OLYMPE 12/00Veränderungen immer nach verbindlichem, sorgfältigem und beharrlichem Engagementaller Beteiligten verlangen. Die Arbeit am Runden Tisch und das Einsetzenvon Neuerungen braucht aus diesem Grund Zeit. Und es braucht Zeit und Ausdauer,Neuerungen im staatlichen und im privaten Handeln bei häuslicher <strong>Gewalt</strong> zuetablieren. Bisherige ausländische Erfahrungen zeigen, dass mehrere Jahre eingesetztwerden müssen für die Konsolidierung von Massnahmen im Sinne eines erhöhtenOpferschutzes.Über diese und andere Themen tauschen sich die Interventionsprojekte Halt-<strong>Gewalt</strong>,Basel, und ZIP, Zürich, seit 1997 regelmässig aus. Seit Frühjahr 1999 ist auchdas Projekt aus Basel-Land dabei. Im Dezember 1999 fand das erste nationale Treffender Interventionsprojekte statt. Das nächste Treffen ist bereits geplant. Denn:Wer ist besser für die Intervision geeignet als andere Projektfrauen. die mit ähnlichenHerausforderungen umgehen müssen?1 Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten (Hg.): Beziehung mit Schlagseite. <strong>Gewalt</strong>in Ehe und Partnerschaft, eF-eF-Verlag, Bern 1997.88 Genf: 8. März 2000 (Foto Ruth Bosshard) 89
OLYMPE 12/00Ingrid HülsmannWie die Feministinnen die Psychotraumatologieauf den Weg brachten und was daraus gewordenistDas <strong>Frauen</strong>haus und das Nottelefon, zwei <strong>Frauen</strong>projekte in Zürich, die sich mitsexueller und körperlicher <strong>Gewalt</strong> an <strong>Frauen</strong> und Kindern beschäftigen, blicken aufeine 20jährige Geschichte zurück. Sie sind zu Institutionen geworden, in denenFachfrauen grosses Fachwissen erarbeiten. Ich möchte darum eine Bestandesaufnahmemachen, in der die Verdienste der <strong>Frauen</strong>projekte gewürdigt werden und dieRolle der <strong>Frauen</strong>bewegung in der Entwicklung der Psychotraumatologie beschriebenwird. Ausserdem werde ich mir Gedanken darüber machen, welche neuen oderergänzenden Ansätze es in der Therapie mit betroffenen <strong>Frauen</strong> geben könnte, unddarstellen, was in der aktuellen Psychotraumatologieforschung neu ist. Vielleichtregen einige Gedanken in diesem Artikel zum Weiterdenken an.Gegen die <strong>gesellschaftlich</strong>e Verleugnung sexueller <strong>Gewalt</strong>In den vergangenen 30 Jahren machte sich die 2. <strong>Frauen</strong>bewegung darum verdient,die Ursachen von <strong>Gewalt</strong> an <strong>Frauen</strong> und Kindern im Rahmen der <strong>gesellschaftlich</strong>enStrukturen und Machtverhältnisse zu beschreiben und zu benennen. Die Fachfrauenwehrten sich zu Recht da<strong>gegen</strong>, psychodiagnostische Kriterien auf die Beschreibungvon <strong>Gewalt</strong>folgen anzuwenden. Dies war wichtig, da Auswirkungen von <strong>Gewalt</strong>keine psychische Krankheit sind und Betroffene nicht pathologisiert werdendürfen. Sexuelle <strong>Gewalt</strong> findet nicht isoliert statt, sondern ist in <strong>gesellschaftlich</strong>eBezüge eingebettet. Psychodiagnostik richtet da<strong>gegen</strong> den Fokus auf individuellesVerhalten und ist als «Krankheitsbeschreibung» nicht frei von Beschuldigungen.<strong>Gewalt</strong>handlungen werden aber von Tätern geplant und begangen, die durch eineisolierte «Opfer»-Beschreibung unzulässig entlastet werden. Zudem ist sexuelle <strong>Gewalt</strong>«traditionellerweise von besonders hartnäckigen irrationalen Tabus und magischemDenken auf seiten der <strong>gesellschaftlich</strong>en Reaktion begleitet, unter denen dieTendenz zur Opferbeschuldigung eine hervorragende Rolle spielt» (Fischer/Riedesser,1999, S. 293). Die <strong>Frauen</strong>bewegung machte auf diese zerstörerische Realitätaufmerksam und erkannte die <strong>gesellschaftlich</strong>en und individuellen Abwehrhaltungen,in denen die