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unser projekt - beim Entwicklungshilfeklub

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Literatur… aus IndienNach einer wahrenBegebenheit, aufgezeichnetvon Sunanda MongiaIch denke oftan PremvatiWenn ich an meine Heimat Indiendenke und an die Kleinstadt, inder ich aufgewachsen bin, dannkommt mir vor allem Premvati inden Sinn.Wahrscheinlich wohl, weil sieauf so grausame Weise sterbenmusste.Sie war etwa 14 Jahre alt unddie dickköpfige Tochter vonKamla, einer <strong>unser</strong>er Hausangestellten.Je mehr ihre Mutter versuchte, siezu Gehorsam zu erziehen, destoweniger gelang es ihr.„Komm, hilf mir <strong>beim</strong> Geschirrabwaschen!“ „Jetzt mag ichnicht.“ „Dann geh in die Kücheund mach das Mittagessen!“„Später, vielleicht“.Natürlich half sie ihrer Mutter hinund wieder – flink wie ein Fischim Wasser. Und alles was sie tat,geschah mit Anmut, ohne diegeringste Anstrengung.Spielen und Herumtollen warenihre Lieblingsbeschäftigungen.Immer in Bewegung floss ihrLeben dahin wie das Monsunwasserim Fluss am Rande <strong>unser</strong>erkleinen Stadt.Trotzdem mochte ich das frecheDing gern – je frecher sie wurde,desto mehr mochte ich sie.Wenn sie in der Stadt herumschwirrteund die Kleinen neckte,lachte ich mit ihr. Und wenn ihreMutter kam und mit ihr schimpfte,kicherten wir beide hinter ihremRücken.* * *Eines Tages kam Premvati zu mirund sagte: „Didi, sehe ich nichtgut aus?“In Geschmacksfragen wandte siesich gerne an mich.„Wer hat denn das gemacht?“,fragte ich.Die Missbilligung in meinerStimme hörte auch ihre Mutter.„Schau, was sie gemacht hat, siehat sich die Haare mit demMangomesser geschnitten!“Ich konnte nicht anders, ich musstelachen.* * *Eines Tages war ihre Mutter wirklichschrecklich böse auf sie.Premvati hatte am Morgen dieWassereimer nicht angefüllt.„Es war eine so lange Schlange,ich wollte nicht warten!“„Wie soll ich jetzt kochen … duhilfst mir nicht, kümmerst dichnicht ums Wasser, räumst nichtauf …“.Es hätte eine lange Liste werdenkönnen, doch Premvati setzteeinen Schlusspunkt und strecktedie Zunge raus. Die Antwort derMutter war eine kräftige Ohrfeige.Spät an diesem Abend kam Kamlaaufgeregt zu uns.„Ich weiß nicht, wo Premvati ist.Was sind das für Zeiten? Darf eineMutter ihre Tochter nicht schlagen?Sie ist davongelaufen, dieBuben werden mir die Schuldgeben.“Premvati hatte vier Brüder, die esnicht gerne sahen, wenn sie ausdem Haus ging. Selbst der jüngste,erst elf Jahre alt, machte sichschon oft zu ihrem Beschützer.„Wenn das die Leute erfahren,wird es nie mehr möglich sein, siezu verheiraten“, klagte Kamla.Wir rieten Kamla zu sagen, dassPremvati die Nacht bei einerFreundin verbringt und vielleichtwar sie ja am nächsten Tag zurückund niemand würde etwas merken.* * *Als Kamla gegangen war, rief eineleise Stimme unter dem Sofa aufder Veranda: „Didi, ist Mamaweg?“Ich zog sie buchstäblich an ihrenZöpfen hervor und sie bekam ihrezweite Ohrfeige an diesem Tag –von mir. Später gab ich ihr dannetwas zu essen und ließ sie inmeinem Zimmer schlafen.Sie hatte sich wie ein kleines Tiereingerollt und auf ihrem Gesichtsah man noch die Salzspurengetrockneter Tränen. Sie konntenicht verstehen, dass jemand, derso viel mit ihr lachte, auch auf siewütend sein konnte.