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September 2009 BLICK AUF DIE WIRTSCHAFT<br />
Ver.di-Chef Frank Bsirske stellte<br />
XXXLutz in Passau an den Pranger.<br />
diese Verstöße abzustellen.<br />
Eine Frist des Betriebsrats<br />
verstrich ergebnislos.<br />
Vorm Amtsgericht war<br />
der Vorsitzende Richter<br />
Horst Mayerhofer sichtlich<br />
verblüfft. Eine Erklärung,<br />
künftig für die Einhaltung<br />
der zulässigen Höchstarbeitszeit<br />
zu sorgen, wollte<br />
Geschäftsführer Johann<br />
Tischler zunächst nicht<br />
abgeben.Mehrfach ließ er<br />
durch Unternehmensanwalt<br />
Klaus Aumüller erklären,<br />
dass ein Passus zum<br />
Arbeitszeitschutzgesetz in<br />
der Erklärung "nicht akzeptabel"<br />
sei.<br />
„Eigentlich ist es eine<br />
Selbstverständlichkeit, sich<br />
an Gesetze zu halten”, so<br />
M a y e r h o f e r .<br />
Doch nicht nur<br />
der Arbeitsrechtler<br />
dürfte bei der<br />
Argumentation<br />
staunen. XXXL-<br />
Anwalt Klaus<br />
Aumüller verstieg<br />
sich gar zu<br />
der Aussage, dass<br />
„die ges<strong>am</strong>te Auslieferungzus<strong>am</strong>menbricht”,<br />
sollte man die<br />
gesetzlichen Regelungen<br />
künftig<br />
strikt einhalten<br />
müssen.<br />
Es stellen sich<br />
Fragen: Wie massiv<br />
ist das Problem in der<br />
Auslieferung? Sind überarbeitete<br />
Fahrer die Regel?<br />
Tatsächlich wurden in<br />
diesem Bereich massiv<br />
Arbeitsplätze abgebaut, seit<br />
XXXLutz die HiendlGruppe<br />
übernommen hat.<br />
Im Gegenzug wurde die<br />
wöchentliche Arbeitszeit<br />
um vier Stunden erhöht.<br />
Eine gesetzlich einwandfreie<br />
Auslieferung scheint<br />
XXXLutz d<strong>am</strong>it nicht gewährleisten<br />
zu können.<br />
Druck vom<br />
Arbeitsrichter<br />
Nach halbstündiger Diskussion<br />
und Druck durch<br />
Richter Mayerhofer erklärte<br />
sich die Geschäftsführung<br />
schließlich bereit, eine<br />
entsprechende Erklärung<br />
abzugeben – mit 14 Tagen<br />
Widerrufsrecht.<br />
Dass das Unternehmen<br />
sich an die Erklärung halten<br />
wird, ist mehr als zweifelhaft.<br />
Ähnliche Vereinbarungen<br />
zu Mitbestimmungsrechten<br />
des Betriebsrats wurden in<br />
der Vergangenheit gebrochen<br />
und landeten erneut<br />
vor dem Arbeitsgericht.<br />
Mit 160 Klagen sah sich<br />
die Geschäftsführung in<br />
Passau zu Jahresbeginn konfrontiert.<br />
Allein an einem<br />
Tag gab es <strong>am</strong> Arbeitsgericht<br />
in Passau sechs Fälle<br />
zu verhandeln. „Ich hatte<br />
gehofft, mal eine Woche<br />
ohne Hiendl zu haben”, so<br />
der Richter<br />
XXXLutz will - nach<br />
eigenen Aussagen - IKEA<br />
als weltgrößten Möbelhändler<br />
überholen – auf<br />
Kosten der Beschäftigten?<br />
Das Geschäftsmodell<br />
von XXXLutz fuße auf<br />
„Druck, Einschüchterung<br />
und Lohndumping“, sagte<br />
Ver.di-Chef Bsirske einem<br />
BR-Reporter in Passau.<br />
Stundenzettel kursieren,<br />
wonach ein Lehrling mehr<br />
als zwölf Stunden, andere<br />
sogar bis zu achtzehn Stunden<br />
<strong>am</strong> Tag leisten mussten.<br />
XXXL-Hiendl-Filialleiter<br />
Jochen Fisecker verweist<br />
solche Anschuldigungen in<br />
der „Passauer Neue Presse“<br />
ins Reich der Märchen:<br />
Wenn das Möbelhaus nur<br />
achteinhalb Stunden offen<br />
habe, wie solle das gehen?<br />
Es geht: Denn in Wahrheit<br />
