10.07.2015 Aufrufe

Männer-Gewalt gegen Frauen: gesellschaftlich, grenzenlos ...

Männer-Gewalt gegen Frauen: gesellschaftlich, grenzenlos ...

Männer-Gewalt gegen Frauen: gesellschaftlich, grenzenlos ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

OLYMPE 12/00Barbara SchmidigerGeschichte des <strong>Frauen</strong>hauses ZürichForderungen, Realitäten, Visionen1979 wurde das erste <strong>Frauen</strong>haus der Schweiz in Zürich eröffnet. In der <strong>Frauen</strong>bewegungund bei den Initiantinnen des Projekts waren Aufbruchstimmung, Hoffnungund Enthusiasmus spürbar. Die Tatsache, dass das <strong>Frauen</strong>haus vom ersten Tag anvoll belegt war, bedeutete den endgültigen Beweis für die Richtigkeit der Untersuchungendes «Vereins zum Schutz misshandelter <strong>Frauen</strong>»: «Auch bei uns werden<strong>Frauen</strong> von ihren Partnern geschlagen, getreten, mit Messern angegriffen, werdenZigaretten auf ihren Körpern ausgedrückt, Glieder ausgerenkt und gebrochen.» 1Die ersten Konzepte wurden getragen von Leitsätzen wie: «Gemeinsam sind wirstark», «Alle <strong>Frauen</strong> sind von <strong>Gewalt</strong> betroffen» usw. Eine explizite Unterscheidungzwischen Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen wäre für unser feministisches Selbstverständnisviel zu bedrohlich gewesen, weil gleichbedeutend mit männlichen Strukturenund hierarchisierender <strong>Gewalt</strong>. Wir stellten ja die Hierarchien in der Gesellschaftals patriarchales Ordnungsprinzip, und die damit verbundene Herrschaft dermännlichen Machtträger über die ihnen Untergeordneten, grundsätzlich in Frage.Diese erste Zeit war vielleicht die schönste, denn wir waren sicher, einerseits mit demHaus den misshandelten <strong>Frauen</strong> aus der <strong>Gewalt</strong>beziehung heraushelfen undandererseits mit den Informationen über das Ausmass der Misshandlungen in derÖffentlichkeit einen Prozess einleiten zu können, der schliesslich zum Ende der <strong>Gewalt</strong>führen sollte. Die enttäuschende Erkenntnis, dass die im <strong>Frauen</strong>haus Schutz,Hilfe und Solidarität findenden Bewohnerinnen sich nicht zu gesellschaftskritischen,bewussten, politischen <strong>Frauen</strong> entwickelten und manchmal sogar zu ihren misshandelndenPartnern zurückkehrten, war nach der Anfangszeit schmerzhaft, aberwichtig.Viel schmerzhafter, wenn auch vielleicht weniger deutlich eingestanden, war die Tatsache,dass sich die Gesellschaft und ihre politischen Exponentinnen trotz all unsererBemühungen dem Thema <strong>gegen</strong>über indifferent verhielten. Da wir hilfesuchende<strong>Frauen</strong> unterstützten und aufnahmen, gab es für die Gesellschaft keinen weiterenHandlungsbedarf. Unsere Intentionen, durch die Arbeit mit den betroffenen <strong>Frauen</strong>die <strong>gesellschaftlich</strong>en <strong>Gewalt</strong>strukturen aufzuzeigen, wurden ins Gegenteil verkehrt:Da wir diese Arbeit leisteten, war das Problem für die Gesellschaft vordergründiggelöst und die Sache konnte als politisches Problem verdrängt werden. Hätten wir anunseren Ideen und Konzepten starr festgehalten, hätte die Geschichte des<strong>Frauen</strong>hauses Zürich hier ihr Ende gefunden; Projekt gescheitert mangels Kooperationder <strong>gesellschaftlich</strong>en Kräfte, aus, fertig!Als zähe, weiblich sozialisierte Feministinnen, die einerseits durch die Arbeit schon70 Instanzen in Sachen Ohnmacht und andererseits aber auch empört und neugierig wa-ren, gaben wir selbstverständlich nicht auf. Der