* * *Kamla nahm nun die Sache mitPremvatis Heirat in die Hand.Wie gesagt, sie war erst 14, vielleichtauch 16. Wer erinnert sichschon so genau an das Geburtsdatumeiner Tochter?Aber eine rebellische Tochter imHaus – dieses Risiko will keineFamilie eingehen.Ich kannte das, denn auch ich warnoch Single und sollte endlichverheiratet werden. Ich war zwarnicht rebellisch, aber ich langweiltemich und war gereizt.Unzählige Fotografien von Kandidaten,denen mich meine angeseheneund reiche Familie angebotenhatte, flatterten ins Haus.Da waren dieser Hochschulabsolventaus Bombay, ein Ingenieuraus Bangalore, ein Regierungsbeamteraus Delhi und der Sohneines Zahnarztes aus Pune.Ein weiteres Foto war aus dementfernten Hawaii gekommen,von einem Inder, der dort alsProfessor arbeitete.„Der ist hässlich“, sagte eine meinerFreundinnen, die sich alsBeraterin angeboten hatte.„Na und“, meinte eine andere,„aber Hawaii ist schön.“Ich persönlich mochte das rosafarbeneHemd und die breiteKrawatte dieses Mannes nicht.Ich konnte mir auch nicht rechtvorstellen, mich in ein Foto zu verliebenund den Mann dann zuheiraten.Einem Sohn sagt man: „Such direinen ordentlichen Beruf!“. Beieiner Tochter heißt es stets: „Wirmüssen einen Mann für sie finden,schnell!“* * *Kamla war schneller als meineLeute:„Ich habe einen Bräutigam fürPremvati gefunden, er machteinen Bachelor hier am College.Er ist aus der Dhobi-Kaste undwird daher leicht einen Jobbekommen.“Fünf Tage später kam Kamla entsetztgelaufen und schrie:“Jetzt ist Premvati wirklich davongelaufen!“„Wohin ist sie gelaufen?“„Weg, mit diesem Kerl, der gegenüberwohnt! Stell dir vor, er istein Harijan, ein Kastenloser! Wassoll ich tun?“„Hat er eine Arbeit?“„Er ist Arzt in einem Dorf. Duweißt ja, für Harijans gibt esQuoten und Förderungen <strong>beim</strong>Medizinstudium.“„Was ist da so schlimm? Ihr habteinen jungen Mann ohne Jobgegen einen Arzt als Schwiegersohneingetauscht.“„Ach, Didiji, was soll ich machen?Wir müssen sie retten!“Es war eine seltsame Situation.Wenn Premvati clever genug war,mit einem Arzt davonzulaufen,warum musste sie dann gerettetwerden?“* * *Und dann kam Kamla mit dieserschrecklichen Nachricht:Premvati war von ihren Brüderngetötet worden. Sie hatten dasPaar verfolgt und schließlich eingeholt.Den jungen Arzt rührten sie nichtan. Einer der Brüder soll gesagthaben:„Es ist nicht ratsam, sich miteinem Arzt anzulegen, noch dazumit einem Harijan. Schließlich gibtes da diese Kommissionen, diejedes Verbrechen gegen Minderheitenbestrafen.“Ich stand völlig unter Schock.„Aber warum? Warum haben siePremvati umgebracht?“„Damit sie nicht einenKastenlosen heiratet“.„Aber die Polizei …?“„Wer soll ihr etwas sagen?“„Warum habt ihr sie nicht einfachzurückgeholt? Sie war ja schließlichnoch minderjährig?“„Keiner will so ein Mädchen imHaus haben.“Niemals hätte ich mir vorstellenkönnen, dass eine Familie einerTochter oder Schwester so etwasanzutun vermochte.Wir konnten nichts tun außerKamla zu trösten.Sie seufzte: „Ach, Gott hat wahrscheinlichseine Gründe … Wennfür Premvati die Zeit zu gehengekommen war, dann musste sieeben gehen. Denk an die Probleme,die sie mir ein Leben langgemacht hätte.“* * *Ich heiratete und verließ meinekleine Stadt.Ich kann nicht sagen, dass ichwirklich glücklich bin, es gibtaber auch keinen Grund für mich,unglücklich zu sein.Hawaii ist wunderschön, dasWetter angenehm warm und inmeinem Leben gibt es keine großenProbleme.Über mir wölbt sich der türkisfarbeneHimmel und das kristallklareblaue Meer reicht bis zum Horizont.Aber es gibt immer wieder Tage,an denen ich an die vom Monsunregenangeschwollenen Flüssedenken muss, an dieses wild undungebändigt dahinströmende,schlammige Wasser in meinerHeimatstadt.Und von all den Menschen indieser Stadt ist es Premvati, diemir am öftesten in den Sinnkommt.* * * * *30 Informationsblatt des <strong>Entwicklungshilfeklub</strong>sUNSER PROJEKT Nr. 120 – September 200931

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