Ausgabe 4-2011 - I-g-z.de
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eDItOrIaL |<br />
Benn Roolf<br />
Am Anfang stand <strong>de</strong>r Leistungswille<br />
und nicht das Anspruchs<strong>de</strong>nken.<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
es scheint eine gewisse Müdigkeit zu geben, über große<br />
Entwürfe für das <strong>de</strong>utsche Gesundheitssystem zu<br />
re<strong>de</strong>n. Das betrifft auch die Diskussion um das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />
Zahmedizin - ein Vorschlag <strong>de</strong>s Freien<br />
Verban<strong>de</strong>s Deutscher Zahnärzte, <strong>de</strong>r die Herausnahme<br />
<strong>de</strong>r Zahnmedizin aus <strong>de</strong>r heutigen Finanzierung<br />
<strong>de</strong>r Gesetzlichen Krankenversicherungen vorsieht<br />
und alternativ die zahnärztlichen Leistungen aus einkommensunabhängigen<br />
Prämien finanzieren will. Ein<br />
Konzept, das <strong>de</strong>n großen Wurf will und keine kleinen<br />
Schritte. Und das mit guten Grün<strong>de</strong>n:<br />
Wir stehen vor dramatischen <strong>de</strong>mografischen Problemen<br />
- das streitet heute niemand ernsthaft ab.<br />
Auf Grund <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Zahl älterer Menschen<br />
wer<strong>de</strong>n die Aufwendungen für Rente und Gesundheit<br />
explodieren. Gleichzeitig sinkt die Zahl <strong>de</strong>r Beitragszahler.<br />
In <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung<br />
be<strong>de</strong>uten weniger Beitragszahler weniger Beitrag und<br />
damit weniger Rente für die Rentner. Die langfristige<br />
Absenkung <strong>de</strong>r gesetzlichen Rente ist inzwischen<br />
beschlossen und die entstan<strong>de</strong>ne Rentenlücke muss<br />
eigenverantwortlich mit privater Altersvorsorge ausgeglichen<br />
wer<strong>de</strong>n. Im Bereich <strong>de</strong>r Krankenversicherung<br />
sieht es an<strong>de</strong>rs aus. Hier wird <strong>de</strong>r voraussehbar<br />
stärkere Bedarf - <strong>de</strong>r Kieler Gesundheitsökonom<br />
Fritz Beske geht von einer Verdreifachung <strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben<br />
bis zum Jahre 2060 aus - von<br />
<strong>de</strong>r Politik noch ignoriert. Und das, obwohl mehr<br />
o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r allen Beteiligten klar ist, dass bei gleichbleiben<strong>de</strong>n<br />
äußeren Parametern die Leistungen <strong>de</strong>r<br />
GKVen eingeschränkt wer<strong>de</strong>n müssen, weil sie aus<br />
<strong>de</strong>m begrenzten Beitragsaufkommen nicht mehr finanzierbar<br />
sind.<br />
Politik lebt von Zuspitzungen. Wer etwas verän<strong>de</strong>rn<br />
will, kontrastiert die Sachzwänge, um gehört zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Wer sich durch Prognosen bedroht fühlt, wird<br />
die Probleme kleinre<strong>de</strong>n, solange es möglich ist. So<br />
überrascht uns das wissenschaftliche Institut <strong>de</strong>r<br />
AOK, WIdO, im aktuellen Versorgungs-Report 2012<br />
„Gesundheit im Alter“ mit Berechnungen, nach <strong>de</strong>nen<br />
die Gesundheitsausgaben auf Grund <strong>de</strong>s wachsen<strong>de</strong>n<br />
Anteils älterer Menschen bis 2050 nur um 19% steigen<br />
sollen. Wiewohl man sich bei so viel Optimismus<br />
ungläubig die Augen reibt, zeigt doch die AOK-Veröffentlichung,<br />
dass die Zukunft nun begonnen hat und<br />
die Diskussion langsam in Gang kommt.<br />
