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Gotha-Erfurt<br />
Besuch der historischen<br />
Klinikanlagen<br />
„Beelitz-Heilstätten“<br />
unter Führung von Irene Krause<br />
mit ausführlichen Informationen<br />
zu den Gebäuden und Anlagenteilen.<br />
Die zwischen 1898 und 1930 von der<br />
Landesversicherungsanstalt Berlin errichteten<br />
„Arbeiter-Lungenheilstätten” bilden<br />
einen der größten Krankenhauskom -<br />
plexe im Berliner Umland. Der Komplex<br />
galt damals und bis heute in konzeptioneller,<br />
medizinischer und auch architektonischer<br />
Hinsicht als Musteranlage.<br />
Die Heilstätten wurden damals praktisch<br />
auf der grünen Wiese (besser: mitten<br />
im Kieferwald) errichtet. Außer einer<br />
Bahnstation gab es dort nichts als Ruhe<br />
und saubere, staubfreie Luft – genau<br />
das, was für die Behandlung Tuberkulosekranker<br />
unbedingt nötig war. Die Anlage<br />
musste und sollte daher weitgehend<br />
autark betrieben werden. Für die Versorgung<br />
mit Nahrungsmitteln gab es zwei<br />
eigene Gutshöfe und auf dem Gelände<br />
selbst eine eigene Gärtnerei, eine Fleischerei<br />
und eine Bäckerei. Für die Versorgung<br />
mit Trinkwasser gab es mehrere<br />
eigene Tiefbrunnen und auch die Versorgung<br />
mit Wärme und Energie musste in<br />
Eigenregie organisiert werden. Dafür<br />
wurde ein zentrales Heizkraftwerk errichtet.<br />
Der dort erzeugte Dampf wurde für<br />
den Antrieb von Stromgeneratoren verwandt<br />
und anschließend für die Beheizung<br />
der Gebäude und die Warmwasserbereitung<br />
genutzt. Dieses heute wieder<br />
sehr aktuelle Prinzip der Kraft-<br />
Wärme-Kopplung wurde in den Beelitzer<br />
Heilstätten erstmals in Deutschland, Frau<br />
Krause vermutete sogar in Europa, angewandt.<br />
Die Kesselanlagen waren zur<br />
Heizdampferzeugung noch bis 1994 in<br />
Betrieb.<br />
Aussenansicht Heizkraftwerk<br />
Der erste Bauabschnitt wurde zwischen<br />
1898 und 1902 durchgeführt. Der<br />
Bereich nördlich der Bahn wurde für die<br />
Lungenheilstätten vorgesehen, im südli-<br />
38<br />
chen Bereich waren die Sanatorien für<br />
die Behandlung nicht ansteckender<br />
Krankheiten, wie beispielsweise Verdauungs-,<br />
Stoffwechsel- oder Herzkrankheiten.<br />
Die Anlage war auf die strikte Trennung<br />
der Geschlechter bedacht. Alle<br />
Gebäude, in denen hauptsächlich<br />
Frauen beschäftigt waren, wie die<br />
Waschhäuser und die Küchengebäude,<br />
waren den westlichen Bereichen mit Lungenheilstätte<br />
und Sanatorium der Frauen<br />
zugeordnet, die Gebäude mit überwiegend<br />
männlichen Beschäftigten, wie z.B.<br />
die Werkstätten, der Fuhrpark oder das<br />
Heizhaus lagen in den Bereichen der<br />
Männerstationen. Einzige Ausnahme bildete<br />
das zentrale Badehaus.<br />
Die zunächst auf 600 Betten ausgelegte<br />
Anlage war mit ihren Versorgungsund<br />
Nebengebäuden von Beginn an auf<br />
die bis zu dreifache Patientenzahl ausgerichtet<br />
und dimensioniert. In der zweiten<br />
Bauphase von 1905 bis 1908 wurde<br />
den beiden Lungenheilstätten im Norden<br />
je ein weiteres Gebäude mit 300 Betten<br />
gegenübergestellt. Es gab dann 1.200<br />
Betten. Es wurden auch die Betriebs- und<br />
Nebengebäude erweitert um u. a.<br />