Schwerpunkt der Arbeit wurde füreinige Jahre nach innen gelegt. Die Auseinandersetzungen um die Professionalisierungder Arbeit mit gewaltbetroffenen <strong>Frauen</strong> erforderten sehr viel Raum. Um mitder Grenzenlosigkeit ihrer Bedürfnisse und ihrer Bedürftigkeit nach so vielen Jahren<strong>Gewalt</strong> einen würdevollen Umgang zu finden, wurden Strukturen geschaffen undmussten Grenzen gesetzt werden. Begleitet wurde das Ganze von einer intensivenSinnsuche aller Beteiligten, denn die <strong>Gewalt</strong> und deren Sinnlosigkeit lösten nicht nurbei den betroffenen <strong>Frauen</strong>, sondern auch bei den Mitarbeiterinnen Krisen aus.«Ehe/Partnerschaft ist nicht tatsächlich ‹Privatsphare› im Sinne von Gegenteil zuröffentlichen Sphäre, sondern ein Teil dieser. Und zwar ein Teil, in dem patriarchaleInteressen besonders effektiv durchgesetzt werden. Richtiger wäre es, diesen speziellauf seine hin konstruierten Bereich nicht als Privatheit,sondern als Ort der Isolation (insbesondere der Frau) zu bezeichnen. Wie starkdiese Isolation wirkt, zeigt sich immer wieder daran, dass <strong>Frauen</strong> oft Jahre, manchmalauch Jahrzehnte misshandelt werden und keiner der Bekannten oder Verwandtenetwas darüber weiss.» 2Der Preis für die Professionalisierung war hoch, die Kräfte, die für eine politischePräsenz ausserhalb des Projekts gebraucht worden wären, wurden gebunden. DerAktivverein, der solche Aufgaben in den ersten Jahren übernommen hatte, wurdeimmer kleiner. Die Probleme, mit denen die <strong>Frauen</strong> und ihre Kinder ins <strong>Frauen</strong>hauskamen, wurden zunehmend komplexer (Aufenthaltsstatus, Wohnungsnot, Suchtproblematik),die Aufenthaltsdauer wurde länger. Das Thema der sexuellen Ausbeutungbrach auf und erforderte unsere ganze Aufmerksamkeit. Die Frage nach der eigenenBetroffenheit in der Kindheit erschütterte auch die Teamfrauen. Viele von unsbildeten sich gezielt weiter, unter anderem auch, um mit dieser «neuen» Flut von<strong>Gewalt</strong> und Zerstörung umgehen zu lernen, ohne dabei selber völlig auszubrennen.Die Kinderarbeit im <strong>Frauen</strong>haus bekam einen wichtigen Stellenwert. Das <strong>Frauen</strong>hausbeteiligte sich aktiv an der Gründung von zwei Vereinen, aus denen schliesslichdie Castagna (Beratungsstelle für Kinder, weibliche Jugendliche und in der Kindheitvon sexueller <strong>Gewalt</strong> betroffene <strong>Frauen</strong>) und das Mädchenhaus hervorgingen. Dazukam, dass das Projekt <strong>Frauen</strong>haus jedes Jahr neu finanziell gesichert werden musste.Die Diskussionen, mit wem wir wie verhandeln wollen und müssen und ob dieAnerkennung und die Finanzierung durch den Staat zur Konsequenz haben könnten,dass wir unsere Autonomie verlieren, kosteten viel Zeit und Energie.Es gab Momente, in denen wir ein eigentliches Hausfrauen-Syndrom entwickelten:immer am Arbeiten, dauernd beschäftigt, Lösungen zu finden, mit den <strong>Frauen</strong>, imHaus, immer im Stress und so oft mit dem Gefühl, dass es nicht reicht, dass wir zuwenig Zeit haben für die wirklich wichtigen Dinge. Dies betraf nicht nur das Tag­Team, sondern in besonderem Masse auch die Nachtfrauen (ein eigenes Team fürdie Nacht), die abends allein arbeiteten und viel Angst und Elend, die sich tagsüberangesammelt hatten, auffangen mussten. In jenen Jahren wurden auch zum erstenMal <strong>Frauen</strong>, die im Haus Schutz gesucht hatten, von ihren <strong>Männer</strong>n umgebracht. 71

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!