Wie soll sich <strong>de</strong>r Berufsstand nun in diese Diskussion<br />
einbringen? Wolfgang Eßer fragt in seinem Beitrag<br />
völlig zu Recht, warum ausgerechnet die Zahnärzteschaft<br />
voranstürmen soll, um die Probleme <strong>de</strong>r GKV zu<br />
lösen. Dennoch kochen beim Thema Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />
Zahnmedizin die Emotionen hoch, aber selbst viele<br />
von <strong>de</strong>nen, die prinzipiell hinter <strong>de</strong>m Vorschlag stehen,<br />
mögen ihn nicht auf die politische Tagesordnung<br />
setzen. Zu groß ist die Befürchtung, unkalkulierbare<br />
Risiken heraufzubeschwören. Zu frisch noch die Erinnerung<br />
an <strong>de</strong>n Scherbenhaufen, <strong>de</strong>n die stan<strong>de</strong>spolitische<br />
Fundamentalopposition hinterlassen hat.<br />
Und nicht zuletzt: Zu <strong>de</strong>utlich dürfte sein, dass <strong>de</strong>r<br />
Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ selbst unter <strong>de</strong>r schwarz-gelben<br />
Koalition aktuell kaum eine Chance hat.<br />
Warum diskutieren wir also <strong>de</strong>nnoch über das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />
Zahnmedizin? Die Antwort lautet: Weil das<br />
Konzept - abseits aller Inhalte, aller realistischen und<br />
unrealistischen Gestaltungsvorschläge - auch einen<br />
kulturellen Konflikt artikuliert. Es geht um das tiefe<br />
Unbehagen eines Angehörigen <strong>de</strong>r Freien Berufe inmitten<br />
eines politischen Klimas von Vollversorgungsmentalität,<br />
Anspruchs<strong>de</strong>nken und Flatratemedizin.<br />
Die hartnäckige For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zahnärzteschaft, die<br />
Budgetflatrate zugunsten einer am tatsächlichen Leistungsgeschehen<br />
orientierten Entlohnung zurückzuschrauben,<br />
war nicht nur <strong>de</strong>r legitime Einsatz für die<br />
eigenen Interessen, son<strong>de</strong>rn vor allem auch ein Ausdruck<br />
<strong>de</strong>r Empörung über die Verkehrung von Werten.<br />
Es war schlicht ein Skandal, das Morbiditätsrisiko<br />
von <strong>de</strong>n Schultern <strong>de</strong>r Krankenkassen zu nehmen<br />
und <strong>de</strong>n Zahnärzten aufzubür<strong>de</strong>n - eine Entscheidung,<br />
die nun zumin<strong>de</strong>st teilweise korrigiert wur<strong>de</strong>.<br />
Was bleibt, ist ein tiefsitzen<strong>de</strong>s Misstrauen <strong>de</strong>r Kolleginnen<br />
und Kollegen gegenüber <strong>de</strong>r Politik, das immer<br />
wie<strong>de</strong>r neue Nahrung bekommt - wie im Fall <strong>de</strong>r<br />
enttäuschen<strong>de</strong>n GOZ-Novellierung. Teilhabe muss<br />
ernst gemeint sein und auf Augenhöhe stattfin<strong>de</strong>n -<br />
erst dann kann die Politik von <strong>de</strong>n Ressourcen ihrer<br />
Partner wirklich profitieren. Die Zahnärzteschaft hätte<br />
hier die klassischen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Freiberuflichkeit<br />
einzubringen, ein liberaler Wertekanon, <strong>de</strong>r - in die<br />
Politik übertragen - einst <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Aufstieg<br />
Deutschlands angestoßen hat. Am Anfang stand<br />
<strong>de</strong>r Leistungswille und nicht das Anspruchs<strong>de</strong>nken.<br />
Daran zu erinnern, dürfte heute nicht weniger produktiv<br />
als vor 150 Jahren sein.<br />
Benn Roolf<br />
Redakteur<br />
IGZ Die Alternative<br />
IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />
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