Anthropology goes public! - Die Maske
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terisierung der Handlungsträger prägt. Andere Studien<br />
wiederum betrachten populäres Kino generell als<br />
Mythen der Gegenwart und analysieren Filme oft mittels<br />
erweiterter Methoden der anthropologischen Mythenforschung<br />
(vgl. z.B. Drummond 1996 für Hollywood-<br />
Blockbuster). <strong>Die</strong> oben skizzierten kulturellen Praktiken<br />
des „Bolly-Seins“ sprengen jedoch den Rahmen einer<br />
Filmanalyse in Hinblick auf mythische Kodes (vgl.<br />
Mader 2007). Aus der Perspektive der Medienforschung<br />
handelt es sich dabei zum einen um Phänomene einer<br />
„globalen Kultur der Medien-Konvergenz“ (vgl. Jenkins<br />
2006), zum anderen um „performative Intertextualität“<br />
(vgl. Petterson 2006). Der Begriff der globalen<br />
Konvergenz von alten und neuen Medien bezieht sich in<br />
diesem Zusammenhang auf neue Formen der Partizipation<br />
von KonsumentInnen an medialen Prozessen.<br />
Petterson (2006) stellt aufbauend auf Bhaktin (1981) das<br />
Dekontextualisieren und Rekontextualisieren – das<br />
Ausbauen und neu Zusammenfügen von Inhaltselementen<br />
medialer Herkunft – in den Mittelpunkt<br />
seiner Analysen. Er betont vor allem den Zusammenhang<br />
von Medientexten, der Kommunikation im Alltag<br />
und sozialen Praktiken.<br />
Foto: Elke Mader<br />
Shah Rukh Khan, Shreyas Talpade und Fans bei der<br />
Premiere von Om Shanti Om in London<br />
Eine Annäherung an diese Phänomene kann auch durch<br />
Ansätze der Anthropologie der Mythen erfolgen und<br />
diese auf die Untersuchung von neuen medialen Welten<br />
anwenden. Von Bronislav Malinowski bis Joanna<br />
Overing beschäftigt sich die sozialanthropologische<br />
Mythenforschung im 20. Jahrhundert mit verschiedenen<br />
Facetten der Verbindungen von Mythen (Texten) und<br />
sozialen sowie rituellen und/oder religiösen Kontexten.<br />
Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen die „mythmakers“,<br />
die Geschichten vermitteln aber auch gestalten,<br />
und ihre aktive Rolle bei der Interpretation, Zirkulation<br />
und Veränderung von Mythen. Inhalte, Figuren sowie<br />
das Wertsystem der Geschichten sind eng mit Alltagspraktiken<br />
verwoben und stellen – so Joanna Overing<br />
– mythische Landschaften (mythscapes) dar, in denen die<br />
<strong>Die</strong> <strong>Maske</strong> – Zeitschrift für Kultur- und Sozialanthropologie<br />
mythische Welt und die Alltagswelt miteinander<br />
verschmelzen, sie sind „landscapes of myth as situated<br />
practises in the world.“ (Overing 2004: 71) In Hinblick<br />
auf die flexible Konfiguration von Bedeutungen und<br />
Praktiken rund um Bollywood kann man von einer globalen<br />
und transkulturellen mythischen Landschaft<br />
sprechen, die Überschneidungen mit dem Konzept der<br />
medialen Landschaften (mediascapes) von Arjun<br />
Appadurai aufweist (vgl. Mader 2007). <strong>Die</strong>ser Raum geht<br />
außerhalb des indischen Subkontinents teilweise Hand<br />
in Hand mit dem ethnoscape der südasiatischen Diaspora,<br />
reicht aber auch weit darüber hinaus. So leben etwa in<br />
Peru oder Deutschland/Schweiz/Österreich nur wenige<br />
MigrantInnen aus dem indischen Raum, dennoch gibt es<br />
eine begrenzte, aber sehr ausgeprägte Bolly-Kultur.<br />
Ethnographische Fragmente aus „Bolly-Land“<br />
„Bollyscape“ oder „Bolly-Land“ ist auch als ein Raum zu<br />
verstehen, den es ethnographisch zu erforschen gilt. Er<br />
ist vielfach lokalisiert und immer auch deterritorial. Man<br />
begegnet dort einem Geflecht aus Geschichten und<br />
Bildern, aus mythischen Figuren und ihren Verkörperungen,<br />
den Stars, sowie Personen aus diversen<br />
kulturellen und sozialen Kontexten, die sich in diesem<br />
Raum bewegen – ihn durchwandern, betrachten und<br />
mitgestalten und dabei Beziehungen zu anderen<br />
Personen aufbauen. Manche sind neu im „Bolly-Land“<br />
und auf der Suche nach der Basis seiner Topografie, den<br />
Filmen. „Kann mir jemand sagen, wo ich hier indische<br />
Filme bekomme?“ erkundigt sich der 15jährige Pablo aus<br />
Pucallpa im peruanischen Amazonasgebiet per Internet<br />
bei einem Fan-Club in der Hauptstadt Lima, der über<br />
eine eigene Seite für Mitglieder aus der Provinz verfügt.<br />
Dort, beim Club de Fans de Shahrukh Khan, gibt es ein<br />
breites Spektrum von Aktivitäten. Einige kreisen um den<br />
großen Star, der einen Kristallisationspunkt im mythischen<br />
Raum darstellt. „I am just an employee of the Shah<br />
Rukh Khan myth“, sagt er über sich selbst (Chopra 2007:<br />
155), der indische Soziologe Rajinder Kumar Dudrah<br />
(2006) bezeichnet ihn als Bedeutungsvermittler und<br />
„glokale Ware“. Als eine Transfiguration seiner Rollen als<br />
Liebender, die auch mit diversen mythischen Geschichten<br />
verwoben sind, ist er für Viele eine Ikone für Liebe<br />
und Erotik. <strong>Die</strong>ser Aspekt seiner Star-Persona bildet den<br />
Kern für seine Repräsentation im Internet, für die<br />
affektiven Beziehungen der Fans zu ihm und für<br />
Diskurse über ihn. <strong>Die</strong> Gestaltung vieler Internetseiten<br />
weltweit und die Gespräche in einigen Foren stellen eine<br />
besondere Form der medialen Konvergenzen bzw. des<br />
Verschmelzens von Mythen und Alltag dar: Sie reflektieren<br />
sowohl die visuelle Kultur des populären<br />
indischen Films als auch lokale visuelle Repräsentationen,<br />
sie reden eine Sprache der Liebe, die wiederum<br />
Fachgebiet – Medienanthropologie<br />
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