OLYMPE 12/00OLYMPE 12/0036Das heisst, die feministische Analyse, die den <strong>gesellschaftlich</strong>en Machtverhältnissenjenes der Geschlechter hinzugefügt und damit die <strong>Männer</strong>macht auf den Begriff gebrachthat, fällt bei den Mainstreamanalysen regelmässig weg. Missbrauch und Ausbeutungvon Kindern wird dann ausschliesslich eine Frage der Macht von Erwachsenen<strong>gegen</strong>über Kindern, sexuelle Belästigung eine Frage der formalisiertenArbeitshierarchie. Die ganz normale Anmache der <strong>Männer</strong> <strong>gegen</strong>über <strong>Frauen</strong> injeglichen Situationen und Machtverhältnissen entgeht so der Problematisierung,ebenfalls die Komplexität ineinandergreifender struktureller Machtverhältnisse inklusivedes Geschlechtermachtverhältnisses.Sprachen wir als Feministinnen ursprünglich vom sexuellen Missbrauch von <strong>Frauen</strong>und Kindern und implizierten damit den Missbrauch der Person, die <strong>Gewalt</strong> erfährt,ist im heutigen Gebrauch der Begriff «Missbrauch» meist gleichbedeutend mit demMissbrauch von Macht, also der Macht desjenigen, der sie ausübt. Zwar rückt diesfür einmal den Täter statt das Opfer ins Blickfeld, doch gilt der Begriff lediglich fürdie Zusammenhänge, in denen ein konventionelles Machtverhältnis anerkannt ist. Ineiner Gesellschaft, die sich im Gegensatz zu den patriarchalen Gesellschaften derZweidrittelwelt für entpatriarchalisiert und die Geschlechter für «gleichberechtigt»hält, ist der Missbrauch einer erwachsenen Frau deshalb weitgehend fremd, es seidenn, sie sei zufällig die Sekretärin ihres Chefs. Mit der Einbusse eines Begriffs desMissbrauchs einer Person ist aber auch der Identifizierung der Verletzung der Menschenrechte,insbesondere der Verletzung der Würde des Menschen, weitgehend derBoden entzogen.Im Kontext von Prostitution und Pornographie mit Kindern, in dem die männlicheTäterschaft unübersehbar ist, wird heute ausschliesslich von Pädophilen gesprochen,um so die Täter gleich zu Opfern einer Sexualpathologie zu machen und sogenanntnormale <strong>Männer</strong> aus dem Spiel zu lassen. Der feministischen Analyse der<strong>Männer</strong>macht wird also einerseits die Pathologisierung der Täter ent<strong>gegen</strong>gesetzt,die als sogenannte Krankheitsfälle, also falsch programmierte <strong>Männer</strong>, der Therapieund unseres Mitleids bedürfen. Andererseits und umgekehrt werden mit der Theorieder sogenannten <strong>Gewalt</strong>spirale (cycle of violence) die Opfer zu zukünftigen Täterngestempelt, die dann als solche auch wieder pathologisierbar sind. Die sexuelle<strong>Gewalt</strong> von <strong>Männer</strong>n <strong>gegen</strong> Kinder ist im Teufelskreis ihrer Selbstreproduktion einundabgekapselt - der Rest der Gesellschaft bleibt unangetastet. Insbesondere werdenso das Verhalten «normaler» <strong>Männer</strong> und die männliche Sexualität als solche -das Geschlechterverhältnis sowieso - der Kritik entzogen.Dies erklärt auch, warum Pornographie und Prostitution (ausser mit Kindern) imdominanten Diskurs kein <strong>Gewalt</strong>thema sind, sondern im Gegenteil sich der rapidensozialen Integration erfreuen. Denn es geht dabei um das ganz normale Verhaltenvon ganz normalen <strong>Männer</strong>n im sogenannten Privatbereich. Da die dominante Sichtdas <strong>gesellschaftlich</strong>e Geschlechtermachtverhältnis und sein <strong>Gewalt</strong>potential ausblendet,sind Pornographie und Prostitution für sie keine Frage der <strong>Gewalt</strong>, sondernSpielarten der männlichen Sexualität. So sehr, dass heute diejenigen, die einenNachholbedarf der weiblichen Sexualität vermuten, bemüht sind, Pornographie undProstitution auch als Spielarten der weiblichen Sexualität aufzubereiten.Da in der Prostitution die männliche Täterschaft - Freier und Zuhälter - so wenigwegzuneutralisieren ist wie die strukturellen <strong>gesellschaftlich</strong>en Machtverhältnisse,wird statt dessen und quasi prophylaktisch der Prostitutionsaspekt wegretouchiert.Man spricht von Sexarbeit und Sexarbeiterinnen, was angesichts der fatalen Arbeitssituation,insbesondere wie sie <strong>Frauen</strong> betrifft, gleich ein Gefühl der Wärmeund der Entlastung aufkommen lässt. Falls vom Freier überhaupt noch die Rede ist,wird dieser als an der «Arbeit der Liebe» beteiligt verstanden. 