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September 2009<br />
Pyrawang: Geisterwirtshaus an der Donau<br />
Schnitzelwirt steht zum Verkauf<br />
Der Gasthof in Pyrawang an der<br />
Donau gehörte zu den beliebtesten<br />
Ausflugszielen. Mit dem Auto, mit<br />
dem Fahrrad und mit dem Boot<br />
k<strong>am</strong>en die Touristen zum sogenannten<br />
Schnitzelwirt. Seit dem<br />
plötzlichen Tod des Inhabers Josef<br />
Steininger, der mit 53 Jahren an<br />
einer Lungenembolie starb, liegt es<br />
Eine ungewöhnliche Gerichtsgeschichte<br />
Opfer hält Plädoyer für den Angeklagten<br />
Ein Prozess wegen versuchten<br />
Totschlags vor dem<br />
Landgericht Passau nahm<br />
eine überraschende Wende.<br />
Denn ein bewegendes<br />
Plädoyer für den Angeklagten<br />
hielt das Opfer im<br />
Zeugenstand selbst.<br />
„Ich möchte nicht, dass<br />
sein restliches Leben versaut<br />
wird, aus sechs Monaten<br />
U-Haft hat er sicher<br />
genug gelernt“, sagte der<br />
19-jährige Kaufmannslehrling<br />
Bernd B., der an der<br />
Wange ein langes schmales<br />
Pflaster trägt.<br />
Der angeklagte Mechaniker<br />
Dominik E. (24), für<br />
den er bei der Richterin um<br />
Gnade bat, hatte ihm bei<br />
einem Streit in der Waldkirchner<br />
Disco "Lobo" die<br />
Klinge seines Klappmesser<br />
BLICK AUF SCHICKSALE<br />
da wie ein Geisterhaus.<br />
„Mein Bruder hat neunzehn Jahre<br />
lang geschuftet und sich keinen<br />
freien Tag gegönnt“, erzählt der<br />
Mann, der vor dem Anwesen im<br />
Schatten eines Baumes sitzt. Die<br />
Erben haben keinen Bezug zur<br />
Gastronomie. Verpachten wollen<br />
sie nicht, lieber verkaufen.<br />
500.000 Euro erwarten sich die<br />
Nachfahren als Erlös für das romantische<br />
Objekt mit Terrasse,<br />
Innenhof und eigener Bootsanlegestelle.<br />
Ein halbes Dutzend Interessenten<br />
gibt es schon, aber sie wollen<br />
feilschen. Seit Februar liegt das<br />
Wirtshaus im Dornröschenschlaf.<br />
Bei der Messerattacke erlitt Bernd B. eine tiefe Fleischwunde. Zum Glück blieb durch die<br />
Kunst der Ärzte nur eine unscheinbare Narbe.<br />
durchs Gesicht gezogen.<br />
„Sie überraschen uns“,<br />
sagte die Vorsitzende Richterin<br />
des Landgerichts. Wie<br />
kann ein Opfer mit seinem<br />
Widersacher Mitleid haben?<br />
„In den ersten zwei Wo-<br />
chen nach der Tat hätte ich<br />
das niemals gesagt, aber es<br />
ist vorbei und die Wunde<br />
ist besser verheilt, als ich<br />
gedacht hätte“. Er habe ein<br />
„gutes Gefühl“, wenn der<br />
Täter mit einer Bewährung<br />
davon käme. Die Klinge<br />
schlitzte die linke Wange<br />
des Opfers auf acht Zentimeter<br />
Länge auf. Nach der<br />
zweistündigen Operation<br />
befürchtete der Lehrling,<br />
dass er sein Leben lang entstellt<br />
sein wird. Aber schon<br />
nach zwei Wochen zeich-<br />
19<br />
Gasthof Steininger, ein prachtvolles<br />
Anwesen <strong>am</strong> Donauufer.<br />
nete sich ab, dass die Chirurgen<br />
gute Arbeit geleistet<br />
hatten. Dank Lasertechnik<br />
wird die Narbe kaum mehr<br />
zu sehen sein.<br />
Der 24-jährige Messerstecher<br />
schrieb aus der<br />
U-Haft einen reumütigen<br />
Brief. Er verkaufte sein<br />
Auto, löste seinen Bausparer<br />
auf und überwies dem<br />
Opfer 15.000 Euro als Entschädigung.<br />
Der Staatsanwalt ließ<br />
seine Anklage wegen versuchter<br />
Tötung fallen. Das<br />
Urteil: zwei Jahre und sechs<br />
Monate wegen gefährlicher<br />
Körperverletzung. "Ich<br />
habe kein Verständnis für<br />
jemanden, der mit einem<br />
Messer in die Disco geht",<br />
sagte die Richterin in ihrer<br />
Begründung.<br />
Photos: Tobias Köhler (2), hubert Denk, privat