geschehenen <strong>Gewalt</strong>taten verleugnet werden. Diese Verleugnung geschiehtbis heute bei sexueller <strong>Gewalt</strong> an Kindern und <strong>Frauen</strong>.Auch die «allgemeine» Geschichte der Psychotraumatologie ist von Abwehr geprägt.Judith Herman schreibt hierzu: «Die Erforschung psychischer Traumata hat90 eine eigenartige Geschichte - immer wieder gibt es Phasen der Amnesie. Der Grundhierfür ist nicht der übliche Wechsel der gerade aktuellen Themen, dem jede geistigeArbeit unterliegt. Dass die Erforschung psychischer Traumata nur schleppendFortschritte macht, liegt nicht an mangelndem Interesse. Das Thema provoziert vielmehrso starke Kontroversen, dass es periodisch tabuisiert wird. Bei der Erforschungpsychischer Traumata stiess man wiederholt in Bereiche des Undenkbaren vor undkam zu grundlegenden Glaubensfragen. Die traumatische Realität kann aber nur imBewusstsein bleiben, wenn das Opfer durch ein soziales Umfeld gestärkt und geschütztwird und Opfer und Zeugen zu einem Bündnis zusammenfinden. Für dasOpfer schaffen die Beziehungen zu Freunden, Partnern und Familien ein solches sozialesUmfeld. Für die Gesellschaft insgesamt leisten das politische Bewegungen,die für die Ohnmächtigen sprechen. Die systematische Erforschung psychischerTraumata braucht die Unterstützung einer politischen Bewegung. Es ist einepolitische Frage, ob entsprechende Forschungen durchgeführt und in der Öffentlichkeitdiskutiert werden können. Die Erforschung traumatischer Erfahrungen imsexuellen und häuslichen Bereich ist nur legitim in einem Umfeld, das die Unterordnungvon <strong>Frauen</strong> und Kindern in Frage stellt» (nach Herman, 1993, S. 18 ff).Dass <strong>Frauen</strong> und Kinder auch in der Schweiz besonders von <strong>Gewalt</strong> betroffen sind,belegt die gesamtschweizerische Statistik der Opferhilfeberatungsstellen über denZeitraum von Juli bis September 1999. 77,5 % aller <strong>Gewalt</strong>betroffenen, inkl. derStrassenverkehrsopfer, sind nach dieser Statistik weiblich. 86 % der <strong>Gewalt</strong>tatenwurden von männlichen Tätern verübt. Ergebnisse der politischen Aktivität der<strong>Frauen</strong>bewegung sind in der Schweiz spür- und sichtbar. Verbesserungen und Auswirkungenfinden wir im Sexualstrafrecht, in der Opferhilfe, in der Einrichtung vonBeratungsstellen und <strong>Frauen</strong>häusern, in internationalen, nationalen, kommunalenund kirchlichen <strong>Gewalt</strong>präventionsprogrammen und vielen Tagungen und Weiterbildungsveranstaltungen,die sich mit dem «Thema <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Frauen</strong> und Kinder»beschäftigen. Die <strong>gesellschaftlich</strong>-politische Arbeit, die über strukturelle <strong>Gewalt</strong>aufklärt, darf aber nicht als erfolgreich beendet angesehen werden. Immer nochkommt es in Institutionen und bei VertreterInnen, die die Gesellschaft repräsentieren,wie Polizei, Justiz, Gesundheitswesen etc., zu Verleugnungen, Fehlbeurteilungenund verletzendem Verhalten <strong>gegen</strong>über Betroffenen.Auseinandersetzung mit Tätern - warum?Eine weitere notwendige politische Aufklärungsarbeit der <strong>Frauen</strong>bewegung war undist die Verbreitung der Erkenntnis, dass <strong>Gewalt</strong>täter in der Mehrzahl «ganz normale<strong>Männer</strong> sind» und dass viele Täter in einer nahen Beziehung zu ihren Opfernstehen. Laut der oben zitierten Statistik der Opferhilfeberatungsstellen sind 66,7 %der Täter den Betroffenen bekannt, von diesen sind 72,4 % Familienangehörige.Diese Tatsache hat <strong>gesellschaftlich</strong>e Bedeutung und wirkt sich auf die psychischenFolgen bei den Betroffenen aus. Die feministischen Fachfrauen messen dem heutemeiner Meinung nach in Bezug auf therapeutische Arbeit zu wenig Bedeutung bei. 91