3 Von der Prostituierungeiner Person, die laut Menschenrechtskonvention mit der Würde des Menschenunvereinbar ist, 4 bleibt keine Spur, denn prostituiert wird hier niemand, undschon gar kein Mensch mehr.Gravierend ist zudem, dass auch auf seiten einer breiten <strong>Frauen</strong>bewegung offenbarkeine Klarheit mehr darüber herrscht, ob es <strong>gegen</strong> Pornographie und Prostitution alszentrale <strong>gesellschaftlich</strong>e Institutionen des Geschlechtermachtverhältnisses überhauptnoch zu kämpfen gilt. Das heisst, auch viele <strong>Frauen</strong> scheinen die Phä nomenezunehmend dem konventionellen Schema entsprechend zwischen zwei Polen - demder <strong>Gewalt</strong> und dem der Sexualität - anzusiedeln. Je näher sie beim <strong>gesellschaftlich</strong>anerkannten Pol der <strong>Gewalt</strong> liegen, desto kämpferischer ist die <strong>Frauen</strong>bewegung. Jenäher sie hin<strong>gegen</strong> bei dem liegen, was <strong>gesellschaftlich</strong> als Sexualität gilt, destozurückhaltender ist auch die Kritikbereitschaft von <strong>Frauen</strong>. Zwar wissen <strong>Frauen</strong> undKinder, die von <strong>Gewalt</strong> betroffen sind, sowie die, die mit ihnen zu tun haben, dassPornographie und Prostitution auch bei <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> die Partnerin, bei Vergewaltigung,bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und anderswo, bei Inzest und beider sexuellen Ausbeutung von Kindern allgemein eine zentrale Rolle spielen - undumgekehrt. Doch scheinen sich auch viele <strong>Frauen</strong> mindestens öffentlich davor zuscheuen, Stellung <strong>gegen</strong> das zu beziehen, was schlechthin als sexuell, geschweigedenn als sexuelle Befreiung gilt, oder aber sie reklamieren es für sich. Dieswiederum ist symptomatisch dafür, dass eine systematische Analyse der Sexualität,oder umgekehrt gesagt, eine Gesamtanalyse der sexuellen <strong>Gewalt</strong> bis heute imöffentlichen Diskurs so gut wie keinen Eingang gefunden hat.Nicht nur die konkreten Projekte <strong>gegen</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Frauen</strong> und Kinder, sondernauch die feministische Gesellschaftsanalyse insgesamt befindet sich also in der Defensiveund der Gefahr der Assimilation (bis letztlich zur Unkenntlichkeit) angesichtseines dominanten Gesellschaftsbilds, das die Anklage sexueller <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong><strong>Frauen</strong> und Kinder für sentimentale und sensationelle Übertreibung, 5 das <strong>gesellschaftlich</strong>emännliche Verhalten und insbesondere die unveränderte männliche «Sexualität»hin<strong>gegen</strong> für über jede Kritik und Veränderungsnot erhaben hält.37
OLYMPE 12/001 So haben z. B. die Vereinten Nationen eine Special Rapporteur on Violence Against Women. DieInternational Organization for Migration (IOM) legt seit mehreren Jahren Rapporte über <strong>Frauen</strong>handelund Prostitution, insbesondere, aber nicht ausschliesslich <strong>Frauen</strong> aus Zentral- und Osteuropabetreffend, vor. 1999 widmete auch die World Organization Against Torture (OMCT) der <strong>Gewalt</strong><strong>gegen</strong> <strong>Frauen</strong> einen Bericht, Violence Against Women: A Report, Genf, 1999.2 Monika Hauser, «Bewaffnet die <strong>Frauen</strong>», Emma, Mai/Juni 1999.3 Frauke Helwes, «Migration, Prostitution, <strong>Frauen</strong>handel», PROKLA 111, Nr. 2 1998, S. 266.4 Convention for the Suppression of the Traffic in Persons and of the Exploitation of the Prostitution ofOthers (1949).5 Lin Lean Lim, betont in der von ihr herausgegebenen Studie über Prostitution in Südostasien mehrfach,dass den «pathetischen Geschichten individueller Prostituierter, besonders <strong>Frauen</strong> und Kinder», nichtzu viel Aufmerksamkeit gegeben werden soll: «Such an approach tends to sensationalize the issues andto evoke moralistic, rather than practical responses.» The Sex Sector: The economic and social bases ofprostitution in Southeast Asia, Genf, International Labour Office, 1999, S. 3.38 Portugal: 8. März 2000 (Foto Felizarda Barradas) 39