
auch defekt oder Unfall<br />
zum Schlachten. Speziell<br />
auch Synchro.<br />
T3-Teile: Motoren: WBX<br />
(Diesel + TD), Getriebe,<br />
Blechteile, Innenausstat-<br />
tungen auch Synchro zu<br />
Pfadipreisen (Einbau mög-<br />
lich)<br />
Wenn du das liest, müssen<br />
wir mal wieder eine Partie<br />
Abalone spielen. F.<br />
Pelle! Melde dich!<br />
Joby, Hannes & die Möwen<br />
An das Pfila-Team: Danke.<br />
Ihr wart große Klasse!<br />
Jonathan<br />
58<br />
Suche neue Projekte.<br />
Dr. Erichsen<br />
Ganz liebe Grüße an die<br />
supergeilen Stämme Ykern<br />
und Radwersdorp, an Alina<br />
von Janus (schreib doch<br />
mal wieder!), an alle die<br />
auf‘m SfT 02 waren und<br />
eben an alle die mich ken-<br />
nen. Hab euch alle danz<br />
dolle lüb! Lisa (ich wohn<br />
jetzt am Arsch der Welt in<br />
Frankreich)<br />
Yeah Mobby, happy börs-<br />
day tuh ju!<br />
Ihr könnt Kleinanzeigen<br />
direkt per E-Mail schicken!<br />
àlrb@bdp-sh-hh.de<br />
Termine<br />
Jede Menge Kurse und Aktionen finden<br />
dieses Jahr wieder statt.<br />
<strong>Land</strong>esverband und Bund bieten einiges an Programm an.<br />
Die in grau gedruckte Aktion wird nicht vom <strong>BdP</strong> organisiert.<br />
Terminänderungen oder sogar neue Aktionen werden natür-<br />
lich auf der Website àbdp-sh-hh.de angekündigt.<br />
Juni<br />
18. – 20. ¿alles drin?!<br />
Juli<br />
10. – 31. Bundesfahrt nach Slowenien<br />
August<br />
12. – 22. Wölf lingssommer Immenhausen<br />
27. – 29. <strong>Land</strong>eswölf lingslager und <strong>Land</strong>espfadistufenaktion<br />
September<br />
3. – 5. R/R Nachtkundschaft<br />
11. – 18. Stafü-Gilwellkurs<br />
18. Pfadfindertag<br />
24. – 26. Bundesjurtentreffen<br />
Oktober<br />
1. – 3. Ironscout àironscout.de<br />
8. – 16. Herbstkurse: KfM, SFT/KfG und KfRR<br />
9. – 16. Führungskräftegilwell<br />
15. – 23. Stufengilwell<br />
16. – 17. Jamboree on the internet /on the air<br />
29. – 31. Panoramakurs, Modul 3<br />
November<br />
12. – 14. <strong>Land</strong>es-Stafü-Aktion<br />
19. – 21. <strong>Land</strong>esmeutenführertreffen, Panoramakurs Modul<br />
4. Internationales Seminar<br />
26. – 28. Nachbereitung KfR/R<br />
Dezember<br />
10. – 12. <strong>Land</strong>es-R/R-Aktion, Hau Drauf!<br />
12. Friedenslicht<br />
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Jetzt sind es schon 18 Karten: <strong>Das</strong> <strong>Land</strong>esleitungsmemory, zweiter Teil.