Wohnhäuser und zusätzliche Wirtschaftsgebäude.<br />
Im 1. Weltkrieg bezog erstmals das<br />
Militär die Beelitzer Heilstätten. Die Sanatorien<br />
wurden als Verwundetenlazarett<br />
durch das Rote Kreuz genutzt, der übrige<br />
Teil fungierte als Militärlungenheilstätte.<br />
Bis 1919 wurden mehr als 12.500 Soldaten<br />
in Beelitz verpflegt. In der Zeit danach<br />
wurde bald wieder das Niveau der<br />
Vorkriegszeit bei den Patientenzahlen erreicht.<br />
Die Bildung von Groß-Berlin im<br />
Jahre 1920 lässt die Zahl der Heilstättenanträge<br />
derart steigen, dass die Heilstätten<br />
Beelitz im Folgejahr nur noch<br />
Frauen und Kinder aufnehmen konnten<br />
und männliche Patienten an anderen<br />
Standorten untergebracht wurden. Die<br />
Wirtschaftskrise und Inflation führte zu<br />
einer Einschränkung des Betriebes im<br />
Laufe der Jahre 1923/24. Im Oktober<br />
1923 wurden die nördlich der Bahn gelegenen<br />
Lungenheilstätten sogar vorübergehend<br />
geschlossen.<br />
In den Sanatorien ging die Patientenzahl<br />
auf etwa 400 zurück. Erst ab Mitte<br />
1925 war die ursprüngliche Belegungsstärke<br />
mit über 1.200 Patienten wieder<br />
erreicht. Die dritte Bauperiode von 1926<br />
bis 1930 umfasste vor allem den Neubau<br />
der Zentralwäscherei (1926) und<br />
des Chirurgie-Pavillons auf dem Gebiet<br />
der Lungenheilstätte für Frauen (1928 -<br />
1930). Der Neubau und Betrieb der Chirurgie<br />
folgten der medizinisch-technischen<br />
Orientierung jener Zeit, bei der<br />
chirurgische Eingriffe als notwendige<br />
und zukunftsbedeutsame Behandlungsformen<br />
angesehen wurden. Die Lungenchirurgie<br />
wurde jedoch durch die Ende<br />
Ehemaliges Sanatoriumsgebäude<br />
der vierziger Jahre rasch aufkommende<br />
Chemotherapie der Tuberkulose weitgehend<br />
abgelöst. Während des 2. Weltkrieges<br />
dienten die Heilstätten wieder<br />
dem Militär als Lazarett. Auf der Sanatoriumsseite<br />
wurde durch die "Organisation<br />
Todt" mit Hilfe von Kriegsge -<br />
fangenen ein zusätzliches Barackenlazarett<br />
errichtet. Durch Kriegseinwirkungen<br />
wurden viele Gebäude schwer beschädigt.<br />
Die Heilstätten wurden nach 1945<br />
militärisches Sperrgebiet und beherbergten<br />
das größte Militärhospital der sowjetischen<br />
Armee außerhalb des eigenen<br />
Territoriums. Die Bauten blieben damit in<br />
ihrem Gesamtbestand erhalten und von<br />
umfangreichen Totalmodernisierungen<br />
oder Abrissen verschont. Eine neue Zeit<br />
begann mit der Rückübertragung des<br />
Geländes nach der Wende.<br />
Im Jahr 1997 wurde das Gebäude<br />
der ehemaligen Lungenheilstätte für<br />
Männer rekonstruiert und mit dem Betrieb<br />
eines Gesundheitsparks, bestehend<br />
aus einer neurologischen Rehabilitationsklinik<br />
und einer Klinik für angewandete<br />
Immunologie, begonnen.<br />
Für den Rest der Anlagenteile ist derzeit<br />
keine nennenswerte Nutzung in Aussicht,<br />
so dass die Stadt Beelitz und ihre<br />
Einwohner dem nächtlichen Treiben von<br />
Plünderung und zunehmenden Vandalismus<br />
nur machtlos zuschauen können.<br />
Mario Pfeuffer<br />
Redaktionsschluß<br />
für Ausgabe 1/2013<br />
05.12.2012<br />
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