Personalentwicklung
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Studie: Jeder vierte Häftling<br />
Opfer von Gewalt<br />
Hinter Gittern wird gemobbt, geprügelt und vergewaltigt, und das beinahe täglich.<br />
Zu diesem Schluss jedenfalls kommt eine neue Studie, die auch auf Zweifel stößt.<br />
Hannover (dpa) - In deutschen Gefängnissen<br />
gehört Gewalt unter Häftlingen<br />
zum Alltag: In einer<br />
Untersuchung des Kriminologischen<br />
Forschungsinstitutes Niedersachsen<br />
gab gut ein Viertel aller befragten<br />
Männer und Frauen an, in den vier Wochen<br />
vor der Befragung Opfer von<br />
Übergriffen geworden zu sein. Allerdings<br />
zogen die Justizministerien<br />
zweier Bundesländer die am Donnerstag<br />
veröffentlichen Resultate in Zweifel:<br />
Gewalt im Gefängnis sei kein<br />
Massenphänomen, widersprachen<br />
Nordrhein-Westfalen und Baden-<br />
Württemberg.<br />
«Es geht von der psychischen Gewalt, Mobbing,<br />
bis hin zur Vergewaltigung und Fast-totgeschlagen-werden»,<br />
sagte der Leiter des<br />
Institutes und Mitautor der Studie, Christian<br />
Pfeiffer, der Nachrichtenagentur dpa. «Sehr<br />
oft geht es schlicht darum, die eigene angeschlagene<br />
Identität zu stabilisieren, indem<br />
man sich zum King aufschwingt und andere<br />
unterdrückt.» Besonders schlimm sei die Situation<br />
unter Jugendlichen: Hier habe fast die<br />
Hälfte von Gewalterfahrungen berichtet.<br />
Für ihre Untersuchung befragten die Wissen-<br />
Foto: Alexander Dreher / pixelio.de<br />
48 DAS BEHÖRDENMAGAZIN Oktober/2012<br />
schaftler nach eigenen Angaben 4985 Männer,<br />
461 Frauen und 983 Jugendliche in 33<br />
Gefängnissen in Bremen, Brandenburg, Niedersachsen,<br />
Sachsen und Thüringen. 6384<br />
anonyme Fragebogen aus den Zeiträumen<br />
April/Mai 2011 und Januar bis Mai 2012 werteten<br />
sie aus.<br />
Aus Angst vor Verbrechen meiden laut Studie<br />
viele Gefangene Bereiche wie Duschen oder<br />
schlecht einsehbare Flure. Besonders auffallend<br />
sei, dass insbesondere Jugendliche meist<br />
darauf verzichteten, Anzeige zu erstatten. Sie<br />
wollten nicht als Verräter gelten oder hätten<br />
schlicht Angst vor weiteren Attacken.<br />
An die Adresse der Justizvollzugsanstalten<br />
appellierte Pfeiffer, verstärkte Sicherheitsmaßnahmen<br />
zu erwägen. Zudem weist die<br />
Studie daraufhin, dass bautechnische Änderungen<br />
und auch stärkere Aufsicht auf den<br />
Fluren die Sicherheit in den Anstalten verbessern<br />
könnten.<br />
Der Bund der Strafvollzugsbediensteten<br />
Deutschlands sieht in den Ergebnissen keine<br />
Überraschung und fordert für die Gefängnisse<br />
mehr Personal. Zudem müssten alle<br />
Häftlinge in Einzelzellen untergebracht werden.<br />
«Wer das alles nicht hören will, muss<br />
mit solchen Fakten leben», sagte der Bundesvorsitzende<br />
Anton Bachl.<br />
Gewalt unter Inhaftierten ist ein ernstzunehmendes<br />
Problem im Strafvollzug, über das jedoch<br />
nur sehr wenig bekannt ist. Die<br />
Erkenntnisse in Deutschland stützen sich<br />
überwiegend auf summarische Beschreibungen<br />
von Hellfelddaten, das Dunkelfeld blieb<br />
bisher weitgehend unerforscht. Die vorliegende<br />
Studie verfolgt insofern das Ziel, diese<br />
Erkenntnislücke zu schließen. Mithilfe eines<br />
standardisierten Fragebogens wurden aktuelle<br />
und belastbare Angaben zu Gewalt zwischen<br />
Inhaftierten erhoben. Die eingesetzten<br />
Instrumente orientierten sich an der internationalen<br />
Forschung im Strafvollzug. Damit<br />
möglichst viele Inhaftierte die Möglichkeit<br />
haben, an der Befragung teilzunehmen, wur-<br />
Widerspruch kam vom nordrhein-westfälischen<br />
Justizministerium. «Wir halten das für<br />
überzogen», sagte Ministeriumssprecher<br />
Peter Marchlewski. Nordrhein-Westfalen<br />
habe deutschlandweit den größten Strafvollzug.<br />
2011 hätten in den 37 Haftanstalten<br />
mehr als 48 000 Gefangene eingesessen. In<br />
dem Jahr habe es 587 Fälle von geringer Gewaltanwendung<br />
gegeben.<br />
Das Justizministerium in Baden-Württemberg<br />
sieht ebenfalls keine Zunahme von gewalttätigen<br />
Übergriffen. Im vergangenen<br />
Jahr habe es lediglich 30 Verdachtsfälle auf<br />
vorsätzliche Misshandlung unter Gefangenen<br />
gegeben. Noch 2005 seien es 72 solcher<br />
Fälle gewesen.<br />
Auch der in Berlin-Tegel wegen Bankraubs<br />
und Geiselnahme einsitzende Dieter Wurm<br />
von der Gefangenenzeitung «Der Lichtblick»<br />
sieht kein großes Gewaltproblem. «Das ist<br />
wirklich extrem selten. Man schreit sich eher<br />
mal an», sagte er der dpa. Bei einem Konflikt<br />
unter Gefangenen werde innerhalb von Sekunden<br />
Alarm ausgelöst, Störer würden sofort<br />
weggeschlossen. Wurm widersprach<br />
auch der Darstellung, dass Gefangene besonders<br />
in schlecht einsehbaren Bereichen oder<br />
Duschen drangsaliert würden. Dies entspreche<br />
nur Klischees aus amerikanischen Filmen.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen (Auszug aus dem KFN-<br />
Forschungsbericht Nr. 119, „Viktimisierungserfahrungen im Strafvollzug“,<br />
von Steffen Bieneck und Christian Pfeiffer, Seiten 30 - 33)<br />
den insgesamt 18 verschiedene Sprachversionen<br />
vorbereitet. Es sollten auch solche Personen<br />
angesprochen werden, die nur über<br />
begrenzte deutsche Sprachkenntnisse verfügen<br />
und damit in ihren Kommunikationsmöglichkeiten<br />
eingeschränkt sind, was zu<br />
systematischen Verzerrungen in den Analysen<br />
führen könnte.<br />
Kernbefunde und Schlussfolgerungen<br />
Von 11.911 Inhaftierten in Vollzugsanstalten<br />
in Nord- und Ostdeutschland (Belegung zum<br />
jeweiligen Stichtag der Befragung) liegen die<br />
verwertbaren Daten von 6.384 Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmern vor (4.985 Männer,<br />
461 Frauen, 938 Jugendliche). Die Befragun-