hat das Möbelhaus eine<br />
Stunde länger offen und es<br />
gibt auch Auslieferungslager<br />
und Montage.<br />
In Passau hat sich ein<br />
aktiver Betriebsrat noch<br />
rechtzeitig vor der Übernahme<br />
gegründet. Die Österreicher<br />
quälen die Niederbayern<br />
mit Gängelei: Sie<br />
drohten mit Schließung, um<br />
sich Hunderte von Arbeitsgerichtsprozessen<br />
vom<br />
Hals zu schaffen. Es ging<br />
vor allem um Urlaubs- und<br />
Weihnachtsgeld. Gegen<br />
eine einmalige Abfindung<br />
verzichteten die Mitarbeiter<br />
schließlich auf ihre Forderungen<br />
und willigten auch<br />
ein, dass die Arbeitszeit<br />
erhöht wird. Die Beschäftigungs-<br />
und Standortgarantie<br />
wurde daraufhin gegeben<br />
– aber nur ein Jahr.<br />
Üblicherweise arbeiteten<br />
in Möbelunternehmen 70<br />
Prozent der Beschäftigten<br />
in Vollzeit, unter XXLutz<br />
soll diese Quote auf 30<br />
gesenkt werden. Von den<br />
18.500 Beschäftigen sind<br />
demnach immer weniger in<br />
der Lage, eine F<strong>am</strong>ilie zu<br />
ernähren. Das ist der eigentliche<br />
Skandal, der einem<br />
Konzern anhaftet, der zig<br />
M i l l ionen er w i r t s ch a f tet .<br />
-sa/hd<br />
Der Dickhäuter<br />
Der Kabarettist Ottfried<br />
Fischer (55, Bulle<br />
von Tölz), prominenter<br />
Werbeträger für den<br />
Konzern „mit dem roten<br />
Stuhl”, hat es bislang<br />
abgelehnt, sich<br />
zum „rüden Stil” von<br />
XXXLutz gegenüber<br />
seinen Mitarbeitern zu<br />
äußern. Die Vorwürfe<br />
müssten erst bewiesen<br />
werden, ließ seine Managerin<br />
gegenüber dem<br />
Bayerischen Fernsehen<br />
erklären.<br />
Für die bayerischen<br />
Milchbauern hielt Fischer<br />
im vergangenen<br />
Jahr eine „Grabrede<br />
auf die Fairness” und<br />
kritisierte das Verhalten<br />
der Großkonzerne,<br />
die den Milchpreis<br />
drückten. Dass Fischer<br />
für den Großkonzern<br />
XXXLutz, bei dem<br />
er in Lohn und Brot<br />
steht, demnächst eine<br />
„Grabrede auf deutsche<br />
Gesetze” halten wird,<br />
steht indessen nicht zu<br />
befürchten. Von unserer<br />
Redaktion telefonisch<br />
mit der Verhandlung<br />
in Passau und der<br />
möglichen Gefährdung<br />
im Straßenverkehr<br />
konfrontiert, fordert<br />
uns Fischers Agentur<br />
zunächst auf, unsere<br />
Fragen schriftlich zu<br />
stellen. Eine Antwort<br />
erhalten wir nicht. Die<br />
XXXLutz-Chefs haben<br />
den gewichtigen Bayern<br />
als Aushängeschild<br />
gleich mit eingekauft,<br />
als sie das Passauer<br />
F<strong>am</strong>ilienunternehmen<br />
„Hiendl“ schluckten.<br />
Darf sich ein prominenter<br />
Künstler, der von<br />
Kabarettist Ottfried Fischer wirbt für XXXLutz.<br />
der SPD als Delegierter<br />
für die Wahl des Bundestagspräsidentenernannt<br />
wird, von einem<br />
solchen Unternehmen<br />
vor den Karren spannen<br />
lassen? Kann er die<br />
Hand aufhalten, ohne<br />
sich dafür schämen<br />
zu müssen? In zwei<br />
Briefen hat sich Ver.di-<br />
Funktionär Dirk Nagel<br />
an Ottfried Fischer gewandt<br />
und um Stellungnahme<br />
gebeten – ohne<br />
Erfolg.<br />
Das Schweigen hatte<br />
Folgen: XXXLutz-Mitarbeiter<br />
betrieben während<br />
einer Veranstaltung<br />
des Kabarettisten<br />
in Landshut eine Aufklärungsk<strong>am</strong>pagne.<br />
15<br />
Photos: Tobias Köhler, Alexander Eckmeier