Anthropology goes public! - Die Maske
Anthropology goes public! - Die Maske
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führt es den Austausch der sozialen Kategorien herbei,<br />
andererseits werden die einzelnen sozialen Kategorien<br />
jeweils zeitlich markiert, d.h. es wird Klarheit geschaffen,<br />
bis zu welchem Zeitpunkt man welchen sozialen Status<br />
innehat. Bei dem geheilten Mann, markierte das Ritual<br />
nicht nur den Übergang von Schuldner-sein zum Nicht-<br />
Schuldner-sein, sondern auch den Übergang vom Kranksein<br />
zum Gesund-sein.<br />
3. Das Ritual als Manifestation von Mythen:<br />
Religiöse Rituale stehen in einem direkten<br />
Zusammenhang mit Mythen und umgekehrt<br />
– Mythen sind auf Rituale bezogen.<br />
<strong>Die</strong>ser Aspekt wird beim religiösen Schlachtopfer<br />
deutlich, dessen Durchführung mit einem mythologischen<br />
Ereignis begründet wird, das der Koran ebenso erwähnt<br />
wie die Bibel (Sure 37, 99-113 bzw. Gen. 22,1-19):<br />
Abraham, „Vater aller Religionen“, hatte einst einen prophetischen,<br />
ständig wiederkehrenden Traum: Er sah sich<br />
seinen Sohn Ismael opfern. Für Abraham gab es nur eine<br />
Schlussfolgerung: Es musste Gottes Wille sein, dass er<br />
seinen geliebten Sohn Ismael opfern sollte. Abraham erzählte<br />
den Traum seinem Sohn, dieser fügte sich seinem<br />
Schicksal. Im entscheidenden Augenblick erschien der<br />
Engel Gabriel zusammen mit einem großen Widder:<br />
„Nimm den Widder als Ersatz und opfere ihn Gott!“ Seit<br />
damals ist es üblich, Tiere (insbesondere Widder) stellvertretend<br />
für Menschen zu opfern.<br />
Während in der jüdischen und christlichen Tradition<br />
diese Bibelstelle häufig so interpretiert wird, dass Gott<br />
Abraham auf die Probe stellen wollte, sehen viele<br />
Menschen islamischen Glaubens darin eine mythologische<br />
Begründung für die Durchführung von Schlachtopfern.<br />
Hier dient dieses Beispiel dazu, zu zeigen, dass in<br />
Ritualen auch Glaubensdoktrinen, Mythologien und<br />
damit verbundene Weltbilder zum Ausdruck kommen.<br />
Rituale sind keine Tätigkeiten oder Handlungen, die isoliert<br />
für sich betrachtet eine Bedeutung hätten. Vielmehr<br />
erlangen sie diese erst in Beziehung mit anderen Zeichen<br />
und Symbolen einer Kultur. Sie sind immer eingebettet in<br />
Glaubenssysteme und Wertvorstellungen und erst als<br />
Teil davon ergeben sie einen „Sinn“.<br />
Fazit<br />
Rekapitulieren wir die angesprochenen Dimensionen des<br />
Rituals: 1. Rituale treten in Übergangszeiten auf, 2. sie<br />
bewirken eine Änderung von Status und Rolle der<br />
Betroffenen, und 3. sie sind mit Weltbildern verknüpft.<br />
Übergangszeiten gelten als Zeiten der Gefahr, sie sind<br />
mit Unsicherheiten und Tabus assoziiert. Von strukturalen<br />
Ansätzen ausgehend können sie als Grenzzonen,<br />
als „Schwellenzustände“ zwischen unterschiedlichen<br />
<strong>Die</strong> <strong>Maske</strong> – Zeitschrift für Kultur- und Sozialanthropologie<br />
sozialen Kategorien interpretiert werden. Epistemologisch<br />
betrachtet besteht Ungewissheit darüber, welche<br />
der jeweils angrenzenden Kategorien Gültigkeit erlangt.<br />
Rituale geben Sicherheit, sie markieren und gewährleisten<br />
die Bewältigung von Übergängen sozialer, zeitlicher<br />
und räumlicher Kategorien.<br />
Auf der Grundlage dieser Überlegungen möchten wir<br />
nun zum eingangs erwähnten Bösen Blick zurückkehren.<br />
Dabei wird deutlich, dass Zeit und Ort des Unglücks<br />
keine Zufälle sind. Das Unglück geschah aufgrund der<br />
Nichtbeachtung eines Rituals – die Besucherin sagte<br />
nicht ‚mashallah‘. Zeitlich und räumlich betrachtet<br />
passierte es in Momenten des Übergangs – und zwar in<br />
mehrerlei Hinsicht: Es findet genau zu der Zeit statt, als<br />
Duniya heiratet, eine Übergangszeit, die im gesamten<br />
orientalischen Raum mit dem Wirken des Bösen Blicks<br />
verbunden wird. Und es findet genau in dem Moment<br />
statt, in dem die Besucherin eintritt und in die soziale<br />
Rolle des Gast-seins schlüpft. Auch räumlich gesehen<br />
passiert das Unglück an einer Grenze, und zwar an der<br />
Türschwelle, die als Grenzzone zwischen dem privaten<br />
und öffentlichen Raum interpretiert werden kann. <strong>Die</strong><br />
„Erklärung“, dass für das Zerbrechen der Vase der „Böse<br />
Blick“ der Besucherin verantwortlich ist, ist wiederum<br />
Ausdruck eines bestimmten Glaubenssystems bzw.<br />
Ausdruck eines orientalischen Weltbildes. �<br />
Anm. der AutorInnen: Bei diesem Beitrag handelt es sich um die<br />
stark gekürzte Fassung eines Artikels, der im Zuge<br />
sozialanthropologischer Projektarbeit an der Österreichischen<br />
Akademie der Wissenschaften (ÖAW) entstanden ist und<br />
bislang nicht publiziert wurde.<br />
Gebhard Fartacek, Mag. Dr. phil., wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter und stellvertretender Direktor an der<br />
Forschungsstelle Sozialanthropologie (ÖAW), Universitätslektor<br />
am Institut für KSA (Wien). Forschungsschwerpunkte:<br />
Kosmologien und religiöse Glaubenssysteme im Nahen Osten<br />
sowie lokale Strategien der Konfliktbewältigung<br />
Maria-Katharina Lang, Mag.a phil., wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Sozialanthropologie<br />
(ÖAW) und am Museum für Völkerkunde Wien.<br />
Forschungsschwerpunkte: Soziokulturelle Transformationsprozesse<br />
im zentralasiatischen Raum und Kunstethnologie.<br />
Literatur<br />
Fartacek, Gebhard. Pilgerstätten in der syrischen Peripherie. Eine<br />
ethnologische Studie zur kognitiven Konstruktion sakraler Plätze und<br />
deren Praxisrelevanz. Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse 700. Band,<br />
Wien: ÖAW-Verlag. 2003.<br />
Lang, Maria-Katharina. Ein Schmuckstück aus der Mongolei/Sammlung<br />
des Museums für Völkerkunde Wien als Ausgangspunkt für die<br />
Untersuchung soziokultureller Zusammenhänge. Diplomarbeit. Wien,<br />
1998.<br />
Region – Naher Osten/Mongolei<br />
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